1884 / 50 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 27 Feb 1884 18:00:01 GMT) scan diff

Paragraphen oder bezügliche Geseßesvorschriften nit hinaus. Au der vorliegenden „Tertausgabe“, ift zur leichteren Auffindung der einzelnen Paragraphen der in Betracht kommenden Gesche am Sclusse ein Paragraphenregifter beigefügt, in welchem bei den ein- zelnen Paragraphen der im Register nacbgewiesenen Gesetze die ent- sprebenden Paragraphen dieser Ausgabe angegeben sind. Der S{rift sind ferner ein chronologisbes Register und ein alphabetisches, sehr ausführlibes und mit Sorgfalt bearbeitetes Sacbregister angeschlossen.

+ „Zur Einführung derSubhastationsordnung vom 13. Juli 1883 in die hannoversche Praris“ if eine von dem Amtsrichter K. Scbneider im Verlage der Helwingsben Ver- lagsbu{handlung (Th. Mierzinsky, Kgl. Hofbubbändler in Hannover) kürzlih herausgegebene Schrift betitelt. Der Verfasser legt in der- selben den Richtern der Provinz Hannover die Erörterung eiviger für die Praxis wichtiger Punkte des gedachten s{wierigen Gesetzes vor, an wel@e eine Uebersicht über den Gang des eigentliben Versteige- rungsverfahrens angeknüpft ift. Ein Sachregister erleichtert die Ueber- sicht über den Inhalt der Schrift, welhe dazu beitragen wird, den bezeichneten richterlihen Beamten die Handhabung der neuen Bestim- mungen des Gesetzes zn erleihtern. Der Preis derselben beträgt 2,40 M Y

Die Gie sellschaft für bildende Kunst und vater- ländische Alterthümer zu Emden hat kürzlih das 2. Heft V, Bandes ihrer Jahrbücher versandt (Emden, Selbftverlag der Gesellschaft). Dasselbe entbält drei größere Arbeiten, welche die Ge- \cichte Ostfrieëlands zum Gegenstande haben. Die erste und umfang- reihsle, von dem Seminarlehrer Dr. P. Piinz in Kornelimünster bei Agchen verfaßt, bietet eingehende und sorgfältige „Studien über das Berbältniß Friélands zu Kaiser und Reich, insbesondere über die frisi- \chen Grafen im Mittelalter“. Dann folgen kleine oftfriesishe Gescbichten aus den Akten des vormaligen Neichskammergerihts zu Weßlar in der Registratur des Ober-Landesgerichts zu Celle, von dem Amts- gerihts-Rath I Sudendorf in Neuenhaus, und endlich die Schil- derung einer Episode aus dem oftfriesishen Bürgerkriege der Jahre 1726 und 1727, aus dem Naclaß des verstorbenen Obezlehrers H. Hobbing in Emden. Die „Kleineren Mittheilungen“ bestehen der Mehrzahl nach aus urkundlihen Beiträgen, darunter folde zur Geshihte des Enno-Denkmals in der Großen Kirhe zu Emden, mitgetheilt von P. ran Rensen daselbft. Nach dem Bericht über die Gesellschaft vom 1. Oktober 1882 bis 31, Dezember 1883, erstattet von dem derzcitigen Sekretär, Pastor Pleines, läßt sich über die Wirksamkeit derselben im verflossenen Jahre sowie über ihren jeßigen Stand nur Günstiges melden. Die Gesammtzahl ihrer Mitglieder, mit Einschluß der korrespon- direnden und Ehrenmitglieder, ist bis auf 167 angewachsen und hat fic demna gegen das Vorjahr um 9 vermehrt. Die Sammlungen haben durch Ankäufe und Zuwendungen von Kunst- und Alter- thums - Gegenständen, Münzen, Schriften und Urkunden er- freulide Bereicberungen erfahren, wovon die mitgetheilten speziellen Verzeichnisse Kunde geben. Die von der Gesellschaft an- geregte Restauration des {on erwähnten Grabmals des Grafen Enno in der Großen Kirche zu Emden, besonders tes Portals vor dem- selben, ist dadurch der Verwirklichung näher gerückt, daß der Konser- vator der Alterthümer, Geh. Regierungs-Rath von Dehn-Rothfelser, versprochen hat, regierungsseitig für eine würdige Restaurirung dieses bedeutenden Monuments das Erforderlihe zu erwirken. Zur une aller jeßt noch dur die Ueberlieferung erhaltenen BDertlichkeiten, Straßennamen 2c. der Stadt Emden ift eine besondere Kommission eingeseßt worden. Von dem im Auf- trage der Gesellshaft von ihrem Mitgliede, Dr. med. Tergast, verfaßten Werke ‘über „Die Münzen von Ostfriesland ist vor Kurzem der erste Theil, bis 1466 reichend, erschienen. Die Herstellung des prächtig aut gestatteten und mit \{chönen Illustrationen versehenen Werks, das in der Fachliteratur eine Lücke ausfüllt, ift durch die Beihülfe des Landeétdirektoriums , der oftfriesisGen Land- \chaft und des Magistrats ermögli{cht worden. Das Verzeicniß der Vorträge und Referate giebt von dem regen wissenschaftlichen Eifer innerhalb der Gesellschaft sehr günstiges Zeugniß. Zu den 37 auswärtigen Akademien, Instituten, Vercinen 2c., mit denen die- e n litcratiien Derlehnr fleht nd das Köntgs lide Staatsarhiv zu Posen und die Königlibe Akademie der Geschichte und Alterthumskunde zu Stockholm hinzugetreten. Mit den Verzeichnissen der Mitglieder der Gesellschaft und der aus- wärtigen Vereine und Institute, zu denen sie Beziehungen unterhält, \chlicht das Heft. Direktor der Gesellschaft ist zur Zeit Dr. Schwecken- dieck, Gymnasial-Direktor a. D., Vize-Direktor: Oberlehrer Dr. Kohl- mann, Sekretär: Pastor Pleines.

Veterinärwesen.

Amtlicher Mittheilung zufolge is in der Kischinew die Rinderp eft ausgebrocben.,

In der Odessa’ er Stadthauptmannschaft dagegen is na einer Bekanntmachung in dem Amtsblatt des Odessa’'er Stadt- gouverneurs die Rinderpest als erloschen zu betraten.

Gewerbe und Handel.

Der Niederösterreichishe Gewerbeverein hat eine internatio- nale Ausstellung von Motoren und Werkzeugmaschinen für das Kleingewerbe in Wien 1884 veranstaltet. Diese Aus- stellung hat den Zweck, einerseits die Vertrautheit mit Kraft- und Werkzeugmaschinen sowie mit neueren Werkzeugen im Kreise der Kleingewerbetrcibenden zu fördern und deren Einführung in die kfleineren Betriebe zu verallgemeinern, andererseits den Erzeugern von Motoren und Werkzeugmaschinen den unmittelbaren Kontakt mit den Konsumenten zu vermitteln. Dieser Zweck soll ecreiht werden : 1) Durch die Vorführung von in Thätigkeit geseßten Motoren und Werkzeugmaschinen, von neueren Werkzeugen, von Apparaten und Vor- rictungen für gewerbliche Betriebe und von Lehrmitteln für den ge- werblichen Fachunterricht ; 2) durch die wissenschaftliche Untersuchung der ausgestellten Motoren und Werkzeugmaschinen und durch die Veröffent- libung der hierdurch gewonnenen Resultate. Die Ausstellung um- faßt folgende sech8 Gruppen: T. Motoren (bis zu beiläufig 3 Pferde- stärken); II. Tranêmissionen ; 111. Werfzeuge, Werkzeugmaschinen und Arbeitsvorrihtungen; IV. Physikalishe und chemishe Apparate ; V. Hülfsmittel für Reproduktions-Verfahren; VI, Lehrmittel für ‘den gewerblichen Fachunterricht Cine Preisrichter- Jury wird nicht eingeseßt und Preise werden nicht ver- theilt werden; dagegen erhält jeder Auësteller eine Erinnerungs- medaille und ein die Theilnahme an der Ausstellung bestätigendes Certifikat. Es wird eine wissenschastlihe Kommission fungiren, welche unter Theilnahme des Technologishen Gewerbe- museums die ausgestellten Motoren und Werkzeugmaschinen auf Kraft- bedarf und Leistungsfähigkeit prüfen und den Ausfstellern über die Resultate dieser Prüfung Certifikate hinausgeben wird. Bebufs ein- heitliher Durchführung dieser Prüfungen wird ein \pezielles Regle- ment verfaßt und rechtzeitig publizirt werden. Die Ausstellung wird in den Lokalitäten der K. K. *Gartenbaugesellshaft am 24. Juli 1884 eröffnet und spätestens am 12, Oktober ges{lossen werden. Anmeldungen von Ausftellungsgegenständen sind nach einem Anmelde- formular bis längstens 1. April 1884 an den Niederösterreichischen Gewerbeverein (Wien I., Eschenbachgasse 11) zu richten. Anmeldun- gen, welche nach diesem Termine einlangen, werden nicht berücksichtigt.

Wien, 27. Februar. (W. T. B) Der öfterreichi\ch- ungarische Lloyd wird, der „Presse“ zufolge, cine Dividende von 59% vertheilen gegen 76/10 9/6 im Vorjahr. Der Ausfall ist nament- lich durch die vorjährige Cholera in Egypten verursacht.

London, 26. Februar. (W. T. B.) Bei der gestrigen Woll- aukttion waren Preise unverändert.

New-York, 25. Februar. (W. T. B.) Weizenverschif- fungen der leßten Wode von den atlantischen Häfen der Ver- einigten Staaten nach Großbritannien 38 000, do. nach Frank- reich 25 000, do. nach anderen Häfen des Kontinents 5000, do. von Kalifornien und Oregon nach Großbritannien 14 000, do. nach dem Kontinent Qurts.

New-York, 26. Februar. (W. T. B.) Der Werth der in vergangener 5 264 000 Doll.

Umgebung von

Woche ausgeführten Produkte beträgt |

Verkehrs-Anstalten. Bremen, 27. Februar. (W. T. B.) Der Dampfer de Norddeutschen Lloyd „Neckar“ if heute Vormittag 7 Uh

in Southampton eingetroffen. Hamburg, 26. Februar. (W. T. B.) Der Postdampfer Padcetfahrt-

„Rugia*“ der Hamburg-Amerikanischen Aktiengesellschaft hat, von New - York kommend, heute Abend

6 Uhr die Scilly-Inseln passirt.

8 r

Berkin, 27. Februar 1884.

Im weiteren Verlaufe der gestrigen Sißung des Deutschen Landwirthscbaftsraths erschien der Minister für Landwirth- {aft 2c., De, Lucius. Derselbe richtete an die Versammlung eine Ansprache etwa folgenden Inhalts: Er freue si, theilnchmen zu können an den Berathungen, deren Gegenstände den Mittelpunkt der landwirthschaftlihen Tagesfragen und ter Fragen des landwirthscaft- liben Grundbesfitzes bilden. Man dürfe fich in den leßten Jahren niht beklagen über Mangel an Interesse auf Seiten der Regierung, der geseßz- gebenden Faktoren und des landwirthschaftlichen Publikums für jene Fragen. Besonders die Frage des ländlichen Wohlstandes habe eine förmliche, tägli fih erweiternde und bereibernde Literatur erzeugt, die aus werthvollen Monographien von Männern der Wissen- chaft, aus Berichten landwirthschaftliber Vereine und offizielen Aktenstücken bestehe. In den näcbsten Tagen stehe derselben eine abermalige Bereicherung bevor, insofern Seitens der preußischen Regierung eine Ermittelung Über den Stand der hypothekarishen Verschuldung in 52 preußischen Amtsbezirken ver- anstaltet sei, deren Resultate sich im Druck befänden. Dieselben, so angreifbar sie in gewissem Sinne auch sein möchten, lieferten do dasselbe Gesammtbild, welches die sacblich vortrefflichen Berichte über die entsprechenden Verhältnisse, nämlih dasjenige einer außerordent- lichen, zum Theil durch Boden und Klima günstig oder ungünstig beeinflußten Verschiedenheit der Verschuldung. Für den mittleren Besiß im Königreih Preußen, bezeichnet dur einen Grundsteuer-Reinertrag von 10—100 Thaler, betrage die Verschul- dung im Durchschnitt das Achtzehnfawe des Grundsteuer-Rein- ertrages. Das Maximum sei in Karthaus gefunden worden, wo die Verschuldung das 51—52fache des Grundsteuer-Reinertrages betrage. Eine fernere, gleichfalls vollendete Reibe von Ermittelungen beziehe sich auf die Grundbesitverhältnisse in den Regierungsbezirken Aachen und Danzig. Dieselbe biete einen vollständigen Ueberblick der Besitgliederung in diesen beiden Bezirken, welche als typisch gelten könnten für den Westen und den Osten der Monarchie. Der sicherste Weg zur Abhülfe bestehender Uebelstände, so {loß der Minister, sei in der Erkenntniß der Uebelstände, und die Arbeiten der Versammlungen seien ein werthvoller Beitrag zur thatsächlichen Begründung jener Erkenntniß.

Nunu'ehr erstattete der Dekonomie-Rath Scoffer-Kirchberg den Bericht der Kommission über den Stand der Hagelversicherung, der si, entsprechend den Verhandlungen und den Beschlüssen der vor- jährigen Situngsperiode diesmal in 3 Theile gliedert, welche betreffen : 1) Fragen, bezüglih des Hagelversiherungswesens im Allgemeinen, 2) die Lage der süddeutschen Landwirthschaft gegenüber der Hagel- versicherung, und damit in einem gewissen Zusammenhang stehend, 5 die Errichtung einer Zwangs-Hagelversicherung für das Deutsche

eich,

Die in dem erstatteten Bericht wotivirten Anschauungen gipfelten in folgenden Anträgen der Versicherungskommission: zu Theil T und I1 des Berichts, das Hagelversicherungswesen im Allgemeinen und die Lage der süddeutschen Landwirthschaft gegenüber der Hagelversicherung betreffend. Das Plenum des Deutschen Landwirthschaftsrathes wolle der Versiberungskommission die Vollmacht ertheilen, einen Zusammen- tritt von Vertretern des Landwirthschaftsraths mit Bevollmächtigten der deutschen Hagelversicherungs-Gefellschaften zu reranlasfen, um 1) eine Vereinbarung über die in der leßten Landwirthschaftsraths-Sitßzung ge- wünschten Veränderungen der allgemeinen Versicherungébedingungen herbeizuführen, und 2) in Bezug auf die süddeutschen Hagelversicherungs- Verhältnisse Konzessionen zu erreichen bezw. das Eintreten weiterer Versicherungêgesell\haften in das dortige Versicherung8geschäft zu be- wirken zu suchen.

Nach längerer Debatte wurden die vorstehenden Anträge an- genommen.

Nunmehr motivirte Referent die Anträge zu Theil ITT des Be- rihtes, die Errichtung einer Zwangs-Hagelversicherungsanstalt für das Deutsche Reich betreffend; der Deutsche Landwirthschaftsrath wolle beschließen: 1) zur Zeit den voa der Centralstelle des land- wirthschaftliben Vereins für das Großberzogthum Baden gestellten Antrag auf Einrichtung einer Zwanas-Hagelversicherungs8anstalt für das Deutsche Reich abzulehnen, dagegen 2) in Erwägung, daß das Hagelversicherung8wesen in feiner gegenwärtigen Gestaltung den Interessen der Landwirthschaft niht entspricht, die Kommission für das Versicherung8wesen mit der weiteren Bearbeitung der einschlägigen Fragen zu beauftragen.

In der längeren Diskussion, welche sih an diese Frage knüpfte, ergriff der Minister nobmals das Wort: Schon insofern seien die Berathungen der Versammlung ein wichtiges Förderungsmittel in der Sache, als die Versicherungs8gefellsbaften mit merklicher Besorg- niß der hier geübten Kritik folgten. Man sei auf jener Seite sehr empfindlih. Als durch eine Verfügung des landwirthschaftlichen Ministeriums die \chärfere Ausübung der geseßlichen Kontrole über die Geschäftsführung der Gesellschaften angeordnet worden sei, habe sich sowohl in der Presse, wie in zahlreihen beim Ministerium eingegangenen Zuschriften jene Empfindlichkeit kenntlih gemacht. Das Éônne natürlich die Regierung nicht erschüttern, die sich der Pflicht bewußt sei, der Anwalt des kleinen Mannes gegenüber den Gesell- schaften zu sein. Nah wie vor werde eine \{arfe Kontrole Über das Verfahren letzterer bei Regulirung der Schäden stattfinden. Es müsse anerkannt . werden, daß im Jahre 1883 sehr wenig Klagen über uncoulante MRegulirungen auf- getreten seien; aber freilih sei dies Jahr au ungewöhnlich hagelarm gewesen. Die in der Versammlung angeregten Ideen erheischten ein- gehende Beachtung; indeß dürfe niht üÜbersehèn werden, daß die große Verschiedenheit der lokalen Verhältnisse sehr große Schwierigkeiten bezüglich der Einführung einer Reichsversicherung nach dem Vorbilde der bayerischen Versicherung biete. Im Jahre 1882 seien in Hohen- zollern 30%, in Scleswig-Helstein nur 0,49% der Grundbesißer ver- hagelt. Nah Schluß der Diskussion wurden sämmtliche Anträge der Kommission unverändert mit an Einstimmigkeit grenzender Majorität angenommen.

In der heutigen Sitzung, in welcher der Staats-Minister Dr. Lucius wiederum erschienen war, referirte der Ritterschafts- Direktor von Wedell-Malchow über die Lage des bäuerlichen Grund- besitßes in Verbindung mit der Frage des landwirthschaftlichen Kredit- wesens und des Erbrechts.

London, 26. Februar. (W. T. B.) Das gestern Abend auf dem Victoria-Bahnhof aufgegebene Felleisen, durch welches, wie man annahm, die Explosion herbeigeführt scin sollte, hat fich un- versehrt wiedergefunden. Dagegen ist unter den Gepäcküberresten ein lederner Reisekoffer gefunden wordcn, welcher durch Erplosions\toffe, A 0 im Innern desselben befunden haben dürften, zerstört zu sein

eint.

26. Februar, Nachmittags. (W. T. B.) Bezüglih der Explo- fion auf dem Victoriabahnhofe hat Major Bagot, der si zur Zeit der Erplosion in der Nähe des Bahnhofs befand und unmittelbar nach derselben in den Bahnhof cintrat, konstatirt, daß der von ihm dort wahrgenommene Geruch genau dem Geruch entsprochen habe, der mit ciner Dynamit: Explosion verbunden fei. Nob andere An- zeichen bestätigen, daß es sich um eine Dynamit-Explosion gehandelt hat, und es ift denselben gegenüber die Annahme, daß die Explosion dur Kanonenpulver oder Gas veranlaßt sei, niht aufrecht zu erhalten. Der mit der Bewachung des Gepäkraumes beauftragte Beamte hat

deponirt: gestern Abend babe ein Mann ein kleines, aber sehr \{weres Felleisen in dem Geväckraum abgegeben und dasselbe seiner besonderen Sorgfalt anempfohlen. Gegen 10 Uhr habe er ein eigen- thümlihes Geräusch gehört, demjenigen ähnli, welches der Mecha- nismus einer Weckuhr hervorzubringen pflege, er habe demselben aber keine weitere Aufmerksamkeit gesenkt. Die Wirkungen der Explosion find aenau dieselben, wie fie durch die Dynamitexplosionen im März und Oktober vorigen Jahres herbeigeführt wurden.

Das Königlihe Schauspielhaus brachte gestern ein vier- aktiges Lustspiel „Roderich Heller“ von Franz von Schönthan zur ersten Aufführung und erzielte damit einen ziemlich guten Erfolg, Der Verfasser der Novität ist dem Thbeaterpublikum von früheren dramatischen Arbeiten, die zumeist auf der Bühne des Wallner- Theaters zugkräftige Aufführungen erlebten, vortheilhaft bekannt und das neue Werk is wohl geeignet, die gute Meinung, welche man von diesem Autor hatte, noch zu erhöhen. Scbönthan hat es diesmal versucht, mit einem kühnen Sprunge ih aus der Sphäre des Derbkomischen in die Region des feineren Lust- spiels zu erheben und bis auf ein Kleines ift es ibm auch gelungen. Das Stück greift keck hinein in's volle Menschenleben und manche treffliche Scene kann als ein Spiegelbild von Voraängen unserer wirklihen Gegenwart gelten. Die Gestalten des Stücks sind aus der guten bürgerlichen Gesellschaft so gewählt, daß auch das öffentliche Leben in den Kreis der Erscheinungen tritt. Soweit Aeußerlihkeiten in Betracht kommen, entshwindet dem Zu- schauer die Empfindung der konkreten Gegenwart niemals; die Vers wickelungen der Handlung leiten ihren Ursprung z. B. theilweise aus Begegnungen im Pferdebahnwagen oder in Wählerversammlungen her. Wenn man aber näher binschaut, will der Autor in seinen Figuren das Streben moderner Frauen, \sih aus dem engen Kreise der Häuslichkeit loszulöôfen und literarischen oder gar politischen Bestrebungen nachzuhängen geißeln, Frau „Norica“, die Gattin des prosaischen Strumpfwirkers, welche ihren Jugendgeliebten, einen lyrisch ange- bauchten Studenten, der sich aber inzwischen zu einem bekannten Romanschriftsteller entwickelt hat, nicht vergessen kann, wird als Exemplum für jene sentimentale Shwärmerei vorgeführt, welch{e \{bließlich zur Störung des Hausfriedens führen muß. Die eine Seite des Bildes, nämlich die lächerliche Komik, welche in der blinden Verkennung der Realität liegt, hat unter den Händen des Autors glücklich Gestalt und Leben gewonnen; die andere Hälfte der Zeichnung aber, welche die kräftige Realität und gesunde, sittliÞh erhebende Einfachheit des inneren und äußeren Lebens hätte zur Erscheinung bringen follen, blieb wirkungslos durch die matte und farblose Ausführung. Die derbere Sprache und die kräf- tigeren Contouren, welche in der Posse zum Ausdruck kommen dürfen, hatte der Verfasser offenbar in Hinsicht auf den vornehmen Nahmen der Königlichen Bühne, nah Möglichkeit vermieden; damit ift aber zugleich das kräftige und lebendige Kolorit zum Nachtheil der Ge- fsammtwii ang abgeblaßt. Jedenfalls bringt man hier den stark realistis{ angehaubten Figuren nicht die Theilnahme entgegen, welche sie erwecken sollten; fie sind fast durchgängig bedeutungslose, \{ablonen- hafte Charaktere, und die „zartbesaitete“ Dichterseele, Roderich Heller, entpuppt fih als ein alter Grobian und Rechtsanwalt mit einer Glaßtze und sieben Kindern, Dieser {wärmerish verehrte Poet, der Titelheld, erscheint überhaupt erst im dritten Aft eigentlich nur als alle Verwirrung lôsendes Element. Bis zum dritten Akte hatte der Verfasser durch die vielen komishen Wendungen des Dialogs und die lustigen Einfälle und Situationen, an welchen das Stück rei ist, das Interesse des Publikums und die Lacher auf seiner Seite, so daß er während der Verwandlungspause des dritten Akts logar fstürmisch gerufen wurde; der Sclußakt faud aber eine recht matte Aufnahme, so daß der weitere Beifall energisher Opposition begegnete. Die s\cenishe Gewandtheit Schönthans, die lustige Handlung und der Humor der Sprache täusch- ten über die Mängel des Werkes mit guter Manier hinweg und haben dem zahlreich versammelten Publikum offenbar einen heiteren Abend bereitet; aber ein gutes Lustspicl ist „Roderich Heller“ nit. Unter den Darstellern traten in erster Linie Hr. Krauje (Fabrikant Groller) als einfacher, gutmüthiger Strumpfwirker, und Fr. Kahle- Keßler (Norica) als die {wärmerische, politisirende Frau hervor. Die Kar- rikatur trúg fie mit leisen Strichen gerade kräftig genug auf, um zu erhei- tern, ohne anzustoßen. Hr. Keßler (Dr. Hagedorn) war ein lieben8würdiger und gewandter Journalift und Liebhaber, während Hr. Vollmer (Nudolf) den harmlosen, unselbständigen Sohn Bruder und Bräutigam mit anziehender Natürlichkeit zum Ausdruck brachte. Zu erwähnen sind noch die episodenhaften Figuren des „Sitzredacteurs Balzer“ und des „Schauspielers Eichstädt“, welche von den Hrn. Link und Dehnicke mit drastisher Komik gegeben wurden. Die beiden Naiven „Selma“ und „Rosa" fanden in den Damen Abih und Conrad liebens8würdige und anmuthige Vertreterinnen,

Im Deutschen Theater müssen die Vorstellungen von „Viel Lärm um Nichts“ wegen des bevorstehenden Urlaubes der Frau Hedwig-Niemann auf eine Zeit lang unterbro{en werden. Die Ee beiden Aufführungen des Stüks finden am Freitag und Sonnabend dieser Woche statt. Am nächsten Sonntag werden auf vielfachen Wunsch „Die Karls\chüler“ wieder aufgenommen. „Die Valentine“ von Gustav Freytag geht am Montag, den 3. März, in Scene.

Ueber die Vorstellung zum Beften der Errichtung eines Denkmals für Ernestine Wegner, welhe am nächsten Freitag im Wallner-Theater stattfinden soll, wird berichtet, daß Hr. General-Intendant von Hülsen mehreren hervorragenden Mit- gliedern der Oper und des Schauspiels die Mitwirkung gestattet hat. Von den Damen Fr. Frieb-Blumauer, Frl. Clara Meyer und Hrn, Eugen Müller, unterstüßt von Mitgliedern des Wallner-Theaters, wird das Lustspiel von G. zu Putlitz: „Die alte Schachtel“ zur Auf- führung kfommen, die dadurÞd noch erhöhtes Interesse erregen dürfte, daß in dem Lustspiel die beiden Schwestern Clara und Hedwig Meyer zum ersten Male vereint mitwirken.

Residenz-Theater. Hrn. Direktor Emil Neumann is es gelungen, Fr. Ottilie Genée, den unvergessenen früheren Liebling des Berliner Theater-Publikums, zu einem {hon in nächster Zeit be- ginnenden Gastspiel zu gewinnen. Heute tritt, nach der Verab- schiedung des Hrn. Keppler, eine neue Gastin, die Herzoglich-Sachsen- Coburg-Gotha' sche Hofschauspielerin Frl. Marie Schröder zum erften Male als „Odette“" in dem gleichbetitelten Sardou’schen Schauspiel auf.

Concerthaus. Hr. Hofmusikdirektor Bilse veranstaltei heute wieder einen Novitätenabend. Zur ersten Aufführung kommen: ein \ymphonisches Zwischenspiel (Intermezzo) zu Calderons Schauspiel „Ueber allen Zauber Liebe" von Eduard Lassen und „Pensée de Minuit“ (nach einem Gedicht von Lamartine), Meditation von Eduard de Hartog. Den 2. Theil bildet die Haffner-Symphonie von Mozart. Auch das farbenglühende Tongemälde des „Venusberges“, der von N. Wagner später zu scinem „Tannhäuser“ hinzukomponirten Scene, sowie der imposante „Philadelphia-Marsh“ desselben Komponisten stéhen auf dem interessanten Programm.

Hr. Theodor Hoch, der trefflihe Solo-Cornettist, ist soeben von seiner Künstlerfahrt aus Amerika zurückgekehrt und wird in cinem der Engelscben Concerte im Krollschen Saale, und zwar am Freitag, das Publikum mit einigen Vorträgen erfreuen. Der Künstler tritt nur dieses eine Mal auf.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Fünf Beilagen (einschließlich Börsen-Betlage),

und die Besondere Beilage Nr. 2,

Berkin: : Druck: W. Elöner.

Zweite Beilage | zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen

Berlin, Mittwoch, den 27. Februar

Slaals- Anzeiger. 184,

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 27. Februar. Jm weiteren Verlaufe der gestrigen (54.) Sißung des Hauses der Abgeordneten trat das Haus in die erste Berathung des Gesetzentwurfs ein, betreffend Ergänzung und Abände- rung einiger Bestimmungen über Erhebung der auf das Einkommen gelegten direkten Kommuna!- abgaben.

Der Abg. Zelle erklärte, eine kommissarishe Vorberathung sei bei einer Vorlage von dieser Tragweite und Bedeutsam- keit unerläßlih; er wolle daher nur einige Bedenken äußern, und Ergänzungen vorschlagen, deren Berücksichtigung er für die Berathungen der Kommission empfehlen möchte. Zunächst, glaube er, werde man die Ausnahme der Kommantitgesell- schaften in §. 1 mit Befriedigung begrüßen, während die Einbeziehung der eingetragenen Genossenschasten auf Bedenken stoßen dürfte. Das Hauptdedenken in diesem Para- graphen sei ihm aber die Auslassung des Neichsfiskus, der von der Kommunalsteuer frei sein solle, während der preußische Fiskus si vorläufig bequeme, sich der Kommunalsteuer zu unterstellen. Auch den Grund, daß der Reihsfiskus steuer- frei bleiben solle, weil das Reich nicht die Zustimmung zu jeiner Besteuerung gegeben habe, halte er staatsrechtlih für anfechtbar, denn ebenso gut wie das Reih Frankreich oder der Staat Bayern, wenn sie Unternehmungen in einer preußishen Kommune begonnen hätten, dec Steuerpflicht unterlägen, obwohl ihre Zustimmung nicht eingeholt sei, werde au das Reich Deutschland kaum um seine besondere Erlaubniß zu befragen sein, wenn es sich um diz Ausführung eines preußishezn Steuergeseßes handele. Weiter scheine ihm im §8. 2 die Bestimmung bedenklich, daß die zuständige obere Verwaltungsbehörde festzuseßen haben solle, was als selbständige gewerbliche oder Bergbauunternehmung des Staatsfiskus zu betrachten sei, denn es würde hier doch leiGt ein Richter in eigener Sache zu erkennen haben. Den \ch{chwierigsten Punkt in der Vorlage finde er in den Bestimmungen über die Eisen- bahnbesteuerung und zwar deshalb, weil jede Angabe über den finanziellen Effekt jener Bestimmungen fehle, er möhte daher den Wunsch aussprechen, daß die Kommission sich an die Königlihe Staatsregierung mit der Bitte un Vor- legung des bezüglihen Materials wenden möge. Für die ver- suchte Beseitigung der Doppelbesieuerung müsse man der Königlichen Staatsregierung dankbar sein. Was jedoch die Bestimmung des §. 9 betreffe, wonah bei Einshüßung der abgabepflichtigen Personen zur Einkommensbesteuerung in ihren Wohnsißgemeinden derjenige Theil des Gesammt- einfommens, welcher aus außerhalb des Gemeindebezirks belegenem Grundeigenthum oder außerhalb des Gemeinde- bezirks stattfindendem Pacht-, Gewerbe-, Eisenbahn- beziehungs- weise Bergbaubetricbe fließe, außer Beachtung zu lassen sei, so scheine ihm dieselbe nicht den Rücsichten der Billigkeit gegen eine Gemeinde zu entsprehen, in welcher Jemand das ganze Fahr hindurch seinen Wohnsiß habe, und alle kom- munalen Wohlthaten genieße, troßdem aber niht zu den Abgaben herangezogen werden könne, weil ihm seine Einnahmen von außerhalb zuflössen. Er möchte si in dieser Hinsicht den Vorschlag erlauben, hier eine Bestim- mung einzufügen, wonah in solchen, wie den in Rede ste- henden Fällen, an dem betreffenden Wohnsiß eine Besteuerung von 1/4 des bezüglihen Einkommens, an dem Orte der Be- triebe, aus welchen das Einkommen fließe, eine Besteuerung von ?/4 des leßteren zu erfolgen habe. Hauptsählich möchte er aber eine Ergänzung in der Nichtung vorschlagen, daß in dieser Vorlage eine Lösung der Hundesteuersrage vorgenommen werde, und zwar möchte er, da der gegenwärtige Maximalsaßz nicht genüge, um den Kommunen zu helfen, die Aufnahme einer geseßlihen Bestimmung vorschlagen, welche dahin gehe, daß, wo bisher die Hundesteuer eingeführt sei, dieselbe mit der Maßgabe bestehen bleiben solle, daß der höchste zulässige Steuersaß 20 6 betragen solle.

Der Abg. Hahn bemerkte, die Vorlage entsprehe in feltenem Umjange einer Anzahl Seitens des Hauses oft ge- äußerter Wünsche; um sie zu Stande zu bringen, müsse man sie von allen Hemmnissen befreien, und die Einfügung der höheren Hundesteuer würde ein solhes Hemmniß sein. Nach 8. 1, der dem vor zwei Jahren vom Hause angenommenen Antrage Stengel entspreche, erhielten die ländlichen und Orts- gemeinden das Besteuerungsrecht der Forensen und juristischen Personen, wie es die Städte der alten und der rheinischen Städteordnung längst besessen hätten. Besonders klage man Über diesen Mangel in den Provinzen, die den Segen der Kreisordnung noch nit hätten, aber auch in Posen. Wenn man meine, eine solhe Bestimmung passe niht in den Rahmen dieses Gesezes, so sei dies mit Rücksicht auf §. 12 des Entwurfs nicht rihtig. Ec stelle diesen Punkt, sowie einige andere der Kommission zur Erwägung, ohne sich oder die konservative Fraktion darauf festzunageln. Nach dem Entwurf sollten die jogenannten Streckengemeinden, in deren Bezirk nur Schienen- wege, aber keine Stationen noch größere Betriebsstätten lägen, an den Einkünsten aus der Besteuerung der Eisen- bahnen nicht partizipiren. Das schließe eine Unbilligkeit in sich, welcher man entgegentreten sollte. Vielleicht ließe si auch für sie nah dem Maßstabe der Gehälter und Löhne ein Antheil berehnen, der dann auch die Einkünfte der Stationsgemeinden kaum alteriren würde. Daß eingetretene Genossenschaften, die oft ganz bankmäßig ihre Geschäste aus- dehnten, zur Steuer beitragen sollten, sei ganz in der Ordnung. Die Heranziehung des Staatsfiskus mit feinen Domänen und Forsten sei durchaus gerechtfertigt, wenn aber, nah der Vor- lage, die fiskalishen Gebäude sammt und sonders nicht zur Gebäudesteuer herangezogen werden dürften, so entstände wie- der eine Ungleichheit. Mit Recht blieben die öffentlichen Dienstgebäude frei, die Wirthschaftsgebäude dagegen jür fiska- lishe Erwerbszwecke sollten, wie hon in der bisherigen Ge- seßgebung dieser Unterschied gemacht sei, zweckmäßig zur Be- steuerung herangezogen werden. Jm §. 3 des Gebäudesteuer- geseßes würd:n „als zu den im Besiyge des Staates befind- lihen Gütern gehörig“ auc die Kur- und Badehäuser in manchen Badeorten gereechnet; gerade aus Schwalbach

¿ 90.

Negierungsbezirks früher dringende Petitionen an das Haus gekommen, welche dasselbe seiner Zeit als begründet erkannt habe. Damals fei denn auch die Er- wartung ausgesprochen worden, daß im Kommunalsteuergesetz Abhülfe erfolgen würde. Die Heranziehung der Bergbau- betriebe habe ebenfalls seinen vollen Beifall, während er den Bedenken des Abg. Zelle wegen der Besteuerung Einzelner und auch dessen Vorschlage zur Abhülfe einigermaßen bei- pflihte. Bezüglich der Besteuerung des Reichsfiskus betone er den Charakter des Entwurfs als eines Nothgesetes, ebenso wie der Hundesteuer gegenüber; außerdem aber sci man gar nicht kompetent, über die Heranzichung des Reichsfiskus zu Steuern in den Einzelstaaten zu befinden. Bevor nicht die Reichsgeseßgebung eingetreten sei, könne man hier über die Einnahmen des Reiches, welches über den Einzelstaaten stehe, nicht verfügen; lasse man darum die Hand davon! Er be- antrage, eine besondere Kommission von 21 Mitgliedern ein- zuseßen, welche für die möglichste Beschleunigung der Spezial- berathung Sorge zu tragen haben werde.

Der Abg. Dr. Meyer (Breslau) erklärte, dem Antrag auf Ueberweisung des Entwurfs an eine besondere Kommission stimme er bei, da auch er wünsche, daß der Entwurf zu Stande komme. Seinen Dank für die Vorlage werde er, ge- warnt durch viele frühere Erfahrungen, der Negierung jeden- falls erst entgegenbringen, wenn die Vorlage wirklich Gesetz geworden sei, Hieran zweifle er jeßt aber bereits einiger- maßen, Das Gesetz sei eine kalte Schüssel, ein Ueber bleibsel des Kommunalsteuergeseßes, das dem Hause seiner Zeit so heiß aufgetragen. sei, daß man es nit habe genießen fönnen. Jebt sei das Haus auf den Standpunkt eines Nothgeseßzes zurüdgedrängt, welhes einige herrshende Zweifel be- seitigen solle. Dadurh werde aber das sachliche Bedürfniß nah Erlaß eines umfassenden Kommunalsteuergeseßzes nicht geringer. Die ganze Steuerreform müsse bei den Kom- munalsteuern begonnen werden; dort müsse der eigentliche Hebel angeseßt werden; man spreche immer von der Steuer- noth der Gemeinden, fasse aber niht den Stier bei den Hör- nern. Eine prinzipielle Regelung des Steuerwesens in Staat und Gemeinde werde erst dann möglih sein, wenn man auf das System der Zuschläge verzihte, die Gemeinde in ihrem Steuerwesen selbuändig hinstelle, und ihr denjenigen Kreis bezeihne, auf welchen sie steuerlihe Ansprüche zu erheben habe. Eine gute Kommunalsteuer müsse eine Realsteuer sein, auch dürfe die Frage der Besteuerung einer Liegenschaft in der Gemeinde nicht von den jeweiligen zufälligen Besibver- hältnissen abhängen. Allerdings werde sih das erst durch- führen lassen, wenn eine Landgemeindeordnung ein- geführt sei. Wenn der Minister von Puttkamer eine solche als zu schwierig noch nicht in Aussicht gestellt habe, so érinnere er daran, daß in dem furzen Jnterregnum, wo Minister Friedenthal der Verwaltung des Jnnern vorge- standen habe, die Regierung eine folhe Landgemeindeordnung besonders für die, östlihen Provinzen, als ausdrücklihes Be- dürfniß anerkannt habe. Die gegenwärtige Vorlage habe den Nachtheil, daß ihre einzelnen Bestimmungen keinen inneren Zusammenhang hätten: solche Gesehe scheiterten aber erfah- rungsmäßig am leichtesten. Jn der Hundesteuerfrage stehe er sachlih durhaus auf dem Standpunkt des Abg. Zelle, gebe aber dem Abg. Hahn darin recht, daß das Hineinzichen der- selben in das Gesetz leicht das leßtere zum Scheitern bringen könnte. Er empfehle daher der Kommission, ihr Terrain sehr vorsichtig zu sondiren, wenn sie nicht wolle, daß das Gesetz zu Falle komme. Sehr erwünsht sei ihm das, was die Vorlage über die Besteuerung des Fiskus sage. Der Noth vieler Gemeinden werde dadurch wirksam ein Ende gemacht. Er erinnere nux an die nafsauishen Ort- schaften mit den fiskalishen Bade-Etablissements. Bezüglich der Besteuerung des Reichsfiskus stehe er nicht auf so be- stimmtem Standpunkte, wie der Abg. Zelle. Er glaube, es möchten hier auch noch andere Gesichtspunkte vorhanden sein. Begreifen könne er aber nie, wie der Reichsfiskus bei Ge- bäuden, aus denen derselbe wie ein Privater, Miethe ziehe, steuerfrei sein fönne. Hier werde wohl aber die Regierung, wie schon früher sagen : Non possumus! Die Bestimmung bezüglih der Steuerpflicht der Eisenbaynen sei zwar keine mustergültige, aber wenigstens eine verständlichG ge- ordnete. Er sei aber der Meinung, rationell werde man hier den Gemeinden erst mit Einführung der NRealsteuern helfen, Der Abzug von 31/5 Proz. für Verzinfung der Anleihen von dem Neinertrag sei denn doch eine etwas große Beeinträchtigung der Kommunen. Ganz und gar ver- werfe er aber die Personalsteuer für die eingetragenen Ge- nossenshaften, wenn sie ihre Geschäfte über die Mitglieder hinaus führten. Eine solche Steuer have man bis jegt nicht gekannt. Man wolle sie neu einführen: seiner Meinung nah" sei sie der Ausfluß der si diesen Genossenschaften gegenüber jeßt geltend machenden Ungunst. Er wünsche diese Steuer darum gesirichen zu sehen. Zwei Bemängelungen sprachlicher Natur habe er noch. Jn den früheren Vorlagen habe ge- standen: Gemeindeabgaben, das halte er für besser, als den Ausdruck: Kommunalabgaben des vorliegenden Entwurfes. Weiter heiße es: „Abgabepflicht, abgabepflichtig, abgabeberech{tigt“. Das Haus habe aber vor einigen Tagen für Hannover be- lossen, daß es dort „Abgabenpfliht“ heißen jolle. Es sei damals ein Amendement Hartmann „abgabepflichtig“ zu sagen, verworfen, und es gereiche ihm zur dauernden Genugthuung, daß er sih unter den wenigen Zustimmenden befunden habe. Der Minister habe sich des „abgabenpflihtig“ angenommen und dabei übersehen, daß derselbe sich in der heutigen Vor- lage bereits für „abgabepflihtig“ entshieden habe. Der Mi- nister habe dem Hause vorgehalten, daß der Mann nicht eine Abgabe, sondern Abgäben zu zahlen hätte. Es sei ihm doch sehr interessant gewejen, bei dieser Gelegenheit einen Blick in die Gedankenwerkstatt des Mannes zu thun, der Preußen eine neue Orthographie verschafst habe. Nach der Analogie des Ministers wäre also ein Kammerdiener eine Person, die nur eine Kammer aufzuräumen habe, seien mehrere Kammern da, fo heiße der Mann Kammerndiener. Er glaube, es schlage hier die einfahe Erwägung dur, daß

und einigen anderen Orten des

Wiesbaden seien

|

man derartige Komposita nicht vom Substantivum, sondern vom BVerbum bilde. Man sage „steuerpflihtig“ und nit „steuernpflichtig“, obwohl man ja in der Lage sei, mehrere Steuern zu zahlen. Wan sage „beitragspflihtig“ und nit „beiträgepflihtig“, selbst wenn man gebunden sei mehrere Beiträge zu bezahlen, und so werde man „abgabe- pflihtig“ sagen unter der logishen Motivirung, daß man ab- zugeben habe. - Er empfehle also die Konsexvirung dieses rihtigen Wortes dem Wohlwollen der Kommission auf die Gefahr hin, daß man mit berehtigten Eigenthümlichkeiten der Provinz Hannover in Konflikt komme.

Der Abg. Schmidt (Sagan) bemerkte, die von den Abgg. Hahn und Meyer hier berührte Frage der Besteuerung des Reichsfiskus halte er nah den gepflogenen Erörterungen für erledigt. Mit dem Kollegen Hahn stimme er in dem Grund- saß völlig überein, möglichst alles zu vermeiden, was zur Er- s{hwerung dieses Gesezes gereichen, und sein Zustandekommen vielleiht hindern könnte. Darum sei die Hundesteuer nicht hier hinein zu ziehen. Leider habe der Abg. Hahn aber selbst gegen diefen Grundsatz damit verstoßen, daß derselbe in diesém Kommunalsteuergeseß das Necht der Besieuerung der juristische: Personen auch solchen Kreisen, welche dasselbe noch nicht hätten, beigelegt wissen wolle. Es fei nicht wohlgethan, sih auf eine solche Bestimmung einzulassen. Der Abg. Hahn habe \ich zwar auf den §8. 12 dieses Geseßes bezogen, allein er müsse sagen, daß es ooch eine aanz andere Sache sei, bloße Veran- lagungsgrundsäße über die Besteuerung von juristishen Per- sonen auf Kreise und Provinzen, die dieses Neht roch nit hätten, zu verallgemeinern, als diese prinzipiell wihtige Frage hier in der Art mit in Erwägung zu ziehen, ob denjenigen Kreisen, die dieses Reht noc) nicht hätten, dasselbe nun in diesem Geseß gewährt werden solle. Diese Frage müsse aus wesentlich anderen Gesichtspunkten betrachtet und geregelt werden, und deshalb erachte er es für besser, sie aus diesem Gese heraus- zulassen. Was das Gesetz selbst betreffe, so habe er auf Vorlage des ganzen zweiten Theiles des früheren Kommunalsteuergeseßzes als besonderes Geseg gehofft. Man müsse sich aber mit der Vorlage begnügen, und zwar wegen des Zusammenhanges des Gegenstandes mit der im Werke befindlihen Staatssteuer- geseßgebunga, und da die Regierung hinsihtlih der künftigen Besteuerung des Fiskus besondere Pläne hzbe. Die Abgg. Meyer und Büchtemann hätten ein besonderes Eisenbahnsteuer- geseß verlangt und dasselbe als sehr dringend erklärt ; der Abg. Meyer habe auch behauptet, daß die Materie des zweiten Theiles des Kommunalsteuergeseßes innerlich in gar keinem Zusammenhang stehe. Beide Behauptungen seien aber völlig unwahr. Die Menge der Petitionen der leßten Jahre hätten doch dargethan, daß die Regelung der Kommunalbesteue- rung der juristishen Personen und Forensen mindestens ebenso dringlich sei. Das theilweise gänzlihe Fehlen von ge- seßlichen Bestimmungen und ihre Mangelhaftigkeit seien dafür Beweis genug. Abhülfe durch geseßliche Maßregeln sei absolut nöthig. Die Besteuerung der Eisenbahnen gehe doch mit der- jenigen der juristishen Personen Hand in Hand, ebenso die- jenigen der Forensen. Zuerst seien die allgemeinen Grundsäße festzustellen, dann bie Besonderheiten, welche zu berücksihtigen seien. Der Abg. Meyer meine, die Steuerreform müsse bei der Kommunalbesteuerung anfangen und das Zuschlagsystem solle beseitigt werden und an deren Stelle die Besteuerung der visible property nach englishem Muster geseßt werden. Mil diejen Bors(lag i ber A0 Ver Vie derselbe doch selbst wissen müsse, seiner Zeit in der Minorität geblieben! Die Nothwendigkeit , dieses Gesetz zu Stande zu bringen, habe derselbe ja j:bt felbst anerkannt. Bei §, 7 Nr. 2 glaube er sih nach den Erklärungen des Abg. Dr. Weyer einer weiteren Erörterung enthalten zu können. Von der linken Seite aus sei in sahverständiger Weise die ganze Eisenbahnbefsteuerung in Anregung gebracht worden, und wenn von dort aus kein Bedenken erhoben werde, so glaube er, werde es auch ferner nicht erhoben. Das hier von der Regie- rung vorgeschlagene Prinzip habe man auch in früheren Zeiten als das beste und zweckmäßigste angenommen. Weder in der Kommission noch von außen her habe eine wesentlihe Oppo- sition stattgesunden. Nur wenige Petitionen seien gekommen, von denen eine einzige verlangt habe, daß das alte Prinzip der Vertheilung des Steuerertrages nach dem Bruttoertrage bei einzelnen Stationen fernerhin bei- behalten . werden solle. Und - diele Stadt es fei Barmen gewesen, habe gefürchtet, daß Elberfeld den Löwen- antheil bei der neuen Art der Vertheilung der Steuer davon- tragen könnte. Doch wolle erx bemerken, daß der Abg. von Huene einen beachtenswerthen Vorschlag gemacht habe, mit dem derselbe auch wohl wiederkommen werde. Derselbe habe verlangt, daß die Gehälter bis 2000 voll, über 2000 M hinaus nur bis zur Hälfte an gerechnet werden sollten. Dieser Borschlag würde natürlih geeignet sein, eine Ausgleihung von zu großen Löwenantheilen in einzelnen Gemeinden herbeizu- führen. Fndessen habe man in der Kommission bis jeßt auch diesen Verbesserungsvorschlag abgelehnt, indem die Kommission davon ausgegangen fei, daß gerade doh auch diese gut besolde- ten Beamten durch ihre besondere Fntelligenz, ihre Tüchtigkeit zu dem Floriren der Eisenbahn-Unternehmungen und zu dem Gesammteinkommen wesentli beitrügen. Es werde Sache dex Kommission sein, diesen Antrag natürlih weiter in Erwägung zu ziehen. Jn den früheren Geseßentwürfen sei durch den S. 23 die Doppelbesteuerung der Aktionäre beseitigt. Jn diesem Entwurf werde sie wieder eingeführt; auch die Kom- mission habe in dieser Hinsicht geshwankt, sie habe zuerst die Doppelbesteuerung der Aktionäre angenommen, aber in zweiter Lesung wieder beseitigt. Er theile die Bedenken gegen diese doppelte Besteuerung. Er gebe zwar begriffsmäßig die Ein- kfommenbesteuerung der juristischen Personen zu, komme aber den gegnerischen Deduktionen so weit entgegen, daß er sage, ein Einkommen, welches von Hause aus auf Grund des Gesetzes oder ex titulo speciali mit der Bedingung behaftet sei, sofort und ohne Weiteres weiter gegeben zu werden, könne niht auf gleihem Fuße behandelt werden mit dem Ein- kfommen, über welches man unbedingt weiter verfügen könne. Es könnten daher nur die Aktiengesellschasten besteuert werden, vorausgeseßt, daß der nöthige Ausweis, den die Aktionäre zu