1904 / 114 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 16 May 1904 18:00:01 GMT) scan diff

¿war Zabre, die 40

Notstand vorlag, sondern man ist auch nach sorgfältigster Prüfung aller Wege, die fonst etwa gegeben sein könnten, um Abhilfe für den Notstand zu schaffen, zu der Grkenntnis gekommen, daß der von der Negierung ge- machte Vorschlag der einzig wirksame und der wenigst bedenkliche sei. Freilih und leider hat \sich das Plenum des Neich38tags damals für den Beschluß seiner Kommission niht ausgesprochen, es hat den Vor- {lag der Regierung abgelehnt unter dem Gewicht der Strömungen, die, für die verbündeten Regierungen au nicht unbekannt, in einer Volksvertretung bei solchen Gelegenheiten immer hberrshen werden. In einem unglücklihen Optimismus, in dem der Neichstag ih damals befand, wurde der Vorschlag abgelehnt; man ließ \sih von der Hoffnung leiten, daß in den weiteren Fahren andere Mittel \ich finden würden, die damals noch nicht gefunden waren, um dem Uebelstande abzuhelfen, au von der Hoffnung, daß die Uebelstände sich niht weiter so ent- wideln würden, wie die verbündeten Regierungen es damals pro- gnoftizieren mußten.

Meine Herren, dieser Optimismus ist erledigt durch die Er- fahrungen, die in der Zwischenzeit gemaht worden sind. Wir haben trog aller Erwägungen, die von uns, von der gerihtlichen Praxis und von der Wissenschaft angestellt worden sind, keinen anderen Weg finden können, uns die Lage beim NReichsgeriht zu erleihtern, als einen derjenigen Wege, die bereits früher in Betracht gekommen find, und die Zustände beim Reichsgericht, meine Herren, haben sch nit verbessert, sie haben si entschieden vershlechtert. Sie haben fih fo vershlechtert, daß die verbündeten Negierungen die Verantwortlichkeit für die weitere Entwickelung der Verhältnisse nicht allein tragen fönnen, daß sie den Reichstag dafür mit in Anspru nehmen müssen. An diesem hohen Hause, meine Herren, wird es liegen, ob die Zustände in der bedenklichen Weise #ch weiter entwickeln sollen, oder ob eine Abhilfe geshafen werden wird. Meine Herren, das Mittel, das wir Ihnen in Vorschlag bringen, ist dasselbe Mittel, das auß im Jahre 1898 vorgeschlagen worden ist, d. h. die Erhöhung der Wertsumme für diejenigen Sachen, die an das Neichsgerit überhaupt kommen follen.

Ich werde mich in der heutigen Verhandlung auf die Spezialitäten dieser Frage, die ja überhaupt außerhalb der juristischen Kreife ein großes Interesse niht erregen, niht einlassen. Jh möchte nur konstatieren, daß wir wiederum auf das forgfältigste, und ich darf au sagen auf das gewissenhafteste alle anderen Wege einer Prüfung unterzogen haben, die in Betracht kommen könnten, um den Uebel- ständen beim Neichsgerißt Abhilfe zu \{haffen. Wir find in allen diesen Beziehungen wiederum zu einem negativen Resultat gekommen; wir sind genötigt, unbedingt gezwungen gewesen, auf den Weg zurückzugreifen, den wir im Jahre 1898 eingeschlagen hatten. Meine Herren, es ist vielleicht unhöflih, wenn ih das sage, aber ih möhte es doch sagen: ih bedaure es, daß bei dieser Frage voraussihtlich, werin nicht aus- {{ließlid, dech ganz überwiegend Juristen mitspreWen werden. Juristen haben bekanntli, wie der Volksmund sagt, immer verschiedene Mei- nungen und es ist sehr shwer, sie unter einen Hut zu bringen. (Sehr richtig! Heiterkeit.) Ih gebe mi zwar der Hoffnung hin, daß das Gewicht der Darlegungen der verbündeten Regierungen auch einen Teil der Juristen dieses hohen Hauses mindestens zweifelhaft machen wird, und vielleiht werden die Herren dann geneigt sein, in ihrem Zweifel doch einiges Gewicht zu legen auf die Autorität derjenigen, die für diese Vorlage eingetreten sind, ohne irgendwie dur ein greif- bares Interesse, das in der Sache nit begründet wäre, bei ihren Auf- fassungen geleitet zu fein.

Das Reichsgericht, meine Herren, steht seit 10 Fahren auf dem Boden, den wir hier vertreten, und es muß doch selbst am besten wissen, was ihm und der deutschen Nechtspflege frommt. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Die Rechtsanwaltshaft beim Neichsgericht steht, obwohl es den einzelnen vielleißt zu ihrem Nachteil gereichen wird, auf Grund ihrer Erfahrungen lediglich wegen des allgemeinen | t Interesscs auf demselben Standpunkt. Die Reichsjustizverwaltung, meine Herren, die seit dem Augenblick, als ih die Ehre hatte, mein Amt zu übernehmen, mit größter Sorge die Entwickelung des Reich3- gerihts verfolgt hat, ist gleihfall3 dieser Ansicht, und die verbündeten MRegierungen, die doch wahrhaftig von einfeitigen Standpunkten in dieser Sache sich nit leiten lassen können, sind ebenfalls der Auffassung. Diese verschiedenen autoritativen Stellen, meine | s Herren, möchte ih do bitten, mit in Betracht zu ziehen, wenn bei dem Einen oder Andern unter dem Streit der Meinungen sih ein Zweifel ausbildet und er uns{lüssig wird, welhen Weg er gehen soll. Ich glaube, diese Herren werden doh gut tun, den ver- | 8 bündeten Negierungen zu folgen. Meine Herren, die entsheidende Frage nit bloß für den Juristen, | 7 sondern au für die Allgemeinheit ift die: wird der Vorschlag der verbündeten Regierungen in der Tat für die Rechtspflege im allgemeinen von Nahteil sein? Diese Frage müssen wir beantworten und mit ihrer Beantwortung ist die Sache eigentli erledigt; und da möchte ih Ihnen, meine Herren, einige Zahlen anführen, die Ihnen vielleicht besser als sonstige Ausführungen und, wie ih glaube, objektiver den Effekt klarlegen können, den eine Maßregel, wie die von den ver- bündeten Regierungen Ihnen vorgeschlagene, auf das Necht3leben des deutschen Volks ausüben wird.

Ich muß vorausschicken, meine Herren, daß ja für die Prozesse, die sih auf den Gebieten des Personenrechts und des Familienrechts bewegen, die Vorlage überbaupt keine Bedeutung hat. In dieser Be- ziehung bleibt alles beim alten; auf dem Gebiet der Personen- und Familienrechtsstreitigkeiten wird auß nah der Annahme dieser Vorlage nihts geändert. In Frage kommen bloß diejenigen Prozesse, die sich um Vermögensrechtsobjekte drehen ; und die Frage ist für uns die: welchen Effekt wird in dieser Beziehung auf das Rechtsleben der Nation ein Geseß wie das vorgeshlagene ausüben. Nun, meine Herren, wenn ih die Statislik von 1901 ¡u Grunde lege, die uns weniger günstig ist als die Statistik der folgenden aber deshalb wähle, weil sie allgemein zugänglich ist, so ergibt sih, daß das Reichsgericht in vermögensreht- lihen Prozessen jährlich 2400 Urteile fällt. Nach den Erfahrungen, die in der begründenden Denkschrift ja auch auf einer Tabelle im Anhang mitgeteilt sind, werden vom Neichsgeriht ungefähr 79 9/9 aller Revisionen zurückgewiesen, nur 21 9/9 haben einen Erfolg. Das | N heißt in die wirklihen Zahlen überseßt: von den 2400 Urteilen, die

900 Erkenntnisse des Reichsgerihts, die zu Gunsten | G

an das Neichsgericht kommen, nach Maßgabe des materiellen Rechts

schieden wurde. Diese Nechtskontrolle übt das Reich8gericht aber nicht aus allein zu Gunsten der wenigen Prozesse, die überhaupt in diese Instanz gelangen, sondern übt sie auchß aus mit praktisher Wirk- samkeit für alle übrigen Prozesse, die im Jahre innerhalb des deutshen Nechtsgebietes überhaupt vorkommen. Sie übt sie aus zu Gunsten der landgerihtlihen Prozesse, die kommen können, weil es fich um ein Objekt handelt, das nicht die revisionsfähige Grenze erreiht; sie übt sie aus zu Gunsten der amts- gerihtlihen Prozesse, denen überhaupt der Weg zum Neich8geriht abs geschnitten ist. Rechtspflege des ganzen Landes geübt auf Kosten der kleinen Schicht der Bevölkerung, die an den Prozessen vor dem Neichsgericht teil- nimmt. Es ist {on bei der Beratung der Neichsjustizgeseßze lebhaft und unzweideutig betont worden, daß darin die Hauptaufgabe des Reich8gerichts besteht, und daß für die deutshe Nation der Wert des Neich8gerichts keinedwegs darin liegt, daß eine rihterlihe Tätigkeit zugeteilt ist, die auch zur materiellen Korrektur früherer Ent- s{heidungen führen kann. Auch darüber einige erläuternde Zahlen. Sie beweisen am besten den klaren Sahbestand, wie er hier in Bes-

bom Jahre 1901: Die Zahl der vermögensrehtlichen Prozesse in Deutschland betrug in diesem Jahre bei den Amtsgerihten rund 2012 000, abgesehen von den amtsgerihtlihen Mahnsachen, die für unsere Frage keine Bedeutung haben. Die Zahl der Prozesse bei den Landgerichten betrug 314 000, die Zahl der oberlande8gerihtlihen Entscheidungen 25 000, die Zahl der Entscheidungen des Reich3-

wird, wenn man diese Frage erörtert, daß den 2 326 000 Urteilen, welche bei den Amtsgerihten und Landgerichten gefällt werden, nur

Bedeutung in der Sache haben. Von diesen 330 Urteilen wollen wir

legen Sie diesen 70 bis 80 Urteilen bei gegenüber den 2 326 000 Ur- | teilen, die überhaupt zwischen Parteien in Deutschland gefällt werden ?

Tätigkeit des Neichsgerihts für die materielle Entscheidung kann, glaube ih, nit \{ärfer au8gedrückt werden als dur die Zahlen, die ih Ihnen hier angeführt habe. Wenn man fo viel und fo leihthin von dem plutokratishen Charakter der vorgeschlagenen Maßregel \priht und auch Jhnen gegenüber ihn betonen sollte, dann, bitte ih, erinnern Sie sih gütigst der Zahlen, die ih Ihnen vorgelegt habe.

Deutschlands und im Auslande ich möchte sagen: es ist ein Natur- geseß —, daß die höheren Instanzen niht mit demselben Material belastet werden dürfen wie die unteren Instanzen, auch wenn die Parteien wünschen sollten, | Instanz zu treiben. Dieser Grundsatz führt unvermeidlih dahin, daß eben die kleineren Sachen zurückstehen müssen gegenüber den größeren, um den höheren Instanzen eine fruchtbare Tätigkeit zu er- möglichen. Dies kommt auf allen Gebieten, im amtsgerihtlihen, im landgerihtlihen Prozeß zum Ausdruck; ih möchte sagen: es ist ein Opfer, das gebraht werden muß, um überhaupt höhere Instanzen auf dem Gebiet der Rehtsprehung zu einer rationellen Wirksamkeit ge- langen zu lasen.

kommt, \{ärfer zum Ausdruck gebracht als in Frankrei. Frankrei, welches von je her unter den Kulturnationen durch die glänzende

Gleihheit vor dem Geseß mehr als in allen anderen Ländern das das Neichsgeriht in vermögensrechtlihen Streitigkeiten fällt, gehen | V 1900 auf eine Zurückweisung der Revision und nur 500 bedeuten eine Anerkennung tes vom NRevisionskläger geltend gemachten Revision3- grundes. Nun, meine Herren, wäre es aber unrichtig, zu sagen, daß | G diese

öffentlihe Institutionen beherrschen, Frankrei sucht in unerbittlicher Schärfe zu Gunsten einer fruchtbaren Tätigkeit seines obersten

der Nevision ausfallen, auch in dem materiellen Effekt zu Gunsten des Reviskonsklägers ausfallen. Das ist keineswegs der Fall, denn in vielen dieser Prozesse ordnet das Reichsgericht die Revision al3 be- gründet an, weil prozessuale oder andere ähnlihe Rücksichten ihr zur Seite stehen, die aber s{ließlich nicht in allen Fällen zu einer Aende- rung der materiellen Entscheidung, die zwishen dem Kläger und Be- Ilagten gefallen ist, führen. Nach unferer Schäßung, die, wie ih glaube, vorsichtig gehalten ist, darf man sagen, daß etwa 30/6 aller Urteile, die zu Gunsten des Revisionsklägers ausfallen, dennoch im materiellen Effekt keine Aenderung der Entscheidung für ihn mit si bringen. Was heißt das ? Das heißt : daß von den 500 Urteilen des Neichsgerichts, in denen die Entscheidung zweiter Instanz umgeworfen wird zu Gunsten des Revisionsklägers, dennoch nur 330 zu einer anderen materiellen Gntscheidung für beide Parteien führen. Nun machen wir Ihnen einen Geseßesvorshlag, nah welhem wir \{äten, daß etwa 23 bis 29 9/0 der Revisionsfälle aus der Kompetenz des Reichsgerihts aus3- scheiden. Angewandt auf diese Zahlen heißt das: von den 330 Urteilen, die das Reichsgeriht jährli fällt zu Gunsten eines materiellen Anspruchs, der in der zweiten Instanz gefallen war, follen 75 bis 80 Urteile für die Zukunft ausscheiden. Diese 75 bis 80 Prozesse sind es, um die si der ganze Streit bewegt, und die Frage, richtig gestellt, ist die, will das hohe Haus anerkennen, daß die Schwierigkeiten der Geschäftslage beim Reichsgericht so ih entwickelt haben, daß man dem Volke zumuten darf, in 75 bis 80 Pro- ¡essen auf eine andere Entscheidung zu Gunsten des Nevisionsklägers, also zu Gunsten des in der zweiten Instanz Unterlegenen zu verzichten, oder ist der Wert dieser 75 bis 80 Prozesse, an denen doch immer nur ¿wei Parteien so beteiligt sind, so erheblih, so durs{lagend, daß das Volk den Weiterbestand der jeßigen Verhältnisse beim Neichs- geriht, obwohl sie die Nehtspflege im allgemeinen gefährden, denno dulden wiil ? Aus den Zahlen, die ich Ihnen mitgeteilt habe, werden Sie zu- gleih ersehen, worin denn die eigentliche Aufgabe des Neichsgerichts liegt. Sie liegt, abgesehen von den wenigen Fällen, in denen eine andere Entscheidung als in der zweiten Instanz zwishen den Parteien erfolgt, keineswegs auf dem Gebiete der materiellen Gerechtigkeit. Das Reichsgeriht hat nicht die Aufgabe, in möglichst vielen Fällen materielle Gerechtigkeit unter den Parteien zu hafen. Die Haupt- füunktion des Reichsgerichts, so wie sie au gedacht wurde bei dem Erlaß der Justizgeseßze aus den 70er Jahren, ift die, eine Rechts- fontrolle auszuüben, zu prüfen, ob in den einzelnen Nechtsfällen, die

und unter forgfältiger Anwendung der prozessualen Borschriften ents

nicht zur Revision

Und zwar wird diese Nechtskontrolle zu Gunsten der

raht gezogen werden sollte. Die Zahlen stammen aus der Statistik

erihts 2400. Nun, meine Herren, konstatiere ih, was gewöhnlih nicht beachtet

30 Urteile des Reihsgerihts gegenüberstehen, die eine reformatorische

0 bis 80 Urteile aus\cheiden, und die Frage ist: welhe Bedeutung

Umfang, wie wir es in Deutschland gar nicht unter- nehmen würden. So kommt Frankreih bei kaum 40 Millionen Einwohnern für seine Zivilentscheidungen in der obersten Instanz mit einem Zivilsenat aus, der mit 16 Richtern besezt is; wir brauchen jeßt hon 7 Senate mit mehr als 50 Richtern. In Frankreich ift der einzelne Richter im Jahre belastet mit noch nicht 20 Sachen; wir müssen troß der starken Besezung unseres Reichsgerichts jeden der obersten Nichter mit mindestens und mehr als 50 Sachen belasten. Und was ist das Ergebnis dieses Zustandes? Die Urteile von Frankreihßs höchstem Gerichtshofe sind in der ganzen Welt in einer Weise anerkannt, um welche andere Länder Neid empfinden dürfen. Die Autorität des französischen Kassationshofes ist immer noch von einer Bedeutung, der die Autorität keines anderen Gerichtshofes außerhalb Frankreihs das müssen wir gestehen zur Seite gestellt werden kann. Das ift ein sehr wichtiger politischer Faktor. Darin ist der Weg zu einer Veberleitung französisher Rehtsanshauungen und französischen Lebeng- anshauungen auf die anderen Nationen gegeben, und die Bedeutung dieses Moments darf man wahrlih nit unterschäßen.

Wir haben unsererseits, als wir hier unser gemeinsames bürger- liches Net shufen, die Vorbedingungen für eine Stellung unseres obersten Gerihtshofes wie in Frankrei geschaffen; aber nur die Vor- bedingungen. Es gehört doch auh noch mehr dazu. Solange wir mit der Gefahr zu kämpfen haben, daß in unserem Gerichtshofe niht nur die Elite unserer Nichterwelt Aufnahme findet, sondern daß wir genötigt werden könnten, auch Kräfte zweiter Ordnung in den Ge- richtshof aufzunehmen, folange die Möglihhkeit besteht, daß die Richter niht mehr die Zeit finden, sich mit allgemeinen Fragen außerhalb ihrer engsten Nichtertätigkeit zu beschäftigen, mit Fragen wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, künstlerisher Art, die doch auch ihre Rückwirkung äußern und äußern sollen auf eine wirklih praktische, lebendige Arbeit in der Rechtsprehung, solange wir mit der Mösg- lichkeit zu rechnen haben, daß unsere Nichter \chließlich untergehen in einem banausishen Aktenleben, das den realen Verhältnissen ferner und ferner tritt, solange die Gefahr besteht, daß unsere Senate untereinander allmählich die Fühlung verlieren, daß damit eine geistige Zerrüttung in unserem obersten Gericht Play greift, die ihn nicht mehr erscheinen [läßt als einen einheitlich ges{chlossenen, von gleihen Necht3gedanken durchdrungenen, in gleihem Sinne arbeitenden Körper, so lange werden wir das, was Frankreih längst erreicht hat, nicht zu erreichen vermögen.

Meine Herren, ich bin der Meinung, daß unser bhöcchfter Gerichtshof bis jeßt auf einem guten Wege gewesen ift, daß wir stolz auf ihn sein dürfen. Die Vorlage der ver- bündeten Regierungen hat den Zweck, ihm seinen bisherigen Weg auch weiter ofen zu halten. Jch möhte das hohe Haus bitten: unterstüßen Sie in diesem Ziel und in dieser Absicht die Regierung, s{chüßen Sie das Reichsgeriht vor der Gefahr, auf eine abshüssige Bahn zu kommen, die seine moralische Stellung untergräbt und seine Autorität im nationalen Leben mehr und mehr {winden macht. Sie werden das tun, meine Herren, wenn Sie der Vorlage der verbündeten Regierungen wohlwollend gegenübertreten, und nur darum habe ih Sie in diesem Augenblick zu bitten.

Abg. Hagemann (nl.) befürwortet seinen Antrag. Er danke dem Staatssekretär, daß er dem Reichstag fo {nell entgegengekommen sei und diese Vorlage eingebraht habe. Alle Parteien wären darin einig, daß das Reichsgericht entlastet werden nue daß es nicht so weiter gehen könne wie bisher. Seine politisGen Freunde ständen der Vorlage im großen und ganzen sehr wohlwollend gegenüber, wenn sie es auch für zwe E gehalten hätten, die Nevifionssumme glei bon vornberein auf 3000 Æ heraufzuseßen. Von einem pluto- kratishen Charakter der Vorlage könne nicht die Rede sein, denn es seien niht die Minderbegüterten, deren Prozesse aus3geschaltet werden folten. Das Reichsgeriht jei eigentlih nit dazu da, um materiell in eine Prüfung der Recht3materie einzutreten und materielles Recht zu schaffen, dazu feien hon zwei Instanzen vorhanden. Das NReichsgericht solle „nur einheitlihes Recht s{hafen. Durch eine eraufsezung der Revisionsfumme werde das Vertrauen zu dem Ce gewiß nit geschädigt werden. Sache der Kommission, deren Einsezung er beantrage, werde es sein, die Einzelheiten der Vorlage zu prüfen. der Einspruch gegen geshaffft werden

prozeß, sondern auch im Strafprozeß vorhanden, und darum habe er und andere den vorliegenden Antrag eingebraht. Eine Strafe wirke nur dann erzicherisch und \ühnend, wenn sie mgn bald der Straf- bandlung folge. S aber zögen sch die Strafen 6, 9, 10, 12 Monate hin Ein Mittel dagegen wäre die „lex Olshausen“, die Grweiterung der Kompetenz der chöfengerihte. Damit würde dem Angeklagten nur ein Vorteil erwachsen. Der Antrag dee sfih im großen und ganzen mit der „lex Olshausen“, in einigen Punkten gehe er aber weiter. Er bitte, beide Vorlagen einer Kommission von

e Freudig sei zu begrüßen, S das Versäumnisurteil des Reich38gerichts a Die Belastung des Reihhsgerichts sei aber nit nur im Zivils

Meine Herren, die verhältnismäßig geringe Bedeutung der

Es ist überhaupt Grundsaß für alles Prozeßwesen innerhalb

ihre Saße noch in die höhere

Nirgends ist wohl die Notwendigkeit, die hierin zum Ausdruck

ehtsprechung hbervorragte, Frankrei, in welhem das Prinzip der

olk8gemüt durhzieht und demokratische Anschauungen sämtliche

eritshofes alle weniger erheblihen Prozesse von dem obersten

21 Mitgliedern zu überweisen.

Abg. Himburg (d. kons.): Wir haben nur in einem Punkte etwas gegen die Vorlage: gegen die Abänderung des § 546 der Zivil- rozeßordnung. Ein Teil meiner Freunde bält es für gänzli ver- ehlt, eine Besserung herbeizuführen dur eine Aenderung der NRevisions- umme. Ein Teil ist dafür, wenn ein anderer Weg nicht mde ift. Meine Freunde können sih niht davon überzeugen, daß es undur{Ÿ- führbar fein foll, die Zahl der Senate des Reichsgerichts und die Zahl seiner Richter zu erhöhen. Unser Antrag hängt mit dem Regierungs- entwurf niht unmittelbar zusammen. Dieser würde eine Mehrbelastung der Amtsgerichte zur polge haben, Die Vermehrung der amtsri(ter- lihen Pflichten hat bis jeßt nicht Schritt gehalten mit den amts- rihterlihen Lasten. Ih möchte den Staatssekretär bitten, dahin zu Be daß in dieser Beziehung in den Einzelstaaten das Nöôtige geschieht.

Abg. Dr. Rintelen (Zentr.): Ih gebe ohne weiteres zu, daß das Reichsgericht überlastet ist, und daß eine Gntlaftung a en muß. Es fragt \sich nur, wie sie erfolgen ms Auf jeden Reichss rihter fommen jeßt 48 Urteile, während früber auf jeden Richter des Obertribunals 75 bis 80 fielen. MRedner wirft einen historischen Rückblick auf die früheren Bestrebungen auf diesem Gebiete und spricht sich gegen die Erhöhung der Nevisionsfumme aus, welche die Einheit der Nechtsprehung nicht erhöhen, wobl aber die Difformität bei den nit revisiblen Prozessen in den Oberlande8gerihten ver- mehren werde. Eine Einheit der Nechtsprehung sei ohnehin \{chon jeßt beim Neichsgericht niht vorhanden; die einzelnen Senate wechselten ihre Meinungen, da die Personen wechselten usw. Dur die Gr- höhung der Nevisionsfumme werde der Zustand noch verschlimmert werden. Im Vordergrunde der heutigen Erörterung der Zeitfragen stehe das sozialpolitishe Moment, von diesem Standpunkt aus müsse der NRechts\hußz gerade der kleinen Leute verlangt werden. Die Gründe der Vorlage hâtten ihn niht überzeugen können, daß diesem Grund- in der Vorlage Rechnung getragen werde. Das ues ublikum habe an dem abstrakten Gedanken der - Einheit der Recht- prehung nur ein vershwindendes Interesse, um so größeren Wert lege es auf die sozialpolitishe Seite. Redner [äßt im weiteren Verlauf seiner Ausführungen feine Stimme so sinken, daß von at Kritik des Entwurfs und von seinen eigenen positiven Vorschlägen,

erihtshof ferazuhalten, von ihm abzuweisen in einem

die er zu machen scheint, auf der Journalistentribüne nihts zu vere stehen ist,

. Gamp: - Der Staatssekretär hat die Beteiligung von E: tern an der Diskussion als erwünscht bezeichnet; ih erblicke darin für mich eine Entschuldigung, wenn i in die Erörterun eingreife. babe mich stets ziemlih tnerqus gegen die Heraus- sezung der evisionssumme ausgesprochen. enn ih heute eine etwas veränderte Stellung einnehme, so bin ich deshalb noch nicht aus einem Saulus ein Paulus geworden; ich kann mich aber dem immer stärker werdenden Verlangen nach einer Radikalkur niht mehr verschließen. Ih erhöhe die Revisionssumme fehr ungern, weil ih weiß, daß das Reichsgeriht sich stets Mühe egeben hat, dem ge- funden Menschenverstand zu seinem Recht zu verhelfen, während in den anderen Instanzen eine bureaukratishe Auffassung herrscht. Diese meine

ohahtung vor dem Reich8geriht macht es mir besonders s{chwer, feine Kompetenz zu beshneiden; man wird indessen in diesen saueren Apfel beißen müssen. Ich bitte aber die Kommission, fehr ernstlich auch alle anderweiten Vors(läge zu prüfen; ih selbst möchte dazu einige beisteuern. In 400 Nechtsstreitigkeiten in einem Jahre hat der Anwalt auch nicht ein Wort der Begründung der Pr 0a egung ugefügt; monatelang hat sich der Referent mit den Sachen befaßt, Lol wird die Revision zurückgezogen. Solche Rüksichtslosigkeiten müssen verhindert werden; es muß ein Begründungszwang für die Revision eingeführt werden; der Anwalt muß das Material selbst durharbeiten. 75 9/9 der Revisionen haben keinen Grfolg; beim Begründung8szwang werden die Anwälte ficherlich auch von diefen 75% 20—2d 9/0 ermitteln, wo die Ginlegung der Revision aus- sihtslos ist. Bei Rechtsstreitigkeiten um lediglich lande8gesegliche Bestimmungen sollen nicht alle Senate mitzuwirken brauchen, da dürfte die Entscheidung dur den einzelnen Senat genügen. Nicht nur einheitliche, sondern zuverlässige und richtige Rechtsprehung ist, was wir brauen. Die Einhetitlihkeit wird durch Heraufsezun der Revisionsfumme vermindert, nicht erhöht. Wir haben do 98 Oberlandesgerichte, deren verschiedenartiger und zwiespältiger Ent- scheidung durch die Erböhung der Revisionssfumme lediglich weiterer Spielraum gegeben wird. Schon jeßt fehlt es in einer ganzen Reihe von Recht3gebteten an jeder einheitlichen Dre weil das Objekt zu niedrig ist, so in Alimentensachen, Fragen des Gesinderechts und dergleichen. Weshalb die Stempelsachen revisionsfähig sind, sehe ih jeßt patt nit recht ein. Bei manchen Materien ist andererseits die Zahl der reihsgerihtlichen Entsheidungen schon jeßt so gering, daß sie bei Erhöhung der Summe aus der Judikatur des Reichs- gerichts gänzlih ausfcheiden könnten, fo die Haftpflichtsahßen, Werk- vertrags\ahen u. a. m. Das würde sehr erwünscht sein. Alles in allem stimmen wir nur höchst widerwillig diesem Entwurfe zu, und wir gewärtigen den E daß sich das Erstrebte auf anderem iht erreihen läßt. :

Bes Ste a L n (Soz.): Solange die gelehrte Rechtspflege besteht, kann ih die Absicht, die Befugnis des obersten Gerichts zu beschränken und einer Reihe von Leuten die Möglichkeit zu nehmen, an das Reich8geriht zu gehen, s{lechterdigs niht begreifen. Es handelt sh hier um ein ganz mechanishes, grobe3, rohes, bureau- Fratishes und plutokratisches Mittel. Warum bei 2000 oder 3000 4 stehen bleiben, warum nicht bis 20000 oder 100 000 „4 geben ? Man könnte ganz ernsthaft ragen, ob man nit lieber die größeren Sachen ohne den höchsten Nechts\{uy lassen könnte, Dur aus verderblich ist es, wenn nach der Vorlage ein Einspruch gegen Ver- säumnisurteile nit zulässig sein soll. Darin stimme ih allerdings zu, daß es richtiger wäre, das E Verfahren zu ändern als die Revisionssumme zu ändern. ir halten eine einheitlihe Recht- sprechung über den Arbeitsvertrag für viel dringliher. Wir haben jeßt darüber so viele Entscheidungen als wir Amts-, Land- und Ge- werbegerihte haben. Wir brauchen U S in Strafsachen. Was der Antrag vorschlägt, is nur Flidwerk. Jch hoffe, daß in der Kommission der Gedanke zurückgewiesen wird, daß nur reiche Leute bei dem Reich8geriht Schuß finden L, :

Abg. Pobl (fr. Volksp.) : Die Frage, ob in einem Staat eine gute Nehtspfie e besteht, ist in hohem Grade politisch. Herr Gamp ist gar niht Laie, sondern nach seiner Vorbildung ein zünftiger Jurist. Bei einem solchen Geseß wird man auf das Urteil der Anwälte zu achten haben, die die Interessen des Publikums wahrnehmen. 1898 haben fich die Anwälte gegen eine Abänderung der Revisiong- summe erklärt. Jn meiner E Schlesien hat fich eine hoch“ radige Erregung über die Vorlage geltend gemacht, die in einem Beschluß der Anwaltskammer zum Ausdruck gekommen ist, in der keine8wegs nur Fortschrittler sigen. Es handelt sich hier eben nit um eine parteipolitische Frage. Der Staat?sekretär hat darauf hin- ewiesen, daß in 75% eine Abweisung der Beschwerde beim Reichögericht erfolge. Im Reichsjustizamt scheint doch eine sonder- bare Auffajsung über die Sache zu_ herrshen. Die Anrufung des Reichsgerihts soll doch keine Strafe, sondern eine Wohltat sein. Die Beamten und der Fiskus haben das doch selbst bekundet. Das Reich3gericht fällt ja mitunter recht mäßige Urteile; aber es ift auch zuzugeben, daß es hervorragende E hat, und daß es das beste Gericht ist, das wir haben. Die Ueberlastung des Reichs- erihts kann nit bestritten werden. Dagegen gibt es nur ein Mittel: die Vermehrung der Richter. Die Einheitlihkeit der Necht- sprehung braucht darunter nicht zu leiden. Man könnte den Nichtern die Arbeit erleihtern dur eine Teilung der Materien, sodaß die Richter sie besser beherrshen können. Einer Beshränkung der Revision beim Reich8geriht, wie es der Abg. Gamp vorgeschlagen hat, muß ich im Interesse des rechtsuchenden Publikums durhaus wider- sprechen. Heutzutage läuft ja ohnehin alles der Macht und dem Vorteil nah. Es ift jet die Zeit der Nervosität, und nervöse Hast macht sih jeßt auch bet den Gerdten geltend. Man {ägt die Firigkeit viel höher als die Richtigkeit. Suchen wir Anwälte richtige Urteile herbei- zuführen, so nennt man das eine chikanöse Au3nußtzung der Machtmittel der Anwälte. Es kommt doch darauf an, daß das Publikum Ver- trauen hat zu unserer Rehtsprehung. Wir dürfen nicht eine einzige Rechtsgarantie aufgeben, die wir haben. Der Herr Oberlandesgericht3- rat Burlage befindet ih im Irrtum, wenn nach dem Bürgerlichen Geseßbuch und dem Handelsgesezbuch der Richter niht nach dem Buchstaben des Gesetzes urteilen foll. (Präsident Graf vonBall estre m:

err Abgeordneter, es ist hier nicht üblih, die Kollegen bei ihrem itel zu nennen, hier gibt es nur Abgeordnete!) Bei dem Natio- nalitätenhaß usw. müssen wir die bestehende Rechtskontrolle aufrecht- erhalten. ir erweisen dem Vaterlande einen Dienst, wenn wir jeder Vershlehterung der Nehtsprehung entge enarbeiten.

Abg. Engelen (Zentr.): rr Dr. Spahn ist leider heute ver- bindert, der Sigun beizuwohnen, da er an einer Senatsfizung des Reichsgerichts Wilkebrnen muß; wir müfsen das um fo mehr bedauern, als Herr Spahn die Frage mit besonderer Salhkenntnis hätte be- leuten können. Ueber die Entlastung des Neich8gerihts ist im Neichstage des ausführlihsten gesprochen worden. Für die Grhöhung der NRevisionssumme hat sich nicht nur das Reich8geriht selbft, sondern auch nunmehr die Anwaltskammer beim Reichsgericht ausgesprochen, leßtere Laa ohne eine bestimmte Summe zu nennen. Die Grhöhung der Nevisionssumme ift ja auch von der Kommission des Reichstags 1898 beschlossen worden, und erst das

lenum verwarf sie wieder. Man wollte damals auch deswegen noch nihts davon wissen, weil man erst mit dem neuen Bürgerlichen Geseßz- buch Erfahrungen sammeln wollte. Diese Gelegenheit ist nun bereits vier Jahre geboten gewesen. Alle Ginwände gegen die Erhöhung ‘pin ohne dur{s{chlagende Kraft. Mit der Ueberweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern bin ich einverstanden.

Abg. Dove (fr. Vgg.): Wir stehen im ganzen auf dem Stand- punkt des Abg. Hagemann, weihen aber in Einzelheiten ab. Die Vorlage erscheint uns als eine Art Notgeseßz, das mit Nesignätion aufgenommen werden muß; es pi von verschiedenen Uebeln das

einste zu wählen. In den bisherigen Erörterungen ist viel- ah eine gewisse Uebershäßung des Instanzenzuges hervor- getreten. Herr Pohl ist nicht für die Firxigkeit; aber im all- gemeinen legt doch das Publikum ebenso auf \{chnelle wie auf illige Erledigung seiner Rechtsangelegenheiten den Hauptwert. Die Gründlichkeit darf darunter nit leiden; aber der Instanzenzug ver-

Unterschied nicht zu bestehen. Allerdings bringt diese Erhöhung eine gewisse Verteuerung der Rechtspflege überhaupt. mit sih, indessen würde ih bei dem vorliegenden Notstand au diefen noch nicht be- rührten Nachteil in den Kauf nehmen. Im gesamten Ausland ist die S, E obersten Instanz der Nechtsprehung an viel höhere Summen gebunden. I

Abg. Sh midt-Warburg (Zentr.): Ih muß febr beklagen, daß ich in einer so wichtigen Sache erst um 64 Uhr zu Worte komme, wo hon alles drängt, in die Ferien zu gehen; ih bitte Sie aber, mich noch wenigstens ein Viertelstündhen anzuhören, ih bin bereit, auf das Klingelzeichen des Präsidenten aufzuhören. Ih bin nach wie vor absoluter Gegner der Erhöhung der Revisionssumme, hauptsählich aus sojialpolitischen Nücksihten. Der arme Mann hat keine 3000 4 einzusegen, um zur Revision zu gelangen; das ist früher auch seitens der Bundesregierung anerkannt worden, daß wir dann nur einen obersten Geriht8hof für die Reichen haben würden. Wenn das R: weiter keine Gründe hat, als fie uns in der Begründung der Vorlage mitgeteilt sind, fo ist das in der Tat s{chwach.

Damit {ließt die Generaldiskussion. Die Vorlage und der Antrag Hagemann gehen an eine Kommission von 21 Mitgliedern.

Präsident Graf von Ballestrem wünscht den Mitgliedern eine gute Erholung und ein fröhlihes Pfingstfest. j

Schluß gegen 63// Uhr. Nächste Sißung: Dienstag, 7. Juni, 2 Uhr. (Ziveite Lesung des Reblaus- und des Muünzgeseßzes.)

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 15. Sißung vom 14. Mai 1904, 12 Uhr.

Das Haus sett die Spezialberatung des Staatshauss haltsetats für das Nechnungsjahr 1904 beim Etat des Ministeriums des Jnnern fort.

Berichterstatter Herr Becker- Cöln: Die Finanzlage der Ge- meinden wird immer |chlechter, während der Staat im Gelde {wimmt. Das kommt daher, daß der Staat die Gemeinden bei jeder Gelegen- heit heranzieht. Wenn das so weiter gehen soll, müssen den Ge- meinden neue Einnahmequellen ers{hlossen werden. Zunächst wäre es sehr danken8wert, wenn die Minister des Innern und der Finanzen eine Steuerstatistik der Gemeinden aufstellten. Dann würde eine Aenderung des Schuldotationsgeseßes niht lange auf sich warten lassen. 1 s Generalberichterstatter Graf von Königsmarck: Ich kann diesen Ausführungen nur beitreten. Namentlich in unseren kleineren Gemeinden sind die Steuerzushläge außerordentlich hoch. Nach § 33 des Kommunalabgabengeseßes find Grundstücke des os von der Kommunalbesteuerung \rei. Sobald z. B. die Ansiedelun; sfommission einen Hof kauft, fällt dessen Steuerlast den anderen Besitzern zu. Ebenso werden die Erwerbungen der polnischen Ansiedelungsbanken vom Oberverwaltungsgeriht behandelt, weil fie angeblih nicht des Erwerb3 wegen kaufen. Ich bitte die Regierung um Abstellung dieser Mißstände. E: i, :

Unterstaatssekretär von Bischoff3hausen: Die Ansiedelungs- güter haben feinen Domänencharakter und find daher der Besteuerung entzogen. Ih glaube nicht, daß die Ansiedelung8güter mit Ein- kommersteuer belastet werden dürfen. Der Grundsteuer aber unter- liegen sie. Was die generellen Ausführungen des Herrn Oberbürger- meisters Becker angeht, so hoffe ih, daß die Gemeindelasten ih ver- mindern werden. Den von Herrn Becker vorgeschlagenen Weg zur Abhilfe, die Aufstellung einer Statistik, hat die Regierung schon ein- geschlagen. Die Vorarbeiten sind im Gange. a

Herr Struckmann - Hildesheim: Für - die Aufstellung der Statistik bin ih der Regierung sehr dankbar. Ich bitte, dabei aber nicht nur die Steuerbela\tung zu beachten, fondern au die übrigen Belastung8momente in Betracht zu ziehen, namentlich die Kanal- gebühren. Eine wirksame Befserstellung der Gemeinden kann nur erfolgen, wenn es gelingt, die etränkfe mehr heranzuziehen. Billig kann ih es auch nicht finden, daß der Staat z. B. zur Erweiterung von Staatsschulen die Gemeinden beranizieht. Damit kommt man zu dem Prinzip: wer am meisten bietet, erhält den Zuschlag.

Ünterstaatsfekretär von Bischoffs hausen: Die Wünsche be- züglih der Statistik werden wir berücksichtigen. Ich benuge die Ge- legenheit, um den Herrn Minister zu entshuldigen. Er befindet sich auf einer Dienstreise und bedauert daher, an den Verhandlungen nicht teilnehmen zu können. E :

E SUANs eibe at: Glogau führt gleichfalls Fälle an, in denen der Staat die Gemeinden in zu weit gehender Weise herangezogen habe, und bittet, künftig niht formularmäßig, sondern unter Beachtung des Einzelfalls vorzugehen. j N

Herr DeiStwen ina Der Optimi8mus der Regierung bezüglich der Gemeindefinanzen ist sehr bedenklih. Ich kann diefen Optimismus nicht teilen, glaube im Gegenteil, daß die Kommunalaufgaben von Jahr ¡u Jahr wachsen werden. Die Bevölkerung wächst, die Schulen reihen nicht mehr aus, die Armenlasten wahsen. Da ift es klar, daß die Einnahmen nicht mehr ausreihen, denn das Kommunalabgaben- geleß leistet nit, was es soll; und daher sollte die Regierung an eine gründlihe Aenderung denken. Das Geseß muß vor allem erweitert werden und den Spielraum gewähren, den es den Städten bereits auf dem Gebiete der indirekten Besteuerung läßt. Jch bin ein entschiedener Gegner von Brot-, Fleish- und Getreidesteuer. Aber es gibt z. B. eine Bauholzsteuer, wie sie in Frankreich erhoben wird.

reilih bindet das Neich hier die Regierung. Aber gerade deshalb Dlle die Regierung bald auf eine Aenderung der Materie hinarbeiten.

Ein Regierungskommissar: Hinsichtlih der Geträrkesteuer sind wir nit untätig geblieben. Wir find aber gegenüber den Neichs- organen machtlos. Doch werden wir stetig auf eine Aenderung der Reich3gesetzgebung hinarbeiten. Dem Wunsche nah Aenderung des Komnmunalabgabengeseßes muß ih widersprehen. Es hat \ich z. B. auf dem Gebiete der Grundsteuer vorzüglih bewährt; auf Grund dieser sind die Städte zur Besteuerung nah dem gemeinen Werte übergegangen und haben so eine Verbilligung der kleinen Wohnungen erreidt. Auch auf dem Gebiete der Gewerbesteuer haben wir troß der Sprödigkeit der Materie erfreulihe Ansäße. Jn der Wertzusayz- steuer haben wir ein Beispiel an Frankfurt a. M. Diese Entwicke- lung geht frei vor si, nur gebunden an die Aufsichtsbehörde. Und diese bat die Zügel nah Möglichkeit locker gelassen. : Herr Zweigert-Essen: Die Freiheit der Kommunen ist keines- wegs gewahrt. Im Gegenteil! Der Herr Kommissar hat die Grund- und die Gtiverbeitbuer angeführt. Was heißt denn das? Das heißt: die Regierung hat das onus, Neues zu finden, den Städten überlassen. Ih würde mich freuen, wenn die Regierung jeßt auf dem Gebiete der Umsaßsteuer den Gemeinden eine größere Freiheit ließe. Damit könnten wir uns etwas helfen. Jch meine daher, daß die Revision des ommuna Ero namentlich in sozialpolitisher Hinsicht absolut notwendig ist. Was die Statistik angeht, so wird es, glaube ih, richtig sein, die auf den Kopf der Bes völkerung entfallende Belastung zu berechnen. i O

Generalberihterstatter Graf von Königs marck bittet, im Staats ministerium zu de mar nicht die Einkommen|teuerfreiheit er Ansiedelungs8güter aufheben folle. é ; E Korte: Königsberg bespricht die Verwaltung der Reservefonds der Sparkassen. Der Minister des Innern habe am 18. April einen Erlaß an die Oberpräsidenten ergehen lassen, dem zufolge über dic Frage der getrennten oder ungetrennten Verwaltung der Reservefonds Vorschriften nicht gegeben werden sollten. Darin sei die wohlwollende Absicht des Ministers zu erkennen, in die Verwaltung der Sparkassen nicht obne Not einzugreifen. Die am Schlusse dieses Erlasses gemachten

bürgt diese Gründlichkeit nicht unter allen Umständen. Zwischen 1500 und 15000 of. R iGoatlame scheint mir doch ein erbeblichon

behalte binsichtlich der gesonderten Behandlung der Zinsen der Röéfercetoids. ienen jedos thren Anlaß in der Hen leritue

der notwendigen Höhe der Reservefonds der Sparkaf / haben. Diese leßtere sei deswegen von großer Bedeutung, weil pvr. den gute Ergebnisse erzielenden Sparkassen eine zu weit gehende Fetsezung der Höhe des Reservefonds praktisch die Folge haben würde, daß diefen Sparkassen unter Umständen auf Jabrzebnte binaus oder, wenn sie sich in günstiger Lage befinden, überhaupt eine Verwendung zu anderen Zwecken als dem des Reservefonds ver- {losen sein würde. Wenn man aber bedenke, daß der Reservefonds niht Selbstiweck sei, müsse man die Ansammlung zu hoher Beträge in toter Hand für niht empfeblenswert balten. Das Interesse der Garantieverbände an der pfleglichen Förderung ihrer Sparkassen werde auch gemindert, wenn zu sehr bes{chränkende Bestimmungen getroffen würden. Man müsse den Gemeinden, namentlich armen Gemeinden, die Möglichkeit geben, Mittel auh für Zwecke, die der alltäglichen Wirklichkeit etwas ferner liegen, zu verwenden. Der Redner bittet den Minister, von der strikten Durchführung des Schlußsaßzes seines Erlasses wenigstens da, ‘wo dieser den bisberigen Gepflogenheiten widerspricht, abzusehen. :

Regierungskommissar, Geheimer Oberregierungsrat von Knebel- Doeberitz: Ueker die Höhe des Reservefonds ist gesezlih nichts Positives bestimmt, deswegen haben wir seit längerer Zett dur Erlasse das Nähere verordnet. Es kann auch nah dem wirtschaftlichen Aufs s{hwunge eine jahrelange wirtshaftlihe Depression eintreten. Des- halb müssen die Zinsen und sonstigen Erträgnisse dem Reservefonds zugeschrieben werden, bis er die vorgeschriebene Höbe erreiht hat. Der Erlaß vom 18. April ist kein Novum, er wiederholt lediglih, was wir seit Jahren in der Praxis beobachtet haben.

Herr Struckmann: Eine Sparkafsé ohne Uebershüsse würde auf ungenügender Grundlage basieren. Es ist ja richtig, daß die Ueber- {üsse niht der Hauptziweck sind. Aber zu gönnen sind die Ueberschüffe den Städten. Die Städte müssen naturgemäß die Kapitalien zum lande8üblihen Zinsfuß ausleißhen. Gäbe man aber den Einlegern einen ebensolchen Zinsfuß, so würden die Sparkassen große Bank- geschäfte werden. Das haben wir ja zur Zeit niedriger Bankzinssäßze erlebt. Wir wurden da mit Kapitalien übershwemmt, die nicht in die Sparkassen gehören. Sind also die Einnahmen unvermeidlih, so sehe ih nit ein, warum diese Einnahmen nit wie jede andere Eins nahme verwandt werden sollen. Darum bitte ih, an dem status quo nicht zu rütteln. E

Bei dem Kapitel „Landrätliche

Behörden und Aemter“ tritt : : z Herr Struckmann für eine Beschleunigung der Einstellung, landrâtlicher Hilfsbeamten ein und befürwortet es, ältere landrätliche Hilfsbeamte in eine Quasfi-Beamtenstellung zu übernehmen, wie man es in den Städten auch tue. /

Der Etat des Ministeriums des Jnnern wird genehmigt

Es folgt der Etat des Kriegsministeriums

Herr Körte: Die Lösung der Frage der Entfestigung Königs- bergs nimmt einen so unerfreulien Gang, daß wir obne Unler- stüßung der preußishen Minister niht zu Ende kommen werden. Wir ilen vom Neichsshaßamt zur Annahme eines Bebauungsplans ge- zwungen werden, der uns nicht ausreichende freie Pläye gibt, um den Ansprüchen der Hygiene zu genügen. Wir wünschen aber zu erbalten, was bi8her vom Festung2gelände dem Verkehr dient, vor aklem die Promenaden auf den Glacis. Das Reichsshaßamt will dies nit akzeptieren. Das wird dahin führen, daß wir entweder auf die hygienishe Ausgestaltung unserer Stadt oder auf die Entfestigung verzichten müfsen. Wir bitten die Regierung, dahin zu wirken, daß der Staat einen Teil der Kosten übernimmt, um Königéberg zu ent- lasten. / A

Graf von Mirbach: Hier liegt kein Unterschied ¡jwishen Stadt und Land vor, wie ih überhaupt glaube, daß die Interessen beider nicht ausgeinanderlaufen. So haben wir alle mit Königsberg Mitgefühl und bitten, die Frage -\chnell und wohlwollend zu lösen. Ich komme noch auf einen anderen Punkt, der damit nihcht in Zu- sammenhang ftebt: die Naturalverpflegung der Truppen. Die Säße, die die Militärverwaltung gewährt, find durchaus unzureichend, und die Lasten, die aus der Einguartierung erwacfen, sind um fo drückender, als davon meist das platte Land, die kleinen Städie und die minder Wohlhabenden betroffen werden. Die Leute segen zwar eine Ehre darein, die Truppen womöglih über ihre Leistungsfähigkeit hinaus zu verpflegen. Ob aber dieses gute Verhältnis weiterbestehen wird, wenn nicht die Entschädigungen erhöht werden, ersheint mir zweifel- haft. Jch möhte deshalb das Kriegsministerium bitten, in eine sorgs fältige Prüfung dieser tief einshneidenden Frage einzutreten und dabei auf den Rat der hochgestellten Militärs zurückzugreifen.

Graf von Wartensleben : Als einer der ältesten preußischen Generale möchte ich auch eine höhere Bemessung der Entschädigung befürworten. Es ist ja erfreulich, daß Truppeneinquartierungen immer noch gern und willig aufgenommen werden, daß das zweierlei Tuch noch immer Sympathie hat. Desbalb muß_aber auch in der angeregten Richtung etwas geschehen. Für die Offiziere könnte es allerdings bei dem Saß von 2,50 bleiben. Eine Einguartierung ohne Naturalverpflegung könnte ich nicht gutheißen. Viel wichtiger aber, als die Erhöhung der Einquartierungsgelder, erscheint mir die Fürsorge für die Kriegsveteraneh. Für diese sollte etwas geschehen, nahdem so viel davon gesprochen ist, und der Kreis der Veteranen sollte niht so eng bemessen werden, daß der äußerste Grad der Be- dürftigkeit Voraus8sezung ist. Das würde auch eine Stärkung im Kampfe gegen den Umsturz sein.

Herr Dr. Soetbeer-Glogau: Die Stadt Slogau befindet si in ähnlicher Lage wie Königsberg. Auch Glogau ist bei der Ent- festigung vom Kriegsministerium bezw. Neichsshaßamt bedaht worden.

Graf von Haeseler hält es vom militärischen Standpunkt aus für unzweckmäßig, höhere Einguartierungsentshädigungen zu zahlen.

Prinz zu Shönaich-Carolath: Seit Jahren bemühe ih mich, die Forderung der dauernden gänzlihen Erwerbsunfähigkeit aus dem Militärinvalidengesez zu entfernen. Wir hoffen, daß nach den wiederholten Beschlüssen des Reichstags es gelingen wird, unseren alten Freunden, den Soldaten, die des Reiches Größe mitgeschaffen haben, endlich gerecht zu werden. Nachdem der Antrag auf Ge- währung von Pensionen an die Kriegsteilnehmer von 1834 in der Kommission angenommen ist, werde ih, wenn der Antrag an das Plenum gekommen sein wird, hier einen gleihen Antrag eindringen.

Graf von Schlieben bält im Gegensaß zum Grafen Haeseler die Verpflegung durch die Quartiergeber bei erhöhten Quartiergeldern für das beste. i:

Graf von Haeseler tritt auf Grund feiner Erfaßrungen_ als Korpskommandeur für die Magazinverpflegung ein, bei der jeder Mann seine gute Portion Reis und Fleish im Tornister habe.

Der Etat des Kriegsministeriums wird bewilligt.

Beim Etat des Finanzministeriums beklagt :

Graf von Mirbach die ungünstige wirtschaftliche Lage Oft- preußens. Es möge ihr durch Verstaatlihung der Volksshulen und Wiedereinführung der Staffeltarife entgegengewirkt werden.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Die Entwickelung, die Ostpreußen in den leßten Jahren genommen hat, muß auch meines Erachtens bei jedem Vater- landsfreunde in der Tat Bedenken erregen. (Hört! bört!)

Wir haben ja allgemein in den öfstliden Provinzen mit dem {weren Niedergange der Landwirtschaft zu kämpfen. In dieser Be- ziehung ist Ostpreußen ebenso anzusehen wie die anderen östlichen Provinzen. Es kommt aber ein Moment hinzu, was die Situation für Ostpreußen besonders bedenklich erscheinen läft: tas ist die bereits von dem Herrn Grafen von Mirbach erwähnte Abnahme der Bes- völkerung. Bei der vorleßten Volkszählung wurde auß {hon in den ländlichen Bezirken eine Abnahme der Bevölkerung konstatiert; fie

! wurde aber au3geglihen durch eine gewisse Zunahme in den ost- | preußischen Städten. Bei ter legten Volkszählung ift auch dies leßte,