1927 / 36 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 12 Feb 1927 18:00:01 GMT) scan diff

Nichtamtliches.

Preußen.

Jn der Bibliothek der Preußischen Geologischen Landesanstalt, Berlin N. 4, Invalidenstr. 44, tönnen die Klassen 1a—e, 5a—d, 10c, 12e, 18a—e, 19f, 21g, Gr. 30, 21h, 40a—4d, 42c, 421, Gr. 13, 15e, 78e, 80a—d, 84e der vom Reichspatentamt herausgegebenen Patentschriften ein- gesehen werden.

Deutscher Reichstag.

269. Sißung vom 11. Februar 1927, nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger. *)

Um Regierungstishe: Reichskanzler Dr. Marx, Vize- kanzler Hergt, Reichsminister des Jnnern von Keudell. Präsident L ö b e eröffnet die Sißung um 14 Uhr. __ Auf der Tagesordnung steht das kommunistische Mißtrauensvotum gegen den Reichsminister des Junnern von Keudell und die kommunistische «Znuterpellation wegen der Beherbergung der Olympia auf einem Gute des Herrn von Keudell. Abg. Torgler (Komm.) begründet die kommunistishen An- träge. Der Reichskanzler habe sich mit Herrn von Keudell solidarisch evflärt. Das Zentrum wolle den {Fnnenminister nicht fallen lassen, gleihgültig wie das Ergebnis der Untersuchung sei. (Unruhe im Zentrum.) Der Reichskanzler wollte ursprünglich eine Erklärung vor der Tagesordnung abgeben, um eine Aussprache zu verhindern. Das sei eine unerhörte Vergewaltigung. (Der Präsident rügt diese Ausdrucksweise und stellt fest, daß über den Umfang der Aussprache nicht der Reichskanzler entscheidet, sondern der Reichstag.) Eine erhebliche Angst des Zentrums vor den R O Arbeitern habe abe” diese Absicht verhindert. Der Redner klagt den Fnnen- minister von Keudell an, daß er Mitglicd einer staatsfeindlichen, seit 1926 verbotenen Organisation gewesen wäre und noch sei. Jn ein sogenanntes „Sommerlager“ der Olympia auf dem Gute des Herrn von Keudell Hohen Lübbichow seien absolvierte Mittelschüler und Studenten gebracht worden, die durch einen Leutnant Frigen im Kleinkaliberschießen, Geländeübungen usw. unterrichtet worden seien. Die jungen Leute seien in einer Scheune untergebracht gewesen. Am Geburtstage des Herrn von Keudell, der in der Gast- wirtschaft zu Hohen Lübbichow gefeiert sei, habe Herr von Keudell die baldige Wiederherstellung der Hohenzollernmonarchie herbei- gea Bei der Uebersiedlung des Ferienlagers auf das Gut es Herrn von Hülsen habe Herr von Keudell, an dem die jungen Leute in Uniform im E T (Heiterkeit) vorbeimarschiert seien, jedem einzelnen freunds yaftlih die Hand gedrückt. (Erneute Heiteu.cit.) Auf dem Gute des Herrn von Hülsen sei dann auch Scharsschießen geübt worden. Herr von Keudell habe an der staats- [Oen DaGgreie der „Olympia“ mitgewirkt. Dem Reichstag abe er etnen gewaltigen Vären aufgebunden. Er habe ver- {{hwiegen, daß die Gruppe des Jungdeutshlandbundes, die er 1926 in einem Ferienlager bei sich gehabt habe, nur dex Deckmantel hes eine Gruppe der Olympia gewesen sei. Herr von Keudell habe em Reichstag also wissentlih die Unwahrheit gesagt. An einer Besprechung vom 30. Fanuar 1926, in der man die Ausstellung von &reifompagnien angeblich zur Unterstüßung der Reichs- wehr bei Verhängung des Ausnahmezustandes besprochen habe, abe Herr von Keudell mitgewirkt. Auch für den Leiter des tüstriner Putsches Major Buchrucker sei er chüßend eingetreten. Herr von Keudell habe also siherlih den Befähigungsnachweis er- bracht, daß er der geeignete Mann für den Posten des Junen- ministers 1m Sinne der Erklärung des Reichskanzlers ist. Durch seine Ausrede in der Kapp-Putschsache habe Herr von Keudell be- wiesen, daß er niht einmal den primitivsten Mannesnmut auf brin e, den man verlangen könne. (Lebhafte Pfui-Rufe rechts Prästdent Löbe rügt den Ausdru.) Die vie t Marx werde sih eben als eine gegen die Arbeiter gerichtete Regierung er- weisen. Für einen Y chen Kappisten seße sich das Zentrum ein, spreche ihm sogar volles Vertrauen aus und opfere ihm zuliebe den Abgeordneien Dr. Wirth, der doch immerhin noch an einer gewissen republikanisch - demokratishen Jdeologie festhalte. (Stürmische Heiterkeit.) Herr von Keudell werde sih bei den Ver- handlungen Uber das Reichskonkordat dafür dankbar erweiïen. Sozialdemokraten und Zentrum würden sih, so sagt der Redner voraus, über kurz oder lang auch wieder gegenseitig in die Arme sinken. Die Opposition der Sozialdemokraten werde sich äußerst lahm und zahm gestalten.

Reichskanzler Dr. Marx: Meine Damen und Herren! JFch glaube, daß ih dem Wunsche weiter Kreise des hohen Hauses entspreche, wenn ih mich nicht auf die Anfrage der ZFnterpellation beschränke, sondern den gesamten Fall von Keudell hier vor Fhnen erörtere. In der Sizßung vom 5. Februax habe ih erklärt, es liege im eigensten Fnteresse des Herrn Reichs3ministers Dr. von Keudell, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sofort nach- gepruf\t würden. Fch habe hierbei betont, ich würde persönlich diese Untersuchung in die Hand nehmen und möglichst beschleu- nigen. Heute bin ih in der Lage, dem hohen Hause die erforder- lihen Auskünfte zu geben.

Dieser Untersuchung, die ih streng objektiv, sachlich und leidenschaftslos vorgenommen habe, habe ih alles Material unter- worfen, das mix aus Dienstakten und Mitteilungen aus der Oeffentlichkeit in diesen Tagen zugegangen ist, so daß ih in der Lage gewesen bin, mir ein zuverlässiges und abschließendes Urteil zu bilden. Es sind gegen den jeßigen Herrn Reichsminister des JZunern zunächst Vorwürfe erhoben worden wegen seines Ver- haltens als damaliger Landrat des Kreises Königsberg in der Neumark während der Tage des Kapp-Putsches. Jch möchte hier im allgemeinen bemerken, daß es sich um Königsberg in dex Neu- mark handelt, einen Ort, der niht weit von der Grenze des Kor- ridors entfernt liegt. Herr Dr. von Keudell hat bereits in diesem hohen Hause zugegeben, daß ex im März 1920 Bekannt- machungen des Militärbefehlshabers veröffentliht hat. Jns- besondere hat Herr von Keudell unter anderem Bekanntmachungen des Militärbefehlshabers als Sonderblatt des amtlichen Kreis- blattes für den Königsberger Kreis veröffentlicht und diese Ver- öffentlihungen auch als Plakate verbreiten lassen. Diese Ver- öffentlihung der Bekanntmachungen geshah auf ausdrüdliche Anweisung des ständigen Stellvertreters des von seinem Anmtssiß Frankfurt an der Oder damals abwesenden Regierungspräsidenten Bartels, nämlih des Oberregiexungsrates Keller. (Hört, hört! rets). Jch bitte Sie, sich in die Lage des Landrats von Königs- berg, einem fleinen abgelegenen märkischen Landstädtchen, verseßen zu wollen. Frgendwelche Nachrichten übex einen unmittelbar bevorstehenden Umsturz waren ihm nicht zugegangen, der voll- zogene Staats\streih äußerte sih infolge der sofoxt eintretenden Unterbindung aller Nachrichtenwege doch zunächst ausschließlich in dem völligen Ausbleiben überhaupt jeglt{cher Mitteilungen.

*) Mit Ausnahme der dur Sperrdruck hervorotbobenen Yieden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind,

Fnfolgedessen konnten auch die Kundgebungen der alten recht- mäßigen Regierung in diesen ersten Tagen nicht nah Königsberg gelangen. (Zuruf von den Kommunisten: Nur die von Kapp!) Fawohl, weil das der Militärbefehlshaber war, der sie zunächst hatte, mein lieber Freund (Stürmische Heiterkeit). Die erste positive Nachriht war die erwähnte Anordnung des Militär- befehlshabers mit der Forderung ihrer Bekanntgebung. Um nichts zu versäumen, hat Herx Dr. von Keudell sofort den stell- vertretenden Kreisrat Grafen Finckenstein nach Frankfurt ertt- sandt, damit dieser sih bei der Regierung über die Lage informiere und Weisungen einhole. Graf Finckenstein hat ihm über seine Feststellung bei der Regierung in Frankfurt an der Oder mit- geteilt, der stellvertretende Regierungspräsident habe ihm über die Lage nichts Neues mitteilen können, habe dem Landrat aber den Auftrag gegeben, dem Befehl der Militärbehörde zu folgen. (Hört! hört, rechts). Eine telephonishe Verbindung zwischen dem Landrat und Berlin oder mit Frankfurt an der Oder war auch während der nächsten Tage niht zu erreihen. Es war daßer für den damaligen Landrat auch nicht möglich, zuverlässige Nachrichten über das tatsächlihe Schicksal der Regie- rung Bauer zu erhalten. (Zurufe links.) Eine Unterdrückung etwaiger Bekanntmachungen der Regierung Bauer ist überhaupt niht in Frage gekommen. Während der Kapp-Tage war das Landratsamt lediglich auf die Nachrichten dex Militärbehörde angetviesen.

Sowie die erste Nachricht von der Rückkehr der verfassungs- mäßigen Regierung durch die Militärbehörde eintraf auch diese Nachricht ist erst durch die Militärbehörde eingetroffen, es war dies am 18. März 1920 —, hat sie Herr von Keudell an die nachgeordneten Stellen umgehend weitergegebenz; er hat die vorhin erwähnten anderslautenden Bekanntmachungen sofort widerrufen und darüber hinaus die sofortige Einziehung der etwa hon verteilten Plakate angeordnet. (Heiterkeit und Zurufe links.) Insbesondere die Nachricht über die Rückehr der Regierung Ebert-Bauer, welche der Oberpräsident von Brandenburg am 20. März 1920 telegraphisch mitteilte, hat Herr Dr. von Keudell umgehend zur sofortigen weitestgehenden Verbreitung bekannt- gegeben. (Zurufe links.)

Es ist nun in diesem Zusammenhange auch die Rechtsfrage aufgeworfen worden, ob Herr Dr. von Keudell als Landrat nicht die Bekanntmachungen des Militärbefehlshabers hätte unter- drücken müssen, auch troß der ausdrüdklihen Anweisung der Regierung in Frankfurt a. O., da diese geseßwidrig gewesen sei. Demgegenüber muß ih folgendes feststellen. Nach der ganz über- wiegenden Auffassung der Rehtsprehung und des Schrifttums ausdrüct!iche geseßlihe Bestimmungen fehlen in der preußischen Geseßgebung hat ein Beamter in erster Linie zu gehorchen, und er hat insbesondere dann zu gehorchen, wenn eine ausdrück- lie Anweisung der vorgeseßten Dienstbehörde vorliegt (Zurufe links), und das war hier der Fall. Jch wiederhole: der vor- geseßten Dienstbehörde vorliegt, niht der Militärbehörde. Jch weise ferner darauf hin, daß damals der militärishe Ausnahme- zustand bestand, und zwar vor dem Kapp-Putsch, und es war nah den damaligen Bestimmungen über den Ausnahmezustand die volle Befehls8gewalt auf die Militärbefehlshaber übergegangen. Auch nach diesen Bestimmungen war Herx von Keudell verpflichtet, jedenfalls berehtigt, den Anordnungen des Militärbefehlshabers Folge zu geben.

Eine der ersten Pflichten des Landrats besteht darin, für Ruhe und Ordnung in seinem Kreise zu sorgen. (Heiterkeit links.) Selbstverständlih ist diese Pfliht ganz besonders dann gegeben, wenn Unruhen drohen oder sogar shon vorhanden sind. Es war eine gegebene und zweckmäßige Maßnahme des damaligen Land-

s, an der Zäckericker Oderbrücke und an der Saldernbrüdcte seine wenigen Gendarmen aufzustellen. (Lachen links.) Die Be- deutung diesex Maßnahmen wird dann besonders klar, wenn man einen Blik auf die Landkarte der dortigen Gegend wirft. Der ohne weiteres einleuhtende Zweck dieser Maßnahmen war, ein Nebergreifen von Unruhen aus der Richtung Eberswalde auf den Kreis Königsberg zu verhindern, da es an der Grenze dieses Kreises bereits zu Blutvergießen gekommen war. (Zurufe links.)

Es ist fernex behauptet worden, Herx Dr. von Keudell habe gegen die Stadt Bärwalde einen in Küstrin aufgestellten Panzerzug auffahren lassen (Heiterkeit rechts), der Bahnhofsvorsteher habe aber diesen Panzerzug auf einem Nebengleis abgestellt. (Erneuïe Heiterkeit rechts.) In der Tat ist die Entsendung eines Panzer- zuges nah Bärwalde ausschließlich auf Anordnung des Koms- mandanten von Küstrin erfolgt. (Hört, hört! rechts.) Herr Dr. von Keudell hat von dieser Entsendung sowie von der Existenz des Panzerzuges nachträglih Kenntnis erhalten.

Was weiter den behaupteten unzulässigen Druck auf den Vertrauensmann des Landarbeiterverbandes anlangt, so ist rihtig, daß Herr von Keudell mit diesem Vertrauensmann in dem Büro des Mühlenbesißers Karge in Bärwalde zusammen- getroffen ist. Herr von Keudell hält es auch für mögli, daß ex gemäß dex ihm von dexr Militärbehörde erteilten Weisung, jeden Streik im nteresse der Nahrungsmittelversorgung des Kreises zu verhindern, den Vertrauensmann vor einer Propagandatätigkeit zugunsten eines Generalstreiks gewarnt hat. (Zurufe links.) Keinesfalls aber hat Herx von Keudell Aeußerungen über sein Verhalten am 9. November 1918 (Zurufe links. Glock@e des Präsidenten) und das demnach einzustellende Verhalten des Vertrauensmannes des Landarhciter=- verbandes gemacht. Dies wird durch die freiwillige Aussage und das freiwillig übersandte Zeugnis des Mühlen- besibzers Karge bestätigt, das erst gestern eingelaufen ist. Weiterhin ist in diesem hohen Hause ausgeführt worden, der Bürgermeister von Mohrin im Kreise Königsberg habe die Be- kanntmahungen des Militärbefehlshabers entgegen der Weisung des Landrats nicht verbreiten wollen und sie liegen gelassen. Darauf habe ihm der jeßige Reichsinnenministec für den Fall, daß ex sih weiter passiv verhalte, Bestrafung im Dienstaufsichts- wege angedroht. Auf Anfrage hat jeßt der frühere Bürgermeister von Mohrin, der inzwischen aus seinem Amt geschieden ist, aus- drücklih versichert, daß der damalige Landrat ihm keineswegs die erwähnte Bestrafung im Dienstaufsichtswege angedroht habe. Wie mir ergänzend Herr von Keudell erklärt hat, habe es über- haupt niht in seinen Gepflogenheiten gelegen, einem Bürger- meister Strafen anzudrohen. Es wird also diese Behauptung absolut bestritten (lärmende Zurufe von den Kommunisten), wenn Sie das von mir ganz deutlih hören wollen; Sie scheinen

rats

sehr {wer von Verstand zu sein. (Zuruf von den Kommunisten:

Von dem Reichskanzler erwarten wir nichts anderes.) In einem Teil der Presse ist auch eine Versammlung sämtlicher Amtsvorsteher des Kreises Königsberg in dem Schloß des Grafen Finckenstein in Trossin erwähnt worden. Es ist behauptet worden, diese Versammlung habe unmittelbar vor den Kapp-Tagen statt- gefunden. Jedenfalls ist ein gewisser ZusammenhaŸg mit dem folgenden Kapp-Putsh angedeutet worden. Herr Dr. von Keudell hat mir versichert, daß derartige Zusammenkünfte. in bestimmten Zwischenräumen - regelmäßig stattgefunden hätten (hört, hört! links), um gemeinsame Maßnahmen zur Behebung wirtschafiliher Schwierigkeiten zu beraten. So habe denn auch zur erwähnten Zeit eine derartige Besprehung stattgefunden, in der aber mit feinem Wort von einem etwa bevorstehenden Putsch gesprochen worden sei. (Andauernde Zwischenrufe von den Kommunisten.) Jh mache Sie darauf aufmerksam, daß es Jhre Aufgabe ist, das Gegenteil dessen zu beweisen, was ih hier vortrage. Wenn Sie das Gegenteil behaupten, so müssen Sie es auch beweisen, Wenn ih Jhnen die gegenteilige Behauptung bringe, dann liegt es an Jhnen, zu beweisen, daß Jhre Behauptungen wahr sind. Aber Sie können jegzt niht ohne weiteres behaupten, daß meine Feststéllungen unrichtig sind. Jh habe die Untersuchung gegen Herrn Dr. von Keudell durhgeführt und stelle hier fest, was ih als Ergebnis meiner Untersuhung ermittelt habe. Mehr können Sie nicht verlangen. (Zuruf von den Kommunisten: Sie sager ta doch nur, was Jhnen Herr von Keudell erzählt hat!)

Am 19. Mai 1920 ist Herr von Keudell gemäß § 3 der Preußishen Verordnung vom 26. Februar 1919 in den einst- weiligen Ruhestand verseßt worden. Herr von Keudell hat nun am 20, April 1920 in einex Besprehung mit dem Regierungs- präsidenten um beschleunigte Untersuchung seiner Haltung wähs- rend der Kapp-Tage gebeten. Er hat nichts unversucht gelassen, um diese Untersuchung herbeizuführen. Am 18. Mai 1920, nah- dem er gehört hatte, daß alle in Betracht kommenden Landräte gehört werden sollten, jedoh nur auf Antrag, hat ex bei dem Dezernenten für Kapp-Untersuchungsausshüsse beim Ober- präsidium Brandenburg s{riftlich den Antrag gesiellt, von dem Unttersuhungsausshuß gehört zu werden. (Hört, hört! rechts und in der Mitte.) Eine Untersuhung oder ein Disziplinarverfahren ist jedoch niemals eingeleitet worden. (Hört, hört! rechts.) Herr Reichsminister von Keudell ist in dieser Beziehung bis heute noch ohne jede Nachricht.

Wenn ih in der Sißung vom 5. Februar von einem Antrag des NReichsministers Dr. von Keudell auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gesprochen habe, so wax das ein Frrtum von mir. Es handelte sich niht um einen Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens, sondern um einen Antrag auf Ein- leitung eines Untersuhungsverfahrens vor dem damals ein- geseßten Kapp-Ausshuß. Anh daraufhin ist also nichts erfolgt, während es Herr von Keudell war, der beantragt hatte, daß seine Angelegenheit möglihst bald von den zuständigen Untersuchungs- ausshüssen untersuht und geprüft werde. Dagegen ist unterm 22. Juli 1921 Herr von Keudell von dem Preußishen Minister des Ynnern (i. V. Freund) im Einverständnis mit dem Preu- ßishen Finanzminister vorübergehend der Regierung in Stettin zur Leitung eines Ausschusses zux Feststellung von Kriegsschäden überwiesen worden. (Hört, hört! rechts.) Er hat diese amtliche Stelle aber nicht antreten können, weil erx damals, wie dur ärztlihes Attest belegt wurde, krank war und auf Anweisung seines Arztes eine längere Kur duxchmachen mußte. Eine amtlihe Ueberweisung nach Stettin hat Herr von Keudell keinesfalls lediglich als Sparmaßnahme der Preußishen Regierung oder viellciht als einen Wink aufgefaßt und auffassen können, sein Abschiedsgesucch einzureichen. Vielmehr glaubte exr die Berufung an die Stettiner Regierung dahin auffassen zu sollen, auch die Preußishe Staatsregierung wolle wieder beginnen, ihn in dem atliven Staatsdienst zu verwenden.

Diese Auffassung des Herrn von Keudell wird noch dur folgende Tatsache ganz besonders unterstüßt. Fm März 1924 sollte Herr von Keudell zum Regierungsrat bei der Regierung in Arnsberg ernannt wevden. Aus den Personalakten geht her- vor, daß der Erlaßentwurf sowohl von dem Herrn Preußischen Minister des Funern, in Vertretung Freund, als auch von dem Herrn Preußischen Finanzminister bereits gezeichnet worden war. (Lebhafte Rufe rechts: Hört, hört!) Der Erlaß ist jedoch im lezten Augenblick nicht abgesandt worden, weil Herr von Keudell inzwischen um seine Entlassung aus dem Staatsdienst gebeten hatte (erneute Rufe rechts: Hört, hört!), die ihm auch mit Ablauf des 31. März 1922 erteilt worden ist. Aus der Tatsache, daß die Preußische Regierung entgegen ihrem Vorgehen in anderen Fällen troy vorliegenden Antrages von einem Untersuhungs- verfahren gegen Herrn von Keudell abgesehen und auch keinen Anstand genommen hat, Herrn von Keudell alsbald, niht nur vorübergehend, sondern in neuer amtlicher Stellung auch dauernd wieder in den Staatsdienst aufzunehmen, glaube ih den Schluß ziehen zu dürfen, daß auch die Preußische Staatsregierung dantals hon sein Verhalten nicht so beurteilt hat, daß sie eine neuerliche Berufung in ein Staatsamt für ausgeschlossen hielt. (Sehr rihtig! rechts) Jch komme nunmehr zu dem sogenannten Küstriner Putsh im Fall Buhrucker. Wie ih bereits vor einigen Tagen amtlih habe mitteilen lassen, steht fest, daß der jetzige Herr Reichsinnenminister sich keinesfalls mittelbar nah den! Küstriner Putsh bei Oberst Gudowius für den Major a. D. Buchrucker verwendet hat. Er hat vielmehr den Obersten Gudowius einige Tage nah dem Putsch lediglih zu dem Zwecke aufgesuht, um ihm dafür zu danken, daß er durh seine Haltung gegenüber dem Putshversuch von seinem Heimatkreise Königs- berg i. d. Neumark, in dem Küstrin liegt, chwere Unruhen abgewendet habe. (Lachen links.) HZugunsten des Majors Buchrucker ist Dr. von Keudell weder bei dieser noch bei anderer Gelegenheit eingetreten. Ex hat den Küstriner Putsch stets aufs shärfste verurteilt.

Es sind weiter aus Anlaß der Unterbringung junger Leute auf dem Gute des Herrn Reichsministers des Jnnern Hohen- lübbihow Vorwürfe gegen ihn erhoben worden, insbesondere il der heute zur Verhandlung stehenden Juterpellation der Kommu nistishen Fraktion. Herr von Keudell ist jahrelang von den ver shiedensten Organisationen angegangen und gebeten worden, er möge Mitglieder für einige Zeit auf seinem Gute unterbringen- Herr von Keudell hat jahrelang in weitestgeßendem Maße solche Gastfreundschaft geübt und sich bemüht, alle Wünsche nah Möòg-

lichkeit zu erfüllen. (Andauernde Zurufe links,) Er hat ues 4

andevem aufgenommen: JFndustriekinder aus dem Ruhrgeblet ört, hört! rech:8), Mitglieder von Bibelkränzhen (Lachen und urufe links), er hat den Bund jüdischer Pfadfinder aufgenommen (lebhafte Rufe rets: hört, hört!), er hat in8besondere stets Mit- jeder des Jungdeutschlandverbandes aufgenommen, der ein absolut unpolitischer Verband ist. Untergebraht wurden die ngen Leute regelmäßig auf dem Vorwerk, das 3 bis 4 Kilometer von dem Gutshaus entfernt liegt. Herrn von Keudell war es önlich fast nie möglich, sich um diese Gäste zu kümmern, er mußte das gewöhnlich seinem Verwalter überlassen, der in diesen Fragen weitestgehende Vollmacht besaß. Der Oberst von Luck und der frühere Verband Olympia sind rern von Keudell nur aus der Presse bekannt. (Lachen und Zurufe links.) Es ist möglich, daß Herr von Keudell den Obersten von Luck auch einmal flüchtig persönlih kennengelernt hat, be- sinnen kann er sih darauf aber nicht. Auf Grund der Auf- zeichnungen auf seinem- Gute ist Herr von Luck einmal in An- wesenheit des Herrn von Keudell im Jahre 1924 einen Tag auf dem Gute gewesen.

Meine tatsächlihen Feststellungen berubzn dahex fast aus- shlicßlih auf Aussagen anderer Personen (lebhafte Zurufe links: des Herrn von Keudell!) anderer Personen! —, ins- besondere auf Aussagen der jeweiligen Leiter der Ferienlager. Es fann hiernach festgestellt werden, daß in dec Tat im Fahre 1924 ein Lager der Jungmannen des ehemaligen Verbandes Olympia durch Vermittlung des Bundes Fungdeutschland in Hohenlübbichow eingerihtet war. Daß der Verband Olympia erst am 12. Mai 1928 von der Preußischen Regierung verboten worden ist, dürfte dem hohen Hause bekannt sein.

Jm Fahre 1926 war der JFungdeutschlandbund auf dem Gute untergebracht, der ein unpolitisher Verband is und in keiner Weise eine neue Zusammenfassung ehemaliger Olympia-Jugend unter anderem Deckmantel darstellt. Die jungen Leute erhielten stets freie Unterkunft und Verpflegung. Eine militärische Aus- bildung fand nicht statt, also auch keine militärische Schießaus- bildung. Schießsport wurde nur wenig getrieben (aha! bei den Kommunisten), und nur mit den erlaubten Kleinkalibergewehren. (Große Unruhe und erregte Zurufe auf der äußersten Linken. Glocke des Präsidenten.) Fa, meine Herren, bei Jhnen ist das Urteil schon gesprohen. Erlauben Sie, daß ih im Reichstag wenigstens das vortrage, was ih bei meiner Untersuchung fest- gestellt habe. (Fortdauernde Unruhe links. Glocke.)

Jh betrachte es als eine Unverfrorenheit ersten Ranges, mir das zu erklären. Jh glaube, daß ih meine Pflicht zu tun weiß; sorgen Sie dafür, daß Sie die ihre tun! (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. Glocke des Präsidenten.)

Ob im Jahre 1924 der Sportlehrer des in Hohenlübbichow untergebrachten Lagers ein aktiver Offizier, ein Leutnant Szaller, gewesen ist, weiß Herr von Keudell aus den bereits angegebenen Gründen aus persönlicher Kenntnis niht. (Zurufe von den Kommunisten.) Von anderer Seite is jeßt mitgeteilt worden, daß in der Tat ein Leutnant Szaller während seines Urlaubs damals die jungen Leute sportlih und turnerisch ausgebildet hat. (Zurufe links.) Das ist aber auch nah der Stellungnahme des Reichswehrministeriums durhaus erlaubt, Das Reichswehr- ministerium betont, es sei durchaus das Recht des jungen aktiven Offiziers, in seiner dienstfreien Zeit nah Kräften sich der Stählung der Jugend zu widmen und daran zu arbeiten. (Erneute Zurufe links.) Die Leitung des Jungdeutshlandbundes hat mitgeteilt HSerx von Keudell weiß auch das aus eigener Kenntnis niht —, daß im Fahre 1926 der Lehrer Frizmann und der Leutnant a. D. Warnabß das Lager in Hohenlübbichow geleitet haben. Herx Warnah war damals schon lange aus dex Olympia ausgeschieden. Ex sowohl wie Herx Frißmann standen im vorigen Fahre {hon längere Zeit in der sportlihen Fugendarbeit. Dex Hauptmann a. D. Wakerzapp, ein angeblicher Unterführec dex früheren Olympia, ist Heren von Keudell nur flüchtig bekannt. Nähere Verhandlungen mit ihm übex eventuelle Unterbringung junger Leute haben stets die Gutsbeamten geführt. (Lachen bei den Kommunisten.)

Da Herx von Keudell sich um die Sommerlagex auf seinem Gute nie gekümmert hat, ist die Behauptung auth völlig abwegig, ex habe selbsi einmal eine Nahtübung geleitet. Herr von Keudell bestreitet das auf das bestimmteste. Daß er vielleicht einmal sich von den jungen Leuten mit einigen Worten verab- shiedet hat, hält ex für möglich (Aha! bei den Kommunisten Unruhe bei den Deutschnationalen); keinesfalls hat ex hierbei von einem Kampfe gegen den äußeren und inneren Feind gesprochen. Auch das bestreitet Herr von Keudell aufs entschiedenste. (Abg. Dittmann: Der geeignete Hüter der Reichsverfassung!)

Jch komme nun zu dem leyten hier zux Erörterung gebrachten Fall, dem Fall des Herrn von Tresckow. Jn der Tat haben die Grundbesißer dex Königsberger Gegend den Verkehr mit Herrn von Tresckow abgebrochen, keinesfalls jedoch deshalb, weil „Tresckow als Komtur des Jungdeutshen Ordens sih aben- teuerlihen Diktatuvbestrebungen entgegenstellte“. Das ist in der Presse behauptet worden. An der Beschlußfassung hat Herr von Keudell niht teilgenommen, vielmehr hat er kurz vorher- an einem Vermittlungsversuh mitgewirkt. Die Herren haben den Verkehr mit Herrn von Tresckow deshalb abgebrochen, weil er einen groben Vertrauensbruh begangen hat, indem erx vertraulich zu behandelnde Dinge preisgab. (Rufe links: Aha!) Bei diesen Dingen handelt es sich ih kann das mit allex Bestimmtheit hier erklären weder um Diktaturbestrebungen und ihre Be- lämpfungen, noch um irgend welhe Putshpläne. (Zurufe links: Sondern?) Soweit meine tatsächlichen Feststellungen.

Auf dieser Grundlage kann ih nach genauester und gewissen- hastester Prüfung sagen, daß Vorwürfe gegen Herrn Dr. von Keudell wegen rehtswidrigen Verhaltens in der Vergangenheit nicht be- rehtigt sind. Jch bin überzeugt, daß die überaus große Mehrheit dieses hohen Hauses nah dem, was ih mix mitzuteilen erlaubt habe, diese meine Auffassung teilen wird.

Ich möchte noch ein persönlihes Wort hinzufügen. Jh glaube, Herrn Reichsminister von Keudell als einen Mann kennen- gelernt zu haben, der sein Wort hält. (Lachen bei den Kommu- nisten.) J halte mich an sein Wort, an seinen Eid auf die Ver- fassung und auf die Zustimmung zur Regierungserklärung. Jch müßte es als fränkend für einen solchen Mann ansehen, wenn an der Ehrlihkeit seines Willens gezweifelt werden sollte. (Sehr rihtig! rechts.) Persönlich glaube ih, auf Grund meiner ganzen Vergangenheit die Gewähr dafüx zu bieten, daß die gesamte

Tätigkeit au der neuen Reichsregierung sich nur auf dem Boden der bestehenden Verfassung und unserer Staatsform bewegen wird. Gerade nah den Besprechungen, die ih in den leßten Tagen mit Herrn von Keudell gehabt habe, habe ih die Ueber- zeugung gewonnen, daß ih in dieser meiner Tätigkeit in der Person des Herrn Reichsministers des Fnnern Dr. von Keudell einen treuen Helfer gefunden habe. (Lebhafter Beifall rehts. Lachen und Zurufe links. Beifallskundgebungen auf der Tribüne.)

Präsident L ö b e macht darauf aufmerksam, daß Beifall8- bezeugungen auf den Tribünen unzulässig seien und droht im Wiederholungsfall Ausweisungen von der Tribüne an.

Reichsminister des JFnnern Dr. von Keudell: Jh habe es neulich nicht für erforderlih gehalten, eine Erklärung ab- zugeben, in der ih das, was ih vor wenigen Tagen beshwor, erneut bekräftigte. Es widerstrebte mir innerlih, hierdurch für meine Person zu werben. Es widerstrebte mir auch, irgend- einem Mitglied des hohen Hauses zu unterstellen, daß es mir eine Verleßung meinex Eidespflichht zutraue.

Nah den Worten des Herrn Reichskanzlers stehe ich aber niht an, zu erklären und zu erwidern:

Es ist bei meiner Lebensauffassung für mich allerdings eine Selbstverständlichkeit, daß ih zu meinem Eide stehe und die mir durch mein Amt als Verfassungsminister auferlegte besondere Pflicht, für den Schuß und das Ansehen derx deut- {hen Republik zu sorgen, mit größtem Ernst und größter Ge- wissenhaftigkeit zu erfüllen beabsichtige.

(Lachen und lärmende Zurufe von den Kommunisten.) Daß Wort- laut und Fnhalt der Regierungserklärung, der ih im Kabinett zugestimmt habe, für mich bindend sind, ist gleichfalls selbstverständ- lich. (Andauernde laute Zurufe von den Kommunisten. Glocke.) Die warmen Worte, die der Herr Reichskanzler an meine persönliche Adresse gerichtet hat, finden bei mix lebhaften Wider- hall. Was in meinen Kräften steht, werde ich tun, um ein wahrhaft vertrauensvolles Zusammenarbeiten zu gewährleisten. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. von Guérard (Zentr.): Nach den Feststellungen des S Reichskanzlers und durch die eben gehörte Erklärung des Herrn Reichsinnenministers sind die Vorausseßungen erfüllt (Ge- lähter und Unterbrehungen bei den Kommunisten), die wir an unser Vertrauensvotum vom 5. Februar geknüpft haben. Dieses Vertrauensvotum erstreckt sih daher auf das ganze Reichskabinett. Wir lehnen die gegen den Herrn Reichsinnenminister vorgelegten Mißtrauensanträge ab. (Beifall rehts und in der Mitte. Lärm bei den Kommunisten.)

Abg. Landsberg (Soz.): J habe am 5. Februax d. Y. meine Angriffe gegen Herrn von Keudell auf die Tatsache gesiüßt, daß er Verordnungen der sogenannten Kapp-Regierung als reht- mäßige Verordnungen herausgab. Heute stüße ich mich bei meinen Ausführungen aus] Glieblig auf jene Vorgänge. Jch bin nit in der Lage, zu dem Fall „Olympia“ Stellung zu M Ben obwohl ih sagen muß, daß die Auskunft des Herrn Reichskanzlers mih nit sehr beruhigt hat, Denn die Feststellung, daß die „Olympia“ auf dem Gute des Herrn von Keudell nux ein wenig Schießsport trieb, erinnert mich sehr an jenes junge Mädchen, das zwar ein Kind hatte, das aber nur ter klein war. (Heiter- keit links, Lebhafte Zurufe rechts: „So eine Frechheit !“) Jh finde die Verteidigung des Herrn von Keudell nit sehr glück- li, daß er nux vor dem Verbot mit der „Olympia“ im Verkehr gestanden habe. Wegen ihres Verhaltens ist ja gerade die „Olym- pia“ verboten worden. Entgegentreten muß 1ch dex Bemängelung der Glaubwürdigkeit des Arbeiters Sasse, die Herr von Keudell sih Hherausgenommen hat. Sasse ist nicht mein Vertrauensmann gewesen, aber, was ich indirekt über die Unterredung des Herrn von Keudell mit Sasse erfahren habe, ist volllommen wahr bis auf die eine Tatsache, daß Herr von Keudell es für ausgeschlossen hält, daß er zu Sasse gesagt habe, ex selbst habe sich im November 1918 gesügt und jeßt müsse sich auch Sasse fügen. Mein Material habe ih nicht von der preußischen Regierung erhalten. Die \o- zialdemokratische Partei hat nah dem Kapp-Putsch über alle Be- amte, die sich nicht als zuverlässig gezeigt haben, Nachforshungen angestellt, und das ist auch in Königsberg (Neumark) geschehen. Jh halte auch die gesellschaftlihe Achtung, deren Bedeutung ich als geborener Kleinsiädter sehx genau kenne, für etwas, was nicht zu verantworten ist. Jh wundere mich, daß ein Mann wie Herx von Keudell, dem ih persönliche Vornehmheit nicht ab- sprehen würde, sih an diesem Boykott beteiligt hat. Ueber diese Sache habe ih allerdings niht genügend Material. Aber zu den Hauptanklagen wegen der Veröffentlichung von Verordnun=- gen der Kapp-Regierung muß ih nochmals deutlich Stellung nehmen, da die Verteidigung des Herrn von Keudell durch den Reichskanzler nich aufs tiefste geschmergt hat. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Fch weiß, daß der Reichskanzler sich lieber tôten lassen würde, als seinen Eid zu verleßen, abex wie in aller Welt konnten Sie, Herx Reichskanzler, Rechtsausfüh- rungen machen, die sih wie eine nahträglihe Rechtfertigung aller der Beamten anhören, die beim Kapp-Putsh ihrem Eid untreu wurden. Der- neue Staat muß, um gzu leben, von seinen Be- amten verlangen, daß sie verfassungstreu sind. Deshalb werden sie ja vereidigt. Wie sih ein Veamter während des Kapp-Putsches zu benehmen hatte, haben die Unterstaatssekretäre des Reiches und Preußens gezeigt; sie haben erklärt, daß sie Befe "e nur von der rechtmäßigen Regierung annehmen und daß Kapp und Lütt- wiß sagen Tönnten, vas sie wollten; sie würden darauf nicht achten. Nach dem, was ich heute vom Reichskanzler gehört habe, fürchte ih, daß sich damals die Untersiaatssekretäre \trafbar gemacht J Der Reichskanzler sagt, die damalige reht- mäßige Regierung habe den BelagerungSzustand proklamiert, und deshalb sei die Gewalt béi den Militärbefehlshabern gewesen. Wenn ein General die Verfassung untstößt und den Reichstag und Landtag nah Hause shickt, dann kann ex sih doch nicht darauf be- rufen, daß die legitinmte Negierung den Belagerungszustand verhängt habe, die doch nur ihren Befehlshabern die Getvalt übergeben hat. Dem Redner wird von rechts zugerufen: Der 9.- November! Daraufhin bemerkt der Redner: Wenden Sie (nah rets) sich an JFhren Freund Lambach, der einmal behauptet hat, daß der 9, November eine Notwendigkeit der Geschichte gewesen ist. Herx Reichskanzler, Sie sind ja doch Jurist, Sie können gar nit bestreiten, daß Befugnisse, die kraft des Gesetzes allein der Recht- sprehung gehören, von niemand anders in Anspruch genommen werden können. (Abg. Giebel (Soz.) ruft: Unglaublich, so ein N Abg. Giebel wird vom Präsidenten Löbe zur Ordnung gerufen.) Am 14. März 1920 hat die P a Re- gierung sich an die Beamten mit einem Aufruf gewendet, worin es heißt: „Beamte, Euch bindet niht nur die politische Einsicht, ondern auch der Eid auf die Verfassung; Fhr habt der ver- assungsmäßigen Regierun zu folgen. Wer die neue Regierung unterstüßt, bricht seinen Eid.“ Gleihwohl hat Herr von Keudell, der den Verfa sungseid geleistet hatte, am 15. März 1920 eine Verordnung des Befehlshabers im S anschlagen lassen, die sih auf den Standpunkt des Kapp-Putsches stellt, denn ge aa t von der „ehemaligen Regierung Ebert-Bauer“, gibt also urch das Wort „ehemalig“ zum Ausdruck, daß diese Regierung gestürzt ist abenso wie die Verfassung, Diese Verordnung droht

trafen an demjenigen, der Verordnungen und Anordnungen der ehemaligen“ Regierung veröffentliht, und zwar Gefängnis- strafen. tun kann ih nicht annehmen, daß Herr von Keudell etwa iese Verordnung nicht gelesen hat. Wenn er sie aber gelesen hat, dann begreife ich nicht seine Vergeßlichkeit. Er hat hier erklärt, er könne sich des Wortlauts der Plakate nicht genau

entsinnen; es hätte wohl von Ruhe und Ordnung etwas darin estanden. Nein, es stand etwas anderes drin, daß nämli die *erfassung niht mehr bestehe. Jn PnTes Verordyung is zum Ausdruck gekommen, daß Herr von Keudell sich die Betrachtun der Dinge zu eigen machte, die Kapp und Lüttwiß hatten, daß sie an die Etelle derjenigen Regierung getreten seien, der Herr von Keudell den Eid geleistet hatte. ie Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung erforderte, daß jeder Beamte alles tai, um Kapp und Lüttwitz nicderzuringen. Die Wucht der Anklage, die sich auf die Verordnung vom 15. März 1920 stüßte, ist vom Zen- trum wohl empfunden worden. Sie vom Zentrum haben unter dem Gen Einderuck der Verordnung, die Sie selbst als etwas Unerträgliches und nicht zu Verantwortendes angesehen haben, die Unterbrehung dex Verhandlungen auf eine Stunde durchgeseßt und E in dieser Zeit Herrn von Keudell zu Erklärungen veranlaßt haben. Hinterher kam dann eine Erklärung des Abg. von Guérard, die man eine resolutiv bedingte Vertrauenskund- gebung nennen kann, und nun haben wir durch Herrn von Guérard ein definitives Vertrauensvotum für Herrn von Keudell erhalten. Meine Herren vom Zentrum, Sie haben damals in der Zeit der Kapp-Tage die Gefahr, die Kapp über Deutshland heraufbeschworen hat, genau erkannt. Fch entsinne mich eines flammenden Aufrufs der Zentrumspartei gegen Kapp. Wir wissen ja alle, vielleicht mit Ausnahme des Herrn von Keudell, daß damals die Gefahren dex Mainlinie und des Abfalles von Hannover wieder auftauchten. Und jeßt ilt das, wie es scheint, von Fhnen sehr rasch vergessen worden. Feßt kommt die Entshuldigung, daß Herr von Keudell sich auf grund des Belagerungszustandsgeseßes berechtigt halten konnte, den Befehlen eines Offiziers zu gehorchen, der das Ge- sey mit Füßen trat. Das ist jeßt hon der dritte Entshuldt- gungszettel für Herrn von Keudell. Jh zweifle nicht daran, daß er Regierungsrat Benner in Frankfurt, der kurz vorher den Re- S ELUNg N E eitian Bartels für abgeseßt erklärt hatte, Herrn von Keudell gesagt hat, er solle dem Befehl gehorhen. Aber Herr von Keudell selbst at uns ja neulich ertlärt, der Beamte habe selbst zu wissen, was er zu tun habe. Durch verfassungswidrige Befehle eines Vorgeseßten wird ein Beamter übrigens niemals gedeckt. (Zustimmung links.) Jch habe nichts dagegen, daß Herr von Keudell noch einmal ein Amt in einem Regierungskollegium erhalten sollte. Aber hier handelt es sich jeßt um ein Antt, in welchem er die Reichsverfassung zu hüten hat, und ein Mann, der einmal die Reichsverfassung verleßt hat, ist niht geeignet, Reichsinnenminister zu sein. (Lebhaste Zustimmung links.) Die Herren vom alten Stab sind nicht so tolerant gewesen, Ober- leutnant von Tehow hat im Fahre 1848 seinem Hauptmann nahe gelegt, das Zeughaus zu räumen. Er wurde dafür zu s{hwerer Strafe verurteilt, entkam allerdings nach Australien. Nah vierzig Jahren bat er als Greis auf deutshem Boden sterben zu dürfen. Die Antwort war die Erneuerung des Steckbriefes. (Hört! hört! links.) Solche Herzlosigkeit muten wir Fhnen nicht zu. Aber zwischen dieser Handlungsweise und der Belethung mit dem Posten des Reichsinnenministers gibt es doch noch Zwischen- stufen! Wenn Sie (nach rechts) außenpolitishe Erfolge haben, werden wir niht Neid, sondern größte Freude empfinden. Es wird noch die Zeit kommen, wo die Deutschnationalen behaupten, sie seien stets Anhänger der Erfüllungspolitik gewesen, nur wix hätten sie verhindert. (Heiterkeit.) Wir werden auch das zu tragen wissen. Aber wir rufen den anderen Völkern zu: das deutshe Volk bürgt Euch dafür, daß die begonnene Verständis gungspolitik fortgeseßt wird, ohne jede Unterbrehung! Wir rufen den auderen Ländern auch zu: Gebt die beseßten Gebiete endlich frei, denn die Beseßung ist ein Fremdkörper im Leibe des deutschen Volkes, der das Fieber des Nationalismus in ihm wah hält. Befreit uns von diesem Fieber im Junteresse des deutschen Volkes und in Eurem eigenen Juteresse! (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.)

Präsident Löbe macht Mitteilung von einem neu ein- gegangenen Antrag Koch-Weser (Dem.). (Aharufe rechts.) Der Antrag sagt, durh die Erklärung des Reichskanzlers würden die Bedenken nicht beseitigt, die gegen die Berufung des vormaligen Landrats von Keudell zum Reichsinnenminister bestünden wegen seines Verhaltens während des Kapp-Putshes, namentlih aber auch wegen des Boykotts gegen einen anders Denkenden. Reth§- minister von Keudell habe deshalb nicht das Vertrauen des Reichs-s tags.

Auf Vorschlag des Präsidenten werden der sozial demokratische und dex neu eingegangene demokratische Miß=- trauensantrag gegen Minister von Keudell noch mit auf die Tagesordnung gesetzt, damit sie gemeinsam mit dem kom=- munistishen Mißtrauensvotum noch heute zux Abstimmung gestellt werden können.

Abg. Freiherx von Richthofen (Dem.): Daß Herx von Keudell nicht so gehandelt hat, wie ein Landrat zu jener Zeit hondeln mußte, ist unbestreitbar. Die Deutshnationalen zeihnen sich aus durch das Vermeiden einer klaren programmatischen Stellungnahme, und Herx von Keudell hat gezeigt, daß er zu ihnen gehört. (Sehr A links.) Für uns aber ist auch noch die Staatsraison maßgebend. Jh hoffe nux, daß die praktische Auswirkung des Eides auf die Reichsverfassung, den Herr von Keudell jeßt geleistet hat, eine andere sein wird als die Aus- wirkung des Eides auf die preußische Verfassung, den er 1920 gebrochen ha1. Der Redner bezieht sich sodann auf die Denk- chrift des «Fungdeutshen Ordens, nah welhex Major Badicke Anfang Januar 1920 in Versammlungen im Kreise Königsberg (Neumark) erklärt hat, der Reichspräsiden! beabsichtige, gestützt auf Artikel 48 der Reichsverfassung, die Diktatur zu errichten, einen

und er habe dén e N mehrere Kompagnien für zu

„Wehrshubß“ im Kreise au U Man hat den damaligen Komtux des Jungdeutshen Ordens Herrn von Tresckow um seine Mitwirkung gebeten. Dieser hat zunähst Rückfrage bein Reichswehrministeriuum gehalten. Das Reihswehrmintisterium hat mit erfreulicher Deutlichkeit erklärt, daß von der Aufstellung von drei Kompagnien absolut keine Rede sei. Ueber dies Ver- halten des Herrn von Tresckow sind seine Standesgenossen Ret empört gewesen. Man hat ihn aufgefordert, aus dem Jungdeutshen Orden auszutreten. Er hat eine Einladung zu einer Besprechung erhalten, die auch von Herrn von Keudell untershrieben war. Man hat ihm dann die Unterschrift unter ein Schriftstück zugemutet, das an seine politishe Ehre und Ueberzeugung (egangen wäre. Er hat daher die Unterschrift abgelehnt. Darauf hat die Großgrundbesißershaft des Kreises Neumark jeden Verkehr mit Herrn von Tresckow abgebrochen und beschlossen, jede gesellige oder sonstige Veranstaltung sofort zu verlassen, auf der Herx von Tresckow ersheine. (Lebhafte3 Hört, hort! links.) Ausgerehnet gegen den Jungdeutschen Orden werde vorgegangen, der h auf den Boden der Außen- politik Dr. Stresemanns stelle. Die ganze Angelegenheit, um die es sih hier Anfang 1926 gehandelt habe, habe etne verzweifelte Aehnlichkeit mit der Lage vor dem Kapp-Putsh. Dieser gesell- shaftlihe Boykott bedeute einen Terrorismus. Feder aus olitishen Gründen verhängte Boykott werde von den Demo- raten auf das Aeußerste bekämpt. Er sei auch ‘das Kultur- widrigste, was man sich denken könne. Fn allen politish ge- festigten Staaten, wie etwa England usw., werde man eine der- artige verächtlihe Form der Betätigung Es Gegnerschaft nicht finden. Herx von Keudell sei also niht der geeignete Mann zum Schuße der Verfassung. Ec stamme aus einem Hause, in dem BismarckCshe Anschauungen zu Hause seien. Bi53marck habe aber immer Zuverlässigkeit und innere Ueber- zeugungstreue für alle Beamten, namentlich für an verant- wortungsvoller Stelle stehende Beamten für unerläßlih gehalten. Wix können nicht finden, so betont der Redner, daß eine von diesen beiden Eigenschaften in erheblihem Umfange bei Herrn Minister von Keudell vorhanden ist. Wir haben kein Vertrauen u dieser Regierung gemäß ihrex Zusammenseßung und ihrer Zeseßung. Wix haben aber ein ganz besonderes Mißtrauen gegen Herrn Reichsminister von Keudell.