1904 / 139 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 Jun 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Abgereist:

Seine Exzellenz der Staatsminisler und Minister des Znnern Freiherr von Hammerstein, nah Homburg v. d. Höhe;

der Direktor im Reichsshaßamt Twele, auf Urlaub nach dem Harz.

Nichtamtliches. Deutsches Reich. Preußen Berlin, 15. Juni.

Seine Majestät der Kaiser und König hörten heute Vormittags im Neuen Palais bei Potsdam den Vortrag des Vertreters des Chefs des Zivilkabinetts, Geheimen Ober- regierungsrats von Valentini. Vorher hatten Sich beide Majestäten nah dem Mausoleum an der Friedenskirche be-

geben, um dort, als am Sterbetag weiland Seiner Majestät des Kaisers Friedrih Kränze niederzulegen.

Oesterreich-Ungarn.

m böhmischen Landtag betonte, wie ,W. T. B.“ aus Prag

meldet, der Oberstlandmarschall Fürst von Lobkowit in seiner ge]trigen Begrüßungsansprahe mit Bedauern, daß die parlamentarischen Ver- hältnisse nicht nur im Lande, sondern auch im Reiche derartig seien, daß keine Aussicht auf eine gedeihlihhe Tätigkeit vorhanden fet, und sprach die Hoffnung aus, daß die patriotische Selbstverleugnung und die gesunde Vernunft endlih einmal die bestehenden Hindernisse be- seitigen werden. Er {loß mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf den Kaiser. Nach Verlesung des Einlaufes nahmen die deutschen Abgeordneten die Obstruktion wieder auf, indem sie zu den eingebrachten Urlaubsgesuhen Anträge auf namentlihe Abstimmung mit 10 Minuten Pause stellten. Herold und Kuhr verurteilten die Obstruktion der Deutshen. Nah zwei namentlichen Abstimmungen {loß der Oberstlandmarschall die Sißung und erklärte, er werde Tag und Stunde der nähsten Sißung auf schriftlihem Wege bekannt eben. 5 Im ungarischen Finanzaus\chuß erklärte gestern der Finanzminister Dr. von Lucacz, es hänge nur von der Einteilung der Arbeiten ab, wann der Geseßentwurf über die Auf- nahme der Barzahlnngen zur Verhandlung komme. Ein anderes -Hindernis liege nicht vor. Uebrigens seien durch die bisher getroffenen Verfügungen die Ziele der Valutaregelung bereits größtenteils erreiht worden, da die Schwankungen der Wechselkurse aufgehört hätten und der Zinsfuß gesunken sei. Mit Bezug auf die Behandlung der Einfuhr österreihishen Zuckers be- tonte der Minister, daß die vereinbarte Surtaxe von 3+ Fr. mit Nückwi:kung bis zum September 1903 zu bezahlen sei. Ein dem- entsprech:nder Gesegentwurf werde zur Verhandlung gelangen, sobald die Geschäftslage cs gestatte.

Großbritannien und Frland.

Fm Unterhause fragte gestern, „W. T. B.“ zufolge, Norman an, ob Korea als unabhängiger Staat anerkannt wird. Unterstaatssekretär Earl Percy erwiderte: ja. Weiter fragte Norman, ob au, falls Port Arthur von irgend einer anderen Macht als Ruß- land beseht würde, die englishe Pacht von Weihaiwei sofort aufhöre. Earl Per cy erwidert, durch die im Jahre 1898 abgeschlossene Konvention stimmte China zu, Weihaiwei und die anliegenden Ge- wässer so lange an Großbritannien zu verpachten, ‘als Port Arthur im Besiße Nußlands verbleibe.

Frankreich.

In der gestrigen Sitzung der Deputiertenkammer beantragte, wie „W. T. B.“ meldet, der Deputierte Pugliesi-Conti, daß die Kommission, die die Kartäuserangelegenheit unter- fuhen wird, die Untersuhung auch auf alle mit der Angelegen- heit in Verbindung stehenden Tatsachhen ausdehnen solle, und daß der Kommission die Befugnisse eines Untersuhungsrichters beigelegt werden. Er verlangte für seinen Antrag die Dringlichkeit und gab feiner Verwunderung Ausdruck, daß der in die Angelegenheit verroickelte Lagrave den Posten als Kommissar bei der Weltausstellung in St. Louis beibehalte. Er hoffe, daß der Sohn des Ministerpräsi- denten Combes bald seine Unschuld werde dartun können. (Lebhafter Widerspruch links.) Der Ministerpräsident Combes erklärte, er allein sei verantwortlih, und er werde keine Verleumdungen gestatten. (Beifall links, Lärm rechts.) Brisson warf Pugliesi:Conti vor, daß er Leidenschaftlihkeit in die Verhandlungen bringe. Keinerlei Be- \{uldigung sei gegen den Sohn des Ministerpräsidenten erhoben worden. (Beifall links.) Pugliesi-Conti versuchte hierauf, Zeitungsartikel zu verlesen, wurde aber von der äußersten Linken überschrien. Er fagte dann, man habe nit gewagt, diejenigen, die den Sohn des Ministerpräsidenten angegriffen hätten, vor die Geschworenen zu ver- weisen. (Zwischenrufe.) Der Ministerpräsident Combes erwiderte, er weise die Beschuldigungen des Vorredners mit Verachtung zurück und sei bereit, die Arbeiten der Kommission in jeder Weije zu erleihtern. Der Ministerpräsident beantragte, die Beratung des An- trags Pugliesi-Conti zu vertagen. Das Haus beschloß demgemäß und sezte dann die Beratung des Geseßentwurfs, betreffend die zweijährige Dienstzeit fort.

Die Bureaus der Kammer haben gestern die aus 33 Mitgliedern bestehende Kommission zur Untersuhung der Karthäuser- angelegenheit ernannt. Sie besteht aus 12 Ministeriellen und 21 Antiministeriellen und hat beschlossen, eine beschleunigte und gründliche Untersuhung anzustellen.

Rußland.

Vom Kriegsshauplaß übermittelt „W. T. B.“ folgendes Telegramm des Generals Charkewitsch an den Gencralstab vom Montag: Jn der Nacht vom 11. zum 12. Juni griffen die Japaner südlich von der Station Wafandian und nördlich von der Linie Pißewo—Pulandian eine russische Feldwache beim Dorfe Udiaden an, wurden aber mit Verlust zurückgeworfen. Jn derselben Naht bemächtigte sich eine russische Abteilung nah einem Kampf, der bis zum Morgen dauerte, des Engpasses und der Höhen beim Dorfe Lidiatun. Auf russisher Seite wurden in diesen Nachtgefehten 4 Mann getödtet und 18 verwundet. Am 8. Juni wurde der Leutnant Lang mit seiner Abteilung bei céner Rekognoszierung in der Umgebung von Udaochedsy, 18 Werst nordöstlih von Ajaniamyn von einer japanischen Abteilung úberfallen, die 2 Kompagnien stark war. Es gelang ihm nach einem Handgemenge, sih durhzushlagen. Wie ge- meldet wird, rüdckt- eine gegen 30900 Mann starke japanische Abteilung von Süden nah Chuaijensian vor. /

Ferner meldet ein Telegramm des Generals Kuropatkíin an dén Kaiser von demseicen Tage: Heute morgen wurde festgestellt, daß die Japaner von Pulandian nas Norden vorrücken; gegen 2 Uhr Nachmittags stan

die Front der Vorhut vom Dorfe Wandegou bis zum Tale des Taschaho, und die Gesamtzahl der vorrückenden

Truppen beirüg gegen zwei Divisionen, von denen die eine im Tale des ascha 0 arswhierte. Um 41/5 Uhr Nachmittags stellte der Gegner den Vormarsh ein, nachdem er die Dörfer Tandiatun, Tschanziatun, Linziatun und die Höhen südlich von Wandegou beseßt hatte. Genaue Angaben über unsere heutigen Verluste habe ih noch nicht erhalten. Ein Offizier I Mann sind verwundet worden. Wie gemeldet wird, ist heute festgestellt worden, daß die Japaner auch aus Ssiujan in der Richtung auf den Dalinpaß vorrücken.

Endlich meldet der Generalleutnant Baron Staelberg in einem Telegramm vom Dienstag an den Kaiser: Heute mittag 12 Uhr wurden wir, 6 Werst südlih von der Station Wafangou , angegriffen. Der Gegner machte energische Ver)uche, unseren linken Flügel zu verdrängen, seine An- griffe wurden aber zurücckgeshlagen. Wir be- haupteten unsere Stellung. Das erste Regiment, das sich auf dem linken Flügel befand, erlitt ernste Verluste. Der Regimentskommandeur Oberst Chwastunow und der Regiments- adjutant wurden getötet, General Gerngroß wurde verwundet.

Amilichh wird die Ernennung des Generalleutnants Dembowski zum Kommandeur des s. sibirischen Armeekorps bekanntgegeben.

Ftalien.

Der König hat gestern den Militärattaché der deutschen Boi!schaft in Nom, Major und Flügeladjutanten von Chelius in besonderer Audienz empfangen.

Spanien.

Jun der gestrigen Kammersizung befragte Nocidal, nah Meldung des „W. T. B.“ die Regierung über die angebliche Zugehorigkeit Spaniens zum Dreibunde, die durch einen Artikel der „Neuen Freien Presse“ in Wien bestätigt worden sei, und bat um Auskunft darüber, aus welchen Gründen Silvela das von seinem liberalen Vorgänger ent- worfene Abkommen mit Frankreich nicht unterzeichnet habe. Der Ministerpräsident Maura antwortete hierauf, Silvela habe geglaubt, sih nicht binden zu sollen, und er habe keinen Grund gehabt, dies zu bedauern. z

Serbien. Einer Verordnung des Ministeriums des Jnnern zufolge wird vom 28. d. M. ab für die aus VDesterreih-Ungarn kommenden Reisenden der Paßzwang aufgehoben.

Bulgarien.

Nach einer Verordnung des Ministeriums des Jnnern trat gestern die durch das serbisch-bulgarische Abkommen vereinbarte Aufhebung des Paßzwanges zwischen den beiden Ländern in Kraft.

Amerika.

Die Jnspektoren für das Einwanderungswesen werden, wie „W. T. B.“ aus New York meldet, von jeßt ab mit dec größten Sorgfalt die Verhältnisse der Einwanderer prüfen. Von den 2100 Personen, die am Montag in New York eingetroffen sind, wurden 32 Prozent zur weiteren Prüfung ihrer Verhältnisse angehalten.

Asien,

Das „Neuiersche Vtreau“ meldet unterm 14. d. M. aus Tschifu, daß - eine Flottille von Dschunken, die mit Mehl und Reis beladen und nach Port Arthur bestimmt war, in Tschifu von den Japanern beshlagnahmt worden sei. Die Japaner hätten sich bei dem Taotei darüber beschwert, daß ausländishe Kaufleute Waren nah Port Arthur ver- schifftecn, und daß die Russen in Tschifu eine Empfangsstation für drahtlose Telegraphie errichtet hätten. Von einer solchen Station sei dort aber nichts zu bemerken.

Afrika.

Wie dem" D. De als Melilla gemeldet wird, herrshe unter den benahbarten Kabylenstämmen von neuem große Erregung infolge der Ankunft des Schwieger- vaters des Prätendenten, der behaupte, beauftragt zu scin, die hervorragendsten Scheiks der Gegend abzuseßen.

Amtlich wird bekanntgegeben : Die Polizei in Johannes- burg beobachtete seit einiger Zeit mehrere Ausländer, von denen ciner die prahlerishe Aeußerung vernehmen ließ, er würde einen Mordversuch gegen den Oberkommissar Lord Milner unternehmen, wenn man cs ihm der Mühe wert mache. Jnfolge weiterer poli-eilicher Ermittelungen sind drei Personen, die für Anarchisten gelten, auf Grund der Peace Preservation Act verhaftet worden.

Parlamentarishe Nachrichten.

Der Swlußbericht über die geilrige Sißung des Neichs- tags befindet sich in der Ersten Beilage.

—. In der heutigen (98.) Sißung des Neichstags, welcher der Staatssekretär des NReichsjustizamts Dr. Ni1eberding und der Staatssekretär des Neichs\haßamts Freiherr von Stengel beiwohnten, wurden zunächst die beiden Nachträge zum Reichshaushaltsetat und zum Etat der Schußz- gebiete für 1904 auf Antrag des Abg. Dr. Spahn (Zentr.) ohne Kommissionsberatung in erster Lesung erledigt und in zweiter Lesung unverändert angenommen. Es handelt sich um die Bereilstelung einer ersten Rate von 3 Millionen Mark zum Bau der Togobahn.

Es folgt die Verlesung einer Jnterpellation der Abgg. Auer und Genossen (Soz.)“ über den dem preußischen Hause der Abgeordneten vorgelegten Ent- wurf eines Gesetzes, betreffend die Ershwerung des Vertrags - bruchs landwirtschaftlicher Arbeiter und des Ge- sindes und die Verleßung der Reichsgesezgebung durch diesen Entwurf.

Auf die Anfrace des Präsidenten an die Vertreter der verbündeten Regierungen, ob und wann die Interpellation beantwortet werden wird, erklärt der Staatssekretär des Reichs- justizamts Dr. Nieberding sih bereit, die Jnterpellation morgen zu beantworten.

Die FJnterpellation wird daher heute von der Tages- ordnung abgeseßt und soll morgen an erster Stelle zur Ver- handlung gelangen.

Darauf seht das Haus die zweite Beratung des Geseß- entwurfs, betreffend die. Uevrernahme einer Garantie des Reichs in bezug auf eineEisenbahn von Daressalam nach Mrogoro fort, : e

Nach der Vorlage soll die Zinsgarantie für ein Bau- und Betriebskapital von 18/4 Müllionen übernommen

werden. Die Budgetkommission hat die Zustimmung empfohlen unter der Bedingung, daß die Spurweite der Bahn nicht 75 em, sondern 1 m betragen soll, und daß die Konzession dementsprehend geändert wird. Von den Abgg. von Normann (d. kons.), von Kardorff [Rp.), Dr. Spahn (Zentr.) und Schrader (fr. Vgg.) ist der Antrag gestellt, die Hinsgarantie für ein Kapital von 21 Millionen Mark zu übernehmen. Referent ist der Abg. Dr. Spahn.

Abg. Nichter (fr. Volksp.): Man hat mir vorgeworfen, daß ih immer dieselben Gründe gegen die Auswendungen für Afrika vorbringe. Natürlich, die praftishen Erfahrungen bestätigen diese Gründe. Der Abg. Schrader dachte früher anders, als er noch der Kolonialpolitik des Abg. Bamberger folgte. Jett hat er ih die bequemé Formel zurecht gemacht: „Wenn man einmal Kolonien hat, fo muß man auch für sie Bewilligungen machen“. Kein Gutsbesißer, der eine Parzelle erworben hat, die fi nachher als unfruchtbar, steinig und fsumvfig erweist, wird für fie größere Aufwendungen machen, wenn er das Geld für cinen anderen Teil des Gutes nüßlicher verwenden kann. Jeßt wird uns hier durch einen Antrag angesonnen, 23 Millionen Mark mehr für die Bahn von Dareésalam ias Mrogoro zu bewilligen, als die Regierung gefordert hat. Es ist überaus selten, daß man so der Negierung mehr Geld aufdrängt, als sie selbst verlangt hat. Die Butgetkommission hat bei anderen Gelegenheiten gespart und abgestrichen. Ueber diesen An- trag kann man das Motto seßen: „Afrika, Afrika über alles!“ Ist denn überhaupt die größere Spurweile gerechtfertigt ? Die „Kölnise Zeitung" und die „Tägliche Nundschau“, gewiß sehr folonialfreundli®e Blätter, finden die größere Spurweite durchaus ungerechtfertigt, zumal für Dsftafrika. Der Kolonialdirektor hat felbst in der ersten Beratung die geringere Spurweite ver- teidigt und die größere allenfalls für die Zukunft in Aussihht genommen. Wie ift überhaupt die Begeisterung für die größere Spurweite entstanden? Sie ist offenbar ein Niederschlag des jeßt wiederkehrenden Planes der Zentralbabn, der großen Seenbahn. Diese Bahn fol die e2ste Strecke jener Bahn sein, die über 100 Millionen loten und ber 1000 M ang [éin soll. Schon in der ersten Beratung erklärte der Zentrums- abgeordnete Schwarze Ostafrika für ein Juwel. Auch der Abg. Spahn hat sein kolonialfreundlihes Herz, oder wir haben es entdeckt. Gr hat fich in der Wochenschrift „Howacht“ an Sch&önfärberei in bezug auf die Verhältnisse dieser Bahn alles geleistet, was überhaupt geleistet werden kann. Er nennt Ostafrika den Stüßpunkt der Weltpolitik und er spricht von einer Christianifierung von Deutschostafrika geaenüber dem Muhammedanismus. Andere Staaten sind auf diesem Gebieie neutral. Bisher hat unsere Missionstätigkeit überhaupt wentg Erfolg ge- habt, zum Teil deshalb, weil die politishen Gegensäge die Missionslätigkeit beeinträchtigten. Plantagen gibt cs überhaupt nicht, sowohl die Produktions- wie die Absayverhältnisse lassen in den meisten Bezirken viel zu wünschen übrig. Mit allgemeiner Konzertmalerei kommt man hier niht sehr weit. Die Ein- geborenen sind nach dem Missionsberiht nichts weniger als arbeitslustig. Es gibt nur 12 Europäer dort, und die Gesundheits verhältnisse find durchaus unb-:quem. Der Hinweis auf die Station Vanjanbesi an der Usambarabahn ist wenig glücklich. Eine Hungersnot hat 1899 die Hälfte der Einwohner dahingerafft, und wic wissen nit, wieviel sich dort überhaupt angesiedelt haben. Wenn Herr Spahn in der „Hohwachi“ darauf hinweist, daß eiae Mission 200 000 Æ an Transportkosten infolge der neuen Bahn ersparen würde, mit wieviel Millionen müssen dann die dortigen Missionen überhaupt arbeiten? In ganz Ostafiika sind doch nur 94 Stationen vorhanden, darunter solche, die weit ab im Norden oder Süden liegen, auf die die Bahn bezüglich der Herabminderung der Transporikosten gar feinen Einfluß hat. Wie man an 45000 6 200 000 4 sparen kann, das möge mir der Abg. Spahn erst einmal näher erläutern; jedenfalls würde ich ihm in ein Zeugnis hineins{chreiben: „Bes darf im Rechnen der Nachhilfe“. Für Baumwolle geben wir aud) niht 37 Milliarden aus, wie es in dem Artikel der Hochwacht“ Leißt, sondern 300 Millionen, also nur den zehnten Teil. Daß wir an Schußtruppen fparen werden nah Erbauung der Bahn, erscheint mir sehr unwah1scheinlich; nach der Erfahrung in Deutschland wird immer mehr Militär und Gendarmerie nötig, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, wenn neue Bahnen gebaut sind. Unter dem CEindruck der südwestafrikanischen Greiznisse maht sh ja auch jeßt eine Strömung geltend, ükeroll die Schußtruppen zu vermehren und Militärbahnen anzulegen. Aber die Aufwendung für die Sicherungen müssen doch in einem Verhältnis stehen zu dem woirt- schaftlihen Nußen der Kolonien, und dieses Verhältnis is schon jeßt niht mehr angemessen. militärische Sicherung des Kolonialbesitzes ist heute für alle Kolonialmächte viel \{chwieriger als früher, in dem Maße als die Eingeborenen gelernt haben, writ Feucrwaffen umzugehen; das baben die Franzosen, die Eng- länder erfahren müsen, und das erfahren wir jeßt in Südwestafrika. Wie nachhaltig hat sih der Widerstand der Hereros erwiesen! Wie viele Truppennachsendungcn sind notwendig geworden! Wir follten doh nicht Verhältnisse anbahnen, die eine Wiederholung dieser Ereignisse auf anderen Kolontialgebicten heraufbes{wören müssen. In diesem Tropenklima können deutsche Soldaten nicht fortkommen ; man ift auf Sudanesen und Eingeborene angewiescu, und auf solhe Schußtruppen ift natürlich weit minder Verlaß. Die Erfahrungen, die wir haben machen müssen, sind doch um vi.les tiauriger als die „Nasenstüber“, die der Abg. Bamberger voraussagte. Hätte man das vorausgesehen, fo würde man das „gottverfluchte Land“, wie die Engländer sagen, sicher gemieden haben. Das ist aber nidt geschehen, und so müssen wir die ganze Grundlage unserer Kolonialyolitik untersuWen. Wir können sie nicht von Geheimen Näten und Offizieren machen lassen, wie das schon der Fürst von Bismarck, nur mit anderen Worten, ausgesprohen hat; es geht auh nicht an, mit der Einseßung von Bezirksamtmännern und Militärstationen. Wir haben {hon in erster Lesung vor einer ausgedehnten Kolonial- politik gewarnt, und zur Einschränkung werden{wir um so mehr ge- drängt durch die Nücksiht auf tie Heimatspolitik und die Finanz- lage. Der Staatskredit wird überbelastet, und die Heimatspolitik feht eine Neihe dringendster Bedürfnisse nach wie vor unbefriedigt. Wir stimmen also wie gegen die Togobahn so auch gegen die hier geplante Bahn.

Abg. Schrader (fr. Vagg.): Herr Nichter hat mir vorgeworfen, ih hätte meine Ansicht geändert, ih würde anders denken, wenn Bamberger noch da wäre. Ih bin in der Tat kein Freund der Kolonialpolitik gewesen, als sie in die Wege geleitet wurde. Aber das ist zwanzig Jahre her, wir haben seitdem ein großes Kolontalgebiet erworben und viel Geld hineingesleckt, ohne einen Erfolg davon zu haben. Die bisherige Politik ist also falsch gewesen (Zwischenrufe links). Wie foll man die wirtschaftliche Entwickelung nun dirigteren ? Soll man die Mittel dazu immer wieder - versagen? Das ist der Standpunkt des Herrn Nichter. Wenn Herr Nichter einen guten Freund hat, der in die Kolonien gehen möchte, würde der unter fol@en Auspizien etwas in einer Kolonie unternehmen wollen? Wenn einer eine Plantage anlegen soll, muß er doch die Gewißheit haben, daß das Erzcugte auch verwertet werden kann. Die militärise MWeherrshung spielt allerdings nicht die große Nolle, \ wie die wirtschaftlite Enlwickelung. Leßtere muß die Hauptsache bleiben, und soweit die Missionen dazu mitwirken wollen, kônnen wir fie nur willlommen beißen. Auch ih meine, wir folllen uns nicht zu sehr in tie Ferne verlieren, aber auf die Küsten können wir die Kolonien auh nit beschränken, wir müssen ins Ivnere hineingehen. Wollen wir uns gegen Aussiände {hüßen, so müssen wir auch dafür sorgen, die kleine Zahl der Truppen, die wir dort haben fkönren, durch größere Beweglichkeit zu stärken, und dazu dienen niht Landwege, sondern Eisenbahnen. Was das Land wert ist, kann man nicht beurteilen nah dem Zustande, in dem es si“ gegen- wärtig bifindet; man kann also aud vicht anderen nah\prechen, Ostafrika sci ein „gottverfluchtes Land“. Sicher ist, daß es entwickelungs- fähig ist. Ob die geplante Bahn einmal weiter geführt wird, ist

Die

cine Frage späterer Zukunft; heute haben wir auch im Sinne des

: Herrn Richter eine Bahn nötig, die von der Küste ins Innere hineingeht.

E können

E gewiß au größeres leisten können.

E ¡eb

nd also faktish gar nicht so weit grundsäßlich aus-

f Die Finanzlage des Reichs wird durch die Bahn nicht berührt, wenigstens für die nächsten Jahre nicht. Wenden wir an die Kolonie niht etwas Positives, so müssen wir in der bis- herigen unfruhtbaren Weise unser Geld ausgeben, denn aufgeben fönnen wir die Kolonie doch nicht. Persönlich bin ih noch jeyt der | Meinung, au die kleinere Spurweite hätte ausgereiht; aber wenn die Bewilligung der Bahn daran hängt, so bescheide ih mich ern; bei Herrn Richter und In Freunden wird wohl die Bahn

ih mit 75 cm Spurweite keinen Anklang finden. Die Unternehmer eine teurere Bahn niht zu dem Preise- der billigeren die Bahn mit der größeren Spurweite wird aber später E Hauptsache ift, h8 RLiN i die Bahn gebaut wird. enn ich mi in dieser eise eum die Sni interessiere, glaube ih damit den Reichsfinanzen Nehmen Sie die Vorlage mit dem

Wir einander.

Ï herstellen ;

zu nügen, niht zu schaden.

N Amendement an.

Bei Schluß des Blattes nimmt der Abg. Dr. Südekum | (Soz.) das Wort.

Auf der Tagesordnung der heutigen (82) Sißung | des Hauses der Abgeordneten, welher der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Dr. Studt beiwohnte, stand die zweite Beratung des Entwurfs | ines Ausführungsgeseßes zu dem Reichsgesegze, | betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher | Krankheiten, vom 30. Juni 1900 auf Grund des Berichts der XIV. Kommission. / Berichterstatter war der Abg. Shmedding. : 8 1 bestimmt, daß die Anzeigepflicht außer bei den im Reichsseuchengesey aufgeführten Krankheiten Aussaß, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest, Pocken noch bei folgenden Krankheiten bestehen soll: Diphtherie, Genikstarre, Kindbettfieber, Körnerkrankheit (Granulose), NRückfalfieber, | übertragbare Ruhr, Scharlah, Typhus, Milzbrand, Rog, Tollwut, Fleisch-, Fish- und Wurstvergiftung, Trichinose sowie bei dem Verdacht von Kindbettfieber, Rückfallfieber, Typhus | oder Noß. | Auf Vorschlag des Abg. Dr. von Heydebrand und der | Lasa (kons.) findet bei diesem Paragraphen eine allgemeine

Besprechung statt. O Di, Martens (ul.) spricht sich nicht nur für seine Person,

E sondern au für den größten Teil seiner politishen Freunde zu Gunsten

des Gesetzes in dec Kommissionsfassung aus und bittet um dessen An- nahme. : Ls Abg. von Kölichen (fons.): Dem Wunsche des Borredners kann ih leider nicht beitreten. Wir halten das Geseß für dringend nots- wendig, bitten aber, den Geseßentwurf an die Kommission zurück- zuverweisen, denn wir erachten einen Teil des Geseßzes für dringend verbesserungbbedürftig. Es würde in der Praxis ein beständiges Nachshlagen nach den ecinzelnen Paragraphen notwendig sein, } um es zu verstehen. Das Gesey is in diejer Form nicht ver- ständlich und läßt sih technisch in der Praxis {wer durchführen. Es

E wäre wünschenswert, das Geseg in 2 Teile zu zerlegen, in ein Aus- | führungsgeseß zum NReichsseuchengefeß und in ein Gesey zur Be-

fämpfung gemeingefährliher Krankheiten. Wir sind weiter der Ueber- zeugung, daß die Kommission mit dem Beschluß, daß auch für die ärztliche Feststellung von Scharlah, Körnerkrankheit und Diphtherie der Staat die Kosten zu tragen hat, zu weit gegangen ist. In der Kommission haben wir auch über die Anzeigepflicht bei

E Todesfällen an Tuberkulose beraten, aber in der Wissenschaft steht

P f 9 E)

noch nicht fest, wie ein solher Fall zu behandeln ist. Der Redner bespriht noch eine Reihe einzelner Punkte der Kommissionsvorlage, mit denen seine Freunde nicht einverstanden sein könnten. Bei der großen Unruhe, die trotz im Saale herrscht, ist jedoh auf der Tribüne fast nichts zu verstehen. Ì Die Tätigkeit der Kreisärzte sei durhaus anzuerkennen, aber es fei Ï niht ausgeschlossen, daß fie in threm Eifer zu weit gingen und den Gemeinden dadurch Lasten aufbürden könnten, die die Grenze der # Leistungsfähigkeit der Gemeinden überschritten. Die Bestimmung, M daß der Kreisaus\{huß berechtigt sei, zur Ausführung der Zube Ï maßnahmen gegen die gemeingefährlihen Krankheiten Zweckck- verbände zu bilden, könne in dieser Forum nicht aufreht er- } halten werden, da sonst nirgends im Geseß etwas Weiteres | über die Zweckverbände gesagt sei. Daß schon in seuchenfreier Zeit | Schuteinrihtungen gegen folche Krankheiten getroffen werden sollen, | sei notwendig, und es würde cine Lücke im Geseße bedeuten, wenn, wie vorgeschlagen sei, diese Bestimmung ganz gestrihen würde. Er beantrage also namens seiner Freunde die Zurückoerweisurg der Vorlage an die Kommission. Minister des geistiichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Dr. Studt: Namens der Regierung bitte ih, diesem Antrag keine ¿Folge zu geben, denn seine Annahme würde ein Zustandekommen des Gesetzes bis in das nächste Fahr verschieben. Die Notwendigkeit des Zustandekommens des Gesetzes hat der Borredner anerkannt ; wenn die Ab- ht besteht, es zustande kommen zu laffen, ist cs nicht empfehlen8wert, mit Anträgen zu kommen, die eine Vershleppung bedeuten. Ich kann auch die einzelnen Gründe nicht anerkennen, die vom Vorredner geltend gemacht sind. Der Versuch, das Gese in zwei Teile zu zerlegen, in ein Aus- sUhrungégeseß zum Reichsseuchengeseß und in ein Geseß zur Be- kämpfung der gemeingefährlihen und ansteckenden Krankheiten, ist bereits in der Kommission aufgegeben worden; derselbe Gedanke hat bei der Ausarbeitung tes Entwurfs die beteiligten Ressorts beschäftigt, diese sind jedo dabei auf unübecwindlihe Schwierigkeiten gestoßen.

E Der Minister geht dann auf die einzelnen Ausführungen des Vor- M redners näher ein und bestreitet besonders, daß die Tätigkeit der Kreis- M arzte zu irgendwelchen Anständen Veranlassung geben könnte.

Abg. Münsterberg (fr. Vgg): Meine Freunde wünschen

LOE ü L L E dringend das Zustandekommen des Gesetzes, nachdem cs sowohl im S vorigen, wie in diesem Jahre einer eingehenden Kommi|sionsberatung

E unterzogen worden ist.

Die Teilung des Gesetzentwurfs würde drei Geseße ergeben; denn dann hätten wir tas Reichegeseß und zwei preußishe Gesetze, und das würde die Durchführung der ganzen Materie in der Pra nur -ershweren. Dieser Geseßentwouf bedeutet einen wesentlihen Fortschritt gegen das alte slativ von 1835, das damals ebenfalls auf der Höhe der Wissen- [haft stand und si in der Praxis auch bewährt hat. Das Neichs- geseß zwingt uns aber zu einer neuen Kodifikation der Autführungs- bestimmungen zum Neichsgesep, das jeßt {hon seit 4 Jahren in Kraft ist. Der Zwang des Geset-s geht allerdings sehr weit,

N aber wir hoffen, mit Hilfe dieses Zwanges die Seuchen wirksam

bekämpfen zu können, auch die Granulose, für die der Zwang so

M weit geht, daß die ärztliße Behandlung zwangsweise herbeige-

M führt werden fann.

9 S, Die von der Kommission del MoNene Streichung } der Bestimmung der Regierungsvorlage, daß die Ueberführung von

n kranken Kindern in cin Krankenhaus nicht gegen den Widersp1uch der M Gltern angeordnet werden darf, greift zwar tief in das Familienleben ein.

M

x Wir glau en jedo die Streichung empfchlen zu sollen, um die Seuchen durch Vernichtung des Krankheitsherdes wirksam zu bekämpfen.

j Wir hoffen, daß, wenn die Maßnahmen dieses Gesezes in Wirksam-

keit treten, die Sterblichkeitsziffer bedeutend heruntergehen wird. Gs ist eigentümlih, daß, während das ganze Haus über die wissenshaftlihke Seite des Gesetzes einig is, das Gesetz an dcr Kostenfrage zu \cheitern droht. Die Gemeinden j erhalten {on eine bedeutende Erleichterung ihrer jeßigen Lasten durch die Vorlage; gerade die leistungsunfähigen kleinen Ge- i emden werden in Zukunft nicht mehr die Kosten zu tragcn haben, eren Tragung ihnen bei den jeßigen geseßlichen Zuständen obliegt. Die Zweckverbände sind im Interesse der kleinen Gemeinden not-

wendig. Die Städte haben bereits alle die hygienishen Einrichtungen,

der Glodcke des Präsidenten -

Regu- ‘| Westprzußen .

die dieses Gese erfordert. Die Hauptsache sind die Vorbeugungs- Le A die Seuchen, in denen die Wissenschaft große H Cobn gemacht hat. Der Minister sollte aber in seinen usführungsanweisungen dafür sorgen, daß die Provinzial- instanz die Städte niht allzu sehr durch die landespolizei- lihen Anordnungen belastet. Das Geseß ist für das ganze soziale Wirken des Staats wichtig; die ganze Gesundheit des Volkes und auch die Sittlichkeit l | Geseßz S sih als ein wesentlicher Fortschritt kennzeihnen, und ih

bitte dringend, es anzunehmen. / i Abg. Dr. Por (Zentr.): Wir exkennen an, daß die Kom- missionsfassung die Regierungsvorlage wefentlih verbefsert hat, und hatten gewünscht, daß das Gese alsbald zustande käme. Inzwischen hat eine große Fraktion den Äntiag auf Zurückverweisung an die Kommission gestellt. In solhen Fällen haben wir immer die rag befolgt, einem folchen Wunsche Folge zu geben. Wir eßen dabei voraus, daß es in der Kommission gelingen wird, die Vor- Deshalb stimmen wir dem Antrage auf Hoffnung, 8 eine Ver- er Session

lage noch zu verbessern. i / Peer uns an dic Kommission zu in der 19, d tändigung in der Kommission erzielt wird und noch in die die Borlage zur Annahme gelangt. | Y

Abg. Gyßling (fr Vollsp.): Nach dieser Erklärung erübrigt es sich für mi, noch auf die Einzelheiten der Vorlage einzugehen. Wir bedauern den Antrag auf Zurückverwetsung, weil wir uns der hohen Bedeutung dieses Gesetzes in sozialer und hygienisher Be- ziehung bewußt sind und die Kommissionsfassung für eine geeignete Grundlage für die Beratung im Plenum halten. Es wäre Zeit genug gewesen, zu einer Verständigung in der Kommission zu kommen. Wir erheben nur Widerspru gegen die Behandlung der Gutsbezirke und meinen mit der Regierung, daß die Gutébezirke den ihnen obliegenden Pflichten. na&fommen und diese nicht auf andere übertragen sollen. Die Stätte haben ihrerseits für Einrichtungen zur Bekämpfung der Krankheiten die größten Dpser gebracht und dürfen nicht weiter belastet werden. Jch schließe mit dem Wunsche, daß die Kommission so schnell arbeitet, daß das Geseß im Oktober noch zustande kommt. : i :

Damit schließt die Diskussion. | y

Der Antrag auf Zurückverweisung an die Kommission gelangt durch die Stimmen der Konservativen und des Zen- trums zur Annahme. ; /

Schluß gegen 2 Uhr. Nächste Sißung: Donnerstag 11 Uhr. (Wildschongeseßentwurf, Sekundärbahnvorlage, Lotterie- geseßentwurf und kleinere Vorlagen )

Nr. 28 des „Eisenbahn - Verordnungsblatt s“, heraus- gegeben im Ministerium der öffentlihen Arbeiten, vom 11. Juni, hat folgenden Inhalt : Erlasse des Ministers der öffentlichen Arbeiten: vom 29. Mai 1904, betr. technishe Fahshulen; vom 5. Juni 1904, betr. Statistik der Güterbewegung. Nachrichten.

Statistik und Volkswirtschaft.

Die Privatforsten Preußens im gebundenen und im freien Besiße 1900.

Bon den bei der leßten Erhebung über die Forsten und Holzungen unterschiedenen Kron-, Staats-, Staatsanteils-, Gemeinde-, Stiftungs-, Genofssen- und Privatforsten waren die leßteren, wie {on früher dargelegt, die minderwertigsten. Unter den 4201 196 ha Privatforsten befanden sih 1031 932 ha ini gebundenen Besiße. Diese zu fidei- kommissarishen Gütern eirschließlich von St1mmgütern u. dergl. ge- hörigen Forsten weichen in ihren Verhältnissen ganz bedeutend von den anderen Privatforsten ab und lassen leßtere in noch weit un- günstigerem Lichte erscheinen. Schon die Verschiedenheit im Betriebe allein ist Tennzeihnend. Es waxen bei den Privatforslen nach der

„Stat. Korr." vorhanden Mittel- Plänter- Hoch-

wald wald wald 27 690 52 717 911 609 181214 769132 1924611:

im gebundenen Besiß . 39 27 51 883 im. reten Bes. 109 41 243 607.

Die Abweichungen sind bedeutend, bei dem wertvollsten Besitz, dem Hochwald, um 276 vom Tausend.

Von den 911 609 ha Hcchwald im gebundenen Besitze hatten 56 203 ha ein Alter von über 100 Jahren, 76 427 ha von 81—100, 126 565 ha von 61—80, 194393 ha von 41—60, 225 863 ha von 21—40 und 212 163 ha von 20 Jahren und darunter; 7 862 ha waren Räumden und 12133 ha Blößen. Von den 1 924611 ha Hochwald der anderen Privyatforsten entfielen auf genannte Altersklassen 54 787, 92 362, 193 491, 374186, 537 363, 566 840 ha und auf die RNäumden und Blößen 51 158 bezw. 54424 ha. Auf 1000 ha Hoch- wald kamen also bei den Privatforsten Bestände im Alter von im gebundenen Besiße im freien Besitze Uber 100 San i e A OLC 28,5 81—100 f E L 83,8 48,0 6 O 138,8 100,5 41— 60 v 213,3 194,4 21— 40 Ó N 247,8 279,2 20 Jahren und darunter . 202,7 294,5, TETNEL VLAUIUDEN Ep 8,6 26,6

Blößen E. 108 28,3.

An Ertrag brachte im leßten vor dem 1. Juni 1900 ab- geschlossenen Wirtschaslsjahre durhschnittlich ein Hektar Waldfläche der Privatforsten 2,5 fm Holz; im besonderen berechnet sich aber die Holznußzung der Forsten im gebundenen Besiße auf 3,5 und die der anderen Privatfo: sten auf nur 2,1 fm.

Die Verteilung der Privatforsten nah dem Besiße auf die einzelnen Provinzen ist folgende :

L Hektar in

Hektar in | geo freiem at freiem Besitze

43 568 174916 39156 152 889 Brandenburg . 155 756 Pommern . .. 53 226 Posen 78 383 Schlesien . . . 333 038 556 526 SaVien..…. . (7.076 215 145

Von den gesamten Privatwaldungen waren demnach in fidei- kommifsarishem Besitze 79,3 v. H. fi den hohenzollerns{hen Landen, 52,0 in der Provinz Hessen-Nassau, 37,4 in Schlesien, 35,5 in Schleswig-Holstein, 26,5 in Sachsen, 22,0 -in Westfalen, 21,8 in Brandenburg, 21,3 in Posen, 204 in Westpreußen, 19,9 in Ostpreußen, 15,0 in Pommern, 12,8 in Rheinland und 12,1 in Hannover.

Nieder-

wald

im gebundenen Besiß ha 39916

im freien Besiy . . 344307 auf 1000 ha:

Provinz Provinz

E, Besiße

| Sglesw.-Holst. 26467 47 990

| Poeee . . 31461 227 806 558 474 | Westfalen .….

|

Ostpreußen . .

88 390 314 014 49 308 . 45 490 41 318 280 252 14482 83775.

Hessen-Nassau . Rheinland . .. Hohenzollern .

302 798 289 189

Der Rheinische Verein zur Förderung des Arbeiter- wohnungswesens, jene für ganz Deutschland vorbildliche Orga- nisation, wird seine dietjäh1ige Generalversammlung am 21. Juni im Provinzialständehaus ¿zu Düsseldorf abhalten. Auf der Tages- ordnung stehen u. a. die Beratung des von dem Präsidenten der Generalkommission zu Düsseldorf, Würklihen Geheimen Ober- regierungsrat ster ausgearbeiteten Geseßentwurfs über die Zu- sammenlegung städtisher Grundst ücke, über den der ge- nannte Präsident selbst referieren wird, sowie die Beratung über die Gründung einer Aktienbank zur Förderung des Hypotheken- kredits der gemeinnüßigen Bauvereine aller Art;

ängt mit dieser Materie zusammen. Das.

hierüber werden Landesrat Dr. Brandts und Dr. Srunenvats: be- rihten. Mit dem Rheinischen Verein, und zwar am folgenden Tage, wird der Verband der rbeinishen Baugenossenschaften feine Generalversammlung abhalten.

Zur Arbeiterbewegung.

Vom Verband der Bäckergesellen in Berlin ist für morgen, der „Voss. Ztg.“ zufolge, eine große außerordentlihe Gesellenversamm- lung einberufen worden, in der über „wichtige Entscheidungen im gegenwärtigen Lohnkampf“ und „Rüstung zu neuem Kampfe“ vec- handelt werden foll. In Meisterkreisen verlautet, daß damit das Signal zu einem neuen Ausstand gegeben set. (Vgl. Nr. 132 d. Bl.)

In Solingen wollen, wie die „Nh.-Westf. Ztg.“ beribtet, die Schleifer in eine Lohnbewegung eintreten, Mehrere Schleif -r- vereinigungen find unzufrieden mit den Verhältnissen bei der Stahl- warenfirma Gottlieb P Sie sind der Meinung, daß die von der Firma für die Teilarbeit gezahlten Löhne in keinem richtigen Verhältnis zu den fonst üblichen, durch Preisverzeichnis von den Fabrikanten und den Schleifern festgeseßten Mffordlöhnen stehen. Sie planen daher ein gemeinsames Vorgehen gegen die Firma und wollen in den nächsten Tagen zu den s{hwebenden Fragen entscheidend Stellung nehmen.

In Wal denburg sind, wie der „Deutshen Warte" telegraphiert wird, sämtlihe Maurer am Dienstag in den Ausstand getreten, nachdem ihre Forderung auf Erhöhung des Stundenlohnes bei zehn- stündiger Arbeitszeit abgelehnt worden war.

Die Lohnkommission der ausständigen Maurer in Mainz (vgl. Nr. 129 d. Bl.) hat, wie die „Frkf. Ztg." mitteilt, den Oberbürger- meister Dr. Gaßaer um Vermittlung in dem hon Wochen andauernden Lohnkampf ersfucht. Dr. Gaßner hat sich bereit erklärt, die Verhand- lungen sofort aufzunehmen.

In Bremen haben, wie „W. T. B.“ meldet, die Maurer in einer gestern abend abgehaltenen Versammlung mit 823 g?geu i S beschlossen, in den Ausstand einzutreten (vgl. Nr. 138

Kunst und Wissenschaft.

A. F. Die „Brandenburgia“, Gesellschaft für Heimat- kunde, hielt ihre le1zte Versammlung in der Heiligen Geistkirhe ab, dem ehrwürdigen Berliner Gottethause, dessen Tage als Kirche ge- zählt find, wenn es vielleiht auch noch gelingt, das Schicksal, ab e- brochen zu werden, von ihm abzuwenden.

Kustos Buchholz vom Märkishen Provinzialmuseum sprah über Entstehung und Geschichte der Heiligen Geistkirche. Er zerstörte bei dieser Gelegenheit die noch immer viel geglaubte Veberlieferung von der Erbauung und Namensgebung Berlins durch Albrecht den Bären, der 1170 starb. Erst mit der um 1200 erfolgten Anlage einer Reihe von Burgen in dem heute vom Finowkanal dur{h- flossenen Landstrich kam die Äbtrennung des Barnim und Teltow von Pommern in Fluß, und nah 1220, unter der verständigen Negierung dec beiden gemeinschaftlich regierenden Brüder Johann 1. und Otto 111. gelang es, beide Landesteile von dem Pommernherzog auf friedlihem Wege zu erwerben. Beide Brüder sind in der Siegesallee auf einem Sockel vereinigt dargestellt, eifrig beschäftigt mit dem Studium von Bauplänen. Das war von dem Kürstler sehr wohl überlegt: denn erst unter ihrer Ne- gierung ist Cölln zur Stadt erwachsen, Berlin in feinen ersten An- fängen begründet worden Der Hergang war aller Wahrscheinlichkcit nach dieser: Die Spreeinsel Cölln bestand als eine ältere wentische Siedelung. Hier ließen sich die ins neu erworbene Land kommenden deutschen Kolonisten zunähsi nieder; doch ihr Inu muß bald fo bedeutend gewesen sein, daß sie, unter Benutzung des an Stelle des beutigen Mühlendammes gelegenen, von den Wenden (wie das Wort „Berlin“, d. i. Anlege- oder Uebergangsstelle, besagt) hon benußten Ueberganges über den hier eingeengten Fluß, auf das jenseitige ôstliche Ufer übersiedelten und hier eine zweite Stadt gründeten. Das muß kaum früher als 1230 und nicht später als 1240 geschehen sein; denn 1238 wird urkundlich bereits der Propst Simeon von Cölln genannt, und 9 Jahre später find die Namen zweier Berliner Bürger, Marsilius und Schulze, urkundlich beglaubigt. Die Gründung und Erbauung der beiden Städte, ihre Ausstattung mit deutshem Necht, ihre Befestigung, die Anlage von Kirchen und den unerläßlichen öffent- lihen Gebäuden muß, unter Förderung des Landesherrn, in s{hnellem Tempo erfolgt sein, wenn es 1238 hon einen Propst gab, und innerhalb der nähsten 20 Jahre (1251) die Prenzlauer Zollordnung nach dem Muster der Berliner einaerihtet und Frankfurt a. O. mit demselben Necht begnadigt wurde, das Berlin {hon besaß. Zu den im Mittel- alter den Städtén unerläßlihen öffentlichen Gebäuden gehörte auch die Einrichtung von Kranken- und Siechenhäusern, die zugleih als Unterkunftshäuser für Obdachlose dienten. Der seit den Kreuzzügen besonders s{limm in ganz Westeuropa auftretende Aut saß nötigte hicrzu, seine Gefährlichkeit aber zugleich zur Axlage der Ho}pitäler außer- balb der Stadtmauer. So entstanden auch für Cölln und Berlin, faum später als die beiden Pfarrkirhen St. Peter und St. Nicolaus, die Hospitäler zum Heiligen Geist und St. Georg, nebst den bei \olhen Anlagen stets unerläßlichen kleineren Kirchen oder Kapellen. Das Hospital zum Heiligen Geist lag damals außerhalb der wahr- \{einlich nur aus hölzernen Palisaden bestehenden Umwallung des ersten „Berlin", das begrenzt wurde dur die Spree, die heutige Kloster- und die (vermutlich noch nar Ee hena Königstraße. Erst bei der späteren Hinausschiebung der Umwallung bis zur jeßigen Neuen

uiedrihstraße kam das Hospital innerhalb der Stadt zu liegen. Für die

eit der. Erbauung von Hospital und Kirche, die sicher în die ersten Dezennien der Städtegründung zu seßen ist, darf als Beweis auch die Anwendung von Feldsteinen für den Bau ter Kirche gelten. Denn nachdem in der Mitte des 13. Jahrhunderts das Rüdersdorfer Kalk- lager entdeckt worden war, verließ man in Berlin allgemein die alte Bauweise, die durch Lehm verbundene Feldsteine verwandte, zu Gunsten des Kalk- und Backsteinbaus. Aus allen diesen Gründen gehören die außerordentlich \tarken Umfassungsmauern bis über die Fenster der

eiligen Geistkfirhe unzweifelhaft dem msprünglihen erften Bau an. Man nahm keinen Anstand, diese mähtigen Mauern stehen zu lassen, als 1280 ein großer Brand den oberen, wahrscheinlih hölzernen Teil der Kirche zerstört batte, und man fand auch nach einem zweiten Brande 1476 die Mauern fo vorzüglih erhalten, daß die neuen massiven Dekenkonstruktionen, die heute noch der Kirche zur hohen Zierde gereihenden \{chönen Sterngewölbe, unbedenklich auf die alten Mauern gegründet werden durften. Daß die damaligen Architekten sich in threm Zutrauen nicht getäuscht haben, beweist der heutige wundervolle Erhaltungszustand der Kirhe. Die Vermögensverhältnisse von Hospital und Kirche müssen, dank vieler frommen Zuwendungen und Vermächtnisse, früh- zeitig {hon sehr günstig gewesen sein. Auch sind uns einige be- sondere Auflagen zu Gunsten der Hospitäler aus den Urkunden der Zünfte und Innungen bekannt. So verfielen seit 1272 alle nicht voll- wichtigen Brote den beiden Hospitälern, und feit 1288 hatte jeder neue Meister der Gewandschneiderinnung an die Armenhospitäler je 4 Pfund Wachs bei seinem Meisterwerden zu opfern. Anfangs des 14. Jahrhunderts durfte das Heilige Geisthospital eine Schenkung von 4 Hufen Landes verzeihnen, und 1319 mit 150 Mark Siber, unter Genehmigung des Markgrafen Waldemar, das Landgut Heiners- dorf erwerben. Im Jahre 1426 gab es einen Rechtsstreit zwischen beiden Hospitalverwaltungen und den an ihren Kirchen angen ente, der Ueberhèbung geziehenen Geistlichen, der in höchster Instanz bis voc den Papst gebraht wurde, aber mit der Abweisung der Ver- waltungen endete. Wie ganz Berlin, so nahm auch die Heilige Geistkirhe die Reformation an. Aus der katholischen Zeit ist weni erbolten. Das Wenige einige bemalte Altarshrcine und dre hölzerne Wappentäfeln das sih vor einiger Zeit auf dem Boden der Kirche fand wird im Märkishen Museum ver- wahrt. Die Einrichtung der Kirche zu einer evangelischen Predigikirhe machte die Anbringung von Emporen zur Notwendigkeit. Außer der jeßt noch vorhandenen bestand än ‘der westlichen Giebelwand früber noch eine zweite, die bei Beschaffung einer Orgel vershwand.