1927 / 29 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 04 Feb 1927 18:00:01 GMT) scan diff

L E Ter N

R La P R R R

politisGe Frage von hervorragender Bedeukung darstellt. Dem Hohen Hause liegt der Entwurf eines Geseßes über einen provisorischen Finanzausgleih vor, dessen baldige Verabschiedung drinaend erwünscht erscheint. Darüber hinaus wird es das Ziel der Reichsregierung seiv müssen, eine Uebereinstimmung mit den Ländern über die Gesamtheit des Finanzausgleidsproblems möglidst bald herbeizuführen. Die Meichsregierung hat dabei volles Verständnis für die Wünsche der Länder und ihrer Gemeinden auf ein gesundes Cigenleben, wie sie andererseits auf das Verständnis der Länder für die finanziellen Motwendiakeiten des Reichs rechnet. Gerade durch seine Glieder steht ja das Neich nah seiner Verfassung in organisher Verbindung mit dem Volksganzen und seinen lebendigen Kräften. Es ist danach eine Selbstverständlichkeit, daß es niemals Auf, der Neichs- regierung sein kann, auf dem Unnwege über diê” finangiellen Be- giebungen des Reichs zu den Kindern diesen die Selbständigkeit, die ihnen“ durch die Reichsverfassung gewährleistet ist, zu nehmen oder zu unterhöhlen. (Sehr gui! bei der Bayerisben Volkspartei.)

Der Wehrmacht wird die Reichsregierurng ihre besondere Auf- merksamkeit und Fürsorge widmen. (Heiterkeit und Zurufe links.) Sie wird mit größtem Nachdruck bemüht sein, das Vertrauen des deutschen Volkes zu seiner Wehrmaht in allen Schichten und in allen Parteien zu festigen. Das Heer muß dem politishen Kampf ein für allemal entzogen werden. Das von mir an dieser Stelle am 16. Dezember 1926 entwickelte Programm einer endgültigen Loslösung der Reichswehr von allex Politik wird ohne Ein- schränkung zur Ausführung gebracht. (Lautes Lacheu liuks.)

Jch wiederhole im einzelnen, daß Sorge zetragen werden wird, die Unterbindung jegliher Beziehung von politishen oder poli- tisierenden Verbänden, zu denen die sogenannten Wehrverbände aller Richtungen und Formen in erster Linie gehören, zur Wehr- macht dauernd sicherzustellen. Die Verordnung des Herrn Reichs- Þräsidenten vom 31. Dezember 1926 über ungeseßliche Einstellungen wird strengstens durchgeführt werden. Es werden ferner der Oeffentlichkeit in nächster Zeit ergänzende Auorduungen bekannt- gegeben werden, nah denen beim Rekrutierungsverfahreu die Be- rüdsihtigung aller verfassungstreuen Volkskreise sowie uuter Mit- wirkung der Verwaltungsbehörden dexr Ländex durh tatsähliche Auskünfte der aus8nahmslose Auss{luß aller verfassungsfeindlichen Elemente bei der Einstellung von Soldaten gewährleistet sind.

Daß ih bei der Verkündung und Verwirklichung dieses Pro- gramms in vollster Vebereinstimmung mit dem Herrn Reichswehr- minister und den Herren Chefs der Heeres- und Marineleitung ¿usammenarbeite, stelle ih mit allem Nachdruck fest. (Zuruf links: Das sagt genug!) Fch richte andererseits an alle Parteien, denen die Gesundung unseres staatlihen Lebens am Herzen liegt, und an die gesamte deutsche Oeffentlichkeit die Aufforderung, auch ihrerseits unserer Wehrmacht das Vertrauen entzegenzubringen, das fie fih durch ihre selbstlose Aufbauarbeit unter den shwersten Bedingungen verdient hat und weiter verdienen soll. (Bravo! rechts und in der Mitte.) Es wird und muß dur solch wechselseitiges Verständnis gelingen, die Wehrsragen, die noch in leßter Vergangenheit so tief- gehende und s{hädlihe Gegensäße in unserem Volke aufgerifsen haben, als Sireitpunkt in naher. Zeit vom politishen Kampfplahi vershwinden zu lassen. (Bravo! im Zentrum.)

Auf keinem Gebiete ist die Sietigkeit in den Zielen dec Reichs- regierung in höherem Gräde die Vorausseßung fruhtbringender Arbeit als auf dem Gebiete der Außenpolitik. Diese Stetigkeit ist Grundlage des internationalen Vertrauens. Deutshland würde die Shwierizkeit seiner Lage ins Unabsehbawæ vergrößern, wenn seine Politik gegenüber anderen Staaten durch den Wechsel innerer Konstellationen in ihrex organischen Fortentwicklung beeinträchtigt würde. (Sehr richtig! im Zentrum.)

So versteht es von sich selbst, baß die Reichsregierung die bis- Hhexige Außenpolitik im Sinne der gegenseitigen Verständigung Iveiter verfolgen wird. Diese Linie ist klar und eiudeutig ersichi- Tih aus den mit Zustimmung der verfassungsmäßizen Fustanzen

getroffenen Entscheidungen dex leßten Fahre. Die Außenpolitik, |

welche die Reichsregierung seit Kkiegsende ohne Unterlaß unbeirrt verfolgt und die s{ließlich zu dem Londoner Dawes-Abkommen, zum Vertragswerk von Locarno und zum Eintritt in den Völker- bund geführt hat, ist gekennzeichnet durch den Verzich® auf den Gedanken dex Revanche (Zuruf links: Hergt! Hexgt! Heiterkeit), ihre Tendenz ist vielmehr die Herbeiführung einex / gegenseitigen Verständigunz. Wie auh immer die Haltung einzelner Parteien în der Vergangenheit gewesen sein mag (aha! und große Heiter- Zeit links), für die Zukunft können die durch jene Akte begonnene Entwicklung und die dadurch geschaffenen Grundlagen allein maß- gebend sein. (Fortgeseßte Unruhe links. Glockde des Präsidenten, Präsident be: Jch bitte um Ruhe!) Jm Sinne dieser Ent- widcklung wixd die Außenpolitik weitergeführt werden. (Hört, hört! bei den Deutschen Demokraten.) Es bedarf dabei niht des Hiu- weises darauf, daß in der Person des Reichskanzlers, der nah der Verfassung die Richtlinien dex Polit!k zu bestimmen hat, und in der Person des Außenministers, dem die Durchführung der Außen- politik obliezt kein Wechsel eingetreten ist. (Leider! bei den Völkischen.) Reichskanzler und Außenminister würden dem an sie ergangenen Rufe zur Uebernahme ihrer Aemtex nicht entsprochen haben, wenn sie nicht durch die geführten Verhandlungen über die Regierungsbildung die feste Gewähr dafür besäßen, daß die Ab- Fichten und Ziele der bisherigen Außenpolitik von allen Mitgliedern des Kabinetts einmütig gebilligt werden (ironishes Bravo! bei den Völkischen), und daß hinter dieser einmütigen Billigung diejenigen Fraktionen stehen, welche die Regierung unterstüyen. Fn diesem Sinne sind alle Mitglieder des Kabinetts einmütiz in dem Ent- s{lusse, auf der eingeschlagenen Bahn voranzuschreiten (hört, hört! bei den Kommunisten. Zuruf von den Völkishen: Alle Mit- glieder?), um dur eine Politik des Rehts und des Friedens und dur den ehrlihen Willen zur Verständigung und zur Zusammen- arbeit mit den anderen Nationen für den politishen und wirt- {chaftlihen Wiederaufbau Deutschlands und darüber Hinaus Europas zu wirken.

Auf dem Wege dieser Politik liegen hinter uns die Befreiung des NRubr- und Sanktionsgebiets, die Räumung der nördlihen Rheinlandzone und die Beendigung der Tätigkeit der fremden Militär- Fontrellkommissionen in Deutscbland sowie die noch in den lebten Tagen erzielte Erledigung der beiden lebten Restpunkte “der Ent- waifnungsfrage, nämlih der Frage des Kriegsmaterials und der Oft- festungen.

Auf dem aleihen Wege liegen aber vor uns noch immer schwere Aufgaben, an deren Lösung wir alle unsere Kräfte zu sehen haben. Unser Anrecht auf moralische und politische Gleichberechtigung unter

allen Völkern kann ult in Zweifel gezogen werden. Seine volle Anerkennung auch tatsählich durchzusetzen, i| Aufgabe unserer politisen Arbeit. {Zuruf von den Volkischen: Ich denke, des Völkerbundes?)

An erster Stelle steht dabei die Aufgabe, die freie Ausübung der Souveränität über das deutsche Staatsgebiet wiederherzustellen. (Bravo! bei den Negierungsparteien.} Solange die zweite und dritte Nheinlandzone noch von fremden Truppen beseßt bleiben, sind die iebt dort bestehenden Zustände vor allem auch eine dauernde Gefahren- quelle für die günstige GutwiÆlung unserer Beziehungen zu unseren Nachbarländern im Westen. Die Neithsregierung muß erwarten, daß sib au bei der Lösung dieser Aufgabe die Politik der gegenseitigen Verstäridigung bewähren wird. (Lachen und Zurufe links.)

J kann davon absehen, alle die übrigen Aufgaben unserer Außen- politik im einzelnen anzuführen, -da auch an ihrer Lösung im gleichen Sinne wie bisher weitergearbeitet werden wird. Die bevorstehenden Verhandlungen über den Haushalt des Auswärtigen Amts werden dem Herrn Außenminister Gelegenheit geben, h über alle bierber aebörenden Einzelfragen zu äußern. Wenn ih den Kreis der Fragen, der durh den Begriff der Locarno- und Völkerburdpolitik umschrieben wird, besonders betont habe, so bedeutet das keine Herabminderung unseres Jnteresscs an der Pflege unserer Toustigen internationalen Beziehungen zu den übrigen Staaten, insbesondere zu der uns be- nachbarten Union der Vereinigten Sowjetrepubliken und zu dem aroßen Volke der Vereinigten Staaten von Amerika. (Lachen links.) Denn eine Politik des Friedens und der Verständigung, wie wir fie uns zur Aufgabe maten, kann nur eine gleihmäßige nah allen Seiten sein.

Wenn wir uns nunmehr der inneren Lage Deutshlands in sozialer uud wictschaftliher Hinsicht zuwenden, {o stehen wir vor der Tatsache, daß der Welikrieg mit allen seinen s{limmen Folgen eine tiefgreifende soziale Umschichtung in unserem Volk ge- schaffen hat. Die Zahl der Unselbständigen und Besißlosen hat sh vermehrt und die Notwendigkeit, auf den inneren Zusammen- hang in unserem Volk bedacht zu sein, besonders fühlbar ge- macht. Alle wirtshafts- und sozialpolitishen Maßnahmen der Reichsregierung müssen von dem Streben zeugen, nah aller Mög- lihkeit die ungeheure Zahl der Arbeitslosen zu verringern und die Lage dieser Unglücklichen zu verbessern. (Zurufe links: Acht- stundentag!) Wie schon der Herr Reichspröäsident in seinem an mich gerihteten Brief vom 20. v. Mts. ausgeführt hat, wird es die neue Reichsregierung als ihre besondere Pflicht ansehen, die berechtigten Futeressen der breiten Arbeitermassen zu wahren. (Zurufe link8.)

Die Arbeitslosigkeit in ihrem gegenwärtigen Ausmaß kann durch staatliche Mittel allein nit beseitigt werden. Jades kann eine geeignete, nah Möglichkeit Werte schaffende Sozialpolitik dazu beitragen, die Not zu lindern. Jn dieser Erkenntnis wird die Regierung nah wie vor auf dem Gebiet der produktiven Er- werbslosenfürsorge wertschaffende Arbeiten fördern. Sie wird die Umsicdlung von Arbeitslosen in Gebiete ermöglichen, die ein besseres Fortkommen gewährleisten. Das im Sommer vorigen Jahres aufgestellte Arbeitsbeschaffungsprogramm wird zgziel- bewußt zu Ende geführt werden. (Zurufe von den Kommunisten.) Doch betrachiei die Regierung damit ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet nicht für abgeschlossen. Vielmehr wird fie auch weiterhin bemüht fein, durch öffentliche Aufträge, namentlich der Reichs- post und der Reichsbahn, die Arbeitsmögli(hkeiten zu vermehren, den inueren Markt zu stärken und zur Gesundung unserer Wirt- scheft das ihrige beizutragen. Eine wirksame Belämpfung der Arbeitslosigkeit ist ohne eine wohlorganisierte und tatfkräftige Arbeitsvermittlung nicht denkbar. Jnsbesondere wird darauf hinzuwirken sein, daß die Leistungsfähigkeit der Arbeitsnahweise gestörkt und ihr Wirkungsgrad erhöht wird. Hoher Wert wird au in Zukunft, namentlich im bevorstehenden Frühjahr, auf die vermehrte Vermittlung städtisher, vor allem jugendlicher Er- werbloser in ländlihe Arbeitsstellen zu legen sein. (Zurufe von den Kommunisten: Als Lohndrüter!)

Um die Vermittlungsmöglichkeiten dex Arbeitslosen zu ver- mehren wird die Reichsregierung auh in Zukunft Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen, insbesondere zugunsten der jugend- lien Erwerbslosen und derx Angestellten, unterstüßen; die Zeit der erzwungenen Muße joll möglichst zur beruflichen Ertächtigung der Arbeitslosen ausgenußt werden.

Als besonders wirksames Mittel, brachliegende Volkskrast nuÿ- bringend zu verwenden, wird die Reichsregierung das landwirt- schafilihe Siedlung2werk in den dünn bevölkerten Gebieten nah- haltig fördern. Nicht nur Bauernsöhne und Landarbeiter der Siedlungsgebiete, sondern daneben auch Siedler aus der bâuer- lichen Bevölkerung im Westen und Süden Deutschlands jollen so Arbeit und Heimat auf eigener S{holle finden. (Bravo! bet den Regierungsparteien.)

Allen Erwerbslosen Arbeitsgelegenheit zu verschaffen, wird sobald niht möglih sein. Eine befriedigende, dauernde Lösung der dadurch aufgeworfenen Unterstüßungsfrage ist mur möglich, wenn baldigst an die Stelle der Fürsorge die geseßliche Arbeitslosen- versicherung tritt. Die Regierung legt daher entscheidenden Wert darauf, daß der dem Reichstag vorliegende Entwurf eines Gesetzes über ArbeitsIosenversiherung aus Gründen des Etats des Reichs, dex Länder und Gemeinden möglihst vor dem 1. April verab- shiedet wird. Wie auf dem Gebiete der Arbeitslosenversiherung soll auch für das ganze Arbeitsreht der große Gedanke der Gleih- berechtigung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ihres paritätishen Zusammenwirkens in Betrieb und Beruf in gleicher Weise wie bisher bestimmend bleiben und immer mehr zur prakti- shen Auswirkung gebraht werden. (Bravo! rets.)

Der nächste Schritt wird die Schaffung einer umfassenden Arbeitsshutvgesepgebung unter besonderer Berücksichtigung der Bergarbeit fein. Darin soll ausgehend von den deutschen Ver- hältnissen die Arbeitszeit eins{hließlich der Sonntagsruhe im Einklang mit den internationalen Vereinbarungen geregelt werden. Auf Grund einer solchen Geseygebung if die deutshe Regierung zur Ratifizierung des Washingtoner Abkommens bei entsprehen- dem Vorgehen der westeuropäishen Jndustrieländer bereit: (Lautes Lehen und Zurufe bei den Kommunisten. Glocke des Prä- sidenten.)

Noch vor dem Jnfkrafitreten dex neuen Arbeitszeitregelung sollen weitere Erleï{hterungen durch Kürzung der Arbeitszeit für die Arbeiter besonders grsundheits\{hädliher Jnduftrien anf Grund der geltenden Arbeitszeitverordnung geschaffen und auch îm

übrigen durch Uebergangs- und Noimaßnahmen Mißstände auf

dem Gebiet der Arbeitszeit beseitigt werden. Nach der Arbeits=

shubgeseßgebung bedarf hauptsählich das Recht des Tarifvertrags und des Einzelarbeitsvertrags einer endgültigen geseßlihen Regelung. E

In der Sozialversicherung sieht die Reichsregierung ein her« vorragendes und unentbehrlihes Mittel zur Erhaltung von Arbeitskraft und Volksgesundheit, zur Versorgung dex Arbeits nehmer bei Krankheit oder Unfall, Berufsunfähigkeit oder Jnva- lidität. Jhr Fortbestand allein genügt ihr aber nicht, sie erstrebt im ganzen Versicherungsbereih dur organishe Verbindung und Ausgestaltung möglichste EinfaWhheit, Uebersihtlichkeit und Wirt- shaftlichkeit und tritt wo sich noch Lüden zeigen für den geeigneten Ausbau ein.

Den Kriegsbeschädigien und KriegsHinterbliebenen gilt die besondere Sorge der Reichsregierung. Härten, die sich aus der gegenwärtigen Geseßgebung ergeben, jollen nach Möglichkeit beseitigt werden.

Bei der Mannigfaltigkeit der Lebensumstände können Vers sicherung und Versorgung allein nit alle Notstände beseitigen. Sie bedürfen der Ergänzung durch die Wohlfahrtspflege. Auf diesem Gebiet wird die Reichsregiecung den bisherigen Weg ziekl- bewußt weiter gehen, die Fürsorgepflihtverordnung soll und muß so durchgeführt werden, wie ihr Sinn und Zweck es erfordern. Die freie Wohlfahrtspflege_ ist die wertvollste Bundesgenossin in der Ertüchtigung des Hilfsbedürftigen zur Selbsthilfe, in der Heilung und Linderung sozialer Schäden, Das deutsche Volk reiht allen Kulturvölkern die Hand in dem ernsten Streben, dem sozialen Fortschritt in der ganzen Welt zu dieuen. (Abgeordneter Thälmann: Schwindel! Glocke des Präsidenten.)

Die Reichsregierung wird deshalb auch fürder regen Anteil nehmen an den Arbeiten des Funternatioualen Avbeitsamts.

Noch lastet die Wohnungsnot mit all ihren schädlihen Folgen auf unserem Volke. Fhre Bekämpfung durch Förderung des Wohnungsbaues wird nachdrücklichst betrieben werden, so daß der \{chlimmste Notstand in einigen Jahren behoben sein wird; dabet ist zu berücksihtigen, daß Wohnungen vor allem dort herzustellen sind, wo man dauernder Arbeitsgelegenheit sicher ist. Dem land- wirtschaftlichen Wohnungsbau wird deshalb besoudere Aufmerk- samkeit geshenkt werden müssen. (Hört, Hört! bei den Kommus nisten.) Verbesserter Wohnraum i bei entsprechenden Löhnen die Vorausseßung für vermehrie Einstellung deutscher Arbeiter auf dem Lande. Dem Fortschreiten des Wohnungsbaues muß der Abbau der Wohnungszwangswirtschaft schritiweise folgen, damik in absehbarer Zeit normale Verhältnisse im Wohnungs- und Baus wesen herbeigeführt werden.

Das private Kapital wendet sih erfreulicherweise wieder in verstärktem Maße dem Baumarkt zu. Die Reichsregierung wird diese Entwiklung mit allen Mitteln fördern, wobei die Bereit- stellung öffentlicher Gelder für den Kleinwohnungsbau noch für Fahre erforderlih fein wird.

Sozialpolitik seßt lebensSfähige Wirtschaft voraus, sie ist aber auch zugleih die Voraussezung für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft; was sie von der Wirtschaft erhält, gibt fie ihr als Arbeits- und Kaufkraft wieder zurück. Diese Wechselwirkung bindet Arbeiter und Unternehmer in einex natürlihen Gemein=- schaft, die aber auch innerlich empfunden und willig getragen sein will; in ihr ist der eine nit mehr als der andere und jeder für den anderen verantwortlich, Die Solidarität der Arbeiter und Unternehmer wird die Reichsregierung mit allen Mitteln und in jeder Hinsicht pflegeu. (Lachen und Zurufe von den Kommunisten.)

Die Größe der sozialen Not, deren möglichste Linderung na meinen bisherigen Ausführungen Richtpunkt dec Maßnahmen den Reichsregierung sein muß, braucht uns andererseits niht zu vers anlassen, an der wirt\{aftlihen Wiedererstarkung unseres Landes zu zweifeln.

Die wachsende Verflehtung Deutschlands in die Weltwirtschaft, sein steigender Anteil am Weltmarkt berechtigten ebenso wie deutlihe Anzeichen der Erholung seines Binnenmarktes von der schweren Krise des Winters 1925/26 zu der Hoffnung wirtshaftlihen Wieder« aufstiegs unseres Vaterlandes. Deuts{blands Wirtschastslage in der Gegenwart aber ist gekennzeichnet durch die Tatsache, daß Millionen von Menschen, welche arbeiten wollen, keine Arbeitsgelegenheit haben, und daß diese Arbeitslosen sowie weitere Millionen von Alten und Sdwadhen, von Arbeits- und Krieg8invaliden dur die Listungen der- jenigen ernährt werden müssen, für wele Arbeitsgelegenheit noch vors banden if. Die Ursachen dafür liegen in den Nahwirkungen des Krieges, in dem Verlust wichtigster deuts{er Produktionsgebiete, in der Zerstörung deutscher Vermögen durch Liquidation, Reparation undi Fnflation, ia der Veränderung der weltwirtshaftlihen Struktur, endli in dem mehr und mehr aufkfommenden System [ih ab- {{ließender Handelsstaaten fast des ganzen Auslandes, das dem deutschen Export \{werste Hemmungen bereitet. Diese Notlage dur Entwicklung aller deutshen Produktivkräfte nah außen und innen zu überwinden, betrahtet die Reichsregierung als eine ihrer Hauptks- aufgaben.

Sie wird deshalb dur Ausbau unseres Handelsvertragswerks und durch Exportförderung den Absaß unserer Wirtschaft auf dem Weltmarkt zu erweitern tatkräftig bemüht sein. Alle Maßnahmen, die bestimmt und geeignet sind, wirtschaftéfeindlibe Schranken zu bes seitigen und Wirtschaftssolidarität der aufeinander angewiesenen Wirts- schaftsgebiete zu wecken, wird sie bereitwillig unterstüßen. Sie wird sih an der Weltwirtschaftskonferenz durch tätige Mitarbeit beteiligen, Deren Ergebnis wird für die endgültige Gestaltung unserer Handels- und Zollpolitik von Bedeutung sein.

Die Pflege unserer heimischen Landwirtschaft wird sich die Reichs- regierung ganz besonders angelegen sein lassen. Sie ift davon dure drungen, daß sie damit niht allein dem landwirts{cha!tlichen Besißer in seinem \{chweren Ringen beisteht, und für die landwirtschaftlichen Arbeiter und Kleinbauern die Voraussezung für die dringend nok- wendige Verbesserung ihrer Lebenëgrundlage schafft, sondern, daß dur die zu schaffende Hebung des ländlichen Konsums (andauernde lärmende Unterbrechungen von den Kommunisten; Präsident L 3 be: Meine Herren, ih bitte um Ruhe!) allen Gewerben ein lebhafter Impuls gegeben, der Beschäftigungsgrad der industriellen Arbeiter erweitert und mittelbar die deut|che Handels und Zahlungébilanz verbessert wird. Der Landwirtscha\t ist dund die Ungunst der zurückliegenten Jahre eine große Sghuldenlast erwachsen, die aus lautenden Erträgen nicht abgegolten werden faun und deren Zinëhöhe zu der geringen

Nentabilität lantwirts@aftliGer Beirkebe außer Verkbältnis ftebt, Es

wird darau? Bedacht genommen werden müssen, daß die I|chwebeuden Schulden der Landwirticbaît in langfristigen Realfredit zu tragbaren Bedingungen überführt werden und daß ein Sinken des allgemeinen Zmsfußes“ au den landwirtschaftlihen Schuidnern zugute fommt. Daneben muß die Landwintshait mit allen Mitteln tin ibrem Bes sireben unterflügt werden, die Versorgung der Bevölkerung fo weit irgend mögli aus eigener Erzeugung zu decken und damit in immer steigendem Maße Einfubren landwiitscha|tliher Produkte entbehrlich zu machen. Nur durch Sicherung des Ertrages der landwirtscha!t- lien A1beit wird gelingen, eine gefundere Vevöifkerungêverteilung anzubabnen, daß Abfirömen der landwirt)chaftlihen Bevölkerung in die Städte von ielbst aufzuhalten und den Arbeitêmarkt durch das Festhalten und Anwerben geeigneter Arbeitskräfte auf dem Lande zu

entlaften.

Die Reichsregierung ist sich bewußt, daß die Wiederaufrihtung unserer Volkswirtschaft auch die Gesundung des Mittelstandes in Handel und Gewerbe voraussegt. Die Erhaltung einer möglichst großen Anzahl leistungstähiger Eigenbetriebe in Handwerk, Handel und Ge- werbe halten wir für eine volfswirt1chattlih soziale und sozialpolitische Notwendigkeit. (Lebhafte Zurutke von den Kommunisten.) (Präsident Ls be: Ich bitte wiederholt um Ruhe, meine Herren!) Sie wird daher der besonderen Notlage weiter Kreise des mittel- ständischen Gewerbes sowohl in der Gewerbegeteßgebung, wie auch auf anderen Gebieten der Gesezgebung nah Möglichkeit Rechnung tragen. Zur Förderung des Handwerks foll u. a. der Entwurf einer Novelle zur Gewerbeordnung dienen, die wichtige handwerkerliche Fragen neu regeln wird.

So notwendig die Organisation von Erzeugung und Absaßÿ ist, so wenig Deutschland auf die starken Kräfte der großen wirt scaft- lichen Organisationen verzihten kann, lo )ehr muß monopol1sti\che Ausbeutung des deutchen Marktes verhindert und dafür ge)orgt werden, daß die Ergebnisse der wirt)chattlich fortaes@rittenen Oraanitatton8- formen und der sich entwidelnden Nationalisierung allen Teilen der Bevölkerung zugute kommen. Die Rationalisierung bätte ihren Zweck verfehlt, wenn sie niht zur Hebung der Kau!kraft und der Lebenshaltung des deutschen Volkes fühien würde. Die Reichs- regierung wird sich nah Kräften tür die Erreichung dieses Zieles einsegen. Dazu gehört auch die Förderung der Kapitalbildung und weitere Senkung des Zinsfußes fowie Erleichterung der Kredit- gewährung.

Eine vordringlihe Aufgabe der Hebung des Binnenmarkies ift die Versorgung mit billiger Energie, sei es als elektrischer Strom, sei es als Kraft- und Wärmegas. Organishe Verbindung der ge- trennten Erzeugungéstätten, einheitlihen und zwedmäßigen, den wirt- \haitliden Bedürfnissen der Allgemeinheit entsprehenden Ausbau wird die Reichsregierung tatkräftig fördern,

Ziel aller Einzelmaßnahmen der Reichsregierung auf dem Gebiete der Wirtschaftsvolutik ist Autgleih der Interessen und Eingliederung aller Wirtschaftekrätte in den Dienst am Gemeinwohl. An diesem Ziele joll auch der Neicbéwirt)la}tsrat mitwirken, nah dessen endgültiger Konstituierung die Reichsregierung die im Artikel 169 der Reichsverfassung vorgetelene Mitwirkung. der Arbeiter und Angestellten in der Wirt\chaft im Geiste der kürzlih im Vorläufigen Neichs- wirt)attèrat zustande gekommenen Einigung weiter ausbauen wird.

Nuf dem Gebiet der Nechtépflege harren große Autgaben der E1ledigung. (Stürmishe Nute der Kommunisten: Amnestie!) Der Entwurk eines Allgemeinen Deutschen Strafge)teßbuhs, der uns auch die Rechtseinheit mit Oesterreich auf diejem wichtigen Gebiet bringen soll, wird voraussihtlich in diesem Frübjahr dem hohen Hause vorgelegt werden. Damit in engster Verbindung steht der gleichfalls vorbereitete Entwurf des Strafvolizugsge)eßes, durch den der alte Wunsch nach einer reidhégeseßlihen Regelung des Strafvollzugs verwirklicht werden soll. Die Erwartung |\cheint berechtigt, daß das große Merk der Stratrectsre*orm, an dem seit Jahrzehnten gearbeitet wird, noch in der gegenwärtigen Wahlperiode des Reichstags zu Ende ge- führt werden fann. (Andauernde Rufe von den Kommunisten: Wo bleibt die Amnestie!)

In der tätigen Mitarbeit an der Gestaltung und Fortbildung der zwischenstaatlihen Rechtsbeziehungen sieht die Reichsregierung eine wichtige Gegenwartéautgabe. Mit dem Gefühl aufrichtiger Be- friedigung begrüße ih deshalb -den dieser Tage erfolgten Ab- {uß eines deutsch - österreihishen Abkommens über Vor- mundichafts- und Nachlaßangelegenheiten. Lebhasten Anteil nimmt die Meichöregierung an der bevorstehenden Privatrechtskonferenz im Haag, der eine Konferenz in Rom über das Urheber- recht folgen soll, sowie auh an den vom Völkerbunde ausgehenden Bestrebungen, auf wirtschaftlih bedeutsamen Nechts- gebieten, inébesondere dem des Schiedégerichtswesens, eine Rechts- annäherung der Kulturstaaten anzubahnen. (Zwi)chenrufe von den Kommunisten.)

Die von dem Deutichen Juristeutag zur Prüfung der Reforms- bedürftigkeit des Aktienrechts eingeseßte Kommision hat ihre Tätig- Feit begonnen. Die Mitarbeit des höchsten Organs der deutschen Suriftenwelt bet dieter für das gesamte Wirtschaitsleben besonders bedeutungêvollen Aufgabe ist lebhaft zu begrüßen, Neben und unabhängig von dieien Beratungen nimmt die Prüfungéarbeit der Neichöregierung ihren Fortgang, die mit Beschleunigung gefördert werden joll.

Mit ernster Sorge sieht die Reichsregierung, wie Necht- sprechung und Gerichte Angriffen in der Oeffentlichkeit aus- gefeßt sind, die oft über das zulässige Maß weit hinausgehen. (Sehr wahr! bei der Deutschen Volkspartei.) Jede sachliche Kritik soll willkommen sein. Die NReichéregierung ist fich dessen wohl bewußt, daß die Justiz, um ihren hohen Beruf zu exfüllen, des Ver- trauens des Volkes bedarf, und wird zur Festigung diejes Vertrauens tun, was in ihren Kräften steht. (Erregte Zurufe von den Kommunisten.) Die Richter werden an ihrem Teil bemüht bleiben müssen, ihr Ver- ständnis für die Bedürfnisse des Volks- und Wirtschaftslebens unserer Zeit fortdauernd zu vertieten. Das hohe Gut der richterlichen Un- abbängigkeit, die unentbehrlihe Grundlage jeder geordneten Nechts- vflege, ist die Reichtregierung gewillt, mit allen Mitteln zu schüßen. (Andauernde stürmische Zurure von den Kommunisten. Gegenrufe rechts, Große Unruhe. Glocke.)

Meine Damen und Herren, id möchte es mir versagen, auf sonstige Gebiete des öffentlihen Lebens noch des näheren in diesem Augenblick und an dieser Stelle einzugehen (Wiederholte Zu- rufe von den Kommunisten, Glocke. Präsident Löbe: Herr Abgeordneter Hoernle, ih bitte Sie, rubig zu sein!) und die Auf- fafjung der Regierung zu zahlreichen weiteren Problemen darzulegen,

S@&on die In der Reglerunaserklärung erwähnten Aufgaben sind außferortentlich umfassend und erfordern zu ihrer Lölung die ganze Tatkrajt der Reichéregierung. Sie wird das ist ihr au?richtiger Wille mit Ernst und Festigkeit an die von ihr übernommene \chweie Arbeit herangebhen und ihr Bestes einsezen um auf dem Wege zum Wieceraufstieg unser Neih und Volk vorwärts zu bringen. Sie rechnet dabei auf die Mitarbeit der deutshen VoUsvertretung, i \sich aber bewußt, daß nur das einige ge)hlossene Zusammenhalten unseres Volkes und der sich aus dieser Geschlossenheit ergevende Wille imftande ist, unsere Arbeit fruchtbar zu gestalten. Möge uns eine jolche Unterstüßung niht versagt tein! An zielbewußter Führung und Einiaÿ ihrer ganzen Kraft wird es die Regierung nicht tehlen lassen. (Lebbafter Beifall bei den Regierungsparteien. Andauernde Rufe von den Kommunisten: Nieder mit der Bürgerblockregierung! Wo bleibt der Achtstundentag ?)

Die Rede des Reichskanzlers wird vom Hause im allge- meinen mit großer Ruhe angehört. An einigen markanten Stellen ertönt Beifall aus den Reihen der bürgerlihen Par- teien. Viel Störung verursachen dagegen die Komuunisten durch Lachen und S ende Zurufe, die zumeist zum Ausdruck bringen, daß sie den Worten nicht viel Glauben shenken und Taten verlangen. Für einen auf der Tribüne nicht ver- tändlih werdenden Zwischenruf erhält der Abg. Rädel aae einen Ordnungsruf. Bei den Ausführungen über den sozialen Fortschritt ruft Abg. Thälmann (Komm.): Schwindel! Ex wird dafür vom Präsidenten Löbe zur Ord- nung gerufen; als er den Ruf wiederholt, wird erx zum zweiten Male zur Ordnung gerufen und auf schärfere Malnábien im Falle der Wiederholung aufmerksam gemaht. Gegen Schluß der Rede bemächtigt sich des Hauses wachsende Unruhe. Die Kommunisten rufen: „Langweilige Geschichte! Das Zentrum hläft ja ein!“ Auch einzelne Schlußrufe ertönen. Der Prä- ident muß wiederholt um Ruhe bitten. Bei den Ausführungen über die Rechtspflege verlangen die Kommunisten stürmisch die Amnestie und rufen: “Qlassenjustiz! Heraus mit den politi- schen n Als der Reichskanzler geschlossen hat, zollen

Die Kommunisten antworten darauf mit dem Ruf: „Nieder

mit dem Bürgerblock!“

Präsident Löbe macht Mitteilung von dem Eingang dreier Mißtrauensvoten. Sie lauten: s

Die Reichsregierung hat niht das Vertrauen s Reichs- tages. Koch-Weser, Erkelenz (Dem.) und Genossen. (Gelächter rets, Zischen links.)

Die Reichsregierung besizt niht das Vertrauen des Reichs tags. Thälmann, Torgler (Kommunisten.) :

Reichskanzler Dr. Marx und Reichswehrminister Dr. Geßlex besißen niht das Vertrauen des Reichstages. Stöcker (Kommunist) und Genossen.

Das Haus tritt sofort in die Besprechung der Regierungs- erklärung ein. Der erste Redner

Abg. Müller - Franken (Soz.) wird von dem Kommunisten Thälmann begrüßt mit den Worten: „Fch hatt? einen Kameraden!“ Der Redner ührt aus: Das Programm, das wir in der umsang- reihen Erklärung des Reichskanzlers Mary gehört haben, ist 1n manchex Beziehung leidlih. Aber es hat lange gedauert, bis die Stabilisierung dieser Harmonie zustande gekommen ist, die den Eindruck erwecken soll, daß die in der Regierung zusammeit- geschlossenen Parteien gemeinsam in dieser Richtung arbeiten wollen. Es sind einige unharmonishe Auseinanderjezungen dem vorangegangen, und zwar niht nur über Programmpunkte, ondern ih denke dabei auch an das Geraufe ‘m1 die Vêinister- r Wie oft hat man uns Vorwürfe gemacht über die Lang- amkeit und die Art, wie früher Regierungen gebildet worden ind! Aber Szenen wie diesmal sind doch noch nicht dagewejen. (Sehr richtig! links.) Die Deutschnationalen mußien sogar ab- stimmen darüber, wer Minister werden sollte, und die „Deutsche Tageszeitung“ berichtete sogar, daß die Deutshnationalen Anspruch auf fünf Ministersiße hätten, weil sie ihrer Stärke nah 44 Pro- zent der Regierungskoalition ausmachten. (Heiterkeit.) Nun, da- mit sind sie niht durhgekommen, aber immerhin haben aus- gerechnet die Deutschnationalen aus der Prozentrechnung Prosit ziehen wollen. (Schallende Heiterkeit links.) Fahrelang haben die Deutschnationalen gegen den Parlamentarismus gewühlt

Kabinett gehörten. Aber gerade sie haben jeu! durhgejeßt, daß der Fachmann Krohne in „unsahliher“ Weise, wie fch die „Nationalliberale Korrespondenz“ ausdrüdckte, erseßt wurde. Und was ist zustande gekommen? Ein Ministerium der Mehrheit mit zwei Stimmen! Wenn wir noch das alte Wahlrecht hätten, dann müßte es eine Freude sein, dieser Mehrheit Wahlniederlage auf Niederlage beizubringen. Die sozialdemokratishe Fraktion hat nie eine solhe Prozentrechnung ausgemacht. Wenn ganz. im Gegensay zu der bisherigen Tradition des Zentrums diese Re- gierung doch gebildet wurde, 10 wollen wir feststellen, daß das in der ‘Haupt}ache Schuld der Deutschen Volkspartei ist. (Sehr wahr! links.) Jn der Erklärung dieser Partei vom 12. Januar 1924 wurde gesagt, daß sie Kern und Ausgangspunkt aller bürger- lihen Volkskräfte werden wolle. Das hat Herr Scholz jept zu- wege gebracht, er ist der Vater dieses Büroerblocks, an dem er nachträalich aber wohl niht viel Vaterfreude erleben wird. (Heiterkeit.) Die Liberale Vereinigung hat in einer öffentlichen Erklärung hon während der Regierungsbildung da! vor Gefahren, die dem Deutschen Volk aus dem Konkordat drohten. Das ist etwas, was die Deutsche Volkspartei von dex alten Nationalliberalen Partei geerbt hat. Sie ist jeßt mit der Aus- gangspunkt des Bürgerblocks, aber Kern wird sie sicher nicht sein in der Vereinigung zwishen Deutshnationalen und dem Zentrum. Diese ENTAE, wivd allen s{chönen Erklärungen um E nicht die alte Regierung Marx-Stresemann-Geßler in, aus der seinerzeit die Deutschnationalen austraten. Freilich in der Außenpolitik ist wenig zu ändern. Bei den Berhand- lungen über die Militärkontrolle hätte eine andere Regierung mehx auh nit erreiht, und es wird niemand gelingen, zu be- weisen, daß das durch den Eintritt der Deutschnationalen ge- shehen wäre. Der Redner zitiert einen Artikel Hugenbergs im „Tag“ von Anfang 1926, wonach zwischen der Deutshnationalen Volkspartei und der Deutshen Volkspartei draußen im Lande kein anderer Unterschied sei, als daß die leßtere von Stresemann geführt werde, die erstere niht. Später wurde vor Stresemann gewarnt als dem Unglück des Deutschen Bürgertums. Jeßt ist aber die ganze “Deutschnationale Volkspartei zu Stresemann über- gegangen, und er n niht mal etwas von seinem Nobel» preis dafür abzugeben. (Heiterkeit.) Zweifellos hat Reichskanzler Dr. Marx eine Shwenkung vorgenommen, wobei ih ihm gewiß subjektiv den besten Glauben zubillige. Aber objektiv liegt die Sache anders. Wenn seine Partei aus irgendwelchen Gründen glaubte, eine so große Schwenkung vornehmen zu müssen, so hätte der Reichskanzler im Gedenken an seine eigene Vergangenheit und seine wiederholten eigenen ErLGeungen das Steuer einem anderen überlassen müssen. Es hätte völlig genügt, wenn dieses

Kabinett einen Vizekanzler gehabt hätte, der sagte: „Hier stehe ih, ich kann auch anders.“ (Heiterkeit.) Das Zentrum ist Scritt vor Schritt vor der Deutschen Volkspartei !"fonsequent und

hat die Linie unterbrochen, die es seit 1918 konsequent inne- gehalten hat. Das Zentrum war im Laufe der legten Jahre allmählih aus einer O lisse des u einer republikanischen

Partei geworden. Die Beschlüsse des Zentrums sind wesentlich beeinflußt worden durch die Entscheidung der S SNeL

Der Redner erinnert an die Kölner Rede Stegerwalds und

ihm die Parteien der bürgerlichen Nees lebhaften Beifall.

und ins Land hinausgeshrien, daß eigentlih Fachminifter ins.

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zitiert Stellen aus dem Bericht der „Westdeutschen Arbeiters zeitung“ aus dieser Rede. Darin heißt es u. a.: „Je weiter wir uns von der Revolution eutfernt haben, desto kecker und frecher ist die Reaktion hervorgetreten. Unter allen Umständen muß eine katasirophale Entwicklung verhindert werden.“ Was Herrn Stegerwald im Dezember noch unmöglih schien, ist jeyt dur die Beschlüsse der Zentrumsfraktion moglih geworden. Ehe eine Rechtsregierung kommt, so sagte Stegerwald, is die Auslösung vorzuziehen. Äber das Zentrum wollte die Auflösung vermeiden, obwohl die Deutsche Volkspartei und die anderen Regierung8- rteien vielmehr Furcht vor einer Auflösung haben mußten. nn in England, im Mutterlande des Parlamentarismus, eine derartige grundlegende Aenderung in der Regierunguusammen. seßung stattfinden sollie, wäre der Appell an die Wählerschaft eine Belbstverständilchkeit gewesen. Aber aufgeshoben ist nicht aufgehoben, und wir werden uns in wenigen Monaten wieder darüber sprechen. Der Reichskanzler hat heute zu Beginn jeiner Rede gesagt, er sei gewillt, den alten Kurs weiterzusteuern. (v hat an die Spige der Kasse seinen Freund Köhler geseyt. Wir shäßen Köhler sehr, und wenn wir die Ueberzeugung hatten, daß alle Minister auf dieser Bank auf dem republikanischen Boden ständen, könnten wir vielleiht etwas Vertrauen zu ihnen haben. So haben wir es aber nicht zu den Ministern, die aus den Reihen der Deutshnationalen gekommen sind. J) sehe mit gewisser Sorge Herrn Köhler an diesem Playe. Unbegreiflich bleibt mir immerhin, wie ausgerechnet ein Mann wie der Abgeordnete Graef sih so dazu gedrängt hat, Justizminister in dieser „Zuden» republik zu werden. (Heiterkeit. Zurufe rechts: Das ijt {T Schwindel!) Eine solche Demütigung einer Partei, wie es 1m Falle Graef gewesen ist, ist noch wicht vorgekommen. (Lebh. Zustimmung links.) Wenn si die Deutschnationale Volkspartei das gefallen ließ, fann man erkennen, von welchem Machthunger sie beseelt ist, Es wird ih ja zeigen, warum die Deutschnationalen in dieje Regierung gegangen sind und was sie für die Kreise herauszuholen versuchen, die hinter ihnen stehen. Es ist uns vom Reichskanzler bers sichert worden, daß auch die Deutschnationalen seinen Richtlinien zus gestimmt haben. Es wird sih zeigen, ob diese Richtlinien nur für die Minister gelten und wieweit sie sih in der Agitation drauzen bemerkbar machen. Wenn es sih nicht nur um ein Lippenbekenntms handelt, könnte man sagen: welde Wendung durch Gottes Fügung, vamentlich in der Außenpolitik. No auf dem ersten deutshnationalen Parteitag 1919 erklärte Hugenberg, er fürchte, daß das Reich als Gerichtsvollzieher der Entente zusammenbrehen müsse, und es wäre vielleidt besser gewesen, wenn das Neih im Kriege zerschlazenw worden wäre. (Hört, hört! links.) Die Deutschnationale Volksparteü stimmt nun dem Londoner Abkommen und den Locarnoverträgen und dem rechtmäßiaen Zustandekommen dieser Verträge zu. Dann wird man auch die Methoden dieser Außenvolitik anerkennen müssen. (Abg. v. Kemniß [D. Nat.]: Nein!) Aha! Ein fo hervorragender Diplomab wie Herr v. Kemniß sagt {on nein! (Bewegung.) Aber zunu mindesten werden die Deutschnationalen die elsaß-lothringishe Grenze anerkennen müssen, denn die Außenpolitik soll} doch niemals fur Fwei- deutig aetrieben werden können. Allerdinas"jollte das auch für die innere Politik gelten. Die monarcistis@de Gefahr scheint ja nit groß zu sein, Die Deutschnationalen begnügen sich mit dem Ersaß des Heidelberger Borussen Domela. (Schallende Heiterkeit links.) Wer wir müssen abwarten, wie künftig der Artikel 48 der Verfassung ausgelegt wird. Unter Gbert haben die Deutschnationalen immer vas Ausführunasgeseß zu diesem Artikel verlangt. Jeßt haben sie die Be- leaenheit dazu, es uns vorzulegen. Das Protokoll zu den Richtlinien i uns leider noch nicht vorgelegt worden. Die Deutschnationalen sollen darin die „organisde Fortentwicklung der Verfassung“ verlangs haben. Auch darüber werden wir hoffentlich bald Klarheit bekommen. Die Schwenkung der Deutschnationalen war überhaupt nur möali, weil fie den Druck der Wehrverbände niht mehr so stark fühlen. Diese haben in der Reichswehr nichts zu suden. Aber hier kommt es weniger auf schöne Reden als auf scarfes Durchgreifen an. Wiv haben jedenfalls zu dem Reihswehrminister kein Vertrauen, daß ev das durdführt, was er sieben Jarhe lang unterlassen hat. Dieses Mißs- trauen ist auf das ganze Kabinett übertragbar. Wir warten die Taten ab. Nun, die Deutsce Volkspüärtei will ja einen dritten Ministeu haben: wenn die Tane Geßlers gezählt sind, kann sie diese_Forderung durchfübren, und dann kann sie zeigen, was an ihr ist. Sie will ja immer Traditionskompagnie der alten Nationalliberalen Partei sein, (Heiterkeit.) Das Notaeseß über die Arbeitszeit muß bald konmimewn und au die Ratifikation der Washingtoner Abkommen m!ß bald erfolgen. Die deutscben Arbeiter warten darauf. Der neue Minister Kocb hat kürzlich aesagt, seine deutshnationalen Parteifreunde müßten ihr Brot mit den hungernden Erwerbslosen teilen. Er hat ihnen zugerufen: Seid Christen der Tat! (Hört, hört! links.) Wir sind aern bereit, an diesem Christentum der Tat mitzuenbeiten. Die bürgers liben Parteien und die Arbeiterklasse, das ist der Gegensaß der Terminoloaie von Karl Marx. Wir freuen uns, daß der Reihê- vräsident diesen Gegensaß in einem offiziellen Dokument anerkannt hat, als er Wilhelm Marx beauftragtéKeine bürgerliche Mehrheit8- regierung zu bilden. Der Marxiêmus scheint doch Fortschritte zw maden. (Heiterkeit links, Lachen rechts.) Allerdings soll diess büragerlihe Megierung auch die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertreten. Wir werden abwarten, welhe Früchte der bürgerliche Klafseneaoismus traaen wird. Gegen die Mietserhöhung haben wir die allers{wersten Bedenken, wenn nit gleichzeitig Lohnerhöhungen durchgeführt werden. (Abg. Stegerwald [Zentr.]: Anders macben wir es aud nit!) Die Sozialdemokratische Partei wird alle Kraft daranseben, daß die formale Gleichberechtigung den Arbeitern, Ane aestellten und Beamten niht nur auf dem Papier zusteht, sondern daß sie au in die Tat umgesekt wird. Der Arbeiter soll in unserem Staate niht nur Objekt, sondern Subjekt der Geseßgebung fein. Darum is uns dieser Staat nicht gleihoültig. Wir waren zur Mito arbeit bereit. Man hat uns unter dem Druck des Besikbürgerblock zurückoewiesen. Wir wünschen dieser Regierung ein baldiges Inde. Aber je länger sie am Ruder bleibt, um so s{öner wird unsen Weizen blühen. Wir werden au unter dieser Regierung kämpfen für die freie deutsbe Republik. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Aba. Graf We star p (D. Nat.): Das Ziel, das wir uns auf dem Kölner Parteitag vom 9. September 1926 geseßt hatten, und das wiv seitdem in gerader Linie verfolgt haben, ist erreiht. An Stelle einev Minderheitéregierung der Mitte, die nach unserer Auffassung zu stetiger Unsicherheit aller Regierungsverhältnisse und zu verhängnis- voller Abhängigkeit von der Sozialdemokratie führen mußte, ist eine feste Regierungsmehrheit der Parteien vom Zentrum bis zu uns ge- bildet worden. Das kann und soll ein Wendepunkt in der inneren politishen Entwicklung werden. Sie bietet jedenfalls zunigE eine geeignete Grundlage für „eine auf feste Regierungsverhältnisse sih stüßende und fördersame Jnnen- und Außenpolitik. An Stelle des ungeheuren vorbereitenden Aufwandes an Zeit und Kraft, an Nerven- anspannung und gegenseitiger Erregung, die mit den ewigen Negierungskrisen in den Zeiten der Minderheitskoalitionen verbunden ist, soll nunmehr wieder ruhice und praktische Arbeit am Aufbau des Vaterlandes treten. Um dieses Zieles willen haben auch wir {were Entsc{lüsse fassen und große Opfer bringen müssen, die bei uns und unseren Freunden im Lande manch ernste, durh den bisherioen äußeren Gang der Verhandlungén verstärkte Sorgen und Bedenken hervor- gerufen haben. Das gilt für das sa{lihe wie für das persönliche Gebiet. Eins darf id vorweg mit aller Bestimmtheit aussprechen: Opfer unserer Ueberzeugung, unserer grundsäßlichen Einstellung auf die Ziele unseres Parteiprogramms sind von uns nicht gebracht oder in Aussicht gestellt worden. Wir haben volles Verständnis dafür ge» habt, daß die Zentrumsfraktion den gerade für ihre ‘agg und den Herrn MNeichskanzler {weren Entschluß der Abkehr von Links orientierung und Politik der Mitte mit einer Kundgebung ibrep programmatishen Auffassungen begleitet hat. Aber es darf festaestellb werden, dal das sogenannte Zentrumsmanifest überhaupt niht Geaens stand der heeb ahndunaën cewesen ist, und den man von uns ein Bes Fenntnis zu den darin ausgesprohenen Grundsäßen gar nicht verlangt hat. Völlig selbständig in unserem Programm Fen die anderen Parteien und wir uns lediglich über die praktischen Aufaaben der Politik geeinigt. Die durh Indiskretion veröffentlihten Richtlinien eben in ihrex Beschränkung auf einice einzelne Sue fie voll» itändiges Bild. Die Indiskretion öffnete Verdrehungskünsten, mit

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