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verständlih aufs tiefste von uns bedauert wirb. Jch habe auch die Länderregierungen wiederholt gebeten, ihr dur Stichproben- kontrollen von seiten der Gewerbeaufsihtsbeamten fowie duxch die Anweisung, für derartige Zwecke im allgemeinen keine Ueber- stunden zu genehmigen, entgegenzutreten. Jm Endergebnis wird man jedenfalls sagen dürfen, daß die einzelnen unerfvreulichen Begleitersheinungen in keinem Verhältnis zu den wertvollen positiven Auswirkungen der Arbeitsbeschaffung gestanden haben, (Zustimmung in der Mitte), die — ih betone das nochmals — für Hunderte von Millionen Mark zusäßlihe Arbeitsgelegenheit geschaffen hat.
Wir müssen auch scharf unters@heiden zwishen den im Hanus- halt des Reichs und der Länder ausgeworfenen Mitteln für die produktive Erwerbslosenfürsorge, insbesondere für die Notstands- arbeiten, und den durch das Arbeitsbeshaffungsprogramm im engeren Sinne verfügbar gemachten Mitteln. Jm leßteren Falle handelt es sih vornehmlih um Mittel anderer Justitute, wie der Reichsbahn und der Reihspost. Jhre Anwendung kaun die Reichsregierung nicht im gleicher Weise kontrollieven wie die An- wendung der zuerst erwähnten Geldmittel. Hätte fie es versucht, so würde das die Durhsührung des Arbeitsbeschafsungspro- gramms beträcht!lih gehemmt, wenn nicht gar in einzelnen Teilen gefährdet haben.
Die Klagen über Mißbräuche im Ueberstundenwesen waren allerdings in den leßten Monaten, insbesondere vor Weihnachten, außerordentlich lebhaft. Sie haben mich veranlaßt, dur die Reichsarbeitsverwaltung eine Untersnchung über den Umfang der NVeberstunden in vier wihtigen Judustriezweigen voruehmen zu lassen. Mehr läßt sich im Augenblick s{hon aus Gründen der Beschleunigung niht durhführen. Die Ergebnisse sind Fhnen bekannt. Es sind, wie gesagt, nur Teilergebnisse; ih habe das ausdrücklih in der Einleitung diesex Veröffentlichung Hervor- gehoben. Sie lassen auch keine Schlüsse auf andere, niht unter- fuhte Jndustrien zu. Aber sie zeigen immerhin, daß zeitweilig in einzelnen Jundustrien oder Betrieben beträhtlihe Ueberstunden gemacht worden sind (hört, hört! bei den Sozialdemokraten. — Zuruf von den Kommunisten: Vis zu fünf Stunden täglih!), während im allgemeinen der Schwerpunkt unserer Arbeitszeît zwischen 48 und 54 Stunden lag. Jm übrigen, meine Damen und Herven, komme ih auf die Frage der Ueberstunden und ihrer Bekämpfung im Zusammenhange mit der Arbeitszeitgefebgebung noch zurüd.
Den Weg der Arbeitsbeschafsung, den wir zur Milderung der Erwerbslosigkeit in den vergangenen Monaten beschritten haben, sehe ih noch keineswegs als abgeshlossen an. Erft neuerdings hat das Reichsarbeitsministerium die Reichsbahn gebeten, weitere zusäßlihe Aufträge zu erteilen. Die Reithseisenbahngesellschaft hat au dieser Bitte entsprochen.
Zu denjenigen Maßnahmen, die ih auf diesem Gebiete weiter- hin für besonders wichtig halte und für die ih mich nachdrücklih eingesezt habe nnd au weiter einsezen will, zähle ih insbesondere die Anpassung unseres Straßensystems an die modernen Ver- kehrsbedürfnisse. Hier besteht die große Gefahr einer Kirhturms- politik örtliher Jnstanzen, die der notwendigen Vereinheitlichung und ‘großzügigen Liñnienführung hemmend im Wege stehen würde,
nud die wir in Verbindung mit allen hier in* Betracht kommenden
Instanzen unter allen Umständen: verhindern müßten. Das NReichsarbeits8ministexium hat für diesen Zweck zunächst einmal Zinszuschüsse aus den, Mitteln der produktiven Exrwerbslosensür- sorge in cinem Umfang flüssig gemacht, daß 89 Millionen zu- säßlih für Straßenbauten verwendet werden konnten, und wird seine Bemähungen in dieser Richtung hin fortseßen.
Neben dieser Arbeitsbeschaffung im engeren Sinne Haben i
wir uns auch die Beschäftigung Erwerbsloser mit Hilfe dex produfktiven Erwerbslosenfürsorge weiterhin angelegen sein. lassen. Zweimal sind im Laufe des leßten Jahres die Bedingungen für die Förderung der öffentlihen Notstandsarbeiten erheblih €r- leichtert worden. Wie weit allerdings diese günstigen Bedin- gungen ausgenußt werden, hängt niht vom Reichsarbeits-
ministerium, sondern von der Junitiative und von dem finan-
gicllen Können der Länder und Gemeinden: ab. Bejondevs habe ih immer wieder áuf die Berüéfssihtigung der langfristig Er- werbslosen bei den Notstandsarbeiten gedrungen. Troßdem haben fih bei der langen Dauer der wirtschaftlichen Depwvession für diese noch besondere Maßnahmen als notwendig exwiesen, die in dem Gese über Krisenfürforge vom November 1926 ihren Niceder- ihlag gefunden Haben.
Anh innerhalb der unterstüßenden Erwerbslosenfürsorge find im Laufe des Jahres Erleichterungen und Verbessernugen ein- getreten. Jh erinnere an die mchrmaklige Erhöhung der Unter- stüßungssäße, an die Einbeziehung der höher bezahlien An- gestellten und an die entgegenkommende Regelung în der Frage dex Bedürftigkeitsprüfung.
Aber alle diese Erleichterungen konnten jelbjtverjständlich die Mängel nicht beseitigen, die jedem System der Fürsorge feinem ganzen Wesen nah anhaften müssen. (Sehr rihtig!) Auf die Dauer ist es notwendig, dem von den heftigen und vielleicht un- vermeidlichen Konjunkturschwankungen Betroffenen nicht nur ein Existenzminimum zu gewöhrleisten, sondern ihm eine Hilse zuteil werden zu lassen, die in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Lohu steht. (Sehr rithtig! im Zentrum.) Diese Forderung kann aber nur eine ArbeitsIosenversicherung erfüllen. Dex Entwurf des Arbeitslosenversicherungsgeseves liegt seit ecinigen Wochen dem Reichstage vor. Fch glaube, daß. wir damit den Schlußstein an das große, vor mehr als 40 Jahren begounene Gebäude der deutschen Sozialversicherung seven werden, den Schlußsteiu injo- fern, als nunmehr wohl gegen alle wesentlichen äußeren Existenz- bedrohungen des Arbeitnehmers auf dem Wege dex Verficherung Vorsorge getroffen -ist. :
Damit will ich uicht sagen, daß innerhalb der Sozialver- siherung nicht noch Reformen ivie auch ein gewisser Ausbau, organisatorische Umäuderungen, insbesondere in dex Richtung stärkerer Vereinfjahung und Uebersichtlichkeii, erfordexlich wären. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Auch in dieser Hinsicht ist im abgeschlossenen Jahre manches
auf lange Sicht geshehen. Die Knappschaftsnovelle, die Ver-
fnüpjung der Renten aus einem BVersicherungszweig mit den Leistungen aus anderen Versicherungszweigen, die Umgestaltung der Wochenhilfe, die Ausdehnung der Berufsversicherung der
Seeleute, über die ein Gesezeniwurf ausgearbeltei ifk, und elné Reîhe vou jonstigen Maßnahmen legen davon Zeugnis ab.
Freilih find mir hier auch noch manthe Sorgen für die Zukunft verblieben, beispielsweise die immer bedenklicher werdende Spannung zwiséhen den Beitragseinnahmen und der zunehmenden Rentenlast in der JFnvalidenversicherung. (Sehr richtig! rets.) So ist vom Januar 1925 bis zum Dezember 1926 der Renten- aufwand im Verhältnis von 1:2, die Beitragseinnahme aber nur im Verhältnis von 2 : 3 gestiegen. (Hört, Hört! im Zentrum.) Den Versicheruugsanstalien könnten daher neue Aufgaben uur unter gleihgeitiger Erhöhung der Beiträge auferlegt werden, was eine dem Sozialpslitishen Ausshuß in diesen Tagen vor- gelegte Denkschrift im æinzelnen nahweist. Das wird uns aber niht hindern dürfen, gewisse Mängel des geltenden Rechts Fon jeßt zu beseitigen.
Das sind alles Lücen und Verbesserungswünsche innerhalb der einzelnen Verficherungszweige, die selbstverständlich unserer lebhaften Aufmerksamkeit iu der näthsten Zeit bedürfen, aber do nihts an der Tatsache ändern, daß das Gebäude der deutschen Sozialversicherung, sobald das Arbeitslojenverfiherungsgeseß von Jhnen verabschiedet fein wird, in seinen Grundfesten feststeht. Beinahe 20 Millionen Arbeitnehmer — das if fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung und etwa zwei Drittel aller Erwerbs3- tätigen — werden von dieser Geseßgebung erfaßt.
Wenn ih also hoffen darf, daß auch das jüngste Kind unserer Sozialverjichernng, die Arbeitslosenversicherung, bald das Licht der Welt erblickt, so knüpfe ih eine Bitte daran: Behandeln Sie dieses füngste Kind zunähst mit einiger Schonung! Verlangen Sie von ihm nitht glei Leistungen, die man eigentlich erst einem Erwachsenen zumuten darf! Ueberspannen Sie die Forderungen nicht, ehe wir klar übersehen, wie fest dieses Kind eigentlih auf den Beizen steht. (Zuruf vou deu Sozialdemokraten: Sie dürfen es niht unterernähren!) — Nein, auch niht! Die richtige Mitte wollen wir halten! (Heiterkeit.)
Der Finangaufwand, den Staat und Wirtschaft für die deutsche Sozialversicherung leisien müssen, ist nicht gering. Er dürfte sih gegenwärtig ohne die Arbeitslofenunterstüßung auf rung 3 Milliarden belaufen. (Hört, hört! im Zentrum.) Die Kosten der Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenfürsorge sind zu star? von der jeweiligen Konjunktur abhängig, als daß man hier- für allgemein gültige Ziffern angeben könnte. Zurzeit, also unter ganz besonders ungünstigen Umständen, beträt dec monatkithe
Anfwand für die unterstüßende Erwerbslofsenfürforge und Krifen- |
fürsorge zusammen etwa 130 Millionen. Die Unkoften der künf- tigen Versicherung zuzügli der Krisenunterstüßung dürften fih etwa in dem gleihen Rahmen bewegen. Aber alle diese Au3- gaben find crforderlih, wenn wir dem wichtigsten Produktions- mittel, das wir befißen, der menschlihen Arbeitskraft, ditjenige Pflege angedeihen lassen wollen, deren fic zu threr unversehrten Erhaltung unbedingt bedarf. (Sehr wahr! im Zentrum. — Zuruf links: Bessere Wirtschaftspolitik) — Mathen wir auch! Ih Hhabe das allen Bedenken der Wirtshaft, allen Klagen über die Unerträglihkeit der sozialen Belaftung gegenüber immer wieder betont. JFch Habe mich ftets dagegen gewehrt, einen JFnteressengegeusaß zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik anzuerkennen und demgegenüber die Auffassung
vertreten, daß die Arbeitskraft als wihtigstes Produktionselement /
dexr Wirißthast nicht unter die Gesehe «æines einseitigen augenbliÆ- lihen Rentabilitätsstrebens, sondern unter die einer dauernden volkswirtshaftlihen Produktivität gestellt werden müsse. (Sehr aut! im Zentrum.) ‘Daß dabei anderseits die Forderungen nicht überspannt werden dürfen, daß die Kunst des verantwortlichen Staatsmannes darin besteht, das richtige Verhältnis zwischen den wirtschaftlichen und fozialpolitischen Erfordernissen herauszufinden, bedarf keiner besonderen Betonung. :
Auch den Wuns{h, daß ‘die fozialen Ausgaben die Wett- bewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt nitht beeinträchtigen sollen, habe ih ftets als berechtigt anerkannt. Jch bin abex derx Auf- jassung und soklte meinen, der müssen wix uns alle aujchließen, daß dieser Wunsh nicht durch einen Abbau der Sozialpolitik im Innern erfüllt werden kann (sehr richtig! im Zeutratm), sondern nur dadur, daß ihr Ausbau in allen Lärtdern nachdrücklich gefördert wird. (Sehr richtig! im Zentrum und ‘bei den Sozial- demokraten.) Wo fich irgend die Mögkichkeit bot, insbesondere natürlih: im Rahmen des Juternationalen Arbeitsamtes, bin ih dœhex für eine Fnternationakifiernng der Sozialpolitik cin- getreten. ‘Alle Sogialversitherung ift eine Hilfe für cinen bereits eingetretenen ‘Votstand, eine Médizin gegen eine physische oder soziole Krankheit oder Erwerb3unfähigkeit. Es ist œine alte Regel, daß es immer besser ist, den Eintritt ciner Krankheit zu verhindern, als eine eingetretene zu kuriexen. Der Notwendigkeit der Vorsorge für den Fall ciner Schädigung tritt. also die Not-
„wendigkeit der Vorbeugung gegen deu Eiutritt diesex Schädigung
mindestens gleihberehtigt an die Seite. Dieses Problem is im Augenblick naturgemäß auf dem Gebiete der {weren sozialen Krankheit, an der wix zurzeit leiden, der Arbeitslosigkeit, be- sonders dringend. Jh will hier niht auf die viel umstirittene Frage eingehen, ob ‘die Arbeitslofigkeit eine vermeidbare oder cine unvernteidliche Erscheinung der gegenwärtigen Wirtschaft ift. Darüber ist man sich auch innerhalb der zünftigen National- öfonomie wie über die meisten wirtshaftlihen Probleme nicht einig, Meine Aufgabe als Arbettsminister kann es in diesem Zusammenhange nur sein, die - sozialen Reibungserscheinungen, die durch die Umstellungen und Umschihtungen der gegenwärtigen Wirtschaft hervorgerufen werden, nah Möglithkeîit zu vernindern. Wenn ich unter diesem Gesichtspunkt versuche, die berufliche Um- s{hulung zu erleihtern, die BVerufsausbildung zu heben, die Arbeitsvermittilung zu verbessern, Umsiedlungen von Arbeitern vorzunehmen, ausländishe Arbeitskräfte entbehrliß zu machen, geeignete Arbeitskräfte, insbesondere jugendlihe, aus dem Jn- „dustriegebiet aufs Land zu bringen 1nd die ländlichen dem Lande zu erhalten, so glaube ih, damit zux Vorbeugung und Milderung der Arbeit2losigkeît auch niht ganz unwihtige Schrtite zu tun. Jn diesem Zusammenhang darf ich auch darauf hinweisen, daß ‘das -Reichskabinett nunmehr den Entwurf des Bernfsansbildungs- geseßes verabschiedet hat. Es handelt sich dabei um cin Rahmen- geseß mit weitgehender berufsständisher Selbstverwaltung auf der Grundlage dex Gleihberechtigung der Unternehmer und Arbeitnehmer.
Freilih ist mit allen diesen Mitteln die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß wir auf der einen Seite etwa 3/4 Mil-
[ lionen Erwerbstätlge mehr Haben als vor dem Kriege — genaué
Differn wird erst die Berufëzählung ergeben — und daß- auf der anderen Seite unsere Absaßmöglihkeiten im Juland und Aus- land noch nitht die Steigerung erfahren haben, die notwendig wären, um dieses Plus an Arbeitskräften vollständig in den Produktionsprozeß einzugliedern. Jh sehe zwar in dieser Richa tung nicht ganz so pessimistish, wie es vielfach geschieht. Wenn- gleih die Belebung der Wirtschaft, die wir in den leßten Monaten erfvenlicherweise feststellen konnten, zum Deil wohl durch äußere Einflüsse mit- herbeigeführt worden ist, ih denke an den Streik in England, an das Arbeitsbeschaffungsprogramm —, so machen fi zum anderen Teil doh au die günstigen Ergebnisse der fort- gesthrittenen Rationalifierung allmählih bemerkbar, freilich zu- näthst mehr für die Wirtschaft selbst als unmättelbar E diejenigen Schichten, die in der Wirtschaft als Arbeitnehmer beschäftigt werden. Nun liegt es wohl im Wesen derartigér Rationalisierungskrisen, daß die Wiedereinglicderung der zeitweilig ans dem Produktions- prozeß au3geschiedenen Arbeitskräfte : sih langsamer vollzieht als die Ausrihtung des Unternehmens selber, und wenn auch gegen- wärtig die Ziffer dèr Arbeitslosen niht wesentlih hinter der entfprehenden Zahl des Vorjahres und damit dem Höhepunk# der Krise zurüébleïibt, 1,88 Millionen. Unterstüßte gegenüber 2 Millionen rund im Fanuar 1926, so wird man doh insbe- sondere aus der Entwicklung der Kurzarbeiterziffer cine gewisse Zuversicht shöpfen dürfen. Diese gibt eineu besseren Maßstab für die Konjunkturschwankungen in den erfaßten Jndustriezweigen ab als die Zahl der unterstüßten Erwerbslosen, weil mau bet sinkender Konjunktur im allgemeinen, bevor man zu Entlassungen sthreitet, die Arbeitszeit verkürzt, und weil man bei steigender Konjunktur, ehe man Wiedereinstellungen vornimmt, zunächst wieder zur Vollarbeit bei den verkürzt Arbeitenden- zurückzukehren pflegt.
Die Kurzarbeiterzisfer bei den Avbeiterfachverbänden beträgt nun gegenwärtig niht mehr ganz 7 vH gegenüber mehr als 22 v im Vorjahre. Auf Grund der Tatsache, daß auch in einem kon- junkturmäßig so tiefstehenden Monat wie dem Januar im Ver- hältnis zum Vormonat eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt eingetreten ist, glaube ih immerhin eine gewisse Hoffnung für die nächsten Monate s{höpfen zu dürfen; wenngleih ich mir nichk verhehle, daß cinmal das kommende Jahr uns eine verstärkte wirtschaftliche Belastung bringen wird — Dawes-Gutachten! — und daß im übrigen im gegenwärtigen Augenblick der reine Wirtschaftispolitiker immer noch eher einen Anlaß zum Optimis- mus haben könnte als der Sozialpolitiker. Aus der Wirtschaft
selbst, weniger vom Staate her — darüber werden wir uns wohl
einig sein müssen — müssen leßten Endes die Kräfte zur Ueber- wintdung auch der sozialen Krise heranswa@chsen. :
Es ist nun in der Oeffentlihkeit viel darüber gestritten worden, ob die Belebung - dexr Ausfuhr oder die - des Binnenmarktes im Vordergrund der Wirtschaftspolitik zu stehen habe. Mir scheint dieser Streit müßig zu sein. Jch glaube, wir sollten beides verfolgen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Dabei glaube ih allerdings sagen zu dürfen, daß die Erkeuntuis von der Bedeutung auch eines kaufkräftigen Binnenmarktes füc unsere Wirtschaft sih allmählih auch in weiteren Kreisen durh- zusezen beginnt. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Siehe die Schiedssprüche!) — Sehen Sie sih die leßten Schiedssprüche do nur an! (Zuruf von den Kommunisten: Fabelhäft! —: Heiterkeit.) — Fa, was Sie fabelhaft nennen, darüber werdez wir uns wohl nit einigen können. -: Fh erinnere an dio: jüngste Tagung des Verèins zur Wahrung de%gèmeinsamen wirtschaft- lichén Futeressen von Rheinland und Westfalen, bei der dec. Geschäftsführer besonders auf die Bedeutung des Binnenmarktes für den Absay der Fndustrie hinwies und in diesem Zusammen hang niht bloß der Landwirtschaft gedachte, sondern au der Kaufkraft dex Arbeitnehmer eine maßgebende Rolle“ zutwies. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Aber keiner will aufängen!?) — ‘Es- haben in der legten Zeit doch imnierhin schon einige an- gefangen, und es werden noch mehrere folgen. (Zuruf vou. den Sozialdemokraten: Wo denn? Wer ‘denn?) — Die Zeitungen können Sie selbst lesen, da stehen diese Dinge drin! Jch weiß nitht, ob Jhvre (nah links) Zeitungen das- alles berichten, was von der andeven Seite Gutes geschieht. Fch glaube sagen zu dürfen, daß die Kaufkraft dex Arbeiternéhmer, und, zwazx -nitt ohne Hilfe des staatlichen SWhlichtungswesèns, soweit die Löhne in Frage kommen, verhältnismäßig wenig beschädigt aus der gegenwärtigen Krisis hervorgegangen ist. Das Tariflohnniveau — ih sage ausdrücklih: das Tariflohmniveau — ist im Dur. shnitt unversehrt geblieben und zeigt zurzeit eine -jteigende Tendenz. Wenngleih ih mir darüber klar bin, daß die tatsäthe. li verdienten Löhne von den ‘Täriflöhnen oft niht unbeträcht- lih abweihen und daß die sonst üblichen Leistungszulagen in dieser Zeît vielfach abgebaut worden sind, daß auch die Lebens- haltungsfosten im Verlaufe dës lezten Jahres eine gewisse Steigerung — es handelt sich um etwa 4 vH — exfahreu haben, daß fèrner durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit die Gejami- cinkommensverhältnisse und damit auch die Gesamikauffkraft der Arbeiterschaft eine erhebliche Einbuße erlitten häben, so glaube ih doch, die Erhaltung wenigstens des Tarifkohnuniveaus dur diese [so ganz außerordeutlih schwere und langandauecnde Krifis hindurch als einen wesentlichen Erfolg auf dem Gebiete: der Sicherung der Lebenshaltung der Arbeitnehmer buchen zu. dürfen.
Mindestens ebenso wichtig wie eine rihtige Lohnpokitik ‘ist aber für die Stärkung -des Binnenmarktes meines Erachtens eine entsprechende Preispolitik. (Sehr wahr! links.) J@ habe mich immer als überzeugtér Anhänger des Grundsahes: großéèrx “Unt- saÿ — ftleiner Nutzen bekannt. Fn diesem Sinne habe ih den dringenden Wuns, daß unsere Bevölkerung die Früchté der Rationalisierung in Form niedriger Preise iu zunehmendem Maße zugute kommen inöchten. Jn diesem Sinne scheint es mir auch notwendig, durch eine entsprehende Politik gegenüber det wirtshaftlihen Monopolorganisationen sowie bei finanzieller Förderung einzelner Wirtschaftszweige oder Teile aus öffent4 lihen Mitteln — ich denke im besonderen auch án das Bau- gewerbe — die Stärkung der Kanfkraft der breiten Masse mit allen Mitteln ficherzustellen. ; : i
Für eines der wichtigsten Mittel zur Hebung des Vinneu- marftes halte ich fernex die landwirtschaftliÞhe Siedlung.- Sie wissen, daß die Reichsregierung. für die nächsten fünf Jahre je 50 Milliouen, dazu in diesem Jahre noch weitere: 22 Millionen Mark zu ihrer Förderung zur Verfügung gestellt. hat. Auf diesem
Wege werden wir hoffentlich allmählih dem Hiel nôher?ommen, in steigendem Maße die bäuerlichen Kreise sowie auch ins- besondere die Landarbeiter des Ostens und Westens von der Zu- wanderung in die Städte abzuhalten und hierdurch einerseits die inländishe Kaufkrast zu beleben und eine Entlastung des industriellen Arbeitsmarktes herbeizuführen, andererseits aber ausländische Arbeitsträfte mehr und mehr entbehrlih zu machen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Wenn die Deutschnationalen es erlauben werden!) — Jh habe keine Besorgnis zu der Seite. (Zuruf von den Kommunisten: Schöner Optimist!)
Jn der gleichen Richtung haben wir ja auch an dem Bau von Landarbeiterwohnungen, die_ aus den Mitteln der produk- tiven Erwerbslosenfürsorge gefördert werden, mit gutem Erfolge bereits gearbeitet. Jch wünsche und hoffe dringend, daß es möglih sein wird, die Mittel für den außerordentli ‘wichtigen Zweck der Siedlung in Zukunst noch zu verstärken und zu einer einheitlihen Arbeit von Reih und Ländern auf diesem i so wichtigen Gebiet zu gelangen. (Sehr gut! rechts, in der Mitte «und links.)
Wenn ih heute wiederholt davon sprach, daß es Aufgabe der Sozialpolitik sei, neben den drängenden Aufgaben des Augenblicks die dauernden Notwendigkeiten von Staat und Wirtschast nicht aus dem Auge zu verlieren, so gibt es vor allem ein Gebiet, auf dem sich die Daueransprüchhe mit besonderer Dringlichkeit zu Worte melden. Das ist das Gebiet der Wohnungspolitik. Meines Exachtens ist es nicht mögli, innerhalb eines einzelnen Wirt- schaftszweiges die staatliche Zwangswirtschast ständig aufreht-
zuerhalten, während sie überall sonst vollständig abgebaut ist. -
(Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Ebenso unmögli ist es natürlich, die freie Wirtschaft früher einzuführen, als An- gebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt in einem erträg- lihen Verhältnis zueinander stehen (sehr richtig! im Zentrum und bei der Deutschen Voltspartei); in einem Verhältnis nämlich, bei dem sich ein Preis ergibt, der einerseits die notwendige Ver- zinsung der Baukosten bringt, andererseits aber sicherstellt, - daß die Miete im Rahmen der gesamten Lebenshaltungskosten keinen
übermäßigen Anteil beanspruht. Diesem Ziel werden wir uns
zwar schrittweise, aber ohne Verzug unbedingt nähern müssen. Wir haben damit in der Vergangenheit meines Erachtens zu oft gezögert. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)
Eine Besserung auf der Angebotsseite der Wohnungen ist insofern neuerdings zu verzeichnen, als es in den Fahren 1925 und 1926 gelungen ist, dem Wohnungsmarkt wesentlih größere Beträge als in den Vorjahren zuzuführen. Fn den beiden lebten Jahren sind im ganzen mehr Wohnungen erstellt worden als für den jährlihen Nenbedarf erforderlih gewesen wäre. Jm Fahre 1926 wird man mit Sicherheit von 200 000 Néubauten im Reichs- gebiet sprehen können. Wir rehnen etwa mit 170 000 Wohnungen Neubedarf. (Zuruf links: Wieviel fehlen noch?) — Darüber streitet man; es sind, gelinde gerechnet, immerhin 600 000. (Zuruf von den Kommunisten: Gelinde gerechnet!) — Das ist die all- gemeine Annahme. Die 600 000 kann man mit Sicherheit als fehlend einstellen.
Um die Neubautätigkeit weiter zu fördern, halte ih eine verstärkte unmittelbare Teilnahme des privaten Kapitals am Wohnungsbau für unbedingt erforderlich. Das Sinken des Zins- fußes für Realkredit, die Bereitstellung von Zwischenkrediten durch das Reich, die ‘neuerlichen einheitlichen Abmachungen mit
den Reallkreditinstituten werden in dieser “Hinsicht - hoffentlich
weitere Fortschritte zeitigen.
Daß bei Verwendung der Mittel auf die denkbar öfkonomischste Weise versahren werden muß, versteht sich von selbst. Der beim Reichsarbeitsministerium gebildete Typenausshuß hat durch Prüfung neuer Bauverfahren und Beschäftigung mit den wichtigsten Fortschritten auf dem Gebiete der Normierung der Bauteile uind der Typenentwicklung hier. außerordentlich wertvolle Vorarbeit geleistet. j
Auf der anderen Seite wird aber auch auf cine gewisse Er- höhung“ der geseßlihen Miete niht verzichtet werden können (sehr Tichtig! rechts), wenn wir uns dem bereits gekennzeichneten Ziele einex Angleichung der rechtlihen und wirtschaftlihen Miete, einer Angleihung der Mieten in den alten und den neuen Woh- nungen nähern wollen, (Zurufe links.) — Es ist ausgeschlossen, daß wix an eine sofortige Erhöhung der Mieten in den Alt- wohnungen auf die Preise der Neuwohnungen denken können. — Die Reichsregierung hat deshalb pilihtgemäß den gewiß nicht leihten Entschluß fassen müssen, die geseßlihe Miete vom 1. April ab um 10 Prozent und vom 1. Oktober ab um weitere 10 Prozent zu steigern. Jh hoffe zuversichtlich, daß si der Reichsrat den
zwingenden Gründen dieses Beschlusses nicht verschließen und der
Maßnahme seinerseits zustimmen wird. Wenn: wir aber eine gewisse Mieterhöhung für die nächste Zeit für erforderlich halten,
so find wir do gleichzeitig der Auffassung, daß die hierdurch
hervorgerufene Verteuerung des Lebensunterhalts dur eine ent- sprehende Erhöhung der Löhne, Gehälter und Fürsorgeunter-
stüßungen abgegolten werden muß. (Lebhafte Zurufe links: Wie wollen Sie das erreihen?) — Fch kann Jhnen nur noch cinmal
sagen, was ich Fhnen eben gesagt habe. L sen Sie doch die
“‘Heitungen durch! Da sehen Sie in der Haltung der Schlichtungs-
behörden, auch in dex Einstellung der Schlichter und des Arbeits-
- ministeriums hinsichtlich der Verbindlichkeitserklärungen, daß wir, "was an uns liegt, diesen Notwendigkeiten tatsächlich Rechnun | tragen. (Zurufe links.) Meine Damen und Herren! Handelt.
es sih auf dem Gebiete des Wohnungswesens zunächst noch utt: typishe Uebérgangsmaßnahmen mit all den besonderen Schwierig- keiten, die sih aus dieser Eigenschaft naturgemäß ergeben, so darf. ih FJhnen- jeßt auch einiges über dasjenige Tätigkeitsfeld deS
ArbÆsministeriums berichten, auf dem der Grundsay der langen Sicht schon jeyt weitgehend zur Geltung gekommen ist. Jch denke.
an das Gebiet des Arbeitsrechts und des Arbeits\shugtes.- - Als
abgeschlossene Leistung des vergangenen Jahres möchte ih da:
zunächst auf das Arbeitsgerihtsgesey hinweisen, das nunméhr allen Arbeitnehmern einheitliche Arbeitsgerichte bringt, au den- jenigen Grupven, die bisher von den Vorzügen des gewerbegericht-
lichen Verfahrens ausgeschlossen waren, z. B. den Landarbeitexn. Es ware aber falsch, wollte man die Bedeutung dieses Gesetzes allein in der Schaffung eines sozialen Gerichtsverfahrens sehen.
Jh bis der Auffassung, daß auc das materielle Arbeitsreht durch die Herbeiführung einer einheitlihen Rechtsprehung, insbesondere des Reichsarbeit8gerichts, eine wesentlihe Förderung und Ver- tiefung erfahren wird... Jch bin überzeugt, daß uns die Er-
gebnisse dieser Rehtsprehung auch bei der künftigen Geseßgebung über das materielle Arbeitsreht nüßlih sein werden.
Die Vorarbeiten zu dieser Geseßgebung schreiten weiter fort. Als nächste Aufgabe haben wir Gesezentwürfe über das Recht des Tarifvertrags und über das Recht dec Einzelarbeitsverträge in Angriff genommen. Daneben sollen die Sonderrehte gewisser Berufe, wie die Seemannsordnung und das Hausgehilfenrecht, dem neuen Arbeitsrecht anaepaßt werden. Wie sehr mir im übrigen neben der rechtlihen Ausgestaltung des Arbeitsverhält- nisses eine Hebung des Vertrauensverhältnisses zwishen Arbeit- gebern und Arbeitnehmern in der Sahe wie in der Art des Verkehrs miteinander — ich halte auch das leßtere niht für unwihtig — am Herzen liegt, habe ih ja an dieser Stelle wieder- holt hervorgehoben.
Auf dem Gebiete des Arbeitsshuyes steht seit längerer Zeit die Frage der Arbeitszeit stark im Vordergrund. Sie wissen, daß das Arbeitsschußhgeseß, dessen Entwurf zurzeit dem Reichsrat und dem Vorläufigen Reichswirtschastsrat vorliegt, eine umfassende, für die Dauer beabsichtigte geseßlihe Neuregelung des gesamten Arbeits\huyes einshließlich der Arbeitszeit bringen soll. Dieser Entwurf hat bereits eine heftige Kritik gefunden (Zuruf von den Sozialdemokraten: Mit Reht!), insbesondere auch von gewerk- shaftliher Seite. Kritik ist zweifellos das gute Reht aller Be- teiligten, und ih bin der leßte, der niht die- Fruchtbarkeit einer wirklih verständnisvollen Kritik dankbar anerkennt. Fm vor- liegenden Falle aber, insbesondere in dem Verständnis für die außerordentlich komplizierte Sachlage, habe ih doch leider manches bei der Kritik vermissen müssen. So habe ich den Eindruck, daß beispielsweise gewisse unentbehrlihe Ausnahmen, die praktisch nur für einen geringen Prozentsaß der Belegschaft in Betracht kommen, verallgemeinert und damit in ihrer Bedeutung über- trieben werden. (Sehr richtig! bei der Deutshen Volkspartei.) Es würde in diesem Zusammenhang zu weit führen, wollte ih hier auf Einzelheiten eingehen. Die Gelegenheit dazu wird sih “ja an anderer Stelle geben. Jh bin aber doch überzeugt: wer ‘den Entwurf ohne Voreingenommenheit betrachtet, der wird die wesentlichen Fortschritte, die er in sozialpolitisher Hinsicht bringt, anerkennen müssen. Daß erx nicht so shlecht sein kann, wie es vielfach in der Oeffentlichkeit dargestellt worden ist, geht wohl auch aus der Tatsache hervor, daß er mit dem Washingtoner Abkommen vereinbar ist; die Regierung hat sich wiederholt an dieser Stelle bereit erklärt, auf Grund dieses Gesetzes die Rati- fizierung gleichzeitig mit den anderen Jndustriestaaten von West- europa zu vollziehen.
Bei der weitreihenden Bedeutung des Arbeitsshußgeseßes wird freilich eine längere Beratung in den maßgebenden Fnstanzen unvermeidlich sein. Fnfolgedessen ist die Reichsregierung bereit, die Regelung einzelner besonders dringlicher Fragen vorwegzunehmen. Dazu gehört die Ratifizeirung des internationalen Ueber- einkommens über die Beschäftigung der Frauen vor und nah der Niederkunft, ein Gegenstand, der gleihfalls im Arbeits\{hut- geseß behandelt ist, der aber auf Wunsch des. Reichstags {hon vorhex durch einen besonderen, vom Reichskabinett bereits verab- schiedeten Geseßentwurf geregelt werden soll.
Auch auf dem Gebiete der Arbeitszeit wollen wir nicht in allen Punkten die Erledigung des Arbeitsshubßgeseßes abwarten, “sondern besonders dringlihe Maßnahmen jeßt {hon vorweg- nehmen. Wir wollen Mißbräuchen, die sich in Anwendung der geltenden ‘Arbeitszeitverocdnüng teilweise herausgebildet haben, mit Nachdruck entgegentreten. Die bisher seitens | des Reichs- arbeitsministeriums getroffenen Verwaltungsmaßnahmen, über die ih bereits im Zusammenhang mit der Frage der Arbeits- beshaffung gesprochen habe, und die auf eine möglichste Ein- shränkung der Ueberarbeit und strengere Durchführung der Arbeitszeitvorschriften hinzielten, haben sih niht als ausreichend “erwiesen. Auch die in leßter Zeit erlassenen verschiedenen Aus- führungsverordnungen auf Grund des § 7 der bestehenden - Arbeitszeitgeseggebung werden die Schwierigkeiten nur im Bereich der jeweils von diesen Verordnungen betroffenen Jndustrie be- seitigen. Die Reichsregierung hat sih daher zu einer Abänderung der Arbeitszeitverordnung entschlossen. Der Entwurf hat bereits die Zustimmung des Kabinetts gefunden und ist, wie ih kürzli an dieser Stelle schon erklären konnte, dem Reichsrat zugegangen. Allerdings, meine Damen und Hrrren, kann diese Abänderung nit so radikal sein, wie es der hier von einex Partei eingebrachte ‘Snitiativgeseyentwurf verlangt. (Abgeordneter Aufhäuser: Nicht von einer Partei, sondern von allen Gewerkschaften!) — Na, abwarten, Herr Kollege! (Zuruf von den Sozialdemokraten: Sie haben doch alle unterschrieben!) Was dieser Gesezentwurf ‘vorschlägt, geht weit über die Regelung hinaus, die das Washingtoner Uebereinkommen vorsieht und die in den übrigen -Industriestaaten üblich ist. Die Reichsregierung muß daran fest- halten, daß es sih um ein Notgesey handelt, das nicht das geltende Recht völlig umstürzen und die endgültige Neuregelung, die das Arbeitsshubgesey bringen soll, vorwegaehmen kann. Das liegt
schon in der Schwierigkeit der Materie. Das Notgesey muÿ [ih ; daher auf die dringlihsten Aenderungen der Ärbeitszeitverordnung | vom Jahre 1923 beschränken. : :
| Als besonders wichtig für den Fortschritt des Arbeitsshuyes | betrahte ich au das Reichsgeseß über den Shuy der Bergarbeit, | dessen Entwurf vor dem Abschluß steht. )
j J habe in meinen Darlegungen davon abgesehen, Fhnen | ein vollständiges und lückenloses Bild der Tätigkeit des Arbeits- | ministeriums im leßten Fahre zu geben. So bin ih auf ‘die j Gebiete der Wohlfahrtspflege, des Versorgungswesens, die Unter- | suchungen über die Gesundheitsverhältnisse der Arbeitnehmer und j noch manches andere nicht eingegangen. Das eine oder andere | wird sih darüber noch im ‘Laufe der Debatte sagen lassen. Wer | von Fhnen sih auh auf diesen Gebieten für weitere Einzelheiten ! interessiert, dem steht der. den Mitgliedern des Haushalt8äu8- usses vor einigen Wochen übermittelte Bericht über die Tätig- keit des Reichsarbeitsministeriums im Fahre 1926 sowie die Zu- sammenstellung über die Arbeiten des Ministeriums auf geseb- lihem Gebiete zur Verfügung. Mir kam es im wesentlichen dar- auf an, Fhnèn die Grundgedanken auseinanderzusezen, die unsere Politik jn, dieser Zeit bestimmt haben, und die wichtigsten sozial- politishen Maßnahmen, die sih daraus ergaben und ergeben, zu skizzieren. Dabei habe ih zu Beginn von sieben Kampfjahren „der Sozialpolitik gesprohen. Wenn ich -hèute noch einen Wunsch: aussprechen därfte, so wäre es der, daß auch auf diesem Gebicte
endli eine Zeit des Friedens kommen möchte. Jch bitte, mich
_zu billigen.
dabei niht mißzuverstehen. (Zuruf bei den Kommunisten.) — Sie tun es schon öfters. — Damit meine ih niht eine Zeit des Ruhens oder der Passivität. Jch weiß sehc wohl, daß nihts frischer erhält; als das Rtngen am und für eine gute Sahe. Und daß die Sache der Sozialpolitik eine gute Sache is, wtrd ebenfalls in diesem Hause wohl niemand bezweifeln wollen. Aber was ih Jhnen und mir wünsche, ist, daß dieses Ringen niht mehr ein ständiger Kampf gegen die drängenden Augenblicksnöôte sein muß, daß es sih niht mehr allein auf die Sicherung der notwendigsten und selbstverständlichen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Wohnung, richten muß, sondern daß es in steigendem Maße möglih sein möchte, menshlihe Bedürfnisse höherer Art, sagen wir, kulturelle Bedürfnisse, zum Gegenstand der Sozialpolitik zu machen. Jch hoffe, daß mit der künftigen Arbeitszeitgeseßgebung auch hierin ein Schritt vorwärts getan wird. Sie wissen ja, wie unistritten die rein wirtschaftlichen Auswirkungen verkürzter Arbeitszeit sind. Vielleiht wird der Arbeitsleistungsausshuß des Enqueteausshusses die Erkenntnisse auf diesem Gebiete fördern. Wenn er auch nur einwandfrei klarlegen würde, wie s{hwierig und warum es so s{wierig ist, cine eindeutige Beziehung zwischen Arbeitszeit und Arbeitsleisiung festzustellen, so wäre auch dann schon viel gewonnen. Es wäre nämli das gewonnen, daß man vielleiht in der öffentlihen Diskussion über diese Frage auf der einen wie auf der anderen Seite seine Behauptungen über die Wirkung von Arbeitszeitverkürzung oder -verlängerung mit eiwas weniger Unbekümmertheit in die Welt segen würde. Aber zu welhem Ergebnis wix auch in wirtschafiliher Hinsicht kommen mögen, daß im übrigen die Arbeitszeitfrage cine fkulturelle Frage erster Ordnung is}, darin find wir alle einig
In diesem Sinne hoffe und wünsche ih, daß sich, wenn ih mich eines Schlagwortes bedienen darf, auf der den unmittelbaren Lebensbedürfnissen dienenden materiellen Sozialpolitik in steigens- dem Maße eine kulturelle Sozialpolitik aufbauen möge. (Lebs- hafter Beifall in. der Mitte und rechts.)
279, Sißung vom 26. Februar 1927, nahmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)
Vizepräsident Dr, Rießer eröffnet die Sißung um 1 Uhr.
Dex deutsh-türktishe Handel8vertvrcag wird in allen drei Lesungen ohne Aussprache angenommen.
Darauf wird die zweite Lesung des Haushalts- plans des ReichsZarbeitsministeriums fort» geseßt. Es wird beschlossen, die Einzelerörterung in folgende Gebiete zu teilen: 1. Sozialversiherung, 2. Arbeitsvertrag, 3. Arbeits\chuy mit den Unierabteilungen: Bauarbeiter und Bergarbeiter, 4. Erwerbslosenfürsorge, 5. Wohnungs- und Siedlungswesen, 6. Sonstiges, 7. Versorgungswesen.
Abg. Be ck ex - Arnsberg (Zentr.) wendet sich gegen die sozial» demokratishe Darstellung, als ob allein die Sozialdemokraten für Arbeitershuy ‘gesorgt hätten. Die Zentrumsfraktion des Ret So. tags habe bereits im Fahre 1877 einen Antrag in dieser Richtung gestellt, Das Zentrum habe damals der nux 11 Köpfe starkew jozialdemokratischen Fraktion 4 Stimmen geliehen, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Gedanken in gesebgeberisher Form den Reichstag vorzubringen. Die Sozialdemokratie habe dann aber mit der gesamten Reaktion den Zentrumsantrag Galen niedergesttutmt. Hört, hört!) Wenn die Sozialdemokraten nun heute mit den übrigen Parteien gegen die weitergehenden Anträge des Zenicums stimmten, so gehörten sie auch heute zu der großen reattionären- Masse“. Der Abg. Hoch. habe nur vergessen, daß der Arbeits minîstex bei der Durchführung seiner sozialen Leitsaye nicht allein stehe, sondern daß die Zentrumspartei hinter ihm stehe. Auch die Rechtsparteien würden niht so dumm jein, an diejen Fragen die Koalition scheitern zu lassen. Der Redner dant: namens seiner Fraktion dem Minister und dem ganzen Reichsarbeitsministeriuur für die A N vergangenen Fahre geleistete große Arbeit. Die gesamte Arbeiterschaft würde sih energisch gegen eine Beseitigung es Reichsarbeitsministeriums als selbständige Behördè wenden; (Sehr rihtig!) Allein die Existenz des Arbeitsministeciums be- deute einen jozialen Fortschritt. Die Zahl der Fürsorgebedürftigemn möglihst zu verringern, sei außerordentlih schwierig. Auf dew Export allein könnten wir unmögli unsere Hoffnung stellen. Die Hauptsache sei und bleibe die Schaffung eines aufnahmefähigen Binnenmarktes. Der hänge aber von einer genügenden Kaufkrast der Mehrheit der Bevölkerung ab. -Die Löhne stiegen ja leider sehr: langsam, während die Preise troy Rationalisierung und Abbau nur sehr wenig gefallen seien. Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik seien für das Zentrum stets eng verbunden gewesen. Man set e R daß der Reichsarbeitsminister den Gefahren, die für cine Rei i von kleineren und mittleren Betrieben aus der Rationalisierung entständen, mit aller Kraft entgegentreten würde. Ueberschüssige Arbeitskräfte der Großstadi müßten planmäßig der Siedlungs- tätigkeit auf dem Lande zugeführt werden. Den Wünschen und Forderungen des Volkswirtischaftlichen Ausschusses, der seine Ent- [Gließun einstimmig gefaßt habe, stimme das Zentrunt zu. Das baldige Zustandekommen eines langfristigen Bauprogramms se?
erwünscht. Vorschläge der Zentrumspartei în einer Denkschrift,
Kredite zu billigem A an Baulustige if L ergeNE, fänden selbst bei der Fndustrie leider wenig Gegenliebe. (Hört, hört!) Heute bezeihne man auf manchen Seiten die Bautätigkeit sogar als unproduktiv.. Fu fast allen Vorshlägen werde nun. die Auf- legung ciner Anleihe gefordert, Normalisierung und Typisierung verlangt. Leider kämen diese Vorschläge jeßt reihlich spät. Die Wohnungszwangswirtschaft sei leider so lange noch nit ent- behrlih, wie die Wohnungsnot bestehe. Den Wuns, die Altbau- mieten den Neubaumieten anzupassen, könne man nit vertreten; aber die heutige Spanne sei zu groß. Eine Erhöhung der Löhne und Gehälter müsse mit einer Mieterhöhung Hand in Hand gehen. Die Gemeinden dürften in der Bdäutätigkeit nicht alles vom Reich und Staat erwarten. Manche Städte seien hier allerdings vor- bildlih vorgegangen. Wichtiger sei es aber, kleine Wohnungen für kleine Leute zu bauen, als Stadien zu errihten. (Sehr richtig!) Der Redner betont dann die Notwendigkeit, jedem Arbeitsfähigén Arbeit zu verschaffen. Da Fei Ueberarbeit unangebracht und psychologish eri verkehrt; sie shaffe nux Erbitterung. Aber auch die ¿ariflihe Ueberarbeit jei nicht als Dauereinrichtung ge- E, gewesen. Eine Verkürzung der Arbeitszeit: sei . durchaus ä Sonntagsarbeit sollte nur gestattet werden, wenn sle unbedingt notwendig sei. Den rücksihtslosen Entkassungen gegenüber den älteren Arbeitern und Angestellten müsse man ent-
aen Wenn sich tatsählich im Handel, besonders im R
andel, eine gewisse „Major8ecke“ gebildet habe, so müsse geseßlih dagegen eingeshritten werden. Wenn die Arbeitgeberkreise von selber mehr soziale Gesinnung praktish betätigen würden, dann würde sich die Dung mancher Geseßesbestimmungei erübrigen. (Sehr rihtig!) Die Unsicherheit dex Existenz der breiten anen im Alter müsse auf das Mindestmaß beshränkt werden. Auch der Ausbau des Betrieb8rätegeseßes gehörè zu den nächsten Aufgaben. Die vielen noch übrigbleibenden Wünsche, z. B. auch in der vnvalidenversicherung, seien nux schrittweise zu erfüllen. Die Selbstverwalkung in der Sozialversiherung dürfe niht einge- shränkt, sondern müsse ausgebaut werden. Bei der Kranken- Grund fomme zuerst das Jnteresse der Versicherten, nicht der Lieferanten in Frage. Der Redner weist die „unqualifizierbare Heve“ gegen die Krankenkassen energish zurück. Für die Reform