1904 / 89 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 15 Apr 1904 18:00:01 GMT) scan diff

geraten das dem Abdecker und auf den Schindanger gehört. Das sind doch wohl nit etwa Komplimente für uns. Man hat dann die Aufhebung des § 2 des Jesuitengeseßes zum Gegenstand lebhafter Angriffe gemacht, die Gefühle des Volkes sollen verleßt sein. Welches Volkes? Eines Teils nur des nationalliberalen Volkes. Das Volk, das hinter dem Zentrum steht, hat sich darüber gefreut, das hinter der Sozialdemokratie steht, hat mindestens nihts dagegen gehabt. Hätte Graf von Bülow das ganze Geseß aufgehoben, so würden wir auch das für rihtig gehalten haben, weil wir Donne jeder Ausnahmegeseß- ebung sind, richte sie sih gegen eine Rasse oder gegen eine Religion. raurig genug, daß Partêten nur durch Ausnahmegeseße Ua aufrecht erhalten zu können. Die Nationalliberalen haben och mit dem Sozialistengeseß die traurigsten Erfahrungen gemacht. Meine Prophezeiung ist eingetroffen, daß das Zentrum dur das Tuengeses nur gestärkt werden würde. Der „Hannoversche ourier“ hat freilih gegen die Aufhebung des §2 des Jefuitengesetes ne die Zeit der Kompromisse sei vorüber, die höchsten geistigen üter seien gefährdet usw. Gut gebrüllt, Löwe, aber falsch gebrüllt. Alles Phrasen und nichts als Phrasen. Noch war die Drucker- s{chwärze dieses Artikels nicht trocken, und man erklärte si bereit, mit dem Zentrum gegen uns bei den Wahlen zusammenzugehen. Die Aufhebung des § 2 bedeutete gar nichts, fie änderte nichts. Trennung der Kirche vom Staat, der Schule von der Kirhe kann uns allein Geistesfreiheit s, Die Nationalliberalen sind aber au auf diesem Gebiete halbe Menschen, wie sie überhaupt aus Halb- heiten Les find. Sie wollen mit jenen Phrasen nur auf das Gefühl des Volkes einwirken, niht auf feinen Verstand. Ste Eönnen feinen ernsthaften Schritt auf diesem Gebiete wollen, weil sie die wahre Volksaufklärung fürhten. Wollten fie es, fie hätten an uns die besten Bundesgenossen, aber sie fürhten uns. Daß Graf von Bülow die Geschäfte niht führen will ohne die Nücksicht auf die stärkste Partei, freut mi, hoffentlih bleibt er aber konsequent und berücsihtigt auh die übrigen Beschlüsse der Mehrheit, so 3. B. die wegen der Diäten, und ih hoffe, daß, wenn wir einmal die stärkste Partei bilden werden, er auch unsere Anträge berücksichtigen wird.

Reichskanzler Graf von Bülow:

Meine Herren! Bevor ih, wie dies meine Absicht ist, auf die gestrige Debatte zurückkomme, muß ih mich gegen einige Ausführungen wenden, die roir soeben gehört haben. Der Herr Abg. Bebel hat mit einem großen Aufwand von Pathos und mit einem nicht geringeren Aufwand von Kraftworten sich über die Ausweisungen verbreitet, die hier vor einiger Zeit stattgefunden haben. G Hat dabei von einer Art von Zurückmauserung gesprochen, die bei mir stattgefunden haben soll. Er hat gemeint, ich hätte mir seinerzeit im Auslande einen freien Blick erworben, der mir aber in den het- mischen Verhältnissen wieder abhanden gekommen wäre. Ich er- widere ihm, daß, wenn ih im Auslande etwas gelernt habe, es vor allem das war, daß man als internationaler Kosmopolit wohl ein ganz guter Mann sein kann, vielleiht auch ein hervorragender Agitator, aber ein praktisher Staatsmann ist man niht. Im übrigen kann ih den Herrn Abg. Bebel nur bitten, seine Studien über Mauserung lieber in seiner eigenen Partei vorzunehmen. (Heiterkeit.) Und wenn er bei solchen Studien etwas an den Tag legt von der Toleranz und Nä@stenliebe, die er eben so s{chöôn gepredigt hat, so habe ih nichts dagegen. (Heiterkeit.)

Meine Herren, die Spezialfälle, welche der Herr Abg. Bebel \o- eben zur Sprache gebracht hat, werden von zuständiger Seite wider- legt werden. Ih möchte meinerseits aber s\sogleich zweierlei hervorheben. Der Herr Abg. Bebel hat wieder gemeint, die russishen Revolutionäre wären im Grunde harmlose Menschen, sie kämpften nur mit geseßlihen Mitteln, dächten niht an so was wie Blutvergießen. Da möchte ich ihm doch einen Passus aus einer folhen rufsishen nihiliftish - revolutionären Broshüre vorlesen. {Zuruf.) Ich bemerke ausdrücklich, daß ih diesen Artikel in der Uebersezung der „Lipziger Volkszeitung“ vorlese (Heiter- keit), die wohl von allen sozialistishen Blättern dasjenige ist, das dem Herrn Abg. Bebel am nächsten steht. Jh erinnere mi, daf, als es im vergangenen Sommer in der sozialdemokratischen Partei, ih will niht sagen kriselte, aber dort allerlei Gegensäßtze hervortraten, sih der Herr Abg. Bebel vom „Vorwärts“ zu der „Leip- ziger Volkszeitung“ flüchtete. Also gegen dies Blatt wird er wohl nihts einzuwenden haben. Da heißt es also in dieser von der „Leipziger Volkszeitung“ wiedergegebenen russishen revolutionären Broschüre :

Ob Nikolaus Il. in einer Mietskutshe vom Kasanshen oder Semenowschen Plate abfährt oder in einem Wagen unter {mutiger Wäsche versteckt weggeführt wird, wie ein anderer Häuptling der Reaktion während der Revolution, oder ob er in Frauenkleidung wie ein anderer Magister der Unterjohungskunst flieht, das alles interessiert uns wenig: die Geschichte selb wird das Schicksal bestimmen. Ob das Schafott Ludwigs XVT. oder der Frauenrock Guizots das ist die Sache der Zukunft, und nicht wir haben mit operettenblutigen Strömen herumzuspriten.

(Na also! bei den Sozialdemokraten.)

Na also, meine Herren ? Wenn Ihnen das noch niht genügt, fo lese ich Ihnen einen weiteren Artikel aus der „Leipziger Volks- zeitung“ selbst vor. Die , Leipziger Volkszeitung“ {rieb über das glü- liherweise mißlungene Attentat gegen den Gouverneur von Wilna:

Der leider aus der strafenden Hand eines Helden mit heiler Haut

entfommene Wilnaer Gouverneur gehört zu der verächtlihsten Gattung der Schergen im Zarenreihe. Diesmal war das heldenhafte Opfer des Lebens umsonst gebracht, und das liebe Publikum half natürlich mit, den Rächer der mit Füßen getretenen Menschenwürde in die Krallen der Polizei zu bringen, aus denen er wohl nicht wieder herausfommt. Aber die einstweilen glücklih gerettete Kanaille wird sih hoffentlih diesen Fall als Warnung und Mahnung merken, daß in Rußland die Zeiten der ungestraften Herrschaft von ihres- gleichen vorbei find.

So sehen die Herren aus, für die sh der Herr Abg. Bebel \o leiden-

\chaftlih ins Zeug legt.

Was nun die stattgehabten Ausweisungen angeht, die auf meine Veranlassung erfolgt find, fo haben \sich die Ausgewiesenen ihr Schick- fal selbst zuzuschreiben. (Sehr richtig! rets.)

Ich habe hier vor einigen Wochen gesagt, daß fremde Studenten, die sich bei uns ruhig und anständig benehmen, ungestört unsere Bildungsanstalten besuhen und in Frieden ihren Studien nach- gehen können. Wie richtig das ift, können Sie {on daraus ent- nehmen, daß an der Univerfität Berlin in der lehten Zeit die Zahl der fremden und speziell der russishen Studenten nicht ab-, sondern zugenommen hat, (Hört, hört! rechts.) Es scheint also den Herren bei uns gar nit {chlecht zu gefallen.

daß, wenn die fremden Studenten \sich mausig machen sollten, fie ausgewiesen werden würden. Sie haben fich mausig gemacht; sie haben die Zurückhaltung überschritten, die fremde Gäste überall ein- zuhalten haben. Wir haben von dem Rechte jedes Hausherrn Ge- brau gemacht, Fremden, die sich lästig mahen und unangemessen benehmen, die Tür zu weisen. (Bravo! rechts.) Sih öffentli von Fremden Unhöflichkeiten sagen zu lassen, das braucht si die preußishe Regierung nicht gefallen zu lassen, das braucht si die preußische Polizei nit gefallen zu lassen, und das brauche ich mir auch nicht gefallen zu lassen. (Sehr rihtig! rechts.) Ih will aber noch die Bemerkung zurückweisen, die der Herr Abg. Bebel bei diesem Anlaß über den verewigten Fürsten Bismarck gemacht hat. Der Herr Abg. Bebel hat behauptet, daß die Aktenstücke, die ih neulich aus der Feder des Fürsten Bismark verlesen habe, das Andenken des Fürsten Bismarck kompromittierten. (Sehr richtig! bei den Sozial- demokraten. Lachen rets.) Ih glaube im Gegenteil und die Mehrheit dieses Hauses und die große Mehrheit im Lande wird es mit mir glauben —, daß diese Aktenstücke nur beweisen, mit welchem Ernst und wie unermüdlih auch an seinem Lebensabend noch Fürst Bismarck für den Frieden und die Sicherheit des Neichs forgte, dessen Erstehung in exster Linie seinem Genie zu danken is. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, nun hat sich der Herr Abg. Bebel auch der ost- asiatischen Frage zugewandt und mit etner gewissen Feierlichkeit er- klärt, es dürfe in dem Kriege in Ostasien in keiner Weise Partei er- griffen werden für einen oder den andern der beiden Kämpfer. Mit Ver- gnügen konstatiere ih, daß das beinahe wörtlich übereinstimmt mit dem, was ih vorgestern hier gesagt habe. Aber mit viel weniger Ver- gnügen muß ih au feststellen, daß damit die Sprache der sozial- demokratischen Presse gar nicht stimmt, die in der outriertesten, in der gehässigsten Weise Partei nimmt gegen Nußland, die unermüdlih bestrebt ist, uns mit Nußland zu verheßen. Das steht im Widerspruch mit der strikten und loyalen Neutralität, welche die Regierung beobatet, weil sie den Interessen des Landes entspriht. Und bei® dieser Gelegenheit muß ih wieder darauf aufmerksam machen, wie häufig es ist, daß gerade die deutshe Sozialdemokratie in auswärtigen Fragen eine unkluge und eine unpatriotishe Haltung ein- nimmt im Gegensaß zu ihren ausländishen Gesinnungs- genossen. (Sehr richtig! rechts.) Während bei uns - die sozialdemokratishe Presse in allen Tonarten gegen Rußland tobt, hâlt sfich die französishe Sozialdemokratie viel reservierter und sehr viel vorsfihtiger. Als vor einigen Tagen der französische Ministerpräsident Herr Combes einem Bankett beiwohnte, das ihm französishe Nadikale und Sozialisten in Laon gaben, wurde feine Be- merkung, daß Frankreih Rußland treu bleibe, von den anwesenden Radikalen und Sozialisten mit Beifall und Jubel aufgenommen. (Hört, hört! rechts.) i

Nun hat der Herr Abg. Bebel weiter gemeint, wir mahten uns einer Verleßung der Neutralität s\chuldig, und zwar in zweierlei Weise. Einmal durch unser Eintreten für ktie Neutralisierung von China. Wenn er bei dieser Gelegenheit von einer Vergewaltigung von China gesprohen hat, so habe ich noch niemals gehört, daß jemand vergewaltigt wird, der etwas wünscht. Die Neutralisierung von China entsprach den Neigungen des chinefishen Hofes und der chinesishen Negiecung. Und noch weniger lag in dieser Neutralisierung eine Verleßung von Japan; denn die japanische Regierung hat fich beeilt, freiwillig dem Beschluß der Mächte über die Neutralisierung von China beizutreten. Jh möchte also in dieser Nichtung den Herrn Abgeordneten Bebel bitten, nun nicht wieder japanisher zu werden als die Japaner. (Heiterkeit.)

Der Herr Abg. Bebel hat dann von dem Verkauf deutscher Schiffe an ausländishe Firmen gesprohen. Meine Herren, nach der bisherigen völkerrehtlihen Praxis find derartige Verkäufe inländischer Schiffe an ausländishe Firmen zulässig. Mindestens is die Frage, ob sie unstatthaft, eine sehr zweifelhafte. Jh bin auch da wieder in der glücklichen Lage, mich auf eine Stimme aus Ihren Reihen be- rufen zu können, nämlich auf den „Vorwärts“, der doch wohl noch bis zu einem gewissen Grade fozialdemokratish-offiziós, Bebel-offiziós sein wird. Also der „Vorwärts“ \{reibt:

Die Beurteilung der Verkäufe unter dem Gesichtspunkt der Neutralität ist niht ganz zweifellos. Der moderne Grundsatz der Neutralität verbietet dem neutralen Staat {lechterdings jede direkte oder indirekte Unterstüßung einer kriegführenden Macht; hierher ge- hört insbesondere Lieferung von Kriegsschiffen und Schiffen zum Truppentransport. Es ist klar, daß es sich bei den Käufen der rufsischen Regierung um Truppentransportdampfer handelt. Nur ist es eben nit der Staat, fondern eine private Firma, von der die Schiffe verkauft werden.

Dem entsprehend find auch während des spanish-amerikanischen Krieges die Schnelldampfer „Normannia“ und „Kolumbia“ von der Ham- burg-Amerika-Linie an die englische Schiffsagentenfirma H. E. Moß ver- kauft worden, von der sie dann in den Besiß der Compania Trans- atlantica in Barcelona übergingen. Von einer Parteinahme gegen Japan aber kann {hon deshalb nicht die Nede scin, weil es ja den Japanern freisteht, auch bei uns Schiffe zu kaufen.

Was die Kruppschen Waffenverkäufe während des südafrikanischen Krieges angeht, so haben wir eben die strenge Auffassung, die ih damals anfangs zur Geltung brachte, niht aufrechterhalten können, weil von anderen Staaten weiter Waffenverkäufe vorgenommen wurden.

Der Herr Abgeordnete Bebel hat auch von einer Isolierung Deutschlands gesprochen. Er scheint zu fürchten, daß wir vollständiger Einsamkeit entgegengingen. Ich erwidere ihm, daß wir mit zwei großen Mächten in einem festen Bündnisverhältnis stehen, zu fünf anderen Mächten stehen wir in freundshaftlißen Beziehungen, während unser Verhältnis zu Frankrei ein ruhiges und friedlihes ist und, soweit das von uns abhängt, auch bleiben wird. Im übrigen glaube ih, daß, wenn wir unser Schwert {arf erhalten, wir uns vor der Isolierung gar nicht so sehr zu fürchten brauchen. (Sehr richtig! rechts.) Deutschland ist zu stark, um nicht bündnisfähig zu sein. Für uns find mancherlei Kombinationen möglich, und selbs wenn wir ein- mal allein stünden, so wäre das auch nicht so fürchterlih. Also bange machen gilt nicht! (Sehr gut! rets.)

Ich will, meine Herren, Akt nehmen von der Erklärung, die der Herr Abgeordnete Bebel nun zum zweiten Male hier abgegeben hat, er und seine Freunde würden dafür einstehen, daß kein Fuß breit deutschen Bodens vom Reiche abgerissen würde. Jh hoffe, daß diese Grklärung des Herrn Abgeordneten Bebel ih bezieht auf das ganze

Jh Yabe gesagt,

aber weiter

Reichsgebiet im Westen wie im Osten und im Norden. Es wünh mir au lieb sein, wenn der Herr Abgeordnete Bebel sein, Einfluß, der wahrscheinlich groß sein wird, auf seine fremby Gesinnungsgenossen anwenden wollte, um sie abzuhalts, in irgend einer Weise an den deutschen Grenzen zu rütteln. Ny

lieber endlih würde ih es sehen, wenn der Herr Abgeordnete Bel

aus seiner eben geäußerten patriotischen Ueberzeugung die Konsequenz zöôge und seine Stellung zu Heer- und Flottenforderungen revidier (Sehr gut! rechts.)

Der Herr Abgeordnete Bebel wird mir selbst zugeben : wenn h infolge mangelhafter Rüstung vom Ausland “besiegt würden, wen L dann selbst er den Kuhfuß auf die Schulter nimmt, \o hilft uns u E s Es kommt darauf an, daß wir „L N behaupten, daß Handelsverträge mit diesen Minimalzöllen un- | mögli wären. Das ist durhaus niht der Fall. Wir halten es

nichts mehr. (Heiterkeit.) stark find, daß si{ch niemand ungestraft an uns reiben kann. (Sj gut! rets.)

Meine Herren, ih möchte nun mit einigen Worten auf die gestriy Debatte zurückkommen. Ic habe gestern nicht mehr gesprochen, wel ih in vorgerückter Stunde die Geduld dieses hohen ees nicht mh in Anspru nehmen wollte.

Der Herr Abgeordnete von Kardorff, dem ich aufrichtig dankbar fir seine wohlwollende Beurteilung unserer auswärtigen Politik bin, bu ih benuße die Notizen, die ih mir gestern gemaht habe bo dunkeln Mächten gesprohen, welche die Interessen der Landwirts nachteilig beeinflussen. Daß es offene Gegner der Landwirts

gibt, wissen wir, das haben wir gehört. Solche okkulten Madhey | haben sh / auf mein amtliches Verhalten keinen Einfluß. Jch verstehe, daß m0 Aber wie man mir den Vorn

bekannt, jedenfalls

schaften sind mir aber nicht mir manchen Vorrourf macht. machen kann, daß ih es an der nôtigen Nücksiht und Fürsorge fj die Landwirtschaft fehlen ließe, das, meine Herren, verstehe ih nid Im Kampf mit einem großen Teil dieses hohen Hauses, mit groß Parteien, mit einem großen Teil der öffentlichen Meinung und stait, Strömungen habe ich einen landwirtschaftsfreundlihen Tarif vorgele und durchgeführt (Zuruf rets),

handlungen bin ih ich habe es erst fkürzlih im preußish Abgeordnetenhause betont eingetreten mit dem festen Vors unsern neuen Handelsverträgen einen \o landwirtschaftsfreundlidy Zuschnitt als möglih zu geben. Das ist der erste Punkt hg Instruktion, die ich unsern Unterhändlern auf den Weg gegeben bh (Zuruf rechts.) Daran machen mich auch die Angriffe nicht irre, d gestern der Abgeordnete Gothein gegen mich gerihtet hat, indem z

mir vorwarf, daß ih die Interessen der Industrie und des Hand(

weniger pflegte als die Interessen der Landwirtschaft. Jh halte diese mein Haltung für richtig, niht nur, weil ih glaube, daß, wenn für die Lub wirtshaft gesorgt wird, auch Industrie und Handel dabei gut fahra, sondern auch in voller Würdigung der {weren und harten Zeitz, die die Landwirtschaft durhgemaht hat und in vielen Teilen unse! Vaterlandes heute noch durchmacht (sehr richtig !), in voller Würdiguy au der nicht nur wirtschaftlichen, sondern au fozialpolitischen W deutung der Landwirtschaft, ihrer Wichtigkeit für die Kraft u Slagfertigkeit des deutshen Volkes, ihrer Wichtigkeit auch für uns monarchischen Institutionen. (Bravo!)

Aber ih möchte bei diefer Gelegenheit auch auf einen Wide: \spruch in den Angriffen aufmerksam maden, die gegen mich gerihtet werden. Wenn ih, meine Herren, zu sola Anfragen und Interpellationen {chweige, dann heißt es, warum ih di facultas dicendi, die der Perr Abgeordnete von Heydebrand di Liebens8würdigkeit hatte mir zuzusprehen, niht benüßte zu einiga beschwichtigenden und aufrihtenden Worten. Wenn ich mich aber in Interesse der Landwirtschaft ausspreche, dann beißt es, es wären nit! als Worte. Sie werden mir zugeben, meine Herren, daß diess

machen. Ueber den Stand der Handelsvertragsverhandlungen hat dt Herr Staatssekretär des Aeußern gestern Auskunft gegeben, sowi dies nah Lage der Verhältnisse möglich war. Diese Auskui hat den Herrn Abg. Grafen Reventlow nicht befriedigt. Aber ü keinem Lande der Welt sind Minister in der Lage, dem Parlam über shwebende Unterhandlungen eingehende Auskunft zu geben, ut in manchen Parlamenten werden über \{webende Verhandlunga folhe Anfragen überhaupt nicht gestellt.

Was aber die Kündigung der Handelsverträge angeht, fo mi ih dies sagen: Wir stehen in s{hwierigen und verwickelten Verhard lungen, die unser handelspolitisches Verhältnis zu unsern Nachbar zur ganzen zivilisierten Welt neu regeln sollen. Vera wortung für den Gang und Ausgang dieser Verhandlunzt trägt lediglih die Negierung. Da muß auch die Regierung den Zt punkt bestimmen, wann ihr der Augenblick gekommen zu fein schein die Handelsverträge zu kündigen. An diesem Standpunkt habe i fesigehalten während der ganzen Zolltarifaktion; an diesem Stad punkt muß ih auch: weiter festhalten, denn es handelt fi hier ut ein Recht der Exekutive, auf das in unserem monarhis{chen Staat !! NMNegierung nicht verzichten kann. Gelangen wir ohne Kündigung N alten Verträge zu neuen Handelsverträgen, desto besser l alle Beteiligten! (Zuruf rechts.) Nehmen die Vertragsverhandlungt nicht den von uns erwarteten und gewünschten Verlauf, o werd! wir ohne Schwäche von unserem Kündigungsreht Gebrauch mad (Zurufe rechts: Wann ?) Auf jede Frage ist nicht immer t Antwort möglich.

Was die Brüsseler Zuckerkonvention anlangt, so glaube ih, wird von allen Seiten anerkannt werden müssen, daß wir uns " einem gewissen Uebergangsstadium befinden, wo ein voller Veb blick über die Wirksamkeit des Geseßes noch nicht möglih Soweit sih aber s{hon heute ein sicheres Urteil fällen läßt, wird d Herr Staatssekretär des Reichs\haßzamts Ihnen darüber eingeht! Mitteilung bei der Beratung des Etats der Zölle und Verbrauchssteut® machen. Jh möchte aber einerseits nochmals feststellen, daß u Beitritt zur Brüsseler Zuckerkonvention nicht hervorgegangen ist aus igt welcher Nachgiebigkeit gegen das Ausland, sondern aus der reiflih!! Abwägung deutscher Interessen aus gewissenhafter Prüfung namentlit der Interessen der Landwirtschaft; anderseits aber muß id Y gegen unsere Unterhändler in Brüssel gerichteten Angriffe zut weisen. Wir wissen alle, daß ih unsere Unterhändler in Brüssel einer s{wkerigen Lage befanden zwischen der Entwickelung in un| heimischen Zukerindustrie auf der einen Seite und der Haltung der übri Staaten auf der anderen Seite. In dieser \{chwierigen Lage habs unsere Unterhändler getan, was ihnen möglich war, um für ! möglichst günstige Bedingungen zu erlangen: Jch halte die gege!" erhobenen Vorwürfe nicht für gereckcht.

Die

| Herr

und in die Handelsvertragsy; F

so hâufiE

F merksam

} meint,

Ad vocem Unterhändler möchte ich Bemerkung wenden, die der Herr Abgeordnete Gothein gestern

| gemacht hat. Der Herr Abgeordnete Gothein hat gestern gesagt:

wenn unsere Unterhändler mit den Minimalzöllen neue Handels- verträge zustande brächten, so würden sie, wie er sih ausdrückte,

Uebermenschen sein. Ich glaube niht, meine Herren, daß es nüßlich ist, öffentlih so etwas vor den Ohren des Auslandes zu sagen (sehr

f richtig» rechts), davon abgesehen bestreite ih die Nichtigkeit dieser 5 Bemerkung. Gewiß erleichtern die Mindestzölle niht den Abs{luß neuer

Nerträge. Die verbündeten Regierungen haben im Interesse der Land-

Ì wirtschaft eine {were Aufgabe auf sih genommen, als sie sich ent-

(lossen, mit festgelegten Getreidezöllen in die Unterhandlungen für

den Abschluß neuer Verträge einzutreten. Es ist aber fals, zu

ür sehr wohl möglich, auf der Grundlage dieser Minimalzölle

A allen Staaten, mit denen wir in Unterhandlungen stehen, zu Ì einem für beide Teile befriedigenden Ausgleih zu gelangen.

Meine Herren, ih komme zu den Ausführungen des Herrn

Ï Or. Riklin. In den Streit des Herrn Dr. Nicklin mit dem Herrn Î Abgeordneten Blumenthal werde ich mich nicht einmischen, teils, Ï weil ih mich ungern in Konflikte mische, die mich nichts angehen, Ì teils auh aus dem Grunde, weil ich es nicht mit jemand verderben Î möchte, der, wie Herr Gothein mir andeutete, vielleiht mal mein Ì Nachfolger wird. (Heiterkeit.) Jch werde also nur auf das eingehen, | was der Herr Abgeordnete über die vorjährigen Beschlüsse des Landes-

ausschusses für Elsaß-Lothringen gesagt hat. Der Herr Abgeordnete Ricklin hat zutreffend ausgeführt, daß diese Beschlüsse, die der Statthalter von Elfaß - Lothringen mir vorgelegt hat, ih in dreifaher Richtung bewegen. Sie verlgngen einmal Aus- {altung des Neichstags als geseßgeberishen Faktors für Elsaß- Lothringen; sie fordern ferner Vertretung im Bundesrat bei Beratung von elsaß-lothringishen Angelegenheiten, und sie wünschen endli Erteilung der Befugnisse, der Stellung und des Namens eines Undtags an den Landesausshuß. Die Ausführung dieser Beschlüsse würde also einen tiefen Eingriff in die \taats- rechtlihe Stellung von Elsaß-Lothringen in sich \{ließen. Die mit der staatsrechtlihen Stellung von Elsaß-Lothringen zusammenhängen- den Fragen find an und für \sich s{chwieriger und verwickelter Natur. Ihre Lösung kann meines Erachtens nur allmählih erfolgen, nur Hand in Hand mit der Festigung des Reichsgedankens.

Nun hat der Herr Abgeordnete Ricklin zu meiner Befriedigung hervorgehoben, daß der Reichsgedanke in Elsaß-Lothringen Fortschritte

F gemaht hat. Er wird aber selber nicht erwarten, daß ih ohne M weiteres zu seinen Vorschlägen Forderungen E fassungsrechtlicher M gehenden Prüfung. L Zwekmäßigkeit der Maßnahmen, die eine Aenderung der verfassungs- Ï mäßigen Stellung von Elsaß-Lothringen enthalten würden, auch im } elsaß-lothringishen Landesaus\chuß meines Wissens noch geteilt find,

È und daß es nicht gewiß ist, ob die Forderungen des Landesaus\chusses

Stellung nehmen \oll. Seinen gewihtige Bedenken politisher und ver- Natur im Wege, sie bedürfen einer ein-

Es kommt dazu, daß die Ansihten über die

stehen

den einmütigen Wünschen der Bevölkerung von Elsaß-Lothringen entsprechen.

Was den dritten Punkt angeht, so möchte ih darauf auf- machen, daß mit Ausnahme des rechts dem Landesausschuß von Elsaß-Lothringen

{on jeßt alle

N Befugnisse zustehen, die ein Landtag hat. Ueber diese Frage, die eine Ï inner-elsaß-lothringische Frage ist, N leichtesten

: e c : : ee x E Vothringe at {G fet - Mi »retni ; m Not ine Dilemma grausam und daß es nit leit ist, es Ihnen ret u | othringen hat sih seit der Wiedervereinigung mit dem Reiche einc N große E leuten in Elsaß-Lothringen doch den Beweis liefern sollten, daß

vielleicht am Elsaß-

wir uns À

der Berfassung von

werden

verständigen können. In

Anzahl von Aenderungen vollzogen, die unseren Lands-

die Reichsregierung bereit ist, ihren Wünschen entgegenzukommen,

Y soweit sie berehtigt und dur(führbar sind.

Ich erinnere nur an die Aufhebung des Diktaturparagraphen. Bei

Y jener Aufhebung des Diktaturparagraphen habe ich vor zwei Jahren hier j erilârt, daß für mi hinsihtlich der Stellung von Elsaß-Lothringen zum

Reich und der weiteren Entwickelung von Clfaß-Lothringen zwei Gesichts-

: puntie maßgebend wären: einmal die Fürsorge für die Sicherheit des Y Reichs, die Rücksicht auf die europäishe Gesamtlage und auf den Y europäishen Frieden, und dann die Haltung der elsaß-lothringischen j } Bevölkerung gegenüber dem Deutschen Reiche, das Tempo threr Ver- } {hmelzung mit dem deutshen Volke. j aud heute fest, und von diesen beiden Gesichtspunkten aus werde ih } die Frage prüfen, ob der Zeitpunkt hon gekommen ift, den For- i A des elsaß - lothringishen Landesaus\husses nähertreten zu önnen,

An dieser Auffassung halte ih

Ih wende mich noch zu einigen Ausführungen, die am

4 Swhlusse der gestrigen Debatte der Herr Abgeordnete Graf Reventlow ] gemaht hat. Der Herr Abgeordnete Graf Reventlow hat behauptet, } daß das englisch-französishe Abkommen und speziell der Hauptteil jenes

Abkommens, der sich auf Marokko bezieht, in Deutschland mit Be- {hämung und Niedergeschlagenheit aufgenommen worden wäre. Er wir dürften niht dulden, daß sich andere Mächte in Marokko größeren Einfluß sicherten als wir. Das kann doch nur \o

Y viel heißen, als daß wir selbst ein Stück von Marokko fordern

sollen. Jch möchte mir erlauben, an den Herrn Abgeordneten Grafen Reventlow eine einfahe Frage zu rihten. Der Herr Abgeordnete Graf Neventlow ist gewiß mit mir der Ansicht, daß, wenn ein so 0roßes Reich, wie das Deutsche Neich, eine solche Forderung stellt, e diese Forderung auch durhseßen muß, colito coûte. Was würde nun der Herr Graf Neventlow mir raten zu tun, wenn fine derartige Forderung auf Widerstand stieße? Ih sage nit, daß e sier ist, daß sie auf Widerstand stieße; ih sage nicht, daß es wahrscheinlich ist, ih sage nur, daß man in folchen ernsten Fragen jeden Fall ins Auge fassen muß. Würde dann der Herr Abgeordnete Graf Reventlow mir den Nat geben, daß ih vom Leder ziehen soll ? Der Herr Graf Neventlow \{chweigt, und ih verstehe es, daß er s{chweigt. (Heiterkeit.) Jch glaube, meine Herren, daß es von meiner Seite Leichtsinn sein würde und zu meiner Befriedigung haben die Führer aller Parteien, mit Ausnahme des Herrn Grafen Reventlow, sich in diesem Sinne ausgesprochen —, wenn ih ohne Not qus folhem Grunde das Land in Abenteuer stürzen wollte. Jh glaube weiter, meine Herren, daß, wenn ih das täte, der Herr Abgeordnete Graf Reventlow, bei dem mir die kritische Ader stark ausgebildet zu sein scheint (Heiterkeit), mir mit derselben

que

mich noch gegen eine ;

Interpellations- |

Lebhaftigkeit übertriebenen Tatendurst vorwerfen würde, mit der er jeßt meine angebliche Tatenscheu getadelt hat.

Ich glaube, meine Herren, daß gerade jeßt, wo im fernen Osten ein Krieg entbrannt ist, dessen Rückwirkung vorläufig noch unberehenbar ist, und wo im näheren Orient noch vieles ungeklärt ist, eine Politik besonnener Ruhe und felbst der Reserve im Interesse des Reiches am nüßlichsten ist, und ih werde mir weder vom Auslande noch von übelwollender oder ungeduldiger Kritik im Inlande den Zeitpunkt vorschreiben lasen, wann wir aus dieser Haltung herauszutreten haben.

Der Herr Abgeordnete Graf NReventlow hat weiter das Sprichwort variiert: Duobus litigantibus tertius gaudet. Ih will es dahingestellt fein lassen, ob dieses Sprihwort immer zutrifft, und will es auch dahingestellt sein lassen, ob, wenn Zweie aufhören, \sich zu streiten, dann notwendig der Dritte und Vierte tristis sein muß. Das aber möchte ih doch dem Herrn Grafen Neventlow sagen, der mir Neigung zur Diplomatie zu haben scheint (Heiterkeit) hre Familie, Graf Reventlow, hat manchen treff- lichen Diplomaten hervorgebraht —, also das möhte ih ihm doch sagen, daß, wenn man partout Reibungsflächen herbeiführen will, man das niht über alle Dächer shreien muß. Friedrih der Große hat vielleiht hier und da einmal einen machiavellistishen Shaczug in der Politik gemacht, er hat aber vorher den Antimacchiavell geschrieben. (Grofe Heiterkeit.)

Nun hat der Herr Abgeordnete Graf Neventlow zu meinem Bedauern ungewöhnlih scharfe Angriffe gegen unsere Vertretung im Auslande gerichtet, und namentli gegen unsere konsularischen Ver- treter. Ich bin immer der Ansicht gewesen, seitdem ih vor 30 Jahren in den diplomatischen Dienst eingetreten bin, daß jeder Beamte im Auslande, vom Bizekonsul und vom Konsularagenten bis zum Gesandten und zum Botschafter, in erster Linie dazu da is, um für jede berechtigte deutsche Klage ein offenes Ohr, für jeden begründeten deutschen Anspru eine tätige Hand zu haben. Ich bin kein Chauvinist im fremdländishen Sinne

| des Wortes, ih dulde bei meinen Untergebenen kein unnüßzes Sporen-

klirren. Aber allerdings sollen unsere Vertreter im Auslande, wo sie den Boden des Völkerrechts und des Vertragsrechts unter den Füßen haben, Leben, Eigentum, Interessen und Rechte unsrer deutschen Landsleute mit Nachdruck s{chüßen. Das entspricht den Traditionen, die seit lange maßgebend sind im auswärtigen Dienst, das entspricht auch dem Geist der Instruktionen, die an unsere Vertreter im Ausland ergangen find. Aber gerade deshalb, weil ich weiß, daß diese Instruktionen für unsere Vertreter im Ausland maßgebend sind, muß ih diese pflihttreuen, arbeitsfreudigen und gewissenhaften Beamten, die ih selbst oft an der Arbeit geschen habe, in Schuß nehmen gegen Vorwürfe, wie sie der Abg. Graf Reventlow gestern erhoben hat. In jeder Herde wird mal ein räudiges Schaf vorkommen. Wenn Sie einem meiner Untergebenen irgend welche Pflichtwidrigkeit nahweisen können, wenn Sie namentli Mangel an

| der Eigenschaft nahweisen können, die ih von unsren Vertretern in

erster Linie verlange, stramm nationale Gesinnung, so fliegt er hinaus; da können Sie ganz ruhig sein. Aber ohne Beweis, auf vage An- s{huldigungen hin gebe ich meine Untergebenen nit preis.

Wie einseitig übrigens in dieser Beziehung die Ausfassung des Herrn Grafen Reventlow ist, das geht {hon aus dem hervor, was er über deutsche Konsuln sagte, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Wenn ter Abgeordnete Graf Neventlow eine Neise um die Welt machen wollte ih sage nicht, daß ih ihn dazu auffordere, ih freue mi, ihn hier zu sehen (Heiterkeit); aber eine folhe Reise ist ja für jeden nüßlich —, \o würde er sih davon überzeugen, daß es au eine Menge französischer, englis{er, spanischer, russisher Konsuln gibt, die der französischen, englischen, spanischen, russischen Sprache nicht mächtig find. Und der Grund ist sehr einfa. An Orten, wo wir keine Berufskonsuln haben, und wo ih keine Deutschen oder unter den dort angesessenen Deutschen keine geeigneten Elemente für Wahlkonsuln finden, übertragen wir wie andere das Wahlkonsulat demjenigen ein- heimischen Kaufmann, der uns die besten Garantien dafür bietet, daß er die Interessen unserer Landsleute und unseres Handels wahrnehmen und fördern wird. Auf die übrigen von dem Herrn Abgeordneten Grafen Reventlow vorgebrachten Beschwerden werden der Herr Staats- sekretär des Aeußern und der Herr Kolonialdirektor bei ibren Etats näher eingehen.

Ich komme zum Schluß noch einmal auf die in den leßten Tagen viel erörterte Frage der Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes zurü. Jch muß zunächst feststellen, wie \{chwterig es auch bei aller Vorsicht ist, hier so zu sprechen, daß man nicht mißverstanden wird. Der Abg. Graf Reventlow hat gestern am Schlusse seiner Aus- führungen behauptet, ih hätte gesagt, ich arbeitete nur mit dem Zentrum. Aehnlihe Andeutungen hat der Herr Abg. Gothein gemacht, und dieser Meinung schien soeben auch der Herr Abg. Bebel zuzuneigen. (Widerspruh von den Sozialdemokraten.) Dann nehme ih das fofort und gern zurück! (Heiterkeit.) Was habe ich denn in Wirklichkeit gesagt? Jh habe an ein verehrtes Mitglied dieses Hauses, an den Herrn Abgeordneten Sattler die Frage gerihtet, ob er glaube, daß es möglich wäre, daß ih die Geschäfte des Reiches in verfassungêmäßiger und ersprießlißer Weise führe ohne jede Rücksicht auf die stärkste Partei in diesem hohen Hause, das habe ih gesagt. Jch habe mi ebenso wenig dem Zentrum mit Haut und Haar verschrieben, als der Herr Abg. Spahn gestern gesagt hat, das Zentrum wäre eine Regierungs- partei sans phrase geworden. Es gibt cine Reihe* von Fällen, wo ih anderer Ansicht bin als die Herren vom Zentrum; es gibt aber au Fälle, wo ih glaube, mit den Herren vom Zentrum zusammen- gehen zu können. So geht es mir aber mit allen Parteien, die in diesem hohen Hause auf dem Boden der Verfassung, auf dem Boden der bestehenden Ordnung der Dinge stehen. Der Herr Abg. Spahn hat uns gestern mit cinem Seitenblick auf den Herrn Abg. Sattler gesagt, daß ih ihm zu viel mit denNational- liberalen kokettierte, Umgekehrt wird mir von dem Herrn Abg. Sattler Flirt mit dem Zentrum vorgeworfen. (Heiterkeit links.)

So machen liebenswürdige junge Damen dem Leutnant, der nicht allein mit ihnen tanzen will, mit reizendem Shmollen den Vor- wurf, er hätte nur Augen für die anderen. (Heiterkeit.) Jch habe hier mehr wie einmal auseinandergeseßt, daß ih niht allein mit einer Partei gehen kann. Ih habe aber auh gesagt, daß ih es für meine Pflicht erachte, die staat8erhaltenden Kräfte, die in jeder Partei vorhanden sind, für das Wohl des Ganzen zu verwerten, und ih untershreibe durhaus das, was gestern der Herr Abg. v. Kardorff gesagt hat

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die dankenswerte Mitarbeit des Zentrums an großen natio- nalen Fragen. Der Herr Abg. v. Heydebrand und der Herr Abg. Gothein haben gemeint, wenn man sich au befreunde mit der Auf- hebung des § 2, fo wäre doch die Art und Weise anstößig, wie der Paragraph aufgehoben worden wäre. Jh könnte mit der Gegenfrage antworten, welcher Artikel der Verfassung, welche verfassungsmäßige Bestimmung dur mein Vorgehen verleßt worden ist. Mein Ver- fahren würde doch nur dann im Widerspruch stehen, ih sage niht, mit dem Buchstaben, aber auch selbst mit dem Geist der Neichsverfassung, wenn ih entweder den Bundesrat überrumpelt Hätte, oder wenn dieser heutige Neichstag- zu der Frage der Aufhebung des § 2 anders stände wie sein Vorgänger. Wie kann aber von einer Ueberrumpelung, einer Veberraschung des Bundesrats die Rede sein, da ih vor 13 Monaten von dieser Stelle klar und deutlich vor versammeltem Kriegsvolk er- flärt habe, daß ih die Aufhebung und Beseitigung des S 2 für mög- lih und nüßlich hielte?

Was aber die Stellung des heutigen Reichstags zur Frage der Beseitigung des § 2 angeht, so könnte man ja leiht die Gegenprobe anstellen, indem von irgend einer Seite der Antrag eingebracht würde auf Wiederherstellung des § 2 (Heiterkeit), und es würde fich ja dann zeigen, ob der gegenwärtige Reichstag eine andere Stellung einnimmt als sein Vorgänger.

Es kommt aber meines Erachtens überhaupt weniger auf den Zeitpunkt für die Aufhebung des § 2 und die Modalitäten in diesem oder jenem Detail an, sondern darauf, ob jene Aufhebung sachlich richtig war, ob sie ein Gebot der Staatsraison und ein Gebot der Gerechtigkeit war.

Der Herr Abg. Spahn hat gestern gemeint, es hätte ihm wehe getan, daß ih für die Aufhebung des § 2 Gründe der Staatsraison ins Feld geführt hätte und nicht solhe der Gerechtigkeit. Ich muß darauf aufmerksam machen, daß für mih natürlich die Gründe der Staatsraison in erster Linie bestimmend find; aber in diesem Fall widersprechen \sch nach meiner Ueberzeugung Staats raison und Gerechtigkeit nich“.

Und ih konstatiere, daß i auch von den Rednern, die si gestern hier über die Art und Weise unseres Vorgehens in der Frage des § 2 beschwert haben, kein einziges sahlihes Argument für die Auf- rehterhaltung des § 2 gehört habe. (Sehr richtig! in der Mitte.) Daß die Beseitigung des § 2 gerecht und nüßlich war, war seit vielen Jahren die Ansicht der großen Majorität dieses hohen Hauses, und der Bundesrat ist dieser Ansicht beigetreten.

Und nun, meine Herren, möchte ih noch dem Herrn Abg. von Heydebrand danken für die Mahnung, die er gestern an unsere evan- gelishen Glaubens8genossen im Lande gerihtet hat, daß sie ih niht dur eine, wie ich wohl weiß, tiefgehende, aber nah meiner innersten Ueberzeugung nit berechtigte Erregung über die Beseitigung des § 2 zu einer Haltung drängen lassen, von der ih fest glaube, daß sie die Interessen beider Konfessionen, daß sie die Interessen des Landes schädigen würde. Keine Konfession hat ein Interesse daran, die konfessionele Streitart auszugraben. Daran hat auch keine Partei ein“ Interesse, jedenfalls keine Partei; die auf dem gegenwärtigen Boden der Dinge steht. Der Herr Abg. Bebel hat soeben davon gesprohen, daß gegen uns im Auslande viel Abneigung und Feindschaft vorhanden wäre. Jch will das nicht bestreiten. Jch will auch jeßt nit untersuhen, worauf solhe Empfindungen gegen uns im einzelnen zurückzuführen find. Zum Teil mögen sie wohl auf Eifersuht beruhen. (Sehr richtig ! rets.) Aber jedenfalls haben wir allen Grund, unsere Reihen zu \{ließen. Jch bin überzeugt, die Mehrheit dieses hohen Hauses wird mit mir der Ansicht sein, daß wir in einer Zeit, wo manche ernste Symptome am Horizont stehen, den konfessionellen Hader ver- meiden müssen, der uns im Innern und nach außen \{wächen würde. (Bravo!)

Abg. Dr. Hieber (nl.): Solange die Sozialdemokratie ihren Standpunkt zur Frage der Wehrhaftigkeit des Reihs nit gründlich ändert, sind alle thre Erklärungen über die auswärtige Politik halt- und wertlose Deklamationen. Mit Recht is in dieser Debatte an die Zusage des kaiserlihen Schußes für die Deutschen in Süd- afrika, die im Burenkriege geschädigt worden sind, erinnert worden. Solche Schädigungen haben auch in Samoa Deutsche betroffen, als dort vor fünf Jahren die kriegerishen Wirren ausbrahen. Noch immer find die Betroffenen niht entshädigt worden, wie uns mit- geteilt wird. Wir wünschen, daß in beiden Beziehungen den Be- ¡chädigten endlich ihr Recht verschafft wird. Für die baldige Abschließung neuer, auch den berehtigten Forderungen der Land- wirtshaft gerecht werdender Handelsverträge erheben wir au heute wieder unsere Stimme. Was die Aufhebung des § 2 des Jesuiten- geseßes angeht, fo handelt es si bei der Beurteilung dieser Regierungs- handlung in der Oeffentlichkeit absolut nicht um nationalliberale Preßmachenschaften. Die allgemeine Erregung ist in Deutsckland weit über unsere Parteikreise M aaen Es haben uns nickcht die egoistischen Schmerzens- und Unbehagensgefühle über den Verluft unserer entscheidenden Bedeutung als Partei im Reichstage bei unferer Stellungnahme zu dem Bundesratsbeshlusse geleitet.- Während fonst solhe Beschlüsse bei der großen Mehrheit freudigen Widerhall finden, hat dieser Beshluß auf allen Seiten mit Aus- nahme der Zentrumspartei nur eine resignierende Stimmung ausgeübt. Der konfeffionelle Gegensaß als sol{her, als rein geistiger Kampf der Weltanschauungen, ist an und für si{ch noch lange keine nationale Ge- fahr; ja er hat fogar segensreihe Wirkungen auf unsere ganze Kultur- entwidckelunz ausgeübt, was von beiden Seiten dur namhafte Wort- führer anerkannt ist. Die Gefahr beginnt erst, wenn die kon- fesfionellen Gegensäße mit der Politik vermengt werden. Das klassische Beispiel dieser Vermengung von Religion und Politik ist das, was man Ultramontanismus nennt. Daran werden wir festhalten und darin uns nicht irre machen lassen, wenn auch Herr Spahn eine folhe Unterscheidung beinahe als Unehrlichkeit brandmarken wollte. Herr Spahn hat gestern den Katholiken zur Pflicht gemacht, zum Zentrum zu stehen, und das Gegenteilige als einen Verstoß gegen die Kirche bezeihnet. Das ift eben, wogegen wir Front machen, Herr Sattler hat niht ein Wort der Verleßung gegen Andersgläubige ge- prochen; Herr Spahn aber hat \{harfe Worte des Angriffs gebraucht gegen diejenigen Katholiken, welhe nicht in allem mit dem Zentrum gehen. Selten ist diese Verquickung von Religion und Politik so rüdckhaltlos betrieben worden, wie gestern in der Rede des Herrn Spahn. Dieser und Herr Bebel meinten, die Erregung des evangelischen Volkes sei künstlich von uns gemacht, ja von Herrn Dr. Sattler allein hervorgerufen. Die Herren haben wohl die PAORN Aeußerungen dieser Erregung niht genau genug verfolgt. ie «Konservative Monatsschrift" und zahlreihe andere Organe, die z. B. mit dem Evangelishen Bund nicht die geringsten Beziehungen haben, find als Zeugen dieser Erregung aufgetreten. Auch im Süden find gerade diejenigen Kreise, in denen der Staats- und Neichsgedanke seit Jahrzehnten unershütterlih festgehalten und pro- pagiert worden ist, aufs tiefste von der Aufhebung des § 2 berührt worden. Das Mißtrauen der protestantishen Deutschen ist eine reelle Macht, mit der jeder Politiker und Staatsmann