1904 / 134 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 09 Jun 1904 18:00:01 GMT) scan diff

erstere für den Saisonarbeiter für die ganze Zeit einen Tagelohn von ih will einmal sagen zwei Mark neben entsprehender Ver- pflegung ausgemacht hat, ift es zweifellos, daß der andere während der Erntezeit einen viel höheren Tagelohn ausgeben kann. Und nun, meine Herren, tritt die Verlockung ein: ohne daß der Arbeitgeber auch nur das Geringste weiß, ersheint an einem Sonntage im Kruge ein Vermittler, der dafür natürli von seinem Auftraggeber ein ge- wisses Entgelt erhält, und redet den Leuten vor: geht nur zehn Meilen weiter, dort bekommt ihr alle Tage drei Mark Lohn! Meine Herren, dem Arbeiter verdenke ih es nit; es ist ja ganz naturgemäß, daß er ih sagt: hier bekomme ih nur so viel, dort bekomme ih drei Mark, reisen wir morgen abend ab! Weg sind vie Leute, meine Herren. Der andere Besißer kann für die Zeit der Ernte, während des Getreideschnitts und namentlich bei \ch{lechten Witterungsverhältnissen sehr gut drei Mark ausgeben für die Leute, denn er hat keine Reisekosten, hat keine Vorschüsse - den Leuten gegeben, er hat nicht die Leute zu unterhalten und zu bezahlen gehabt während der Zeit, wo sie mit ihrer Arbeit eigentlih den ver- einbarten Say nicht verdienten. (Sehr richtig!) Diese Momente, meine Herren, muß ih gerade den Gegnern des Geseßentwurfs vor- halten. Meine Herren, wenn Sie in diese ländlichen Verhältnisse eindringen, so wird Ihnen klar werden, wie es möglich ist, daß die Leute zum Kontraktbruh verleitet werden; den Arbeitern kann ih es nit verdenken, wenn sie kontraktbrüchig werden, da ihnen so viel Geld mehr geboten wird, ich muß ‘es aber sehr bedauern, daß die Gesetzgebung bisher niht die Handhabe bietet, gegen folche Vermittler einzuschreiten.

Meiner Ansicht nah müssen sowohl die Vermittler als auch die Arbeitgeber getroffen werden, die dieser Vermittler sih bedienen. Meine Herren, ih möchte diese Landwirte als folhe Leute bes zeichnen, die ernten wollen, ohne zu säen. (Sehr richtig!) Darum, meine Herren, richtet sich ja auch dieses Gesetz tatsählich nicht gegen die Arbeiter, wie immer versucht wird darzustellen, sondern es soll sich ledigli rihten gegen die von mir ‘bezeichneten zwei Kategorien, d. h. einerseits gegen die Vermittler, welche die Leute veranlassen wollen, den Dienst zu verlassen, meistens ohne Grund, lediglih aus den von mir geschilderten Urfachen heraus, andererseits gegen die Landwirte, die gewissermaßen Naubbau treiben, wenn ich es so bezeichnen .foll.

Meine Herren, ich habe bisher von dem größeren Grundbesitz gesprochen, Sie wollen sch aber in die Lage unserer Bauern verseßen, derjenigen kleineren Besißer, welhe nit allein mit ihrer eigenen Arbeit auskommen, . sondern gezwungen sind, mit fremden Arbeitern ihre Wirtschaft zu betreiben. Diese kommen bezüglich ihrer Knechte und Mägde in die gleiche Lage. Heute lebt ein folher Mann in vollem Frieden mit seinem Knehte und mit seiner Magd. Da be- kommt ein Vermittler von jemandem einen Auftrag: schaffe mir \chnell Leute! Nun briht der Vermittler da ein, verspricht goldene Berge, wenn die Beschäftigung au meistens nur auf kurze Zeit ift. Dadurch werden die Leute veranlaßt, heimlich den Dienst zu ver- lassen, und wie tief das in die Verhältnisse cines Besitzers eingreift, wollen Sie sich daran vergegenwärtigen, wenn, wie ih aus den verschiederen Berichten ersehen habe, ein Bauer des Morgens aufsteht und plößlih sieht, daß weder Kneht noch Magd da ist, daß kein Mensch da ist, der seine Pferde füttert und seine Kühe melkt. Diese Verhältnisse sind tatsählich eingetreten, und fie Le- dürfen nah Ansicht aller ländlihen Kreise unbedingt der Abhilfe. (Sehr richtig!) Es besteht eben ein wesentliher Unterschied zwischen der Arbeit in der Industrie und den Arbeitsverhältnissen in unsern ländlichen Kreisen.

Es ist von verschiedenen Seiten, und ih glaube auch in der Prefse darauf hingewiesen worden, daß die Neichsgeseßgebung es nicht zulasse, daß auf diesem Gebiete landesgeseßlich vorgegangen werde. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, daß mehrere deutsche Staaten be- reits auf diesem Gebiete ziemlich ähnlihe Bestimmungen erlassen Haben, und daß zweifellos das Auétführungëgeseps zum Bürgerlichen Geseybuh auch Preußen gestattet, diefe Materie durch Landesgesctz- gebung zu ordnen, sofern niht ctwa eine reihsgefeßlihe Regelung auf diesem Gebiete stattgefunden hat, was niht der Fall ist.

Weiter ist, wie ich glaube, auf den. § 626 des Bürgerlichen Gesezbuhs hingewiesen worden. Der Herr Justizminister, der ja au hier ist, wird eventuell auf diese Frage näher eingehen können. Fch glaube, ob ein wirkliher Grund dafür vorliegt, ohne Kündigung die Arbeit zu verlassen davon handelt diefer Paragraph das wird das Gericht zu entscheiden haben. Das liegt ja aber auf einem ganz anderen Gebiete.

Ich komme nun auf die Frage das ift ja vielleidit diejenige, die manche Sorge mat der sogenannten Vermittler. Man hat gesagt, die bezüglihe Bestimmung des Entwurfs enthalte einen Ein- griff in die Gewerbeordnung. Ich glaube, es liegt hier ledigli eine Einschränkung ihrer Tätigkeit dahin vor, daß es dem Vermittler untersagt ist, zum Kontraktbruh zu verleiten, was" ich für unbedingt notwendig halte. Ich möŸhte aber immer wieder hervorheben und zwar besonders auch deshalb, weil von sozialdemokratisher Seite immer das Moment hervorgehoben wird: Jhr ländlichen Arbeiter, bedenkt, wie man euch eure Rechte nehmen will! meine Herren, um die ländlichen Arbeiter, die ständig bei uns find, braucht stickch weder die Sozialdemokratie noch irgend einer zu forcen! (Sehr richtig !) Diese Leute finden in dem festen Arbeitsverhältnis, welhes zwischen ihnen und den Arbeitgebern auf dem Lande befteht, ihre volle Be- friedigung und werden auch nie von diesem Gesche betroffen und berührt werden. (Sehr richtig! rets.) Meine Herren, es handelt ih hier um ganz andere Elemente, in der Hauptsache um unsere Saisonarbeiter, d. h. um Leute, die zum großen Teil gar nicht einmal unserem Vaterlande angehören, die also, in ganz anderer Situation groß geworden, nicht die geseßlihen Verhältnisse unseres Landes zu übersehen vrrmögen und die eben durch vage Versprehungen meiner Ansicht nah auf falshe Bahnen gelenkt werden. (Sehr richtig! rechts.) Da gilt es vor all:zm, daß wir dagegen vorgeben.

Ebenso liegt die Frage bei dem Gesinde. Meine Herren, bezüglich dieser muß ih sagen, es ift unbedingt notwendig, daß wenigstens die Möglichkeit geschaffen ist, gegen folhe Vermittler vorzugehen, die die Leute veranlassen, heimlih, ohne jeglihen Gund, ihre Arbeit zu verlassen. Es liegt also das möchte ih immer wieder betonen in dem Gesetz lediglich die Absicht vor, gegen Vermittler, falls sie zum Vertragsbruch verleiten, vorgehen zu können; es liegt in dem Geseh ferner die Absicht vor, gegen die Arbeitgeber vorzu- gehen, die Situationen sich nußbar machen, welche nach der Auf-

fassung weiter Kreise niht Rechtens sein können und niht Rechtens sein dürfen.

Man wird mir ja vielleicht entgegenhalten : wie is es möglich, daß die Landwirte nicht selber durch sih die Ordnung schaffen? Ja, meine Herren, oft sind die momentan vorliegenden Verhältnisse ftärker wenn ih es so bezeihnen darf als das Anstandsgefühl des be- treffenden Mannes, und außerdem gibt es leider au viele Leute, die, möchte i sagen, aus diesen traurigen Verhältnissen unserer Land- wirtschaft für ih, also aus Eigennuy, Vorteil zu ziehen versuWen. Darum, meine Herren, ist die Absicht des Gesetzes, nah dieser Nich- tung hin einen wihtigen Riegel vorzuschieben.

Nun möchte ich noch auf einige Punkte eingehen, die der Herr Vorredner berührt hat.

Zunächst sagt er: das Geseß sei viel weiter gegangen als die Resolution, die damals hier im hohen Hause zur Annahme gelangt sei. Meine Herren, nach Ansicht der Regierung liegt es gerade um- gekehrt; der Passus der Resolution: „. . . während der Dauer dieser Verpflichtung im Dienst behält, sofern niht vier Wochen seit seiner unrechtmäßigen Lösung verstrichen sind" geht weiter als das Geseß. Wenn die Herren § 1 sub 1 nachlesen, so heißt es da:

Wer Dienstboten (Gesinde) oder landwirtshaftlihe Arbeiter, von denen er weiß oder bei Anwendung der erforderlihen Sorgfalt wissen muß, Also es ist entscheidend der Moment, wo der Betreffende das Arbeits- verhältuis eingeht. Es liegt also hier meiner Ansicht nah eine Ab- \{chwächung gegenüber der Resolution vor. Wir wollten niht so weit geben, wie die Resolution.

Ebenso, meine Herren, war noch in der Resolution des Abgeordnetenhauses die Staatsregierung aufgefordert, auch den Arbeit- geber zu bestrafen, der vertragsbrühige Arbeiter nah erlangter Kenntnis der entgegenstehenden Verpflichtungen im Dienst behält. Die Staatsregierung hat indes von der Einführung einer solhen Straf- bestimmung aus folgenden Erwägungen Abstand genommen.

Eine Strasbestimmung der gewünschten Art müßte zur Voraus- seßung haben, daß der Arbeitgeber auch zivilrehtlich zur \ofortigen Entlassung tes vertragsbrüchigen Arbeiters berehtigt ist. Das vertrag- lie Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem landwirtschaft« lien Arbeiter ist nah dem Bürgerlichen Geseßbuh zu beurteilen. Das Bürgerlihe Geseßbuch kennt die Begehung eines Vertragsbruchs nicht als bcsonderen Entlafssungsgrund, \fondern bestimmt in § 626 lediglih, daß ein Dienstverhältnis von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn ein „wichtiger Grund" vorliegt. Was aber als wichtiger Grund anzusehen ist, muß im Einzelfalle der richterlichen Würdigung überlassen bleiben. Es erschien, deshalb bedenklih, landes- geseßlich die Entlassung eines vertragsbrüchigen Arbeiters unter An- drohung von Strafe zu fordern, während die Entscheidung der Frage, ob diese Entlassung zivilretlich erfolgen durfte, nah Reichsrecht zu beurteilen ist und unter Umständen hätte verneint werden können.

Also, meine Herren, hier hat die Staaatsregierung in bezug auf die Resolution eine Einschränkung vorgenommen, und ih möchte auch darauf hinweisen: aus verschiedenen Verhandlungen landwirtschaftliher Kreise ist mir bekannt geworden, daß man der Staatsregierung bezw. mir den Vorwurf macht, es sei ein sehr zahmer Gesetzentwurf {ließe lich entstanden. Da möchte ih das hohe Haus doch bitten, zu er- wägen, daß wir uns nicht auf Gebiete begeben dürfen, wo wir unter Umsiänden mit der Reichsgeseßgebung in Kollision kommen können, während dieses Gebiet, auf dem der Entwurf fih bewegt, zu bestrafen den Vermittler, den Arbeitgeber, nah der jeßigen Lage der Geseßt- gebung lediglih der preußishen Geseßgebung unterliegt.

Meine Herren, ih bin mir sehr wohl bewußt, daß dieser Geseß- entwurf, falls er die Billigung des hohen Hauses finden sollte, die traurigen Arbeitsverhältnisse niht plößlich ändern, nicht plößlih gute Verkbältnisse hafen wird. Aber ih glaube, wir müssen auf diesem Gebiete vorgehen : sonst entwickeln si nah der bisherigen Erfahrung immer traurigere Verhältnisse gerade in der Landwirtschaft. Meine Herren, ih möchte darauf hinweisen das wird mir jeder der Herren aus dem hohen Hause, ich glaube, slb von der äußersten Linken, zugeben : es ist sehr traurig, wenn wir heute in unserer Landwirtschaft große Landstrecken nicht mehr bestellen können, weil es an den Arbeitern fehlt. Ich las dieser Tage cinen Auffatz in einem großen Blatt, wo immer wieder gesagt wird: ihr Landwirte könnt ja das Gebiet, auf dem ißr bestellt, gar niht erweitern. Ih möchte den bctreffenden Artikel- schreiber doch mal bitten, mit hinauszukommen, um fi zu überzeugen, wie weite Flächen unseres Vaterlandes der landwirtschaftlihen Kultur noch ers{hlossen werden könnten, wena wir die Arbeiter dazu hätten, und wie auf der anderen Seite speziell find mir die Fälle vom Elsaß bekannt Leute, die cinen größeren Bezirk haben, die Land- wirtschaft aufgeben mußten, weil fie tatsählich nicht in der Lage waren, ihren Weizen einzuernten, sondern sehen mußten, wie die Frucht, die der liebe Gott ihnen hat wachsen lassen, s{ließlich dem Verderben anheinigegeben war.

Aus allen diesen Erwägungen heraus möchte ih Sie bitten, doch diesem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben, und möchte immer erneut das bervorheben : es handelt sich tatsählich nicht um die Arbeiter, sondern es handelt sich um diejenigen, welche «die Arbeitsgelegenheit geben, um diejenigen, die vermitteln, daß Arbeiter auf die bezügliche Stelle kommen. Ich glaube, am Schluß meiner Rede nohmals hervorheben zu sollen, daß gegen unsere eingesessene ländlihe Arbeiter- bevölkerung diefer Entwurf wahrlih nicht gerichtet ist, sondern tat- sächlich nur gegen die vagierende Bevölkerung, die heute, veranlaßt aus den verschiedensten Ursachen, ihren Dienst ohne Grund, chne Er- wägung aller Verhältnisse verläßt und damit in Frage stellt, cb der betreffende Besizer überhaupt noch fein Vieh süttern und scine draußen auf dem Felde stehende Ernte einbringen kann. Darum bitte ih das Haus, aus diesen Erwägungen heraus in cine Prüfung des Geseßy- entwurfs einzutreten und niht dem Herrn Vorredner zu folgen, der ein absolutes non possumus entgegenstellt, vielmehr dur eine ein- gehende Prüfung der einshläzigen Verhältnisse dazu beizutragen, daß für unsere Landwirtschaft auf diesem Gebiete etwas geschieht, was nah Ansicht weiter ländlicher Kreise ein unbedingtes Erfordernis ist. (Lebhafter Beifall.) ;

Abg. Reine cke-Sagan (freikons.): Seit 1890 is 11 mal die Forderung nach einer derartigen Ausgestaltung unserer Gesetzgebung erhoben worden. Die Bedenken, die der Abg. Wolff-Lifsa geltend ge- macht hat, kann ih als alter Landwirt und Praktiker nicht anerkennen. Meine polítischen Freunde find mit mir der Staatsregierung sehr

dankbar dafür, daß sie uns diesen Entwurf gebracht hat, von dem wir hoffen, daß er Geseß wird. Die treffenden, klaren Ausführungen des

Ministers kann ih durchweg untershreiben, Von dem \krupellosen

Vorgehen der Agenten und Vermittler, die Arbeiter widerrechtlih zum Verlassen des T ienstes zu verleiten und zu verführen, lassen fh die

krassesten Beispiele anführen. j Me Rui E Die Vorlage ändert an der bisherigen

Gesetzgebung, die fih mit dem Kontraktbruh befaßt und sich gegen [F die Arbeitnehmer richtet, nihts: es follen hier die Arbeitgeber ge, Wir werden der Vorlage zustimmen, obwohl sie f

troffen werden. 1 1 10 nur wenig bietet und wir gewünscht hätten, es wäre eine völlige Einheitlichkeit auf diesem Gebiete zu erreichen gewesen. Jeder Arbeit, geber kann \fich sichern und erfahren, ob ein Arbeiter kontraktbrüchig

ist oder niht. Daß die Vermittelung von Arbeit für einen kontrakt, F

bestraft werden soll, ift dur.

brüchigen Arbeiter ohne Antra aus gerechtfertigt.

fontrakftbrühige Arbeiter angenommen hat und deswegen {on auf

Grund dieses Gesetzes bestraft worden, ist fra die wiitigite Bs V ; age D au

stimmung der Vorlage. Wir stehen al wohlwollend gegenüber und hoffen, daß sie zur Annahme gelangen wird. Wir glauben, M eiben Glaube und das Rechtsbewußt\cin durch dieses Gesetz gestärkt werden. / r

B de Gold schmidt (fr. Volksp.): Son im Jahre 1879 hat eine Konferenz unter dem Landwirt chaftsminister König8marck sh mit diesem Gegenstande befaßt, ist aber zu der Entscheidung ge-

kommen, daß die Bestrafung des Kontraktbruchs nur reiêgeseßlich ge,

regelt werden kann. Auch später hat die Regierung erklärt, daß diese Frage zur Reichsfompetenz gehört. Wie kommt nun der Landwirt,

\chaf1sminister zu der entgegengeseßten Auffassung? Noch 1899 hat ber 4

Vertreter des damaligen Landwirt|chaftsministers von Hammerftein hier in der Kommission erklärt, daß eine Verschärfung des Kontraktbruhs die landwirtschaftlihen Arbeiter erst recht in die Industrie treiben würde, Jetzt macht dagegen der Minister von Podbielski diefe BVoilage, aller- dings wohl mehr der Not gehorchend als dem eizenen Triebe; denn er sazte selbst, daß eine große Mehrheit die Vorlage verlangt habe, Ünsere Minister sind ja konstitutionel und richten ih nah der Mehrheit des Parlaments. Die Vorlage widerspriht aber dem Nechtsbewußtsein und der Reichsgewerbeordnung. Die Landesgesegz- gebung kann das Necht des Arbeitgebers zur Annahme von Arbeitern nit beshränken. In den §§ 34 und -38 der Gewerbeordnung sind die Befugnisse der Landesbehörde egenüber den Arbeits, vermittlern geregelt. Danah hat die Landesgeseßgebung nicht das Recht, solhe Strafen für Arbeitsvermittler festzuseßen. In der Mißkilligung des Kontraktbruhs stimmen wir mit dem ganzen Hause überein, abér wir bestreiten, daß die Einzelstaaten das Recht haben, ein solches Geseß zu erlassen. In der modernen Zeit können wir niht mehr Gesetze elassen, die ein \chweres Unrecht früherer Gefeße in bezug auf die landwirtschaftlihen Arbeiter verallgemeinern. Die „Köln. Volksztg.*“ nennt diese Vorlage ein Ausnahmegesey gegen die landwirtscaftlihen Arbeiter. Die noch bestehenden Gesindeordnungen

stammen zum Teil aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die [f seit 1810. Diese ganze Rechts: i materie und besonders die Rechtsunsicherheit in den einzelnen Staaten Die Arbeiter verlangen die Ablehnung |

preußische Gesindeordnung besteht

bedarf dringend einer Nevision. A] dieser Vorlage, ih beziehe mich besonders auf den Bes@Wluß des 15. Verbandstages der deutshen Gewerkvereine, der die volle Koalitioasfreiheit für die ländlichen Arbeiter und ihre Gleichstellung mit den gewerblihen Arbeitern verlangt hat, und auf die » West- deutsche katholishe Arbeiterzeitung“, welhe diese Vorlage als eine Üngeheuerlihkeit bezeichnet. Die „Deutsche Gärtnerzeitung“ hat di: Vorlage cine böse Entgleisung der preußishen Regierung genannt. Schon die Ueberschrift der Vorlage is verkehrt, sie bätte Heißen müssen: Gesetzentwurf zur Vermehrung der Landflucht. Vie Vorlage wird nochß mehr Arbeiter aus dem Osten in die Siädte sühren, Man fagt, dieses Gesey treffe nur die ausländischen Arbeiter und die Arkcitgeber, die ausländishe Arbeiter beschäftigen.

auf alle landwirtschaftlihhen Arbeiter Anwendung- finden, gleichviel ob es deutshe oder fremde sind. Man verwendet große Summen zur Stärkung des Deutshtums im Osten. Sibt es aber eine größere Gefahr für das Deutshtum, als wenn man einen fo starken Import fremder Arbeiter herbeiführt, wie es unsere Landwirtschaft im Dsien tut? Sie treiben den letzten deutshen Arbeiter mit solchen Veaß- 2 2 ( x 4 c 4 L 0. 2 D N

regeln wie diesem Geseßentwurf aus dem Diten und. aus der Land- r e : : : M otns Tro do wirtschaft, in der er keine Arbeit mehr finden kann. Meine Freunde find nicht bereit, diese Wege zu beschreiten, die man uns hier vor- \hiägt. Schuld an der Einbringung dieses Gesezentwurfs ift eigentlich das Zentrum, dessen Nedner, der Abg. Herold, am 10. Februar für ein solhes Gesetz eingetreten ist. Aber das Zentrum verleugnet feine Vergangenheit, wern es dieser Vorlage zustimmt Die Borlage kann in der Kommission auch nicht verbessert werden; sie ohne Kommilsstions- beratung abzulehnen, wäre ihr verdientes Schictsal. Nach der _— , c 4 C, m a C nv Siimmung in der Bevölkerung hoffe ih, daß auch das große Zen! rum ih gegen die Vorlage wendet. Mit solchGen Strafen kann man Treu und Glauben nit stärken. Sie fönnten selbsi mit der Todesstrafe den Kontraktbruch nicht beseitigen. Wenn diefes Gese die Leutenot noch verschlimmert haben wird, werden die Landleute mit uns sagen: das Gesetz ist niht das Papier wert gewesen, auf dem es gedruckt ift.

Justizminister Dr. Schönstedt:

Meine Herren! Auf die wirtshaftlihe Seite des Ihnen vor gelegten Gesetzentwurfs, auf die Vecrteile, die die Landwirtschaft von ihm erhofft, auf die Gefahren, die auf anderer Seite von seiner Ein- führung befürchtet werden, lasse ich mich nit ein; i glaube, das berufeneren Stellen überlassen zu müssen, Vorläufig stehen die Ver- treter der Landwirtschaft auf dem Standpunkte, daß für die Gesun- dung der landwirtshaftlihen Verhältnisse dieser Geseßentwurf wefent- liche Besserung verspricht, und da die Herren von der Landwirtschaft

so möchte ih mi jedenfalls nichtk mit ihnen in Widerspruch setzen und niht auf den Boden des Herrn Abg. Goldshmidt treten. Die Resolution, die zu dieser Geseßesvorlage geführt Hat, ift ja vor wenigen Monaten von einer überwältigenden Mehrheit dieses Hauses angenommen worden. Der Geseßentwourf hält sich im Rahmen diefer Resolution; er hat eine Bestimmung, wie schon der Herr Landwirts \chaftsminister gegenüber den Ausführungen des Herrn Abg. Wolff ausgeführt hat, gemildert, er enthält aber in keiner Bestimmung etwa, was von der Resolution des hohen Hauses abginge.

Als meine Aufgabe betrachte ih es lediglich, die juristische Seite der Sade mit einigen Worten zu erörtern. Es ist aa erster Stelle die Behauptung aufgestellt, und zwar mit besonderer Schärfe von dem Herrn Abg. Goldschmidt, daß zu dem Erlasse des in Aussicht ge-

nommenen Gesetzes die Lande9gesczgebung überhaupt nit zuständig |

sei, daß die Materie aus\chließlich der Neichëgeseßgebung vorbehalten sei. Der Herr Abg. Goldschmidt hat si dabei berufen auf historische Vorgänge aus den 1870 er Jahren, die fast gleihlautend bereits im Jahre 1902 von dcm Herrn Abg. Dr. Barth in der Sihung vom

4. Juni hier vorgetragen find. Es ist richtig, daß anfangs der 1870er *

Jahre ich glaube, im Jahre 1873 die Reichêregierung einen dieselbe Materie betreffenden Gesezentwurf an den Reichstag gebrach! hat. Dieser Gesetzentwurf ist nicht zur Verabschiedung gelangt; et ist zu einer Verständigung über ihn nit gekommen, man hat sid darüber nit einigen können.

(Schluß în der Zweiten Beilage.)

Die stärkere Bestrafung desjenigen, der wiederholt [F

rbeiter _ i _Waraum| sagt man das nicht deutlih in dem Geseß selbst? Die Vorlage wird |

M 134.

(S(hluß aus der Ersten Beilage.)

Demnächst haben wie der Herr Abg. Goldschmidt angeführt hat Beratungen im Landwirtschaftlihen Ministerium über Aufstellung anderer, neuerer Geseßentwürfe stattgefunden, und zwar soll sih in dem Protokoll oder in einem Bericht, der darüber erstattet ist, der Saß finden: „daß Strafbestimmungen gegen die Verleitung zur Arbeitseinstellung und gegen Kontraktbrüchigkeit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur im Wege der Reichsgeseßgebung erlassen werden können“.

Meine Herren, dieser Bericht ist mir nicht bekannt. Die Be- deutung und Tragweite dieses Saßes wird sich nur beurteilen lassen, wenn man den ganzen Bericht zur Hand hat und sieht, in welchem Zusammenhange sich der Sah dort findet. Jh bin zunächst zu der Annahme geneigt, daß man nur deshalb die Reichs- geseßgebung als aus\{ließlich für diese Materie anzurufen angesehen hat, weil damals eben die Absicht bestanden hat, diese Materie ein- heitlih für das ganze Deutsche Reich, also nur im Wege der Reichs- geseßgebung, zu regeln; und daß die einheitliße Regelung dieser Materie für das ganze Deutsche Reih wünschenswert wäre, darüber wird eine Meinungsverschiedenheit, glaube ih, niht bestehen. Auf demselben Standpunkt ‘hat dann offenbar noch der Herr Landwirt- \chaftsminister, der Ende der 70er Jahre dieses Ressort inne hatte, gestanden, indem er in seiner Denkschrift den gleichfalls vorgelesenen Say ausgesprochen hat:

Strafbestimmungen gegen den widerrechtlichen Kontraktbruh könnten in dem vorzuliegenden Gesegentwurf keine Aufnahme finden. Es bedürfe das keiner weiteren Ausführung; denn dieser Gegenstand sei \sozusagen rechtshängig bei den zur Reichsgeseßgebung kompetenten Instanzen, und es werde {hon um deswillen die Partikulargesetz- gebung darauf verzihten müssen, der Reichs8gesezgebung zu prä- judizieren.

Meine Herren, dieser Saß hätte keinen rechten Sinn und würde nicht zu verstehen sein, wenn man ihm eine andere Bedeutung unter- legte als die, daß die Landesgeseßgebung. sich deshalb niht mit der Materie befaßt habe und befassen wolle, weil die Reihsorgane noch mit derselben Materie beschäftigt seien, weil fie dort eben anhängig sei. Nur fo läßt sich auch der Schlußsatz erklären, in dem es heißt: Aber aus diesem Grunde, wegen der sozusagen Nechtshängigkeit müsse die Partikulargeseßgebung darauf verzichten, der Neichs- judikatur zu präjudizieren ; denn darin ist doch ganz deutlich ausgesprochen, daß der damalige Herr Landwirtschaftsminister an und für sich die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung zu einer solchen Präjudizierung anerkannte; sonst hâtte er den Saß garnicht aus\prehen dürfen. Er hat aber mit Rük- sicht auf die damalige Lage der Sache davon abgesehen.

Nun, meine Herren, habe ih in den Ausführungen des Herrn Golds{midt eine nähere Begründung dafür vermißt, weshalb denn diese Materie nur reihsgeseßlich geregelt werden könne. (Abg. Gold- \chmidt: §8 34 und 38 der Neichsgewerbeordnung!) Die Be- stimmungen der Reichsgewerbeordnung bilden nicht einen Teil der Reichsverfassung, und aus ihnen wird sih eine verfassungsmäßige Unzulässigkeit dieser Gesetzgebung nicht herleiten lassen. An und für sich liegt die Sache so, daß es sich hier um eine strafrehtlihe Materie handelt, die im Strafgeseßbuch ihre Erledigung niht ge- funden hat, die dort offen geblieben ist, und die deshalb von der Landesgesetzgebung ergriffen werden darf. (Sehr rihtig! rechts.) Wenn nun der Herr Abg. Goldschmidt mich jeßt wiederholt auf die S8 34 und 38 der Gewerbeordnung aufmerkfam mat, von denen er ja mit ziemlich großem Selbstvertrauen behauptet hat, daß sie ofen- bar den Herren, die das Gesetz verfaßt hätten, niemals zu Gesicht ge- kommen wären es ift ja eine ziemlich kühne Behauptung; ih will sie niht zurückgeben —, dann, meine Herren, glaube i, befindet er sich, gelinde gesagt, in einem starken Irrtum.

8 34 der Gewerbeordnung befaßt \sich nur mit der Frage der Zulassung der Stellenvermittler zum Gewerbebetriebe, die nur versagt werden kann aus besonders wichtigen Gründen. Mit dieser Zulassung beschäftigt ch aber der vorliegende Entwurf niht. Wozu die gewerbs- mäßigen Vermittler in ihrem Geschäftsbetriebe befugt sind,“ darauf bezieht sih allerdings § 38 der Gewerbeordnung; aber er enthält nicht das, was der Herr Abg. Goldschmidt herausgelesen hat. Denn § 38 lautet in seinem ersten Absaß dahin:

Die Zentralbehörden find befugt, über den Umfang der Befugnisse und Verpflihtungen sowie über den Geschäftsbetrieb der Stellenvermittler

ich übergehe die anderen Kategorien soweit darüber die Landesgeseße niht Bestimmungen treffen, Vorschriften zu erlassen.

Die Gewerbeordnung sieht also ganz ausdrücklich den Fall vor, daß über den Umfang der Befugnisse und der Verpflichtungen der Stellenvermitiler die Landesgeseze Bestimmungen treffen können. (Zuruf links: Umfang!) Ueber den Umfang! Was tut nun das vor- liegende Geseß? Es beschäftigt sich an und für sich gar nicht mit den gewerbemäßigen Stellenvermittlern als folchen, sondern mit der Stellenvermittelung im allgemeinen, und zwar mit der in gewinn- süchtiger Absicht unternommenen, und stellt unter Strafe eine in ge- winnsüchtiger Absicht unternommene Stellenvermittelung unter den im Gesetz ausgesprochenen Voraussetzungen. Es ist also eine allgemeine Strafandrohung, die jeden auch den Nichtgewerbetreibenden trifft, und es ist ein anerkannter Grundsaß, daß auch für den Bereich der Gewerbegeseßzgebung die Gewerbefreiheit nicht das Neht gibt, ein Gewerbe in Widerspruch mit allgemeinen strafgeseglihen Be- stimmungen zu betreiben. Das is bei der Entstehung der Gewerbeordnung ausgesprohen, das findet man in den Motiven und wird von sämtlihen Kommentatoren anerkannt; das ist auch in der Nehtsprehung außer allem Zweifel. Es wäre ja au ein wunderbarer Rechtszustand, wenn eine an und für sich und allgemein für strafbar erkannte Handlungsweise deshalb nit mit Strafe bedroht werden könnte, weil die Tätigkeit gewerbemäßig be-

Zweite Beilage | zum Deutschen Reihhsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

Berlin, Donnerstag, den 9. Juni

trieben wird. Vorschriften, die für jedermann gelten, binden eben au den Gewerbetreibenden, und ich glaube, der Herr Abg. Gold- \{chmtdt würde zu einem anderen Ergebnis kommen als dem von ihm ausgesprochenen, wenn er die Güte hätte, diese §8 34 und 38 der Gewerbeordnung noch etwas genauer zu prüfen.

Es ist dann weiter behauptet worden, der Geseßentwurf sei des- halb unzulässig, weil die Arbeitsverhältnisse ja in der Gewerbeordnung ihre Erledigung gefunden hätten. Insbesondere hat der Herr Abg. Goldschmidt auf die §8 124 und 125 der Gewerbeordnung hingewiesen, dabei aber vollständig übersehen, daß diese Bestimmungen wie die Gewerbeordnung überhaupt sich nur mit gewerblichen Arbeitern beschäftigen und nicht mit den landwirtshaftlichen. (Sehr richtig! rechts.) Also auch damit ist nichts zu machen! Wären die Ausführungen des Herrn Abgeordneten richtig, so müßte auch das Gesep vom 24. April 1854 feine geseßlihe Gültigkeit verloren haben; denn das beschäftigt sich ja auch mit dem Kontraktbruch landwirtshaftliher Arbeiter und droht hier unmittelbar Strafen an. Widerspräche das der Reichsverfassung oder anderen Neichgeseßen, so könnte das Geseß niht mehr angewandt werden. Es besteht aber in der gerihtlihen Praxis kein Zweifel, daß das Gese noch in voller Gültigkeit ist; das ist im Jahre 1902 durch ein Urteil des Kammergerichts, das ich Ihnen vorlegen könnte, aner- kannt worden. Ebenso is für ein ähnliches Gesetz, das für das Herzogtum Anhalt erlassen worden ist, die Rechtsgültigkeit gegenüber der Reichsgeseßzgebung durch ein Urteil des Oberlandesgerihts in Naumburg anerkannt worden. Ich glaube deshalb nit, daß diese Bedenken irgend jemand bestimmen können, von der Mitwirkung an der landesgeseßlihen Regelung der vorliegenden Materie abzusehen.

Meine Herren, ih gebe ja zu, daß die Fassung des Gesetz- entwurfs vielleiht nicht vollflommen unanfechtbar ist, und daß mög- liherweise Dinge herausgelesen werden können, die, wie aus der Be- gründung klar hervorgeht, seitens der Königlichen Staatsregierung nit becbsihtigt worden sind. Deshalb bin ih— in diesem einen Punkte stimme ih dem Herrn Abg. Goldschmidt bei der Ansicht, daß es rätlih \ein würde, das Geseß einer Kommission zu überweisen, um es dort in seinen Einzelheiten noch nachzuprüfen.

Es ist weiter gesagt worden, das Geseß richte sih tatsählich gegen die Arbeiter und nit gegen die Arbeitgeber. Das ist insoweit richtig, als in dem Gesetze ein Mittel erblickt wird, wie hon aus der Ueber- {rift hervorgeht, den Kontraktbruh der Arbeiter zu erschweren. JIn- soweit ist allerdings eine mittelbare Wirkung des Gesetzes beabsichtigt.

Nun ist darauf hingewiesen worden, daß aus der Anwendung der Bestimmungen des Bürgerlihen Geseßbuhs sih besondere Schwierig- keiten ergeben könnten; es ist hingewiesen worden auf den § 630 B. G.-B.,, wonach bei Beendigung eines Dienstverhältnisses der ausscheidende Arbeiter das Recht hat, ein \{riftliGes Zeugnis des Arbeitgebers über das Dienstverhältnis und dessen Dauer zu ver- langen, und es is gesagt worden, es sei sehr wohl denkbar, daß nun, obwohl ein wichtiger, geseßlich zulässiger Grund zur vor- zeitigen Aufhebung des Dienstverhältnisses vorgelegen hat, der Arbeit- geber das Zeugnis verweigert, und nun ein anderer Landwirt sich shwer entschließen würde, auf die Gefahr hin, sich felbst der Be- strafung auszusetzen, einen solhen Arbeiter in Dienst zu nehmen. Ich gebe zu, daß dieser Punkt eingehender Prüfung und Erörte- rung bedarf.

Ein gewisses Korrektiv bietet ja der von dem Abg. Kuntze {on erwähnte § 3, der den Arbeitgeber, der in rechtswidriger Absicht die Erteilung eines solchen Zeugnisses versagt, mit Strafe bedroht. Diese Bestimmung wird den Arbeitgeber, der nicht vollständig davon durch- drungen ist, daß ein rechts8widriger Kontraktbruh vorliegt, veranlassen, in zweifelhaften Fällen lieber dem abziehenden Arbeiter das Zeugnis zu geben, als es zu versagen; denn er seßt sih, wenn nachher für fest- gestellt erahtet würde, daß der Arbeiter geseßlihen Grund hatte, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, nicht nur unter Umständen der Bestrafung, sondern auch einem Sadensersazanspruche aus, der recht erheblich sein kann. Allerdings kann von diesem möglihen Ersazanspruhe der Arbeiter, solange er nicht eine andere Stelle gefunden hat, niht leben, und vielleicht ist auch der Trost nicht ganz ausreichend, den der Herr Abg. Kunze ihm ge- geben hat, später werde ihn der frühere Arbeitgeber dafür entshädigen müssen, daß er, weil ihm der Abkehrschein fehlte, niht alsbald wieder eine andere Arbeit habe finden können. Damit ist ihm nicht viel ge- holfen, und ih würde es für eine Verbesserung des Gesetzes halten, wenn noch eine Fassung gefunden würde, die eine etwas größere Ge-

. währ dafür gibt, daß der Landwirt, der einen fsolchen Arbeiter in

seine Dienste nimmt, niht der Gefahr ausgeseßt ist, sich in dem Um- fange, wie es der Wortlaut des Gesetzes vielleiht tut, selbst strafbar zu mahen. Jch halte es nicht für unmöglich, eine folche Fafsung mit diesem hohen Hause noch zu vereinbaren, und wenn dieser Erfolg erreicht würde, würde ein Teil der Bedenken, die von anderer Seite gegen das Geseß erhoben worden sind, seine Berechtigung verlieren.

Meine Herren, das ist das, was ih für heute über die rechtliche Zulässigkeit des Geseßes ihnen zu sagen habe.

Zu den Einwendungen, die im Hause selbst angeführt sind, gehört noch eine, die der Herr Abg. Wolff vorgebracht hat. Er hat, offen- bar in Anknüpfung an einen Aufsaß des Senatspräsidenten Lindenberg in der Deutschen Juristenzeitung, darauf hingewiesen, daß durch dieses Gesetz eine gewisse Inkongruität herbeigeführt werde gegenüber dem Geseß von 1854, daß insbesondere nah dem leßteren Gescte die er- folgreiche Anstiftung zum Kontraktbruchß mit geringerer Strafe be- droht sei, als der gegenwärtige Entwurf für die versuhte Verleitung ¿um Kontraktbruh androhe. Er meint, das würde für die Gerichte zu Schwierigkeiten führen. Jh möchte die Befürchtung nit in dem Maße teilen. Der Fall ist ja keineswegs selten, daß ältere und neuere Geseße abweichende Vorschriften treffen und daß das jüngere Gesetz keine ausdrüdlihen Bestimimungen darüber enthält, inwieweit die Bestimmungen des älteren Gefeßes neben ihm noch in Gültigkeit sein follen. Solche Widersprüche haben fich auch in der Praxis son

1904.

ergeben zwishen dem Geseß von 1854 und der preußishen Gesinde- ordnung. Der Strafsenat des Kammergerichts, dessen Vorsitzender der Senatspräsident Lindenberg ist, hat nah dieser Richtung hin eine Entscheidung erlassen, in der gesagt ist:

Es gilt die allgemeine Nechtsregel, daß das ältere Gesey dur das jüngere beseitigt wird, vorausgeseßt, daß bei beiden der Tat- bestand derselbe is, und daß die neue Ordnung von der alten ab- weicht oder sie det.

Auf der Grundlage dieser Rechtsregel hat das Kammergericht an- genommen, daß die mit dem Geseße von 1854 in Widerspru stehenden, den gleihen Tatbestand betreffenden Bestimmungen der Gesindeordnung von 1810 dur diese neuere Bestimmung tatsächlich aufgehoben worden sind. Im vorliegenden Falle würde sich nach meiner rechtlichen Ueberzeugung die Sache ebenso stellen. Soweit das neue Geseß denselben Tatbestand, den das Geseß von 1854 mit anderen Strafen bedroht, zum Gegenstand der Strafandrohung mat, würde das neuere Gese den Vorzug haben vor dem älteren; das ältere würde niht mehr in Anwendung kommen können: Ih meine, daß dadurch der Widerspruch seine Erledigung finden würde.

Das sind, meine Herren, die Bemerkungen, die ih vom juristishen Standpunkt aus zu diesem Entwurf zu machen habe. (Bravo! rechts und im Zentrum.)

Abg. Herold (Zentr.): Herr Goldshmidt macht das Zentrum verantwortlih. Es ist ja Mode geworden, das Zentrum verantwort- lich zu machen für das, was geschieht, und auch für das, was nicht geschieht. Das Zentrum kann doch nur dur seine Stimmen wirken, kann aber im Reiche niht Geseße durhbringen, die der Bundesrat nicht haben will. Daß man immer nach Gründen sucht, um das Zentrum verantwortlich zu machen, zeigt nur, daß es eine unanfecht- bare Politik treibt. Jch wünschte, Herr Goldshmidt würde die Zentrumspresse immer“ so eifrig lesen. Die Verhältnisse in der Landwirtschaft sind andere als in der Industrie. Die Schäden des Koalitionsrechts können in der Landwirtschaft viel größer sein als in der Industrie. Wir sind aber nicht gegen das Koalitions- recht der ländlichen Arbeiter, wenn auf die besonderen Verhältnisse der Landwirtschaft Rücksicht genommen würde. Für das Ge- sinde wünschen wir selbst eine Reform dahin, daß ein Schiedsgericht für die _Gesindeverhältnisse eingeführt wird, und verlangen von der Regierung eine solhe Geseßesvorlage. Davon unabhängig ift es aber, daß wir auf dem Gebiete des Kontraktbruhs vorhandene Schäden beseitigen. Diese Vorlage soll nur die Arbeits geber treffen und nicht die Rechte der Arbeiter beschränken; fo ver- langte es die Resolution dieses Hauses, und nun wollen wir prüfen, ob der Entwurf dieser Forderung gerecht wird. Das Bedenken be- steht allerdings auch in der Landwirtschaft, daß der Arbeiter dur dieses Geseh in die Industrie gedrängt werden könnte; wenn wir aber diese Strafbestimmungen auch auf die gewerblichen Arbeiter ausdehnen wollten, würde der kontraktbrühige Arbeiter vollkommen boyfkottiert sein, und das ginge doch zu weit. Die Arbeitsvermittlung für kontraktbrühige Arbeiter ist ein gemein- \chädliches Verfahrèn, die Bestrafung ist daher vollkommen berechtigt. Die Bestimmung über die Bestrafung der Verleitung zum Kontrakt- bruch geht aber zu weit. Eine solhe Verleitung kann aus besten, edelsten Motiven erfolgen. Die Strafe des Arbeiters soll nit vershärft werden; nah dem Entwurf könnte aber ein Arbeiter be- straft werden, wenn er zu einem andern sagt : Du bist doch eigentlich dumm, daß Du da weiter arbeitest. Die Landwirtschaft sucht mit Recht nach Mitteln zur Beseitigung der Leutenot, der Schwerpunkt kann aber niht in der Verschärfung der Strafen liegen, sondern in der Förderung der Wohlfahrtspflege auf dem Lande, die dem Arbeiter das Leben auf dem Lande angenehm macht. Die. Arbeitgeber müssen die Wohlfahrtspflege sh noch mehr angelegen sein lassen, wenn ih auch nit verkenne, daß darin \{chon manches geschehen ist. Jn der sozialdemokratishen Presse ist aus diesem Anlasse wieder eine voll- kommen unberehtigte Heße gegen das Zentrum getrieben worden. Ih beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 14 Mitgliedern.

Abg. Glaßztel (nl.): Die Agitation aus Anlaß dieser Vorlage kann uns nicht abhalten, fie sahlich zu prüfen. Um der Agitation vorzubeugen, hätte ih allerdings eine andere Ueberschrift des Gesetzes gewünscht, da die gewählte dem Inhalt nicht entspriht. Es handelt nh um ein Gesetz nicht gegen die Arbeiter, sondern gegen die Arbeitgeber. Daß die böswillige Verleitung zum Kontraktbruch bestraft werden muß, wird selbs Herr Goldshmidt zugeben. Herr Goldschmidt hat seine Bédenken so übertrieben, daß er kaum noch verlangen kann, daß ge rihtige Würdigung finden. Wir sind gegen die Bestrafung der beiter wegen Kontrafktbruhs, dagegen wollen wir die Arbeitgeber für die Benußung des Kontraktbruchs strafen. Die Bedenken im einzelnen könnten wir in der Kommission prüfen. Eine lediglih theoretische Aussprache der Arbeiter über die Arbeitsbedingungen darf nicht als Verleitung zum Kontraktbruch bestraft werden: kein Geriht würde übrigens eine solche als Verleitung ansehen. Etwas anderes ist es aber, wenn z. B. ein sozialdemokratisher Agitator die Arbeiter auf- reizt. Die juristishen Bedenken gegen die Kompetenz der Landesgeseß- gebung teile ich nicht, der Minister hat sie bereits widerlegt. Jh \chließe mih dem Antrage auf Ueberweisung an eine Kommission von 14 Mitgliedern an.

Abg. Goldschmidt bleibt bei seiner Auffassung stehen, daß die Vorlage mit der Reichsgewerbeordnung nicht vereinbar sei. Es könne dem Arbeitgeber niht vorgeshrieben werden, welche Arbeiter er an- nehmen düz:fe. Am 10. Februar habe Herr Herold dem Antrage zu- gestimmt, und jeßt äußere er allerhand Bedenken gegen die Vorlage, die jene Resolution einfach wiedergevbe. Die Verantwortung falle dem Zentrum zu, wenn diese Vorlage angenommen werde. Herr Herold habe ihm geraten, die Zentrumspresse zu lesen; er lese sogar die „Post“, ohne belehrt zu werden. (Abg. Freiherr von Deny und Neukirch: Dummes Gerede!) Diese Art der Diskussion steh selbst dem Herrn von Zedliß nicht; wir follten doch hier so diskutieren, wie es der Würde des Hauses entspricht. i

Abg. Pallaske (konf.) weist nochmals die Bedenken des Abg. Goldschmidt gegen die rehtliche Zulässigkeit landesgeseßliher Bestim- mungen zurück. Nach der Ansicht des Herrn Goldschmidt dürfe die Landesgeseßgebung au den Diebstahl nicht bestrafen, wenn die Relhs- geseßgebung ihn nicht shon bestraft hätte. Alle Versuche, dem Geseße einen arbeiterfeindlihen Charakter zu geben, scheiterten daran, daß fi seine Bestimmungen gegen die Arbeitgeber rihteten. Den Anspruch au Vorteile aus einer Verleßung von Treu und Glauben dürfe der Arbeiter niht erheben.

Abg. Herold: Dem Abg. Goldshmidt bemerke ih, daß es ih am 10. Februar nur um eine Anregung an die Staatsregierung handelte; daß man einen Gesetzentwurf vorsihtiger unter die Lupe nimmt, ist selbstverständlich. Der Abg. Goldshmidt wird uns nicht nahweisen können, daß wir gegen eine Revision der Gesinde-

ordnung find. Hierauf wird die Debatte geschlossen. Persönlich bemerkt

Abg. Freiherr von Zedliy und Neukirch (freikons.): Der Abg. Goldschmidt hat mi ohne Anlaß angegriffen ; aber wenn meine

z