1904 / 110 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 10 May 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Was beweisen die Briefe von frisch herübergekommenen Soldaten, die Herr Bebel anführte. Was mögen russishe Soldatenbriefe über Asien zu Tage fördern! Herr Bebel zieht aus den Briefen heraus, was ihm in den Kram paßt, und das glaubt er. Es heißt z. B. in einem solchen Briefe: die Herero stecken sich die Wunde mit Holz zu. Herr Bebel ist hier als Hannibal Fischer der Zweite aufgetreten und wollte die ganzen Kolonien verkauft wissen. Es gäbe sehr zahlungsfäbige Käufer, Herr Bebel brauht nur zu den Engländern zu gehen. Aber seine Auffassung darf im Deutschen Reichstage nicht tnwider- sprochen bleiben. NRichtete sih seine Bemerkung gegen Kolonien überhaupt, dann mag er sich einmal in der Welt umsehen. Die Entwickelung aller Kulturvölker geht auf die Gründung von Kolonien. Deutschland braucht Absatzgebiete in den Kolonien. Sollen wir der Kulturdünger für andere Nationen sein, damit diese sich bereihern, während wir doch alle Veranlassung haben, auch unseren Play an der südlihen Sonne und für den Ueberschuß unserer Bevölkerung ein Gebiet zu suchen? Wäre die Sozialdemokratie eine wirklide Arbeiterpartei, so wäre sie auch eine Kolonialpartei. Der Aufstand in Südwestafrika darf uns nicht entmutigen; er muß uns scharf machen, damit wir diese ersten Lehrjahre überwinden, um ret bald in Jahre der Blüte zu kommen. Die ganze Weltauffassung des Abg. Bebel, von der er glaubt, daß sie modern sei, ist absolut rückständig und philisterhaft. Wären wir wirklih isoliert, so hätten wir, wie der Kanzler sagt, alle Veranlassung, unser Schwert scharf zu machen. Ich bitte den Kanz”er, daraus die Folgerungen zu ziehen mit Rücksicht auf den russish-japanishen Krieg. Wir |tehen an einem Wendepunkt: wir könnten dem Philisterftandpunkt Bebels folgen, die Flotte verkaufen und eine Milizmacht schaffen, oder uns zum Hammer machen, ftatt uns zum Amboß machen zu lassen. Wollen wir das, so müssen wir niht eine Pfennigfuchsereipolitik treiben, die die allerkost- spieligste ist auf dem Kolonialgebiet. Wir brauchen eine groß- angelegte deutshe Kolonialpolitik. Die Engländer, Amerikaner und Franzosen sind uns mit gutem Beispiel vorangegangen, sie haben ihr Machtbereichh über See erweitert. Und in einem jolhen Augenblick sollten wir nah Herrn Bebel unsere Kolonien verkaufen! Wäre aller- dings Herr Bebel Zeitgenosse von Hannibal Fischer gewesen, so hätte er zweifellos eine große Nede für den Verkauf der deutschen Flotte gehalten. Wenn wir die Weltereignifse verstehen wollen, so müssen wir dafür forgen, daß unsere Flotte nicht vollends ins Hintertreffen fkfomme. Die Opfer dafür werden zur Berteidigung des Vaterlandes vom Volke gern gebracht werden. Zur Liebe können wir die Nachbarn niht zwingen, es genügt, fie in der Furcht zu erhalten. Die Opfer dafür sind die Versiherungsprämien für die Erhaltung des Friedens, der Macht und der Selbständigkeit des Deutschen Reichs. Diese Opfer sind besser als die für einen unglücklihen Krieg. Das deutsche Volk würde, wenn gefragt, ein besseres Verständnis_ zeigen, als dies aus der Rede des Abg. Bebel hervorgeleuhtet hat. Ich zweifle nicht, daß die Wähler in Frankfurt- Lebus dieselbe Antwort geben werden, wie in den anderen verlorenen Wahlkreisen.

Damit schließt die Generaldiskussion.

Jn der Spezialdiskussion wird zunächst der Etat für den Reichstag ohne Debatte angenommen.

Bei dem Etat des Reichskanzlers und der Reichs- fanzlei bringt der : :

Abg. Dr. Semler (nl.) die Ausweisung eines deutshen Kauf- manns namens Steingruke aus Nußland, und zwar in Omsk zur Sprache und führt dabei aus: Der betreffende Mann wird als be- \cheidener Mann geschildert. Er hat im Speisewagen eines sibirishen Zuges gesessen. Er wurde von dem Lokomotivführer herausgerufen und zur Rede gestellt, daß er einen mitreisenden russishen Großfürsten nicht ge- grüßt habe. Steingrube mate darauf aufmerksam, daß er den Großfürsten nicht gekannt habe. Steingrube ist dann zunächst sistiert und auf Betreiben des deutshen Konsuls freigekommen und dann wieder sistiert worden. Spâter erhielt er die Au8weisungsorder aus Sibirien und Rußland überhaupt. Selbstverständlih hat er dieser Order \ofort Folge ge- geben, er hat sein Geschäft und sein ganzes Vermögen dort gelassen, die Außenstände und die Maschinen usw. Er wandte sich an die deutshe Botschaft in St. Petersburg und ist auch in dankenswerter Weise unterstüßt worden. Die Ausweisung aus Rußland ist zwar aufgehoben, aber dort hat er nihts zu suchen, sein Geschäft liegt in Sibirien. Die Ausweisung aus Sibirien ist nicht aufgehcben worden. Es wurde ihm mitgeteilt, es sollte manches gegen ihn vorliegen ; er joll bei einem Hoh auf den Zaren sigen geblieben sein. Wäre das richtig, fo hätte er eigentlich damals s{chon ausgewiesen werden müssen. Ernsthaft wird man aber niht glauben, daß ein Mann, der mit feinem ganzen Vermögen in Nußland interessiert ist, eine uns passende Handlung begangen hätte. Die Behörden werden nicht richtig unterrichtet sein. Selbstverständlih hat der Mann ein dringendes Interesse daran, daß diese Ausweisung sofort zurückgenommen wird, wenn er nit zu Grunde gerihtet werden soll. Ih möchte den Neichskanzler oder seinen Vertreter um eine beruhigende Erklärung

bitten.

Staatssekretär Dr. von Richthofen:

Der Herr Abg. Dr. Semler hat bereits hervorgehoben, daß der Herr Steingrube die möglichste Unterstütung von seiten der deutschen Botschaft in St. Petersburg erhalten habe. Es ift jet der weitere An- trag vorliegend, die Ausweisung auch für Sibirien aufzubeben. Dieser Antrag ist, von uns lebhaft befürwortet, nah St. Petersburg gesandt worden; ich hoffe, daß es den weiteren Bemühungen unseres Bot- schafters gelingen wird, die Zurückweisung der Ausweisung zu erlangen und den russishen Behörden die Ueberzeugung beizubringen, daß die Charakteristik, welche der Herr Abgeordnete soeben von dem Aus- gewiesenen gegeben hat, nah allen Nichtungen hin zutreffend ist. Wir werden also, wie gesagt, auch weiter nah Möglichkeit in der Angelegen- heit für den Herrn Steingrube eintreten. (Beifall.)

Kommissar der Landesverwaltung für Elsaß-Lothringen, Wirklicher

Geheimer Oberregierungsrat Halley kommt auf die Angriffe zurück, die der Abg. Gröber bei der zweiten Lesung des Etats gegen die elfaß lothrirgishe Verwaltung wegen ihres Vorgehens gegen zwei aus Frankreich ausgewiesene fatholische Ordensshwestern geridtet, und er- flârt diese Vorwürfe für vollkommen unberehtigt. Die Schwestern hâtten die Erlaubnis zum Verweilen in Elsaß Lothringen erhalten. _ Abg. Gröber (Zentr) fragt, ob es wahr sei, daß die cine Schwester eincn Ausweisungsbefchl habe unterschreiben müssen und die andere einen Ausweisungsbefehl erhalten habe. _ Kommissar der Landesverwaltung für Elsaß-Lothringen, Wirklicher Geheimer Dberregierungsrat Halle y: Jch hätte erwartet, daß der Abg. Gröber nach meinen heutigen Erklärungen das Woblwollen der elsaß- lothringischen Regierung anerfannt hätte. Er hat sih aber päpstlicher benommen a!s der Papst. Es kommt garnticht darauf an, ob die Schwestern einen Ausweisungsbefehl unterschrieben hoben,

stand verschont geblicben sein.

des Auswärtigen Amts Freiherr

j londern ihren Entschließungen gçe-

darauf, daß man ihnen vollauf Zeit zu lassen hat.

Abg. Gröber: Die cine Schwester war 72 Jahre alt und Pförtnerin. Gegen eine so gefährlihe Ordenstätigkeit mußte aller- dings tie Verwaltunz einschreiten. Die elfaß-lothringishe Regierung kann mich allerdings dauern, wenn fie nihts Gescheiteres zu tun weiß. Geheimrat Halley erklärte u. a., daß die betreffenden Schwester auch die Vorschriften über das Unterriltswesen umgangen hätten.

Der Etat für den Reichskanzler und die Reichs- kanzlei wird darauf genehmigt.

Beim Etat des Auswärtigen Amts kommt der

Abg. Dr. Müller-Sagan (fr. Volksp.) auf die in zweiter Lesung behandelie Frage der Behandlung deutscher Staatsbürger ihm

führungen des Staatssekretärs und d2s Abg. von Kardorff {on jeßt die deutshen Juden in Rußland anders behandelt werden als die dortigen cinheimisch2n Iuden. Die deutshen Juden müßten Inhaber oder Vertreter von Handelsfirmen sein, um den russis@en Boden betreten zu dürfen. Dem Staatssekretär dürfte die Stellung der amerikanischen Regierung nicht unbekannt sein, nah welcher die amerikanische Regierung ihre amerikanishen Bürger jüdishen Glaubens zu shüßen entschlossen sei. Bei dem Wohlwollen, das der Staatssekretär für die Sache gezeigt habe, sei zu erhoffen, daß er dies nachprüfen werde. Staatssekretär des Auswärtigen Amts Dr. von Nichthofen:

Es ift uns bisher in feiner Weise bekannt, daß eine Differenzierung zu Ungunsten deutsher, nah Rußland gelangender Juden stattfindet, sowohl gegenüber den russishen Juden, als gegenüber amerikanischen Israeliten, die sch in Rußland aufhalten. Ich werde aber dem Herrn Vorredner sehr dankbar sein, wenn er die Einzelheiten, die ihm zu Gebote gestellt sind, mir privatim mitteilen wollte. Wenn fch in denselben irgendwelche Handhabe finden läßt, um eine bessere Be- handlung unserer nach Nufland gehenden Juden he.beizuführen, fo werde ich diese Handhabe selbstverständlich gern ergreifen.

Abg. Eik hoff (fr. Vgg.) erklärt, er sei erfreut über die Er- höhung des Fonds für die deutshen Schu"'en im Auélande um 100 000 A Er empfehle der Regierung, neben den Zuschüssen auch der Entsendung tüchtiger Lehrer an diese Schulen mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. Auch der Vorschlag, für die deutshe Schule in Süd- amerita, die von dortigen deutschen Eingewanderten besucht werde, an den keimishen Scminaren Lehrer für diese Sbule heranzubilden, ver- diene Beachtung. Nedner verlangt \{chließlich vollständige Gleich- berechtigung der Oberrealschulabiturienten für das akademische Studium, vor allem für die Medizin. :

Staatssekretär des Auswärtigen Amts Dr. Freiherr von Nicht- hofen: Soweit diese Anregungen mein Ressort betreffen, werde ih ihnen nahzehen.

Kommissar der Landesverwaltung für Elsaß-Lothringen, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Halley: Im Elsaß sind bereits bezüglich der Berechtigungen der Oberrealshulen Aenderungen der einshränkenden Bestimmungen in Ausficht genommen, die sicherlih die Billigung des Abg. Eickhoff finden werden. i

Abg. Dr. Arendt: Ich kann dem Abg. Eickhoff bezüglich der Okerrealschulen beipflihten, ebenso bezüglih der Auslandsshulen im Interesse der Erhaltung der deutschen Nationalität. Die im Etat ausgeworfenen Summen für Schulzwecke stehen weit zurück hinter den Bewilligungen anderer Staaten.

Beim Kolonialetat, und zwar bei den Ausgaben für das südwestafrikanishe Schußgebiet sind nah dem Beschluß zweiter Lesung zu dem Ergänzungsetat 2 Millionen „zu Darlehen an Geschädigte sowie zu Hilfe: leistungen an Bedürftige aus Anlaß der Verluste infolge des Eingeborenenaufstandes“ eingestellt.

Abg. Patzig (nl.) beantragt, im Dispositiv die Worte „an Bedürftige“ zu \treihen. Die Fafiua wie sie der Reichstag nah mübseliger Verhandlung beschlossen habe, habe gerade bei denjenigen Ansiedlern in Südwestafrika eine gewisse Erregung kervorgerufen, denen man zu Hilfe kommen möchte und müsse. Insbesondere habe man si daran gestoßen, daß durch das Wort „Bedürftige" cine Kombi- nation der Hilfe niht mehr möglih oder wenigstens erschwert werde. Zudem habe das Wort einen etwas entwürdigenden, drückenden Charakter. Es follten doch Hilfeleistungen an solhe gewährt werden, die viel- leiht einen leßten Reservefonds in der Heimat oder bei Verwandten noch flüsfig machen könnten, die dies aber doch nur tun würden, wenn sie in geordneten Verhältnissen in der deutshen Heimat wären. Redner erklärt, er möchte wünschen, daß man eine Erklärung vom Negierungstis{ch zur Ergänzung dieses Diépositivs gebe, daß, wenn die Notwendigkeit einer weiteren Unterstüßung hervortreten sollte, das Neich die Leute nicht im Stiche lassen werde. Wenn man auch mit den Mitteln des Reichs haushälterisch umgehen müsse, so glaube er do nicht, daß man mit diesen 2 Millionen, die doch nit als eine erste Nate bezeichnet seien, auskommen werde. Eine solhe Erklärung würde zur weiteren Beruhigung der mit RNeht ncch beunruhigten Kreise dienen.

Abg. Lattmann (wirth. Vgg.): Auch wir werden dem Antrage gern zustimmen, namentlich weil wir wissen, daß ein Mehr nicht zu erreichen sein wird. Wir hätten gern die Entshädigung für die durch den Aufstand Geschädigten im weiteren Umfange gewährt und hätten au gern die moralishe Verpflichtung des Reiches anerkannt. Aber das ist ja bei der St-llung des Reiches niht zu erreihea. Nur ein Bedenken habe ih gegen den Antrag, daß nämlich unter: dem Ausdruck „Bedürftige“® auch die Landgesellshaften fallen dürfen. Deshalb möchte ih die gewünschte Erklärung vom Negierungstisch dahin erweitert sehen, daß diesen keine Unterstüßung gegeben werden soll, Wir woürden damit nur dem Beispiel der Engländer im Kay- lande folgen. Die Gesellschaften verdienen eine Entshädigung um |o weniger, als fie mit Anlaß zu dem Aufstand gegeben haben, und die großen Summen, die wir für die Niederwerfung des Aufstands aufs- wenden, zum großen Teil ihnen zu gute kommen.

Bevollmächtigter zum Bundesrat, Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts Dr. Stuebel: Ueber die Stimmung in den Kreisen der Geschädigten ist bereits von dem ersten N:dner gesprochen worden. Ich glaube nit, daß sie ihre Drohung, sie würden das Land verlassen, ausführen. Es handelt sich hier um Ire ponderabilien infolge der Zurückweisung eines angeblichen Nechtsanspruhes. Wir müssen für den wirts{aftlihen Aufbau die volle Arbzitékraft und Arbeitsfreudigkeit der Ansiedler nach Möglichkeit wieder- herstellen, wir müssen ihnen erneut die Gewißheit geben, daß der Erfolg ihrer neu aufzunehmenden Arbeit ihnen selbs zu gute Tommt und ihre Zukunft nicht mit der Nückzahlung von Not- standsdarleben belastet wird. Auch ih möchte deëhalb im Interesse der Heilung der durch den Aufstand ges{chlagenen Wunden der baldmöglichiten Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wiederaufrihtung der niederges{chlagenen Geister noch ein- mal dafür eintreten, daß man es nicht bei dem Beschluß zweiter Lesung beläßt, sondern eine Form wählt, von der wir uns vollen Nußen für das Schußzgebiet versprechen können. Auf die Anregung des Abz. Patzig wegen Einstellung der etwa nôtig werdenden weiteren Mittel bin ich nicht in der Uge, für die ver- bündeten Regierungen irgend eine Erklärung abg-ben zu können. Wir sind von der Ansicht ausgegangen, daß die Summe von 2 Millionen auéreihen wird. Sollte von der einzuscßenden Entschädigungs- kommission festgestellt werden, daß ein wirts{aftliher Notstand ver- bleibt, so werden die nötigen Schritte der Zukunft vorbehalten bleiben müssen. Für meine Person kann ich natürlih sagen, daß die Kölonialve! waltung für ein folhes Mehr seinerzeit eincreten wird. Was die Frage der Landgesellshaften anlangt, so ist es außerordent- lih s{chwer, dem Gebote der Gerechtizkeit gegenüber zu sagen, die

Sesellshaften sollen unter keinen Umständen ents{chädigt werden. Es steht ja zunächst noch gar niht fest, ob seitens der Gesellschaften Anträge an die Kolonialverwaltung gesiellt werden, insbesondere sind die beiden Gesellshaften im Süden und im Norden des Schußz-

gebiets, gegen welde die gewisse Animosität bercs{ht, kaum in Mitleidenschaft gezogen , worden. Jch

Freiherr

ch ftann die Zusicherung geben, daß den Anregungen aus dem Hause au von mciner Seite ent- \sprochen werden wird. S8

Abg. Gröber: Unser Beschluß zweiter Lesung hat hei den Beteiligten cine ganz mißverständlihe Aufregung hervorgerufen. Wir wollen nit nur an Arme Unterstützungen gewähren, wie man

hergehende gründlihe Untersuhung, Es war nicht die Meinung, daß ciner den leßten Pfennig verloren haben müsse, um eine Unterstüßung zu bekommen; eine Unterstüßung soll der erhalten, der sih ohne eine folhe niht mehr heraufarbeiten kann; deswegen fann er immerhin noch einigen Besitz behalten haben. Weil diese Festseßung \{chwierig ist, hat die Mehrheit in erster Linie Darlehen in Aussicht genommen. Der Kanzler hat heute durchaus zutreffend die Kritik an den Zuständen in Südwestafrika als nicht zeitgemäß bezeibnet; das trifft aber ebenso au auf die Unterstüßzungéfrage zu. Das Verlangen der vollen Ent- schädigung, wie es Herr Lattmann erhoben hat, könnte uns 7 bis 8 Millionen fosten: da wollen wir licber roarten, bis die Fraktion des Herrn Lattmann so stark geworden ift, daß sie einen folchen Antrag lus hier im E urcegen kann. Wir werden cs also beim Be- \{chluß zweiter Lesung belassen. : :

bg. Freiherr von Rihthofen-Damsdorf: Die Ausführunger des Vorredners sind in ihrem ersten Teile sehr dankenêwert gewe|en und werden tatsählich zur Beruhigung gereichen. Herr Gröter könnte aber au noch einen Schritt weiter gehen und für den Antrag Patig stimmen. Ih stelle meinerseits nicht die Forderung auf volle Ent- fchädigung; wir haben aber niht nur aus humauitären, „sondern auch aus folonialen Nücksichten ein Interesse an der Gewährung aus- fömmlicher, niht zu engherzig bemessener Beihilfen. Gewiß dürfen wir hoffen, daß die Kommission an Ort und Stelle niht zu eng- berzig verfahren wird; ich würde mi aber sehr freuen, wenn Herr Gröber aus seinen Ausführungen die Konfequenz zöge und durch die Zustimmung zum Antrage Paßig eine noch weitere Beruhigung verbreitete. :

Abg. Dr. Stockmann (Rp.): Ich hätte auch erwartet, daß Herr Gröber sih dem Antrage anshlösse; denn die deutshe Sprache läßt sih nit vergewaltigen. Bedürftige bleiben Bedürftige, und dieses Wort bleibt ein Hindernis für die Verwendung der bewilligten Summe in dem für erforderlich gehaltenen Umfange. So wie der Aufstand sobald wie mögli niedergeworfen werden muß, so muß auch sobald wie möglich den geschädigten Ansiedlern die Möglichkeit ge- geben werden, das wirtschaftlihe Leben wiederherzustellen.

Abg. Paßig erklärt, au seinerseits keineêwegs die velle Ent- schädigung für die Ansiedler befürworten zu wollen, und gibt im übrigen seiner Befriedigung über den Verlauf der Debatte Ausdru. Wenn aber der Abg. Gröber die richtige Folgerung seiner Worte zôge, fo müßte er den Hinweis auf die Bedürftigkeit streichen, zumal die Kommission gar nicht in der Lage sein werde, die Frage der Bedürftigkeit überhaupt zu untersuchen, sondern sih zunächst auf Darlehen beschränken müsse. Jmmerhin dürfte son diese heutige Aussprache ein wesentlihes Moment der Beruhigung für die Ve- teiligten bieten.

Der Antrag Patzig wird gegen die Rechte und National- liberalen abgelehnt; das Dispositiv bleibt nah den Be- schlüssen der zweiten Lesung bestehen. Jm übrigen werden der Etat des Auswärtigen Amts und die Eiats der einzelnen Schußgebiete ohne weitere Debatte verab- shiedet, und das Etatsgeseß für die Schußzgebiete endgültig genehmigt. Der Etat für die Schußgebiete balanziert mit 42 877 570 M. L | :

Um 63/4 Uhr vertagt das Haus die Fortseßung der dritten Beratung des Etats für 1904 auf Dienstag 1 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 70. Sigung vom 9. Mai 1904, 11 Uhr.

Neber den Beginn der Sigung, in der zunächst die erste Beratung des Gesezentwurfs, betreffend die Errichtung eines Oberlandesgerichts in Düsseldorf, fortgeseßi wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Abg. Cassel (fr. Volksp.): Meine Freunde werden gleihfalls für Kommissionsberatung timmen. Wir beurteilen die Vorlage rein sahli%, aber in der Beurteilung des allgemeinen Interesses weichen wir vom Vorredner ab. Unser altes preußises System der Kollegial- gerihte hat manhe Vorzüge vor dem jeßt weitausged-hnten Sy|\tem des Cinzelrihters. Hilfsrichter dürfte es eigentlich nur fo viel geben, als notwendig find, um erkrankte Kollegen zu ersczen. Die Ausdehnung des Hilfêrichtertums zu dem Zweck, Ersparnijse zu erzielen, ist fals. Die Beseitigung des Hilfsrichtertums ist cine alte liberale ¿orderung. Der Abg Trimborn hat am Sonnabend gesagt, daß die Negterung hier vor den bercdsamen Anwälten kapituliere. Das ist sehr {sn gesagt, aber nicht 1ichtia. Der Minister kann keine Vorschriften darüber erlassen, wie lang die Neden der Anwälte sein sollen. Die Nichter und Anwälte in Cöln walten mit Eifer ihres Amtes, ic) wäre der leßte, dec es bezweifelte. Aber die Ueberlastung der Richter ift überall vorhanden, namentlih auch beim Kammergeriht in Berlin. Manche unserer Nihter würden es als idyllishen Zustand ansehen, wenn fie nur von 9 bis 2 Uhr Sizungen hätten. Dur Vermehrung der Richter muß im ganzen Lande, niht nur am Nhein, die notori*he UVeberlastung der Richter gemildert werden. Wir haben die Münd- lichkeit des Verfahrens, und deshalb berührt es cigentümlih, daß die Negierungsvorlage über die Auëdehnung der Mündlichkeit klagt. Aller- dings wird die Mündlichkeit bei uns im Osten do etw2s anders gehandhabt als am Nhein ; bei uns wird mehr Wert auf die \sach- liche Borbereiturg gelegt als auf rhetorishe Fertigkeit in der Ver- handlung. Bei uns im Osten werden alle \{wierigen Saén in genauen Sch:iftsäßen vorbereitet, weil man dem Richter nicht zu- muten fann, verwick«lte Verhältnisse sofort nah dem mündliden Nor- trag ¿u übersehen. Man fann uns vielleiht deshalb ten Vorwurf machen, daß wir zu viel schreiten; aber wir glauben, dadurch der Mündlichkeit 7es Verfahrens nichts zu vergeben. Ih mache den Herren vom Rhein keinen Vorwuf, sie müssen nah ihrer Erfahrung selbst am besten wissen, wie sie es ¿zu maten haben; ih wollte nur auf diese Verschied-nheit hinweisen. Wir wünschen der altehr- würdigen, bedeutenden und angesehenen Metropole am Rhein keinen Schaden, aber wir meinen doch, daß durch die Teilung des Gerichts- bezirks die Uebelstände gemildert werden können, Bis zur Wieder- einführung der Berufung kann. man mit dieser Negelung nicht warten, zumal diese Frage noch sehr bestritten ist. Die Entlastung der Ober- landeêgerichte durch eine Erhöbung der Berufungtsumme kann ih nicht befürworten, dein dur diefe Erhöhung würde diz Nehtseinheit {wer gefährdet werden. Ob der Vorschlag, den die Regierung macht, der richtige ist, muß die Kommissionsberatung zeigzn. _ Abg. Dr. Bachem (Zentr ): Ich will in dieser Saße keine \chärfere Tonart anschlagen, fontern rein sahlich sprechen. In Crefeld ist man der Ansi®t, daß die Errichtung cines neuen Landgerichts da- selbst viel drinzender ist als die Schaffung eines neuen Oberlandes- gerichts in Düsseldorf. Der Bezirk des Landgerichts in Düsseldorf hat nicht weniger als 814 0I0 Gerichtseingesessene, deshalb muß ein Teil abgezweigt und în Crefcld ein neues Landgericht errichtet werden. Auch in München - Gladba ist noch kein Landgericht. Eine Cinwohnerzahl von 300C00 in den industriereihen WBe- zirken Crefeld und München-Gladbach hat hier für ei Gericht eine ganz andere Bedeutung als in anderen Landesteilen. Wenn für Gelsenkir@Wen die Erri(ktung eines Landgerich1s nur eine Frage weniger Jahre ist, wie der Minister sagt, dann muß sie-es für Crefeld und Münchzn-Gladbach erst ret sein. Früher siad Crefeld und München-Gladbah in dieser Frage feindliche Brüder gewefen, jeßt stehen wir zusammen und verlangen für jede Stadt ein Land- geriht, Jit erft das Untergeschoß des Landgerichts wohnlich eingerichtet, dann fann man auch sehen, wie es im Obergeschoß des Ohberlante?- gerichts aussieht. Die Zakk der Richter ist am Oberlandeëgericht in

dort annimmt; die „Bedürftigen®“ sollen bedürftig sein „aus Anlaß der erliitenen Verluste"; die Unterstüßung hat also gar nichts Catwürdigendes und Demütigendes. Der Reichstag hat dea Ausdru wählt, um als Hauptsache hinzustellen, daß vor allem mög-

unç ishen Glaubens in Nußland zurück. Fazwischen seien von

jüd aub} (

1 gl

ürdiger Seite Mitteilungen zugegangen, daß entgegen den Aus-

Ger T, E L Q O GTE fe obne etngeben15o und Bor list ras eine Zuwendung gesehen soll, ohne eingetcade und vor-

Göêln um 60 9/06, an den Landgerichten ober nur um 49 0/6 gestiegen

(Schluß in der Zweiten Beilage.

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ein Bedürfnis für die Errichtung eines Landgerichts niht

ist das doch nit vollkommen zutreffend.

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich

Zweite Beilage

Preußishen Staatsanzeiger.

0 , , 4 , „A2 100. Berlin, Dienstag, den 10. Mai 1904, Schl ilage. i i ti (Schluß aus der Ersten Beilage.) mit erweiterter Kompetenz; abweihend von der sonstigen Regel für | präsident in Hamm eine Verkleinerung seines Bezirks niht gewünsht

Die großen Landgerichte haben große Schattenseiten, kleinere Land- gerihte find dur aus erwünscht. Der Minister hat uns gesagt, an eine Teilung der Rheinprovinz sei niht zu denken; diese Erklärung hat uns alle mit großer Freude erfüllt, aber jener Gedanke lebt troßdem, und mächtige, Kreise, die hinter ihm stehen, propagieren ihn, und sehr stußig hat mi der Passus in der Begründung gemacht: „Für die un- geteilte CGinbeziehung des Landgerichtsbezirks Essen in den Bezirk des neuen Oberlandesgerichts haben \ich auch das Nheinisch-Westfälische Kohlensyndikat und der Verein für die bergbaulihen Interessen im Ober- bergamtsbezirke Dortmund, also zwei bedeutsame, mitten im wirt- schaftlichen Leben des Industriebezirks stehende Verbände, die ihren Sit in Essen haben, ausgesprochen.“ Wie kommt es überhaupt, daß man das Kohlensyndikat und den Verein für die bergbaulichen Interessen befragt hat, den Provinziallandtag aber nicht ? Gerade in diesen Kreisen lebt der Gedanke der Schaffung eines besonderen Industriebezirks. Sollte die Stadt Düsseldorf die an- gebotenen großen Aufwendungen nur machen, um ein Oberlandesgeriht zu bekommen, sollte niht dahinter der Gedanke stehen, daß ein Düsseldorfer Oberpräsident bald folgen wird? Es ist öffentlihes Ge- Heimnis, daß die Provinzialsteuerdirektion nach Düsseldorf kommen foll. Der Vüsseldorfer Bezirk bringt allein 195 Millionen Mark Ein- kommensteuer auf, die übrigen vier Bezirke des NRheinlands nur 1/0 De Mark. Wenn nun noch Bezirke aus Westfalen hinzu- Éommen, so scheint die Errichtung eines Oberlandesgerits der erste Schritt zu ciner Provinz Düsseldorf zu sein. Deshalb müssen wir uns dem ersten Schritt entgegenstellen.

Justizminister Dr. Schönstedt:

| Herr Dr. Bachem hat \ih von dem unmittelbaren Gegenstande unserer Tagesordnung ziemlih weit entfernt; (sehr richtig!) er hat si weniger beschäftigt mit der Teilung des Oberlandesgerichtes Cöln als mit der von ihm gewünschten Errichtung von Landgerichten in Crefeld und München-Gladbah und hat sodann polemisiert gegen die nah seiner Meinung immer noch zu befürhtende Teilung der Nheinprovinz, für die er einen Anhalt in dem Gerücht zu finden glaubt, daß eine Zeilung der Provinzialsteuerdirektion bereits geplant sei. Ob der leytere Plan besteht, weiß ih nit; mir ist jedenfalls nicht das mindeste davon bekannt; im Staatsministerium ist er niht zur Sprache gekommen.

N Bezüglich einer Teilung der Rheinprovinz kann ih nur die Er- klärung totederholen, ie ih vorgestern hier abgegeben habe; ich meine, fie war bestimmt genug, um Ihnen allen die Ueberzeugung zu geben, daß diese Gefahr nicht besteht. Jch glaube, daß auch die Stadt Düsseldorf sih desen vollkommen bewußt ist, daß sie nit die ent- fernteste Aueésicht hat, Provinzialhauptstadt zu werden. Soweit ih die Verhältnisse übersehe, rehnet sie damit gar nit, und das, was sie erstrebt, beshränkt sih darauf, daß sie der Sitz eines Oberlandes- gerihts werden will.

Herr Dr. Bachem hat dann, soweit er \sich mit dem Hauptgegen- {tand unserer Tagesordnung beschäftigt hat, einen gewissen Vorwurf daraus hergeleitet, daß darüber niht die Provinziallandtage, wobl aber große wirtshaftlihe Korporationen, das Kohlensyndikat und der Verein für bergbaulihe Interessen und andere gehört worden seien. Daß tie Provinziallandtage niht gehört worden sind, ist richtig, und das entspricht dem geseßlichen Zustand. Ueber derartige Organisations- fragen zu befinden, sind die Provinziallandtage nit zuständig, und es int niemals meines Wissens bisher eine vorherige Anhörung de Provinziallandtage erfolgt, wenn folhe Organisationen in ¿Frage standen. Die wirtshaftlißen Korporationen, auf die in der Be- gründung allerdings auch Bezug genommen ist, find niht etwa von feiten dec Staatsregierung befragt worden, fondern lediglih von dem Herrn Oberbürgermeister von Düsseldorf, und, meine Herren, der Herr Oberbürgermeister von Düsseldorf ist nah dem Streiben, das er an mich gerichtet hat, zu dieser Umfrage dadurch veranlaßt worden, daß ihm bekannt geworden war, es bestände im Schoße der Staatsregierung oder bei anderen Staatsbehörden gewisse Bedenken dagegen, ob nicht die Nechtseinheit auf wichtigen wirtschaftlichßen Gebieten, insbesondere auf dem Gebiete des Kohlenbergbaues, dur cine Teilung des Ober- landesgerihtes Cöln oder des Oberlandesgerihtes Hamm gefährdet werden könnte. Das hat ihn, wie er mir ges§rieben hat, veran- laßt, sih an diese Korporationen, die

r : ja selbstverständlih, wie auch von Herrn Dr. Bachem nitt ‘geleugnet werden wird, das allergrößte Interesse an

einer prompten und guten Nechtsprehung auf diesen Gebieten haben, zu wenden, und das hat dahin geführt, daß diese Korporationen dazu Stellung genommen haben, und der Herr Oberbürgermeister hat mir die ihm zugegangenen ‘Erklärungen überreiht. Das ist die ganze Sade. Darin liegt nit eine Bevorzugung irgeudwelcher privaten Korporationen noch eine Zurükfeßzung anderer.

Nun, meine Herren, um auf den Hauptgegenstand der Nede des Herrn Abgeordneten Dr. Bachem zurückzukommen, fo hat er hier wiederum eine Lanze eingelegt für das Landgericht Crefeld, aber erfreu- licherweise heute auch für das Landgericht Gladkah. Diese Städte haben, wie \chon vorher erwähnt worden ist, bis dahin in einem lebhaften Kampfe gelegen, und ih freue mi, daß heute der Herr Abgeordnete für Gladbach nicht in die Lage kommen wird, dasjenige au sagen, was er im vorigen Jahre sagte, daß für die Stadt Crefeld nur zur Zeit, sondern überhaupt nit besteht. In dieser Beziehung ist eine sehr erfreulihe Verständigung der beiden Städte jeßt herbeigeführt worden, die, glaube ih, den beiderseitigen Interessen nur in hohem Maße förderlich sein kann. Wenn der Herr Abgeordnete Bachem aber gemeint hat, daß der Wuns und das Bedürfnis dieser beiden Städte nah einer Erweiterung ihrer gerihtlihen Zuständigkeiten seitens der Staa!sregierung vollständig unbeachtet geblieben fei, dann ; t vollfommé 1 Der Herr Abgeordnete Bachem hat es mit Stillshweigen übergangen, daß sowohl die Stadt Crefeld wie die Stadt München-Gladbach eine Kammer für Handels- sachen hat; er hat es ferner mit Stillshweigen übergangen, daß {owohl die Stadt Crefeld vor ceincr längeren Reibe von Jahren als auch vor zwei Jahren die Stadt München - Gladbach eine deta-

detachierte Strafkammern. Es ist also in recht weitgehendem Ums- fange für die Bedürfnisse dieser Städte gesorgt worden, und insbe- sondere meine ih, das auch behaupten zu können bezügli der privat- rehtlihen Streitigkeiten, da die Prozesse in diesen großen Handels- emporien sih doch zum weit überwiegenden Teile durchaus auf dzm Gebiete des]Handelsrechts bewegen, wofür sie vollständige Befriedigung in diesen Kammern für Handelssachen haben. Es bleiben eigentli nur übrig die niht handelsrechtlich zu behandelnden Streitsahen und die Shwurgerichts\ahen. Ob das nun den Auspruch berechtigt, daß das Bedürfnis der beiden Städte München - Gladba und Crefeld ein viel dringenderes sei als das in der Regierungsvorlage vertretene Bedürfnis einer Teilung der weit über das Normale hinaus gewacßsenen und weiter wahsenden Oberlandesgerihte in Cöln und Hamm, das glaube ih, Ihrer eigenen Beurteilung überlassen zu sollen. Tatsächlich liegt es und das will ih zur Rechtfertigung der Königlichen Staats- regierung bemerken so, daß nach den leßten statistishen Aufnahmen aus dem Jahre 1902 für die Errichtung eines Landgerichts in Crefeld. wenn man Crefeld, das ihm damals noch von der Stadt M.-Gladbach auf das lebhafteste bestrittene Amtsgericht Viersen hinzufügte, daß dann sih dort nur eine Beschäftigung ergab für 64 Nichhter, während das Minimum der Besetzung eines Landgerichts 8 Nichter beträgt ; es würde da also ein Gericht ins Leben gerufen sein, das von vorn- herein mit unzureichend beschäftigten Richterkräften zu arbeiten hätte, während wir glauben, zunähst doch forgen zu müssen für die zahlreichen anderen Gerichte, wo die Beseßung eine unzu- reichende ist und wo die Geschäfte nicht mehr bewältigt werden können.

Der Herr Abgeordnete Dr. Bachem hat auc seine Verwunderung darüber au8gesprochen, daß nicht längst zu einer Teilung des Land- gerihts Düsseldorf geschritten sei, das es ja zu einer Einwohnerzahl von über 800000 Seelen gebraht habe. Ja, meine Herren, diese große Seelenzahl ist niht das Aus\claggebende. Jh babe con vorgestern erwähnt, daß die geshiftlißen Ver ältnisse bei dem Landgeriht Düsseldorf trotz dieser großen Seelenzahl überaus günstig liegen; das Landgericht Düsseldorf steht niht unerheblich in seinen Leistungen über dem Durchschnitt der übrigen Landgerichte der Mon- arie; es [leistet mehr und arbeitet prompter, die Prozesse werden er- heblich rascher erledigt, als es dem Durchschnitte entspriht. Wenn wir lroßdem, wie ih wiederhole, dem Gedanken einer Errichtung von Landgerihten in Crefeld und M.-Gladbah durchaus sympathisch gegenüberstehen, so ergibt si das niht etwa aus der Notwendigkeit einer Entlastung des Landgerichts Düsseldorf, sondern aus dem An- erkenntnis unsererseits, daß Städte wie M.-Gladbah und Crefeld allerdings nah ihrer Bedeutung einen Anspruch darauf haben, Siß eines kollegialen Gerichts zu werden, soweit \ih das mit den normalen Verhältnissen verträgt.

Der Herr Abgeordnete Dr. Bachem hat angedeutet, es würde do richtiger gewesen sein, den umgekehrten Weg einzuschlagen bei einer Dezentralisation und die Teilung der Gerichte unten anzufangen und niht oben. Für den umgehrten Weg kann ih mi zunächst darauf berufen, daß er {hon bei der großen Organisation des Jahres 1879 au eingeschlagen ist. Damals sind zunächst durh Geseß die Ober- landeêgerichts- und Landgerichtsbezirke festgestellt, die Amtsgerihts- bezirke erst viel später. Also die unterste Fustanz it zuleßt heran- gekommen, und ih glaube, daß das au ganz gute faÿlihe Gründe hat. Wenn jeßt mit einer Teilung der Oberlande8gerihhte begonnen wird, so erschwert das in keiner Weise die Neubildung von Land gerihten. Die Teilung der Oberlande8gerihtsbezirke ist auf ter andern Seite viel einfacher, mit viel geringeren Schwierigkeiten verknüpft als die von den Herren gewünschte Bildung neuer Landgerichte. Ih will nur darauf hinweisen, daß die Vertreter der Interessen von Crefeld auch. wünschen eine Ergänzung des Landgerichts zu einem vollbesetzten durch Zulegung von Amtsgerichten des Landgerichts Kleve, das seiner- seits wiederum entschädigt werden soll dur rehtsrheinische und westfälishe Gebietêteile; sie wollen eincn Teil des Landgerichts Münster zu Cleve \{lagen. Das ift so vorgeschlagen worden in einer Petition, die dem hohen Hause vorliegt.

Ich würde nun da dem Herrn Dr. Bachem, wenn er ih auch etwa auf diesen Standpunkt stellt, do empfehlen, sih darüber zunächst mit Herrn Schulze-Pelkum und dessen Freunden zu verständigen, tie ja leine westfälisWe Seele an das Oberlande8gerihi Düsseldorf baben abgeben wollen, und sih dadur versichern, ob diese Herren etwa bereit sein würden, noch größere westfälishe Bezirke dem rheiniicen Landgericht Kleve und dadur indirekt dem Oberlandesgeriht Cöln zuzuweisen eigentlih nur deshalb, um die Bildung eines Land- gerihts in Crefeld zu ermöglihen. Jh kann nur wiederholen, meine Herren, die Errichtung der beiden gewünschten neuen Landgerichie wird dur den vorliegenden Plan der Regierung nicht erschwert, sondern erleichtert, und ih kann wiederholen und wiederhole es mit Bedauern, daß, wenn diese Vorlage fällt, dadur die Aussichten auf eine baldige Errichtung von Landgerichten in Crefeld und M.-Gladbahh sich ver- shlechtern werden. Die Gründe dafür babe ih {on angeführt.

Ich glaube, auf die übrigen Ausführungen des Herrn Dr. Batem, insbesondere auf Vergleiche mit den östlichen Provinzen, wo die Ver- hältnisse ganz anders licgen, und die Leute glücklih sein würden, wenn sie ihr Landgericht so leicht erreihen könnten, wie die Crefelder und Gladbacher das Landgericht in Düsseldorf, niht mehr eingehen zu sollen. Jch wende mich zu einigen anderen der Herren Vorredner, und zwar selbstverständlich nur zu denjenigen, die sich gegen die Vorlage ausgesprochen haben.

Da war zunächst der zweite Vertceter von Hamm, der Herr Abgeordnete Berndt. Der Herr Abgeordnete Berndt hat vermißt, daß Auskunft gegeben sei über die Stellungnahme des Oberlandes- gerihtépräsidenten zu Hamm zu dieser Vorlage. Meine Herren, das ist nicht etwa aus irgend einer binterhaltigen Absicht geschehen. Fch habe nirgendwo ein Hehl daraus gemacht und glaube, das als überall

hierte Strafkammer bekommen hat, und ¿war beide Strafkammern

hat, er möchte ihn in seiner ganzen Größe behalten. die er dafür angeführt hat, bewegen sih wesentlih in dem Rahmen der Ausführungen, die wir vorgestern von dem Herrn Abgeordneten Schulze-Pelkum gehört haben, und ih glaube deren Widerlegung nicht noch einmal heute versuchen zu sollen. Der Abgeordnete Berndt findet eine [hmerzlihe Zurückseßzung Westfalens und' des ver leinerten Oberlandes- gerihts Hamm darin, daß es etwa 100 000 Seelen weniger behalten würde, wie sie die beiden Oberlandesgerihte Cöln und Düsseldorf haben würden. Da glaube ih auf Seite 4 der Begründung hinweisen zu dürfen, daraus werden Sie mit mir die Veberzeugung gewinnen, daß die Westfalen imstande sein werden, diesen kleinen Unterschied in einigen Jahren auszuweßzen. (Sebr richtig!) Die Stadt Hamm ist gewiß R ein möglichft großes Ober : ;

s zal ader die Stadt der Entwiklung des wberlandesgerihts faum zu folgen vermodt, und es bot für neu eintretende Beamte die größten Schwierigkeiten, dort irgendwie angemessene Wohnungen zu finden. Soviel ih weiß, hat allerdings in den beiden leßten Jahren sh eine etwas lebhaftere Bautätigkeit entwickelt, ob sie S{hritt halten würde in den immerhin nit großstädtishen Verhältnissen mit den wachsenden Bedürfnissen, wie sie sih ergeben würden, wenn man as Oberlandes- gericht Hamm sih weiter fo auêwachsen läßt, wie es bisher geschehen ilt, weiß ih nicht.

Der Herr Abzeordnete Berndt hat wiederum hingewiesen darauf daß die bergrechtlihen Fragen, insbesondere soweit Bergwerke in West- falen noch unter dem Recht der alten Cleve-bergis{-märfishen Berg- ordnung stehen, gefährdet werden könnten durch eine widersprehende Nechtsprehung. Demgegenüber möHte i nochmals darauf hinweisen daß der Vertreter dieser Berawerksinteressen, der Bergbauverein, si eine Besserung der Verhältnisse ve1spriht von der Vorlage, und daß abo der Chef der preußischen Bergverwaltung, also der Herr Minifter für Handel und Gewerbe, ih vorbehaltlos mi : Borlage einverstanden erklärt bat, daß er also nit S A T glei auch der fiéfalite Bergbau in Westfalen bei den bergrechtlien Fragen ganz erheblich interefsiert ist und in Zukunft noch mehr inter essiert sein wird.

Die Ausschließung der zum Landgeriht Essen gehörigen west- fälishen Landesêteile, also dieser 350 000 Seelen, vom Oberlandes- gerihtsbezirke Hamm, auf die der Abgeordnete Berndt aud wieder als auf etwas Unerwünschtes hinwies, ist, wie ih wiederum hervor- hebe, nur als eine vorübergebende Maßnahme gedacht. Jhre Be- seitigung darf aber nicht mit dieser Vorlage verquickt werden : das würde tatsählich darauf hinauékommen, die Vorlage zu Fall: zu bringen. Wer würde den Nutzen haben? Diese westfälishen Seelen zweifellos nit. Es ift absolut ausgeschlossen, jeßt etwa diese Bezirke aufzuteilen an verschiedene Landgerichte. Das erfordert eine folhe Menge von zeitraubenden und s{wierigen Feststellungen, Erwägungen und Erörterungen, daß daran nit zu denken ist. Das wäre eine Frage, die würde cin paar Jahre anhalten, während sie nachher sehr einfah zu erledigen ist; wenn wir zur Bildung eines neuen Land-

Die Gründe,

gerihts in Gelsenkirhen oder an einem anderen Orte kommen, wird das ganze Gebiet in die Teilungsmasse eingeworfen. Bei dem gegen- wärtigen Anlasse diese Frage zu lösen, ist ganz aus8ges{hlossen. Dafür habe ich darauf hinzuweisen, daß zwei Amtsgerichte, die in Frage fommen, Steele und Gelsenkirchen, teils rheinises, teils westfälishes Gebiet umfassen. ese müßten jeßt mitten durGgeshnitten werden,

man müßte die eine Hälfte der einen, die andere Hâlfte der anderen

Provinz zulegen.

e Solche Teilungsvors{läge lassen ih nit so ein- sah erledigen, \ondern erfordern längere Zeit und längere Er vägungen.

Ih wende mihch nunmehr zu dem Abgeordneten Noeren, von dem ih zu meiner großen Genugtuung vernommen habe, daß er der Vorlage durchaus objektiv gegenübersteht. Ob es aber auh ganz objektiv war, wenn er der Justizverwaltung den Vorwurf gemacht hat, daß sie für das Nicterbedürfnis des Oberlandesgerihts in Cöln niht genügend gesorgt habe, ist mir nit so zweifellos, daß ih es ohne weiteres zugeben möchte. Jch will wenigstens das Eine hervorheben, daß in den leßten 3 Jahren bei dem Oberlandes8geriht in Cöln 3 neue Zivilsenate durch Gewährung der dazu ersorderliden Nichterkräfte geschaffen worden sind, daß die Zahl der Richter sih in den letzten drei Jahren von 32 auf 36 und 49 vermehrt hat, einschließlich ‘der Vilfsrichter, und daß in diesem Jahre Gon wieder 2 weitere Hilfs- rihter dem Oberlandesgerichte zur Bewältigung seiner Arbeiten be- willigt worden sind. Ih habe mich aber auch {on vorgestern dagegen verwahrt, daß die unerfreulihen Zustände in Cöln auf den Mangel an Richterkräften zurückzuführen seien: es ift imuter dem Oberlandes- gerihte Cöln das bewilligt werden, was zur Erledigung der Arbeiten, die ihm tatsählih durch die Parteien zuflossen, notwendig war. Jh habe nachgewiesen, daß s{cho1 in dem Jahre 1892 die Verbältniffe ebenso waren, und ih habe Jhnen nachgewiesen, daß: ih bei meiner persönlichen Verhandlung mit den Anwälten in Cöln diesen Punkt erörtert habe, und taß damals die Anwälte meiner Auffassung nicht widersprochen haken, daß allein dur eine Vermehrung der Nichter- zahl in dieser Sache überhauvt nit zu belfen sei. Erst rahdem nun die Anwälte allerdings in sehr anerkennentwerter Weise in den beiden leßten Jahren selbst sh zu größeren Leistungen erboben baben, ist die Justizverwaltung Schritt für Schritt mitgegangen und hat alles be- willigt, was sie für notwendig erahten konnte. In der vorgestrigen Nede des Herrn Abgeordneten Trimborn pon der ich heute in der „Germania“ gelesen habe, daß sie großzügig gewesen sei und eine scharfe Kritik an unseren bestehenden Rechts- zuständen geübt habe; die Kritik habe ih leider vermißt, die Großzügigkeit bestreite ich nicht (Hiiterkeit) ist unter anderen mir der gute Nat gegeben worden, ich follte nit por den Cölner Anwälten ohne weiteres die Segel streichen, die Flinte ins Korn werfen; die Hegierung müsse erziehen. nd der Herr Abgeordnete Roeren hat ih auf denselben Boden ge-

0 C stellt und hat gemeint, es sei Sache des Vorsitzenden, wenn N

bekannt vorausfeßen zu können, daß der Herr Oberlandes zeridts-

Tanno 11% G5 hon »y c tor 5 ¡ange und c bon der Sage entfernend redeten,

Anwôälte zu