1883 / 288 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 07 Dec 1883 18:00:01 GMT) scan diff

Ih babe meinerseits {on im Reichstage Gelegenheit gehabt, an diese Thatsache zu erinnern, will es aber dem Hrn. Abg. Rickert gegenüber nachbolen, dem es entgangen zu sein scheint. Meine Herren! Was war denn damals das fast tägliche Thema der libe- ralen Zeitungen ? Purifikation des Beamtenstandes, die heftigsten Angriffe gegen die Regierung, weil sie diese Purifikation nicht vornahm, Drohung mit Entziehung des Vertrauens der Volfss vertretung. Und diesen notorishen Thatsachen gegenüber wagt es der Hr. Abg. Rickert jeßt, einer konservativen Regierung, die das Gegentheil von dem thut, was ih eben jener Presse vorgeworfen babe, den Vorwurf ins Gesicht zu s{leudern, daß fie ihrerseits die Korruption des Beamtenthums auf ihre Fahne geschrieben habe. Nein, die Regierung weiß sich mit der Gesammtheit unseres Beam-

tenthums völlig cins in allen patriotishen und gerade den- jenigen Bestrebungen, welche dazu dienen, um das Wohl des Landes in gemeinschaftlihem treuen Dienste zu fördern, und

gerade dice‘èm Vertraucnsverbältniß gegenüber werden die Angriffe nur auf riven völlig unfruhtbaren Boden fallen. Meine Herren ! Es ift niht wahr, daß die Regierung einen Druck auf die Beamten in Bezug 01f die Wahlen ausübt. Jch verlange von dem Hrn. Abg. Rickert Beweise dafür, diese völlig unsubstantiirten Behaup- tungen gehören in die Kategorie desjenigen ih kann es ihm gegenüber nicht mit dem richtigen Namen nennen, weil er Mit- glied des Hauses ist was ich geftern als die charafkteristischen Merkmale der Fortschrittswühlerei bezeichnet habe; Thatsachen be- weisen, meine Herren.

Nun komme ich auf den von dem Hrn. Abg. Rickert angeführten Fall aus Danzig, in welchem, wie behanptet, die unglaublicbsten Wakhlbeeinflufsungen stattgefunden haben sollen. Zunächst mötbte ih ibn doch bitten, den staatsrechtlihen Unterschied nit zu vergessen. Was in Danzig geschehen ift, hat eine Kaiserliche Verwaltung gethan, und dafür bin ih nicht verantwortlib, wenngleih ih das dort beobachtete Verfahren durhaus nit mißbillige.

Was aber die Wakhlereignifse dort selbst betrifft, da war in dieser Beziehung nur die etne Thatsache bekannt, daß ein Beamter, welcher in ungebührlicher Weise zu Gunsten des Hrn. Abg. Rickert gewühlt hat, i:n Disziplinarwege bestraft worden ist. Wie dies ein Beweis für un- gehörige Wahlbeeinflussung gegen die Wahl des Abg. Rickert sein soll, entzieht sich meiner Erkenntniß.

Meine Herren! Ich muß mich ja hier bei den vielen Dingen, die der Herr Abgeordnete heute vorgebracht hat, auf eine kleine Blumenlese aus dessen Anführungen beschränken und möchte zunächst ihm meinen verbindlihsten Dank autsvrechen für die Vorlesung des berühmten Briefes. Ich glaube, eine bessere Rechtfertigung dessen, was ih mir erlaubt habe, in Bezug auf diefen Vorfall zu sagen, konnte wohl {werlich gefunden werden; und ich glaube, der Aba. Rickert wird wohl selbst den Eindruck haben, daß er keinen auten Schachzug biermit gethan hat. Wenn der Mann, dem ich gestern den Vorwurf einer ungebührlichen Beeinflufsung seiner Arbeiter gemacht habe, diese in dem vom Herrn Abg. RNickert vorgeleseren Bricfe selbft anerkennt, wozu dann tie Vorlesung des Briefes !

Ich soll in meiner gestrigen Rede und das zeigt die Flüch- tigkeit der Auffassungs8weise des Hrn. Abg. NRickert und den ganz unwiderstehli®en Drang desselben, aggressiv gegen mich vorzu- gehen also ic soll in meiner gestrigen Rede der Fortschrittspartei Republikanismus8 vorgeworfen haben. Wer ixgend meinen gestrigen Ausführungen mit Aufmerksamkeit gefolgt ift, muß wissen und muß bezeugen, daß gerade das Gegentheil der Fall war. Ich habe aus- drüdlich betont, daß ih mir gegen keine Person in dieser Beziebung irgend cinen Angriff und einen Vorwurf erlauben wollte; i habe aber ferner betont und das Wort Republik ift in dieser Sache mir nit in den Mund gekommen —, daß ic die Tendenz dieser Partei in ihrer thatsäliben Konsequenz als solde crachten müsse, die zur Auflösung monarchischer Zustände führe.

Weuan ferner von dem Abg. Nickert dann der Versu gema@&t worden ift, diejenigen Bemerkungen, welche ih über die natthei- lige Thâtigkeit der Fortschrittspartei in Bezug darauf gemacht habe, daß ihre Konsequenzen auf die Etaklirung einer parlamentariscen Regierung hinauslaufen, in Gegensatz zu bringen mit angeblichen Aeußerungen des Fürsten Bi8marck in einer früheren Epoche, so glaube ib, daß ein verunglückterer Versu kaum gemacht werden konnte. Was hat Fürst Biêmarck damals gesagt und sagen wollen? Genau da8, was ich völlig unterschreiben kann: Gesetze kann man nicht machen ohne eine Majorität; und wenn wir gute Gesetze machen wollen, so müssen wir uns bemühen, für diese cine Majorität zu erhalten. Keine Regierung wird eine fruchtbringende Thätigkeit entfalten könncn obne eine Majorität. Das is aber do bim- melweit entfernt von dem Satze, den ib habe aussprecben wollen. Ib hade sagen wollen: eine parlamentarishe Regierung in dem Sinne, daß die Wahl der Minister nicht in das freie Ermessen der Krone gesetzt ist, ist für das Land nachtheilig. Halten Sie diese beiden Aeußerungen zusammen, dann werden Sie sich überzeugen, daß sie jo verschicden sind wie Himmel und Erde.

Nun soll, wie der Hr. Abg. Rickert sagt, es scine Absiht ge- wesen scin, im Anfange der Legislaturperiode glei mit cinem Antrage auf Einführung der geheimen Abstimmung vor das Haus zu treten; er babe es aber aus tafktishen Gründen unterlassen, und der Grund für feine erstgedabte Absßidbt sei der Brief eines Lebrers gewesen, der von der freien Ausübung feines Wablrebts abgehalten sein soll. Der Hr. Abg. Rickert scheint die staatsrechtlibe Lage der Dinge zu verkennen. Wir können uns unmögli bier über Wahl[- beeinflussungen in der Weise unterhalten, daß wir nur Gerüctbte und Privatbriefe zur Unterstüßung unserer Ansichten pro und contra vor das Haus bringen. Die Wakblprüfungékommission, die amt- lien Verhandlungen derselben und die Debatten bier im Hause auf Grund der Berichte der Wablprüfungskommission bilden die alleinige Basis, auf dic id mi einlafse, und die Natbridhten, die einzelnen Abgeordneten zugegangen sind, sind do so apokrypber Natur, daß die Regierung darauf kein Gewicht legen kann. Icþ bebaupte, das Ge- fsammtbild dieser Verbandlung ist das, daß alle Angriffe gegen die Regierung auf diesem Gebiete siegreid zurückgeschlagen sind. (Sebr ribtig! rechts. Widerspruch und große Unrube links.) Ja, meine Herren, i& kann Ihnen ja die Ziffern vorfübren, in wel&em Maße unvegründete und begründete Klagen über Wahlbeeirflussungen statt- gefunden haben. Die letzteren find minimal. Weiter kann man keinen Nacbweis führen. Aber das ift es ja nit, was, wie ih glaube, demn Hrn. Abg. Rickert wesentli am Herzen gelegen hat. Er kommt immer wieder darauf zurück, daß Beamte gezwungen worden seien, gegen ibre Ueberzeugung zu ftimmen, oder daß siz abgehalten worden sind, na ibrer Ueberzeugung zu stimmen, was ziemli auf dasselbe berausfommen wird. Meine Herren, ib kann Ihnen unter anderem die noterishe Thatsatbe entgegenhalten, die ih allerdings für cine erfreulide nit balte, daf eine größere Anzabl von Beamten in liberalem Sinne gestimmt hat. Das ift eine unerfreulibe Thatsacbe: aber vor allen Dingen bitte ih do, den Hrn, Abg. Rickert daran erinnern zu dürfen, daß er mir nabweisen möge, wo eiren dieser Beamten in Folge seiner Abstimmung ein Nawbtheil getroffen bat. Sebr rerscieden davon ift allerdings die Frage, ob die Staats- regierung verpflibtet ift, id will sogar weiter geben, ob die Staats-

regierung das Ret bat, Sr. Majestät dem Könige irgend einen Beamten zur Beförderung und Auszeichnung vorzus&lagen, der sich

einer Agitation und notorisben Stellungnahme gegen die Staats- regierung schuldig gema%t bat. Das wäre antimonarcisch und felbstmörderisd. Ich verweise den Hrn. Abg. Rickert auf die ganze moderne Staatzentwicklung. Ift es jemals erbört, daß die Regierung obne Wabl und obne Zabl bei einer Beförderung politisber Beamter ib auf den unparteiischen Boden stellt, daß sie die Machtmittel, die in ibrer Hand sind, ¿ur Autübung ihrer Ref so wenig umsidtig gebraucben wird, daß auch ibre Gegner an den Vortheilen Antheil baben scllen? Wenn der Hr. Aba. Rickert diesen Saß aufstellt, so

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will ich ganz ofen erklären, taß i entgegengeseßter Meinung bin. Keinen Beamten soll wegen seiner Abstimmung ein Nachtbeil treffen, aber fein Deamter toll fih der Illusion bingeben, daf, wenn er ih

fhelle „pater wird, deren freie Verfügung geseßlich in ihrer and liegt. Der Aba. Rickert war nun der Meinung, daß er erwartet bätte, die gestrige Verhandlung würde cine ganz kurze gewesen sein, der Antrag sei ja ganz selbstverständlih, jede Partei würde nur eine furz formulirte Erklärung abgeben, und dann würde er so obne Sang und Klang angenommen werden. Nun, meine Herren, da bat er doch in der That und ich glaube, der Hr. Abg. Stern, der Antragsteller, wird ihm selbft dafür nidt Dank wissen die poli- tishe Tragweite diefer Angelegenheit vollstärdig verkannt. Wie kann man glauben, daß ein Antrag, der so tief in die Gesammtverhältnisse eingreift, wie der Antrag des Hrn. Abg. Stern, i möte sagen, fast ohne Diskussion über die Bahn gchen würde, wenn ih mich so aus- drücken darf? Davon konnte gar feine Rede scin! Er hat ja aus der Stellung der Parteien gesehen, welche fundamentale Bedeutung ibm beigeméissen wird, und einem solchen Antrag gegenüber und der Diskussion, die fc daran kaüpft, soll die Regierung nicht das Recht haben, ihrerseits ihre Meinung zu sagen? Lassen Sie mich mit zwei Worten noch auf die Save selbst kommen und an Argumenten nacholen, was iÿ vielleicht gestern versäumt habe.

Meine Herren! Für die geheime Abstimmung ift ein einziger, aber, wie ich anerkenne, äußerst diskussionsfähiger und erheblicber Grund angeführt worden in den verschiedensten fast bis zur Ein- tönigkeit gehenden Variationen. Dieser Grund ist: Die geheime Ab- stimmung ist nöthig, um die Selbständigkeit der einzelnen Wähler zu schützen, um sie gegen Zwang, gegen Mißbrauch der Gewalt Derer, welche ihnen wirtbscaftlich überlegen find, in Schutz zu nehmen. Meine Herren! Jch erkenne an: die öffentlihe Abstimmung ist ein Institut, welhes dem Mißbrauch zugänglih ist, wie alle politiswen Institute; verfälsht und gemißbraubt wird heutzutage jede Verfassung. Haben wir es doc erleben müssen, daß cine große politisde Partei es niht unter ihrer Würde gehalten hat, sich zum Stipendiaten eines verfassung#widrigen Diätenfonds zu machen. Jst das keine Thatsache, die zu denken giebt, wenn es sich darum handelt, ganz E an angebliche Reformen der öffentlichen Zustände zu gehen

Also ich bin der Meinung, daß man bier prüfen muß: steht das Uebel und als solches crkenne ich mit dem Herrn Antragsteller den möglichen Mißbrauch der wirtbscaftlib Höhbergestellten über die Wähler an steht das Uekel, was man beseitigen will, im Ver- hältniß zu den Heilmitteln, welhe man zu diesem Zweck an- wenden müßte ? Diese Frage habe ih verneinen zu müssen geglaubt, und darauf habe ich meine Ausführung gestern geribtet, Fch bin der Meinung, daß das Heilmittel, also die gebeime Abstimmung, in ihren nacbaltigen moralischen Wirkungen auf die ganze Volk8natur und Volkssitte unheilbringender ist, als der Mißbrauch, den man dur die Einführung der gekteimen Abstimmung beseitigen will. Das ift der Mittelpunkt meiner Ausführungen gewesen, und wenn man mir in Bezug darauf entgegengehalten hat, ih bätte kein einziges sachliches Argument entgegengebrabt, so bitte ih nur Folgendes zu erwägen: Cin Grund ift mit erheblichem Gewicht für den Antrag Stern ins Feld geführt worden und ein fundamentaler Grund spricht dagegen; diese sind gegen einander abgewogen worden, und das Votum des Hauses wird entscheiden, welbes der durschlagendere ift.

Der Herr Abgeordnete hzt dann noch geglaubt, mit besonderem Nacbdruck mir Widersprüche in meinen beiden gestrigen Ausführungen nabweisen zu können, und was hat er sid da als thema probandum gewählt? Meine Herren, ih hatte in meiner ersten Rede, die ganze Wichtigkeit des durch den Herrn Antragsteller in den Vordergrund der Diskussion gezogenen Gegenstandes anerkennend, gesagt, die Angelegenheit sei für die Regierung zu wichtig, um sie ferner dilatorisch behandeln zu können. Sie müsse materielle Stellung zu derselben nehmen und sei genöthigt, si aus dur{s{lagenden Gründen gegen den Antrag zu erklären. Nun behauptet der Hr. Abg. Rickert, ih hätte in meiner zweiten Rede das gerade Gegentheil von dem gesagt, was in meinen ersten Aus- führungen enthalten sei. Meine Herren, das ist einfa unritig. Der Hr. Abg. Rickert hat auc bier wieder in seiner großen Passion Angriffe gegen mi gericbtet, die auf vollständig falsher Auffassung beruhen. Der Hr. Abg. Dr. Virchow hatte gesagt: die geheime Abstimmung ift eins der kostbarsten Güter, die die deutsche Nation im Jahre 1870 sich{ dur \ckwere Opfer erkauft bat, und daran sollte man nit rütteln. Diesem Aussprucbe gegenüber habe i mi einfach darauf beschränkt, zu erklären, das sei große Ueber- treibung, die Wigtigkeit habe dieser Gegenstand nicht. Der Hr. Abg. Dr. Virchow wird mir Recht geben müssen, daß dies allein der Sinn meiner Ausführungen war, und zwei so vollkommen beterogene Gegenstände mit einander mis&en zu wollen, dazu gehört die ganze Klassizität der Logik des Hrn. Abg. Rickert.

Ic will damit s{ließen, meine Herren, daß ih noch einmal ganz energisch Verwahrung gegen die S&lußäußerung des Hrn. Abg. Rickert erhebe. Er hat nidt das Ret, die Königliche Staats- regierung, wie geschehen, des Bestrebens zu beschuldigen, erstens eine Parteiregierung în dem Sinne zu etabliren, wie er das wissen will, und vor allen Dingen zweitens nicht das Recht, der Regierung die Bestrebung unterzuschieben, eine Korruption des Beamtenstandes berbeizuführen, auf den die Regierung gewiß ebenso stolz ist, wie das gesammte Vaterland es sein darf.

Der Abg. Cremer erklärte, er wolle für den Antrag Stern stimmen, obwohl derselbe von ihm nicht sympathischer Seite komme. Er fei dazu veranlaßt durch die bei den letzten hiesigen Kommunalwahlen gemahten Erfahrungen. Redner schilderte die Agitationsweise der Fortschrittspartei, sowie deren Angriffe gegen die Regierung und speziell der „Berliner Zei- tung“, gegen den Fürsten Bismarck, um daraus zu erweisen, daß der Fortschritt über die ihm gemahten Vorwürfe des „Republikanismus“ 2c, sich nicht zu schr beklagen dürfe. In ziemlih eingehender Weise ging Redner dann auf die Vorkommnisse bei den lezten Berliner Wahlen ein, und führte \{ließlih weiter aus, daß das parlamentarishe Regiment abgesehen von der englischen in feiner Verfassung ent- halten fei. Die Abgg. Hänel und Rickert hätten hier einen Vortrag über den Parlamentarismus gehalten. Seine Gelehr- samkeit reiche niht aus, den Herren bis in die Details zu folgen, aber er habe es doch für seine Pflicht gehalten, die Verfassungen einer ganzen Reihe von Ländern, sogar von Cofta-Rica zu studiren; er habe aber in keiner Verfassung etwas von den hier so oft erwähnten und geforderten „parla- mentarishen Rechten“ geschrieben gefunden. Eine parla- mentarische Regierung im Sinne des Abg. Rickert sei in der preußischen Verfaffung keineswegs sanktionirt; ebenso wenig in irgend einer ausländishen Verfassung. Eine fkonsti- tutionelle, eine verfassungsmäßige Regierung, die habe man in Preußen und behalte sie; eine parlamentarische Regierung aver habe man nit, fkriege sie auh nit, so lange es noch preußische Könige gebe. Die Linke wolle mit ihrer parlamentarishen Regierung den Schwerpunkt von der Krone ins Parlament verlegen und das Königthum, welches den preußishen Staat geschaffen habe, aus seiner historish be- rechtigten, bevor;ugten Stellung verdrängen. Wenn die Linke immer auf England weise, so möge dieselbe Preußen erft englische Zustände geben. Jn Frankrei, wo seit Hrn. Thiers Regierung schon über 140 Minister gewesen seien, könne man sehen, wohin die parlamentarishe Regierung führe, und daß gerade fle die tollfle Parteiregierung werde. Die Annahme des Antrags Stern halte er nur deshalb für nothwendig, weil der Liberalismus, der Kapitalismus, das Ausbeuterthum si ver- einigt hätten, um die freie Wabl bei der öffentlihen Abstim-

die geheime Abstimmung; man werde dann zeigen, was man [leisten könne. Man solle auch sehen, was bei den nächsten Reichêtagswahlen passiren werde. Glaube die Linke nit mit ihren leeren Phrasen noch länger die Menge hinhalten zy können. Er verhehle sih niht die Schwierigkeiten, die mit der Ginführung des geheimen Wahlrechts verbunden seien: aber er bitte doch, besonders mit Nücksicht auf die Zustände in Berlin, den Antrag Stern anzunehmen.

Der Abg. Bachem führte aus, daß seine Partei aus zwei Gründen eine ganz objektive Stellung zu der im Antrage ge- stelten Frage einnehme, einmal, weil sie bei jedem der beiden Wahlsysteme gut gefaÿren sei, wie Fiagura hier und im Neichs- tage zeige, dann, weil der Partei bei Wahlprüfungen nie eine Wahlbeeinflussung habe nachgewiesen werden können. Ex halte es für eine Rücsichtslosigkeit, wenn hier Berliner Vere hällnisse so breit getreten würten, verzeihe es aber, da hier die Parteien scharf aneinander gerathen seien, und \ich aegen- seitig Vorwürfe gemacht hätten. Wichtig seien die Erklärun- gen des Ministers; er glaube, daß diese bei der nächsten Reichetagëwahl eine große Rolle spielen würden, und die Herren, die sih jeßt gegen den Antrag erklärten, dann reckt \{lecht fahren würden. Denn es werde dadur viel Haß ge- särt, Die geheime Wabl sei gleihsam das Sicherheitsventil am überhißten Kessel des sozialen Lebens. Die verfassungsmäßige Frei- heit sei jedenfalls durch öffentlihe Abstimmung gefährdet, dieser Meinung sei seine Partei, wenn auch die Regierung sowohk, wie drei große Parteien dazu Nein sagten. Die geheime Ah: stimmung sei das Schußmittel der Freiheit, wenn auch kein ausreichendes, so_ doch eins, das dazu in möglichst hohem Maße beitrage. Darum sei seine Partei für den Antrag, und hoffe damit den abhängigen Leuten wenigstens einigermaßen etwas Selbständigkeit zu erhalten und wieder zu geben, Täusche man sih niht. Das Urtheil über den vorliegenden Antrag im Lande und ganz besonders in den westlihen Pro- vinzen werde lauten: Man wolle niht die Sicherheit freier Wahlen dem Lande s{haffen, man wolle den Druck nicht weg: räumen, weil man den Druck brauche, man wolle das ver- fassungsmäßige Necht nicht schüßen, weil die Wahlkorruption

dem ganzen Lande das nicht vorzuenthalten, was man einer eroberten Stadt gewähren zu dürfen geglaubt habe.

Der Abg. von Rauchhaupt erklärte, es habe ihn gefreut, daß die Herren von der nationalliberalen Partei dem Abg, Hänel dur ihren Beschluß einen solhen Absagebrief gegeben hätten. Wie stehe es denn im Reih mit dem geheimen Wahl- recht? Sei niht das Sozialistengeseß eine Folge desselben ? Der Appell Seitens der Abgg. Bachem und Reichensperger an das Haus, daß seine (des Redners) Partei preußishe Grund- säße verleugne, verfange niht. Treue und Glauben im deutschen Volke würden durch die geheimen Stimmzettel zer-- stört, und der Täuschung Thor und Thür geöffnet. Gerade weil die Konservativen Freunde der großen sozialen Reform seien, wollten sie zwishen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Treuverhältniß erhalten, welches nach ihrer Ueberzeugung durch die geheime Zettelabgabe zerstört werde. Man verschärfe den Treubruch nur, wenn man den Arbeiter nicht treu erhalte gegen feinen Arbeitgeber. An die Stelle dieses Treuverhält- nisses würde in Zukunst die Geldkorruption treten durch die Parteien. Man werde seine Partei angreifen, als wolle dieselbe den kleinen Mann nicht frei stimmen lassen. Das falle seiner Partei nit ein, aber sie wolle den kleinen Mann bewahren vor den Einflüssen, die ihn von der linken Seite mißleiteten, und die sein Unglück sein würden. Erstaunt habe ihn der Angriff des Abg. Rickert gegen den Minister in Bezug auf dessen Stellung zu den Beamten gehört. Er erinnere an das. Programm der Fortfhrittspartei von 1861, welches in ganz krasser Form sage: Für die inneren Einrichtungen verlange sie eine feste liberale Regierung, die es verstehe, ihren Grundsägen in allen Sichten der Beamtenwelt unnachsihtlih Geltung zu vershaffen. Das charakterisire die Linke voll: ständig, wenn sie Bravo rufe. Damals habe die Linke als Majorität Purifizirung des Beamtenstandes verlangt, heute klage sie als Minorität über Druck. Die Linke deklamire über eine Parteiregierung, die sie in ihr Programm aufge- nommen habe. Und wie denke denn einer ihrer Freunde über das allgemeine direkte und geheime Wahlrecht. Hr. Parisius schreibe in einer seiner Shriften: Nach der ersten Wahl zum ersten deutschen Reichstag habe man mit den konservativen Beamten die Erfahrung gemacht, daß das. allgemeine direkte und geheime Wahlrecht für den Einfluß der Wähler und der Regierung noch weit günstiger, als die öffentliße preußishe Dreiklasscnwahl sel. Der Abg. Reichensperger habe seiner Partei ent- gegengehalten, sie könne doch niht ein Wahlsystem verthei- digen, welhes Fürst Bismark für das elendeste und wider- nnnigjte von der Welt gehalten habe. Fürst Bismarck habe dies gar nicht für das geheime Wahlrecht gesagt. Die geheime Abstimmung habe gar nicht in der Reichsverfa}sung gestanden, sondern sei erst 1867 dur ein Amendement in dieselbe hinein- gekommen. Damals habe auch das Beamtenthum heraus- gelaffen werden sollen. Der Fürst Bismarck habe einen rich- tigen Blick über die Stellung der Beamten. Es sei aber da- mals nit in Erfüllung gegangen, was derselbe gewollt habe, und nun mache man dem Fürsten Vorwürfe über Korrum- pirung der Beamten. Die ganze Debatte sei nur angeregt, um wieder einmal einen Zündstoff in die unteren Klassen zu werfen. Der Antrag werde der Linken den Dienst nicht thun, den sie erwarte. Die Linke werde mit diesem Antrage in allen Landfreisen unwiderruflih ihre Stellung verlieren. Die Kon- servativen seien niht gewählt in den Distrikten mit starker Fabrifbevölkerung, aus der die Linke hervorgehe, die Annahme des Antrages könne seiner Partei also nicht haden. Er bitte, den Antrag abzulehnen.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, als der Antrag ange- kündigt sei, sei er über dessen Opportunität zweifelhaft gewesen ; denn die geheime Abstimmung wünsche auch er, aber er sei über den Zeitpunkt ihrer Einführung zweifelhaft gewesen, nament- lih da ihm schon früher Gerüchte über beabsichtigte Modifi- fationen des Wahlsystems im Reih durch die Bundes- regierungen zu Ohren gekommen seien. Jeßt sei ein Theil des Shleiers gelüftet. Er schließe na, den Beschuldigungen bezüglih der Wahlagitation gegen die Regierung zum großen Theil nit an, vieles davon sei übertrieben, anderes aus der Luft gegriffen. Er glaube nicht, daß der Minister von Puttkamer den Wahlen mit gekreuzten Armen zusehe, aber auf den Gebieten, wo er (Redner) dem Einfluß der Regierung bei den Wahlen begegnet sei, habe er eine bessere und billigere Behandlung ge- funden, als unter den früheren fulturkämpferishén Ministerien, wie z. B. dem Camphausen-Falkshen. Allerdings stimmten

in dazernder VDprvosition mit der Regierung befindet, sie ibm Vor-

mung zu unterdrücken. Gebe man insbesondere für Berlin

auch jeßt noch alle Beamten wie ein Mann gegen das

eine Lebensbedingung der Konservativen sei. Er bitte das Haus,

Centrum, und für die Kandidaten der Regierungspartei, und bei einer Stichwahl eines ultramontanen Kandidaten mit einem Fortschrittler, glaube er, daß die Fortschrittepartei dem Centrum vorgezogen sei. Also es bleibe noch viel zu thun übrig, und er hoffe, daß es dem Minister gelingen werd2, die Traditionen aus der Kulturkampfszeit bei den Beamten zu zerstören. Heute gebe es noch Regierungsbeamte, die für die dem Centrum gegnerische Kandidaten hausiren gingen. Er sei niht für das pariamentarishe Regierungs- system, welches hier mwehrfach zur Sprache gekommen fei. Fürst Bismark habe einmal gesagt: Die Regierung werde {h für alle großen Fragen immer mit der Majorität des Parlaments in Verbindung seßen müssen. Also entweder be- stimme die Majorität des Parlaments den Minister, oder der Minister die Regierung. Wenn also ein Minister die Majo- rität für seine Vorlagen haben müsse, so unterwerfe derselbe sih ihr entweder und dann habe man das parlamentarische System oder derselbe suche sie zu gewinnen, und dann entstehe die wüsteste Agitation bei den Wahlen, es führe zu den tollsten Versuchen, die Majorität für die Pläne der Regierung zu schaffen. Er sage indeß voraus, daß diese Erwägungen innerhalb zehn Fahren zu dem par- lamentarishen System mit Notbwendigkeit führen müßten. Er nehme an, daß die Erklärungen des Ministers im Einver- ständniß mit dem Fürsten Bismarck gemacht seien. Die be- kannte „Brieftaube“ aus Friedrihsruh habe man ja in den leßten Tagen fliegen sehen. Die Minister-Sibungen seien also wohl überflüssig gewesen, man hätte nur den Brief zu lesen brauchen, den die Taube gebracht habe. Nach den vor- hergangenen Erklärungen sei er von seinem Zweifel, ob der gegenwärtige Antrag opportun gewesen, befreit; er halte es für sehr opportun, daß Alle wüßten, was zu thun sei. Die Regierung werde niht außer Acht zu lassen haben, daß die Abänderung der Abstimmung zu den Wahlen bei den ver- schiedenen Reichstagswahlen der springende Punkt in allen Diskussionen bleiben werde. Es handele sih jeßt kaum mehr um den Antrag Stern, sondern darum, ob das Haus der ganzen nit besißenden ländlichen Bevölkerung das geheime Stimmrecht geben wolle. Diese Frage könnte verschieden beantwortet, aber süglich wohl erwogen werden. Der Abg. von Rauchhaupt irre, wenn derselbe meine, die Sozialdemokratie sei durch das allgemeime geheime Wahlrecht begründet. Sie sei begründet in der steigenden sozialen Entwicklung überhaupt, insbesondere in der Ueberwucherung und dem Mißbrauch des Kapitals, in der unchristliten Behand- lung des ardeitenden Volkes; fie sei genährt worden durch Vernichtung der Jnstitute, welche die Leute auf den Weg des Christenthums - zurücksührten, indem man glaube, : diefe ethischen, moralishen Mächte ersegen zu können durch Polizei, durch Gewalt und Gensd'armen. Es werde böse Früchte tragen, daß man den Arbeitern das geheime Wahlrecht zu entziehen beabsichtige. Der Minister von Puttkamer glaube, daß durch öffentliche Wahlen das Gefühl der Verantwortlich- keit geweckt werde. Vor wem, vor den Regierung®organen oder den Großindustriellen? Bei der geheimen Wahl stelle man die Leute erst recht vor eine Verantwortlichkeit, nämlih vor die des Gewissens. Wenn man diese Ver- antwortllichkeit aber wecken wolle, dann sorge man auch für die Ruhe des Gewissens, die religiöse Freiheit. Gewiß solle man Autoritäten {hüßen. Wenn aber diese Autoritäten gemiß- brauht würden? Zu seinem Erstaunen sei der Abg. von Rauchhaupt soweit gegangen zu behaupten, daß, wenn ein Arbeiter gegen die Anschauung feines Herrn stimme, dies ein Treubruch sei. Damit gebe man die Freiheit des Mannes auf, und mache ihn einfah zum Sklaven. Solange man den Mißbrauch der Autorität niht verhindern könne, bleibe nichts übrig, als die Möglichkeit zu statuiren, daß die Leute ihr Wahl- recht ausübten in einer Weise, welche sie niht shädige. Denke man si einmal das geheime Stimmrecht weg bei den allge- meinen Wahlen. Dann mar)chire General-Postmeister Stephan mit 60 000, Minister Maybach mit über 100 000 Mann zur Wahl, die übrigen Minister folgten, es kämen die Domänenpäter, selbst der Landrath von Meyer nicht ausgenommen. Und dann noch die Reservecorps aus Bohum, Dortmund, Crefeld und Elberfeld ! Er begreife, daß die Konservativen über eine Auslösung der natürlihen Autoritäten besorgt seien. Die Autorität, die dem Centrum zu Gebote stehe, wurzele in religiösen Ueber- zeugungen, die nihtso wandelbar seien, wie die materiellen Fnter- essen, denn die leßteren rollten wie Geld. Der Einfluß der Kirche in Frankreih sei niht geshwäht durch das geheime Wahlrecht, sondern durch die Revolution und dur gewisse geheime Verbindungen. Der französische Geist, der auch in Deutschland in großen Massen der gebildeten, besißenden Klassen herrsche, sei für die Monarchie viel gefährlicher, als die Bewegungen gewisser Parteien. Daß die Nationallibera- len das geheime Wahlrecht nicht woliten, begreise er; ohne öffentlihe Wahlen würden wahrscheinlih die Abgg. von Eynern und Seyffardt nicht hier sein. Jm Reichstage fehl- ten dieselben. Es sei merkwürdig, daß man in Crefeld das Shauspiel vor sih habe, daß von den überhaupt abgegebenen Stimmen viele Prozente mehr für den Gegner als für den Abg. Seyffardt abgegeben seien, und daß der Leßtere nur ge- slegt habe durch das Dreiklassensystem und den Terrorismus der öffentlihen Wahlen. Die Rede des Abg. Gneist wolle er kurz zusammenfassen in die Worte: „Morgen, morgen, nur nicht heute.“ Der Abg. Gneist habe es auch für angezeigt gehalten, lh auf die Regierungsseite zu stellen. Er (Redner) habe gedacht, dessen amerikanische Reise hätte etwas herzstärkender gewirkt- Daß seine verehrten rheinischen Landsleute, die er unter den Vor- kämpfern für Freiheit, freie Wahl und Gewissensfreiheit zu finden hoffte, solhe Wege eingeschlagen hätten, habe ihn über- rasht. Es sei gut, daß er das hervorhebe. Diese Herren wollten das geheime Wahlrecht hier niht, wohl aber für den Reichstag. Das sci ein Widerspru. Denn warum solle das, was für das Reich gut sei, niht noch besser für Preußen sein ? Der Widerspruch sei unlöslih. Er glaube, seine Landsleute seien aber noh gesund und noch nicht vom Berliner Nebel eingenommen, würden also den Widerspruch auch erkennen. Hier handele es sich um die Frage, den armen Leuten ihre Freiheit, nach ihrem Gewissen zu wählen, zu gewähren. Die Herren aber seien niht gegen geheime Abstimmung, sondern blos gegen den Antrag Stern. Wenn die Nationallibera- len aljo gegen den Antrag seien, müßten sie doch au gegen geheime Abstimmung sein. Das wäre logisch. Die Groß- industriellen der Nationalliberalen sollten zu den Freikonser- vativen übergehen, dann bekäme man hier eine Klärung der Verhältnisse. Das Centrum habe keine andere Stüße außer

si selbst. Die Katholiken seien zu dauernder Minorität ver- Les und würden systematisch auf allen Gebieten zurück- eorangt.

Die leßte Etapps des Centrums sei die Vertretung

seiner Jnteressen im Parlament, und diese zu behalten, dazu sei das einzige Mittel die geheime Abjtimmung!

Der Abg. Seyffardt wandte fih gegen die maßlosen An- e der Abgg. Bachem und Windthorst sowohl gegen den großindustriellen Wahlkreis Crefeld wie gegen seine Person. Es fehle jeder Beweis dafür, daß in Crefeld ein Druck auf die Arbeiter ausgeübt sei. Die Herren vom Centrum könnten sich immer nur auf die Petition aus Crefeld, Dülfen und Trier berufen, und auf sclce vereinzelte Beshwerdefälle wag- ten sie es, eine Beschuldigung von solcher Tragweite zu er: heben und eire Abänderung der Gesetze zu verlangen! Auch in Crefeld hätten sich die Beshwerden nur gegen ganz ver- einzelte Vorgänge gerichtet. Die Geistlihen hätten die Hand in allen Wahlangelegenheiten. Der Einfluß der Geis:lichen sei geradezu unerhört. Jn seiner (des Redners) Gegend solle jeder Katholik au ultramontan sein. Und doch deten sih die Begriffe niht. Sche man doch einmal die Wahlresultate an. Wie komme es denn, daß in feinem Wahlkreis in der ersten Wählerklasse keiner von den Centrumsleuten gewählt werde? Woher komme es denn, daß auch in der zweiten Wüählerklas}se keiner gewählt werde ? Selbst in der dritten Klase wähle man vorwiegend liberal. Fn Cöln und Crefeld z. B. hielten sich die Parteien in der dritten Wahlklasse die Waage. Die Hauptelemente der Jndusirie ständen niht hinter dem Centrum. Einige Lristokraten und dann die Menge der kleinen Leute ständen nur zu dem Centrum. Habe man die katholische Jnteressengemeinschaft niht allein dadur zu künsi- lihem Flor gebracht, daß sie das protestantiste Kaiserthum verschrieen habe, daß es kein Fnteresse für die Katholiken habe ? Solle er Beispiele von Beeinflussungen bei den Wahlen Sei- tens des Centrums nennen? Er nenne nur die befannte Aeußerung des Kaplans in Crefeld, Bei der Wahl des Abg. von Schorlemer-Alst sei von mehreren Kanzeln verkündet worden, daß Niemand Absolution erhalten werde, der gegen den Abg. von Schorlemer gestimmt habe. (Unruhe im Cen- trum.) Er halte diese Thatsache für erwiesen. Er füge zu diesen Vorfällen noch einen anderen, den das Centrum nicht werde angreifen können. Jm Kreise Mörs-Nees sei die Be- nuzung der Chorstühle einer Persönlichkeit untersagt worden, die für den liberalen Kandidaten gestimmt habe. Was sollten argesihts dieser Vorfälle Verdächtigungen, wie sie heute von den Abgg. Windthorst und Bachem gegen ihn gerithtet seien ! Das Centrum sehe nur immer den Splitter im fremden Auge, aber den Balken im eigenen Auge nicht.

Die Diskussion wurde geschlossen. Es folgten zahlreiche persönliche Bemerkungen. :

Der Abg. Dr. Szuman konstatirte, daß seine Partei nicht zum Worte gekommen sei.

Der Abg. von Meyer-Arnswalde bemerkte, er sei an der heutigen Debatte, wo so viel Schmuß aufgerührt sei, un- schuldig, wie ein neugeborenes Kind, Daß die Ausführungen des Abg. Windthorst über preußische Beamten die konservative Sache sördere, bezweifele er sehr. :

Der Abg. Ludwig Loewe erklärte, er möchte sich seine Antworten auf die Angriffe des Ministers auf eine spätere Gelegenheit sparen. Dem Abg. Cremer habe er zu erwidern, daß er mit den Kollegen Virhow, Straßmann und Langer- hans in der Stadtverordnetenversammlung nur bemüht ge- wesen sei, die Stadt Berlin zu s{üßen vor einer vaterlands- und heimathlosen Abenteurergesellschaft, die keine Analogie habe mit einer politishen Partei hier im Lande, fondern höchstens mit einer fkarlistishen Näuberbande. Ferner spreche er sein tiefes Bedauern aus, daß der Abg. Cremer si ver- anlaßt gefühlt habe, in diesem Hause zu mauscheln, das sei nicht anständig! |

Der Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch verwahrte si entschieden gegen die Unteritellung des Abg. Windthorst, als habe die freifonservative Partei in Oberschlesien unbe- rehtigte Wahlbeeinflussungen geübt. Das fei niemals vorge- kommen. i

Der Abg. von Eynern erklärte, wenn der Abg. Windt- horst sich wundere, daß er als rheinisher Landsmann gegen den Antrag Stern stimme, so habe er demselben zu erwidern, daß €s für ihn niht nöthig sei, nah der Pfeife eines beliebi- gen Frankfurter Demokraten zu tanzen.

Der Präsident rief den Redner wegen dieser leßten Aeußerung zur Ordnung und hielt diesen Drdnungsruf troß des Widerspruchs aufrecht. :

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, was er für konservativ halte, brauche er sih niht von dem Abg. von Eynern sagen zu lassen, sondern werde es jederzeit und vor Jedermann auf- recht erhalten. j

Der Abg. Cremer blieb dabei, daß die Ausdrüde Jauche und Kloake unanständig seien. Was die persönlichen Aus- führungen des Abg. Loewe gegen ihn (den Redner) selbst anbelange „nun, es blamire sih eben jeder, so gut er könne“! Wenn der Abg. Loewe das Mauscheln aber für un- anständig haite, so begreife er nicht, wie derselbe es in seiner Gesellschast so lange ausgehalten habe.

Der Abg. Ludwig Loewe bemerkte, wenn der Abg. Cremer sage, Zeder blamire si so gut er könne, so könnte er (Redner) dem Abg. Cremer das einfah zurückgeben. Hier im Hause

habe nur der Abg. Cremer gemauschelt.

Das Schlußwort erhielt als Mitantragsteller der Abg. Richter (Hagen). Derselbe bemerkte, er habe sih erst entschlossen, das Wort für seine Partei zu über:

nehmen, als von der konservativen Seite Aeußerungen des Kronprinzen in Bezug auf die antisemitishe Agitation in Zweifel gezogen seien. Er sei zufällig durch den damaligen Vorsißenden der jüdischen Korporation, Hrn. Magnus, als ODhrenzeugen dieser Aeußerungen, von dem Jnhalt in Kenntniß geseßt worden. Jn der Sizung der Victoria-Juvalidenstiftung habe der Kronprinz jene in der Presse publizirten Ausdrüde ge- brauht, und Hr. Magnus habe ihm selbst gesagt, der Kron- prinz habe sich so geäußert, daß derselbe die antisemitischen Bestrebungen durhaus mißbillige. Seiner Vorliebe entspreche es niht, Aeußerungen von Mitgliedern des Herrschergeschlechts in die ôffentlihe Diskussion hineinzuziehen ; indeß habe diese Rejerve eine Grenze. Wenn fortwährend die Person des Monarchen oder eines Prinzen in die parlamentarische Dis kussion gezogen werde, so müsse man unter Umständen diese Reserve verlassen. So habe heute der Minister von Pult- kamer gesagt, jeder Beamte habe auh in seinem außeramt- lichen öffentlihen Leben die Fahne des Königs zu tragen und zu vertreten, die Sache habe aber ihre zwei Seiten. Es könne aus dieser Behauptung gefolgert werden, daß man das, was ein Beamter und insbesondere ein dem Hose nahestehender

Beamter außeramtlich im ösfentlihen PLeben vertrete, auch für die Fahne des Königs halte, und folchen Folgerungen entgegenzutreten si Zeder verpflichtet,

der in glaubhaster Weise von Aeußerungen Kennt- niß erhalten habe, die das Gegentheil befkundeten. Der Redner kritisirte sodann die Ausführungen des Abg. Hobreckt und nannte im Laufe dieser Kritik die national- liberale Partei ein moluéëkenhastes Gebilde, das nur durch die Gewohnheit zusammen gehalten werde, aber keine Partei mehr sei. Wer wisse, wenn der Fürst Biêmarck seiner Zeit niht einen Minister, wie Hrn. Hobre{cht für seine gefährliche, für Preußen so verhängnißvolle Finanzpolitik gefunden hätte, ob man dann auf diese abshüssige Bahn gekommen wäre. Be- züglih der Konservativen gehe es aus der heutigen Debatte hervor, daß dieselben nicht Wähler, sondern Stimmvieh haben wollten. Täusche man sih niht über den Werth, den das Volk auf das geheime Wahlrecht lege. Bezüglich des Wahl- flugblattes, daß der Abg. Cremer erwähnt habe, könne er nur jagen, daß ein ähnliches fkonservatives Schrifststück doch höchstens sich dadur untersheiden würde, daß man sage: „Wählt Herrn v. N. N.“ oder: „Wählt den Landrath N. N.“ Der Minister von Puttkamer habe für seine Beamtcn Zuckerbrod und Peitsche, die alten Mittel der Manteuffel-Westfalenshen Periode, wieder in Anwendung gebracht. Der amtliche Einfluß werde zu Wahlbeeinflussungen gewiß gebrauht. Früher habe dex Fürst Bismarck si von fo fkleinlihen Mitteln zurückgehalten. Weil die Zeit den Fürsten Bismarck nicht mehr verstehe, müsse die Uhr ge- ändert werden, damit sie übereinfliimme, deshalb wolle man jeßt das Wahlsystem im Reiche ändern. Die Jnteressenvex- retung werde durch des Fürsten Bismarcks Politik wach gehalten, Eine Rede von dessen Apostel Wagner sei für die Sozial- demokratie mehr werth, als eine monatelange Agitation ihrer eigenen Vertreter. Dadurch, daß man die Krankheit von der Oberfläche fernzuhalten suche, kurire man sie niht. Das sei die Art der Pfuschdoktoren, die auf Symptome loskurirten. Glaube die Nechte denn, wenn sie die Beamten vor die Alternative stelle, konservativ zu wählen oder auf alle Vortheile zu verzichten, daß sie die Beamten damit regierungstreuer, und in ihrem Sinne besser mahen würden? Man habe keine Ahnung, welche sozialistishe Gefahren das Land bedrohten, namentlich in den großen Städten, und in dem Maße wie die Rechte daran rüttle und die Fortschrittspartei bekämpfe, reiße man einen Damm nieder, der noch in vieler Hinsicht den Shußwall ab- geben könne. Ein folches System habe keine Dauer, es werde ebenso unrühmlich zu Grunde gehen, wie das System von 1858, Auch damals habe es cin Corps der Landwirthe bier gegeben; damals waren es 72, heute seien es 62. Und welches Ende habe das System genommen? Möge es lange dauern, möge nur kurze Zeit verfließen, bis eine entscheidende Wenduna eintrete, das Haus habe seines Erachtens die Verpflichtung, bis dahin Alles zu schüßen vor Umsturz, vor Veränderung in den Grundlagen. Der Antzag Stern habe einen großen Erfolg für sih; der- selbe kabe den Gegner gezwungen, seine Stellung zu demas- firen, seine Absicht klar zu stellen; und mit einem folchen Nekognoszirungsgefeht fei viel gewonnen, auch wenn der An- trag zunächst noch abgewiesen werde. Es sei im Lande eine gewisse Beruhigung eingetreten, sage man, man habe wahr- genommen, daß der Reichstag gewisse verderblihe Vorschläge zurückgewiesen habe. F-bt auf einmal steige hier ein Signal auf, welhes zeige, welche neue Gefahren gegen bestehende Volksrechte im Anzuge seien. Das sei das große Verdienst dieser Debatte und des Ministers von Puttkamer, daß der- selbe mit Erlaubniß des Fürsten Bismarck denn das müsse man annehmen offen kiargelegt habe, was der Fürst Bis- marck gegen das geheime Wahlrecht im Reichstage plane. Das zeige Jedermann im Lande, was man zu gewärtigen habe ; und er habe die Hoffnung und Zuversicht, daß man im Lande in allen Parteien, die an der Aufrechterhaltung des geheimen Wahlrechts interessirt seien, sih vorsehen werde, und sich rechtzeitig zu den Kämpfen rüsten werde, die gegenüber den Angriffen auf das Wahlrecht bevorständen,

Der Abg. Hobrecht bemerkie (persönlich), er könne nicht auf alle einzelnen Angrifse des Abg. Richter gegen ihn ein- gehen; er meine nur, daß er die unstnnige Reihe von Worten, die der Abg. Richter ihm in den Mund lege, niht in der Weise gesagt habe, da das widersprechend und sinnlos gewesen wäre. Er verwahre sih ferner gegen den Vorwurf des Abg. Richter als träte er heute im Namen der liberalen Partei auf und hätte doch dabei im Jahre 1878 als Minister an allen Schritten theilgenommen, dur@&) welche die jeßige Aera ein- geleilet sei. Der Kern der Nede des Abg. Richter sei über- haupt ein fortlaufender Angriff gegen den Reichskanzler. Der Abg. Richter werfe der offiziösen Presse vor, daß sie immer an die Spige aller Dinge stelle die Frage: „Für oder wider Bismark?“ Diese Methode hätte gerade der Abg. Richter nicht wirksamer unterstüßen können, als derselbe es heute gethan habe. Der Abg. Nichter fördere selbst das Prinzip, welches derselbe zu bekämpfen behaupte. Es sei. gerade die Nichtershe Schule, welWe Alles auf Persönlichkeits- und Machtfragen zuspiße, Gegner dieser Schule sei er im Fahre 1878 gewesen und sei es au heute noch.

Dex Abg. von Nauchhaupt verwahrte sih dagegen, daß er, wie der Abg. Richter behauptet habe, den Arbeiter als bloßes Stimmvieh angesehen wissen wolle,

Der Abg. Cremer bemerkte, die wegwerfende Art des Abg. Nichter gegen ihn berühre ihn niht. Er bedauere übrigens konstatiren zu müssen, daß der Abg. Nichter, indem derselbe sich auf das Schlußwort zurückgezogen habe, sih doch hinter einen Zaun verschanzt habe, wenn derselbe den Zaun jeßt au hintec den großen Stern verlegt habe.

Der Abg. Richter erklärte, er habe nichts anderes gegen- über dem Abg. Hobrecht gethan, als die Frage aufgeworfen, ob dessen amtliche Wirksamkeit von 1878/79, dessen Mit- wirkung dei der Auslösung des Reichstages, bei der Jnaugurirung des Kampfes gegen alle Liberalen, mit jenem heutigen Standpunkt zu vereinbaren sei. F

In namentlicher Abstimmung wurde der Antrag Stern mit 202 gegen 163 Stimmen abgelehnt. E

Die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben für 1882—83 wurde der Rechnungskommission überwiesen. E

Hierauf vertagte sich das Haus um 5!/, Uhr au} Freitag 11 Uhr.