Verhältnisse so gewaltig verschoben, sind tie NüCwirkungen in der ganzen Welt so viel großartiger und gewaltiger geworden wie früher, daß wir hier in erheblihem Maße Rücksichten nehmen müssen und daß wir die Kämpfe, in denen in der Welt die Kapitalmacht ent- scheidet, nicht untershäßen dürfen. Die Absicht des Börsen- geseßes vom Jahre 1896, dem Börsensptel zu steuern, war, wie ich s{chon vorhin wiederholt ausgeführt habe, durchaus be- rechtigt; in den Mitteln aber, die man ergriffen hat, um weitere private Kreise, die niht an die Börse gehören, vom Börsenspiel abs zuhalten, hat man sich meines Erachtens zum Teil vergriffen. Die Einschränkungen, welche man dur die Klaglosigkeit von An- sprühen aus Termingeschäften erzwingen wollte, zeitigte einen moralischen Defekt in weiten Kreisen des Volks, dessen Bedeutung nit zu untershägen ist. Jch will Ihnen aus der Registratur, dite im Jahre 1899 über die Verhandlungen im Handelsministerium auf- gestellt ist, nur einen dort publizirten Brief noch einmal ins Ge- dächtnis zurückrufen, um darzutun, wie weit die Begriffe von geshäft- lier Ehre sich verwirrt hatten. Ein Bankier der Rheinprovinz {rieb an eine Berliner Firma :
Am 27. Februar 1899 kaufte ih von Ihrer Filiale in Essen einen Kux Wildberg zu 8200 #4 — abzunehmen tägli, spätestens am 1. Mai 1899.
Da nun diese Termingeschäfte geseßlih verboten sind, so ersuche ih Sie, mir den Kaufpreis mit 8200 M einsenden zu wollen, wo- gegen ich Ihnen einen Kux Wildberg nebst Zession zur Verfügung stelle. Es wird Ihnen wohl bekannt sein, daß ein derartiger Prozeß in Berlin geshwebt hat und \{ließlich beim Reichsgericht sein Ende erreiht hat. Das Reichsgeriht hat dahin erkannt, daß derartige Termingeschäfte nihtig sind und deshalb keine Verbindlichkeit erzeugen, und daß das Geleistete zurückerstattet werden muß. Wenn Sie sich nun Kosten sparen wollen, dann senden Sie mir den Betrag umgehend ein, anderenfalls ich leider Klage gegen Sie einlegen muß. Es wird Ihnen wohl bekannt sein, taß die Hasper Bank in einem ähnlichen Fall freigesprochen ift.
Dabei wird hier in der Registratur zugefügt, bezeihnend sei, daß der Schreiber den Kux zu 8200 M tatsählich abgenommen und bezahlt habe, daß der Kux im Laufe des Jahres 1900 von 8200 auf 20000 gestiegen sei, daß “aber im August 1901, also kurz bevor der Brief geschrieben war, der Kurs wieder auf 1000 gefallen sei. So wurde das Börsengeseß von 1896 gemißbraucht zu einer geradezu frivolen Entziehung von Verpflichtungen. Dagegen muß ih als der berufene Vertreter des Handelsstandes strenge Ver- wahrung einlegen, daß derartige Handlungen überhaupt im Handels\tande vorkommen sollen. Meine Pflicht ist es, mit dahin zu arbeiten, daß Treu und Glauben vor allen Dingen im Handelsstande herrschen, und daß solche Fälle, wenn fie auch nur in der Minderheit vorgekommen sind, tunlich\t unmöglich werden. Auf der hohen Stellung des deutshen Handelsstandes in der ganzen Welt beruht zum erheblihen Teil unsere wirtshaftlihe Kraft. Wenn Sie in übersecishe Orte gehen, fo werden Sie finden, daß dort zum großen Teil die deutshen Häuser die ersten find und, wo nicht deutsche Firmen die ersten find, dohch in den ersten Firmen auch anderer Nationen zum erheblichen Teile Deutsche die Führer sind. Alles das beruht darauf, daß der deutshe Kaufmann im Rufe hoher Ehrlichkeit steht, daneben der Tüchtigkeit, verbunden mit gutem Wissen. Das aufrechtzuerhalten, ift meine Aufgabe, und hieran mitzuwirken, ist meine Pflicht bei diesem Geseß.
Meine Herren, ih bitte Sie dringend, helfen Sie mir, daß dies Gefeß zustande kommt, und daß der {mähliche Mißbrauch, der mit dem bestehenden Geseß getrieben ist, für die Zukunft unmöglich ge- macht wird.
Noch eins! Jch bitte dringend, mit dahin zu arbeiten, daß die Fertigstellung dieses Geseßes \sich nicht zu fehr in die Länge zieht, daß wir tunlichst noch in dieser Session das Gesetz fertigstellen. Wir haben lange Zeit zögern können mit der - Einbringung des Geseßes, weil wir uns in einer Niedergangsperiode befanden, in welcher der Versucher nicht an die Leute herantrat, aus dem Geseg das zu mißbrauchen, was zu mißbrauchen war. Wir sind aber jeßt in eine neue Periode vergleichs8- weisen: wirts{haftlihen Wohlbefindens eingetreten, und die Tage des 9. Februar und des 20. Februar d. J. sind ein Warnungszeichen dafür gewesen, daß auch mal wieder Katastrophen eintreten können, die uns {weren Schaden bringen.
Ich bitte nochmals dringend: Helfen Sie, damit dies Gesetz baldigst zustande kommt!
Abg. Graf von Kaniß (d. konf.): Es ist wohl noch niemals in einèm deutschen Bundesstaate oder im Deutschen Reiche vorgekommen, daß die Unterwerfung unter ein Gese einfah verweigert wurde, und ebenso wenig, daß die Regierung, statt die Opponenten zu zwingen, mit der g Milde vorging und zur Beseitigung ge- wisser Bestimmungen des angefohtenen Geseßzes die Hand bot. So ist es aber mit dem Börsengeseß gekommen, und diese Tatsache ist wohl kaum geeignet, das Ansehen der Regierung zu stüten. Wenn Rückgänge in den Umsäßen der Börse stattgefunden haben, so fönnen fie unmöglich mit dem S LIngSes in Verbindung ge- braht werden. Der Berliner n Dgreaa; atte 1899, drei Fabre nach dem Gesetz, einen Kassenverkehr von 18 Milliarden; 1901 einen Rückgang auf 124 Milliarden. Für diese Schwankung wird man do niht das Geseg verantwortlich zu machen haben; es lag einfa an der inzwischen erfolgten Entwickelung der kommerziellen Ver- hältnisse. Wenn man ferner den Rückgang des Börsenstempels heranzieht, so steht doch fest, daß ähnliche Nückshläge auch in England eingetreten sind. 1903 trug der Börsenstempel in England 18 Millionen Mark weniger ein als im Jahre vorher. azu werden die Revisionen, wie sie das Gesey vorschreibt, bei uns zu Tar gehandhabt. Meine Zahlen sind der „Kölnischen Bolks- zeitung“ entnommen. Nur 500 von den 2500 revisionspflichtigen Bankiers wurden revidiert, aber bei den 500 wurden 1365 De, fraudationen festgestellt. In Mecklenburg, wo von 18 Bankiers 17 revidiert wurden — ein Bravo der mecklenburgischen Regierung! — wurden 1100 Stempelhinterziehungen festgestellt. Fn Hamburg aber find nur 9 Bankiers revidiert worden. Gewiß bedeutet die Shwächung der Finanzkraft auch die Shwächung der Volkskraft ; wenn der Handelêminister aber dabei auf den Nückgang der Kurse unserer Anleihen hinweist, so stelle ih folgendes fest: die 3 prozentigen Reicheanleiben hatten 1891 einen Durchschnitt von 98,38; 1897 war der Kurs gestiegen auf 103,85, 1903 war er auf 102 60 heruntergegangen. An 1. Februar 1904 ftand die Anleihe auf 102,80, am 9. Februar 102,20, am 31. März 101,90. Die 3 Tro zentige Neichsanleihe hatte 1891, secchs Jahre vor dem Geseg, ihren niedrigsten Kurs mit 85,10; 1897 war er gestiegen auf 97,25; die Kuréshwankungen im jeßigen Februar waren auch höchst unbedeuteud.
Reichsanleißhe nur um 19/ fiel, vielleißt unter dem Schutze des Börsengeseßes von 1896. Die verta hatte am 1. Februar 1904 den Kurs 203,50; am 9. Februar 190,30, am 29. Februar 191,90, seitdem ist er wieder gestiegen auf 198, hat also beinahe die frühere Höhe wieder erreicht. Nun if mir zweifelhaft, ob ein solcher Kursrückgang bei einem derartigen Industriepapier als ein Nachteil für den Volkswohlstand aufgefaßt werden kann. Jch möchte das bestreiten. Denn wenn die P U um 109%/ herunter- gehen, so wird dadur das industrielle Unternehmen in keiner Weise ges{ädigt. Es wird am FJahress{chluß dieselbe Dividende ver- teilt werden und niemand etwas verlieren, außer wenn er f hat beeinflussen lassen, sein! Aktien s loszuschlagen.
un trägt die Novelle die Ueberschrift: , s des Abschnitts TV des Börsengeseßes.*“ Ih möchte aber glauben, daß, wenn der Abschnitt 1V in der vorgeshlagenen Weise geändert wird, von dem tver engeseg eigentlich fehr wenig übrig bleibt. Es ist in den Motiven des Gesetzes gesagt, daß ih die Vorlage in Uebereinstimmung befinde mit dem Votum des Börsenaus\usses vom 11. Juni 1901. J gehöre zu der Minderheit, die gleih in der ersten Sihung einen Antrag gestellt hat, in dem es heißt: „Die bis- herigen Erfahrungen reichen nicht aus, um {hon jeßt eine Nevision des gehe: notwendig oder zweckmäßig erscheinen zu lassen.“ Daß die Mehrheit des Börsenaus\husses anders entschied, ist ja nah seiner Sa auf Grund des F 3 des Börsengeseßes ganz natürlich. Denn das Abstimmungsverhältnis stellt ch im Börsen- aus[Guß nah diesem Paragraphen immer noch so, daß die Zivet- drittelmehrheit aus Vertretern der Börse und des Bundesrats besteht. Wäre dte Zusammenseßung des Börsenausschusses eine andere, wären die produktiven Berufsftände ebenso stark vertreten, so würden die Abstimmungen wesentlih anders ausfallen. Deswegen habe ih fchon früher darauf hingewiesen, m man auf eine Aenderung diesés § 3 Bedacht nehmen muß. Ausstellungen lassen ih bei jedem L machen. Sie zeigen sich z. B. auch beim Bürgerlichen Geseßbuch, ohne da man deswegen în eine Aenderung eintreten wird; aber wir sind in der allerwohlwollendsten Weise bemüht: gewesen, zur Klärung der Mißstände, die sih beim Börsengeseßz herausgestellt haben, beizutragen. Wir haben deshalb bei dieser Besprehung die Beschlüsse gefaßt, die in den Motiven abgedruckt sind und in der LAUp age aus Anträgen des Abg. Gamp resultieren. In der Hauptsache lag es uns daran, das Börsengeseß von 1896 in materielle Uebereinstimmung mit dem Bürgerlichen Geseßbhuch zu bringen. Denn es besteht eine Dis- parität zwischen diesen beiden. Die Regierungsvorlage geht aber weit über die Beschlüsse hinaus, die vor drei Jahren von dem Börsenaus\chuß gefaßt worden sind. Es heißt, daß an dem Termin- handelverbot nichts geändert werde. Indessen follen jeßt gewisse Geschäfte nicht mehr als Termingeshäfte behandelt werden. Der Bundes- rat soll nah dieser Vorlage künftig in der Lage sein, Bestimmungen über legale Zeitgeshäfte vorzushreiben. Jch bedauere, mi diesem Vorschlage niht anschließen zu können. Jch glaube zunächst, daß der Bundesrat gar nicht berufen ist, derartige Vorschristen zu er- lassen; derartige Bestimmungen können vielmehr nur im Wege der Gesetzgebung gemacht werden. Wenn dem Bundesrat eine so weitgehende Befugnis eingeräumt ist, so führt dies tat- sählich zu einer einfachen iederherstellung des Terminhandels in Getreide. Und wir haben die Gewähr, daß der Bundesrat es in dieser Beziehung an dem weitesten Entgegenkommen nicht fehlen lassen wird. Jn den Motiven ift gesagk daß Lieferungsgeschäfte in Getreide, wie sie sich bisher an der Börse entwickelt haben, ftill- \{chweigend geduldet seien. - Sind solhe Geschäfte einwandfrei, sind sie legale Lieferungêgeshäfte, dann brauchen sie nicht aaa nit einmal „stillschweigend geduldet" zu werden. Es klingt aber diese Wendung in den Motiven verdächtig ; es sheint, daß man in Bundesratskreisen diefe Geschäfte nicht für ret hielt. Aber man wollte dies nur nit ausdrücken. Das gibt mir die Gewähr, daß der Bundesrat auch künftighin nachsihtig sein wird. Es macht \sih eine gewisse Unzufrieden- heit mit der Rehtsprehung des Reichsgerihts in den Motiven geltend, und auch aus der Nede des Herrn Handelsministers klang sie heraus. Gs heißt in den Motiven: Der Versu, dur Einführung neuer Geschäftsformen den Vorschriften über das Börsenregister zu „ent- ehen“, wurde auf mehrere Arten gemaht. Man bâtte doc lieber dés sollen: diese Vorschriften zu „umgehen“. Daß diese Lieferungs- geschäfté vom Reichsgerihte nicht als rechtsgültig anerkannt sind, drücken die Motive der Vorlage fo aus, daß ihnen der Rechtsboden entzogen ist. Ich behaupte, solhe Geschäfte haben überhaupt niemals einen Rechtsboden gehabt. Und was sie niht gehabt haben, konnte ihnen durch die Rechtsprechung des Gerichts nicht entzogen werden. Man ift gewillt,“ ihnen einen Rechtsboden zu kon- struieren, aber der Versuch ist fehlgeshlagen. Auh „Kassa- lieferungsgeshäfte", „Kassakontokorrentgeshäfte“ und „Kontohandel“ wurden getrieben, als der Terminhandel untersagt war. Jh sage im Gegenteil: Bravo Rechtsprechung! Unbekümmert um den Enut- rüstungssturm der Börse hat es nah freiem Ermessen seine Ent- scheidung gefällt; das muß hier endlih einmal ausgesprochen werden, nahdem das Reichsgeriht Gegenstand so heftiger Anfeindung in Börsenkreisen gewesen ist. Auch der neue Sthlußschein bietet mir nah dieser Richtung gar keine Gewähr. Er lautet auf Zeitgeschäfte in effffektivem Getreide. Als ich die Börsenvertreter fragte, ob nun auch jedes Getreideges{äft dur effektive Lieferungen abgewickelt werden müsse, erhielt ih eine ausweihende Ant- wort; je nach Umständen müsse das Geschäft auch in anderer Weise abgewidckelt werden. Alle Gründe, die wir hier im Neichstage vor aht Jahren so ausführlih erörtert haben, als es 1a um die Auf- hebung des Getreideterminhandels usw. handelte, bestehen noh heute fort und haben nichts von ihrer Kraft verloren; alle deutschen Börsen, die von der Berliner unabhängig sind, sind auch damit ganz zu- frieden gewesen. Nur von Berlin aus wurde der Widerstand gegen das Gesetz betrieben und organisiert. 200 Mitglieder des Neichstags egen 39 haben für die Abschaffung des Getreideterminhandels ge- timmt; für fle war entscheidend, daß durch den Termin- handel die natürlihen Verhältnisse von Angebot und Nachfrage ver- schoben, ein Preisdruck erzeugt und die Waren entwertet würden. In der Börsenenquete wurde die Berliner Börse der Ruin des ehrlihen Landwirts genannt. (Redner verliest eine Reihe von Aussagen ver- nommener Interessenten, Landwirte, Müllereiinteressenten usw). Ich kann daher Herrn Minister Möller nicht recht geben darin, daß die Aufhebung mit Nachteil für die Landwirtschaft oder die Müllerei ver- bunden gewesen wäre. Von dem „Vorzug* des Preisdrucks hat der Konsument erfahcungsmäßig sehr wenig. 1896 hat der Abg. Singer in dem Getreideterminhandel ein Mittel der Brotverbilligung zu er- blicken erklärt. Das mag zutreffen; es kann aber auch ein Mittel zur Brotverteuerung werden, und zwar in Zeiten der Not, wie wir es {on erlebt haben; ich erinnere nur an jene wahnsinnige Hausse, wo Ritter und Blumenfeld an einem Tage 10 Millionen verdienten, wo der Berliner Markt von Getreide entblößt wurde. Ob à la baisse wie in Berlin oder à la hausse wie in Amerika, ist dabei ganz gleih. Jch weise nur auf den neuesten Baumwoll-Corner und die Deroute der amerikanischen Baumwollindustrie hin. Die Lehre von einem alleinseligmachenden Terminbandel soll man also doch mit einiger Vorsicht aufnehmen. Nun soll der Getreideterminhandel für den Fall der Mobilmahung wegen der Ernährung der Armee nôtig sein. Kommt es einmal dazu, so werden wir keine Ver- billigung, sondern ‘eine kolossale Verteuerung des Getreides zu erwarten haben. Gerade die Militärverwaltung hat das erste Interesse daran, daß der Getreideterminhandel nicht wieder hergestellt wird. Aber die Industrie soll Nachteil von der Aufhebung gehabt haben. Zahlreiche nen und geschriebene Zeugnisse sagen das Gegenkeil aus. Die „Mheinish - Westfälishe Zeitun Eil bestreitet den Mean Mee lichen Nugten der Terminhandelsge|chäfte durchaus. Wenn dieses Börsengeseß einer Vervollkommnung eta dann seßen Sie doch hinein, was am meisten fehlt: die Strafbestimmungen; das ist ein Mangel, der unter allen Umständen peiGnat werden muß. Das Börsen- register ist den {äften Anfeindungen in Börsenkreisen ausgeseßt. Herr Frengel und Herr von Mendelssohn in Berlin haben sich für die Ein-
Anderseits fiel tie 3 prozentige französishe Rente in dem verhängnis- vollen Februar von 98 auf 93, also fast um 5 9/0, während die
tragung in das Börsenregister, wenigstens für den Warenhandel, aus- gesprehen. Wenn die Bötsentermingeshäfte wirtschaftlih nötig sind,
dann braucht #ich niemand dieser Geschäfte zu \{chämen; aber in die? Punkte hat sih die Berliner Börse felbst das Spiel verdorben, j dem sie das Negister ein Spielerregister nannte und damit das große
ublikum von der Sioiqung abhielt. Bis jeyt sind nur etwa 500 sebr gute anftdndice Geselhafi (et fe ehr gute anftändige Gesellschaft, sodaß niemand zu bede braucht, sich gleichfalls eintragen zu lassen. Es handelt si bier ein auf Mißverständnis beruhendes Vorurteil, und die Abneigung gegen das Register ist kein Grund dafür, es abzuschaffen. Unter den 900 Personen sind die angesehenften Firmen. Die Regierung will den Wünschen dadurch entgegenkommen , * daß das Handelsregister das Börsenregister erseßen foll. 1896 O wir zu dem Entschluß ges kommen, diese beiden Eintragungen nicht gleihzustellen, weil sonst dag Börsenregister gar keinen Zweck mehr hätte. Dann s\treihe man es lieber ganz. Dann bliebe nur noch der Einwand von Spiel und - Wette nah dem Bürgerlihen Geseßbuh bestehen. Au darauf hat Herr yon Mendelssohn mit Recht hingewiesen. In England und Amerika gilt der Einwand von Spiel und Wette ganz unbeschränft während in Deutschland das Rükforderungsreht nicht zulässig ist. In England sind alle Verträge und Abmachungen deren Gegenstand Spiel oder Wette sind, null und nichtig. Wenn entsprechende Prozesse in England selten sind, so ist dort auch die Verführung zum Börsenspiel nit entfernt fo groß wie bei ung: es bedurfte ers der Einwanderung eines Oesterreichers, Löwenfeld' um darin einen gewissen Aufshwung hervorzurufen. Ganz ähnli liegen die Verbältnisse in Amerika Was den Punkt von „Treu und Glauben“ anbetrifft, so verurteile auch ih den Differenzeinwand auf das allerschärfste, und wenn der Abg. Kaempf vor einiger Zeit denjenigen, der den Differenzeinwand erhebt, für einen Schuft erklärt stimme ich ihm darin vollkommen bei? Man könnte noch weiter gehen und folche Elemente von der Börje aus\fchließen, wie ih boriges Jahr vorshlug. Es sind auch niht nur Privatleute aus der Provinz, fondern, wie die Begründung selbst sagt, auch gewohnheits, mäßige Börsenbesucher und reiche Rentner, Kaufleute und Bankiers, die den Differenzeinwand erhoben haben. Möge man sie vom Besuh der Börse aus\{ließen, möge man sie in ein \{chwarzes Buch eintragen. Ich habe also \{chwere Bedenken gegen die Vorlage; einigen Vorschlägen würde ih zustimmen, wenn es lich ver- lohnte, dieserhalb ein - besonderes Abänderungsgeseß zu machen. Jch habe immer verfohten, daß die Börse niht um ihrer selb willen da ist; sie hat nit das alleinige Recht, die Preise der wichtigsten Pro- dukte und Industrieerzeugnisse zu bestimmen, sondern muß auch die- {enigen zu Worte kommen lassen, die diese Produkte hervorbringen; fle hat nit das Recht, den Lohn der ganzen shaffenden Arbeit fest, zuseßen. Wir wollen keine künstliße Steigerung von Angebot und Nachfrage der Waren. Das Börsengeseß von 1896 verfolgt denselben Zweck; es will den unbefugten Einfluß der Börse beseitigen und dem legitimen Faktor der Preisbildung zu seinem Rechte Gérbelfen, Das Börsengeseß war ein zivilisatorischer Fortschritt ; es darf nicht in einen NRückschritt verwandelt werden.
Kommissar des Bundesrats, Geheimer Oberregierungsrat im Ministerium für Handel und Gewerbe Wendelstadt: Der Vorredner wird \ich im weiteren Verlaufe überzeugen, daß die verbündeten Regierungen ents{lossen ad an der Ein- richtung des Börsenregisters festzuhalten. r hat au voi einer Renitenz der Berliner Kaufleute gegenüber P Bestim- mungen gesprochen. Ich erinnere daran, daß die rrichtung der Me im Feenpalast von einem preußishen Gericht in erster Instanz als berechtigt anerkannt worden ist. Die Leute glaubten jedenfalls, ihr gutes Neht wahrzunehmen. Die preußische Negierung hat das Böôrsengeseß streng ausgeführt und die Kaufmannschaft zu besserer Einsicht gebraht. Die Befürchtung, daß auf Umwegen das verbotene Termingeschäft durh diese Vorlage ermöglicht wird, ist un- begründet. l i
Darauf wird gegen 6 Uhr die weitere Beratung auf Mittwoch 1 Uhr vertagt. (Vorher Wahlprüfungen, darunter diejenigen der Abgg. Blumenthal und Dr. Braun.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. Abendsißung vom 25. April 1904, 71/, Uhr.
Es wird die dritte Beratung des Staatshaushalts: etats für das Rechnungsjahr 1904, und zwar die Be- sprehung des Etats der Justizverwaltung fortgeseßt.
Abg. Malkewitz (kons.) befürwortet den von ihm gestellten Antrag, im Extraordinarium für den Erweiterungsbau des Zentral- gefängnisses in Gollnow als zweite Ergänzungsrate statt 30000 A nur 13 500 A zu bewilligen. Es handle sich darum, daß die Ver- waltung bei diesem Zentralgefängnis eine eigene Bäckerei zu errichten beabsihtige, wodurh das Bäkereigewerbe in Gollnow eine \hwere Schädigung erfahren würde. Die Bäekerinnung und andere Korpo- rationen hâtten sich im Sinne des Antrags petitionierend an das Haus gewandt.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Es hat mi einigermaßen überra\{t, daß in der dritten Lesung ein Antrag gestellt worden ist, die Etatsposition, dic {hon in der zweiten Lesung erörtert und damals \{ließlich wider- \spruhslos angenommen worden i}, abzulehnen. Die Gründe, die für die Königliche Staatsregierung bestimmend gewesen sind, eine Bäterei bei dem neu erbauten Gefängnis in Gollnow einzurichten, sind sowohl in der Kommission wie dur mi in der zweiten Lesung bereits zum Ausdruck gebracht worden. Es besteht ein allgemeiner Grundsatz, der fich stets der Billigung auch des hohen Hauses erfreut hat, daß die Gefängnisse ihren eigenen Bedarf, soweit es angeht, felbst herstellen sollen, daß sie, soweit es geht, für alle die- jenigen Bedürfnisse, die die Erhaltung und die Ernährung der Gefangenen erfordern, herangezogen werden sollen. Nur auf diesem Wege kann auch erreiht werden, daß die vielfach ange- griffene unmittelbare Konkurrenz gegen das Handwerk nah Möglich- keit eingeshränkt wird. Wir haben überall, soweit es irgendwie an- gängig war, gesucht, eine solhe unmittelbare Konkurrenz gegen das Handwerk zu beseitigen, indem wir uns die Möglichkeit \{afften, für die staatliche Verwaltung die Arbeitskräfte in den Gefängnissen zu be- schäftigen. Wenn nun auch diese Möglichkeit uns beshränkt werden foll — ja, meine Herren, wohin soll das führen? Beschäftigt werden sollen und müssen die Gefangenen ; es beruht das auf ausdrücklicker geseßliher Vorschrift. (Zuruf des Abg. von Riepenhausen: Landwirt- shaftlihe Melioration !) — Für die landwirtschaftlichen Meliorationen, Herr von Niepenhaufen, läßt \ich nur ein kleiner Teil der Gefangenen verwenden, am wenigsten diejenigen, die in den Gefängnissen sigen. Das is sehr wohl mögli für die Gefangenen in den Strafanstalten, für die langfristigen Gefangenen; aber für die kurzfristigen Gefangenen, die meist in den Gefängnissen ihre Strafe ver- büßen, ist das niht angängig; das geht auch s{chon niht wegen der großen Dezentralisation, ganz abgesehen davon, daß die Beschäftigung der zu Gefängnisstrafe Verurteilten außerhalb der Anstalt nur mit ihrer Zustimmung zulässig ist.
(Schluß in der Dritten Beilage.)
ner Börsenregister erfolgt; aber sicher eine
(Schluß aus der Zweiten Beilage.)
Mas nun speziell die Bäckereien angeht, so befinden fich fast in sämtlichen Strafanstalten und Gefängnissen der inneren Verwaltung derartige Bäckereien, die für die Gefängnisverwaltung das nötige Brot herstellen. In der Justizverwaltung befinden sich in elf oder zwölf großen Gefängnifsen Bâckereien, z. B. in Tegel, die ih bereits in der zweiten Lesung erwähnt habe, die für die Gefängnisse in Berlin und der näheren Umgebung den Bedarf an Brot deckt. Jn jeder Provinz haben wir eine derartige Einrichtung. Weshalb soll für Pommern eine Ausnahme gemaht werden ? Das Brot, das in den Gefängnis- bädereien hergestellt wird, ist von vortreffliher Qualität, es genügt allen sanitären Anforderungen. Es foll, wie auß {hon hervorgehoben worden is, nur inländishes Mehl zu Brot verbackden werden in der fünftigen Bälerei in Gollnow. Von den eingegangen Petitionen ist mir keine einzige bisher bekannt geworden. Mir ist aur ein Zeitungsausshnitt eines pommerschen Blattes, ih glaube, eines Gollnower Blattes, zugeshickt worden, in dem die Frage aufgeworfen wurde, wie denn die Justizverwaltung si sichern wolle, daß tatsählich nur einheimishes Getreide verbacken werde; man kônne es doch dem Mehl ansehen, daß es aus ein- heimishem Getreide gewonnen ist! Ja, meine Herren, die Antwort darauf ist eine überaus einfahe. Die Gefängnisse sollen, wie das bet den sämtlichen Gefängnissen der inneren Verwaltung geschieht, ihr Mehl aus den Bromberger Mühlen beziehen, und von den Brom- berger Mühlen wissen Sie alle, daß diese nur inländisches Getreide vermahlen und vermahlen sollen, besonders das Getreide, das in den östlihen Provinzen produziert wird, und nur, wo ausnahmsweise dieses aus dem einheimishen Getreide hergestellte Mehl nicht die genügende Badckfähigkeit hat, ist es gestattet, dann au ausländishes Getreide zuzuseßen. In wie geringem Umfange das geschieht, ergibt die Tat- sache, daß nah einer mir gemachten Mitteilung im vorigen Jahre in den Bromberger Mühlen nur 1700 Ztr. auéländishes Getreide vermahlen worden sind, also ein ganz vershwindend geringes Quantum. Meine Herren, wollen Sie jeßt eingreifen in fest- stehende Verwaltungsgrundsäße lediglih für lokale Interessen einzelner Städte, so brehen Sie mit dem Grundsatz, der von beiden Häusern des Landtags immer als maßgebend und bindend für die Ge- fängnisverwaltung hingestellt ist, nämlich nah Möglichkeit Arbeit zu suchen für die Bedürfnisse der Anstalten anderer fiékalisher Betriebe, sih aber des unmittelbaren Wettbewerbs gegen das freie Handwerk zu enthalten. Hiermit seßen Sie sih in Widerspru, wenn Sie dem Antrage des Herrn Abg. Malkewiß \tattgeben. Dann müßten Sie auch weiter gehen, dann müßten wir nicht nur die Gollnower Bäckerei nit ins Leben treten lassen, sondern es müßten die Bäckereien überall eingestellt werden, wo sie {hon find. Man könnte auch sagen: was den Bâckern ret ist, das ist den Shuhmachern, Schneidern, Tischlern, Schmieden usw. billig. (Sehr richtig! links.) Wic müßten also auch aufhören, den fiékalisden Bedarf für Herstellung von Utensilien, für Gefangenenkleidung, für Einrichtungsgegenstände in öffentlichen Gebäuden zu fertigen, die großen Herstellungen, die jeßt für die Militärveiwaltung, für die Bergwerksverwaltung usw. in den Gefängnissen ausgeführt werden, auf das alles müßten wir {ließlich verzichten, und dann käme es wieder darauf hinaus, da — ih wieder- hole das — die Gefangenen beschäftigt werden müssen, daß dem freien Handwerk eine unbeschränkte Konkurrenz gemaht würde; denn müßig gehen lassen können wir die Gefangenen nicht, und alle Gefangenen mit Meliorationsarbeiten zu beschäftigen, wie hier angeregt worden ist, das geht aus den Gründen, die ih vorgetragen habe, ebenso wenig. Jch kann also nur dringend bitten, dem Antrag keine Folge zu geben, sondern bei dem zu bleiben, was bisher Grundsaß im hohen Hause war, und niht einen Bruch mit fesistehenden Prinzipien vor- zunehmen.
Abg. Nosenow (fr. Volksp.) wünscht, daß die Gefangenen in erster Linie mit Arbeiten zu Zwecken der Landeëmeliöoration beschäftigt werden. Sodann bringt er Mängel im jeßigen Versteigerungswesen zur Sprache. In Berlin erfolge die Bekanntgabe der amtlichen Auktionen dur die Gerichtsvollzieher in einem sehr wenig gelesenen Blatte, der „Staatsbürgerzeitung“; dadur werde vielfa eine Ver- {leuderung der Auktionsgegenstände und eine große Benachteiligung der Gepfändeten herbeigeführt. Die Behörde solle dafür sorgen, daß die Publikationen in Blättern mit umfangreicherem Leserkreise erfolgen. Der Redner mifbilligt dann, daß von dem Rechte der vorläufigen Entlassung von Strafgefangenen in Berlin nur verhältnismäßig selten Gebrau gemaht werde, und wünscht hierüber und über die Gründe der Nichtentlassung eine Statistik.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Ih möchte zunächst zu der Bäckereifrage eine kleine Nachtragsbemerkung machen. Es beruht auf einem Schreib- fehler, wenn in dem Protokoll der Budgetkommission die Kosten der Bâkerei angegeben sind auf 16500 6 In Wirklichkeit sind diese Kosten veranschlagt auf 15 600 A4 Es würde also zu bewilligen sein unter Berücksichtigung dieser Zahl, falls die Bälkerei abgestrichen werden follte, die Summe von 14600 4 und nit der geringere Betrag von 13 500 Æ, den der Antrag Malkewit einstellt.
Was die Bekanntmacbung der Verkaufsanzeigen der Gerichts- bollzieher angeht, fo ist die- Justizverwaltung nicht in der Lage, den GerichtsvolUlziehern vorzuschreiben, welcher Zeitungsblätter sie \ih dazu bedienen sollen. Sie muß sich darauf beshränken, gewisse Grund- säße aufzustellen, die von ihnen zu beobahten sind, und das ift, wie aus dem Vortrag des Herrn Abg. Rosenow hervorgegangen ist, gesehen. Durch den Amtsgerichtspräsidenten sind die Gerichts- vollzieher angewiesen, solhe Blätter zu wählen, die einen großen Leser- kreis haben, und zwar einen solen, auf dessen Beteiligung an diesen Zwangsverkäufen an erster Stelle gerechnet werden kann. Außerdem ift allerdings den Gerichtsvollziekern nachgelassen — und ich glaube, au das entspriht der Sah- und Rehtslage — bei der Auswahl dieser Blätter die Wünsce der Nädchstbeteiligten, also der Auftraggeber oder des Schuldners, zu berücksichtigen.
Dritte Beilage zum Deulschen Reichsanze
M 99.
Berlin, Mittwoch, den 27. April
Nun ist es auch in der Justizverwaltung aufgefallen, daß hier ein Blatt, desen Leserkreis kein sehr ausgedehnter sein soll, von den Gerichtsvollziehern besonders viel mit solhen Verkaufsanzeigen bedacht worden ist. Die Gerichtsvollzieher, die darüber gehört worden find, haben si, auch nachdem diese Verfügung des Amtsgerichtspräsidenten erlassen war, darauf berufen, daß sie dabei nur nach dem aus- gesprohenen Verlangen ihrer Auftraggeber gehandelt hätten. Es ist außerordentli s{chwer, dem im einzelnen nachzugehen, und namentlich ist es {chwer, von der Zentralstelle aus diese Dinge zu verfolgen. Es muß den nächsten Aufsihtsbehörden überlassen werden, also in diesem Falle dem Amtsgerichtspräsidenten und den Abteilungsvorstehern, die die Gerichtsvollzieher zu kontrollieren haben, zu überwachen, daß im Sinne und im Geiste dieser Verfügung gehandelt wird. Die heutige Ver- handlung wird, wie ich glaube, genügen, die Aufmerksamkeit der Herren neuerdings darauf zu richten; sie wird au dahin wirken, daß die Gerichtsvollzieher nicht aus anderen, von der Aufsichtsinstanzen nicht zu billigenden Gründen die Anzeigen Blättern zuwenden, denen es an dem geeigneten Leserkreise fehlt, und dadurh den ohnedies {hon vielfa so unbefriedigenden Verlauf diefer Zwangsverkäufe herbei- führen.
Dann, meine Herren, endlich die dritte Angelegenheit, die Herr Rosenow zur Sprache gebraht hat: die Frage der vorläufigen Entlaffung auf Grund der Bestimmung des Strafgeseßbuhs, nah welcher zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilte nach Verbüßung von drei Vierteln der Strafzeit im Falle ihrer guten Führung entlassen werden können unter dem Vorbehalt der Wieder- einziehung, falls sie sich {lecht führen. Die Klage ist {on häufig an mi herangetreten, daß die Justizverwaltung, die Zentralstelle bei der Anwendung dieser Vorschrift einen zu strengen Maßstab anlege. Die Grundsätze, nah denen hierbei die Gefängnisvorstände und die Behörden der Staatsanwaltschaft {ich rihten sollen, find {hon im Jahre 1871 durh allgemeine Verfügungen festgelegt worden, die ab- gedruckt sind in dem bekannten Buße Müllers : „Justizverwaltung“. Grundsäßlich ist davon auszugehen, daß diese Bestimmung des Straf- gefeßbuchs den zu längeren Freiheits\trafen Verurteilten nicht ein Recht gibt, nah Ablauf von drei Vierteilen der Strafzeit bei guter Führung ihre Entlassung zu fordern, sondern es is und bleibt eine Ver- günstigung, die nur erteilt werden kann unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, also nicht nur nach der guten Führung, fondern nah der Schwere der begangenen Tat, nach der ganzen Persönlichkeit der Verurteilten, nah ihrer Gefährlichkeit für das allgemeine Wohl, nah der Möglichkeit eines ordentlichen Unter- rcommens im Falle der Entlassung usw.
Alle diese Gesichtspunkte sind erfahrungsmäßig von der Gefängnis- verwaltung nicht immer forgfältig geprüft worden, und auch der Herr Minister des Innern hat auf Grund solcher Erfahrungen im Anfange der 70er Jahre darauf hingewiesen, daß die Gefängnis- vorstände bei ihren Anträgen recht vorsihtig zu Werke gehen und die Sache nit rein schematisch behandeln follten. Die Prüfung der An- träge geschieht nicht durch die Staatsanwaltschaft erster Instanz, sondern alle Anträge kommen durch Vermittelung des Oberstaats- anwalts an das Justizministeriuum, sodaß also auß nicht etwa angenommen werden kann, daß die Beurteilung eine nicht ganz objektive sei, und daß vielleiht vorgefaßte Meinungen derjenigen Staatsanwaltschaftsbehörden mitsprechen, die seinerzeit die Verurteilung herbeigeführt haben.
Die statistishe Aufstellung, die der Herr Abg. Nosenow gewünscht hat, bin ich in der Lage, für 1903 sofort zu geben. Es sind im Jahre 1903 397 Anträge auf vorläufige Entlassung gestellt worden. Davon sind bewilligt 242, abgelehnt 155; also etwas über ein Drittel ist abgelehnt. Die Ablehnungen beruhen auf den verschiedensten Gründen : teils auf \{lechter Führung, die fich aus den Personalakten ergab, teils wegen mangelnder Unterkunft; dann in einer Reihe von Fällen mit Nücksiht auf die Schwere der Tat; so insbesondere wegen Sitilichkeit8verbrehen, namentlich gegen Kinder, in 27 Fällen; Sie werden zugeben, daß es außerordentlich bedenklich ist, durch eine Ver- kürzung der Strafhaft diese Leute vorzeitig der Freiheit zurückzugeben; in 16 Fällen wegen Meineids und Anstifstung zum Meineid; endli in 31 Fällen wegen tödliher oder {chwerer, mit großer Roheit ver- übter Körperverlezungen. Die übrigen Ablehnungsfälle verteilen \fich auf eine ganze Reihe anderer Verbrechen und Vergehen; aber immer erfolgen die Zurülkweisungen nur nah schr sorgfältiger Prüfung.
Ichkann nicht in Aussicht stellen, daß inder grund{äßlihen Behandlung der Sache eine Aenderung eintreten werde, und nur sagen, daß, wenn eine gewissenhafte Prüfung ergibt, daß die Sache irgend dazu angetan ist, die “vorläufige Entlassung eintreten zu lassen, diese auch bewirkt wird. Persönlich kann ich mich mit den einzelnen Sachen nur aus- nahmêweise befassen in besonders zweifelhaften Fällen; im übrigen fällt die Sache in den Geshästsbereih eines meiner Vertreter.
Abg. Krause - Waldenburg (freikonf.): Für eine besondere Gefängniébäckerei in Gollnow s{cheint mir wirklih kein Bedürfnis vor- zuliegen. Die Möglichkeit der Beschäftigung von Gefangenen wird da- durch doch nur um ein verschwindendes Minimum erhöht; Angaben über die Zahl der Beschäftigten haben wir ja niht erhalten. Dagegen fällt der entgangene Gewinn für die Bäcker in Gollnow bedeutend ins Gewicht, wenn er auch keinen hohen Betrag repräsentiert. Der Redner bespriht dann die Urlaubsgewährung für die Amtsrichter, in Anknüpfung an einen in jüngster Zeit vorgekommenen Fall, und bittet den Minister, darauf hinzuwirken, daß in der Gewährung von Urlaub außerhalb der großen Gerichtsferien tunlichstes Entgegen- kommen Play greife.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Weun der Herr Abg. Krause binsihtlich der Gefängniébäckerei in Gollnow meint, dieselbe könne, insoweit es fich nur um die Bedürfnisse von Gollnow handle, nicht wohl versagt werden, dann möchte ich glauben, daß \fich daraus für ihn und seine Fraktionsgenossen die Veranlassung ergebe, den Widerspru gegen diese Etatéposition vollständig aufzugeben; denn der Schwerpunkt der Bäkerei wird lediglih in dem Bedürfnis der Gollnower Anstalt selbst liegen, die für 533 Gefangene berechnet ist, während die übrigen in
iger und Königlich Preußishen Staatsanzeiger.
: 1904.
Frage kommenden Gefängnisse unerheblich find. Höchstens kann das Gefängnis in Stettin in Betracht kommen; die dortigen Bäder werden aber gewiß nicht erheblich darunter leiden, wenn thnen die Brotlieferung für die in Frage kommenden 100 Gefangenen ent- zogen wird.
Hinsichtlih der Ferienbeurlaubungen kann ich nur sagen, daß keine Beshwerden über die Anwendung der Grundsätze, die in der von Herrn Abg. Krause erwähnten Verfügung aufgestellt waren, an mich gelangt sind; ich nehme also an, daß sie auch zu besonderen Beschwerden keinen Anlaß gegeben hat, und der einzige noch nit einmal entschiedene Fall, der den Herrn Abg. Krause veranlaßt hat, das Wort zu ergreifen, kann doch nicht genügen, um eine Abänderung der bestehenden Bestimmungen herbeizuführen. Ich kann also nicht in Aussicht stellen, daß ih dem Wunsche des Herrn Abg. Krause nach- kommen werde.
Meine Herren, da ich nun gerade das Wort habe, möchte ih noch zwei Punkte zur Sprache bringen, die den Etat betreffen. Der erste betrifft Kap. 74, Tit. 1 und 2 des Etats. Es sind dort gefordert für 17 Amtsgerichtsdirektoren die Gehälter von 5400 4 bis 7200 A Diese Position ist in der zweiten Lesung unter dem Vorbehalt bewilligt worden, daß der Geseßentwurf über die Dienst- aufsiht bei den größeren Amtsgerihten auchß Gese werde. Die Position wird deshalb im Etat stehen bleiben müssen, weil das Geseß ja noch nicht formell definitiv abgelehnt ist; materiell ist aber kein Zweifel darüber, daß es, abgelehnt werden wird, und dann stehen wir vor der Frage, wie es mit dieser Position gehalten werden soll. Die 17 Stellen, die hier für Amtsgerichtsdirektoren ausgeworfen waren, sind in dem folgenden Titel der Gesamtzahl der Land- und Amtsrichter entzogen. Nun ist aber wohl niemand hier im Hause, ebenso wenig wie ich der Meinung gewesen, daß 17 von diesen Nichterstellen ohne Ersaß eingezogen werden könnten. Der Fall würde formell eintreten müssen, wenn der Gesetzentwurf nicht Gesez wird. Ich glaube aber und befinde mich darin im Einverständnis mit der Finanzverwaltung, daß es zulässig sein wird, alsdann diese 17 Stellen als einfahe, nicht gehobene Richterstelen zu beseßen und die Gehälter bafür zu verausgaben, und zwar formell im Wege der Ueberschreitung der für die Gesamtzahl der Amts- und Landrichter ausgeworfenen Summe, während materiell die Mittel zu entnehmen sein würden aus der Summe, die für die Amtsgerichtsdirektoren aus- geworfen war. Ich glaube nit, daß es einen anderen Weg gibt, wie man aus dieser Schwierigkeit herauskommt, will es aber erklärt haben, um, falls irgend jemand im Hause anderer Meinung fein möchte, ihm Gelegenheit zu geben, diese zu äußern.
Dann, meine Herren, sind in der zweiten Lesung dem Etat hinzu- geseßt worden pensionsfähige Gehaltszulagen oder nach der jeßigen Fassung Funktionszulagen für 6 Staatsanwälte bei Land- gerihten mit je 600 Æ, also in Summa 3600 # Ih habe der Bewilligung diesex Funktionszulagen widersprochen, indem ih erklärt habe, daß die Justizverwaltung dafür kein Bedürfnis habe. Jh will das jeßt, um keine Unklarheit darüber aufkommen zu lassen, noch dahin erläutern, daß, falls es bei diefer Bewilligung bleibt, wie ja formell wohl der Fall sein wird, die Justiz- verwaltung von der ihr dadur erteilten Ermächtigung, diese Sunktionszulagen zu verausgaben, keinen Gebraußh machen wird. Ih betrachte es lediglih als eine Ermächtigung. Es ist nit ein Minus, was Sie bewilligt haben, sondern es ist ein Aliud, und nach bekannten Etatsgrundsäßen ist es nicht zulässig, daß der Landtag Ausgabe- positionen gegen den Willen und Wunsch der Regierung einstellt. Die Befugnisse des Landtags beschränken ih darauf, geforderte Aus- gaben zu bewilligen, aber er kann nicht Ausgaben, die nit gefordert sind, rechtsverbindlih in den Etat einstellen.
Abg. Malkewih ändert seinen Antrag dahin ab, daß statt 13 500 M gesagt werden foll: 14360 4; es sei inzwischen seitens der Verwaltung eine genaue Berechnung aufgestellt worden.
Abg. Mathis (nl.) spriht fich gegen den Antrag aus, ebenso Abg. Reinhard namens der überwiegenden Mehrbeit des Zentrums.
Der Antrag Malkewiß wird mit {waer Mehrheit abs gelehnt. Damit ist der Justizetat erledigt. Zum Etat des Ministeriums des Jnnern trägt
Abg. de Witt (Zentr.) Beswerden über Nichtrespektierung der Organe der Selbstverwaltung durch den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vor. Die an sich \chon geringfügigen Rechte der Bürgermeistereiversammlungen und der Kreisausschüsse würden dur Nichtachtung praktisch völlig beseitigt. Der Oberpräsident habe die Ausnahme zur Negel gemacht, indem er kommifsarishe Besetzung von Bürgermeistereien ohne Anhörung der Selbstverwaltungsorgane verfüge. Die Zusammenseßung dieser Körperschaften sei eine im MNegierungésinne durhaus loyale, könne also diese Willkür nicht rechtfertigen. Das Verfahren des Oberpräsidenten sei, selbst wenn es formell nah der Kreiéordnung statthaft wäre, doch politis niht angebracht und sei geeignet, Mißstimmung und Unzufriedenheit auh in den regierungéfreundlihen Kreisen zu erregen, zumal es unweigerlih mit dem Geiste der Kreisordnung im Widerspruch stehe. Der Oberpräsident {eine nah dem berufenen Motto des älteren Culenburg zu handeln, daß ein nit völlig klares Gesez durch die Praxis suppliert werden müsse.
Minister des Jnnern Freiherr von Hammerstein:
Meine Herren! Jh habe zunächst anzuerkennen, daß der Herr Vorredner die tatsählihen Verhältnisse des Falles, um den es fih hier handelt, vollständig richtig dargestellt hat. Für einen aus- scheidenden rheinishen Bürgermeister is von dem Oberpräfidenten ein Beamter zur kommissarisWen Verwaltung dieser Stelle ernannt worden, und zwar unter einem Datum — ih glaube, es war der 4. Februar; und vorber batte am 2. Februar ohne Wissen des Ober- präsidenten der Kreitauss{huß fch versammelt und eine Vorschlagslifte aufgestellt, in welher er für die Verwaltung dieser Stelle drei Personen in Vorshlag brachte. Es if auch ganz richtig, was der Herr Vorredner gesagt hat, daß dieses Verfahren, das alsbald, wenn eine Stelle frei wird, für deren kommissarishe Versebung dur den Oberpräsidenten gesorgt wird, typisch ist in Rheinland und au in West- falen bezüglih der Amtmänner. Seit dem Erlaß der Kreisordnungen in den Jahren 1886 und 1887 ist niemals anders verfahren worden.