1884 / 36 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 11 Feb 1884 18:00:01 GMT) scan diff

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Be R E t

É E L E D O

Verkehrs ift allseitig anerkannt worden. Es if ein Werk, welches viele andere entbehrlich macht und alle thatsäblichen Angaben über den neuesten Stand der deuts{en Nationalwirthshaft in si faßt. Von dem Gedeihen des Unternehmens legt der dem Jahre 1882 ge- widmete Band Zeugniß ab, da er nicht weniger als 50 Druckbogen umfaßt; ein aus}ührlihes alphabetishes Sachregister ermöglicht, üker jeden einzelnen Gegenftand der Produktion und des Handels sofort Auskunft zu finden. Der Preis stellt si auf 10 4

Der Verwaltungsrath der Berliner Handelsgesell- \{aft genehmigte gestern den von der Bilanzkommission geprüften Jahresabs{luß pro 1883, welcher eins{ließlich eines aus der Spezialreserve verfügbar gewordenen Betrages von 298 092 einen Bruttogewinn von 2 708 346 4 aufweist; hiervon entfallen 691 447 M auf Provisionen, 1 238 581 Æ auf Zinsen und Wetjel, 480225 auf Effekten und Konsortial - Konto. Der Verwaltungérath bes{loß, der Generalversammlung die Bertheilung einer Dividende von sieben Prozent auf das Kommanditkapital und die Dotirung der allgemeinen Reserve mit insgesammt 600000 Æ vorzuscblagen; der nach Abzug der Verwaltungskosten und Tantièmen verbleibende Rest- betrag von 61 289 Æ soll auf neue Rechnung vorgetragen werden.

Nürnberg, 9. Februar. (Hopfenmarktberiht von Leopold Held.) Die Tendenz des Marktes ift auc in der zweiten Hälfte der leßten Woche eine ruhige gewesen. Der Umsatz von Donnerstag, Freitag und heute beträgt aber troßdem gegen 500 Ballen eine für die vorgescrittene Saison ansehnliche Ziffer. Zugefahren wurden durch{chnittlid 100 Ballen pro Tag. Gesuct sind vornehmlich billige Mittelhopfen und ganz geringe Sorten; für bessere und feine Waare ist wenig Frage vorhanden. In Folge des langsamen Ver- kehrs vermochten die Käufer zuweilen um einige Mark billiger anzu- kommen ; ein allgemeiner merklicher Preisrückgang is jedoch nicht zu konstatiren, und blieben daher dieNotirungen unverändert: Württemberger prima 199—195 #4, do. mittel 170—180 4; Hallertauer prima 190— 195 H, do. mittel 175—180 ; Polen prima 190—195 Æ, do. mittel 170—180 #; Elsässer prima 185—195 #, do. mittel 170—177 Æ; Gebirgshopfen 180-—188 ; Marktwaare 165—180 Æ ; Aischaründer 170—185 M :

Dresden, 10. Februar. (W. T. B.) Der Verwaltungsrath der Sächsischen Bank beschloß in seiner heutigen Sitzung der auf den 17. März cinberufenen Generalversammlung für 1883 eine Di- vidende von 5F °/- vorzuschlagen.

Leipzig, 9. Februar. (W. T. B.) Die Leivziger Bank seßt ihre Dividende für 1883 auf 7 °/%, gegen 6 9% für 1882, fest.

Wien, 10. Februar. (W. T. B.) Der „Presse“ zufolge wäre eine Dividende der österreihisbhen Südbahn von Frs. gesichert. Die Möglichkeit ciner um 1 oder 2 Frcs. höheren Divi- dende hänge von der noch erforderlichen ziffermäßigen Feststellung der Rekonstruktionskosten der Pusterthaler Linie ab. Der Reingewinn der Müblen der Ungarischen Kreditbank pro 1883 beträgt 170000 FT., d i. um 20000 F[. weniger als im Jahre 1882.

Glasgow, 9. Februar. (W. T. B.) Die Vorräthe von Roheisen in den Stores belaufen sh auf 592 200 Tons, gegen 597 800 Tons im vorigen Jahre. Zahl der im Betriebe befindlichen Howhöfen 97 gegen 110 im vorigen Jahre.

New-York, 10. Februar. (W. T. H.) Der Werth der in der vergangenen Wocbe in die Unionsstaaten ein geführten Waaga- ren beträgt 7 460 000 Dollars.

Verkehrs-Anstalten.

Hamburg, 19. Februar. (W. T. B.) Der Postdampfer „Moravia* der Hamburg - Amerikanischen Paketfahrt- Uktiengesellschaft ift heute früh 11 Uhr, von Hamburg kommend, in New-York eingetroffen. Der Postdampfer „Westphalia* der Hamburg-Amerikaniscen Padetfahrt-Aktiengesell- \chaf{t ift heute früh 5 Uhr in Plymouth angekommen.

Berkin, 11. Februar 1884.

Fünfter Bericht Des. Leilers der deutschen wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Cholera, Ge- heimen Regierungs-Raths Dr. Koch.

Calcutta, den 7. Januar 1884.

Ew. Excellenz beehre ih mich im Verfolg meines Be- rihtes vom 16. Dezember v. J, über die Thätigkeit der Cholerakommission in Calcutta ganz gehorsamst ferneren Be- riht zu erstatten.

Die Kommission hatte sich der regen Theilnahme und besten Unterstüßung Seitens der hiesigen Behörden und Hospitalvorstände zu erfreuen. Fast sämmtlihe in den Hospitälern der Stadt zur Sektion kommenden Cholera- leihen fonnten für die Untersuhung verwerthet werden. Bis jeßt ist von insgesammt 9 Sektionen und außerdem von 8 Cholerakranken Material gesammelt. Die einzelnen Fulle folgten in ziemlih gleihmäßigen Z-iträumen, so daß gerade hinreichend Zeit blieb, um die Untersuchung derselben nah allen Richtungen hin durchführen zu können. Mehrere Fâlle, welde nah sehr kurzem Verlauf und ohne jede Komplikation mit anderen Krankheitszuständen tödtlich ge- endet hatten, lieferten, da sie überdies schr bald nach dem Tode secirt werden konnten, ausgezeichnete Untersuchungs- objekte. Diesen günstigen Verhältnissen ist es zu verdanken, daß die Kommission berei:s wesentlihe Fortschritte in der Lösung der ihr gestellten Aufgabe macen konnte.

Zunächst bestätigte die mikroskopische Untersuhung au in allen diesen Fällen das Vorhandensein derselben Bacillen im Choleradarm, wie sie in Egypten gefunden waren. Jn meinem gehorsamsten Bericht vom 17, Sepiember v. J. mußte ih es indessen noch unentschieden lassen, ob diese Bacillen nit wie so viele andere Bakterien zu den regelmäßigen Parasiten des menshlihen Darms gehören und nur unter dem Einflusse des Krankheitsprozesses der Cholera in die Schleimhaut des Darmes einzudringen vermögen. Es fehlte damals noch an hinreihenden Merkmalen, um diese Baciuen von sehr ähnlih geformten anderen Darmbacillen unterscheiden zu können. Dieser Mangel is nun aber glüdlicher- weise beseitigt. Denn mit Hülfe der im Gesundheitsamt aus- gebildeten Methoden, welche sich auch bei dieser Gelegenheit vorzüglich bewährt haben, gelang es, aus dem Darminhalt der reinsten Cholerafälle die Bacillen zu isoliren und in Reinkulturen zu züchten. Die genaue Beobachtung der Ba- cillen in ihren Reinkulturen führte dann zur Auffindung von einigen sehr carakteristishen Eigenschaften bezüglih ihrer Fçorm und ihres Wachsthums in Nährgelatine, wodur sie mit Sicherheit von anderen Bacillen zu unterscheiden sind. Damit waren nun aber die Mittel an die Hand ge- geben, um die Frage definitiv zu entscheiden, ob diese Ba- cillen zu den gewöhnlihen Bewohnern des Darms gehören, oder ob sie ausshließlich im Darm der Cholerakranken vor- Tommen.

Zuerst wurden mit Hülfe der Gelatinekulturen eben- falls die Bacillen in den Dejectionen der Cholerakranken und im Darminhalt der Choleroleihen nachgewiesen und zwar gelang dies in sämmtlihen hier untersuhten Fällen. Dann aber wurde der Darminhalt anderer Leichen in gleicher Weise untersuht und es stellte sih heraus , daß die Bacillen des Choleradarmes stets fehlten. Bis jetzt sind

8 Leichen von an Pneumonie, Dysenterie, Phthisis, Nierenleiden Verstorbenen untersucht. Ferner wurde der Darminhalt von verschiedenen Thieren, sowie andere bakterienreihe Substanzen darauf geprüft, aber bis- lang nirgendswo den Cholerabacillen gleihende Bakterien angetroffen. Wenn sich dieser Befund auch im weiteren Ver- laufe als ein ganz konfstanter herausstellen sollte, dann wäre damit ein fehr wichtiges Resultat gewonnen. Denn wenn diese mit \pezifishen Eigenschaften begabten Bacillen ganz auss\{ließlich dem Choleraprozeß ange- hören, dann würde der ursprünglihe Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieser Bakterien und dem Cholera- prozes kaum noch einem Zweifel unterliegen können, selbst wenn die Reproduktion der Krankheit an Thieren nicht gelingen sollte. Aber auch in dieser leßteren Beziehung \hei- nen sih die Verhältnisse günstig zu gestalten, da in leßter Zèit einige der mit Thieren angestellten Experimente Resultate gegeben haben, welche weitere Erfolge hoffen lassen.

Neben diesen Arbeiten hat sich die Kommission noch damit beschäftigt, \s{ch über das höchst inter- essante und wichtige Verhalten der Cholera in der Stadt Calcutta möglichs zu informiren. Jn Städten außerhalb Jndiens, welche nur in längeren Zeiträumen der Cholera- «Fnfektion ausgeseßt sind, kann der Einfluß, welchen sanitäre Verbesserungen, z. B. Zufuyr von gutem Trinkwasser, Boden- drainage und dergl., auf die Cholera ausüben, nicht mit Sicherheit bestimmt werden, da das einmalige oder selbst wiederholte Verschontbleiben eines solhen Ortes immer noch durch Zufälligkeiten bedingt sein kann. Dagegen muß in Städten, welhe wie Calcutta alljährlih eine beträhtlihe Choleramortalität haben, jede Maßregel, welche der Cholera erfolgreih entgegenwirkt, eine mehr oder weniger bemerkbare und andauernde Herabseßung der Mortalitätsziffer zur Folge haben. Nun hat aber in Calcutta in der That seit dem Jahre 1870 die Cholera plöglich in ganz auffallender Weise ab- genommen. Vor 1870 war die alljährlihe Cholerasterb- lihkeit in Calcutta durch{chnittlich 10,1 auf 1000 Einwohner. Seit 1870 ift sie auf 3, also um mehr als das Dreifache herabgegangen. Es if dies eine Thatsache, welche die höchste Beachtung verdient und zu Fingerzeigen für die erfolgreiche Bekämpfung der Krankheit führen muß. Nach dem fast ein- stimmigen Urtheil der hiesigen Aerzte ist die Abnahme der Cholera allein der Einführung einer Trinkwasserleitung zuzuschreiben. Es wird eine wichtige Aufgabe der Kommission sein, hierüber dur eigene Anschauung und eigenes Studium ein selbständiges Urtheil zu gewinnen. Zu diesem Zwecke hat die Kommission sowohl die Wasserwerke als auch die Kanalisationseinrihtungen von Cal- cutta besichtigt. Auch sind eine Anzahl Proben des Fiuß- wassers vor und nach der Filtration in den Wasserwerken von Pultah untersucht und das der Stadt zugeführte Trink- wasser als von vorzüglicher Beschaffenheit gefunden.

Aus medizinischen Zeitschristen habe ih ersehen, daß die zur Erforshung der Cholera nah Egypten gesandte franzö- sishe Kommission in dem von ihr erstatteten Berichte angiebt, zu anderen Resultaten, als den von mir gehorsamst gemel- deten, gelangt zu sein und im Blute Organismen “gefunden zu haben, welche der Cholera cigenthümlih sein sollen. Es könnte hiernah scheinen, daß die deutshe Kommission si in ihren Forschungen auf einem falschen Wege befindet, und ih halte es deswegen für geboten, Ew. Erzellenz ganz gehorsamst meine Ansicht über jene Angaben darzulegen.

Es kommen im Blute des gesunden Menschen neben rothen und weißen Blutkörperchen kleine rundliche blasse Forms- elemente, die sogenannten Blutplättchen, in wechselnder Zahl vor. Jn manchen fieberhaften Krankheiten, z. B. Flecktyphus, Pneumonie sind diese Gebilde sehr vermehrt und sie sind wegen ihrer Aehnlichkeit mit Mikroorganismen shen mehrfach für Bakterien gehalten. Auch im Blute der Cholerakranken und Choleraleihen sind \ie fast regelmäßig vermehrt, wie wir in den von uns untersuhten Cholerafällen ebenfalls konstatiren konnten. Diese Thatsache is übrigens niht neu, sondern bereits von früheren Forschern erwähnt. Beispielsweise ist von D. D. Cunningham in seiner Schrift : »Microscopical and physiological researches into the nature of the agent producing cholera“ \{on im Jahre 1872 eine recht gute Abbildung dieser Formelemente des Cholerablutes gegeben. Da nun selbst die bewährtesten Unter- suhungémethoden im Cholerablute keine anderen Ge- bilde erkennen lassen, welhe bakterienähnlih find, und da die von der französishen Kommission gegebene Beschreibung auf die erwähnten Blutplätthen in jeder Beziehung paßt, so fann ih nicht anders annehmen, als daß die französische Kommission in denselben Jrrthum wie vor ihr andere Forscher gefallen ist und die Blutplätthen für spezifishe Or- ganismen gehalten hat. Frgend einen ätiologischen ZU- sammenhang mit der Cholera können diese Blutplättchen shon aus dem Grunde nicht haben, weil e, Wie bereits erwähnt ist, auch im Blute gesunder und solcher Menschen vorkommen, welche an anderen Krankheiten leiden.

Dr: Rod, Geheimer Regierungs-Nath. An den Staatssekretär des Jnnern Herrn Staats- Minister von Boetticher Excellenz.

In sech8s Gotteshäusern der Stadt wurden gestern Abend in fest- lier Weise Jahresfeiern kirchlicher Vereine abgehalten. In der Beth- lehemsfkirhe feterte der Bibel-Leseverein sein 50. Iahresfest. Der vom Prediger Budy aus Schwanebeck erstattete Bericht gab ein anshaulices Bild von der sih weit über Deutschlands Grenzen hin- aus erstreckenden Thätigkeit und von den Erfolgen des Vereins, dessen besbeidener Anfang kaum die gewaltige Auédehnung erwarten ließ, M «u n L M n [4 Februar 1834 kam der Kandidat Carl Straube in Mittenwalde mit seiner in Berlin wohnenden, zur _Bethlehemsgemeinde ge- Eôórenden Braut dahin überein, alle Tage einen gleichen Abschnitt aus der Bibel lesen zu wollen. Schon nah 10 Tagen hatten fich 6 Personen ihnen angeschlossen, im September des Jahres zählte die Vereinigung 540 Mitglieder, und beim Beginn des Jahres 1835 Tonnten bereits 1000 Bibel-Lesezettel vertheilt werden. Der Verein nahm von nun an einen immer gewaltigeren Aufschwung. 1844 war die Zahl der ausgegebenen Bibel-Lesezettel auf 10 000 an- gestiegen, 1845 wuchs sie auf 13000 und 1869 erreichte sie ihren E Im genannten Iahre wurden nicht weniger als 180 000

rxemplare ausgegeben. Von da ab und namentlih von 1872 an sank die Ziffer wieder, doch nur um deswillen, weil viele kirchliche Zeitschriften den vom Verein aufgestellten Bibellesezettel zum Abdruck brahten und die Leser damit der Nothwendigkeit überhoben, den Zettel vom Verein zu beziehen. Fnsgesammt sind in den 50 Jahren 4 540 000 Zettel zur Vertheilung gelangt. Seit 1852 besieht noch

eine besonders groß gedruckte Ausgabe für Leute mit {wachen Augen.

Außerdem werden Ausgaben in polnischer, litthauisher, wendisher, böhmisher und englischer, seit 1859 auch in \{wediscker und norwegisher Sprache gedruckt. Die Einrichtung des Zettels ift der- artig getroffen, daß in 5 Jahren die ganze Bibel gelesen wird. Zu den Frücbten, die der Verein unmittelbar gezeitigt , gehörte außer der Zeitschrift „Der Lebensbaum“ und den Werderschen Bibelberiten die Werdersche Bibelgesellshaft, die von 1838 bis 1881 beftanden, der Freitags-Betverein, der Betverein für die innere Mission und der Vibel-Lernverein. Die Feier selbst nahm einen recht würdigen Verlauf, die Liturgie hielt Missionsdirektor Wangemann, die Predigt ee Knak. Der Missions-Hülfsverein beging sein Jahresfest in der Elisabethkirhe. Der Verein befördert die Mission an der Oftküste Afrikas, wo das Bekehrungs8werk \chon vor 24 Jahren begonnen worden i. Zur Zeit exiftiren dort zwei Stationen, die \sih, wie Missions-Superintendent Merensky aus eigener Anschauung berichten konnte, augenblicklich, allerdings nah harten Kämpfen, in ruhiger Fortentwickelung befinden. Dem Be- rihte folgte alsdann die Festpredigt des Pastors Quandt über Jonas 4, 5—11. In der Parowbial-Kirche feierte die Kreis- \ynode Berlin T ein Missionsfest. Die Mitglieder der Synode wohnten in großer Zahl der Feier bei, bei der Prediger Lic. Keßler die Fest- predigt hielt. In der Zions-Kirche hatte sich eine zahlreiche Festgemeinde zur Jahresfeier des Vereins für die Mission in China zus fammengefunden. Die Feier war eine rein kirchliche, ein Bericht über die Thätigkeit des Vereins wurde nicht erstattet. Pastor Krafft als Liturg, und Divisionspfarrer Hähnelt als Festprediger regten, Leßterer im Anschluß an 1. Cor. 3, 9 die Gemeinde zum Dank und zu neuer Arbeit an. In der Nazarethkirche hatte der seit cinem Jahre zu neuem Leben erwachte Jünglingsverein der Gemeinde sein Jahresfest veranstaltet. Das Jahreéfest des chrislichenMänner- vereins Concordia cndlih wurde in der Golgathakirche be- gangen.

Astrachan, 10. Februar. (W. T. B.) Die Zahl der am 4. d. M. auf einer Eis\cholle ins Cas8pische Meer binaus- getriebenen Fischer beträgt 150. Irgend wclche Nachrichten über das Swhicksal derselben sind bis jeßt nicht eingetroffen.

Die drei kleinen heiteren Novitäten, welche das Wallner- Theater am Sonnabend zur erften Aufführung brachte, fanden eine gleidbmäßig beifällige Aufnahme. Den Anfang machte eine niedlihe Plauderci von Marx Bernstein: „Mein neuer Hut“. Die darin be- handelte Idee, einen neuen regenscheuen Cylinder, der dem Besitzer als würdige Behauptung bei einem Verlobungsbesuh dienen foll, zum Heirathsstifter zwishen Cousin und Cousine zu machen, indem ih diese bei dem durch das Unwetter glücklich verlängerten tête à tête gegenseitig ihr Herz entdecken, ist originell erfunden und von einem feinen fefsesnden Dialog mit manchen treffenden Gedanken und hübschen Einfällen getragen. Frl, Meyer und Hr. Alerander trafen den leiten Ton der Causferie fehr glücklich und hielten das Publikum von An- fang bis zu Ende in behagliher Spannung. Das \chwatzsüchtige Dienstmädchen gab Frl. Odilon zwar ret gewandt, aber nicht naiv genug, Die zweite Gabe des Abends war ein Lustspiel: „Am Hoczeitsmorgen“, von C. L, wohinter sib, dem Vernehmen nah, der Verfasser des bisher gegebenen Schwanks „Papas &Flitterwochen“, Carl Laufs, verbirgt. In dem ziemlich derben, stark dem Pofsen- haften zuneigenden Motiv dieses Stücks, das einen bemerken8werthen Gegensaß zu der feinen Salonplauderei bildete, konnte sih derselbe auh {wer verleugnen. Hier handelt es sich um die drohende Enthüllung der unvorsicbtigen Liebschaft cines glüdcklihen Bräutigams, die dur die Opferwilligkeit und Ges \cicklidkeit des Freundes noch kurz vor dem Kirhgange abgewendet wird, während dieser felbst dur cin \paßhoftes Mißverständniß in die Fesseln der mit Gewalt zurückgehaltenen, vermeintlichen ehemaligen Geliebten, in Wirklichkeit aber Schwester des Bräutigams geräth. Das Motiv is, wie man sieht, ein ziemli gewagtes, aber scenisb gescickt zureht gemacht, und das übermüthige Stück, zumal bei so vorzüglicher Darstellung wie im Wallner-Theater, seines Er- folges gewiß immer sier. Vor Allen war es Hr. Blencke in der Rolle des guten Freundes, der durch seinen prächtigen Humor über alle Bedenklichkeiten hinweghalf. Aber au den Herren Alexander, Kurz und Niedt sowie den Damen Meyer, Carlsen und Odilon gebührte an dem lauten Beifall, den das Lustspiel fand, gleihmäßiger Antheil. Den Beschluß machte ein an Tollheiten reiher Fasching-Schwank mit Gesang von Eduard Jacobson und Musik von Gustav Michaelis : „Die kleine Schlange“. In ihm fand Frl. Schwarz im Duo mit Hrn. Thomas Gelegenheit, ihr parodistis{hes Talent glänzen zu lassen, und zwar gelang ihr dies troß der mannigfachen \s{merzlihen Erinnerungen und Vergleiche, die fie damit herauf- besdwor, in überrashendem Maße. Daß Hr. Thomas in Zwerfell er- shütternder Weise ihrassistirte, braucht nicht erst gesagt zu werden. Stür- mische Heiterkeit erregte namentli ein parodistisches pas de deux aus der getanzten Kulturgeschichte, welhe gegenwärtig am Victoria-Theater aufgeführt wird. Da der ganze Schwank eigentli nur den Rahmen für dieses mimish-gesanglih-chorcographis{e Duett bildet, so trat Fr. Carlsen in der Rolle der von dem alten Junggesellen Bärtchen (Hr. Thomas) hoffnungslos geliebten, \{ließlich aber dur die „Tleine Sclange“, ihre Nichte Zerline, doch überlisteten Rentiere Ludmilla Hippel unverdient in den Hintergrund. Die lustigen kleinen Gaben dürften noch oft ein so heiter gestimmtes Publikum im Wallner- Theater zusammenführen wie am ersten Abend.

Dem Deutschen Theater sind von Zeit zu Zeit aus dem Publikum Klagen darüber zugegangen, daß gewisse Pläye ein An- {hauen der Vorstellungen unter sehr ers{werenden Umständen ges statten. In Folge dessen war bisher die Kasse angewiesen, solche Pläße nur im Nothfall und au dann unter ausdrücklicem Hinweis auf deren Mangelhaftigkeit zu verkaufen. Um jedo diesem Ucehel- stande ein für alle Mal gänzlich aozuhelfen, hat die Direktion nun- mehr eine genaue Inspektion des Zuschauerraums veranstaltet und sih entschlossen, eine Anzahl Plätze, namentlich im 1. Nang- Proscenium, 11. Rang-Proscenium und Il. Rang-Sperrsiß, welche zu berechtigten Beschwerden Anlaß geben könnten, troy des dadurch ent- stehenden Ausfalls in den Einnahmen gänzlich zu kassiren. Von jeßt an gelangen also diese Pläße niht mehr zum Verkauf.

Am leßten Freitag fand im Saale der Sing-Akademie das zweite Abonnements - Concert (IT. Cyclus) der Königlichen Akademie der Kün ste statt. Das Programm brachte an erster Stelle Schuberts (unvollendete) melodieenreicbe und lieblide H-moll- Symphonie, welche das unter Hrn. Professor Joacbims Leitung stehende Orchester mit unvergleihliher Präzifion und \{chöner Nuancis rung zu Gehör brachte. Jn dem dann folgenden D-moll-Concert von Sebastian Bach, welhes von Hrn. Professor Joachim und Hrn. Concertmeister Kruse mit köstlicher Klangwirkung vorgetragen wurde. machte sfih das Orchester durch seine diskrete Begleitung vortheilhaft bemerklih. Bruchs „Kol-Nidrei", das nach hebräishen Melodien bearbeitete und oft gehörte Adagio für Violoncell, wurde durch Hrn. Hausmanns tecnisch vollendetes Spiel und seine empfindungsvolle Vortragsweise zur vollkommensten Wirkung gebraht und fand allge- meinen und reihen Beifall. Den Swthluß des Abends bildete Beethovens „Eroica*, welche in einer Vollendung und Reinheit der einzelnen Instrumente, wie man dieses tehnisch \{chwierige Meisterwerk selten hört, ausgeführt wurde. Die Schluß-Symphonie wie die übrigen Piecen des Abends wurden vom reichsten Beifall der für den {{chönen Abend dankbaren Hörer begleitet.

Nedacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Vier Beilagen (einschließlich Börsen-Beilage). (1824)

Berlin:

äinalwesen übergehen.

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preu

Erste Beilage

Berlin, Montag, den 11. Februar

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heu Staats-Anzeiger. 14,

Nichtamtliches.

Preuféeen. Berlin, 11. Februar. Jm weiteren Verlaufe der vorgestrigen (45.) Sißung des Hauses der Abgeordneten wurde die zweite Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts-Etats für 1884/85 mit der Diskussion des Etats des Ministeriums der geist- lichen 2c. Angelegenheiten (dauernde Ausgaben Kap. 125 Tit. 1) fortgeseßt. :

Der Abg. Dr, Virchow erklärte, er wolle das Medizinal- wesen niht in dem Licht erscheinen lassen, als würde es ganz und gar dur barmherzige Schwestern getragen. Früher habe er sich für die Wünsche des Centrums in einzelnen Punkten sehr lebhaft interessirt, weil es ihm geschienen habe, als wenn die Regierung im Feuer des Kulturkampfes weit über die Grenzen hinausgegriffen habe. Er persönli habe von jeher die nihtkonfessionelle Krankenpflege als das zu erstrebende Jdeal be- trachtet, und sich immer bemüht, sie in eine bürgerliche Form überzuleiten, woraus er in dem Moment eines erneuerten ge- meinsamen Ansturms für die konfessionelle Krankenpflege kein Hehl machen wolle. Eine fo große Zahl von Nednern der Rechten wenigstens habe das Wort verlangt, als solle wieder ein großer

rthodoxer Sturm gegen den Kultus-Minister, wie neulich unter des Abg. Stöcker Führung eröffnet werden. Gern erkenne er an, daß die bürgerlihe Krankenpflege bis jeßt noh zu sehr mäßigen Resultaten gelangt sei. Auch erkenne er an, daß die Organisation der katholischen Krankenpflege vollständiger, besser und bisher von anderen Formen der Krankenpflege nicht er- reiht sei. Möge man doch diese Dinge nit glei vom Stand- punkt des Fanatismus und des extremen Katholizismus behandeln, man könne sie doch auch einmal als Menschen betrachten. Bezeichne man ihn seinetwegen als modernen Heiden, aber er sei doch auch ein Mensch und könne verlangen, daß das Centrum ihn menshlich höre und diese Dinge nicht vom Stand- punkt der Kirche, sondern der Humanität aus beurtheile. Er halte es für höchst unerwünscht, daß \ich die Organi- sation der Krankenpflege so schr in dieses fonfessionelle Wesen hineinfüge. Und noch ein anderes Zugeständniß mache er dem Centrum, um deswillen er \. Z. einmal mit dem sog. Judenthum in heftigen Konflikt gerathen sei. Er habe immer hervorgehoben, daß die charitas in diesem Sinne in die Welt eingeführt zu haven, eine christliche Errungenschaft sei, daß die alte Welt sie in der That nicht gekannt habe, Er beuge sein Haupt vor der katholishen Kirhe nach allen den Richtungen, in denen sie der Menschheit diesen neuen Weg gezeigt habe. Aber dieser Weg könne nicht ewig betreten, sondern müsse weiter über den fkirhlihen Ursprung verfolgt werden, denn derselbe sei ein sehr menschlicher, auch die katholische charitas wende sih über die Grenzen der Konfession hinaus, in denen sie sih absolut nicht vollziehen könne, an die Menschheit über- haupt, ohne nach der Religion des Leidenden zu fragen. Eine Organisation auf der Basis der Humanität zu machen, sei allerdings ziemli s{hwer; nur in einem Lande habe sich cin Ansaß zu dieser Richtung gezeigt und zwar weit über die Grenzen der katholishen Krankenpflege hinaus, in England. Mit der Hingebung der vornehnisten Klassen in England föônne nihts verglihen werden, was die katholishe Kirche irgendwo wirklih geleistet habe. In London gingen noh heute zahlreihe Personen der höchsten Aristo- fratie, der besten und vornehmsten Stände, als Pfleger in die Hütten der Armen und Kranken; könne das Centrum einen Plaß nachweisen, auf dm die katholische Kirche tas geübt habe? Er kenne die ganze katholische Lite- ratur über Krankenpflege und dürfe das sagen, ohne von dem Verdienst der Kirche etwas abzustreichen. Stelle man sih doch niht so an, als könne die Krankenpflege sich nur auf dem Gebiet des konfessionellen Glaubens entwickeln, das wäre so falsch für Katholiken wie für Protestanten. Gerade hier sei alle Konfession zu Hause zu lassen, und Alle könnten als reine Menschen auf diesein Punkte nebeneinander wirken. Er felbst habe diese praktishe Wirksamkeit im Frieden und Kriege ge- übt, und könne dasselbe große Maß von Dankbarkeit gegen lonfessionelle wie freiwillige bürgerlihe Krankenpfleger aus- sprehen, Wer nicht blos zu Hause gesessen, und über die Sache in Zeitungen gelesen habe, sondern den Krankendienst in großen Epidemien, in Seuchen, inmitten der Verheerungen des

| Krieges gesehen habe, müsse zugestehen, daß die freiwillige Kranken-

pflege niemals Größeres geleistet habe, als gerade während derx Zeit, in der sie sich aus kümmerlihen Grenzen zur höchsten

| Leistungsfähigkeit entwickelt und im Kriege das größte, fehr

begreifliche Widerstreben der militärischen Medizinalverwaltung überwunden, ja ihren in förmlihster feierlihster Weise aus- ge)prohenen Dank geerntet habe. Er habe den Glauben, daß, was in Zeiten patriotisher Erregung unter der Herrschaft tines die Massen bewegenden großen Gedankens si vollziehe, auh in gewöhnlichen Zeiten möglich sei, und er habe so viel Zutrauen zur Güte des menschlihen Herzens und zur Tiefe der Humanität, auch wenn sie niht dur konventionelle Mo- live bewegt sei, daß er es für ausführbar halte, Orga- njationen zu finden, welch{e auch ohne Anlehnung un eine bestimmte Kirche, vielleiht sogar unter Samm- lung der verschiedensten konfessionellen Elemente, die Aufgabe unter demselben Banner der Humanität lösen würden,

Ebensowenig, wie man die Aerzte nach ihrer Konfession frage,

| wenn man sie nöthig habe, werde man die Krankenpfleger dar-

nah fragen. Das Centrum aber wolle einen Vorsprung hierin haben, und peinige das Haus deshalb fortwährend mit einen Klagen über die barmhe1zigen Schwestern. Er habe er- annt, daß in der praktischen Krankenpflege der Konfessiona- lismus gar nit zur Geltung komme, und habe deshalb die Hoffnung geschöpft, daß die bürgerliche Krankenpflege, ohne Anlehnung an die Kirchen, eine Zukunft habe. Nach dieser Ab- shweifung müsse er auf das eigentliche hier vorliegende Medi- 1 Der Abg. Graf habe vorhin bei seinen usführungen über die Aerzteordnungen, von der „OVrgani- sation“ des Aerztestandes gesprochen. Es könne zweifelhaft än, was darunter zu verstehen sei; meine derselbe eine Art von Junungswesen oder eine beamtenähnlihe Stellung?

Vollte man die Aerzte darüber abstimmen lassen, dann würden

sie in ihrer großen Mehrheit von beiden nihts wissen wollen.

Er möchte konstatiren, daß in einer der jüngsten Sißungen der hiesigen medizinischen Gesellschaften lebhaft darüber ge- stritten worden sei, und daß das Resultat der Wunsch ge- wesen sei, die Aerzte in ihrer freien Stellung zu belassen. Ebenso habe sich auch der Verein in Frankfurt a. M. aus- ge})prochen. Wenn die Regierung eine Organisation nach der Richtung eintreten lassen wolle, daß den Aerzten eine Mitwirkung an den allgemeinen Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege gesichert werde, so stehe er dem s\ym- pathisch gegenüber; für Aerztekammern und Ehren- gerichte könne er sich aber nicht erwärmen. Dadurch werde auf beiden Seiten das Erforderliche geleistet sein, und Niemand werde sich beshweren fkönnen, daß die Aerzte besondere Vorzüge in Anspruch nähmen. Sie wollten weder ein Monopol, noch eine Prohibition oder eine Jnnuna, sondern sie wünschten im Wesentlihen nur in ihrer persönlichen Freiheit existiren zu können. Was die zu erwar- tende Geseßgebung betreffe, so halte er es für äußerst dring- li, daß das, was den beamteten Aerzten finanziell und in Bezug auf ihre Thätigkeit gewährt werde, den heutigen Ver- hältnissen der öffentlichen Gesundheitspflege entsprehe. Man müsse thnen mehr Gewalt, mehr Jnitiative geben, als man ihnen bisher zugesianden habe, und andererseits auc) die Verwal- tungsbehörden in die Lage bringen, nit etwa freiwillig je nachdem es ihnen etwa gut scheine, sondern nothwendiger Weise auf gewisse Anzeigen der Physiker hin ein Verfahren eintreten zu lassen. Den Thierärzten sei in dieser Hinsicht bis jeßt weit mehr eingeräumt, als den Menschenärzten; ein Thierarzt könne bei einer Epidemie weit mehr ausrichten, als selbst der allerhöhst stehende Medizinalbeamte. Diese Ano- malie möge wirthschaftlih vielleicht zulässig erscheinen ; vom Standpunkt der Charitas und Humanitas aber sei sie verwerf- lih. Mindestens werde man doch in Beziehung auf die Menschenseuhen so weit gehen müssen, wie man gegenüber den Thierseuchen gegangen sei. Allerdings, so gut wie man benöthigt gewesen sei, ein größeres Stück Geld in die Hand zu nehmen, um das Geseß über die Viehseuchen auszuführen, jo werde auch wohl \{ließlich nihts übrig bleiben, als mehr Geld auszugeben zur Abhaltung von Menchenseuchen ; das lasse sich niht ablehnen, nachdem man gesehen habe, daß in der That cin solches Seuchengeseßz wohlthätig wirken könne, und auch in der Landwirthschaft anerkannt werde. Der Vinifter werde jedenfalls, wenn derselbe an diese Geseßgebung gehe, in der That wenig über das hinauegehen dürfen, was die bisherige Geseßgebung der Medizinalpolizei zugestanden habe.

__ Hierauf ergriff der Minister der geistlichen 2c. Angelegen- heiten Dr, von Goßler das Wort:

Meine Herren! Wenn i versuce, die etwas desparaten Ma- terien, welche zu dem ersten Titel des Medizinaletats angeregt sind, in ciner einheitlichen Erwiderung zu behandeln, so werde ich mir gettatten, zunächst mit den Ausführungen des Hrn. Freiherrn von Heereman zu beginnen und daran anzuschliezen auch die Bemerkungen des Hrn. Abg. von Stablewski. Indem ih dies thue, kann ih in der Anerkennung der Krankenpflege und der Grauen, welche si der- selben widmen, sowte in der Anerkennung der Bedeutung, welche diese Thätigkeit für den Staat von scinem ethishen und ökonomischen Standpunkt aus hat, dem Hrn. Abg. von Heereman dur{aus zustimmen, darüber werden wir nit leiht in unseren Anschauungen prinzipiell differiren. Hur, das mul 1 in meiner Erwiderung festhalten, daß er auc in diesem Jahre meines Erachtens das Licht fehr auf die Seite gerückt und Schatten erzeugt hat durch seine Betrachtungsweise, die nit existiren, oder Schatten hervorgehoben hat, die nicht mchr in dieser Tiefe vorhanden sind. Jch will versuchen, möglichst alle hervorachobenen Einzelnheiten, ohne in sie zu speziell einzutreten, zu berühren, und ich glaube, es wird mir dann gelingen, Ihnen die Ueberzeugung zu verschaffen, daß es nit fördersam ist, weder für die Sache selbst, noch für die Stellung der Regierung zu den Parteien des Hauses, Schärfen zu sehr zu betonen, die nach Auffassung der Regierurg nit bestehen.

Die Differenz, die hauptsädlih der Hr. Abg. von Heereman in den Vordergrund seiner Erwägungen stellte, betrifft die Aus- legung des Wortes Niederlassung in dem Geseße. Jch habe bei anderer Gelegenheit die Auffassung, die nit allcin ih, sondern der konkurrirende Minister des Innern und alle unsere Vorgänger ge- babt haben, ausgesprochen; id will deshalb das Haus mit einer Wiederholung nit ermüden, ich will nur dem Hrn Abg. von Heere- man gegenüber betonen, daß gerade, weil wir den 8. 2 des Gesetzes so, wie es geschieht, auslegen, sich daraus die Möglichkeit ergeben hat, sehr weitgehende Erleichterungen eintreten zu laffen, namentlich nab der Nichtung hin, daß wir uns um den Eintritt in den Orden nit mehr bekümmern, sondern uns an den Wortlaut des Gesetzes halten und fragen, wer tritt in die Niederlassung ein? Der Hr. Abg. von Heereman wird bei seiner Kenntniß des Orden8wesens es als eine ECrleicbterung anerkennen, daß nit mehr die Ablegung des Gelübdes zum Gegenstande einer staatlichen Kontrole gemabt wird. Das er- vagen auch die betheiligten Genossenschaften außerordentlich dank- zar an.

Es ift weiter hervorgehoben worden als eine harte Benachtheilt- gung, daß die Schwestern oder wie ib wobl, da ja auch männ- licbe kranfenpflegende Orden existiren, im Zusammenhang sagen kann daß die Krankenpflegegenossenshaften \el b einen Antrag stellen sollen, wenn eine Niederlassung gegründet wird. Fch will nit auf den Wortlaut des Geseßes Bezug nehmen, der diese Forderung ohne Weiteres re{chtfertigen würde, sondern auf die Natur der Sache {elbst verweisen. Argesichts der Thatsache, daß Genossenschaften, für welche von dritter Seite der Antrag auf Genehmigung einer Niederlaffung eingegangen war, cine dahingehende Absicht bestimmt in Abrede ges stellt haben, werden Sie es nicht für möglich halten, daß auf Antrag einer dritten Person, sci es einer Korporation oder eines Magistrats, allein und ohne Weiteres einer Genossenschaft die Genehmigung zu einer Nieder- lassung ertheilt wird, sondern es wird voraussichtlih auc Ihre Bil- ligung finden, wenn daran festgehalten wird, daß die Ordensgesell- {aften wenigstens einem derartigen Antrage ihrerseits beitreten. Nah meiner mehrjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet kann ih versichern, daß, nachdem seit Jahren dieser schr wohlwollende Modus besteht, ich mi keines Falles entsinnen kann, in welGbem der Vors- stand einer Ordensgesellswaft Anstand genommen hätte, einem von dritter Seite gestellten Antrage den Vermerk beizufügen: Vor- stehendem Antrag trete ih bei.

Was die Aufnahmenacchweisung anbetrifft, so hat der Hr: Abg. von Heereman gewissermaßen in Parenthese anerkannt, daß in dieser Beziehung eine milde Praxis best:ht, dieselbe geht dahin, daß jeder Genossenschaft, welhe bisher derartige Anträge ge- stellt hat, gerade wie Hr. von Heereman es wünfschte, auf bestimmte Zeit zu der Aufnahme einer bestimmten größeren Zahl von Mitgliedern bis 200 pro anno, die Genehmi- gung ertheilt worden ist und daß dabei nur gesagt wird, die wirklich

erfolgte Aufnahme solle nachber in dem sogenannten Versetzungs- oder Veränderungsnachweis aufgeführt werden. Auw nach dieser Richtung hin haben die Genoffenschaften weder einen Druck empfunden, noch haben si, sowcit meine Kenntniß reiht, irgend wele Schwierigkeiten erhoben. Es sind nun Hinweise gefallen, -als ob die Behörde so weit ginge, Versetzung8genehmigungen zu verlangen oder zu ertheilen, wo es sich um die vorübergehende Aust\fendung von krantenpflegenden Schwestern bei Epidemien, Eisenbahnunglüten u. \. w. handelt. Mir ist ein folcher Fall nit bekannt. Wir untersceiden ganz genau zwischen der Gründung von Niederlafsungen uñd der Auëüburg der am- bulanten Krankenpflege. Es kann das unter Umftänden in einander übergehen solch ein Fall liegt mir im Augenblick im Gedäcbtniß wo eine Epidemie lange Monate angehalten hatte, und die Schwestern dazu gekommen sind, in erheblicher Anzabl ein gemeinjames Leben einzuri&ten, si eine gemeinsame Anftalt zu orga- nlitren, und auf diese Weise die ambulante Krankenpflege in die Gründung einer neuen Niederlassung Übergegangen war in cinem solchen Falle ist natürli, wenn die Vorausfeßungen dafür eingetreten find, den Schwestern nahe gelegt worden, die Genehmigung für die Niederlassung naczusuhen. Auch dieserhalb sind Schwierigkeiten nit entstanden.

Der Hr. Akbg. von Heereman nahm insbesondere auch Bezug auf einen Fall in Olpe. Derselbe {webt eist seit 14 Tagen in der Gentralinstanz, und soweit der Antrag sich auf die Genehmigung zu der “usnadme neuer Sbwestern richtete, ist er sofort gewährt worden. Was allein in Frage geblieben ift, ob nach dea lokalen und personellen Verhältnissen es zu genehmigen sei, daß die Schwestern die Pflege von epileptischen Kindern übernehmen. Das ist eine Frage, metne Perren, die rein medizinalpolizeilicher, rein sanitärer Natur it, deren Erörterung in dem vorliegenden Falle übrigens wesentlich mit veranlaßt wurde dur die Anregung eines katholischen Bereins, welcer eine Anftalt für epileptise Kinder in Westfalen unterhält, eines Vereins, an dessen Spitze der Dombherr Giese in Münster ftebt. Dieser Verein, an der Spitze der genannte Domberr, der die Eingabe felbst mituntershrieben hat, hat die dringende Bitte ausgesprochen, den Olper Schwestern die nachgesuhte Genchmigung zur Pflege epilep- tischer Kinder nicht zu ertbeilen, weil sie nat ibrer ganzen Vorbildung und Thâtigkeit nicht geeignet seien, s{chwierige Pflege zu leiten. Also, meine Herren, ih bitte, niht immer aus folhen Sachen prin- zipielle Differenzen abzuleiten. Es handelt ih hier niht um Ver- folgungssucht, sordera um Abwägung schr wichtizer Interessen. Nicht

son die Thatsache, daß man einer Krankenpflegegenossenshaft ange- bört, macht ohne Weiteres befähigt, die Pflege von Geisteskranken und Gpileptischen zu übernehmen, sondern die Staatsregierung, die Medi- zinalbehörde hat die unabweisbare Pflicht und übt sie aus nach Ana- logie der neueren Vorschriften der Gewerbeordnung, sid \{hlüssig zu machen, ob die sanitären, die medizinellen Vorbedingungen gegeben sind für die Einrichtung solcher Anstalten. Das sind keine Vexationen vom Standpunkte des Kulturkampfes, sondern einfach Erwägungen vom Standpunkte der allgemeinen sflaatlicen Ordnung.

Daran kann ich unmittelbar anknüpfen, was Hr. von Stablewski gesagt hat. Jch darf mich hierbei kurz fassen, weil die Hauptsachen bereits im vorigen Jahre von mir erörtert worden sind. Wenn der Fall in Culm so läge, wie Hr. von Stablewski ihn vorgetragen hat, so würde es {wer für das Haus sein, zu einer anderen Kon- Élusion zu gelangen. Das ift aber nit der Fall. Es wäre eine Karrikatur, wenn man einem vernünftigen Beamten zuschreiben wollte, daß er, weil beim Handarbeitsunterri{t ein Buch vorgelesen worden ift, uad weil zwei kranke Mädchen si in einer Kranken- anstalt befunden haben, die Ordens\{western beunruhigt hätte. Davon ist gar keine Rede. Der ganze Streit handelt sih in Culm und au in andercn Fällen darum, daß die Scwestern ihre Auf- gabe nicht allein darin finden, ihre großen Hhumanitären Aufgaben der Krankenpflege zu erfüllen, sondern die große Aufgabe dadurh noch zu erweitern suhen, daß sie die katholischen Kinder deut\chGer Abkunft in das polnische Lager über- führen. Wir haben diese Erfahrung an vielen Stellen gemacht.

Widerspruch bei den Polen.) Hr. Kantak, Sie können über die Nüßlichkeit dieser Bestrebungen anders denken wie ich, aber i halte es für cinen Abweg und im Interesse einer gedeihliden Entwicklung der Krankenpflegeorden für bedauerlich, dicse Damen einen Unter- richt organisiren, der nit allein den Händarbeiteunterriht betrifft, sondern den Schulunterriht umfaßt, daß sie zu diesem Unterricht z. B. die beiden Töcbter eines deuts-katholisben Rektors zugezogen baben und daß sie denselben vorzugêweise in der polnischen Sprache ertheilen. Aus diesen Wahrnehmungen heraus sind die zur Erörterung gelangten Differenzen entstanden. Ich kann Ihnen hier aub sagen, daß, wenn ein Beamter überhaupt Sinn für eine Thätigkeit nach der Richtung der Neligiosität und Humanität hat, es der Negierungs-Präsident Fthr. von Massenbach ijt. Dieser Herr hat ein warmes Herz für alle Be- strebungen der Genossenschaften auf dem Gebiet der Krankenpflege, aber er weiß als Beamter sehr genau zu unterscheiden, wo die Gren- zen diefer verschiedenen Thätigkeiten der in Letracht kommenden Ge- nossenschaft liegen.

Wenn weiter hingewiesen wird auf Briesen, so kann i erwähnen, daß nach der Mittheilung meines Refercnten der betreffende Antrag vom 31. Januar 1884 datirt, daß bis dabin in der Centralinstanz die Angelegenheit nicht bekannt gewesen ist. Den Hinweis auf die Diakonifsenanstalt kann ich in casu nit beurtheilen; ich erlaube mir aber dem Hrn. Abg. von Stablewski darauf hinzu- weisen, daß aach der Richtung hin aub der Herr Minister des Innern und ih, wie i das wohl schon im vorigen Jahre ausgesprochen habe ni{cht die Grenze finden, die für unser Ge- nehmigungsrect gezogen ist. Ich erinnere ibn dabet an Oftrowo die Herren erwähnen natürli nur immer Fälle, an die sie Vorwürfe knüpfen können —, wo bekanntli eine Niederlassung von \{lesischen tatholishen Schwestern genehmigt ist, obwohl dort Diakonissinnen existiren. Jch erwähne Peterswaldau in Stlesien, wo ein sehr reich dotirtes und schr gut organisirtes Diakonissenhaus f befindct, nitédestoweniger aber für die Gründung einer katholischen Nieder- lassung dem Grafen Stolberg die Genehmigung in Ausfit gestellt ist, sobald cin hierauf gerihteter Antrag eingehen würde. Also nah der Richtung bitte ih, uns nit irgendwie den Vorwurf zu maten, als ob wir Licht und Schatten ungleich vertbeilen.

Was Kosten anbetrifft, so ist es den Gesucstellern gesagt worden, d&ß, wenn ein Antrag der Vincentinerinnen cinginge, derselbe erwogen werden würde. Wenn die Damen keinen Antrag stellen, kann cer natürlich au nit genehmigt werden.

Hr, von Heereman {loß seine Aueführungen mit einer sehr starken Betonung der bestehenden Polizeiaufsiht und ging dann in längeren Ausführungen \o weit, die Behauptung aufzustellen, daß diese edlen Frauen gemißhandelt und mißachtet würden, und daß hier- durch bei den Schwestern ein lähmendes und verbitterndes Gefühl eintrete Als Hr. von Heereman im vorigen Jahre ähnliche Anklagen gegen die Staatsregierung erhob, haben der Herr Minister des Innern und ich Verabredung genommen, uns, soweit es mögli ift, aus eigener Anschauung über die Verhältnisse zu instruiren, auf unseren Reisen möglihs auch die Niederlassungen katbolisGer Kranken- pflegeorden zu besuhen. Jch bin ermättigt, auch Namens des Hrn. Ministers von Puttkamer zu erklären, daß der einheitlibe Eindruck überall der war, daß die Damen mit sebr großem Entgegenkommen, mit Freundlichkeit und Dankbarkeit uns