1883 / 266 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Nov 1883 18:00:01 GMT) scan diff

bespriht das Verhältniß zu Rußland, wie aus denselben hervorgegangen, und sagt: man habe sich nicht verhehlt, daß es zahlreihe Punkte der politishen Situation gebe, auf welchen einshneidende Jnteressengegensäße zwischen beiden Staaten ohne Mühe geschaffen würden ; allein die Ueberzeugung sei wenigstens in Oesterreih-Ungarn allgemein, daß Nichts dazu dränge, den möglihen Gegensäßen den Vorrang über zahlreiche Wirklich- feiten einzuräumen, welche eine Gemeinsamkeit der politischen Jdeen und Handlungen beider Kabinette zuließen. Die Gefahren einer Friedensstörung lägen doch immer ganz wesentlich in dem Mangel einer friedlichen Gesinnung, und die beste Art, bedenklichen Controversen die Spitze abzu- brechen, sei sie überhaupt nicht aufzuwerfen. Hoffentlich verde sh Rußland nachgerade davon überzeugt haben, daß das Wiener Kabinet diese Auffassung zur Grundlage seinex Politik gewaht habe. Die russishe Regierung fei in der Lage gewesen, diese Thatsache an der serbischen und der bulgarischen Frage zu erproben. Niemand habe Oesterrei : Ungarn auch nur im Entferntesten vorwerfen können, daß es irgend eine direkte oder indirekte Einmischung in die Verhältnisse Serbiens unternommen habe. Der König von Serbien sei in den Streit mit der radikalen Partei auf eigene Gefahr und Verantwortung eingetreten. Noch größere Zurückhaltung habe sich Oesterreich - Ungarn in Bulgarien auferlegt. Es müsse der dringende Wunsch Oesterreich- Ungarns sein, daß die nationale Kräftigung Bulgariens sich vollziehe, ohne es in Widerspruch mit den gemäßigten Elementen Rußlands, der russishen Re- gierung und den unzweifelhaft wohlwollendsten Jn- tentionen des Czaren zu bringen. Sonst gebe es keine aktuelle politishe Frage, in welcher cin unwillfkommener Zu- sammenstoß der österreichishen und der russischen Regierungs- idee zu besorgen sei. Es gebe kein trennendes, entzweiendes, wohl aber ein beide Staaten befreundendes, vereinigendes Moment, das der ausrichtigen Friedenswünsche ihrer Herrscher und des tiefen Friedensbedürsnisses ihrer Völker. Dieses Moment würden beide Regierungen sich vor Augen zu halten haben, so oft ein Detail ihrer Beziehungen zu regeln sei. Oesterreich-Ungarn werde es an Loyalität hierbei nicht fehlen lassen und erwarte volle Gegenseitigkeit.

Pes, 10. November. (W. T. B.) Nach dem Ausweise über die Einnahmen und Ausgaben der ungarischen Staatskassen pro 3. Quartal 1883 betrugen die Gesammt- einnahmen 71 898 505 Fl. und waren somit gegen das be- treffende Quartal 1882 um 3 402 547 Fl. ungünstiger. Die Gesammtausgaben betrugen 85 247 278 Fl. und stellten sich sona gegen das gleihe Quartal 1882 um 1 866787 Fl. günstiger.

Frankreich. Paris, 10, November. (W. S. V) 4 der heutigen Sißung der Deputirtenkammer unter- tüßte Floquet das Amendement Delaforge's, wonach für die Stadtverwaltung von Paris dasselbe Recht eingeführt werden sollte, welches für die übrigen Städte gilt. Der Minister des Fnnern bekämpste das Amendement, welches \{chließlich mit 281 gegen 206 Stimmen verworfen wurde. Die Kammer beschloß sodann, die Prüfung der auf die Munizipal: Organisation von Paris bezüglichen Ver- fügungen zu vertagen, und nahm das Munizipalgeseß im Ganzen mit 440 gegen 66 Stimmen an.

General A ppert ist zum Botschafter in St. Peter s- burg ernannt worden, General Logerot zum General en chef des tunesishen Okkupations-Corps. Der Minister- Präsident hat heute Morgen dem Ministerrath Serrano's Ernennung zum spanischen Botschafter in Paris amt- lih mitgetheilt.

Spanien. Madrid, 11. November. (W. T. B.) Der General-Adjutant des Deutschen Kaisers, General- Lieutenant Freiherr von Loë, welcher ein Schreiben Sr. Majestät des Kaisers überbringt, ist hier eingetroffen und wurde gestern Abend von Sr. Majestät dem König Alphons empfangen.

12. November. (W. T. B.) Zum Empfange Sr. Kaiserlihen und Königlihen Hoheit des Kron- prinzen des Deutschen Reichs werden sih der Oberst- Kämmerer und ein General-Adjutant Sr. Majestät des Königs sowie der Kriegs-Minister und der Minister des Aus- wärtigen nah Barcelona begeben. Die Reise von Barcelona hierher erjolgt mittelst Königlichen Hofzuges.

Die in den hiesigen protestantishen Bethäusern ver- anstaltete Lutherfeier war außerordentlich zahlreich besucht.

Italien. Rom, 12. November. (W.T. B.) Jn einer größeren Anzahl von Städten fanden gestern Meetings wegen Ausdehnung der Wahlfähigkeit bei den ad- ministrativen Wahlen statt. Die Versammlungen verliefen in vollständiger Ordnung und Ruhe. Wie von mehreren ei- tungen behauptet wird, hätten sich Cairoli, Crispi, Za- nardelli, Nicotera und Baccarini dahin geeinigt, dem Kabinet gemeinsam Opposition zu machen.

Rumänien. Bukarest, 10. November. (W. T. B.) Jn der ges Sißung der Deputirtenkammer inter- pellirte Stol ojan die Regierung in Betreff der politischen Bedeutung der Reise des Königs von Rumänien nach Berlin und Wien und der Besprehungen des Minister-Präsidenten Bratiano mit dem Fürsten Bismark und dem Grafen Kalnoky. Als Prinzip für die Leitung der aus- wärtigen Politik stelle Redner die genaue Abwägung der jedesmaligen Jnteressen des Landes hin, die allein für die Be- ziehungen zu den Mächten maßgebend sein müßten. Nicht anders handelten die Großmächte. Dieselbe französische Re- gierung, welche zur Zeit des Krimkrieges die nationalen Bestrebun- gen der Rumänen unterstüßt hatte, habe später unter ver- änderten Verhältnissen die Theilung Rumäniens vorgeschlagen. Die Stellung des Königreiches im Orient carafkterisirte Stolojan dahin, daß es von jeglichen aggressiven, die Nach: barstaaten bedrohenden Tendenzen frei sei, und kein anderes Ziel verfolge, als ein Vorkämpfer westeuropäischer Kultur im Osten zu sein. Von diesem Standpunkte aus habe Rumänien das größte Jnteresse an der Erhaltung des Friedens, um sich ungestört seinen bedeutenden Kulturauf- gaben widmen zu können und in Folge dessen an der un- bedingten Aufrechterhaltung des Berliner Vertrages, dessen Verletzung die größten Gefahren für das Land mit sich bringen würde. So hätte die Jnterpellation im Ganzen nur den Zwedck, die Regierung zu beglückwünschen, daß durch die Reisen des Königs und seines Minister-Präsidenten alle mit Oesterreich- Ungarn bestehenden Differenzen ausgeglichen worden seien. Redner glaubt, man könne der Regierung das vollste Ver- trauen senken, weil fie stets die Rechte des Landes mit

Festigkeit vertheidigt habe. Jn seiner Erwiderung betonte der Minister-Präsident, daß die Regierung eines kleinen Staates wie Rumänien nicht bloß große internationale Po- litik treiben könnte, sondern vor Allem zur Pflicht habe, die Stellung des Landes nah innen und außen möglichst zu stärken und nicht unvorbereitet dur die Ereignisse überrascht zu werden. Jn Folge verschiedener Zwischenfälle sei Rumänien in den Verdacht gekommen, als Werkzeug fremder aggressiver Tendenzen zu dienen, was eine Erniedrigung für das Land sein würde. Die Reise des Königs habe diesen Verdacht voll- kommen beseitigt, und seine Besprehungen in Gastein und Wien hätten keinen anderen Zweck gehabt, als auch Seitens der Regierung unzweideutig darzulegen, daß es nicht in ihrem Sinne und Jnteresse sein könne, irgend welchen Agitationen im Orient Vorschub zu leisten. Ebenso wie vor drei Jahren, als der Minister-Präsident in Berlin war, habe auch jeßt wieder der deutsche Reichskanzler nahdrüdcklih be- tont, daß das Hauptziel der deutshen Politik die Erhaltung des Friedens sei, und daß, wenn Rumänien ebendasselbe Interesse babe, es naturgemäß eine Anlehnung an Deu!sch- land und Oesterreih finden würde. Bratiano {loß mit den Worten, daß unzweifelhaft Rumäniens erste Jnteressen mit der Erhaltung des europäishen Friedens aufs Engste ver- knüpft seien, und daß nur derjenige der Feind des Landes sein könne, der einen Krieg provociren oder in Rumänien ein- fallen würde. Die Kammer ging sodann ohne weitere Debatte einstimmig zur Tagesordnung über.

Serbien. Belgrad, 10. November. (W. T. B.) Nach: dem die Truppen das Gebiet um Cestobrodiza und Banja gesäubert hatten, beseßten sie Boljevac und zwangen auch dort die Aufständischen zur Unterwerfung. Die flüch- tenden Reste derselben werden einzeln verfolgt, die Ablieferung der Waffen geht in Ocdnung vor sih, und die Behörden in Zaicar seßen ihre Funktionen fort. Die Verbindungen von Baicar und dem militärisch beseßten Gebiete von Poljevac und Banja mit der Hauptstadt und dem übrigen Land sind wiederhergestellt. Der Aufstand gilt als bewältigt, und es wird nunmehr mit der gerihtlihen Prozedur begonnen.

11, November. (W. T. B.) Die von verschiedenen Blättern gebrahten Meldungen von der Transportirung des Professors Giaja nah Zaicar und seiner Hinrichtung sowie die Nachrichten über die Gefangennahme des Divisionärs und der Gerichtsbeamten in Alexinaß dur Jusurgenten entbehren der Begründung. Giaja befindet sich mit seinen Mitschuldi- gen noch in Belgrad; in Alexinaß hat keinerlei aufständische Bewegung stattgefunden.

Bulgarien. Sofia, 11. November. (W. T. B.) Der russishe Oberst Kaulbars ist hier angekommen.

Rußland und Polen. St.Petersburg, 11. November. (W. T. B.) Der Minister des Aeußern, von Giers, tritt heute Mittag 11/2 Uhr seine Reise ins Ausland an.

Das „Journal de St. Pétersbourg“ stellt die Meldung mehrerer Londoner Zeitungen von einer Mobili- sirung der Pskower Truppendivision und der Ein- berufung der Altersklasse von 1877 fategorish in Abrede,

„Nowoje Wremja“ und „Nowosti“ bringen heute schr \ympathische Artikel über das Luther fest. Dieselben heben hervor, daß dasselbe ein Fest der ganzen gebildeten Welt sei. Ueberall, wohin das Licht der Philosophie gedrun- gen sei und die Toleranz Wurzel gefaßt habe, könne die Feier nur lihte Gedanken und erquickende Gefühle hervorrufen.

12, November. (W. T. B.) Während der Urlaubs- reise des Ministers von Giers wird der Adjunkt desselben, von Vlangali, die Geschäfte des Ministeriums des Aeußern leiten.

Schweden und Norwegen. Christiania, 10. No- vember. (W. T. B.) An dem heute von der Universität veranstalteten Lutherfeste nahmen außer den Professoren die Mitglieder der Reaierung und des höchsten Gerichishofes, die Geistlichkeit , der Präsident des Storthings und zahlreiche andere geladene Persönlichkeiten Theil. Nach einer Fest- fantate wurde von Professor der Theologie Johnson die Fest- rede gehalten.

Christiania, 12. November. (W. T. B.) Das Lutherfest wurde am 10. d. in allen Shulen und am 11. d. in allen Kirhen des Reiches gefeiert.

Dänemark. Kopenhagen, 10. November. (W. T. B.) Der Luthertag wird im ganzen Lande festlich und unter allgemeiner Theilnahme begangen. Heute fand in allen Schulen eine Gedächtnißfeier statt, wobei eine Denkschrift über Luther in Tausenden von Exemplaren vertheilt wurde. Auch von der Universität wurde die Lutherfeier heute begangen. Jn allen Kirchen des Landes wird das Lutherfest morgen gefeiert.

Amerika. New-York, 11. November. (W. T. B.) Anläßlich des Luthertages fanden heute in allen protestan- tischen Kirhen von New-York, Brooklyn und Philadelphia Festgottesdienste statt; in mehreren anderen Städten wurden Festversammlungen abgehalten.

Zeitungsstimmen.

Zur Lage der Kohlenindustrie wird der Rheinis ch- Westfälischen Zeitung“ geschrieben:

So wenig befriedigend in finanzieller Beziehung die Resultate des Bergbaubetriebes im Ober-Beraamtsbezirk Dortmund nach der jüngst Seitens der Bergbehörde veröffentlibten „Uebersicht der Stein- foblenproduftion für das 3. Quartal 1883“ sein mögen, die Pro- duktions- und Absatverhältnifse sind denno in einer sehr gesunden, gedeihlicen Lage. Die Förderung stieg im Vergleich zum 3. Quartal 1882 um 267 285 t, der Abfay um 252 077 t, oder bei einer Ge- sammtförderung von 7009403 t im 3. Quartal 1883 gegen 6 777 158 t in demselben Quartal 1882 um 3,9 °%/%. Günstiger aber tellt si das Verbältniß dar, wenn man die drei ersten Quartale gegen die der Vorjahre vergleicht. Bis zum 1. Oktober jeden Jahres betrug die Förderung:

1877 12642036 t 1878 13762057 , 1879 14 548 776 188) 16 186 727 1881 16 907 540 1882 18 719 496 1811 956 1883 20 462 810 1743314 , O Diejenigen, wele in den 70er Jahren keinen anderen Grund für die damals eintretenden mißlihen Geschäfts- und Finanzverhältnifse der Koblenwerke finden konnten, als die „Ueberproduftion“, find heute woblweiélid verstummt und beginnen einzusehen, daß hauptsächlich

oder geg. das Vorjahr bis dahin mehr = 1 120021 t 786 719 1637951 720 813

die Uebershwemmung Deutschlands mit englishen Produkten uxzd aen, das allgemeine Chaos, wie es durch den Freibandel ent, tarden war, der Mangel an Schut jeder induftriellen Thätigkeit die Umwälzung in den Geldverbältnifsen, welbe Schäden alle aber ix der Koblenindustrie zusammenflossen, die Ursachen der damaligen Kalamität bildeten, welche heute, was die Produktion betrifft, zun größten Theile gehoben sind, in den Geldverbältnifsen und Preisen aber immer noch sich wiederspiegeln.

_— Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ berichtet : _ Wir veröffentlichten vor wenigen Tagen einen Brief aus Dreëden über die wirthschaftlie Lage in Sachsen, welche der Correspondent als eine außergewöhnlich günstige bezeihnen konnte. Auch aus an- deren Theilen Deutscblands gehen uns ähnliche Mittheilungen zu, die auf Thatsacben gestüßt, gegenüber einer bohlen, phrasenhaften Oppo- sition den erfreulihen Beweis liefern, daß unsere neue Wirthschafte- politik jeyt bereits, na verhältnißmäßig kurzer Probe, gesunde Früchte ge: at. So theilt man uns aus Weimar mit, daß der andtag sih in seiner zweiten Sißung mit der Frage der Erhöhung der Verwaltungsbeamten-Besoldung beschäftigt habe und daß dabei Seitens der Staatsregierung der außerordentlich günstige Zustand der gegenwärtigen Finanzlage hervorgehoben worden sei, der ihr ge- statte, jenen B aufs Wärmste zu befürworten. Nachdem die Besoldungen der Justizbeamten, Lehrer und Geistlichen in den leßten zehn Jahren erhöht worden seien, könne au die Erhöhung der Gehälter der Verwaltungsbeamten nicht länger auf- geschoben werden. Es ist danah mit ziemli§er Bestimmtheit anzunehmen, daß die gewünschte Besoldungs- erhöhung Seitens des Landtages angenommen werden wird, wiewohl einiges Widerstreben dagegen von der zum großen Theil aus bäuerlichen Elementen zusammengeseßten Kammer unvermeidlich sein dürfte. „In sachverständigen Kreisen“, so schreibt unser Gewähré- mann, „waltet kein Zweifel darüber ob, daß diese gesunden Zustände dem System der indirekten Besteuerung zuzuschreiben sind, welches durch den dpa Bismarck ins Leben gerufen worden is. Die Fi- nanzen in Weimar werden {hon in diesem Jahre einen Gewinn von wenigstens 300 000 erzielen; denn während früher die Matrikular- beiträge 180 000 A4 absorbirten, erbält das Großherzogthum jett diesen Betrag vom Reich doppelt zurück.“

Das „Deutsche Wollengewerbe“ enthält fol- genden Artikel :

Die Dividenden von dreißig verschiedenen in der Form von Aktien- oder Cooperativ-Gesellshaften in Oldham betriebenen Baum- wollspinnereien und Webereien betragen nach den leßten geschäft- lihen Auéweisen derselben für das dritte Quartal 11, 114, 8, 5 5, 12, 64, 134, 10, 8, 10, 6, Null, 6#, Null, 7, 83, Null 10, Null, 3, 6, Null, 10, or. E G I 426 Nu oder im Durchschnitt nicht ganz 7 %; fie sind also weniger günstig als diejenigen vom zweiten Quartal, die bekanntli im Durcbschnitt etwas Über 10% betrugen. Die Ursachen sind verschiedene, sie liegen außer in den in dem betreffenden Zeitraum ausgebrochenen verschiedenen Weberstrikes, in der im Allgemeinen gegenwärtigen schwierigen geschäftliben Lage dieser Brande jenseits des Kanals, wozu die Wirren in den osftasiatischen Absatgebieten das Ihrige wesentlich mit beitragen; die Preis \{wankungen der Rohbaumwolle in der leßten Zeit kommen mit dazu; die Hauptshuld dürfte aber, um das Kind beim reten Namen zu nennen, an der maßlosen Ueberproduktion liegen, obwohi man dies jenseits des Kanals noch immer nit zugeben will, da es befanntli6 nach dortiger Auffassung für England keine Ueber- produktion geben soll. Es werden daher in Oldham mit einer wirk- lih fieberhaften Hast noch fortwährend neue Baumwollspinnereien errichtet; aber au im übrigen Cottondistrikt bleibt man darin niht zurück, und neuerdings scheint sogar Schottland von diesem Fieber angesteckt. So hat si soeben in Glasgow eine Aktiengesell- schaft für Errichtung einer Cotton Mill von 70000 Spindeln mit einem Kapital von 100 000 Pfund Sterling, eingetheilt in Aktien à 10 Pfund Sterling, konstituirt, die sich vorzugsweise mit der Fabri- kation hoher Garn-Nummern zu Türkischroth befassen will. ___Man \chmeicelt sich nämlich nicht allein jenseits des Kanals sondern auch in Belgien noch fortwährend mit der Hoffnung au! einen baldigen Umscbwung in der gegenwärtigen Wirthschaftspolitik der übrigen fkontinentalen Staaten, in dem Deutschland mit dem sogenannten guten Beispiel vorangehen werde und feiert den Be- ridt der „Chambre de Commerce de Berlin“ als ein günstige Greigniß von der größten Tragweite. Ein belgisches Fachblatt er- flimmt sogar den Gipfel der Naivetät und sagt, das deutsche Volk bätte diesen Bericht mit der größten Ungeduld erwartet, denn das Urtheil dieser Kammer erfrcue sich in ganz Deutschland ciner unbistrittenen Autorität und sci Über jeden Zweifel un- parteiisch (!!), unabhängig und unbeeinflußt weder von der Regic- rung noch von den politisden Parteien im Staat. Das belgisde Fachblatt liest dann des Weitern aus diesem Berit heraus, daß taë ganze deutsbe Volk mit der gegenwärtigen Wirths\chaftspolitik des „Monsieur de Bismarck“ total unzufrieden fei (!), und Freihänd- ler sowohl wie Schußzöllner eine baldige Aenderung und einc Rückehr zu der früheren freihändlerishen Wirthschaftspolitik ver- langen (!), da das jeßige System die daran geknüpften Erwartungen vollständig getäusht habe. (Hört!) Die seit einigen Jahren eîn- geführte und zwar durchaus unmotivirte Aenderung der deutscen Wirthschaftspolitik in \{utzöllnerisdem Sinne habe die Zoll- erhôöhungen der übrigen kontinentalen Staaten, namentlich von Ruf- land und Oesterreich-Ungarn, veranlaßt, und es sei gewiß, daß dic gegenwärtige Periode wirthschaftliher Reaktion in Deutschland nit mehr lange dauern kônne, ohne zu unbeilvollen Resultaten zu führen.

Vor allen Dingen erlauben wir uns dem belgischen Fachblatt es istdas die in Verviers ersheinende „Chambre de Co vmerce“ j wiederholen, daß in Deutschland ein Handelskammerberiht kein Dogma ist, und daß das deutsbe Volk und das, was das Blatt die „Chambre de Commerce de Berlin“ nennt, in Wirklichkeit zwei ganz grunk- verschiedene Begriffe sind! Wir wissen allerdings, daß in den faufmännishen und au in einigen industriellen Kreisen in Berlin diejenige Partei sehr stark vertreten ist, die den Freihandel und ver schiedene andere \hône Theorien, die man gemeinhin mit dem Namen „Mancesterthum“ bezeichnet, auf ihre Fahne geschrieben und für eint „internationale Arbeitstheilung* \{chwärmt, ohne zu bedenken, dab leßtere so lange feinen Sinn hat, als wir keinen internationale! Finanz-Minister und kein internationales Budget haben. |

Wir wissen ferner, taß unsere Seestädte dieser Partei eben falls zum großen Theil angehören und kennen die Gründe, warum dies so ist, recht gut. Aber wie die Schwaben fagen: „hinterm Bera’ sind aub noch Leut’* und zwar recht viele, nämli d! weitaus große Mehrzahl des deutshen Volkes, das festhält an der Wirthschaftspolitik, die unser Reichskanzler nach Ueberwindun der größten Schwierigkeiten, sagen wir noch in der elften Stunde, eingeführt hat und zwar unbetümmert um die Prinzipienreiter 18 eigenen Lager und um die Unkenrufe Derjenigen, die bisher gewohnt waren, Deutschland als die Ablagerungsstätte für ihre Ueberpr0 duktion zu betrahten. Darum war auch die Aenderung unsere! Wirthschaftspolitik das mögen sich unsere Stammesgeno!|@ jenscits des Kanals und unsern Nachbarn im Ardennenland gesag! sein lassen eine dringende, eine absolute Nothwendigkeit und eint wirklih nationale That. A ;

In dem noch in der Manchester-Periode abge\cchlofsenen deuts franzôfisben Handelsvertrag wurde Franfkreih eine uns gegenüber entschieden bevorzugte Stellung eingeräumt; die französischen Zölle waren entweder direkt oder indirekt höher als die unsrigen Oesterrei, das mit seinen Handelsverträgen der Beust'\en Periode, namentlich mit seiner englischen „Nacbtragskonvention \{limme Erfahrungen “gemacht hatte, mußte infolge dessen not! gedrungen mit seinen Zöllen in die Höhe, und erst als Italien und Holland, Schweden, Norwegen und Dänemark diesem Beispiel gefolgt waren, entsbloß man si endlih in Deuts land zur Einführung einer wirklich deutsch-nationalen Wirthschafté

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elitif. Und wenn nun einzelne Handelskammern es für zweckmäßi Falten, si in ihren Berichten fortwährend in direkten t nüBig zu segen mit der großen Mehrheit des deutshen Volkes, so kann die Antwort darauf nur lauten: Vollständige Reform der Handels- fammern an Haupt und Gliedern!

Centralblatt für das Deutsbe Reih. Nr. 45. In- balt: Handels- und Gewerbewefen: Bekanntmacbung, betreffend die Ausführung der Uebereinkunft zwis&en Deutshland und Frankrei äber den Schuß an Werken der Literatur und Kunst. Zoll- und Steuerwesen: Transportkontrole über Salz im Grenzbezirke der Pro- vinz Scbleéwig- Holstein. Befugniß einer Steuerstelle. Konsulat- wesen: Todesfall. Heimathwesen : Zwei Erkenntnisse des Bundes- amts für das Heimathwesen. Polizeiwesen: Ausweifung von Aus- läudern aus dem Reichëgebiet.

Central-Blatt der Abgaben-Geseßgebung und Ver- waltung in den Königlich preußischen Staaten. Nr. 23, Inhalt : Anzeige der in der Geseßsammlung und im Reichsgeseßzblatte erschienenen Gesetze und Verordnungen. Allgemeine Verwaltungs- gegenstände: Veränderungen in dem Stande und in den Befugnissen der Zoll- und Steuerstellen. Indirekte Steuer: Anwendung des Brausteuergesetes. Gewerbe- und Handelssachen : Handels- unk Swiffahrtsvertrag zwischen dem Deutsben Reih und Spanien. Nerordnung, betreffend die Ausdehnung der Zollermäßigungen in den Tarifen der Handels- und Sciffahrtsverträge mit Italien und mit Spanien. Ausführungébeftimmungen zu dieser Vercrdnung. Personalnachrichten.

Neichstags - Angelegenheiten.

Oppeln, 12. November. (W. T. B.) Bei der Reichstag s- Nachwahl im hiesigen Wahlkreise, am 8. d. M., wurde Graf Ballestrem (Centrum), welcher das Mandat niedergelegt hatte, mit 8942 gegen 87 St., die sih zersplittert hatten, wiedergewählt. Im Ganzen waren 9033 Stimmen abgegeben worden.

Statistische Nachrichten.

Aus dem neuesten Monatsheft zur Statistik des Deutschen Reichs, welches die Uebersichten über die Einfuhr und Ausfuhr der wichtigeren Waarenartikel im deutschen Zollgebiet für den Monat September 1883 und für die Zeit vom 1. Januar bis Ende September 1883 enthält, theilen wir Folgendes mit :

Jn der Zeit vom 1. Januar bis Ende September 1883 wurden an Getreide eingeführt 5 495490 D. C. (Doppel-Centner) Weizen, 4996 274 D. C. Roggen, 1 335 828 D. C. Hafer, 317196 D. C. Hülsenfrüchte, 1 853 173 D. C. Gerste, 449 103 D. C. Malz, 79352 D. C. Buchweizen und 1 266 331 D. C. Mais, Für den Vergleich mit den ent- sprehenden Zahlen des Vorjahres ift bei Weizen, Roggen, Hafer, Gerste und Buchweizen zu berücksichtigen, daß diejenigen Getreidemengen, welche auf Grund des Reicbsgesetes vom 23. Juni 1882 für Mühlenlager fontirt wurden, im Jahre 1882 erst vom 1. Juli an mit in Rech- nung gestellt sind, im Jahre 1883 dagegen schon mit Beginn des Jahres. Werden dieselben von den betreffenden, in den Zeitabschnitten vom 1, Januar bis Ende September 1882 bezw. 1883 nachgewiesenen Einfuhren gleichmäßig in Abzug gebracht, so ift das Ergebniß

folgendes: : Einfuhr bis Ende September 1883 1882 4 334 915 D, C. 4 986 585 D. C. 44600392 . » 5066 894 , galee ; 1002118 5 2 422 909

erste . L 84VGOT ¿ p 2256186 ,

Budtdweizen . 62439 . j 114485. , »

Die Getreideeinfuhr, ohne die Einfuhr auf die gedahten Mühlen- lager, ift demnach bis Ende September 1883 überall eine geringere gewesen, als in dem gleichen Zeitraume des Vorjahres. Auf Mühlen- lager wurden bis Ende September 1883 eingeführt: von Weizen 1 160 575 D. C,, von Roggen 530 882 D. C, von Hafer 3710 D. C, von Gerste 11 566 D. C. und von Buchweizen 16 913 D. C. Die Ausfuhren von Mehl 2c. aus diesen Lagern mit dem Anspruch auf Zollnahlaß für das entsprechende Quantum ausländischen Getreides beliefen sih auf 759316 D. C. Mehl und 6840 D. C. Graupen, Gries oder Grüße, Von den sonstigen zollpflichtigen landwirthschaftliben Produfk- ten hat die Einfuhr von Mais um 446 717 D.C., von Malz um 78 852D.C., von Raps und Rübsaat um 96() 709 D. C. zugenommen, wogegen die Einfuhr von Leinsaat um 2 624 D. C. gesunken und die Cin- fuhr von Kleesaat (116 739 gegen 113 202 D. C.) ih fast gleich ge- blieben ist. Die Ausfuhr von Weizen, Roggen, Hafer, Hülsen- frühten, Gerste und Buchweizen ist merklih gestiegen; bei Weizen und Hafer hat si dieselbe mehr als verdoppelt. Ein- und Ausfuhr von Kartoffeln hoben sich in den in Frage stehenden Jahresabschnitten von 184 319 D. C. bezw. 1048 405 D. C. auf 308 634 D. C. bezw. 2 459 266 D. C. Von frischem Obst sind bis Ende September 1883 Ein- und Ausfuhr erheblich größer, von frishen und getrockneten Cichorien be- trächtlich geringer gewesen. Die Einfuhr von Konsumtibilien anderer Art (Tarifnummer 5 und 26) war fast durchgängig größer als bis Ende September des Vorjahres. Insbesondere hat die Einfuhr von Wein, Arrak, Rum und Franzbranntwein, von Fleish und Schmalz, frischen Südfrüchten, Korinthen und Rosinen, Kaffee, Kakao, ge\{chrotenen oder gesälten Körnern (Graupen, Gries, Grüße), Mehl, Reis und Salz beträhtli zugenommen. Auch die Einfuhren von Bier, Butter und Käse, Pfeffer, Thee, Syrup und Melasse zeigen eine Zunahme, dagegen die Einfuhren von Heringen und getrocktnetem Obst eine Ab- nahme. Belangrei ist der Rückgang der Ausfuhr von Branntroein mit Aué\{luß von Arrak, Rum, Franzbranntwein und des versetzten. Während sich diese Ausfuhr bis Ende September 1882 auf 667 061 D. C. belief, ist dieselbe im gleichen Zeitraum des laufenden Jahres auf 310 616 D. C. gesunken. Dagegen ist die Zuckerausfuhr in außerordentlich hohem Grade gestiegen ; sie betrug von Januar bis September diescs Jahres 2558 911 D. C. gegen 1 347812 D. C. in demselben Zeitraum des Vorjahres.

_— Die überseeische Auswanderung aus dem Deutschen Reich über die deutshen Häfen und Antwerpen betrug nah den Aus- neten des Kaiserlichen Statistishen Amts im September dieses Jahres 14 753, des Vorjahres 15 530; im Ganzen betrug die amtlich nachgewiesene Auswanderunz für die 9 Monate Januar—September

eit Jahres 133 954, in demselben Zeitraum des Vorjahres 160 966 en.

Weizen . Roggen .

Kunft, Wissenschaft und Literatur.

d Professor Oskar Begas, Mitglied der Königlihen Akademie Q Künste, ist am Sonnabend im 56. Lebensjahre seinen langen Tetden dur einen sanften Tod erlegen. M Das soeben autgegebene Novemberheft der illustrirten d onats\{rift „Aus allen Zeiten und Landen“ enthält, außer er Fortseßung des Romans „Brigitta von Wisby“ von Hans Hoff- mann, das Lebenébild einer deutschen Fürstin am französischen Hofe vudwigs X1VY., die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, welches mit der vorzüglihen Reprodufktion eines gleichzeitigen Kupferstiches (esbmüdt ist. Daran \chließt sich ein interessantes Landschafts- und eshichtsbild aus Thüringen „Burg Kapellendorf“, von Robert Keil, BRe ein mit guten Portraits illustrirter Aufsaß von Fr. von ‘benhausen „Der Herzog von Reichstadt“, Einen Helden Alt- deeenlands von erhabenstem Charakter und edlem Patriotismus «nallifratidas* behandelt Friy Walther, und den Scluß des mit zwei Portraits geschmückten Aufsaßes „Die weiße Frau“ bringt Karl friesendorf. „Was die Engelsburg gesehen hat“, mit den Illustra- S. „Grabmal des „Hadrian“ und „die Engelsburg“, führt Sridolin, Hoffmann vor, und in einer „geographishen Umscbau“ erden in vortrefflihster Uebersicht die Resultate der neuesten For-

{ungen in Afrika mitgetheilt. „Historietten* beschließt das Heft. i

In Carl Heymanns Verlag in Berlin ist erschienen : Tascenkalender für Scchiedsmänner und deren Stell- vertreter in Preußen auf das Jahr 1884. Derselbe enthält außer einem vollständigen Kalendarium alle Gesete, teres Kenntniß zur Ausübung des Schiedsmannsamtes nötbig is. Der Termin- kalender ift unter Mitwirkung des Geheimen Dber-Justiz-Raths und Senatspräsidenten Florshüt, welcher an dem Entwurf zur Schicds- mannsordnung mitgearbeitet und denselben aub als Regierungs- kommifsar im Landtage vertreten hat, erschienen, und dürfte dieser Umstand cine Gewähr dafür leisten, daß dem Scbicdsmanne bier ein wirfklih praktisbes Handbuch geboten wird. Sicberlih wird das elegant gebundene Bülblein, dem Brieftasche und Faberstift beigegeben ift, sich unter den Sciedsmännern immer mehr Freunde erwerben. Der Preis des Kalenders beträgt 2,25 M

f Land- und Forstwirthschaft. Washington, 10. November. (W. T. B.) Der Bericht des Landwirth schafts-Bureaus pro Oktober weist eine kleine Besserung auf. Der Ertrag der Ernte von 1883 ist 86 °/ im Vergleich mit derjenigen von 1882.

5 Gewerbe und Handel.

Nürnberg, 10. November. (Hopfenmarktbericht von Leopold Held). Der gestrige Markt eröffnete mit rubiger Stimmung und gedrückten Preisen, doch wurde bis Abend ein Umsaß von ca. 800 Ballen erreiht. Auch beute ist der Marktverkehr ein sehr ruhiger und mögen bei einer Gesammtzufuhr von ca. 500 Ballen bis Mittag 3—4.0 Sâcke die Eianer geweselt haben. Die Preise aller Sorten mußten gegen leßte Notirungen abermals einige Mark nachgeben. Die Tendenz ift ruhig und abgeschwächt zu nennen. Die Notirungen lauten: Württemberger prima 185—190 Æ, mittel 100—170 Æ, Hallertauer prima 180—185 #, mittel 155—165 Æ, Polen prima 180—185 M, mittel 170 M, Elsäfser prima 160— 165 4, mittel 145—150 A, Badische prima 165—170 Æ, mittel 145—155 A, Gebirgshopfen 170—180 4, Marktwaare 150—168 M, Aischgründer 180—170 4, Altmärker 125—140 M

Antwerpen, 10, November. (W. T. B.) Wollauktion. Angeboten waren 2160 B. La Plata-Wollen, von denen 1338 B. ver- kauft, Preise unverändert.

London, 10. November. (W T. B.) Edward C. Maddison, Wecselagent und Eisenbabnunternehmer hicr, hat fallirt. Die Passiva betragen 200000 Pfd. Sterl.

Glasgow, 10. November, (W. T. B.) Die Vorräthe von Roheisen in den Stores belaufen fi auf 588 090 Tons, gegen 618 100 Tons im vorigen Jahre. Zahl der im Betriebe befindlichen Hochöfen 101 gegen 115 im vorigen Jahre.

Verkehrs-Anstalten.

Stettin, 10. November. (W. T. B.) Auf dem Dampfer eLibau“, welcher morgen nach Memel abgehen solite, brach heute früh 85 Uhr Feuer aus, welches sehr bald gelö{t wurde. Der Schaden ift unbedeutend.

Bremen, 10. November. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Werra is heute früh 4 Uhr in New- York eingetroffen.

11. November. (W. T. B.) Der Dampfer des Nord- deutschen Lloyd „General Werder“ ist gestern früh 6 Uhr in New-York angekommen.

Hamburg, 10. November. (W. T. B.) Der Postdampfer

Rhenania“ der Hamburg-Amerikaniscben Packetfahrt- Aktiengesellschaft ist am 9. d. M. in St. Thomas eingetroffen.

Hamburg, 11. November. (W. T. B.) Die beiden Posft- dampfer „Westphalia* und „Teutonia“ der Hamburg- Amerikanischen Padcetfahrts- Aktiengesellschaft haben, Ee heute Morgen 7 Uhr, Letzterer Morgens 8 Uhr Cap Lizard passirt.

Eine große Anzahl interessanter

Berlín, 12. November 1883.

Morgen, Dienstag, findet Königliche Parforce- Jagd statt. Rendezvous: Mittags 1 Uhr zu Fagdschloß Grunewald.

Eisleben, 10. November. (W. T. B.) Heuie Mittag um 12 Uhr fand auf dem festlih ges{chmückten Marktplaße die feierlihe Gnt- büllung des Luther-Denkmals statt, welcher u. A. der Kultus- Minister Dr. von Goßler, der regierende Graf Otto von Stolberg- Mernigerode und der Direktor der Königliben Museen, Geheime Ober-Regierungs-Rath Schoene, beiwohnten. Die Geistlichkeit hatte am Fuße des Denkmals Aufstellung genommen. Nachdem die hiesigen Gesangvereine, von der Kapelle des 27. Infanterie-Regiments be- gleitet, den Choral „Ein feste Burg“ vorgetragen hatte, hielt Bürger- meister a. D. Dr. Martins einen Vortrag über die Geschichte der Entstehung des Denkmals, worauf die Hülle des auf einem Soel von grünem \chwedishen Granit ruhenden, 9 Fuß hohen Denkmals fiel. Hierauf hielt Ober-Hofprediger D. Koegel die Weihrede, in welcher er Luther als den größten Sohn des deutschen Volkes pries und zum Schluß der Versammlung den Segen ertheilte. Die An- wesenden intonicten den Choral ,Lobet den Herrn“. In Stellvertretung des noch kranken Ober-Präsidenten von Wolff übergab der Regierungs- Präsident von Diest das Denkmal der Stadt, welches Bürgermeister Funk übernahm. Während der Enthüllungsfeter ging folgendes Telegramm Sr. Kai serlihen und Königlichen Hoheit des Kron- prinzen an den Bürgermeister Funk ein:

„Wenngleih Mir nicht vergönnt ist, den bedeutungêvollen heutigen Tag an der Geburtsftätte Martin Luthers mit Ihnen festlih zu begehen, denke Ich doch in warmer Theilnahme der seinem Andenken in der Vaterstadt gewidmeten Feier."

Die Feier {loß mit dem Gesange des Chorals „Nun danket Alle Gott“, worauf fich der historische Festzug unter den Klängen des Torgauer Marsches in Bewegung seßte.

Den vom Historienmaler W. Beckmann aus Düsseldorf arran- girten Festzug eröffnete ein berittener Herold mit den Emblemen des Deutschen Reiches ; ihm folgten in den roth-weißen U der Stadt Mansfeld ein Heerpauker und 12 Fanfarenbläfer. ieran reihte sich in blau-weißen Farben der Herold der Stadt Eisleben, deren Magistrat und Bürger zum Empfange Luthers sich vor dem Stadtthore eingefunden und #ich dem großen Herren- zuge angeschlossen hatten. Bannerträger der Grafen Mans- feld, von einigen Rittern der nahen Umgebung be- gleitet, kündigten durch die farbigen Wappen die nachkommenden Edlen an, denen sch Troßleute, Falconiere und Jäger zu Pferd und zu Fuß angescblossen hatten. Einem Hero!de und vier ahnenträgern folgten die Grafen Mansfeld selbst, Albrecht und ebhard, mit ihren Frauen, Fräuleins und Kindern, sämmtliche in kostbarsten Ge- wändern. E {lossen sich Bannerträger und die Hofmar- \hâlle des Fürsten Wolfgang von Anhalt an. Jäger mit der Meute kamen hinterher, dann zwei Trompeter und nun, in hohem Turniersattel reitend, ganz in Eisen gekleidet, der \treitlustige Graf Affseburg mit gewaltigem Speer. Wieder folgten Hofmarschälle und dann die edlen Gestalten des Grafen von Schwarzburg, seiner Gemahlin und Töchter. In malerischer Tracht schritten nun die Landsknechte einher. Würdevoll, in schwarzer Amts\chaube, die goldene Kette mit großer Denkmünze auf der Brust, folgten ihm die Herren vom Rath der alten Bergstadt. Sie kün- deten das Erscheinen Dr. Martin Luther an. Er fuhr in cinem reihen Prachtwagen des Grafen von Mansfeld, neben thm sein Freund Justus Jonas und seine drei Söhne: Johannes, Martin und Paul. Hofprediger Michael Côöltus und gräfliche Notare und Räthe {ließen sich an. Das Volk, Bürger und Bergleute dräng- ten nah. In langen Rotten seßt sich die Gewerkschaft mit bunten Bannern, malerish unterbrochen von Reisigen und Troßleuten, in

Bewegung. Ein reizvolles Bild bieten die jugendlichen Kurrende- sänger und die Schüler der böberen Lehranstalten im Wamms mit Puffenärmeln. Auch die Zünfte der Stadt begleiten Dr. Luther: voran die Fleisher zu Roß, dann die Kaufleute, Gärtner mit den Herbstfrüchten und gcldener Mulde, Schmiede u. A. m. Spielleute ¡u Fuß in Wams und Barret, dahinter berittene Marscälle und Landéknechte, bewaffnet mit Spießen, Radschloßgewehren und Arm- brusten, {ließen den farbenreichen, fesselnden Zug.

_— 19. November, Abends. (W. T. B.) Nachmittags fand im Wiesenhause ein Festmabl zu 300 Gedecken statt. Den Ebrenplaßp nabm zwischen dem Grafen Stolberg-Wernigerode und dem Ober- Hofprediger D. Kögel der Kultus-Minister von Goßler ein, der den Toast auf Se. Majestät den Kaiser ausbradbte. Ein drei- maliger Tusch der Kapelle und Kanonensalut erdröhnte, und die An- wesenden sangen die preußisbe Hymne. Der Ober-Hofprediger D. Kögel sprach auf die Stadt Eisleben, Bürgermeister Funk toastete auf die Gäste und Professor Größler auf den Sdböpfer des Denkmals. Jazwischen hielten di: 61 Kriegervereine, welhe während des Festzuges Spalier gebildet hatten, unter flingendem Spiel mit fliegenden Fahnen einen Ummarsch um das Luther-Denkmal. Professor Mach sandte aus Prag Namens vieler Kollegen der deutschen Universität Prag Gruß und Handschlag zur Feier des großen deutschen Mannes. Abends fand eine glänzende Illumination der Straßen und Plätze, insbesondere des Lutherdenkmals ftatt, an dessen Fuße 170 Sänger der vereinigten Männercböre des städtischen Singvereins, des Seminars und Proseminars unter Begleitung der Militärkapelle ein feierlibes Te deum vortrugen. Lord Shbaftesbury aus London sandte ein Tele-

gramm, nach welchem das protestantish? England fich verbindet, um den großen Mann Deutschlands zu feiern.

Ferner liegen heute über die Lutherfeier im Reiche und dem Auslande noch folgende Berichte des „W. T. B.* vor:

Königsberg i. Pr., 10. November. Heute Vormittag um 9 Uhr versammelten sh tie Mitglieder des Konsistoriums, die evangelische Geistlichkeit, die Spitzen der Civil- und Militärbehöden, die von den Gerichten abgeordneten Deputationen, der Magistrat, die Kaufmannschaft, das Schulfkollegium, die Angehörigen der Kunstakademie, die Studenten der Universität 2c. vor dem Rathhause und begaben \sich in feierlihem Zuge nach dem Dom, wo Generalsuperintendent Dr. Carus die Fest- predigt hielt. N2ch dem Sclusse dez Gottesdienstes bewegte sib der Zug durcþ die von einer dihtgedrängten Menschenmenge gefüllten Hauptstraßen na dem Scloßplaye. Hier brate der Sängerverein eine Festkantate zu \{chöôner Aufführung. Konsistorial-Rath Kretschmer spra den Segentsprub über Se. Majestät den Kaiser aus. An diese Feier {loß fi sodann cin Festaki in der Universität.

Posen, 10. November, Au hier wurde der 400jährige Ge- burtstag Luthers durch Gottesdienst und Scbulfeste gefeiert. Dem Festakte in der Aula der Königlichen Luisenshule wohnte u. A. der Oberpräsident Günther bei. Die Hauptfeier in den Kirchen findet erst morgen statt.

Breslau, 10, November. Zur Lutherfeier sind die Häuser be- flaggt und die Läden der Straßen, durch welche der Festzug passirte, ges{lossen. Früh Morgens wurden Choräle von den Kirhthürmen geblasen, dann begaben sich die SwWulin in langen Zügen zum Festgottesdienst. Bei herrlihem Wetter fand um 113 Uhr der Festzug vom Rathhause aus statt, vor dem Tausende von Menschen versammelt waren. Unter Voran- tragung der Lutherbibel begaben sid die Geistlichkeit, die Königlichen Behörden, Magistrat und Stadtverordnete, der Rector Maanificus und die Dekane in vollem Ornat, die Militärbehörde, die Direktoren und Lebrer der Schulen, die Studenten und die In- nungen na der Elisabethkirche, wo der Festgottes8dienst stattfand; die Festpretigt bielt der Generalsuperintendent Erdmann. Am Abend wird in der St. Becnhardi-Kirche das Oratorium , Luther in Worms“ aufgeführt.

Halle, 10, November. Bei der heutigen akademischen Lutherfeier wurden zu Ehrendoktoren der Universität Halle-Wittenberg promovirt: von der theologischen Faful- tät: Professor Dorner (Wittenberg), Superintendent Rietschel (Wittenberg), Superintendent Foerster (Halle), Pastor Hofmann (Halle), Pastor Hesekiel (Sudenburg), Professor Kawerau (Magdeburg) Präsident des Ober-Kircenraths, Hermes (Berlin), und Professor Tschakert (Halle); von der juristischen Fakultät: Kultus-Minister von Goßler, General-Superintendent Brückner (Berlin), Präsident des Konsistoriums Roedenbeck (Magde- burg) und Professor Sigwart (Tübingen); von der mediziniscen Fa- fultät: Professor Abbe (Jena) und Baurath Hobrecht (Berlin); von der philosophischen Fakultät: Bürgermeister Brecbt (Quedlinburg), Professor Mejer (Göttingen), Professor Möller (Kiel) und Pastor Otto (Merseburg).

Halle, 11. November. Gegen 1 Uhr Mittags begann der ca. 1 Stunde lange Festzug, an welhem die Spiyen aller Behörden, die Professoren der Universität, zahlreibe Vereine, die Schulen, Fnnungen 2c. theilnahmen, nah dem Marktplate, wo die Enthüllung des Lutherdenkmals stattfand. Auf dem Marktplaße, welcen der Zug etwa um 3 Uhr erreichte, hatte eine große Menschenmenge Auf- stellung genommen. Nach dem Gesange des Chorals „Lobe den Herrn“ hielt Ober-Bürgermeister Staude die Festrede. Der Gesang ‘Ein’ feste Burg“ beschloß die Feier. Die Stadt is glänzend illuminirt.

Nordhausen, 10. November. An dem Festzuge anläßlich der Lutherfeier betheiligten sich 4000 Personen und 10 Kapellen. Der- selbe setzte sich um 2 Uhr in Bewegung; sämmtliche Behörden waren dabei vertreten. An den Festzug {lossen sid Gesänge, Festrede und Grundsteinlegung des Lutherdenkmals an. Superintendent Haase hielt die Festrede; alsdann weihte Ober-Bürgermeister Riemann den Grundstein des Denkmals mit einer kurzen Ansprache ein.

Erfurt, 10. November. (W. T. B.) Zur heutigen Luther- feier hat sih die Stadt festlih ges {mückt. Vormittags fanden in den höheren Lehranstalten Festakte statt. Mittags erfolgte im Regie- rungsgebäude dur den Regierungs-Präsidenten von Kampk die feterlihe Uebergabe des von Sr. Majestät dem Kaiser gescbenkten Gemäldes „Luther entdeckt die erste lateinische Bibel in der Kloster- bibliothek zu Erfurt“ an die städtishen Behörden. Der Abends ver- anstaltete Facktelzug von gegen 7000 Theilnehmern wurde leider durch den Regen stark becinträhtigt. Die Auflösung des Zuges fand vor dem Dome na Absingen des Liedes „Cin' feste Burg ist unser Gott“ statt. Morgen Vormittag feierliher Rathskirchgang.

Kiel, 10. November. Der heutige Luthertag wurde hier und in ganz Sleswig-Holstein festlid begangen. Den Schulkindern wurden fast überall Andenken bewilligt und zahlreihe Stiftungen zum Gedächtniß des Tages errichtet.

Hannover, 10. November. Zur Lutherfeier wurde heute Abend ein Fackelzug durch die beflaggte Stadt nach dem Klagesmarkt veran- staltet, wo vor der Lutherstatue der Festaktus stattfand. Die Theil- nahme der Bevölkerung war eine allgemeine. i : Hannover, 11, November. Nach beendigtem Gottesdienst fand der anläßlich der Lutherfeier veranstaltete Festzug der Vereine und Gewerke mit Fahnen und Emblemen statt. Der Festzug, în welchem ch verschiedene Wagengruppen und 25 Musikcorps befanden, bewegte sih durch die von einer dichtgedrängten Volksmenge besetzten Haupt- straßen. Für den Abend ist eine großartige Illumination vorbereitet. Osnabrück, 12. November. Nachdem bereits am Sonnabend zur Vorfeier des Lutherfestes eine glänzende Illumination unter dem Glockengeläut der evangelischen Kirchen stattgefunden hatte, wurden gestern Vormittag Festgottesdienste abgehalten. Dem Festmahl am Nachmittag wohnten gegen 550 Personen bei; an dem Fackelzug des gestrigen Abends betheiligten sich 2206 Fackeln, worauf ein Feuer- werk abgebrannt wurde und die Festtheilnehmer sich zu einer geselli- gen Zusammenkunft vereinigten.

Frankfurt a, M., 10. November. Die Lutherfeier in Scbu- len und Kirchen ist programmmäßig verlaufen; die Stadt zeigt im

Uebrigen ihre alltägliche. Physiognomie. In Bockenheim wurde heute Abend ein großer Fackelzug veranstaltet.