1904 / 105 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 04 May 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Großhandelspreise von Getreide an außerdeutschen Vörseuplätzen

für die Woche vom 25. bis 30. April 1904 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. Zusammengestellt im Kaiserlien Statistisßen Amt. 1000 kg in Mark.

(Preise für greifbare Ware, soweit niht etwas anderes bemerkt.)

Woche| Da- 295./30. | gegen April | Vor- 1904 | wodhe

118,53| 118,47 155,191 155/97 98,91| 98,01 i es «l 130.14 188,07 Budapest. | Noggen, Mittelware 107,87) 107,82 Weizen, s 138000 137/31 afer, j 93,80| 93,75 erste, Futters , 99,34) 99,72

Wien. Noggen, Pester Boden Weizen, Thelß-, .. Bes ungarischer I . erste, slovakische

Odessa.

Moaaen, 1 e 2 Ee

Weizen, Ulka, 75 bis 76 kg das hl. . Mig d:

Roggen, 2 kg das hl

Weizen, ) S

Paris.

Aa lieferbare Ware des laufenden Monats |

88,21| 88,64 114/97| 115/42

100,49] 102,26 129,02| 129,90

122,65 180,63

123,79 181,90 Antwerpen.

Ba.

Donau, mittel

Azima .

D

Californier .

K.

Bombay, Club weiß . . Amsterdam.

127,81 135,93 135,93 137,96 144,04 139,98

131,76 135,81 137,03 139,05 146,35 140,27 138,24

108,02 117,69 126,96 139,66

Asorw- S6 Roggen | St. Petersburger .

/

| j O Weizen amerikanischer Winter- .

London. Produktenbörse (Mark Lane). J englisch weiß Wetzen j L 0) E A englishes Getreide, Mittelpreis aus 196 Marktorten (Gazette averages) Liber ool.

U / Walla Walla . Calisoritier ... 5 Weizen | harter Kansas Nr. 2. .

141,80 136,22 130,13 117,84 123,80

135,10 129,74 117,24 124,27

Weizen l afer Gerste J

154,79 151,47

154,75 151,47 158,04| 158,97 145,37| 145,37 160,85 162,03 138,81 143,50 137,65] 141,15 | 144,91 131,30| 131,30 122,96 122,96 91,44| 95,35

Manitoba La Plata . es Kurraee Wel. Kalkutta : Hafer { Gas i Gersile, Mahle. «

135, 129,3 123,27)

D,

Weizen, Lieferungsware f Juli . . . l September Neu Vorl

roter Winter- Nr. 2 N i j Mai . LieserungSware «Qt. 4 | September

Buenos Aires. Weizen, Durchschnittsware, ab Bord Nosario . .

161,21 139,83 136,98] 128,57

Weizen

113,14| 114,93.

Wemerlunden;

1 Imperial Quarter ist für Weizen an der Londoner Pro- duktenbörse = 504 Pfund engl. gerehnet; für die aus den Umfsäten an 196 Marktorten des Königreihs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Getreide (Gazette averages) ist 1 Smperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. angeseßt. 1 Bushel Weizen = 60 Pfund engl.; 1 Pfund engl. = 453,6 g; 1 Last Noggen = 2100, Weizen = 2400 kg.

Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im „Reichsanzeiger*“ ermittelten wöêchentlihen Durchschnittswechselkur)je an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, G London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und

teu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Pläße. Preise in Buenos Aires unter Berücksichtigung der Goldprämie.

Deutscher Reichstag. 82. Sigßung vom 3. Mai 1904. 1 Uhr.

Tagesordnung: Fortseßung der zweiten Beratung des

haushaltsetats für 1904 bei dem Etat für das shaßamt. ie bei den Ausgaben für die Neihskommissariate, und zwar bei den „Zöllen und Verbrauchssteuern“ (Ausgaben für die kontrollierenden Beamten) als Antwort auf die Aus- führungen des Abg. Dr. Dröscher (d. kons.) gehaltene, im gestrigen Anfangsberiht der Sißung nur auszugsweise wiedergegebene Rede des Staatssekretäts des Reichsshaßamts Freiherrn von Stengel hatte folgenden Wortlaut:

Meine Herren! Ich kann nicht bergen, daß ih dem Herrn Vor- redner dankbar gewesen wäre, wenn er mi von seiner Absicht, diesen Gegenstand heute mit einer solhen Gründlichkeit hier zur Erörterung zu bringen, im voraus untertrihtet hätte. „Jh würde dann au meiner- seits in der Lage gewesen sein, mich in einer entsprehenderen Weise auf die Beantwortung vorzubereiten, als es mir unter den obwaltenden Verhältnissen möglich war. Jh werde aber doch versuchen, ohne weiter in das Detail einzudringen, wenigstens einiges zu erwidern auf die Anregungen, die von seiner Seite erfolgt sind.

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Er hakt zunächft die Behauptung aufgestellt, daß \sich das Institut der Neichsbevollmächtigten und der Stationskontrolleure niht als aus- reichend erwiesen habe. Jh weiß niht, woraus der Herr Vorredner diese Wahrnehmung ges{chöpft hat. Nach den Wahrnehmungen, die von hier aus an zuständiger Stelle gemacht worden sind, hat sch dieses Institut der Reichsbevollmächtigten und der Stationskon- trolleure bisher durhaus als ausreihend und zweckmäßig erwiesen. (Hört, hört! links.) Im übrigen, bemerke ich, gründet \ich dieses Institut bekanntlih auf eine Verfassungsbestimmung, auf Art. 40 der Neichsverfafsung, und man würde daher ohne Aenderung der Verfassung nicht in der Lage fein, an diesem Institut irgend welhe Modifikationen eintreten zu lassen.

Sodann ist der Herr Vorredner des näheren eingegangen auf die Frage der Vor- und der Ausbildung der Zollbeamten, und da muß ich nun meinerseits ihm doch erwidern, daß die Negelung dieser Vor- und Ausbildung der Zollbeamten, wie das auh schon bei einer früheren Gelegenheit, wenn ich mich recht entsinne, von meinem Herrn Amts- vorgänger hervorgehoben worden ist, nicht Neichssae, sondern daß sie auss{hließli4 Landessahe ist. (Sehr richtig! links.) Es gründet fich das auf Art. 36 der Reichsverfassung, und wir müßten auch diesen: Art. 36 der Reichsverfassung erst ändern, wenn wir hier irgend eine Modifikation an den bestehenden Einrichtungen eintreten lassen wollten. (Sehr richtig! links.) Dem Reiche steht eine Einwirkung in dieser Beziehung nur zu, sofern etwa auf die behauptete Unzulänglichkeit der bestehenden Einrichtungen, der Vor- und der Ausbildung Mängel bei der Ausführung der gemeinschaft- lichen Gesetzgebung des Reichs zurückzuführen sein sollten. Dem RNeichs\haßamt ist bisher von solhen Mängeln in der Ausführung der betreffenden Reichegeseße, die durch eine unzulängliche Vor- und Ausbildung der Zollbeamten veranlaßt worden wären, nichts bekannt geworden.

Gleichwohl hat die Neichs\{haßverwaltung hon aus einem früheren, Anlaß fi entschlossen, die sämtlichen Neihsbevollmäcktigten zu keauf- tragen, über die Wahrnehmungen, die bei der Neichskontrelle gemacht worden sind in Ansehung des beregten Punktes, eingehend zu be- richten, und da ist nun allerdings konstatiert worden, daß in den ver- \hied-nen Bundesstaaten in Ansehung der Ansprüche, die an die Vor- und Ausbildung des Zollbeamten gestellt werden, große Verschieden- heiten obwalten; aber ausnahmslos haben diese Berichte der Reichs- bevollmächtigten zu dem Ergebnis geführt, daß aus diesen Verschieden- beiten in der , Vor- und Ausbildung bisher etwaige Mängel in der Ausführung, in der Anwendung der Zoll- und Steuergeseße nicht zu Tage getreten sind. Zu einem Eingreifen von Reichs wegen würde deshalb nah unserer Auffassung, wenigstens zur Zeit, irgend welche Veranlassung nicht bestehen.

Eine andere Frage das will ih ohne weiteres zugeben ist, ob nit etwa bei fortschreitender Entwicklung der Gesetzgebung, ins- besondere nach Einführung des ja sehr umfassenden neuen Zolltarif- werks, ein Bedürfnis nach Erweiterung und nah Vertiefung der Vor- bildung der Zollbeamten sich herausbilden kann. Das wollen wir aber nun vorerst einmal abwarten. Wenn dieses Bedürfnis zu Tage treten sollte, dann zweifle ih auch nicht daran, taß eine Verständigung unter den verbündeten Regierungen über übereinstimmende Ein- rihtungen in bezug auf die Vorbildung der Zollbeamten wohl in die Wege geleitet werden könnte.

Ob es nun aber geraten ist, wie der Herr Vorredner angedeutet hat, und wie au in Petitionen angestrebt wird, eine Art von Hoch- \{ulbildung für die Zollbeamten einzuführen, das scheint uns doch in hohem Grade zweifelhaft. Wir besorgen, es möchte aus einer so gesteigerten Vorbildung des Zollpersonals die Gefahr erwatsen, daß wir dadur den Grund legen zu einem unerwüns{ten, berehtigte Unzufriedenheit unter den betreffenden Betiensteten erweckenden Mißverhältnis zwishen dem Grade ihrer Aus- bildung einerseits und dem Maße der Vergütung andererseits, die thnen für ihre Dienstleistungen seitens des Staats gewährt werden kann. Ohne Zweifel mag es ja durchaus nüßlich sein, den zur Zoll- und Steuerabfertigung berufenen Beamten durch Einrichtung von befonderen Kurscn in Laboratorien und an der Hand von Muster- sammlungen zu ihrer weiteren Ausbildung, intb-sondere in der Warenkunde, wie der Herr Vorredner auch {hon angedeutet hat, in

hemishen und physikalishen Untersuhungen! Gelegenheit zu bieten. Das unterliegt für uns gar keinem Zweifel. Fn einigen Bundes- staaten, vor allem in Preußen, aber auch in verschiedenen anderen Bundesstaaten, deren einige der Herr Vorredner auch \{hon nam- haft gemacht hat, sind solhe Einrichtungen auch bereits getroffen ; zum Teil sind folche Einrihtungen wenigstens im Werke. Für das Gros der Zoll- und Steuerbeamten würde meines Erachtens eine möglichst tüchtige praktische Ausbildung, nicht bloß in ihrem eigenen Interesse, sondern namentlich auch im Interesse des Reichs immer das Ersprießlichste bleiben.

Der Herr Vorredner hat dann auch noch hingewiesen auf die |

einheitlihe Vor- und Ausbildung der Beamten auf dem Gebiete der Post- und Telegraphenverwaltung. Er hat aber dabei übersehen, daß es sich bei der Post- und Telegraphenverwaltung nicht um eine Landes- verwaltung, sondern um eine RNeichêverwaltung handelt.

Nach den Abgg. Osel (Zentr.) und Dr. Müller- Sagan (fr. Volksp.) nimmt sodann das Wort der

Abg. Gothein (fr. Vgg.): Ih muß mich allerdings als geistigen Vater der Zollakademie bekennen; allerdings meinte ih das ironish. Uebrigens sind wir in dieser Frage niht komvetent, denn die Zollbeamten find Beamte der Einzelstaaten. Das amtliche Warenverzeichnis ist mir unter der Bedingung strenger Gebeim- haltung zugegangen, ih kann also darüber feine Mitteilungen machen. Es is sehr bedauerlich, daß man den Interessenten nicht einmal einen Auêëzug der Positicnen geben darf, die sie angehen.

Die Ausgaben für die Reichskommissariate, die ein- maligen Ausgaben und die Einnahmen des Reichsshazamts werden darauf bewilligt. .

Jm Etat der Neichsshuld sind bei der Verzinsung der Anleihe 600 000 #( mit Rücksiht auf die Etatsabstriche ab- geseht worden.

Mit dieser Aenderung wird der Etat der Reichs\{huld an- genommen.

Die bayerischen Quoten betragen für die Militärverwaltung 76 456 390 M6, für das Reichsmilitärgeriht 26 933 M, all- gemeiner Pensionsfonds 7 925 135 #. i:

Einmalige Ausgaben, ordentlicher Etat 4032287 M, außerordentliher Etat 96430 H werden ohne Debatte be- willigt, ebenso die Ausgaben zur Erstattung aus Landesmitteln aufgewendeter Kasernenbaukosten usw., der Betrag von 30 608 622 M. zur Deckung des Fehlbetrages im Etat von 1902.

Die Zushußanleihe von 591/32 Millionen zu den ein- maligen Ausgaben des ordentlichen Etats ist durch die Be- schlüsse der Kommission aus dem Etat gänzlich beseitigt worden. Es sind nur infolge der Ergänzungsetats für Südwestafrika 5 035 200 M übrig geblieben, die aber niht den Charafter einer besonderen Zuschußanleihe tragen.

Staatssekretär des Neichsshaßzamts Freiherr von Stengel:

Meine Herren! Es hat gestern zu dem Punkt, der uns jeßt be- \cäftigt, bereits eine Art von Vorgefeht in diesem hohen Hause statt- gefunden. Ich habe aber geflissentlich an dem Vorgefehte mich nur mit großer Zurückhaltung beteiligt, weil beabsichtigte, heute, wo diese Etatsposition speziell zur Diskussion steht, mich mit der Frage, die der Herr Referent Ihnen soeben vorgetragen hat, noch etwas ein- gehender zu beshäftigen.

Meine Herren, der Beschluß, den die Kommission gefaßt hat be- züglich des Anleihezuschusses ist, meines Erachtens, in hohem Maße bedenklih. Jch habe meine Bedenken gegen diesen Beschluß, {on bevor er gefaßt war, in der Kommission geltend gemacht, und der jeßt vorliegende Beschluß nöôtigt mih, auch hier mit aller Gründlichkeit auf die Sache nochmals des näheren einzugehen.

Die hauptsächlichsten Erwägungen, die dem Kommissionébeshlusse zu Grunde liegen, sind zweierlei wenigstens wenn ich absehe von einer anderen Erwägung noch, von der die sozialdemokratishe Fraktion geleitet gewesen sein mag, einer Erwägung, auf die ih gegen Ende meiner Ausführungen noch zurückommen werde. Einmal wollte man wenn es auch in der Kommission niht ausgesprochen worden ift, so haben wir es doch des öfteren in diesem hohen Hause vernommen eine Pression“ auf die Einzelstäaten ausüben, um auf ein beschleunigtes Inkrafttreten des neuen Zoll- lars hinzuwirlen (Sehr rig! res) Ih babe. die Vorwürfe, die in dieser Richtung gestern gegen die ver- bündeten Regierungen erhoben worden sind, {on zurückgewiesen. Jch habe heute nochmals darauf aufmerksam zu machen, daß die Bundes- regierungen verfassungsrechtlich gar niht in der Lage sind, in der Frage der Zolltarifverhandlungen, der Vertragsverhandlungen mit anderen Staaten irgendwie die Initiative zu ergreifen. Es ist nah der Neichéverfassung dies eine Prärogative der Reichsleitung, und die Reichsleitung hat durch den Mund des Herrn Reichskanzlers bei den Beratungen am 14. v. M. in diesem hohen Hause ihr Verhalten durchaus gerehtfertigt.

Die andere Erwägung, von der die Kommission bei ihrem Be- \{lusse ausging, ist mehr finanzrechtlicher und prinzipieller Natur. Die Kommission erachtete es als grund\säßlih unzulässig, überhaupt Zuschußanleihen ferner zu bewilligen. Ih bemerke, daß ih auch meinerseits vollständig auf dem gleihen Standpunkt stehe, den die Kommission hier geltend machte. Ih würde es aufs tiefste be- dauern, wenn aus der Zuschußanleihe in der Folge die Regel werden würde. Aber, meine Herren, keine Regel ohne Ausnahme. Wir be- finden uns augenblicklich in einer ganz erzeptionellen Lage, und eine folhe erzeptionelle Lage erfordert und rechtfertigt auch cexzeptionelle Maßregeln. Wir haben auf der einen Seite zu kämpfen mit einem sehr erheblichen Defizit im Ordinarium des Neichshaushalts ; auf der anderen Seite können wir in Anbetraht des nahe bevorstehenden Inkrafttretens des {on längst im NReichsgeseßblatt publizierten neuen Zolltarifgeseßzes vom Reichstag die Eröffnung neuer dauernder Steuerquellen niht fordern. Die verbündeten Regierungen haben sich in dem Ihnen vorgelegten Etatsentwurf selbst erboten, wiederum den Betrag von rund 24 Millionen Mark auf ungedeckte Matrikularbeiträge zu übernehmen, obschon, wie ich nicht genug betonen kann, die einzelnen Bundesstaaten selbst diese Last nur zu tragen vermögen unter Zurückstellung ungemein dringender eigener Landesaufgaben. Sie sind aber und zwar bezüglih der Mehrzahl der Einzelstaaten fann ich das mit vollster Gewißheit versißern damit bereits an der äußersten Grenze dessen angelangt, was si2 überbaupt leisten können, und fie würden eine weitere Belastung darüber hinaus nicht zu ertragen vermögen. Darunter würden vor allem leiden die von Jahr zu Jahr wachsenden, den Einzelstaaten zur Last gebliebenen Kulturaufgaben, an deren gewissenhaftester Erfüllung von seiten der Einzelstaaten die Neichsgemeinschaft selbst das allerdringendste Interesse hat. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)

Und wenn auch diese Erwägungen etwa hier und heute keine Be- achtung finden sollten, dann, meine Herren, möchte ih doch noch ver- suchen, zu appellieren an ein anderes Empfinden, das vielleicht - eher noch in diesem hohen Hause Widerhall finden dürfte. Der Reichstag hat sich stets geneigt gezeigt, Fürsorge zu üben für die Lage namentli der mittleren und der unteren Reichsbeamten. Sie bedenken aber nicht, meine Herren, daß in den Einzelstaaten die Lage der Beamten, ins- besondere auch der mittleren und der unteren, vielfah noch eine weit ungünstigere ist als im Reiche. (Sehr richtig! rechts.) Tausende braver Beamtenfamilien werden nun von Jahr zu Jahr auf den Zeit- punkt vertrôstet, da endlich einmal die Belastung des Haushalts des Einzelstaats mit ungedeckten Matrikularbeiträgen so weit zurück- getreten sein wird, daß man in der Lage ist, von seiten der Ne- gierungen der Einzelstaaten den begründeten Ansprüchen auf eine Ver- besserung der Lage dieser Beamtenfamilien einigermaßen Nechnung zu tragen. Und nun, meine Herren, wollen Sie hier einen Beschluß fassen, der nur zur Folge hat, daß die Belastung der Einzelstaaten und damit das Hindernis, diesen Beamtenfamilien zu Hilfe zu kommen, noch weiter gesteigert wird.

Man liebt es, die Sache so darzustellen, als wenn es sich nur um 175 Millionen Mark handelte. Meine Herrey, in Wirklichkeit handelt es sich nicht um 177 Millionen, sondern es handelt sich um 41 Millionen; denn die 24 Millionen ungedeckter Matrikularbeiträge, die bereits durch den Entwurf des Reichshaushaltsetats oferiert sind, dürfen Sie doch dabei niht außer Betracht lassen.

Es wird dann des ferneren so dargestellt, als wenn diese 174 Millionen überhaupt nur auf dem Papier ständen. Ja, meine Herren, es sind aber die Ansäte, inébesondere der Zölle, in dem Ent- wurf des Reichshaushalts durch die Kommission so in die Höhe ge- s{chraubt, daß überhaupt kaum eine Aussicht b-:\teht, auf Mehrerträge auch nur mit einiger Sicherheit rechnen zu können. - (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Nun, meine Herren, worum handelt es \ich denn bei jenen 174 Millionen Mark in der Hauptsahe? Es bandelt sich bei jenen 174 Millionen Mark im wesenilihen um die Veteranen- beihilfen, die für das Jahr 1904 auf allgemeine Reichsfonds übernommen werden sollen, weil der Invalidenfonds, unbeschadet feiner Leistungsfähigkeit für seinen ursprünglichen geseßlihen Zweck, diese Last nicht mehr zu tragen vermohte. Nun, meine Herren, hat

der Reichstag erst kürzlih mit patriotisher Begeisterung die erhöhte Ausgabe von 117 Millionen Mark für unsere alten Krieger bewilligt. Und jeßt, wo die unangenehmere Seite der Sache, der unangenehmere Teil der Aufgabe an uns herantritt, wo es gilt, auch die Mittel zu bewilligen, um diese Ausgabe bestreiten zu können, nun wollen Sie hier einen Beschluß fafsen, der die Belastung mit der Ausgabe auf die schwächeren Schultern der Einzelstaaten hinüber wälzt! Jch möchte doch nochmals Jhrer geneigten Erwägung anheimstellen, ob Sie es für angemessen erahten, daß die patriotishe Begeisterung, mit der jener Beschluß vor wenigen Wochen gefaßt worden ist, guêflingt mit einem solhen Mißton.

Meine Herren, die Frage der Uekerlastung der Bundesstaaten mit ungedeckten Matrikularbeiträgen hat übrigens nicht bloß eine finanzielle Bedeutung; sie ist auch von einer großen und in hohem Grade ernsten politischen Tragweite, und da komme ich nun auf den Standpunkt, den die Sozialdemokratie in der Frage der Belastung der Bundes- staaten mit Matrikularbeiträgen seit Jahren eingenommen hat und den sie auch in dem vorliegenden Falle wieder einzunehmen gedentt. Ich erinnere hier an die programmatishe Rede des Herrn Abg. Bebel in der Reichstagssizung vom 11. Dezember 1900, wo er aus einem verwandten Anlasse folgendes erklärt hat :

Ich würde es wegen des reinen Tisches und der VereinfaŒung der Geschäfte, was ih liebe, als einen großen Fortschritt betrachten, wenn der Bundesrat nicht existierte, d. h. wenn statt der Vielheit von Staaten und Kleinstaaten ein einziges Deutsches Reich, eine große zentrale Organisation bestände, in der allein die Finanzwirt- haft des Reichs zu beraten wäre.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Also, meiúe Herren, das ist das Ziel, wohin die Fahrt geht. Zerstörung der föderativen Grundlagen, auf denen das Neich und seine Verfassung beruht! Ich muß anerkennen, daß die Sozialdemokratie nur zielbewußt vorgeht, wenn sie keine Gelegenheit verpaßt, die \sch ihr darbietet, die Belastung der Einzelstaaten mit Matrikular- beiträgen noch zu steigern. Aber an die Mehrheit dieses hohen Hauses möchte ih doch die dringende Bitte rihten, noch einmal und aufs ernsteste zu erwägen, ob sie nicht dem Kommissionsbeshluß in der Form, wie derselbe an Sie gebracht worden ist, die Zustimmung ver- sagen möchten; und wenn Sie es auch heute nicht sollten über fich gewinnen können, an dem Beschlusse der Budgetkommission etwas zu ändern, so möchte ih wenigstens um das eine bitten, daß Sie durch den heutigen Beschluß niht etwa einer anderweiten Regelung der Angelegenheit und einer Verständigung bis zur dritten Lesung irgend- wie sich Hindernisse in den Weg legen.

Stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat, Königlich bayerisher Ministerialdirektor, Ritter von Burkhard: Es ist ja wenig Aussicht, an den Beschlüssen der Kommission etwas zu ändern. Welchen Erfolg wird dieser Beshluß haben? Das Budget in Bayern ist auf zwei Jahre berechnet. Wie soll es mit einem Mal 2 Millionen mehr aufbringen? Wie \{chwierig das Budget in Bayern hergestelt wird, ist ja bekannt. In der Kommission wurde zwar gesagt, daß durch Zahlung der Matrikularbeiträge der Gedanke der Neichseinheit gestärkt würde. Diese Erfahrung habe ih bei den Steuerzahlern noch nicht gemaht. Im Gegenteil, ih fürhte, der Beschluß der Kommission kann eine Reichsverdrossenheit hervorrufen. Die 2 Millionen îin Bayern durch Anleihen aufzu- bringen, ist doch eine sehr mißlihe Sache. Man könnte nun vielleiht niht durchaus notwendige Ausgaben zurückstellen. Wollen wir nun etwa an Ausgaben für die Beamten sparen oder etwa an denen für die Landwirtshaft ? Der Beschluß der Kommission würde die Frage der Beschaffung neuer Einnahmequellen im Reich in den Hintergrund stellen. Der Weg direkter Steuern ist nicht gang- bar, darauf fönnen die Einzelstaaten niht verzihten. Man könnte andererseits im Reiche die nicht durchaus notwendigen Ausgaben vielleiht etwas zurückhalten. Dadurch würde aber viel Unzufrieden- heit geschaffen werden. Für den Augenblick wird das Haus wohl an dem Beschluß der Kommission festhalten. Troy alledem gebe ih die Hoffnung nicht auf, daß der Weg, den die Kommission vorschlägt, nicht endgültig betreten werden wird. Ich bitte, dem Beschluß dritter Lesung nicht zu präjudizieren.

Stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat, Königlich württembergisher Ministerialdirektor von Schneider: Selbstver- ständlih erfennen die Einzelstaaten ihre Verpflichtung nah der Ver- fassung, für die Fehlbeträge durch Matrikularbeiträge aufzukommen, durhaus an. Aber wie {hon der Staatssekretär auseinander- gesezt hat, man darf die Finanzgrundsäße in der Praris nicht überspannen und auf die Spitze treiben. Tas wäre keine ge- sunde Finanzpolitik, eine solche muß die Gesamtheit berück- sichtigen. In einem föderativen Staat darf die Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Staates um so weniger außer acht gelassen werden, als dabei der so zu sagen brutale Ver- teilungsmaßstab nach Köpfen Platz greift. 24 Millionen haben die Einzelstaaten auf sich genommen; seit 1899 haben sie über 95 Millionen solcher ungedeckten Matrikularbeiträge bezahlt. Die darüber hinaus jeßt beschlossene Belastung überschreitet füc die meisten der mittleren und kleinen Staaten das erträgliche WDeaB, In Württemberg konnte der Etat für 1904 troß außergewöhnlichster Anstrengung nicht balanziert werden; es blieb ein Difizit. Ueber- \hüsse sind nicht zu erwarten, Reserven von früher niht mehr vor- handen. Nun sollen hier noch über 600 000 A mehr aufgebracht werden. Man tröstet uns mit der Möglichkeit der Rückerstattung der 17è Millionen Mark aus eventuellen Mehreinnahmen des Reiches; aber damit fönnen wir niht rechnen. Warum sollen die Einzelstaaten das Nisiflo für das Einkommen dieser 174 Millionen tragen? Bei der Beratung der Finanzreform hat man allseitig den Wunsch als be- rehtigt anerkannt, die Einzelstaaten von einem Nisiko zu befreien. Vier steht dem Risiko die Möglichkeit eines Gewinnes überhaupt nicht gegenüber. Die Einzelstaaten haben die Ueberweisungssteuern hergegeben zur Schuldentilgung im Reiche; hier will man ihnen nun no eine neue Belastung auferlegen. Der vorliegende Etat ist mit allergrößter Sparsamkeit aufgestellt worden, wie in der Budget- kommission selbst wiederholt anerkannt worden ist. Nicht die Re- gierung, fondern die Bevölkerung wird getroffen von der Mehr- belastung durch Matrikularbeiträge; eine folche Politik kann dem Neichsgedanken nit förderlih sein. Wir können nur dringend wünschen, daß der Reichstag von dieser neuen Belastung der einzel- staatlihen Budgets absieht.

Stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat, Groß- berzoglih badisher Mtinisterialdirektor Scherer: In Baden wird die Verbesserung des Gehaltstarifs für die Beamten längst als ein dringendes Bedürfnis empfunden; man hat diesem Be- dürfnis bisher niht entsprechen können. Trotz aller Sparsamkeit war es auch uns nit mögli, unseren Etat zu balanzieren; es bleibt ein Defizit von 14 Millionen, gewiß ein hoher Betrag für einen Staat von der Größe des unferigen. Die Einkommeu- und die Kapitalrentensteuer mußten beide um 20 % erhöht werden. Die 24 Millionen ungedeckter Matrikularbeiträge sind bereits für unser Defizit nicht ohne Bedeutung; wenn nun noch weitere 17 Millionen au? die Einzelstaaten geworfen werden, so bedeutet das für Baden weitere 600 000 Æ Belastung. Ih kann die Hoffnung niht auf- geren, daß der Reichstag dazu beitragen wird, uns aus dieser bösen age zu befreiten. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Hier bieten sich sogar drei Wege. Die Steuerzahler zu schonen, ist auch eine Ehrenpfliht des Reichstags.

Stellvertretender Bevollmähtigter zum Bundesrat, Großherzog- lih sähsisher Geheimer Legationsrat Dr. Paulsfen : Ich kann es Ihnen nicht ersparen, auch für die kleinen thüringishen Staaten dieselbe Klage und Vorstellung an Sie zu rihten. Es hieß hier gestern, es wäre recht nüßlich, wenn die Einzelstaaten von dieser Besorgnis wegen der \{chwankenden Matrikularbeiträge befreit würden; ih hoffe, daß dieser Standpunkt niht nur der des Reichstags sein wird. Bei uns hat das Bedürfnis einer Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung der untersten Stufen noch immer nicht befriedigt werden können; bis zu 600 A sollten wir die Steuer ganz erlassen. Das geht niht an, wenn hier solche weitere Belastungen gegen uns beschlossen werden; es würde alfo ein eminentes Kulturinteresse damit verleßt werden. Die Zulage von 100 A für jeden Lehrer fann nicht gezahlt werden, Mittel für Chausseebauten sind nit vorhanden; {hon den Etat für 1904 baben wir nur mit Heranziehung der leßten Reserven balanzieren können. Ebenso liegt es in den meisten thüringishen Klein- staaten. Die Matrikularbeiträge treffen auch in ihrer Wirkung die einzelnen Staaten höchst ungleih. Die kleinen Staaten haben doch überhaupt gar feine Einnahmen aus Betriebsfonds, wie das große und reihe Preußen. In Thüringen wird nichts übrig bleiben, als die Eirkommensteuer zu erhöhen; ein Zusblag von gegen 8 9/9 ist das Mindeste im Durchschnitt; aber da man die niedrigen Einkommen nicht so hoch hernehmen kann, muß man die böberen mit 10 bis 15 %/) besteuern. Hoffentlih wird die eindruckêvolle Rede des Reichsschaßzsekretärs ihre Wirkung auf den Reichstag bis zur dritten Lesung nicht verfeblen.

Abg. Dr. Paasche (nl.) Es wird mir sehr \{wer, gegen diese beredten Stimmen vom Bundeêrat zu sprechen; ich bitte die Herren aber doch, vorläufig sch mit diesem Beschlusse abzu- finden; vielleiht findet sich noch ein besserer und gangbarerer Weg. Ich wundere mi, daß der meistbeteiligte Staat Preußen si bisher niht geäußert hat (Zwischenrufe). Der Staatssekretär hat im Namen des Bunde8rats gesprohen; der preußishe Säel dürste also vielleiht niht in gleihem Maße getroffen werden wie diejenigen der anderen Staaten. Wenn man gegen eine ver- fassungsmäßige Bestimmung den Saß: „Keine Regel ohne Aus- nahme“, ausfpielt, so muß das doch eigentümlich berühren. Sonst haben die verbündeten Regierungen niht an solche Auslegung ge- daht, daß man Grundsäße niht auf die Spiße treiben dürfe. Gegen diese Auffassung möŸhte ih Verwahrung einlegen. Die Zu- \{ußanleihe ist aegen den flaren Wortlaut der Verfassung. Ich be- daure, daß wir sie {hon einmal bes{lossen haben: daraus darf aber keine dauernde Einrihtung gemacht werden. Eine Zuschußanleihe zur Deckung dauernder Ausgaben liegt niht im Sinne meiner Freunde. Ich habe schon gestern einen Ausweg gezeigt, der Staats- sekretär hat mir aber das Konzept verdorben. Er hat gesagt, die Zölle und Verbrauchssteuern seien durch die Kommission hon so bo ge- shraubt worden, daß cine weitere Erhöhung niht möglich sei. Auch wir haben uns dafür erflärt, daß den Einzelstaaten durh das Neich nicht die Möglichkeit genommen werde, ihre Kulturaufgaben zu erfüllen. Das wollen wir auch heute niht. Die Einzelstaaten sollen nit ges zwungen sein, ihre Beamten mit den niedrigsten Gehältern abzuspeisen in einer Zeit, wo die Arbeitslöhne gestiegen sind. Ein Ministerial- direktor der süddeutschen Staaten erhält ein Gehalt wie ein Rat vierter Klasse in Preußen. In den unteren Klassen sieht es noch viel trauriger aus. Dabei ist das Leben in Süddeutschland nit billiger als z. B. in Preußen. Ich gebe auch zu, daß dadur, daß das Neich Kostgänger der Einzelstaaten ift, der Bestand des Deutschen Reichs nicht gestärkt wird. Troßdem muß ich an dem Beschluß der Kommission festhalten, weil ih die Zuschußanleihe niht für ver- fafsungsmäßig halte, und weil nur durch Beseitigung der Zuschuß- anleihe Klarheit in unsere Finanzen gebraht werden fann.

Abg. Graf von Shwerin-Löwit (d. konf.): Es ift ja sehr be- flagentwert, daß die Budgetkommission genötigt gewesen ist, die Matri- fularbeiträge um 173 Millionen zu erhöhen. Das ift für die Bundes- staaten und auch für Preußen im Interesse der Durchführung von Kulturaufgaben sehr mißlich. Aber was ändert in der Sache diese ver- schiedene Buhung des Fehlbetrages ? In dieser Beziehung kann ih mit meinen Freunden die Regierung von der Schuld an diesem Defizit nicht freisprehen. Würde der neue Zolltarif bis 1904 in Kraft getreten sein, so wäre das Defizit nicht eingetreten. Daß das nit gesehen ist, bleibt die alleinige Schuld der verbündeten Regierungen. Wenn auch die NReidsregierung erklärt, sie könne nihts dafür, so meine ih: wir haben heute eine Verspätung von 14 Jahren. Seit fünf Jahren baben wir die verbündeten Regierungen darauf hingewiesen, daß die Handelsvertragsverhandlungen lange dauern würden, und daß dess halb die Verhandlungen beschleunigt werden müßten. Damals wurde uns vom Regierungstisch erwidert, wir möchten uns nur beruhigen, die Regierungen würden das Zolltarifgesez so zeitig einbringen, um den Zolltarif rechtzeitig dur{zuführen. Also auch troy der Erklärung des Reichskanzlers bleibt die volle Schuld bei den verbündeten Regierungen. Der Staatssekretär sagte, die Kündigung der Verträge sei Sache des Reichskanzlers. Einzelne Bundesftaaten haben Bedenken ausgesprochen, daß die Handeléverträge gekündigt würden, ehe neue Handelsverträge abgeschlossen seien. Da in solhen Fragen die tatsählihe Entwicklung durchdringt, nicht die besten Reden, so kann ich es der Kommission nicht verdenken, daß sie einer Verschleierung vorbeugen will, wie sie eine folhe Anleihe tatsächlich bedeutet. Daß das dem Bundesrat zum Bewußtsein gebracht wird, daß die Verzögerung der Tarifverträge und des neuen Zolltarifs die Schuld an der gegenwärtigen Lage trägt, ist durchaus zu billigen. Auch das Zentrum insbesondere hat ein Interesse daran, daß dur eine solhe Demonstration der tats- sächlihen Verhältnisse die Notwendigkeit der Kündigung und Durch- führung des neuen Zolltarifs dem Bundesrat zum Bewußtsein gebracht wird. Für die Landwirtschaft handelt es ih um die Existenz vieler Landwirte, wenn die neuen Tarifverträge noch weiter hinausgeschoben werden. Ich kenne tatsählih Grundbesiger, die dur die Hinaussiebung der Neform von Haus und Hof gekommen sind. Pächter sind vom Ver- lrage zurütgetreten, weil sie die Konjunktur nit übersehen ftonnten, und Besiger haben verkaufen müssen. Ich habe die Kosten der Verzögerung der Neform für die deutshe Landwirtschaft auf 100 Millionen berechnet. Herr Kaempf meinte darauf, die Konsumenten im Lande trügen die Kosten. Das ift durchaus unrichtig. Aber au abgesehen davon : der Zolltarif ist doch einmal beschlossen, und das Gese muß doch ausgeführt werden! Der Handelsvertragsverein allerdings betrachtet die Nicht- einführung der Zollreform als ein Glück, und tatsächlich wird mit der Sozialdemokratie, wenn auch weniger laut, aber nit weniger wirksam, hinter den Kulissen die alte Obstruktion fort- gefeßt. Dem Reichskanzler spreche ih ein gewisses Wohlwollen für die Landwirtschaft niht ab; aber bei seinen Kollegen findet er keine große Stüße. Vielleiht hat kein einziger hoher Beamter so viel Wohlwollen für die Landwirtschaft wie er. Sogar bei Ressorts, wo wir eine energishe Vertretung der Landwirtschaft vermuten könnten, wie beim Reichsamt des Innern, haben wir dieses Wohlwollen in den leßten Jahren stark vermißt. Wir werden die jeßige Obstruktion wie die frühere nur mit großer Energie über- winden können. Wie wird \ich denn die Sache im nächsten Jahre gestalten, wenn auch dann nihts gesehen is? Ich frage den Staatésekretär, ob er wenigstens von dem Standpunkt seines Ressorts die Dringlichkeit der Ausführung der Zolltarifreform anerkennt. Das ist doh etwas, worüber wir klar schen müssen. Die Möglichkeit der von ihm so dringend gewünshten Verständigung über die Erhöhung der Matrikularbeiträge wird sehr wesentli von der Stellung abhängen, welche die Reichsregierung bis zur dritten Lesung der Frage der Kündigung der Handelsverträge eingenommen hat.

Staatssekretär des Neichsschaßamts Freiherr von Stengel:

Auf die Anfrage des Herrn Vorredners kann ih ohne weiteres erklären und anerkennen, daß ih es auch im dringendsten Interesse der RNeichéfinanzen gelegen erahte, daß das Zolltarifwerk mit möglichster Beshleunigung in Kraft treten möge (Bravo! rechts),

und ih kann weiter sagen, daß ih mi allerdings der Hoffnung hingebe, daß wir den Etat für das nächste Rechnungsjahr, für das Jahr 1905, doch wohl {on werden abschließen können unter Auspizien der Einführung des neuen Zolltarifs. Ich möchte endlich noch hinzufügen, daß der Herc Reichskanzler selbst die finanziellen Rücksichten, deren ih soeben gedahte, {hon bisher bei dem Betrieb der Angelegenheit. des Zolltarifwerks und der Vertrags- verhandlungen durchaus niht außer aht gelassen hat. Von irgend welher Obstruktion, die etwa innerbalb der Ressorts in dieser Richtung geübt werden könnte oder geübt worden sein môchte, kann vollends feine Rede sein. Darüber, glaube ich, kann ih den Herrn Vorredner durchaus beruhigen.

Zugleih möchte ih aber auch meinerseits wiederholt gegen den Vorwurf protestieren, den er, folgend dem Vorgange eines gestrigen Redners, heute erneut gegen den Herrn Reichskanzler und die ver- bündeten Regierungen erheben zu sollen geglaubt hat in Ansehung des bisherigen Betriebs des Handelsvertragswerks.

Also ich wiederhole: von irgendwèel(er Obstruktion, speziell inner- halb der verbündeten Regierungen oder innerhalb der Reichsreforts fann absolut keine Rede sein. Im Gegenteil, es ist das Aeußerste gesheben, um die Angelegenheit so viel wie möglih zu fördern ; aber, meine Herren, ultra posse nemo tenetur!

Abg. Gothein (fr. Vag.): Wir werden für den Kommissions- bes{chluß stimmen, weil die Reichsverfassung dazu da ist, ausgeführt zu verden, nit aber dazu, in den Schrank gestellt zu werden, wenn das einmal so paßt. Die Matrikularbeiträge sind vom Bundesratstishe als ein brutaler Maßstab bezeihnet worden; wir erkennen das an. Viel näher liegt dann aber do, einen zweckmäßigeren Maßstab ein- zuführen. Wir haben stets die Verteilung na Maßgabe der wirk, lichen Leistungsfähigkeit, also die Reihseinkommensteuer empfohlen. Man spriht immer von den Schwierigkeiten, die unüberwindlih wären ; aber wenn der gute Wille vorhanden wäre, gäbe es auch den Weg dazu. Der Gedanke hat ja heute keine Aussiht auf Verwirk- lihung, aber er wird sih kraft seiner Vorzüge endli durchringen. Dann wird es niht mehr möglich sein, daß ein armes thüringisches Ländchen so herangezogen wird wie das reie Hamburg oder Bremen. Nur sachliche Erwägungen difktieren uns unsere Haltunz: was wäre genußt, wern wir die Sache anders machen, wenn wir die Einnabmen künstlich erhöhen oder an den Ausgaben streichen? Sollten gewisse Maßnahmen zu Gunsten der Beamten dadur verhindert werden, daß wir die Matrikularbeiträge erhöhen, so bedauern wir das: abe z. B. Preußen 10 Millionen Mark mehr zahlt, fo wird dadu Staatsbeamter in seinem Einkommen verkürzt werden. ( Schwerin deutete an, man stimme aus Mißmut über kündigung der Handelsverträge für die Kommission. Das sahlihe Motive. (Lebhafter Widerspruch rets.) diftiert aus Ihrer volitishen Berstimmung heraus. bâtten ganz andere Ursachen, verstimmt zu sein; niht dur unsere Abstimmung in dieser Weise wie Sie (rechts (Zuruf: Kanal!) Diese Kanalvorlage ist do nur eine Ver Regierung vor den Agrariern; ich finde die Einbringung dieser Vor lage unbegreiflich und als einen Schlag ins Gesicht der liberalen Partei, einen folhen traurigen Torso dem Landtage vorzulegen. Früher baben die Verren gesrieen über den fomvlizierten Zolltarif, der zu seinem Ver- standnis ein Studium auf einer Zollakademie erfordern soll, wie wir heute hören; jeßt schreien sie nach der Einführung dieses Zolltarifs. Bei der Beratung des Zolltarifs haben sie von den N-idsfinanzen nichts wissen wollen, da sollte nur den Interessenten Genüge ge- schehen; heute benußen Sie auch die Finanzlage, um stürmi|ch die endlide Einführung der höheren Zölle zu verlangen. Es ift nit Aufgabe des Reichs, wackelnde Eristenzen künstlich auf Kosten der All- gemeinheit zu halten, die entweder zu teuer gekauft oder zu teuer über- nommen haben oder nicht zu wirtshaften verstehen. (Rufe rets: Namen nennen!) Auf diese Lockcrufe gehe ih nit ein; wenn ih das früher tat, hielt man mir von rechts entgegen, das sei fein Zeichen von Vornehmheit. Das Reih bekommt von den gesamten Getreide- ¿öllen, von der Versteuerung, welche die Konsumenten aufbringen, noch nicht 20%; 80% gehen in die Tasche der Produzenten. Darum ziehen Sie (rechts) jede Angelegenheit an den Haaren herbei, die Kündigung der Handelsverträge zu verlangen. Spâtes\ zum 1. Januar 1905 wollten Sie den Zolltarif in Kraft lassen; wie können Sie jeßt dem Bundesrat vorwerfen, daß e niht in Kraft ist, wenn Sie selbst den 1. Januar 1905 spätesten Zeitpunkt ansehen? Sie haben den Zolltarif unter Ver- gewaltigung der Minderheit durbgeveitsht (groß2 Unrube und Be- wegung rets), mit einer Verzewaltigung, wie se in den Annalen des Neichêtages unerhört war (Stürmises Gelächter rets) und nachdem Sie das alles gemacht und die Regierung in eine so ungünstige Lage verseßt haben, wollen Sie sie jeßt ab irato dafür strafen, wenn sie mit diesem unförmlichen Jnstrument nit rehtzeitig neue Vers träge abschließen kann? Im übrigen bitte ih den Grafen von Schwerin, seine Phantasie etwas zu zügeln Die Herren vom Vandel®vertragêverein sollen bei den einzelnen Ressorts jedenfalls binter den Kulissen an der Verhiaderung künftiger Handelêverträge arbeiten. Das ist ein Widerspruch in si; aber natürli wollen wir nit ganz unbrauchbare Verträge und wollen die Verhandlungen also nit übers Knie gebrochen wissen. Ih kann dem Grafen von Schwerin nur mit einem geflügelten Zitat versönlih sagen: „Majestät, Sie übershätzen mir.“ Wenn er schließlich seine Stellungnahme bis zur dritten Lesung von der Haltung des Kanzlers in der Frage der Kündigung der Handelsverträge abhängig machen zu wollen erklärte, so pflegt man das Ausbeutung der Notlage zu nennen, in der ih einzelne Bundesregierungen befinden. Den Mitgliedern des Bundesrats muß doh einmal klar werden, welhen Dank sie ernten mit ibrem Ent- gegentommen gegen den Antrag Kardorff, der ges{häftsunordnungsmäßig zustande gekommen ist.

Präsident Graf von Ballestrem: Sie dürfen von dem Antrage niht sagen, daß er geschäftsunordnungsmäßig zustande gekommen it! (Zwischenruf bei den Soz.: Aber es ist sehr wahr!) Diejenigen, die „ehr wahr“ rufen, maten sih zum Mitschuldigen. :

Abg. Rettich (d. kons.): Mit dem, was uns der Abg. Graf von Schwerin über die Zolltariffrage gesagt hat, kann ih mi nur einverstanden erflären. Was aber den Kommissionsbes{luß betrifft, so muß ih doch sagen, daß die Steuerkraft der Einzelftaaten nicht sehr groß ist. Jh habe die Ueberzeugung, daß für uns die Belastung durh weitere Matrikularbeiträge besonders \hwer scin würde. Darum habe ih mich für verpflihtet gehalten, das hier auszusvrehen. Ich werde für meine Person im Gegensaß zu der Mehrheit meiner Freunde gegen den Beschluß der Kommission stimmen. e

Abg. von Kardorff (Np.): Jch bitte Herrn Gothein, die steno- grapbischen Berichte zu vergleihen über, die Neden der Rechten und der Linken. JIch glaube, die der Linken werden F davon ausmachen. Herr Gothein behauptet, Graf von Schwerin habe seine Ausführungen nur zu Gunsten der Großgrundbesißer gemaht. Ein so kenntnisreicher Mann wie Herr Gothein wird doch wissen, daß zwei Drittel oder noch mehr des landwirtshaftlihen Besißes Kleinbesiß ist, und daß die Hypothekenshulden im bäuerlichen Besiß seit der Aera Caprivi außer- ordentlich gestiegen sind. Wenn wir darauf dringen, daß die Handels- verträge namentli auf den argentinishen Meistbegünstigungsvertrag kommt es uns an gekündigt werden, so handeln wir nicht im Interesse der Kaste, sondern im allgemeinen wirtschaftlihen Interesse des Neiches, denn das hängt von dem Gedeihen und Blühen der Landwirtschaft ab. Es ist doch ganz klar, daß die Tendenzen des Handelsvertragëvereins Herr Gothein mag ja unschuldig daran sein einen sehr beträhtlihen Einfluß an gewi}sen Stellen haben ; diesen Einfluß fühlen wir und wir wissen, daß es ihm zu danken ist, wenn fo lässig mit der Kündigung der Handelsverträge vorgegangen wird. Es ist gegen die Kündigung des argentinischen Handelsvertrags, auf deren Notwendigkeit wir wiederholt hingewiesen haben, immer eins

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