1883 / 287 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 06 Dec 1883 18:00:01 GMT) scan diff

die von seincr Partei hier abgegeben worden, durch ein agitatorishes Verfahren entstellt würden. Wozu die Vor- würfe? Der Minister solle einfach ersucht werden, einer Aenderung des Wahlverfahrens seine Zustimmung u ertheilen Daß seine Partei fh niemals dazu ver- ehen werde, einer Aenderung des Wahlverfahrens für den Reichstag zuzustimmen, das könne er mit Nachdruck hervor- heben. Gerade im Sinne der freiheitlihen Entwickelung halte seine Partei es nicht sür klug, dem Antrage zuzu- stimmen.

Der Abg. Rickert versicherte, den Widerspruch nicht lösen zu können, der sih zwischen den Ausführungen des Abg. Hobreht und dem Beschlusse seiner Partei, gegen den Antrag Stern zu stimmen, befinde. Die weiteren Ausführungen des Red- ners bescästigten sich mit einer eingebenden Kritik des gegen- wärtigen Regierungssystems, das die Wahlkorruption in ganz besondere Weise gefördert habe.

Hierauf ergriff bei Schluß des Blattes der Minister von Puttkamer das Wort.

Staats-

Von dem Leiter der deutschen wissenschaft- lihen Kommission, welGe zur Erforschung des Wesens und der Entstehung der Cholera nah Egypten und Ostindien entsandt worden, ist ein wei- terer Bericht eingegangen. Derselbe ist geschrieben zu Suez, den 10. November 1883, unv wird, soweit er von all- gemeinem Jnteresse ist, hierunter auszugsweise abgedruckt :

Ueber die Thätigkeit dec Kommission seit meinem leßten Bericht (d. Alexandrien, den 17. Septembter,) habe ih Fol- gendes zu berichten :

Troßdem nur noch vereinzelte Cholerafälle vorkamen, fügte es der Zufall, daß noch die Sektion einer Choleraleiche im europäischen Hospital gemaht werden konnte, wobei in Bezug auf das Vorkommen der Bacillen in der Darmschleim- haut derselbe Befund, wie in den früheren Fällen, erhalten wUrde.

Mit dem Darminhalt dieser Leiche, sowie mit den bis dahin gesammelten anderweitigen Flüssigkeiten von Cholera- kranken und Choleraleihen wurden die Jnfektionsversuche mit den verschiedensten Modifikationen fortgeseßt. Namentlich wurde versucht, durch unmittelbarc und möglichst hoch hinauf- gebrachte Jnjektion in den Mastvarm der Versuchethicre, ferner dur Vecmischen jener Substanzen mit Erde oder Wasser, Eintrocknen an Zeugstoffen und einige Zeit später erfolgentve Verfütterung an Affen, Hunde, Mäuse und Hühner cine Jn- fektion zu erzielen. Aber alle diese Versuche blieben ebenso, wie die früheren erfolglos.

Nachdem diese Arbeiten ihren Abschluß gefunden hatten und nicht mehr zu erwarten war, daß noch weitere Gelegen- heit zur Sektion von Choleraleichen sih bieten würde, begab sih die Kommission am 16. Oktover nah Kairo. Die Jnstru- mente, Apparate und gesammelten pathologischen Objekte wur- den, soweit sie für die Förtsezung der Untersuchungen erfor: derlich waren, wohl verpackt nah Suez als Frachtgut voraus- gesandt, um von da bei der Weiterreise nah Jndien mitge: führt zu werden. Während des Aufenthaltes der Kommission in Kairo wurde von Alexandrien eine nochmalige Zunahne der Epidemie gemeldet. Doch erschien die Rückehr nach Alexandrien niht zweckmäßis, weil sih vorauësehen ließ, daß das neue Auflodern derx Epidemie nicht erheblih und nur von kurzer Dauer sein würde.

Außerdem hatten ih die Herren Dr. Schieß Bey und Dr, KRartulis in Alexandrien mit sehr dankensweriher Bereit- willigkeit erboten, noch etwa vorkommendes Sektionsmaterial zu sammeln. Dies ist inzwischen geschehen und ih habe von den genannten Herren von vier weiteren Choleraleihen die zur Untersuchung nothwendigen Objekte erhalten.

Als denjenigen Plaß in Jndien, welcher für die Fort- seßung der Untersuchungen am meisten geeignet schien, hatte ih Anfangs Bombay in Aussicht genommen, weil daselbs im August und in der ersten Hälfte des Scptember noch zahlreiche Cholera-Todesfälle vorgekommen waren, Seitdem hat aber die Epidemie dort rapide abgenommen und is anscheinend jeßt ganz erloschen. Nach dem Urtheil verschiedener mit den indischen Verhältnissen vertrauter englisher Beamten wurde mir unter diesen Umständen Kalkutta als die für die 2wecke der Kommission geeignetste Stadt bezeichnet, weil daselbst die Cholera beständig mehr oder weniger herrsht. Durch bicfe Mittheilungen wurde ich veranlaßt, Ew. Excellenz um die Genehmigung zur Reise der Komnission nah Kalkutta ge- horsamst zu bitten.

Bevor die Kommission Egypten verließ, hielt ih cs jedo für unerläßlich, einige Fragen, welche für die Äbwehr der Cholera von der größten Wichtigkeit sind, noch einem eingehen- den Studium zu unterwerfen.

Es handelte sich zunächst darum, 0% die von mehreren Seiten und mit großem Nachdruck aufgestellte Behauptung richtig ist, daß die diesjährige Cholera-Epidemie Egyytens nicht von Indien importirt, sondern im Lande selbst eutstanden sei, und daß also in Zukunft in Bezug auf die Produktion dieser gefährlihen Seuche Egypten mit Jndien auf die gleiche Stufe gestellt werden müsse. Um hierüber ein Urtheil zu gewinnen, hat sih die Kommission noch von Alexandrien aus am 6. Of- tober nah Damiette begeben, wo die Epidemie ihren Anfang gehabt hatte, und hat während mehrerer Tage dort die sorg- fältigsten Untersuhungen über den Ursprung der Seuche angestellt.

Ueber das gewonnene Nesultat beholte ih mir ausführ- lihen Bericht vor.

Weit wichtigere Fragen noch waucui dic über die Wirk- jamkecit der Quarantäne und die Verschleppung der Cholera durch bie nah und von Mekka gehenden Pilger. ÄAvch hier- mit hatle sich die Kommission noch während ihres Aufenthaltes in Alexandrien beschästigt und die Einrichtungen der Quearan- täneanstalten in Gabari und Mets bei Alexandrien, sowie der an der Mündung des ösilihen Nilarmes bei Damiette lie- genden Anstalt eingehend besichtigt.

Als aber in den leßten Wochen der Ausbruch der Cholera unter den in Mekka befindlichen Pil- gern gemeldet und die Bestimmung getroffen wurde, daß die von Djeddah kommenden Pilger in Tor Quarantäne halten sollten, bot si hiermit ¿ine so überaus günsiige Ge- legenheit zur Jnformation über dicse wichtigen Verhältnisse, daß ih mi für verpflichtet hielt, dieselbe niht unbenugt vor- übergehen zu lassen. Da jedoch keine regelmäßige Vecbin- dung mit den egyptishen Quarantänepläßen am Rothen Meere besteht, so blieb nichts übrig, als die Vermittelung der egyptishen Regierung in Anspruch zu nehmen, um der Kom- mission den Besuch der Quarar.tänehäfen zu ermöglichen. Auf ‘eine vom deutschen General-Konsulat ergangene Anfrage erbot

sih Se. Hoheit der Khedive auch sofort, der Kommission den nach Tor mit Ausrüstunrgsgegenständen für das Quarantäne- lager gehenden Dampfer „Damanhur“ sür jenen Zweck zur Versügung zu siellen, ein Anerbieten, welches dankbarst an- aenommen wude. Unsänglih hoffte die Kommission, diese Reise in der Weise ausführen zu können, daß sie nah dem Besuch von Tor und El Wedj an der Küste des Rothen Meeres südlich von Djeddah gegangen wäre und dort den An- {luß an eine der indishen Dampferlinien erreiht hätte. Dies ging jedoch nicht, weil die Kommission in Djeddah sich ciner längeren Quarantäne hätte unterwerfen müssen und damit zu viel Zeit verloren hätte. Sie mußte daher von El Wedj nah Suez zurückehren, um eine Fahrgelegenheit nah Jndien zu finden. Am 30. Oktober begab sich die Kommission von Kairo nah Suez, am 31. fuhr sie nah Tor, am 2, November von da nah El Wedj und kehrte am 7. No- vember Abends nah Suez zurück, nachdem sie auf dem Rück- wege dem Quarantänelager der Pilger in Tor einen noch- maligen Besuch abgestattet und \{hließlich noch die Quarantäne an den Mosesquellen bei Suez besichtigt hatte.

Dieser Ausflug ist für die Kommission im höchsten Grade lehrreih gewesen. Es bot si nämli die Gelegenheit, beim ersten Besuch von Tor das für den Empfang der Pilger her- gerichtete, aber noch unbelegte Quarantänelager zu sehen. An demselben Tage lief dann noch ein mit sast 500 Pil- gern beschtes Dampfschiff des österceichishen Lloyd in den Hafen von Tor ein. Nach Angabe des Schiffsarztes war Alles gesund an Bord. Aber beim Ausschiffen der Pilger und bei threr Ueberführung in das Zeltlager, was beides in Gegenwart der Kommission stattfand, zeigten sih schon einzelne Pilger s{hwer krank und der Cholera verdächtig, so daß sie sofort ins Quarantänelazareth geshickt werden mußten. Beim zweiten Besuch von Tor fand die Kommission noch ein zweites Pilgerschiff angekommen, dessen Pilger bereits gelandet waren. Jn beiden Zeltlagern war inzwishen die Cholera ausge- brochen; die Pilger des erston Schiffes hatten drei Todesfälle, diejenigen des zweiten Schiffes cinen Todesfall an Cholera und entsprehend viele Erkrankungen. Bei der Anwesen- heit der Kommission im Lazareth wurden eine Cholera- leihe und mehrere, die harakteristishen Symptome der Cholera bietende Kranke angetroffen. Jm Uebrigen hat sich die Kommiffion bemüht, bei der Besichtigung der Quarantäne- anstalten von El Wed, Tor, bei den Mosesquellen und der Sanitätsanstalt in Suez einen möglichst tiefen Einblid in diese für die Vershleppung der Cholera nah Europa so wichtigen Verhältnisse zu gewinnen und glaubt sich sowohl durch eigene Unteriuhungen, als auch burch die bei den Beamten der Quarantänceanstalten und den Pilgern einge- zogenen Erkundigungen in den Stand gesetzt, Ew. Excellenz demnächst cine auf eigene Anschauung begründete und zuver- lässige Beurtheilung darüber liefern ¿zu köunen. Erwähnt möge noch werden, daß auch die Komniission bei ihrer Nük- kehr nach Suez mitsammt den Reiseeffekten eine Desinfektions- prozedur durhmachen mußSte.

Neben diesen unmittelbar mit der Cholera \sih beschäfti- genden Untersuchungen hat die Kommission ihre Forschungen über die damit im Zusammenhange stehenden Fragen, wie Wasserversorgung und Filtration des Wassers, Einfluß des Fallens und Steigens des Nils auf dey Gang ver Epidemie, Begräbrif; wesen, Verunreinigung des Bodens durch Latrinen, meteorologische Verhältnisse u. #. w. fortgeseßt

Außerdem wurden in Alexandrien noch zahlreihe Sek- tionen gemacht und dabei werthvolle Beobachtungen gesammelt über Dysenterie, über das Vorkommen oon Tuberkulose in Egypten, ferner über Parasiten, welche im Blute der Pfort- ader leben (Disiomum haematobium) und einen schr häufigen Leichenbefund in Egypten bilden. Auch bot sich Gelegenheit, noch andere wichtige, durch Parasiten (Anchylostomum duode- nale, Filaria sanguinis hoainis) bedingte Krankheiten zu sehen.

Fecner wurden fast 50 an der egyptishen Augenkcankheit ;

leidende Patienten untersuht und gefunden, daß mit dem Namen dieser Krankheit zwei verschiedene Krankheitsprozesse belegt werden. Der eine, welche? bösarliger verläust, ist eurch eine Bakterienart veranlaßt, welche den Gonorrhoemifrofkoklen gleicht und höchst woahrsczeinlih damit identisch ist. Bei dem zweiten, weniger gesährlihen Prozesse finden sich regelmäßig in den Eiterkörperchen sehr fleine Bacillen,

Die Rinderpest ist in Unteregypten in deu leßten Monaten noch fortwährend, wenn auch nur vereinzelt vorgekommen. Die Kommission hat sih in Folge dessen vielfach bemüht, auc

diese Krankgeit aus eigener Anschauung fennen zu lernen. Leider waren aber alle Versuche, rinderpestlranke Thiere oder deren Kadaver zu erhalten, vergeblich.

Bei der Abreise aus Ezvyptea fühle ih mi verpflichtet, im Namen der Kommission vie Umsicht und Sachkenntniß;, mit welcher der Bertreter des deutshen General-Konsulates die Kommission vei jeder Gelegenheit unterstüßt hat, in danfk- harster Anerkernung hervorzuheben. Auch dic egyptishe Re- gierung, für welche sich Anfangs weniger Gelegenheit bot, der Kommission für die Erreichung ihrer Zwecke förderlich zu sein, hat sich für die Untersuhungen über die Entstehung der Cholera in Damiette und für das Studium der Quarantäne- anstalten Seitens der Kommission lebhaft iriteressirt und diese Arbeiten durch an ihre Behörden gerichtete Empfehlungen in jeder Beziehung unterstüßt.

Ganz besonders fühlt sich aber die Kommission noch Sr. Hoheit dem Khedive dafür zum aufrihtigsten Danke ver- pflichtet, daf, derselbe ihr die Gelegenheit zu dem so schr wichtigen Besuche der egyptishen Quarantänehäfen gewährt hat.

Bayern. München, 5, Dezember. (Allg Ztg.) Der Finanzausshuß der Abgeordnetenkam.ner hat die sehr unfassenden Berathungen des Stats der Eisen- bahnen für die Jahre 1884 und 1885 und der hierzu ein- gelaufenen zahlreichen Petitionen in der gestrigen Abendsißung zum Abschluß gebraht und dann den Abg. Frhrn. von Stauffenberg mit dem mündlichen Bericht in der Kammer beauftragt. Der Etat wird im Laufe der nächsten Woche in der Kammer zur Berathung gelangen können.

Württemberg. Stuttgart, 4. Dezember. Wie der „St.-A. f. W.“ vernimmt, har der König am 30. vor. Mts,

jedera der Regimenter in Stutigart, Ludwigsburg, Ulm, \

Weingarten und Straßburg, welche an diesem Tage die Feier ihres 100: beziehungëweise 200jäyriaen Bestehens begingen und welchen bei diesem Anlaß Säkular-Fahnenbänder oer- liehen worden sind, telegraphisch seinen gnädigsten Glückwunsch übersandt und bei der Tafel in San Remo einen Toast auf dieselben ausgebracht.

| fest, daß die von

Oesterreich-Ungarn. Wien, 4. Dezember. Die „Wiener Aben dpost“/ veröffentliht einen Ausweis über den Ertrag der Steuern bis Ende September 1882, im Vergleich zu dem Ertrage der Steuern in der gleichen Periode des Vorjahres. Denach ergaben die dirckten Steuern nah Abzug des Mindercrtrags an der Grundsteuer mit 647 496 Fl. und nach Abzug der Verzugszinsen mit 24113 Fl. einen Gesammtmehrertrag von 2 910 767 Fl., wovon 982 777 Fl. auf die Gebäudesteuer, 105 158 Fl. aufdie 5 proz. Abgabe yauszins- steuerfreicr Gebäude, 266 036 Fl. auf die Erwerbsteuer, 2156162 Fl. auf die Einkommensteuer und 72 243 Fl. auf Exekutions- gebühren entfallen. Die indirekten Abgaben erbrahten einen Gesammtmehrertrag von 3 646 265 Fl., darunter 524 998 Fl. Erträgniß an Verzehrungssteuer, 3 560405 Fl. an Salzver- \{leiß, 571 984 Fl. an Tabaerzeugung, 1 259 819 F[. an Tabadckverschleiß und 151 474 Fl. an Taxen. Einen Minter- ertrag weisen die Stempeleinkünfte mit 344 794 Fl., die Ge- bühreneinfünste mit 910 892 Fl. und die Einkünste aus der Lotterie mit 982 540 Fl. auf. Der Gesammtmehrertrag beider Steuergattungen stellt sih fomit auf 6557 032 Fl., wozu noch der Mehrübershuß aus der Zuckersteuer mit 3 084 251 Fl. hinzutritt. Die Zolleinnahmen betrugen 37 256 807 Fl. und ergaben, das Regiepauschale und die Steuerrestitution dagegen- gehalten, einen Uebershuß von 11 848 359 Fl.

(W. T. B.) Jm Abgeordnetenhause wurte heute das Exposé des Finanz-Ministers von der Majorität mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Unter den zahlreichen Regierungsvorlagen befindet sich auch ein Gesetzentwurf betreffs der Unfallversiherung der Arbeiter. Jn einer Z.:- schrift theilt der Handels-Minisier die anläßlih der Affaire Kaminski eingeleiteten Erhebungen mit, welche ergeben haben, daß den Organen se:nes Nessouts keinerlei Verschulden oder Ueberschreitung ihrer Befugnisse zur Last zu legen sei, und keinerlei Veranlassung zur Disziplinaruntersuhung boten,

Pest, 5. Dezember. (W. T. B.) Das Abgeordneten- haus nahm mit 197 gegen 125 Stimmen die Steuergeseßt- vorlage als Grundlage der Spezialdebatte an.

_ Der Dreier-Ausschuß des Oberhauses nahm die Ehe- geseßvorlage in der Spezialdebatte unverändert an.

Serajewo, 4. Dezember. (Presse) Zum katholischen Bischof in Banjaluka wurde der Franziskanermönch Marian Markovics ernannt.

Schweiz. Berxn, 5. Dezember. Der „Bund“ {reibt :

| „Vie Nachricht einiger Vlätter, daß die wegen der Neutra-

lität von Nordsavoyen entstandene Streitsrage auf den Punkte gütlicher Beilegung zwischen Frankfceih und der Schweiz angelangt ist, scheint si zu bestätigen. Eine prinzipielle Erledigung ist niht zu Stande gckommen, wäre auch bei der gegenwärtigen unerquicklichen politischen Konstellation nit ohne großen diplomatischen Auswand zu erreichen gewesen. Es bleibt eintweilen bei bem Status quo ante, scilicet Frankreich, das bei den einshlägigen Verhandlungen eine sehr konziliante Stimmung bekundet hat, verzihtet auf sein Vorhaben, am Mont Vuache Befestigungen zu errihten, und wahrt der Schweiz alle aus bestehenden Verträgen fließenden Rechte.“

Großbritannie: und Jrland. London, 5. De- zember. (W. T. B,) Lord Granville dementirt in derx Artwort auf eine von dem Deputirten- und Handelskammer- Präsident Palmer, in Newcastle, an ihn gerichtete Zuschrift das Gerücht, daß Egypten von England zur Herstellung eines zweiten Suezkanals aufgefordert worden sei.

6. Dezember, früh. (W. T. B.) Nah einer Meldung aus Sidney, von gestern, hat eine Konferenz von Ver- tretern aller englischen Kolonien in Australien stattgefunden, in welher Resolutionen zu Gunsten eincr Annektirung derjenigen Theile von Newguinea und derjenigen benachbarten Fnseln, die niht von der nieder- ländischen Regierung in Anspruch genommen sind, sowie zu Gunsten einer gemeinsamen Aktion behufs Herbeiführung der Anrektirung und Beschaffung der dazu nothwendigen Aus- gaten angenommen wurden. Gleichzeitig wurde ein Prote st be‘clossen gegen die Deportirung von französischen Ver- bcehern nah den Fnseln des Stillen Ozeans; die englische “tegierung foll aufgeforderi werden, hiegegen in Paris ernste Borstellungen zu erheben.

Frankreich.

Paris, 5, Dezember. (W. T. B.) Die

" Deputirtentammer genehmigte heute das Budget des

Ministeriums der s{hönen Künste.

Das Fournal „Paris“ erklärt die Nachricht, daß die Regierung befohlen habe, der Admiral Courbet solle seinen Bormarsch einstellen und sih auf die Defensive beschränken, für unrichtig.

„La Patrie“ meldet: in den äußeren Stadtoierteln seien Vlakate angeshlagen worden, durch welches die Ar- beiter zur Theilnahme an dem von den Anarchisten für nächsten Freitag auf dem Börsenplay in Aussicht genommenen Meeting aufgefordert werden.

In dem zur Vertheilung gelaugten Gel bbuch befindet sich auch eine Depesche Bourée's, vom 5. Dezember, in welcher gesaz;t wird, das sich China entschlossen habe Ernst zu machen und in Tongking ohne Anwendung von Gewalt keinen Schritt zu weichen. Die in Korea errungenen Erfolge veran- laßten den Hof, den Vasallen ihr Abhängigkeit fühlbar zu machen, China zabe militärische Fortschritte gemacht und entfalie eine rege Thätigkeit in dem Arsenal zu Tientsin. Bourée weist auf die Einwirkung hin, welche die Haltung der auswärtigen Presse auf China gemacht habe. Frankreih würde von der- selben als ohnmächtig und als Gegenstand allgemeiner Ab - neigung dargestellt und die englishe Presse in Shanghai mache sih zum willsährigen Echo dieser Darstellung. Bourée spricht sih lebhast gegen eine energische Aktion, welche für Tongking von dem Gouverneur von Cochinchina in Aussicht ge- nommen war, aus, weil hierdurch unvermeidlich der Krieg mit China herbeigeführt werden würde, und stellt dem Gouverneur erwähnten Sol- daten reguläre chinesische Truppen seien. Jn einer späteren Depesche desselben Monats meldet Bourée, daß die Gefahr eines Krieges mit China beseitigt sei, und daß die chinesishen Truppen aus Tongking zurückberufen würden. Fn einer Depesche vom 29. Dezember kündigte Bourée den Vorschlag einer Einigung mit China an, welche die Eröffnung der Provinz Jünnan und die Anerkennung des französishen Protektorats über Tongking, mit Ausnahme einer näher zu bezeihnenden und an der chinesishen Grenze si hinzichenden Zone, sowie eine gegenseitige Garantie dieses Zustandes gegen jede andere auswärtige Unternehmung be- zwellte. Bourée schrieb Kung mehrere Male, daß Tongking eine aunamitishe Provinz bleiben solle; Frankreih wolle gans

und garnit anneltiren, sondern nur cine gute Verwaltung und Polizei an Stelle der Mandarinen, welche unvermögend seien, im Lande Ordnung herzustellen. Auch habe China selbst cin Jn- tertesse, der Piraterie entgegenzutreten. Am 13. Oktober er- \ucht Admiral Jauréguiberry den Ministerrath, den Stand der Dinge in Tongking sorgfältigst zu erwägen, da eine Ver- längerung des dermaligen Zustandes die Ehre Frankreichs kom- promittiren würde. Der Admiral führt aus, daß es im Jahre 1880 noch mögli gewesen sei, Tongking aufzugeben, gegen- wärtig sei dies jedoh unmöglich; man müsse ein starkes Protek- torat begründen. Am 21. Oktober 1882 genehmigte der Minister- rath die Vorschläge JFauréguiberry's.—FJn einem Briefe vom 4. Fa- nuar 1883 bezeihnete der Admiral den Ausgleihsplan Bourée's als von der Linie sich entfernend, welcher die französische Politik bisher gefolgt sci, nämliÞ den Chinesen keinerlei Recht zur JFnteroention zuzugestehen. Ein Brief Duclers vom 13, Fa- nuar erläutert die Ereignisse und bezeichnet die Lage durch den Nückzug der chinesishen Truppen aus Tongking als wesentlih verändert; man müsse die versöhnlichen Gesinnun- gen Chinas, welches sich doch seiner Jnteressen in Tongking niht völlig begeben könne, berüdcksihtigen. Fn einem Schrei- ben vom 26. Januar glaubt Fauréguiberry darauf bestehen zu müssen, daß man vor allem Anderen das thatsächliche Protektorat über Huë erhalten müsse ; dann wäre die Stellung Frankreiczs bei Unterhandlungen mit China eine weitaus bessere. Der Admiral erklärt sich {hließlich in Folge des Brieswechsels seiner p:r- fönlihen Verantwortung entbunden. Jn der vom 22. No: vember datirten Antwort des Conseils: Präsidenten Fer: y's auf die chinesishe Note heißt es: Frankceih ist in gleicher Weise gewillt, die traditionelen Bande zu respektiren, die es in Ehren hält und dieselben aufrecht zu erhalten, soweit sie niht unverträglich sind mit der Ausübung unseres Protek- torats. Der dur den Vertrag von 1874 her- gestellte Zustand der Dinge schien den Wünschen beider Länder Genüge zu leisten; China willigte sogar nah ter Unterzeihnung dieses Arrangements darein, seine Truppen aus Tongking zurücckzuzich:n. Der Erfolg bewies aber, daß diese Maßregel nicht geeignet war, die Nuhe des Landes zu sichern ; das Näuberunwesen zu Wasser und zu Lande trat aufs Neue auf, und wir mußien die Garnisonen vernehren, zu deren Unterhaltung in Tongking uns der Ver- trag von 1874 ermächtigte. Die Nothwendigkeit, unseren Sol- daten Sichecheit zu ageroähren und den Tod eines tapferen Führers zu rächen, die Sorge, der Pazifikaiion des Landes, die wir unternommen haben und von welcher der Har.del aller civilisirten Nationen sofort die Früchte ernten wird, einen dauer- haften Charakter zu geben, nöthigen uns, gewisse neue Punkte zu besezen. Der neue Vertrag von Huë béezweckt, die dur) die hartnäCige Nichtaussührung der Engagements von 1874 zwischen Frankreih und Anam geschaffene Lage zu regeln und wird China aegenüber keinerlei Neuerung konstituiren. Das Protektorat Frankreichs ist bereits durch den Vertrag von 1874 begründet; gegenwärtig handelt es sich lediglih darum, die Ausübung desselben durch wirksame Garantien zu sichern. Der seit einigen Monaten stattgehabte Meinungsaustausch be- weist deutlih, daß wir den aufrihtigen Wunsch haben, die bestehenden Differenzen in freundschaftliher Weise beizulegen. Wir sind bereit, über jede Komßbination in Berathung zu treien, welche die Schwierigkeiten auf eine für die beiden Länder ehrenvolle Weise lösen könnte, Der Minister macht schließlich auf den Passus der Note aufmerksam, in welchem es eißt: die sranzösishe Regierung scheine auf die Gefühle der Ehre und Gerechtigkeit zu verzichten. Ferry glaubt, nan müsse die Ueberseßung dieses Ausdrucks, welchen er nicht acceytiren könne und der auch niht in dem von dem französishen Geschäftsträger in Peking tele- graphisch übermittelten Text enthalten sei, einem Jrr- thum zuzuschreiben, Marquis Tseng antwortete unter dem 24, November: er empfange mit Bedauern die Ertlärung Ferry's, daß die Beseßung von Hunghoa, Sontay und Bacninh unerläßlich sei, Er sei der ünjicht, daß dieselbe die früheren Erklärungen des Ministers, welche von einem: einfachen Protektorat sprehen, widersprähe. Ferry er- widerte unter dem 30. Novemb:r: die Politik Frankreichs sei feine andere geworden ; Frankreih wünscie stets eine Bef-sti- gunç, des Protektorats, die freie Schiffahrt auf dem Songkoi und die Sicherheit des Handels. Der Plan für die militä- rische Expedition Frankreichs in Tongking sei nicht modifizirt worden und fközine es auch nicht werden. Die Verantwort- lichkeit für cinen Konflift würde auf China fallen, nicht auf Frankreich.

Spanien. Madrid, 5, Dezember, Miüitags. (W., T. B.)

Das heutige Truppenmanöver, zu welhem die Truppen im Paradeanzugeausgerüdckt sind, findet in der Ebene von Ca- rabanchel stat. Se. Majestät der König und Se. Kaiserliche Hoheit der Kronprinz werden Sih Nach- mittags 1 Uhr dorthin begeben; auch Se. Königliche Hoheit der Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern wohnt dem Manöver bei. Heute Abend wird dem Kronprinzen von den Studenten eine Serenade dargebracht werden. __— 5, Dezember, Abends. (W. T. B.) Zu dem heute \tattgehabten Manöver hatten Sih der König und der Kronprinz zu Pferde nah Carabanchel begeben. An dem —anöôver nahmen 3 Brigaden Jnfanterie und Kavallerie sowie cine AbtheilungReitender Artillerie und eine Abtheilung Gebirgs- Artillerie Theil. Die Truppen führten zunächst in eiazelnen Regimentern mehrere Manöver aus, zu denen der König die Spezial-Jdee angegeben hatte. Ganz besonders zeichneten sih die Jäger aus, denen auch der Kronprinz Seine besondere Aner- kennung aussprach. Die Kavallerie machte drei brillante Attaquen, die vor dem von denHohen Herrschaften eingenommenen Aussichts- punkte endeten. Das Exerzieren sämmtlicher Truppen erfolgte im Feuer. Jhre Majestät die Königin wohnte dem Manöver zu Pferde bei, Jhre Majestät die Königin cFsa- bella und die Jufantinnen folgten zu Wagen. Mit einem Dorbeimarsh in Compagziie- bezw. Escadronfront {loß das Manöver.

Madrid, 5. Dezember. (W. T. B.) Jn der von dem Ministerrath gebilligten Thronrede zur Eröffnung der Cortes wird die Nothwendigkeit derx Einführung des allgemeinen Stimmrechts und der Reform der Verfassung

ausgesprochen.

Serbien. Belgrad, 3, D:zember. (Presse.) Der König hat zwei der zum Tode verurtheilten Rädelsführer des Auf- standes begnadigt.

Zeitungsstimmen.

Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt:

In feiner Etats-Rede vom 26. v. Mts. hat der Herr Finanz- Minister die gürstigen Wirkungen der Wirthschaftspolik des Reichs auf die Finanzlage Preußens dur den zahlenmäßigen Nachweis in das beste Licht gestellt, daß Preußen jeßt vom Reihe aus den Ein- nahmen an Zöllen, Steuern und Stempelabgaben cinen um 167 Millionen höheren Betrag bezicht, als es demselben an Matri- fularbeitrag zu leisten hat, während es no im Jahre 1879/80 für die Bedürfnisse des Reiches 42 Millionen Mark aus eigenen Mitteln aufzubringen hatte, ohne vom Reich für seine Bedürfnisse irgend etwas zu empfangen,

Es ift gewiß von hervorragendem Interesse, über die gleichen Verhältnisse in den anderen größeren Bundet“taaten sicheren Auf- {luß zu erhalten.

Die nachstehende Tabelle, welhe das Ergebniß des Jahres 1879/80 mit dem Voranschlag für 1833/84 in Vergleich ftellt, weist für diejenigen größeren Staaten, welbe an allea Reichs8einnahmen partizipiren, die glei günstige Wirthschaftslage als Folge des jeßigen Systems der indirekten Besteuerung nah, wie sie der Herr Finanz- Minister von S@olz für Preußen geschildert hat.

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Was Bayern, Württemberg und Baden anlangt, so nehmen sie, wie bekannt, an d:n Einnahmen aus der Brausteuer und der Brannt» weinsteucr, und die erstgenannten beiden Staaten außerdem noch an den Einnalmen der Meichsvost- und Telegraphenverwaltung nicht Theil. Der von diesen Staaten zu zahlende Matrikularbeitrag enthält daßec die jenen Cinnazmen entsprechenden Aequivalente m Vie Gegenüberstellung dzr Matrikularbeiträge aus den Cliatojahren 109/00 uno 1503/04 mal bur bie erhebliche Minderung derselben die bedeutend günstigere Gestaltung der Finanzlage auch dieser Bundesstaaten ais Wirkung der Wirth- shaftspolitik des Neiches ersichtlich, De jetzige Minderbelastung zu Reichs2wecken beläuft fi für Baycrn auf (17 987 183 9 052 589, also) 8934 603 #4, für Württemberg auf (6 392079 3 327 311, also) 3 064 768 4, und für Baden auf (4 555 961 —1 630 674, alfo)

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2925 287 M, mithin für diese drei süddeutshen Staaten zusammen

auf nahezu 15 Millionen Mark.

Die „Wiesbadener Zeitung“ äußert sich über die Budgetdebatte, wie folgt: :

Die zweitägige Generaldebatte über ven Staatshaushalt2ctat für 1884/85 hat fich diesmal mit nur geringen Abschweifungen zu ciner umfassenden Erörterung der ncu:n Wirthschaftspolitik gestaltet, Die Rede des Finanzministers stellte gewissermaßen die leitenden Gedai- fen für die Debatte auf indem er einmal das gegenwärtige finanzielle Verhältniß Preußens zum Reich und die günstige Gestal- tung der Einnahmen Preußens und ihres Verhältnisses zu den Aus- gaben als eine erfreuliwe Wirîung der gesammten Wirthschaf18- politik im Reih und 1m Staate bezeichnete, und sodann die Auf- gaben für die Zukunfc und zuglcich Schlüsse und Hoffnungen für deren Gelingen daraus herlecitete. Die Redner aus der Mitte des Hauses hielten sich an diese Gesichtspunkte, je nach ihrem Parteistand- punkt dazu Stellurg nehmend.

Man darf sagen, daß die neue Wirthschaftêpolitik, so weit es sich um die Beur:heilung ihrer Wirkunz auf die Gegenwart handelte, aus der Debatte siegreich hervorging. Die Thatsachen sprehen auch zu laut, aís daß ein anderer Erfolg hâtte erwartet werden können. Die Herautzahlung von 16/2 Millionen Mark von Seiten tes Reichs an Preußen, während leßteres vor vier Jahren noch 42 Millionen Mark an das Reich zu dessen Unterhalt abliefern mußte, die machsenden Uebcrschüsse der Staatsbahnverwaltung, die steigenden Erträge der anderen Betriebsbahnv:rwaltungen, die bis- berige Gutlastung der unteren Klassen um 21 Millionen Mark Steuern, das Abschlicßen des Etats ohne Defizit bei reihliher Be- friedigung außerordentlicher Bedürfnisse der Verwaltung das sind Thatsachen, die sich nicht fortditputiren lassen und nicht anders zu erklären sind, wie als Wirkungen der neuen Wirthschaftspolitik. Von den Parteien der Rechten wurde dies auch in gebührender Weise her- vorgehoben und mit Recht das Verdienst betont, welches ße ih um die gegenwärtige Gestaltung der Dinge dur Unterstützung der Re- gierung®politik erworben habez, Von Seiten der Fortschrittler und Sezessionisten wurden zwar nihi die Thatsachen in Abrede gestellt, aber zur Rechtfertigung ihrer ets oppositionellen Politik ihnen eine andere Bedeutung beizulegen und der Nücks{chluß auf den Werth der Wirthschaftspolitik als falsch zu erklären gesucht. Aker ihnen standen keine anderen Waffen zu Gebote, als, wte ein Redner sagte, „oft widerlegte Behauptungen und dialektische Wendungen,“ als die bekarnten freihändlerishen GlaubenLsätze, -— die sich bisher noch nit in der Wirklichkeit bewährt haben und eine große Gewandt- heit im Rechnen ohne Rücksicht auf Thatsachen und vernünftige prak- tische Erwägungen. .. Wenn aber ferner die Wirthschaftspolitik damit bekämpft wird, daß man den Einnahmen aus den neuer Zöllen, die 125 Millionen Mark betragen sollen, in Wahrheit aber nur 105 MNil- lionenbetragen, die 21 Millionen Mark Stcuererlaß als cine Lumyerci gegenüberstellt, so ist das con nit mehr als ehrlich zu bezeihnen: dean die neuen Zölle mußten zunächst zur Beseitigung der Defizits und Befriedi- gung dringender Meichs- und Skaatsbedürfnisse verwandt werden und dann erst zu Steuerceduktionen. Ohne ein solches Vorgehen hätten die direkten Steuern in Preußen um 50—70 pCt. erhöht werden müssen. Fortschrittpartei und Sezessionisten standen mit diesen ihren Argu- menten und Steckenpferden völlig isolirt, ohne daß es ihnen gelang, an der Macht der Thatsachen trgendwie mit Erfolg zu rütteln.

Kann so das Ergcbniß der Debatte als in hoh:m Maße bcfrie- digend und als ein erfreulicher Fortschritt bezcibnet, so kann für die Aufgaben der Zukunft cin gleicher erfreulicher Fortschritt noch nicht als gesichert angeschen werden, Freilih zog die Rechte die rich- tige Konsequenz, daß auf den cingeschlagenen Bahnen der Wirth-

\{aftspolitik fortzufahren sei, da ohne diese die Lösung widtiger Kul- turaufzaben für Preußen nicht möalich sei, und die Aussichten auf das Gelingen na den bisherigen Erfahrungen mit der Wirctbschafts- politik sid in bohem Maß? gesteigert haben. Aber das Zentrum, welches sich mit Recht rühmen darf, diese Politik im Wejentlicen unterstüßt zu haben. mate seine Vo: behalte und Bedingungen, ohne sich zu etwas zu verpflibten, die Nationalliberalen, welche mit ihrer Anerkennung der bisherigen Erfolge nit zurücckhielten, wollen bei den Zielen der Finanzreform nah wie vor nit miiwirken, weil sie das Reich zu nichts verpflichten wollen, und Fortschritt und Sezession baben natürlich ihr? Freude daran, die Chancen einer Politif si mindern zu seben, die sie von Anfang an verurtheilt haben.

So ergiebt sich denn aus der Debatte eine s{wer verständlicbe Dissonaaz: glänzende Rechtfertigung der bisherigen Wirthschaftépolitik und troßdem immer noch dieselben Hindernisse gezen eine Forcsetzung derselben, so wenig an sich die Richtigkeit ihrer Ziele und Zwecke verkannt wird. Wie dieser Knoten zu lösen, ist die Hauptsrage, die an uns nach dieser Debatte in ihrer ganzen Deutlichkeit und Schroere von Neuem herantritt. Doch nochch i} das letzte Wort nicht ge- sprochen. Jedenfalls aber ift cs zu bekflagea, daß dem Fortgang der Wirthschaftspolitik selbst von tenen Steine in den Weg gelegt werden, welcbe mit derselben und mit ihren Zielen einverstanden sind: diefe Steine sind Fraktionéintercssen oder Rücksichten der Fraktionspolitik, wenn sie auch mit anderen s{öôn fklingenden Worten umlfleidet werden. .

Landtags: Nngelegenheiten.

Bei der im 4. C ösliner Wahlbezirk Cöslin, Colberg- Cörlin, Bubliz -— ftattgefundenen Ersaßwahl füc den Staats- Minister von Kameke ist der Amtsrichter von Unruh in Cöslin (konscrvativ) mit 113 von 220 abgegebenen Stimmen zum Mit- alied des Hauses der Abgeordneten gemählt worten. Gegen- kondidat war Landgerichts Rath Hildebrandt in Cöslin (national- liberal).

Statiftische Itachrichten.

In seinem neuesten Monatshefte macht das Kaiserliche Statistische Amt vorläufige Angaben über den Flächeninhalt der im Jahre 1883 innerhalb des deutscben Zollgebiets mit Tabalk bepflanzten Grundstücke. Danach betrug der ent- \sprecbende Gesammtfläcbenraum 2 209 471,5 a, 148035 a weniger, als im Jahre 1882. Für die weisten Steuerdirektivbezirke ergiebt sich eine Abrabme des Tabackbaus im Vergleich zum Vorjahre; bes sonders erheblich ift dieselbe in Bayern (41 741 a weniger), Elsaßs- Lothringen (17 057 a weniger), Großherzogthum Hessen (6 442 a weniger) und in der Provinz Hanr over (7469 a wentizer). Dagegen ist für das Großherzogthum Baden cine erheblihe Zunahme des Tabackbaus nachgewiesen (79883 a mehr, als 1882), ebenso für Württemberg, sodann auch eine allerdings weniger bedeutende Zunahme für Westpreußen.

Kunft, Wiffenschaft und Literatur.

Im Verlage von J. I. Weber in Leipzig ist soeben erschienen : Ch. F. Maurer, „Bölker- und Staatengeschichte in neuen und alten Darstellungen,“ erster Band: „Die Hellenen.“ Bei der mehr und mebr wachsenden Erkenntniß, daß die heutzutage an jeden Deutschen herantretenden Anforderungen des öffentlichen Lebens nicht ohne genügende Gescbichts8fkenntnisse erfüllt werden fönnen, will der durch seine „Entscheidungsschlachten® bekannte Verfasser mit dieser feiner Völker- und Stiagatengeschichte allen Denjenigen, deren Beruf und Zeit cin Sichversenken in das Studium umfassenderer oder ge- lehrterer Werke nicht gestattet, sowie denen, die zahlreih genug einen Führer dur& die klassischen Gescbihtsckarstellungen suchen und sich gleichsam einem vorbereitenden Studium unterziehen wollen, um mit wirklihem Nußen an das Lesen größerer Werke gehen zu können, ein diesen Zwecken dienendes Werk von nicht allzugroßenm Uwfange bicten, das auf folgenden Srundsätzen beruht: 1) Alles Neben1ächliche, Unwichtige wird in demselben nur insoweit be- rührt, ols es zum Verftändniß des Zusammenhanges un- entbehrlid M 2) alles QOauyamlie, Wichtige, dessen Kenntniß ein Erforderniß des Anspruchs auf allgemeine Bil- dung ist, wird so ausführlih und zwar soweit als nur immer mögli mit den Worten der größten Historifec dargestelli, als es für den Leser zur Gewinnung historis&er Erkenntniß nothwendia ist; 3) durch kleinere Schrift unterschieden gehen Dacstellungen oder Auszüge vornechmlich aus den Quellenschriftstellern den modernen Darstellungen voraus, wo und wie es zur Erreichung dies oder jenes Zieles wünschenswerth erscheint; 4) große Zeiträume werden in cin umsasseades Gemälde zusammengezogen, iadem das entscheidende Er- eigniß oder die tragende Pecsönlichkeit den Mittelpunkt bildet, um welchen f dann allcs Andere gruppirt. Der Verfasser wollte insonderbeit den oberen Klassen der Gymnasien ein Werk \/afen, welcbes denselben den gleichen Segen stiften soll, welche Grubes Geschichtsbilder für die unteren Klassen erzielt haben.

Der vorliegende erste Band enthält die Geschichte der Hellenen, dex zweite roird die der Römer, der dritte die der Gecmanen und ihrer Nachbarn, der vierte und letzte die der Sichtigsten Völker und Staatey der Neuzeit enthalten.

Die Gescdichte der Hellenen beginnt mit einer Einleitung von 71 Seiten, welche die ältesten Zeiter bis zur Höhe des Perserthums umfafit. Die einführcenden allgemeinen Gcsichtspunkte über den Gang der Weltgeschichtz find Schlosser und voa Ranke entnommen. In (Fgypten führt uns dann Herodot eir. Nachdem dcr Verfasser u8 mit der: Geschichte der Juden bekannt gemacht hat, tritt Diodor er- ¿ahlend (‘Afsur) auf. Demnächst nimmt wieder Herodot über die Meder und Perser das Wort. Ja ähnli@em Wech]el führt der Ver- fasser in seiner eigenen Darstellung bald Curtius, von Ranke, Jäger, Droysen, Schêönemarn, Dunker, A. Schmidt, S{losser und andere Geschichtsforscber der Neuzcit, bald die alten klassishen Zeugen des Alterthu:ns Herodot, Pausanias, Plutarch, Thufydides, Xenophon redend ein und macht den Leser auf diese Weise zugleich mit den Quellenwerken bckannt, die scin Intecesse um so mehr fesseln werden, als die daraus mitgetheilten Auszüge meist größere Abschnitte sind, in denen sih dic Individualität des Darstellecs deutlich cus- prägt. Eine gefährliche Klippe hat der Verfasser glücklich vermicden; sein Werk ist keine mosaikartige Zusammenstellung verscbiedener Bruchstücke und individueller Auffassungen, fondern das Material ift gescickt zu einem liht»ollen harmonishen Ganzen effeïtvoll vers arbeitet und geht weit über den besbeidenen Zweck hinaus, welchen der Verfasser nach der Vorrede erstcebt hat, für das Studium der Geschichte nur vorzubereiten ; es ist ein für den gebilveten Laien vol- ständig ausreichendes Geshichtswer®k. Man darf darauf gespannt scin, wie der Verfasser seine Aufgabe weiter, namentlich der neueren Ge« cite gegenüber, lösen wird. Jedes Jahr sol eia Band diese3 eigenartigen Werks zur Ausgabe gelangen. Der jeßt erscienene erste Band, der elezant ausgestattet ist, wie man dies von der Verlags: handlung nicht anders erwarten kann, fostet, 38 Bogen groß 80 stark, broschict 6 6, gebunden 8G

Der „Mento r“, Notizkalender für Sbüler und Schülerinnen, ist in H. A. Pierers Verlag ian Altenburg im 14. Jahrgangc für 1884 erschienen. Die zweckmäßige Anordnung dieses Schulkalenders. seine werthvollen gefc{ichtlichen, naturwissenschaftlicben und statistischen Beigaben, die in gedrängter Kürze geroi\sermaß:n das nöthigste wissen- \caftlihe Handwerk8zeug für den Schüler darstellen, sowie endlich die Berücksichtigung aller für das täglihe Schülerleben nothwendigen Dinge (Stundenpläne, Schüler- und Leßrerverzeichnisse, Wirth\cha|ts- tabelle 2c.) sind die Faktoren, denen der „Mentor*" feine Beliebtheit bei der Jugend verdankt. Der pädagogisch geschulte Heraus3geber hat dies- mal im Anhange eine Reihe oon Turn- und Bewegungs8spielen in klarer