1883 / 294 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 14 Dec 1883 18:00:01 GMT) scan diff

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{peziell juristishe Verbrehen zu sein,

Nichfamflihes.

Preußen. Berlin, 14. Dezember. Jw. weiteren

Verlaufe der gestrigen (15.) Sißung %es Hauses

der Abgeordneten wurde die zweite Berathung des

Staatshaushalts-Etats für das Jayr 1884/85 mit

dem Etat der Justizverwaltung (Kap. 74 Tit. 3) fort-

gesetßt. y Der Regierungskommissar Geheime Ober - Zustiz - Rath

Starke erklarte, wenn der Abg. Strosser Zahlen wünsche über

die eventuelle Ab- oder Zunahme der Verbrechen aus Vagabondage, so könne er demjelben damit avo E aber, daß soiche Zahlen nicht entschieden, daß man sie wägen müsse. Es habe si herausgestellt, daß von 1854 bis heute das prozentuale Verhaltniß der Verurtheilungen zu den Frei- sprehungen im Wesentlichen dasselbe geblieben sei. Auch im Reich sei es so gewejen. Wenn bis zur Einführung der ncuen Gerichtsorganisation wohl nicht init Unrecht darüber geklagt sei daß «s überhaupt an ausreichendem statistishen Material fehle, so fei jeßt diesem Uebelstande abgeholjen. Für 1881 fei eine derartige, weit über kie Grenzen. der Geschäststabellen hinaus- gehende Statistik für Preußen bearbeitet worden, in anderen deutschen Staaten auch. Die neue Statistik seit der Einführung der neuen Gerichtsorganisation weiche von der Statistik in Preußen bis 1881 darin ab, daß sie: mit Recht von der Kopf- zahl der Verurtheilten ausgehe, nicht der neu eingeleiteten Untersuchungen. Wer freigesprochen sei, könne niht mehr Gegenstand einer friminellen Betrachtung sein. Für die Jahre 1879 und 1880 seien statistische Erhebungen in Preußen nicht vorgenommen worden, weil es bei dem gewaltigen Drange der Organisation an Zeit dazu gefehlt habe. Für die folgenden Jahre habe sh Folgendes er- geben: Die gesammte Kopfzahl de: Gefangenen habe 1881/82 620 404 (darunter 433 841 männliche), 1882/83 583 161 (darunter 452 732 männliche) betragen. Wegen Vagabondage seien inhaftirt 1881/82 97606, 1882/83 89 359, Diejer unzweiselhaste Rückgang sei für 1883 noch erheblicher. Die Gesammtzahlen würden erst nah Ablauf des Geschäfts- jahres sich feststellen lassen. Aber troßdem nehme er keinen Anstand, jeßt schon zu behaupten, daß ein viel erheblicherer Rückgang da sei, als im vorigen Jahre. Der Nückgang werde in großen Städten vielleicht nicht viel geringer sein, als in kleinen Orten, oder auf dem platten Lande. Jm Untersuhungs- gefängniß Moabit habe im vergangenen Jahre in einem bestimm- ten Monat die Zahl sämmtlicher Untersuchungsgefangenen für die Stadt Berlin und für das Landgericht Il 1200 betragen, diese Zahl sei in demselben Monat des Jahres 1883 auf 800 her- untergegangen. Aehnliche Erscheinungen seien auch in anderen Bezirken der Monarchie und anderen deutschen Staaten zu Tage getreten, sogar in Oesterreih. Die Armuthsverhältnisse seien jür die Zunahme und Abnahme der strafbaren Hand- lungen ganz wesentliche Faktoren. Seit dem Nothjahre 1847 habe eine eminente Steigerung begonnen, welche 1855/56 geendet habe. Was 8 Fahre der Noth sagen wollten, habe er in den 50er Jahren in Schlesien gesehen, und er habe sich fragen müssen : lasse sich das menjchlihe Gefühl noch verein- baren mit der amtlichen Pflicht der Verfolgung? Als 1856/57 die Verhältnisse wieder besser geworden seien, sei sofort wegen der billigeren Preise ein Rückgang eingetreten. Die Zahl der Untersuchungen sei in einem Fahre um 24 000 gefallen. Die Zahl der Verbrechen im Verhaltniß zur Bevölkerungszahl sei zumal 1870 unter der Einwirkung des nationalen Krieges ge: fallen. Seit dem Beginn der wirthschaftlichen Krisis habe die Zahl der Verbrechen wieder zugenommen, Von 1875 an habe man in Preußen durhgehend bis in die leßten Jahre s{hle{chte Ernten gehabt. Erst in diesem und in dem vergangenen Zahre habe nian wieder bessere gehabt. Mit der Besserung der wirthschaftlichen Verhältnijje seren auch seit 2 Zahren die Verbrechen zurüc- gegangen. Daraus gehe hervor, daß die Zahl der Verbrecher allein kein Maßstab jür die allgemeine Sittlichkeit sei.

Der Abg. Strosser bemerkte, aus den Érklä rungen des Regierungskommissars gehe zur Evidenz hervor, daß im „Jahre 1882/83 ein Rückgang von Verbrechen und Vagabon- dage gegen das Vorjahr eingetreten fei, Der Regierungs- Tommissar habe zugegeben, was erx (Redner) immer behauptet habe daß von 1873 an eine sehr cr!ebliWe Vermehrung der Verbrechen stattgefunden habe, erbêolih größer, als se die Zunahme der A a bedingt habe, Alle Parteien seien darin einig,

man ein? solhe Frage niht aus einzelnen Momenten erklären tönn Auch erx sehe den Nahrungs- und Er- werbsverhältry einen höchst bedeutenden Faktor. Derselve sei aber n A r einzige, Er würde sih unendlih freuen, wenn der RNücktgaug der Verbrechen fernerhin andauerte. Es G E A, wenn dem Hause der Minister R 29 Nar vorgetragenen Zahlen gedruckt zu- __ Der Abg. Munkel konstatirte, daß na Er- klärungen des Vorredners alle arin O bir R A sammt und sonders einig seien. «Fhm käme es / t on, der Ansicht entgegenzutreten, daß in Folge sittlicher errohung die Verbrechen und Vergehen in leßter Zeit sehc zugenonzuen hätten, und eine Aeußerung in diesem Sinne 0 irgead einer Seite des Hauses unmöglich zu machen. as sei gelungen, _niht eine Vermehrung Habe Ftatt- gefunden, jondern eine Abnahme finde statt, und nicht allgemeine Verrohung der Sitten, sondern die Nahrungsver- hältnisse seien durch den sehr überzeugenden Vortrag des Kom- missars bei den Eigenthumsverbrechen als bewegende Ursache Mel wobei dem sittlihen Jmpuls des nationalen rieges von 1870 ein günstiger Ciufluß, nicht ein ungünstiger beizumessen sei. Jedenfalls sei seit zwei Jahren eine Abnahme eingetreten, ohne daß feines Wissens der Vorredner aus La Kraft irgend etwas dazu gethan hätte. Für heute B e man ihm nur einige Worte bezüglih der Meincide ge- statten, welhe die Spezialität für oder gegen sich hätten, Juri L während das S: Wesentlichen bein Etat des Ministeriums des e gu E fommen werde und müsse. Der Meineid habe die a eie, daß derselbe immer nur unter Zuhülfe- Richters es Richters, gewissermaßen unter passivec Beihülfe des enem LDOTeIt werden könne. Es sei ein Akt, der {ih vollziebe 1g, niht wie jedes andere Verbrechen, im Dunkeln O F , tondern im Gegentheil gewöhnli in der allergrößten essentlihkeit. Und weil der Richter dabei mitgewirkt so Fei es rltecdi ndter dabei mitgewirkt habe, tung babe bic E am Ork, Wünsche, die er nah dfkeser Nich- „_Yier dem Zustiz-Minister vorzutragen, ael dann,

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eßgebung exfüllt werden könnte, auf welche

Jahren der großen Vermehrung der Verbrechen die Eigen- thumsverbrehen im strengsten Sinne, die Dicbstähie edie geringste Vermchrung erfahren hätten, eine Vermehrung, die kaum dem Zuwachs der Bevölkerung entsprehe. Dagegen hätten die neben dem Diebstahl liegenden Verbrehen, Ur- kundenfälschung, Betrug, Wucher erheblih zugenommen, diese träfen aber nicht diejenigen Kreise, O Hause sei, sondern die Ursachen dieser Vermehrung lägen in : ganz s, Momenten, worüber er beim Etat des Ministeriums wenn ein T r Wünsche nicht von der preußischen, son- | i “Hfeldort veróftent an Schrift gelesen habe,

nah Vorstrafen gestellt, führe häufig zum Meineide.

daß derselbe die Unwahrheit sage. Der Richter

einem solchen verdähtigen Menschen aus.

liche Bestimmung habe, daß die Vereidigung ei 3 Mea könne. Ÿ s A e banble Ben *ereidigung unterbleiben könne, wo der Angeklagte keinen Vertheidiger zu haben brauche, und auch keinen L Ia müsse, wenn L Staatsanwaltschaft und Gerichtshof übereinstimmend der Meinung seien, daß der Zeuge keinen Glauben verdiene, die Vereidigung ausgeseßt werden können, Der Angeklagte komme dabei niht zu kurz; denn wenn das Kollegium dem Zeugen nicht glaube, dann wisse es nicht, ob es dem Ange- klagten glauben solle oder niht; und wo die Geshworenen zu urtheilen hätten, die schr oft anders urtheilten als das Kollegium, da würde es immer genügen, wenn man wenigstens den Zeugen dann nicht zu vereidigen brauchte, wenn auch der Vertheidiger der Vereidigung wider- sprähe. Damit sei das Jnteresse des Angeklagten gewahrt, und glaube man ihm (dem Redner) : ein verständiger Vertheidiger, und das seien die meisten oder vielleicht alle, würde die Schuld au niht auf sich lcden, wenn derselbe die Ueberzeugung habe, daß ein Meineid ges{chworen werden solle, dem ZuzuU- stimmen und es zu verlangen. Doch es gebe Mittel genug die man habe, weil der Meineid ohne Richter nicht geleistet werde, daß die Justizbehörde das, was sic in der Hand habe, thue, um zu vermeiden, daß Meineide ges{hworen würden und Lari wolle er den Justiz-Minister bitten. 5

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a N nahm der Justiz-Minister Dr. Friedberg das Meine Herren! Jch befinde mi in der nit häufi Tom- menden Lage, daß ih die Worte, die der Herr e A E gesprochen hat, buchstäblich unterschreiben kann. Ich bin, wie er, der Meinung, daß die vielleicht mißlihste Aenderung, welche die neue Gesetzgebung uns gebracht hat, darin besteht, daß wir statt ves asser- torishen Eides den promissorishen Eid bekommen haben. Jedesmal wenn ih in die Lage gekommen bin, einer mündlichen Verhandlung der Gerichte beizuwohnen, habe ih geradezu das Gefühl des Aerger- nisses empfunden, wenn ich tehen mußte, wie dur diese Art der Vereidigung eigentli das Wesen des Cides erschüttert worden ift. Aber, meine _Perren, die Meinung, daß die Auffassung eines einzelnen Ministers, aub wenn dieses der Minister des Großstaates Preußen ist, dazu ausreihen möchte, um eine Aenderung in der Reichs-Geseßgebung alsbald herbeizuführen, die Meinung kann ich leider nicht 1hcilen. Die Reichsgeset: gebung selbst ist, und gewiß mit Recht, sehr vorsichtig, die Hand an die Re- formen von (Seseßen zu legen, die, {wer zu Stande gebracht, erst wenige Jahre in Wirksamkeit sind, und die, wen1 man einn al an ihnen zu bröôckeln anfängt, sehr leiht große Theile ter ganzen Gesetz- gebung mit fich niedecreißen möchten. Darum bin i, als der Minister eines Staates, selbs da, wo ih große ‘Nißstände in der Retchsgefeßgebung erkenne, doch sehr vorsichtig, mit Anträgen auf Aenderung des Bestehenden an die Reichsregierung zu kownnen Wiederholen aber will ih, wenn ich irgend eine Bestimmung ber neuen Gefeßgebung aus der Welt geschafft sehen möchte, cs diese über den Voreid wäre ; fie ist unserer deutschen Auffassung abfsoluc fremd und ift aus ciner {remden Gefetgebung eingeimpft worden, ih Hte P das Ie U N geblieben wäre! E tun gebe ih auch darin dem Herrn Vorredner rechcki, daß 5391 dem S. 60 der Strafprozeßordnung, der da sagt: a E N O La s namenili6 wenn Be- en egen die Zulässigkeit obwalten, bi Ab'{luß der Ver- nehmung ausgeseßt en: H zu wünschen wäre, daß die Nichter verzeihen Sie “iesca Ausdruck von demselben einen vernünftigeren Gebrau) machen möchten, wie dies bisLer geschieht; die Richter könnten und sollten ihn äufiger auwenden, sie thun es nit, und ih habe kein Recht, sie dcrauf mit Wirkung hinzuweisen. Wo ih auf die Cidesleistung hinwir:cn konnte habe ih es gethan; so bin ih beispielsweise in der Loze gewesen, neuiich den Gerichten gegenüber als eine nicht nuc ‘geshmack- lose, sondern als eine geradezu thöôrihte Art es zu be- ¿cihnen, wenn unter Umständen Zeugen Fragen vorgelegt würden, wie die, ob der Zeug? verwandt, verschwägert ist ob er Geld bekommen habe, und si der Richter vorher sag2n kann, daß diese Frage unnüß, ja verlezend sci; so ist es neulich vorge- kommen, daß ein Amtsvorsteher, der als Zeuge wider einen Vaga- bonden auftrat, den er selbst verhaftet hatte, höchst feierlich gefragt wurde, ob er verwandt oder vershwägert mit dem Angeklagten wäre oder ov ec gar vielleibt für sein Zeugniß Geld bekommen, E L Da habe ih nit Anstand genowmen, zu sagen, daß \olche Fragen geradezu gegen den gesunden Menschenverstand verstößen und daß ein Richter, der nach dem gesunden Menschenverstand und nicht T L R A e einem Falle der vor-

en L le Frage unterlassen sollte. Soweit bin i i B Ne tinverstanden, I E Die ander: Frage, ob dadurh, daß man de leben eines Zeugen in öffentliche: E abo, Mair: eide hervorgerufen werden dürften, möchte ih eher bezweifeln, I gebe zu, daf unter Umständen —=- wir aben ja neulich in Berlin ole Beispiele gehabt (3 höcst peinlich für den Zeugen sein muß, fein Vorleben in offcntlicher Sitzung anzugeben. Aber, daß solche Zeugen, die mit den Angaben über ihr Vorleben zurückzu- halten Ursache haben, zu Meineiden verleitet werden, möchte ich nicht

für so ficher halten, wie es der Herr Abgecrdnete gehalten hat. A Wie gejagt, wenn fich die ernste öffentliche Meinung gegen die jebige Form des Eidcs aus der Nation heraus gegen die bestehende Geseßgebung wendet, und auf eine Abhülfe dringt ich werde nit der Lebte sein, der die Hand zu einer solchen Reform bietet, / ‘Der Abg. Strosser erklärte, aus den statistishen Zahlen, welche der Negierungskommissar mitgetheilt yabe, hätte der Abg. Munel doch entnehmen können, daß gerade in den

in denen die Noth zu

Wer die vom Pastor Stursberg auf amtlihen Quellen basirende

n Düsseldorf veröffentlichte, der werde die wahren Ursachen dieser

ichen Einfluß habe, und wo der Minister

) [ erheblißen Zunahme kennen, die Noth iele t jewiß mehr, als von manchen Nihtern, ] keinesmegs eine hervorragende Rolle. E E

wie derselbe vorhin geklagt habe, gehört werde. Eines habe derse wirklich in der Hand. Mißbräuchlih werde T die Ne und die Beantwortung dieser Frage Allerdings könnte der Gefragte nur antworten : „wegen Meineides noch nit“, das würde genügen; ohne Frage keine Antwort und ohne Antwort kein Meineid. Das Schlimmste aber sei die Vereidigung vor der Aussage. Häufig müsse nah dem Geseß ein Zeuge vereidigt werden, von dem das ganze Richterkollegium überzeugt sei, . . , l also wissentlich einen Meineid abnehmen. Beim Voreide ine man nicht wissen, ob der Mensch lügen werde oder nicht, aber man ahne es doch vorher, und seße dann den Eid bei i b Bisweilen trü die Ahnung auch. Jedenfalls sei aber die Gefahr nicht so GeE wenn man beim Voreide den Lügner vereidige ; diese Gefahr sei indeß au beim Nacheide noch da, so lange man nicht eine gesetz-

Wenn es sich um Fälle handle, wo die

Der Regierungskommissar Gehcime Ober-Justiz-N Starke entgegnete, er habe seinerseits niht ein ums ane gesagt, daß die Nothlage das allein Entscheidende sei. Wenn der Abg. Strosser den niht aus Noth begangenen Diebstählen ein solches Gewicht beilege, so bitte er denselben, doch die

Delikte stattgefunden habe, zu veralcichen. Diebstahl und Unter- s{hlagung hätten beinahe 40 Proz. aller Trin tas Handlungen betragen, demnächst seien Körperverlezun 13 Proz. vorgekommen, Beleidigung 12,14, Verbrechen Vergehen wider die öffentlihe Ordnung 10, Saghbeschädi- gung 4,08, Widerstand gegen die Staatsgewalt 3,94, Be- günstigung und Hehlerei 3,91, strafbarer Eigennußt 3,59, Betrug und Untreue 3,19, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlich- eit 1,52, und Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit 1,46 Proz. Alle andern Delikte seien der Zahl nah geringer, als 1 Proz. der Gesammtzahl, wenn aljo bei so geringen Zahlen eine Steigerung nachgewiesen werde, dann werde man daraus große allgemeine Schlüsse auf die Zu- nahme der Entsittlihung nicht zu ziehen haben. Was die Zunahme der Meineide betreffe, so müsse man doch im Auge behalten, daß einen Diebstohl z. B. jeder in Freiheit lebende Mensch begehen könne, einen Meineid s{wören aber könne nur, wer vor Gericht einen Eid ableisten solle, und das hänge nicht von demselben, sondern von der Zahl der gerichtlichen Geschäfte und Vernehmungen ab, welche Eidesabnahmen noth- wendig machten. Von 1854 bis 1878 sei die Be- völkerung um 27 Proz., die Zahl aller Civilprozesse, wo Eide nothwendig gewesen seien, aber um 92 Prozent gestiegen, d. h. um mehr als das Dreifache; ebenso also au die Zahl der Gele- genheiten, Meineide zu s{hwören. Ein richtiges Urtheil könne man nur aus einer Statistik gewinnen, welche feststelle, wie viele Eide in einem Jahre geshworen Jjeien, und wie viele davon sich später als Meineide erwiesen hätten. Diese Unter- lage fehle zur Zeit, man Tönne sih nur an die Wahrschein- lihkeitsrehnung halten, daß die Vermehrung der Meineide der Vermehrung der Eidesabnahmen entsprehe. Bei der ge- stiegenen Zahl der Delikte müsse ferner die kolossale Masse von Uebertretungen erwogen werden; von der Gesammtzahl aller Untersuchungen wegen krimineller Handlungen seien 51 Prozent auf Holzdiebstähle, 27 bis 28 Prozent auf Uebertretungen und nuv 15 bis 16 Prozent auf Verbrehen und Vergehen gekom- men. Man denke ferner an gewisse allgemeine Ursachen der stattgehabten Vermehrung. Jm Jahre 1838 seien die ersten drei Meilen Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam eröffnet ; heute habe man 20000 km. Wieviel Straßenübergär.ge kämen nun auf jeden Kilometer, wie viele Shlagbäume seien neu errichtet worden, wie viele Kontraventionen, wie viele Beamtenbeleidigungen rührten davon her. So ergebe si eine | Quelle der Vermehrung der Strasthaten aus dex Konzentra- tion des Verkehrs, und der Entwiclelung der Verhältnisse, die mit der Moralität als Ausgangspunkt der Beurtheilung gar nihts zu thun habe. Für die Zunahme der Sittlichkeits- verbrehen hab? der Abg. Strosser ein Jahr zum Vergleiche gewählt, das sich dazu durchaus nicht eigne. 1871 sei allerdings ein derartiger Fall erst auf 18 752 Köpfe gekomnten, 1878 bereits cuf circa 8000. Das sei freilih eine starke Steigerung; aber sche man genauer na, so zeige sih dasselbe Verhältniß von 1 : 8000 fast konstant in jedem Jahre von 1857—1878. Las Jahr 1871 allein habe einen so niedrigen Stand gehabt, wie kein anderes vorher oder nachher, und gerade sür dieses Fahr lägen die Ursachen des niedrigen Standes der Zahl der Delikte überaus klar. Vom Einfluß des Krieges abgesehen, hätten gerade damals die Reichsgesebe eine große Anzahl von Vergehen unter die Antragsvergehen gebraht. Erst 1876 seien diese Verfolgungen auf Antrag beseitigt: wenn nun troßdem die Zahl der Sitilichkeitsdelikte 1877 und 1878 nicht größer gewesen sei wie 1870, so sei erwiesen, daß die Unsittlichkeit nit zugenommen habe.

Titel 3 und 4 wurden bewilligt.

ZU Titel 5 „Gerichtsschreiber“ bemerkte der Abg. Büchte- mann, die Frage der Kriminalstatistik gehöre doh ex profess0 zur Berhandlung des Justizetats, und niht zur Verwaltung des Ressorts des Jnnern. Sei denn auf der Rechten die Vorliebe für die Polizei so groß, daß auch diese Materie ganz unker polizeilihe Gesichtspunkte gejtellt werden müsse? Er wünsche, daß die allgemeine Debatte bei diesem Titel ihren eFortgang finde. Der Abg. Westerburg habe mit Recht die Einführung größerer Zeiträume für die Aufstellung der Kri- minalstatistik verlangt. (Lebhafte Unterbrechung rets. R Hur N Á La A Frhr.

n S nan erinnerte den Redner da Titel. „Serichtsschreiber“ zur Debatte stehe. A A u Der Abg. Büchtemann: Er könne dann nur die un- gerechtfertigte Herbeiführung des Sthlusses der Debatte bedauern. Aa A n

ci dem Titel „Hülfsarbeiter und Lohnschreiber bei Amtsgerichtskanzleien“ machte der Abg. n Strombeck ai die Nothlage der Lohnschreiber aufmerksam, und bat den Mi- A L i E e nicht, wie früher, ein F ent. feste Anstellung und Pensions hti q gewähren A g Pensiouskterechtigung Der NRegierungskommissar Geheime Ober-Justiz-Rat Schmidt sagte die Berücksichtigung dieser A e lih der Umgestaltung des Kassenwesens der Gerichte zu.

Der Nest des Kapitels wurde ohne Debatte genehmigt.

U Kap. 76 (Gefängnißverwaltung) bemerkte der Abg, Dr. Langerhans, bis jeßt sei die Unterbringung wahnsinniger Verbrecher den kommunalen Vertretungen überwiesen worden, welche sie dann in die Frrenhäuser schaffen ließen. Noch vor wenigen Jahrzehnten seien fast alle diese Jrrenhäuser der s{chlimmsten Art gewesen, aus denen das Geheul und Geschrei der Kranken weithin gedrungen sei, wenn nicht besondere Vor- rihtungen dagegen getroffen gewesen seien. Die Vorrichtun- gen zur Bändigung der Tobenden und zur Ausfre(terhaltung der Ordnung seien außerordentlich grausam gewesen. Er könnte dem Hause aus der Zeit, wo er noch junger Arzt ge- wesen sei, ein shauderhaftes Bild von der Behandlung der Jrren entwerfen. Man habe die Tobsüchtigen angebunden, und ihnen eiserne Ringe um den Hals gelegt. Jett lasse man die Kranken einfah austoben, und die Anfälle seien in kurzer Zeit vorüber. Auch gestatte nan ihnen jeßt möglichst viel Freiheit, beschäftige sie sogar und habe dabei die interessante Beobachtung gemacht, daß diese Unglücklichen, wenn sie wirk- lid noch lohnende Arbeit verrichten könnten, sih dabei ver- bältnißmäßig glü@lih fühlten. Wenn noch nicht alle Frren- anstalten in dieser Weise vervollkommnet seien, so liege das nur am Geldmangel. Dadurch aber, daß diese Krankenanstalten irre Verbrecher bei sich aufnehmen sollten, würden sie in ihrer

humanen Entwickelung - vollständig gehemmt. Die irren

Statistik für das Jahr 1881, wo die stärkste Zunahme der

Verbrecher seien nicht etwa wilde Männer, wel{e Wahnsinn nur simulirten, und naher vurchGewalt und List das Jrrenhaus wieder verlassen wollten, sondern Verbrecher, deren Wahnsinn eben der Hang zum Verbrechen sei. Jn den Gemeinde-Jrrenanstalten müßten diese nun wie im Gefängniß gehalten werden. Besondere Abtheilungen in den Jrrenbhäusern für diese Verbrecher einzu- richten, fei nicht thunlih; au seien die Wärter in den FJrren- häusern Krankenpfleger, und die Hüter von Verbrechern müßten ganz anders ge}/chulte Leute fein. Er wisse nicht, ob die Gemeinden afle damit einverstanden sein würden, wenn er es ausspreche, daß die Kosten für die anderweitige Unter- bringung der irren Verbrecher denselben auferlegt werden sollten. Die Jrrenhäufer verursachten ja allerdings den Ge- meinden schon ohnehin sehr schwere Ausgaben; werde ihnen die Last der irren Verbreher niht abgenommen, fo steigere ih die Schwierigkeit immer mehr, der menshliher Würde entsprehenderen Form zu sorgen.

Der Abg. Dr. Wehr führte aus, die Frage sei allerdings für die Kommunen und Provinzialverwaltungen von großer Wichtigkeit ; die Aerzte und Anstalts-Direktoren hätten sih in demselben Sinne wie der Vorredner ausgesprochen, und die Konferenz der Landes-Direktoren habe zu einer entsprechenden Kollektivvorstellung sämmtliher Provinzialverwaitungen an den Minister gesührt. Allerdings werde es für die Regierung sehr shwer sein, die geeigneten Mittel und Wege zu finden. Wenn nicht bei jedem Gefängniß Stationen für Jrre ein- gerichtet werden könnten, dann müßte entweder eine Central- anstalt oder eine derartige Anstalt für jede Provinz errichtet werden; beide Vorschläge aber hätten ihr Bedenkliches. Ein Vorwurf treffe also die Regierung nicht, wenn sie r:0ch keinen Wandel geschaffen habe, aber die Zustände erforderten drin- gend Abhülfe, das Geld dazu würde nicht fehlen.

Hierauf nahm der Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Staats-Minister von Puttkamer das Wort:

Meine Herren! Da die von dem Abg, Langerhans angeregte Frage nicht blos, oder vielmehr nicht in vollem und aussc)ließlichem Umfange zum Ressort des Justiz-Ministers, sondern auch wesentlich mit zu dem des Ministers des Innern gehört, so erlaube ih mir im Einverständniß mit meinem verehrten Herrn Kollegen, auf diese Frage mit etnigen Worten zurückzukommen. Fern sei es von der Staats- regierung, irgendwie den Grundsay anfechten zu wollen, der in der modecnen Irrenpfleae, wie der Hr. Abg. Dr. Langerhans schr richtig und beredt hervorgehoben hat, \sich immer mehr Bahn Ericht, die Srrenpflege auf humane und, wie er gewiß mit Recht sagte, der Würde des Menschen entsprechende Basis zu stellen. Die Staatsregierung würde jedes Moment bedauern, welches für sie die Nothwendigkeit involvirt, irgendwie in einer hin- dernden Weise in dieje von der Wissenschaft geforderten Art der Jrrenpflege einzugrcifer. Soweit mein geringes Perständnif; von der Srrenpslege überhaupt reiht, muß ih sagcn, daß vielleicht keine Seite unserer öffentlichen Zustände sich in einer so s{chönen und humanen Weise in den letzten Dezennien entwickelt hat, wie gerade die Irren- pflege, und daß das no constraint-System, wie es der Abg. Langer- hans geschildert hat, auf diesem Gebiete einen außerordentlich großen Fortschritt bedeutet, das, glaube ih, wird in diesem Hause wohl außer

allem Zweifel stehen. : Nun aber, glaube ih, hat der Hr. Abg. Langerhans dieser Frage ich verkenne

doch nur tie cine Seite di ibre Wichtigkeit in keiner Weise betont, der Abg. Wehr

fam schon mehr auf die Bedenken, welche sih demjenigen Gesichts- punkte entgegenstellen, den der Abg. Langerhans für den aussch{ließlich maßgebenden zu halten schien. Es ift ja leider wahr, daß der Justiz- und der Verwaltung des Innern in diesem Augenblick keine andere Möglichkeit zur Seite steht, solche Leute unschädlich zu macen, welche, in der Untersuchungs8haft, befindli auf ihren geistigen Zustand unlter- subt werden müssen, oder au solche und das ift die überwiegend größere Kategorie welche bei dem gegen sie angestrengten Kriminal- pro:eß für unzurechnungsfähig gehalten werden, oder welche während der Strafvollstreckung in Geisteskrankheit verfallen, und welche wegen ihrer Gemeingefährlihkeit einer strengen Bewachung unter- worfen werden müssen. Also es ist zu bedauern, daß der Staatsregierung in diesem Augenblick gar kein anderes Mittel zur Verfügung steht als die Mitwirkung und Hülfe der be- stehenden öffentlichen Irrenanstalten. In Privatanstalten solche Leute unterzubringen, ist ja sclbstverständlich ausgeschlossen, son wegen der mangelnden Kontrole, und es bleiben nur dic öffentlichen Irren- anstalten übrig, in Betreff deren aus dem Dotationsgesetz für die betreffenden Pcovinzial- und Kommunalverbände, insbesondere auch für die Stadt Berlin gewisse Verpflichtungen folgen.

Nun ift anzuerkennen, daß, so lange diefer Zustand fortvauert, und ib glaube, er wird au rechtlich kaum angefochten werden können ich komme auf die staatsmännische Seite der Sache später noÞ daß so lange dieser Zustand dauert, allerdings von Seiten der Staat8- regierung der lebhafte Wunsch gehegt werdeu muß, daß die öffent- liczen Irrenanstalten, soweit sie können und soweit es in der Mög- lidfeit liegt, fi mit denjenigen Institutionen und Mitteln vers:hen, welche den Gewahrsam sicher machen und verhüten, daß solche unliebsamen Zustände, wie sie allerdings in Dalldorf in leßter Zeit vorgekommen sind, eintreten können, denn das werden die Herren anerkennen, daß es in der That für die öffentliche Sicherheit der Umgegend in hohem Grade bedrohlich und unangenehm ist, wenn man têglih und fstündlich unter dem Damokless{wert des (Ent- weichens solcher Leute steht, und ih glaube, die Dalldorfer Fälle haben in der That den Beweis dafür geführt, daß es sich hier um einen re{cht crheblichen Mißstand für die Nachbarschaft handelt. Denn diese Leute, die ja zum Theil Simulanten, zum Theil aber wirklich irrsinnig sind, haben in diesem kurzen Zeitraum, der ihnen in Folge des Eniweichens vergönnt war, nicht ermangelt, eine Menge von Unfug leicterer und {wererer Art anzurihten. Ic glaube, wenn man diese Seite der Sche in eingehendere Erwägung zieht von Seiten der betreffenden Kommunalverwaltungen und der größeren und kleineren Verbände, dann werden sich diese Ver- waltungen der moralischen Pflicht, will ih es einmal nennen, kaum entzichen können, soweit es ihre Mittel gestatten, wirksame Fürsorge zu treffen, daß eine sihere Verwahrung dieser Leute dauernd statt- findet. Jh möchte fast glauben, daß die bestehenden Ginrichtungen dod; noch zum Theil wirksamer gema&t werden können; ih will das nit näher ausführen, aber soweit meine Wahrnehmungen reichen, würde es in der That möglich sein, in denjenigen Räumen, die sür die un- ruhigen Irren bestehen, welche also schon für die Isolirung berechnet sind, {tärkere Jsolirzellen einzurichten, das Wärterpersonal für diesen Cyflus von Irren sorgfältiger oder vielmehr spezieller darauf auszu- suchen, da es si hier weniger um Jrrenpflege, sondern mehr um Gefangenenaufs:cht handelt kurz, es wird eine ganze Anzahl von Clementen geben, die den bisberigen Zustand zu verbessern im Stande sind.

Aber, meine Herren, aus diesem allen will ich und das ift der Hauptgrund, warum ich um das Wort gebeten habe -— fkeines- wegs den Schluß ziehen, daß die Staatsregierung sich der Verpflich- tung entziehen wollte, in ecnste Erwägung zu nehmen, auf welchem Wege hier Wandel zu sdaffen. Wir erkennen ja vollkommen an, e it für die richtige und Hhumane Jrrenpflege ein großer Nac@theil, mit irren Elementen und irren Ver- brechern belastet zu werden, und die Staatsregierung und da kann ich auf meinen Kollegen, den Herrn Justiz-Minister pro- vociren it innerhalb ihres Gremiums sehr forgsältig damit be- \chäftigt, wie sie diesen Wandel schaffen kann. Das kana natürlich nur geschehen —- und £8 thut mir leid, daß mein Herr Kollege, der

nischen Einrichtungen. Hr. Dr. Wehr bat bereits darauf hingewiesen, eins diese soweit sie weder Untersucungsgefängniß eine besondere Irrenstation einrichten. Was das besagen will an gescäftliden und finanziellen Schwierigkeiten, das wird der können. ih es mir bis jeßt babe bilden fönnen, fast unmöglich, zu so etwas überzugehen. sucbungsgefängniß und bei jedem großen Strafgefängniß einen eigenen Frrenarzt halten. Dieser muß natürli nicht nur Wissenschaft stehen, sondern gerade zu den ausgezeichnetsten gehören, weil ihm s{chwierigere Aufgaben obliegen, als gewöhnlichen ärzten. Er ) 1 beobachten, ob sie in für die armen FJrren in | zu welche

wenn der Staat die Fürsorge für theils unglücklicen, theils doppelt verbrecherischen Leute, Simulanten sind, übernehmen foll, muß er ent- bestebenden Strafanstalten oder jedem

ist nur mögli; bei jeder der

Hr. Akg. Dr. Langerhans sih selbs nicht verhehlen Es ist in der That, soweit mein Urtheil reit und soweit

Bedenken Sie, wir müssen bei jedem großen Unter-

auf der Höhe der

Irren- cine bestimmte Person darauf dem Zustande is, in welbem sie vorgiebi ich meine natürlich die Elemente, Geistesfcankhe;t \imuliren. Also das würde \schon, glaube ih, zu ganz immensen Schwierigkeiten führen. Die andere Möglickeit, Gründung einer großen Centralanstalt in irgend einem Theil der Monarchie oder von Centralanstalten innerhalb der einzelnen Provinzen, jo, meine Herren, ift eine Finanzfrage von der allershwersten Bedeutung. Ich möchte doch glauben, wenn die Regierung sih entschließt ib kann in diejem Augenblick es nit als unsere feststebende Ansicht hinstellen mit einer derartigen Vorlage vor die Landesvertretung zu treten, wird sie di: Verpsflich- tung haben, cine urwiderleglide Begründung ihres Antrages auch gleicbzeitig zu bringen, da das Haus sich fehr {wer ents{ließen würde, cine jährliche Ausgabe von vielen Hunderttausenden Mark blos zu diesem einen Zweck eintreten zu lassen; das werde ih ja wohl als wahr- \cheinlich von vornherein annehmen dürfen. Sie sehen, meine Herren, daß die Regierung dem Grundgedanken, welchen die verehrten beiden Borredner entwickelt haben, keineswegs in dem Maße unsympathisch gegenübersteht, daß sie unter keinen Umständen ch auf eine Ueder- nahme eincr derartigen Verpflihtung wird einlassen. Aber, meine Herren, Sie müssen uns ausgiebige Zeit lassen, die Sache nach allen Nichtungen zu erwägen, Sie müssen uns ausgiebige Zeit lassen, un- sere Informationen auf diesem Gebiet, die bis jetzt feineswegs voll- ständig sind, noch zum Abscluß zu bringen ; und Sie müssen dann auch gütigst womöglih glei von vornherein versprechen, daß Sie alle die Finanzfragen mit uns erledigen wollen, die sich an diesen Gegenstand ganz unfezkbar fnüpfen werden, wenn wir dazu übergehen, einen solhen Beshluf auszuführen. E Der Abg. Büchtemann erklärte, er könne den vom Minister vorgeschlagenen Weg nicht betreten. Die Kommunal-7Frren- anstalten jeicn nil geeignet, geisteskranke Verbrecher zu be- herbergen, und dieselben für diesen Zweck umzubilden, hieße nichts Anderes, als sie ihrer wahren Aufgabe entfremden. Sie bedürften Licht und Lust, aber nicht der Klaufur. Daß es ein gerechter Anspruch vom kriminellen Standpunkt sei, für die Unterbringung geisteskranker Verbreher pajjende Dertlikeiten zu haben, gde & zu, nux müsse die Regierung sorgen, demselben in anderer Weise denn bisher gerecht zu werden. Dem Gedanken stehe cer fern, als ob in jedem Gejängniß eine Jrrenabtheilung ein- gerichtet werden tönne. Die bisherige Erfahrung habe gc:eigt, daß dies unmöglih sei. Es müsse eine Centralsielle für geisteskranke Verbreher entweder für jede Provinz oder für den ganzen Staat geschaffen werden. Denn der jeßige Zustand könne nicht aufrecht erhalten werden, wenn nicht die FLvLet dur die Verbrecher belästigt und die Zwecke der Anstalt be- hindert werden sollten. Er wolle r.un noch mit einigen Worten auf die vom Gebeimrath Starke mitgetheilten Zahlen eingehen. Die Zahl dex Gefangenen habe 1881 ca. 620000, 1882 ca. 580000 betragen. Wegen Vagabondage ¡eien verhastet L O00 es 9OOL0l G T Mb ohne Interesse, daß die gleiche Erfahrung im Königreich Sachsen gemacht sei. Dort seien 1880 wegen Vagabondage bestraft 14 600, 1881 12 435, 1882 5727, und der Vertreter Sachsens auf dem Kongreß für Armenpflege, Rittergutsbesißer Seyler, habe fonstatir, daß diese Zahlen die Erjahrung bestätigten, die er selbst auf vem Lande gemacht have. Also niht nur in Preußen allein, sondern auch in anderen Ländern zeigten sih die Spuren der Besserung, und zwar gerade auf einem Gebiete, auf dem die Rechte noch kürzlich erst geseßgeberische Maßregeln sür uöihig erachtet hätte. Er mache übrigens auch noch darauf aufmerksam, daß in dem Buche des Geh. Naths Starke hervorzchoben werde, wie auch die Einrichtung der Amtsoorsteher sich geeigneier erwiesen hade, zur Verfolgung von Vergeh:n, als die frühere Gutspolizei.

soll individuell

sein

Diebstähle sich nicht vermehrt abe, wohl aber die

Muncel vorgzworfen, daß Letterer gelesen haben müsse.

legen werde. e i vision des Strafprozesses geboten sei, denn

geberishen Verschriften Seitens des Richters wirken.

Jrren und Simulanten. : ( die Aufnahme in die Jrrenanstalten nicht verweigern.

wenn man zuverlässige Wärter für sie anstelle. Strafanstaltsbeamten hin, ätten.

einzurichten. Der

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aufzunehmen. Der Abg. Dr. Langerhans bemerkte,

zu errichten, könne nur von Jrrenhäusern vernichten. j kranken Verbrecher niht immer eingesperrt halten.

müßten hohe Mauern um

werden, um ein Entweihen der Verbrecher zu

Es sei dann von dem Abg. Strosser bemerkt worden, daß zwar die N E

j al Cy Betrugsfälle, und von demselben Abgeordneten sei dem Abg. das Starke’sche Buch nicht Dieser Vorwurf sei hinfällig; denn auf Seitz 113 jenes Buches stehe, daß die Annahme, die Abnahme der Diebstähle erhalte eine Art Kompensation in der steigenden Zahl der Vetrugsfälle, haltlos sei. FnBerlin sei früher einBetrugs- fal. auf 1000, jeßt auf 3000 und 2000 Jndividuen gekommen. Er sei seyr begierig, wie der Abg. Sirosser sich dieses Material zurccht Auch er sei der Meinung, daß nicht eine Re- eben so viel als eine Nevision werde eine vernünstige Handhabung der geseß-

Der Abg. von Uechtriz-Steinkirch bemerkte, der von Abg. Langerhans angedeutete Uebelstand sei nicht so groß, als der- selbe erscheinen könne, wenn man unterscheide zwischen wirklichen Der ersten Kategorie könne man Auch die zweite Kategorie werde niht störend in denselben wirkten,

Der Abg. Strosser wies auf die Verhandlungen der die sih seit längerer Zeit mit der Frage der Unterbringung geisteskranker Verbrecher beschäftigt Das Gutachten dex bedeutendsten Jrrenärzte gehe da- hin, befondere Abtheilungen für dieselben in den Gefängnissen

Abg. von Krosigk führte aus, Behandlung und Vflege der Jrren habe in den legten Jahren einen kolossalen Umschwung erfahren. Durch das System der freien Behand- lung dieser Kranken seien großartige Wirkungen erzielt wor- den, die alle in Frage gestellt werden würden, wenn man die Jrrenanstalten zwingen wollte, auch geisteskranke Verbrecher

der Vorschlag des Ministers, besondere Pavillons für geisteskranke Verbrecher die Jdee der heutigen Einrichtung Man fönne doch die geistes- Vringe man sie aber mit den übrigen Kranken zusammen, 10 die Jrrenhäuser aufgeführt Ver- hindern. Denn nur die geisteskranken Verbrecher seien gefähr-

wenn auch von den anderen Jrren sich der eine oder der

andere einmal aus der Anstalt entferne. Weit einfacher als

der Vorschlag des Ministers sei die Einrichtung von Central-

anstalten für geisteskranke Verbreher. Eine im Westen und

eine andere im Osten der Monarchie würde genügen, da die

Zahl jener Geisteskranken niht groß fei.

Hierauf entgegnete der Staats-Minister vonPuttkamer:

Meine Herren! Ih muß mich entweder sehr unklar ausgedrüdt

baben oder der Hr. Abg. Langerhans hat mich in ganz auffallender

Weise mißverstanden: es is mir gar nit in den Sinn gekommen,

bier die Forderung aufzustellen, daß die beftchenden fommunalen

Frrenanftalten ihre ganzen baulichen und äußeren Einrihtungen dar-

nach treffen sollten, daß au irre Verbrecber bei ihnen untergebrat

werden müssen. Er sprach davon, daßdann dieAnftalten von großenMauern

umgeben sein müßten, während sie jeßt von grünen Hecken einge-

{lossen sind u. dgl. Ic habe nur für die Fortdauer dcs jetzigen Noth-

standes es als wünschenswerth bezeichnet, daß für die Uebelthäter, die

entweder wegen Verdachts simelirten Irrsinns unter Observation ge- stellt sind, oder dauernd, wenn bei ihnen Geisteskrankheit konstatirt ist, in Frrenheilanstalten untergebraht werden müssen, daß für sie in cigenen Theilen jener Anstalten, welbe für die unruhigen und

tobsüchtigen Irren hergestellt sind, und deren giebt es ja do, wie dem Hrn. Abg. Langerhans bekannt sein wird, in jeder derfelben, besondere Höfe reservirt werden, so daf innerhalb dieser {hon an si einen eigenen Charafter tragenden Abtheilungen dieser Anstalten besondere, den übrigen Betrieb der Anftalt in keiner Weise störende Vorserge für die Aufnahme und Verpflegung solcher irren Verbrecher getroffen werden möchte. Das ist allein Gegenstand meiner leßten Ausführungen gewefen.

Uebrigens will ich dann doch noch in Ergänzung dessen, was ich zuerst mir die Ebre gab autzuführen, das eine naholen: Sie werden es begreifliÞ und nothwendig finden, daß in dieser überaus wichtigen Frage dasjenige Ressort, welwes mit der Gesundheitspflege speziell befaßt ist, also das Kultus-Ministerium, eine gewichtige Stimme mitzusvreben hat. Wir haben uns daher natürlich an den Herrn Kultus-Minister mit der Bitte gewandt, alle diese Fragen, die do nickt so ganz leiht und ausschließlich in einem bestimmten Sinne und Richtung zu entscheiden sind, wie der Hr. Abg. Langerhans anzunehmen \cheint, einer gründlichen Enquete dur diejenigen Organe zu unterwerfen, welche ihm zur Verfügung ftehen und erst na At- {luß dieser Enquete werden die beiden zunächst betheiligten Ressorts in der Lage sein, sih ein Bild davon zu machen, wie es möglich sein wird, den hier ausgesprohenen Wünschen na Befreiung der fom- munalen Irrenheilanstalten von der Verpflihtung zur Aufnahme geisteskranker Verbreber entgegenzukommen.

Das Kapitel wurde genehmigt.

Der ganze Rest des Ordinariums wurde nach kurzer Diskussion bewilligt, ebenso wurde das Extraordinarium, welches zu Neu- und Erweiterungsbauten für Gefängnisse und Gerichtsgebäude 3 855 680 A fordert, nah dem Antrage der

Budgetkommission genehmigt.

Damit war die zweite des Etats der

Justizverwaltung beendet, i

i N vertagte sich das Haus um 4 Uhr auf Freitag J.

Berathung

Die in der vorgestrigen (14.) Sizung des Hauses der Abgeordneten als Beantwortung der Fnterpellation des Abg. Stengel von dem Staats-Minister von Puttkamer, gehaltene Rede hatte folgenden Wortlaut:

Meine Herren ! Die Staatsregierung ist von der hohen Wi- tigkeit des Gegenstandes, welen der Herr Abgeordnete zum Vorwurf der Interpellation gemacht hat, vollständig durchdrungen und glaubt auc dur ibr bisheriges Verhalten in diefer Angelegenheit nament- lid durch die wiederholten Anläufe, die Frage der Kommunal- bestzuerung in umfassender Weise geseßlich zu regeln, ihr Interesse für die Sade bethätigt zu haben. Inzwischen liegt ja nun die Sache in Folge der veränderten Verhältnisse au etwas anders wie bisher, Die Herren haben die Güte, sid zu erinnern, daß in der Nede, mit welcher die bisherige Session des Landtages eröffnet ist, einex Gruppe von größeren organischen Gescen Erwähnung geschah, welche die Regierung iu der Vorbereitung habe und welche sie beabsichtige nocd in dieser Session dem hohen Hause vorzulegen, Gesetzentwürfe, welcbe sich aub namentlih beziehen aufer anderen Gegenständen auf die Erleichterung der Kommunen in Bezug auf die von ihnen zu tragenden Lasten im Zusammenhang mit ciner organischen Ordnung des gesammten Kommunalsteuerwesens, namentlich auch eingesch{lossen alle diejenigen Punkte und Theile des Gesetzentwurfs, deren der Herr Snterpellant Erwähnnng gethan hat, also die Beseitigung der Doppels desteuecung, vollständige organishe Regelung der ganzen Kommunal- besteuerung der jucistisGen Personen, einschließli der Eisenbahngesell- schaften und der vom Staate betriebenen Eisenbahnen, sowie Lte Forznsen, und endlich aub noch eines nur für einzelne Kommunen wi&tigen Gegenftandes, nämlich die Regelung des sogenarnten Koms- munalsteuer-Domizils derjenigen Beamten, welcbe nicht am Sit der Bek örde wohnen, der sie angehören. Alle di se Fragen, meine Hecren, sind mit Gegerstand der Bera“—ng, welcke in diesem Augenblicke s{chwebt über diese rößere Vorlage, die Ihnen angekündigt ist. Es hat sih bei t Zerathungen nit eiwa herausgestellt, daß es für die Staatsregier .ng besondere (Schbwic- rigkeiten haben würde, mit ihnen zu Ende zu kommen und noch recht} zeitig dem hohen Haus« eine Vorlage zu machen, die alle (Hesicht3- punkte in sich umfaßte und befriedigend regelte; sondern die Regic- rung hat eine andere Erwägung vornehmen müssen, wele, wie ic glaube, wenn ich sie bicr vorführe, den Intentionen und Wünschen des Herrn Interpellanten Genüge leisten wird. Die Regierung hat sih nämlich sagen müssen, daß 8 leichter sein würde, diesen Theil der Kommunalsteuerge!etzgebung, der sh beschäftigt mit der Bejeiti- gung allseitig anerkannter dringender Mißstände auf diesem Gebict, diesen Theil abgefondert zu einer Erledigung gelan- gen zu lassen, als wenn er bearbeitet wird in einem fehr großen und umfassenden Geseße, über dessen Ziele und Zwecke, über dessen ganzen Inhalt ja wohl die weitaechendsten Meinung8- versGiedenheiten auf anderen Eebieten noch im Lande und im Hause werden vochanden sein. Die Regierung ist demnach zu dem Ents{luß gekommen, diejenigen Theile des Koimmunalbesteuerung8g-biete®, welche den Gegenstand der Interpellation bilden, in ein besonderes

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transitorishes Nothgeset zu vereinigen und dies so rasch wie möglich dem hoben Hause vorzulegen. ; Ich glaube, meine Herren, sagen zu hürfen, daß über di: meisten Punkte dieser an sib ja nit sehr umfangreichen Vorlage bereits ein prinzipielles Etnverständniß unter den verschiedenen berhciligten Ressorts der Staatsverwaltung erzielt is. E83 sind nur noc einige Klagen, die ter Beseitigung hervorgehobener Meinungsverschicdenheiten in dex Vereinbarung bedürfen. Aber ih glaube, sagen zu dürfen, daß die no& Bestehenden Differenzen nicht der Art sind, daß fe irgendwie eine längere Verzögerung diefer Vorlage no% mit si führen können. Jch darf daher ‘erklären, daß die Regi?rung bereit ist, die Vorkage so zu beschleunigen, daß sie jedenfalls no fo rechtzeitig dem Hause vorgelegt werden kann, um dic Möglichkeit der Ver- abihiedung in beiden Häusern des Landtages in diejer Session zu gewähren, voraukgesett, daß man sich mit ver Regiecung und dem andern Hause über den Inhalt einigt. Das ist cin Vorbehalt, den ih natürlich macwen niuz. Aber mir \{eint, doß weder der Umfang noG die Tragweite der in diesem Gesez zur Behandlung kommenden Fragen so erheblich is und so zu Zweifein Veranlassung bieten kann, daß man die Befürctung hegen müßte, das Gesetz würde an sich, vom technisGen Standpunkt aus betrachtet, niht mehr zur Verab- \hiedung gelangen können. Ih kann zwar nicht den Tag angeben, an wel&em dic Vorlage eingebraht werden wird, aber ih nehme mit Sicherheit an, daß sie unmittelbar nah Neujahr wird dem Hause

ere Finanz-Minister nicht an meiner Seite is mit er- eblihem Kostenaufwande und erheblichen Veränderungen der orga,

lih, wenn sie ausbrähen, während es wenig ver\schlage,

zugeben können.