1904 / 251 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 24 Oct 1904 18:00:01 GMT) scan diff

preußischen Heeres in das Leben gerufen. In den parlamentarischen Kämpfen um die Armeeorganisation, den shwersten inneren Kämpfen, die den Staat in allen Fugen ershütterten, ‘hat General von Noon unershrocken und unermüdlih, fest und beharrlich auf der Bresche gestanden. Tapfer und unbeugsam vor den Rechten seines Königs und der Zukunft seines Vaterlandes. Jn diesen {weren Kämpfen» Cann die glänzenden Eigenschaften, die der König frühzeitig an Roon wahrgenommen und in ihm das Werkzeug seiner Pläne erkennen ließ, zu glänzendster Betätigung: „unbeugsamer Wille, Charakterfestig- keit, Pflichttreue, Selbstlo]igkei und Selbständigkeit, hingebende Treue ge en seinen Königlichen Herrn“. Aus diesen Kämpfen ist die geschicht- ihe Gestalt Roons emporgewacsen. N Die Arbeit seines Lebens aber hat der Kriegsminister von Roon gekcönt gesehen in,weltgeshihtlihen Entscheidungen. Dréi Kriege fielen in seine Amtszeit, zu denen er das Heer sorglih vorbereitet hatte. Schier unendlich war das preußische Heer, das in unershöpflihen ormationen zum Erstaunen von Freund und Feind 1866 in das eld rückte. In den s{wierigsten Augenblicken der Nicolsburger eriode konnte der Krieg8minster seinem König mit rg J aus\prehen: „daß, wenn die Politik es verlange, die Mittel zur Fortlegung des Krieges au na zwei Fronten vorhanden seien“. Sein Wuns aus jenen Tagen: „Gott gebe ferner helle Augen und feste Herzen !“ sollte \sich erfüllen. Als wenige Jahre später die große Entscheidungsstunde {chlug, die in mächtigem Aussgppun e des nationalen Geistes die vaterländishen Kräfte zu einheitlihem Handeln zusammenfaßte, da fand die treue, mühselige Arbeit des Kriegsministers ihren {önsten Lohn. In der Nacht vom 15. zum 16. Juli 1870 flog nah beendetem Vortrag bei Seiner Majestät dem König das von Roons Hand niedergeshriebene Telegramm durch die deutschen Lande: „Die Armee ist planmäßig mobil zu machen“; und es verdient der Vergessenheit entrissen zu werden, daß Noon die folgenden 14 Tage später als die sorgen- und arbeitslosesten seines Dienstlebens bezeihnen konnte. Ungeachtet der völlig unerwarteten Mobilmachung mitten in der Urlaubszeit des Hohsommers hatten der Kriegsminister und seine Oraane in der ganzen Mobilmachungéperiode au nicht eine Anfrage der Generalkommandos zu beantworten gehabt. Sf Noon hat sich auf der Höhe seines Wirkens als des „Königs Feldwebel“ bezeihnet. Der König aber hat ihm den Feldmarschallstab in die Hand gelegt, die zwar niht Heere zum Siege geführt, aber sie geshaffen und in sorglicher Ausführung der ihnen vom König ge- gebenen mustergültigen Organisation für den Sieg vorbereitet hat. Das war Königliche Anerkennung für den treuen Diener! Allergnädigster Kaiser, König und Herr! f Nach der Errichtung des Denkmals für den Generalfeldmarschall Graf von Moltke wird dieser Königsplaß eine geweihte Stätte fo glorreiher Erinnerungen sein, wie. kaum eine andere Nation sie auf- zuweisen hat, weil sie uns nicht an vorübergehenden Kriegs- und Schlachtenruhm mahnen, sondern von den großen, dauernden Schöpfungen zeugen sollen, welhe wir mit der Einseßung unserer besten Kraft gewonnen haben; von dem endligen Besiß der nationalen Güter, auf welhe das Sehnen und Ringen ganzer Geschlechter ver- eblih gerichtet gewesen war. An dem Neiterbilde König Friedrich Wilhelm T t E lesen wir unter der Gestalt der Borussia die Worte: „Sie haben dih hart bedränget von deiner Jugend auf, aber sie haben dich nit überrascht“. Dort der Anfang des in Tilfit beschrittenen, langen Weges, hier sein glorreiher Versailler Abschluß. Möôge denn uns und den fernsten Enkeln diese geweihte Stätte eine ewige und mit 1000 Zungen redende Mahnung bleiben: die großen Geschicke des Vaterlandes niht dem Prrtéigeit nicht dem Streit des Tages unterzuordnen, sondern sih allezeit bewußt zu bleiben, daß der große Name Deutschland, den wir unter der Führung jener roßen Männer erst zu seiner Bedeutung gebraht haben, jedem Deuticién große Pflichten auferlegt, Pflichten, die niht mit Festes- stimmung, mit Worten und Liedern, sondern durch ernste, männliche Tat erfüllt sein wollen! Wir Lebenden aber, die wir uns in dieser Stunde von dem Geist jener großen Zeit umweht und getragen wissen, wir wollen dieses Gelübde an das Vaterland in den alten und doch ewig jungen Treushwur des eten Soldatenherzens kleiden : „Seine Majestät der Kaiser und König unfer Kriegëherr Hurra!!!“ Nachdem die Hülle des Denkmals gefallen war, wurde dieses von den Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften besichtigt. Ein Vorbeimarsh der Ehrenkompagnie {loß die G / Das Denkmal besteht aus einer 5 m hohen Bronzestatue des verewigten Feldmarschalls, die sih auf einem ebenso hohen Postament aus poliertem shwedishen Labrador erhebt. Die vier Een bilden kannelierte Rundjäulen, und der Architrav hat eine wuchtige Form. Jn großen Lettern ijt vorn der Name „Roon“ eingemeißelt; darüber is ein großes eisernes Kreuz angebracht. Das Denkmal wird umgeben von einer halbrunden niedrigen Rüstung aus Labrador mit zwei kräfti abschlicßenden Endpfeilern. An diese Pfeiler lehnen fi bronzene, bandumwundene Lorbeerkränze. Die Schleifen des einen Kranzes verzeichnen die wichtigsten Daten aus dem Leben des L ldmarichalls.

In der am 22. Oktober d. J. unter dem Vorsiß des Staatsministers, Staatssekretärs des Jnnern Dr. Grafen von Posadowsky-Wehner abgehaltenen Ee La Loos des Bundesrats wurde die Vorlage, betreffend Aenderung des Verzeichnisses der Herkunfts- und Bestimmungsländer für die statistischen Anschreibungen des Warenverkehrs mit dem Auslande, den zuständigen Ausschüssen überwiesen. Den Ausschußanträgen, betreffend Aenderung der Zoll- ordnung für den Kaiser Wilhelm - Kanal und des Niederlageregulativs, die Vornahme einer Viehzählung am 1. Dezember 1904, die Uebersicht der Reichsausgaben und ‘einnalnen ‘für das Jahr 1902 und die Allgemeine Rehnung über den Reichshaushalt für das Jahr 1899, wurde die Zu- stimmung erteilt. Ferner wurde über die Neuwahl eines nichtständigen Mitglieds des Reichsversicherungsamts Beschluß gefaßt. Außerdem wurde eine Reihe von Eingaben erledigt.

Der Fürstlich lippishe Staatsminister Gevekot is hier angekommen.

Deutsche Kolonien.

Ein vorgestern in Berlin eingegangenes Telegramm des Generalkonsulats in Kapstadt meldet, dem „W. T. B.“ zufolge: Die Kompagniè Wehle wurde am 5. d. M. im Lager Sturmacs- werft beim Wasserfall (Hurub) bei Tagesanbruch von Morenga mit 150 Gewehren angegriffen. Der Feind wurde in die Karrasberge MERRewor n, die Verfolgung war aber ohne Verstärkung unmöglih. Der Feind hat 11 Tote zurückgelassen, sein Verlust ist aber zweifellos erheblih stärker. Major von Lengerke beabsichtigt, vorläufig in Warmbad und Sand- fontein zu bleiben.

Nach mehreren, kurz nacheinander in Berlin eingegangenen Meldungen des Gouverneurs von Deutsh-Südwestafrika, Obersten Leutwein aus Rehoboth sind die Bastards treu. Gibeon und Umgegend ist seit dem 16. Dfk- tober vom Feinde frei. Dieser sammelt sich haupt-

sählih bei Marienthal. Geitsabis ist stark, vom Feinde be- seßt. Die Station Pforte, deren Fesahung sih nah Dassie- fontein zurückgezogen F ist zerstört. ie Besaßung von Falkenhorst befindet sich in Gibeon. Die Gochasleute find aufständish. Die Veldschoendrager- und Bersabaner sind noch ruhig. Der Kapitän der leßteren hat Hendrik Witbois Brief dem Bezirksamtmann übergeben und um deutsche Soldaten gebeten. Unruhig sind die Bethanier und die Leute von Warmbad. Als sicher tot sind gemeldet: Len von Burgs dorff, 2 Unteroffiziere, Missionstehniker Holzapfel, 4 Farmer, 10 Buren.

Jn dem Gefecht, das am 15. Oktober bei Osowandimee stattgefunden hat, ist der Reiter Gottfried Wurg aus Krune bei Schockwig, früher im Husarenregiment Nr. 10, gefallen ; verwundet wurden: Ünteroffizier Karl Shmarsowaus Büßow (Mecklenburg), früher imUlanenregiment Nr. 11 (Schuß in die rechte Schulter und Streifshuß ins Kinn), Reiter Karl Peter aus Frankfurt a. D., früher im Jnfanterieregiment Nr. 59 (Weichteilshuß in den rechten Oberarm), und Reiter Gottlob Haußer aus Fißlerhof (Württemberg), früher im Artillerieregiment Nr. 65 (Fleisch- \huß in den reten Oberschenkel).!

An Typhus gestorben sind: Gefreiter Ernst Franke von der 2. Kompagnie des Regiments Nr. 2, geboren am 6. Zuni 1882 in Menden, am 17. Oktober und Reiter Josef Kruschinski, geboren am 14. März 1882 in Zahr- ewo, Kreis Bomst, am 19. Oktober im Lazarett zu

tjimbinde; Gefreiter Alwin Kunze, früher im Artillerie- regiment Nr. 10, geboren am 13. Mai 1882 zu Bauygzen in Sachsen, am 16. Oktober im Lazarett zu Epukiro; Unteroffizier Erih Waldemar Raddaß von der 2. Kom- pagnie des 2. Feldregiments, geboren am 27. Juli 1879 zu Friedeberg (Kreis Schubin), früher im Dragonerregiment Nr. 12, am 21. Oktober im Lazarett zu Okahandj'a; Reiter Friedrih Robert Esser T. vom 2. Feldregiment, geboren am 14. November 1882 in Offenbach a. M., früher im Jnfanterie- regiment Nr. 117, am 21. Oktober im Lazarett zu Otjosondu.

Nach einem in Berlin über Sydney eingegangenen amt- lihen Telegramm des Gouverneurs von Deutsch:Neu- Guinea ist -die Verfolgung der bei dem Ueberfall der Missionsstationen in den Bainingbergen auf Neupommern beteiligt geweltnen Tenn beendet. Die Schuldigen sind sämtlich bestraft, die Mörder hingerichtet.

Oesterreich-Ungarn.

Die „Neue Freie Presse“ meldet, ‘im Hinblick auf die bevorstehende Session des Reichsrats seien Verhand- lungen mit den Tschechen im Zuge, um eine wirtschaftliche Kompromißpolitik anzubahnen. Es handele sich darum, die Notstandsvorlagen, das Budget und den Zolltarif aus der Obstruktion auszuschalten.

Als am Sonnabend vormittag der Bürgermeister von Wien Dr. Lueger bei der Enthüllung eines Monumental- brunnens im fan Bezirk, die zur Feier seines 60. Geburts- tages stattfand, eine Ansprache des Bezirksvorstehers beant- wortete, kam es, dem „W. T. B.“ zufolge, zu wiederholten Kundgebungen pon seiten der Sozialdemokraten.

Gestern wurden in Prag, Lemberg, Brünn und Budweis Kundgebungen der Sozialdemokraten für das E Wahlrecht veranstaltet. Die Teilnehmer hielten Versammlungen ab und zogen unter Absingen von Arbeiterliedern und unter Hochrufen auf das allgemeine Wahlrecht durch die Straßen. Es fanden keine Zwischen- fälle statt.

In der S@(lußsißzung des \chlesischen Landtags führte der Stellvertreter des Landeshauptmanns, Kardinal Kopp aus, er sei von autoritativer Seite ermächtigt, zu erklären, daß die Regierung ihr Augenmerk darauf richte, eine für alle Teile befriedigende dauernde e der Frage der Panrallelklassen in den Lehrerbildungsanstalten zu finden.

Großbritannien und Frland.

Ein gestern in London eingetroffenes Telegramm aus Hull meldet, wie „W. T. B.“ berichtet, die russische Dstsee- flotte habe zwei Fischerboote aus Hull angerannt und zum Sinken gebraht. Achtzehn Fischer seien ertrunken. Es verlaute, das russishe Geshwader habe auf die Fischerflotte gefeuert. Ein englischer Kapitän sei getötet worden.

Ein weiteres Telegramm des „W. T. B.“ besagt, die Anwälte der Reeder von 50 Fischerbooten aus Hull hätten das Auswärtige Amt und die Admiralität von dem Angriff des baltishen Geshwaders in Kenntnis ge- sezt. Die erste Abteilung der russishen Flotte habe die Fischerboote um Mitternacht vom 21. zum 22. d. M. passiert. Der Rest des Geschwaders, der später gefolgt sei, habe Schein- werfer auf die englische Fischerflotte gerihtet und zu gleicher Zeit das Feuer eröffnet. Das Boot „Crane“ sei zum Sinken gebraht worden. Die Leichen des Kapitäns und des ersten Offiziers, denen der Kopf weggerissen war, seien geborgen und nah Hull E worden. An Bord der Arigliden O

oote

E no mehrere Verwundete. Die „Moulmein“ und „Mino“ seien durch das Feuer der Russen \hwer beschädigt in Hull angekommen. „Mino“ habe 16 Lee.

Man fürchte, daß noch ein weiteres Fischerboot mit der Mann- schaft gesunken sei.

Die „Preß Association“ meldet noch folgendes aus Hull, vom gestrigen Tage: Die in Hull einfahrenden Fischerdampfer waren vollständig zerschossen; der stark beshädigte Dampfer „Moulmein“ trug die Flagge halbmast. Der Kapitän berichtet, daß die Flotte vor Gancocok und Great Norson 220 englishe Meilen nordöstlih während eines Sturmes gefischt habe, als am Sonnabend früh 1 Uhr bei trübem Wetter die Umrisse von großen Schiffen aufgetaucht seien. Während die Fischer die Schiffe, die offenbar Kriegsschiffe waren, betrachteten, hätten diese igre Scheinwerfer auf die Fischerboote Licht werfen lassen. Dann seien kleinere Schiffe, anscheinend Torpedoboote, näher gekommen, als ob sie beab- sihtigten, Mannschaften an Bord der Fischerfahrzeuge zu senden, seien aber wieder zurückgefahren; hierauf sei das Feuer eröffnet und eigige Boote getroffen worden. Der Fishdampfer „Mino“ sei von vorn bis hinten vollständig durhlöchert, glüklicher- weise aber niht unter der Wasserlinie. Das Feuer habe wanzig Minuten gewährt. Nach Einstellung des Feuers seien ie Lussischen Schiffe \{chnell davongefahren. Ein Dampfer habe durch Raketen signalisiert, daß er in Not sei; dies sei der Dampfer „Crane“ gewesen, der am Sinken war. Der Maschinist habe eine schwere Verwundung an der Brust gehabt, einem Matrosen sei die Hand abgeschossen gewesen.

Auf Dek hätten die Leichen des Kapitäns und eines Matrosen gelegen, beiden sei der Kopf abgerissen gewesen. Die Leichen seien an Bord des „Moulmein“, die Verwundeten an Bord anderer Schiffe genommen worden. Die Schwer- verwundeten hätten in dem Lazarett der Fischerflottille Auf- nahme gefunden. Die Docks in Hull hätten, da sich die Volks- massen hineindrängten, geschlossen werden R Die Namen der russishen Schiffe seien nicht festgestellt. Fn Hull sei die Entrüstung über den Vorfall allgemein; die Bevölkerung hoffe, daß die russishe Flotte werde aufgehalten werden, um eine Erklärung des Vorfalls zu geben. Nach Meldung Londoner Blätter belaufe sih die Zahl der bisher auf dem Lazarettschiff gam Verwundeten auf 29, Das Pariser Journal „Matin“ meldet aus London, der Angriff der russishen Flotte auf die englischen pl cherboote bei Hull ite in London große Aufregung ervorgerufen. Der russishe Botschafter in London habe erklärt, daß das Vorkommnis zweifellos irgend einem Mißverständnis Ten sei. Die Russen dürften wohl geglaubt ho en, daß die Boote im Dienste der Japaner ständen und feindselige Absichten hätten. Es würde für die Boote in diesem Falle in der Tat leicht ge- wesen sein, an die russishen Schiffe heranzukommen und Tor- pedos abzufeuern. Wenn bewiesen werde, daß tatsählich nur harmlose Fischer getötet und verwundet worden seien, so werde dieser Vorfall in Nußland das größte Bedauern hervorrufen. Nach Meldungen Lloyds passierten gestern 4 russische Torpedoboote um 121/44 Uhr Nachmitiags St. Catherines Point auf der Fahrt nah Osten. Um 5 Uhr 40 Minuten Nachmittags fuhren 11 russische Schiffe, nah Westen steuernd, bei Dungeneß vorbei. Wie Lloyd ferner vonSt. Catherines Point meldet, passierte dort eine russische Flottille um 5 Uhr 47 Minuten Nachmittags.

Frankreich.

Der König von Griechenland stattete am Sonnabend- nachmittag, wie „W. T. B.“ meldet, dem Präsidenten Loubet A Besuch ab, den der Präsident im Laufe des Abends erwiderte.

Bei der gestern in Saint-Etienne vorgenommenen Wahl cines Senators an Stelle von Waldeck-Rousseau wurde der Deputierte Audiffred (Fortschrittspartei) gewählt.

Die Deputiertenkammer seßte am Sonnabend die Be- ratung der Jnter pellation über die Kirhenpolitik fort. Der Deputierte H ubbard (Sozialistish-Radikaler) erklärte, das Land sei für Trennung von Kirhe und Staat. Der Redner warf dem Mêinister- präsidenten und dem Minister des Auswärtigen ihre Shwähe gegen- über dem Vatikan vor; man hätte das Konkordat gelegentlich der Angelegenheit der Bischöfe von Dijon und Laval kündigen sollen. Die Regierung müsse die Initiative be- züglih der Trennung von Kirhe und Staat ergreifen. Der Deputierte En gera nd (Nationalist) wünschte, daß vor einem Be- {luß über die Trennung eine allgemeine Volksabstimmung über die Frage veranstaltet werde. Der Ministerpräsident Combes erklärte, die jüngsten Vorfälle mit den Bischöfen hätten die Unmöglichkeit dar- getan, das Konkordatsverhältnis aufrechtzuerhalten, und erinnerte an die Aufforderung des Vatikans an die Bischöfe von Laval und Dijon, troy des Verbots der Regierung sich nach Rom zu begeben. Der Vatikan habe deutlich seine Mißachtung vor dem Konkordat und den Rechten Frankreihs bewiesen. Die Regierung habe den Vatikan zur Erfüllung seiner Verbindlich- keiten aufgefordert und verlangt, daß die Briefe an die beiden Ee zurückgezogen würden. Da sie keine Genugtuung erhalten bares abe sie den Botschafter beim Vatikan abberufen. Der Papst abe den Bischof von Laval gemaßregelt, weil dieser zunächst der Re- U unterworfen und \sih geweigert habe, das Uebergewicht der geist- ichen Macht über die weltliche anzuerkennen. Der Bischof von Dijon sei auch von der royalistishen Opposition angegriffen worden. Keine Regierung habe je eine Einmischung des päpstlichen Nuntius ertragen. Das Einvernehmen, das nôtig sei, um einen Geistlichen zum Bischof zu machen, sei auch nötig, um ihn abzuseßen. Die Geistlichkeit habe dur ihre Angriffe die Geduld der republikanischen Partei erschöpft. Nachdem der Ministerpräsident dann auf die Kundgebungen bei der Schließung der Schulen und auf die Angriffe gegen den Präsidenten Loubet wegen seiner Romreise hingewiesen, fuhr er fort: „Die Trennung der Kirhe vom Staat ist unvermeidlich geworden. Alle Gewalten, die ten Vatikan zu bewegen suhten, ihr Uebergewicht in weltlihen Dingen anzuerkennen, haben ihre Mühe vergeblich auf- gewendet. Diejenigen, welche ein neues Konkordat zustande bringen wollten, würden düpiert werden und die Regierung \{ließlich zur Ohnmacht verurteilt sein. „Jh will die Freiheit der Kirche in einem mit unsern übrigen Freiheiten vereinbaren Maße. Jn Wirklichkeit ist der Papst derjenige, der die Trennung wollte; er will den Staat unterjochen, wie er die Kirhe unterjoht hat. Man spra von einem Gang nach Canossa. ‘Mag nah Canossa gehen, wer will ; was mich betrifft, so gestattet es mir weder mein Alter, noch meine Geshmacksrihtung, mich dahin zu begeben." Nach dem Ministerpräsidenten nahm der Deputierte Nibot das Wort und sagte: „Die Vorgänger Combes? haben diese Frage mit Vornehmheit behandelt. Combes dagegen hat von heiligen Dingen mit Leicht- fertigkeit gesprochen, er is ein Theologe, der sich in die Politik vericrt hat.“ Als der Redner dann das Verhalten Bourgeois' demjenigen Combes? _gegenüberstellte, rief der Minister- präsident: „Wenn Sie glauben, mich in Gegensaß zu Bourgeois bringen zu können, so vershwenden Sie Zeit und Mühe vergebens." MRibot entgegnete: „Man kann doch seine Meinung frei aussprechen.“ Der Ministerpräsident rief: „Frel, aber niht frech!“ Ribot verließ sofort die Tribüne unter wieder- holtem Beifall der Rechten und des Zentrums und großer Erregung des Hauses. Der Ministerpräsident wollte sich äußern, aber die Rechte und das Zentrum übertönten seine Stimme. C ombes begab sih zum Präsidenten und sprach mit ihm. Dieser teilte mit, der inisterpräsident nehme seine Worte zurü. Ribot betrat hierauf unter dem® Beifall der Rechten, des Zentrums und eines Teiles der Linken wiederum die Rednertribüne und führte aus: „Niht Combes, sondern dem Parlament steht es zu, das Konkordat zu lôsen. Mit Trauer im Herzen haben wir der Abberufung unseres Botschafters zugestimmt. Frankreich kann den Beziehungen zum päpstlihen Stuhle nicht entsagen. Was die Er- nennung der Bischöfe betrifft, so haben die vorhergehenden Re- ierungen keineswegs die Rechte des Staates aufgegeben; Sie werfen ihnen vor, Bischöfe ernannt zu haben, die der Republik feindlich ge- finnt gewesen seien; aber mehrere von den am feindlihsten gesinnten gehören gerade zu denjenigen, die dem päpstlichen Stuhle que dräpgt waren. Was die geistliche Zucht betrifft, so muß die Ne- gierung sih mit dem ugen Stuhl ins Cinvernehmen seßen. Sodann warf der Redner der Regierung vor, daß sie sich nicht mit dem Nuntius wegen der Bischöfe verständigt habe; denn dann würde der Papst nachgegeben haben. Die Regierung habe einen Bruch gewollt, fie werde die Verantrwoortung dafür tragen. Ribot \{lß: „Jh und meire_ Freunde sind gegen die Trennung von Kirhe und Staat; Dedscanel hat nur für seine Person gesprohen. Nicht im Kampfe mit der Kirche darf die Trennung vollzogen werden. Es handelt sich um eine Um- wälzung, die nur im Einvernehmen mit den Katholiken durchgeführt werden darf. Wir können uns der Politik der Regierung nicht anschließen; niemals werden meine Freunde und ih eine folhe Verantwortli feit übernehmen.“ Die Diskussion wurde hierauf geshlossen, und mehrere Tagesordnungen wurden eingebraht. Der Ministerpräsident C ombes

ellte die Vertrauensfrage zu einer von Bienvenu Martin (radikaler Republikaner) eingebrahten Tagesordnung, in dec die Erklärungen der Regierung gebilligt werden. Diese Tagesordnung wurde mit 325 gegen 237 Stimmen unter dem Beifall der Linken angenommen und dann die Sißung geschlossen. Sieben russishe Torpedoboote, das Transportschiff dorea“ und der Kohlentransportdampfer „Kitag“ sind gestern in Cherbourg eingelaufen und haben Kohlen genommen.

Rußland.

Am Sonnabend fand, wie „W. T. B.“ meldet, in Si, Petersburg unter dem Vorsiß des Admirals Avelan im Beisein von 4 Admiralen , von Professor Martens und Vertretern der Justiz, die die höchste Jnstanz des Prisen- gerichts bilden, die Verhandlung wegen der Beschlagnahme des englishen Dampfers Allanton“ durch das Wladi- dea ofgeschwader statt. Es wurde folgender Spruch abgegeben :

Der Dampfer „Allanton“ und dessen Ladung unterliegen nicht der Konfiskation und sind dem Besitzer zurückzugeben. Zur Beschlag- nahme lag genügende Ursahe vor; dabei wurden alle noft- wendigen Bedingungen beobachtet. Der Beschluß des Prisengerichts in Wladiwostock ist entsprehend abzuändern.

Spanien.

In einer am Sonnabend in M adrid abgehaltenen Versammlung, in der die Frage der gerichtlihen Verfolgung mehrerer Deputierten hehandelt wurde, erklärte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Ministerpräsident Maura, die Haltung der Regierung stehe im Einklang mit der Mee E, illigkeit und der Ver- fassung. Vor dem Gesepe seien alle gleih. Er habe die Frage nicht angeregt, um eine Gelegenheit zu provozieren, sich von seinem Amte urückzuziehen. Er ¿s zu diesem ohne sein Zutun gekommen. Man fönne thn stürzen, aber er werde niemals fahnenflüchtig werden.

Türkei.

Das Wiener Telegr.-Korresp.-Bureau“ meldet aus Kon- stantinopel, die Botschafter der Ententemächte würden den neuerlih von der Pforte gegen die Vermehrung der fremden Offiziere für die Gendarmerie in Maze- donien erhobenen Einspruch abermals ablehnend beantworten.

Der Ministerrat hat das Memorandum der Oppositionspartei der Synode des ökumenischen Patriarhats, das den Patriarchen seines Amtes für ver- lustig erklärt, verworfen und den Beschluß des gemischten Rats, E die Abseßung von drei Mitgliedern der Synode, gutgeheißen. Die leßteren seien angewiesen worden, auf ihre Posten in der Provinz zurüczukehren.

Die Pforte hat den Botschaftern der Entente- mächte Abschriften einer chiffrierten Korrespondenz des bulgarishen Komitees übermittelt, die im Falle der Echtheit neuerlihe Einfälle und umfassende Tätigkeit des Komitees bedeuten würde. Ein nach Monastir an einen gewissen Eftim gerichteter Brief befaßt sih ein- gehend mit der Beseßung der Lehrerstellen in Monastir. Jn dem Schreiben wird ausgeführt, daß das Exarchat die darauf bezüglichen Wünsche des Komitees nicht erfüllt habe. Unge- fähr 40 der vom Komitee bezeichneten Kandidaten seien ent- weder gar nicht ernannt oder aber wieder abgeseßt worden und würden von den Türken verfolgt. Das Exarchat werde noch einmal aufgefordert werden, die Wünsche des Komitees zu erfüllen. enn dies nicht geschehe, würden die Kirchenchefs und ihre Sekretäre zur Abreise e hg le werden. Für den Fall, daß sie niht gehorhten, würden strenge Maßnahmen angedrcht, damit das Exarchat den Einfluß des Komitees kennen lerne. Jn einem zweiten, aus Serbien datierten Schreiben eines Komiteeführers namens Grozdoff werde von einer Mission nach Cettinje gesprohen und von der Venußung der Wege durch Albanien, ohne albanesish sprehen zu föônnen, gewarnt. Jn dem Briefe würden ferner Ratschläge des bulgarischen diplomatishen Agenten Rizow in Monte- negro mitgeteilt, die dahin gehen, man solle bis zum Ablauf der im Oktober 1905 zu Ende gehenden Reformperiode nichts unternehmen, sondern sich nur die Reform zunuge machen. Der Brief enthalte eine Menge fonstiger p e N über das enun die Munitionsfrage und Winke bezüglih der

gitation.

Bulgarien. _ Die Sobranje i}, dem „W. T. B.“ zufolge, zum 8. d. M. zu æiner ordentlihen Session einberufen worden.

Amêerika.

Der peruanishe Senat hat, wie die „Agence Havas“ nitteilt, mit großer Majorität die L OLTage: betreffend Her- abseßzung der Zölle auf Zucker, Alkohol und Zünd- hôlzer, abgelehnt. Ein außerordentliher Kongreß werde zusammenberufen werden, um das Budget zu beraten.

Asien.

Ein Telegramm des Generals Ssacharow vom 21. Dk tober meldet : Am 21. hâtten bei der 1. Mandschureiarmee keine Zusammenstöße mit dem Gegner {tattgefunden. Der Feind habe sih an diesem Tage lig von Ssahepu nach Pots ch zurückgezogen. In Ssachepu ten Gewehre, Patronen und Vorräte gefunden worden. Ein uns ortgenommenes Geschüß hatte der Gegner auf unserer früheren ttilleriestellung zurücgelassen, ebenso 4 Proßwagen und einen Wagen i Handwerksgeräten. Im ganzen haben wir nah . dem Kampfe # 16. Oktober 14 japani@e Geschüße erobert, wovon 9 Feld- und Verggeshüße find, und eins von unjeren Geshüyen zurückerhalten. Ein weiteres Telegramm des Generals Ssacharow an n Generalstab vom 21. d. M. meldet: Fd Heute haben bei der ersten Mandshureiarmee keine Zusammen- gebe mit dem Feinde stattgefunden. Einzelne Schüsse wurden im aufe des Tages gewechselt. Unsere Batterien beschossen den von den Wanern beseßten Teil des Dorfes Linschinpu, die Station daho und das Ter Lamatun. Der Feind bes{choß den von fn B Pee Teil des Dorfes Linschinpu und das Dorf u, G Der General Putilow, der am 13. d. M. 12 japanische (übe genommen hat, ist, wie „W. T. B.“ erfährt, durhch genden Erlaß des Kaisers vom 21. d. M. an die mand- Uri) che Armee ausgezeihnet worden: ; : e it Vergnügen belohne ich den Generalmajor Putilow mit ibe Georgorden 4. Klasse. I war erfreut, zu erfahren, daß feind- Geschüße genommen sind, und daß meine deer ruppen Darf mmer tapfer verhielten. Uebermitteln Sie ihnen meinen nl und ein besonderes Lob dem 19. ostsibirishen Shüßenregiment,

t hüßge Euch. L N s Der „Russischen Telegraphen- Agentur“ wird aus Pudsiadsi S: d. M. gemeldet: en G 11. bis 18. Oktober kämpfte das erste Armeekorps unter mit (eneral Meyendor ff bei den Höhen von Jansintun und ging tem pdren, troß großer: Verluste, aus diesem s{chwierigen Kamp} in hose gigen Terrain. Ein besonders blutiges Gefecht fand bei der eung des Bergkegels am Schahoufer in der Nähe des Dorfes

Sahojan statt; die Russen erbeuteten hierbei 14 Geschüße, 40 Munitionswagen und eine große Anzahl Gewehre.

Aus Mukden vom gestrigen Tage meldet die „Russische Telegr.-Agentur“ :

Die Japaner scheinen sich von Schaho zurückziehen zu wollen. Sie haben den Bahnhof von Schaho geräumt und erwidern das E der Russen wenig. Die russischen Belagerungsgeshüge sind in

âtigkeit getreten. - r 6 Éa dia. 22 ï« Aus Charbin erfährt dieselbe Agentur, daß seit dem 6. Oktober gegen 26 000 verwundete Russen nah Norden gebraht worden seien. i

Der „Birschewija Wjedomosti“ wird aus Mukden vom 21. d. M. telegraphiert:

In der vergangenen Nacht griffen die Japaner drei Kompagnien des 35. Regiments an. Diese trieben den Feind aber zurüdck, verfolgten ihn bis zu den japanischen Laufgräben, drangen auch in diese ein und erbeuteten Vorräte an Konserven, Munition, Werk- zeugen und ein Geshüyz. In der Umgebung von Mukden wütet cin furhtbarer Sturm. Nachts fällt die Temperatur auf 5 Grad unter Null. Das shlechte Wetter ist für diz Japaner R Ld ungünstig. Ganz früh morgens haben unsere Kosaken heute auf den vordersten Stellungen des Feindes zwölf erstarrte Japaner aufgefunden und sie ins russische Lager gebracht, wo sie erwärmt und mit Nahrung versehen wurden. e

Dem „Reuterschen Bureau“ wird von der östlichen Armee der Russen aus Shenking vom 22. Oktober berichtet:

Beide Heere bleiben im wesentlichen untätig. Die Russen haben Tanupudza wieder genommen. Die Japaner haben eine Stellung auf der Hochebene, die nah dem Schaho zu abfällt, inne. Fort- während finden Vorpostengefehte statt. Man hört zerstreutes Gewehrfeuer, und von Zeit zu Zeit beschießen sich einzelne Batterien. Der General Mi scht\chenks hat im Westen am 20. Oktober ein heftiges Gefeht gehabt. Die en machen in dieser Nichtung Fort- \chritte, und es verlautet, japanishe Geshüße seien genommen worden. Es sind Anzeichen vorhanden von einer baldigen Wiedereröffnung der Feindseligkeiten, da die Russen augenscheinlih beabsichtigen, zum An- griff überzugehen. Das Wetter ist kalt. Nach annähernder Schäßung belaufen sich die Gesamtverluste der Russen in der lezten Schlacht auf 45 000 Mann, darunter 10 000 Tote.

Aus Tokio vom 22. Oktober wird amtlih gemeldet :

Marschall Oyama berichte, in der Front sei am 21. d. M. keine Veränderung der Lage zu verzeihnen. Die Anzahl der von unserer linken Armee eroberten russishen Geshüße belaufe sich im ganzen auf 43, davon seien 27 von der linken und 16 von der, rechten Kolonne genommen worden. In der Nähe von Changlianpao seien von den japanishen Streifwachen in der Nacht des 20. Oktober 200 Ruffen tot aufgefunden worden. /

„W. T. B.“ berichtet aus Tokio vom 22. d. M.:

Die Heere Kuropatkins und Oyamas stehen sich noch immer Front gegen Front gegenüber, ohne daß einer von beiden zum Angriff übergehe. Ein Bericht aus dem japanischen Hauptquartier in der Mandschurei, der gestern in Tokio einging, meldet, daß dem Vernehmen nach die Russen eine große Truppenmacht gegen das japanische rechte Heer zusammenzögen. Zwei Bataillone russisher Infanterie ständen bei Kaokwanchai. Es verlaute ferner, daß sich 20 000 Russen bei Kaotailin sammelten. Der Feind beshieße, heißt cs weiter, von Zeit zu Zeit die mittlere und die linke Armee zum Teil aus 15 cm.-Mörsern. Der bei Sufangtai stehende Feind habe am Nachmittag des 20. begonnen, die Station Schaho zu beschießen. Die Japaner hätten in der Nacht zum 20. bei Changlian pao 120 Gewehre erbeutet.

Der Marschall Oyama berichtet über das Ergebnis der bis zum 22. d. M. angestellten Nachforshung über die Verluste der Russenin dex Schlacht am Schaho, wie folgt: Gefangen genommen wurden etwa 500 Mann, Leihname von Russen wurden 10550 N erbeutet wurden 45 Kanonen, - 6920 Granaten,

474 Gewehre und 78000 Patronen. Die russishen Leichen wurden mit militärishen Ehren begraben. Die Ver- luste der Russen werden insgesamt auf 60 Mann geschäßt. Die Nachforshung wird fortgeseßt.

Das „Reutershe Bureau“ berihtet aus Tokio: die Nussen konzentrierten sich gegen die Armee Kurokis; eine russische Kavallerieabteilung habe den Taitsefluß östlich von Pensihu überschritten.

Der „Daily Telegraph“ meldet aus Schanghai unter dem heutigen Datum, die politishe Konstellation in China sei zur Belt sqlimmer ls im Jahre 1900. Eine weitverbreitete Agitation geheimer Ge- sellschaften zeige ein höchst gefährlihes Wiederaufleben der fremdenfeindlihen Stimmung im Volke, und die Agitation sei niht durhweg eine chinesische. Britishe Offiziere, die von- einer Beobachtungsreise nach Schanghai C seien, berichteten, starke Abteilungen wohlausgerüsteter Truppen würden in vielen Bezirken der süd- lichen, mitteren und nördlihen Provinzen von geübten Offi- zieren ausgebildet, die niht alle Chinesen seien.

Das FJnkrafttreten des neuen cinesishen Marken- \chußgeseches ist, dem „W. T. B.“ zufolge, vorläufig ver- \choben worden.

Theater und Musik.

Berliner Theater.

Gestern spielte Frau Sarah Bernhardt zum ersten Male in Berlin die Nolle des Herzogs von Reichstadt in Edmond Nostands vielgenanntem Versdrama „L’Aiglon“, das n Rae im Ausstellungs- jahr zum ersten Male auf der Bühne ershien. Das traurige Sthisal des einzigen Sohnes Napoleons I. aus seiner Che mit der Erzherzogin Maria Luise von Oesterreich, is {hon vershiedentlich dichterisch be- handelt worden, und zwar zunähst episch von den Fran- zosen Barthélémy und Méry unter dem Titel „Los fils de l’homme“; in Deutshland hat Otto von der Pfordten den Kaisersohn zum Helden eines dramatischen Gedichts

emacht, das im Jahre 1900 auf der Bühne des Königlichzn Schau- spielhauses einige Wiederholungen erlebte. Die geschichtlichen Tat- fachen, die auch der Rostandschen Dichtung zu Grunde liegen, sind kurz folgende. Napoleon Franz Joseph Karl wurde am 20. März 1811 zu Paris geboren, erhielt gleih nach seiner Geburt den Titel eines Königs von Rom und wurde, da sein Vater am 22. Juni 1815 zu seinen Gunsten verzihtete und er nominell ein vaar Tage Oberhaupt Frankreihs gewesen war, im Dekret Napoleons II1. vom 7. November 1852 Napoleon I1. genannt. Er wurde im Jahre 1814 nah dem Schloß Schönbrunn bei Wien ge- bracht, wo ihm der Kaiser Franz die Herrshaft Reichstadt in Böhmen und den Titel eines Herzogs verlieh. An seinem zwölften Geburtstag erhielt der Prinz das Fähnrichspatent, im Jahre 1830 wurde er Major. Die Taten und das Schicksal seines Vaters waren ihm wohlbekannt, und er widmete dessen Andenken die [eidenshaftlihste Verehrung. Mit Eifer gab er sh dem Studium der Kriegêwissenshaft hin und verzehrte sih in unbefriedigtem Ehrgeiz nach großen Taten. Seinen Wünschen und Plänen, den französischen Thron einzunehmen, widersegte sich Metternih. Im April 1832 zeigten sich bei ihm die ersten Spuren der Lungenshwindsucht, die bald reißende Fortschritte machte, und der er bereits am 22. Juli desselben Jahres erlag. Rostand hält ih in seiner Dichtung ein Drama kann

man fie füglich nicht nennen ziemlich eng an die geschihtlihe Ueberlieferung, oder vielmehr er seßt sie als bekannt voraus. Er stellt den Herzog in den Mittelpunkt von sech8 monolog- reihen Bildern, in denen der Ruhm des ersten Napoleon immer wieder dithyrambisch verkündet wird; wir sehen den Herzog beim Geschichtsunterriht seinen Lehrern gegenüber, die den Namen und die Taten seines Vaters geflissentlih verschweigen, im Zorn aufflammen, wir sehen ihn beim Kriegs\piel bemüht, der Taktik Napoleons nachzuspüren, wir sehen ihn, den Mummenstanz eines Maskenfestes zu dem Versuch benußen, mit einigen Bonapartisten, die sih in seine Nähe geschlichen haben, nach Paris zu entkommen, wo die Getreuen seiner harren, wir sehen dann den Flüchtigen in der Nacht auf dem einstigen Schlachtfelde von Wagram, von den Verfolgern wieder eingeholt, an der Leiche des treuesten seiner Anhänger, eines alten napoleonishen Soldaten, sich in wilden Fieber- phantasien ergehen, in die der Geisterhor- der- einst hier gefallenen ranzosen schaurig hineinklingt, wir sehen ihn \ch{ließlich selbst terbend noch einmal den Untergang des Kaiserreihs und das eigene ruhmlose Ende beklagen. Von Spannung und Handlung ist in diesen im Rhythmus wohlklingender, aber auch schwülstiger Alexandriner sich entrollenden Bildern nichts zu verspüren; bis auf den Herzog, dessen Charakter in dieser Stilisierung im wesentlichen richtig erfaßt ist, sind die vielen Träger geschichtliher Namen wesenlose Schatten, selbst Metternih hat nur die Züge des Geistes, der auf der Bühne stets verneint, des Theaterbösewichts, der seinem in dem Drama nicht motivierten Haß gegen Napoleon in langen Tiraden Ausdruck gibt. Wären dazwischen niht einige unterhaltende Episoden und spielte Sarah Bernhardt nicht die Titelrolle, das Stück wäre auf der Bühne fast unerträglich. Sarah Bernhardt freilih versteht es, aus der Rolle des Herzogs von Reichstadt etwas zu machen; sie sieht in der österreichishen Uniform mit threr s{lanken und immer_noh bewunderungêwürdig {chmiegsamen Figur vorzügli aus und weiß Sinn und Klangschönheit der Nostandschen Verse, man möchte bei einigen arienhaften Stellen sagen, fast singend zum Ausdruck zu bringen. Der auf der Ebene von Wagram spielende Aft, der ihre ganze Kraft in Anspruch nahm, hatte sogar etwas von der Größe und Stimmung des N Gedihts „Die beiden Grenadiere“. Unter den anderen Mitwirkenden zeichnete sich wiederum M Magnier als Veteran Napoleons aus. Ausstattung und JIn- zenierung waren zwar nicht glänzend, aber doch würdig. Die das Haus bis auf den leßten Play füllenden Zuschauer wurden niht müde, Frau Bernhardt immer wieder hervorzurufen.

Lessingtheater.

Gerhard Hauptmanns dramatishes Schmerzenskind „Florian Geyer“ ging am Sonnabend in einer neuen, von dam Dichter selbs vorgenommenen Bühnenbearbeitung nah achtjähriger Pause wieder in Scene. Laut und demonstratiy wurde Hauptmann von einem Teil der Zuschauer des öfteren hervorgerufen, während die Mehrzahl \ich aller Zeichen ter Zustimmung, aber auch weil kein Anlaß dazu war, dem Dichter die Freude an den Sympathiekund- gebungen zu verkümmern der Mißbilligung enthielt. Die Lärm- szenen des Jahres 1896 wiederholten sich aber {hon deswegen nicht, weil Hauptmann den damals vielumstrittenen, unsäglichß roh wirkenden Auftritt, in dem die gefangenen und geknebelten Bauern von trunkenen Rittern verhöhnt und gepeinigt wurden, preisgegeben hatte. Aber troy dieser anerkennenswerten Geschmacksläuterung und des Bestrebens, dur andere starke Kürzungen und Umänderungen, besonders in der früher viel zu breit geratenen Exposition, die Hand- lung mehr zu verdihten, kann von einem eigentlihen Erfolg au diesmal nicht die Rede sein, und die Bühnen dürften sih dem Werk gegenüber fürderhin ebenso spröde verhalten wie bisher. Der dramatische Kern, soweit von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, ckält fih immer noch sehr langsam aus dem Wust der ihn umgebendcn Hülle; es bedarf immer noch gespannter Aufmerksamkeit, um \sih unter den sebenunddreißig E Mea (früber waren eseinundsehzig) einiger- maßen zuretzufinden. en stärksten Eindruck rief der erste Aft hervor, dem nicht, wie früher, ein Vorspiel vorangeht, sondern der, gleih in medias res eintretend, die Begründung des fränkishen Bauernbundes und Florian Geyer auf der Höhe seiner Macht zeigt. Ergreifend klingt die markige Weise des Lutherliedes „Cin? feste Burg“ hinein, und wirkungsvoll steigert sich zum Schluß die Kampfeslust und Siegeszuversicht der ih um den unheimlihen s{chwarzen Ritter sharenden Getreuen. Diese Geschlossenheit des Vorgangs und Intensität der Stimmung wird in feinem der nachfolgenden vier Aufzüge mehr erreiht; die wortreichen Wirtshausszenen in Rothenburg vermögen nur vorübergehend zu fesseln ; die Landtagsszene in Schweinfurt ist ebenso inhaltsleer und zerfahren, wie sie hon früher war; nur der düstere Shlußakt hat unter Hinweg- lassung der obenerwähnten Brutalitäten gegen früher erheblih ge- wonnen. Er bringt noch einmal Spannung und Stimmung, erweckt noch einmal die erlahmende Teilnahme für den von allen verlafsenen, im Shlosse des Shwagers {chmählich verratenen und dem Tode ge- weihten Helden. Ueber die altertümelnde Sprache des Stückes und seine Art, Geschichte dichterish zu deuten, ist {hon früher so viel gesagt und geschrieben worden, daß an dieser Stelle, wo nur die Bühnenwirkung der neuen Bearbeitung beurteilt werden soll, darüber als etwas Bekannten füglich Hinweggegangen werden kann. Zu einer tdarstellerisch bemerkenswerten Leistung bietet eigentlih nur die Rolle des Florian Geyer Gelegenheit, und diefe war am Sonnabend Herrn Nittner anvertraut. Er ging gewiß mit den besten Absichten und einem ahtbaren Können an seine Aufgabe; aber das Uebermenschentum, das e erfordert, zu verkörpern, ist ihm nit gegeben. Nur der starken Persönlichkeit und dem ungestümen Temperament eines Matkowsky dürfte cs gelingen, dieser Gestalt das Leben cinzuhauhen, dessen sie aufder Bühne dringend benötigt. Im übrigen tauhten einige {arf umrissene Charakierköpfe aus der Fülle der Erschei- nungen auf; genannt seien der derbe, biedere Tellermann Bassermanns, ferner eicher als blinder Mönch, die kraftvolle Landsknechtsfigur Hans Marrs, der knorrige Bauer Jakob Kohl in der Darstellung Patrys, Osfar Sauer als Schreiber, Adolf Klein als Karlstatt und Jrene Triesch als Marei. Eine ganz besondere Sorgfalt war auf die Aus- stattung und Inszenierung verwendet worden; es waren zumeist sehr eindrucksvolle Bühnenbilder, die, unter Mitwirkung des Malers Pro- fessors Slevogt entstanden, sh den Blicken darboten.

Im Königlichen Opernhause wird morgen „Cavalleria rusticana“ von P. Mascagni, in Verbindung {mit dem Ballett „Coppelia“, Musik von L. Delibes, wiederholt. Das Gastspiel von Frau Emma Calvé von der Opéra Comique als „Carmen“ findet am Freitag bei aufgehobenem Abonnement (tatt.

Am Mittwoch beginnen wieder die Vorstellungen der von einem Gastspiel in Holland zurückgekehrten Mitglieder des Berliner Theaters mit „Zapfenstreih*"; am Donnerstag wird „Ueber unfere Rratt (L: L am Freitag und nächsten Sonntag „Zapfenstreich“ und am Sonnabend „Gö von Berlichingen“ gegeben.

Fm Schillertheater O. (Friedrih Wilhelmstädtishes Theater) fommt am Mittwoch „In Behandlung“, Donnerstag das Anzen- grubersche Volks\tück „Die Kreuzelschreiber" zur Aufführung. Nächsten Sonntagnahmittag wird „Johannisfeuer“ von Sudermann gegeben. Im Sqhillertheater N. (Friedrich Wilhelmstädtishes Theater) wird morgen der Blumenthal-Kadelburgshe Schwank „Die Großstadtluft“ gegeben. Am Mittwoh geht das Bolks\tück „Die Kreuzelschreiber“, am Donnerstag das Lustspiel „In Behandlung“ von Marx Dreyer in Siene. Für Freitag ist die erste Aufführung des Meoserschen Lust- \spiels „Krieg im Fkieden“, das Sonnabend und nächsten Sonntagabend wiederholt wird, angeseßt. d, E

Im Nesidenztheater spielt Nichard Alexander auch in diefer Woche allabendlih die Nolle des Durosel in dem französishen Schwank „Eine Hochzeitönacht".

Die Konzertdirektion Hermann Wolff kündigt für diese Woche folgende Konzerte an: Dienstag: Saal Bechstein: Liederabend von Heinrih Scheden (Tenoc); Beethoven - Saal: Liederabend von Julia Culp; Singakademie: Il. Konzert des zwölf- jährigen V'olinvirtuosen Mischa Elman, Mitw.: W. Moldenhauer