1884 / 55 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 04 Mar 1884 18:00:01 GMT) scan diff

gefataaht mente

Saint n D Va ia cia a diu m R É N M A-. Pte7

Das Scharla(fieber zeigte in Hamburg, - Berlin, London, Ghriftiania eine Steigerung, in Königsbera, Hannover, St. Petersburg eine Verminderung der Sterbefälle. Diphtherie und : Croup traten in den meisten Orten wieder in gesteigerter Zahl als Todesveranlaffung auf; so war die Zahl der Opfer namentlich in Berlin, Stettin, Danzig, Breslau, München, Nürn- berg, Leipzig, Hamburg, Triest, Paris eine große, in Dresden, Plauen, Altenburg hat die Zabl derselben abgenommen. Nicht selten zeigte fich Diphtherie aber aub noch in Königsberg, Elbing, Schwerin in Medcklenburg, Halle, Magdeburg, Zeiß, Witten, Rheydt und a. O. Typhöse Fieber riefen nur in Thorn, Paris, St. Petersburg mehr Todesfälle hervor. Sterbefälle an Flecktyphus kommen aus deutschen Städten nur 1, aus Plauen, zur Anzeige, ferner cinzelne aus Malaga, Murcia, Saragofsa und 4 aus St. Petersburg. Sterbefälle an Kind- bettfieber wurden aus deutshen Städten 20 gemeldet. Darm- katarrbe und Brechdurbfälle der Kinder zeigten im Allgemeinen wenig Veränderung in ihrem Vorkommen. Sterbefälle an Pocken wurden feltener Aus teutschen Städten kamen 3 (1 aus Berlin, 2 aus Charlottenburg) zur Meldung; einzelne Sterbefälle kamen au aus Liverpool, St. Petersburg, Granada, Turin zur Mitthei- lung; in bescränkter Zahl zeigten sich Pocken in Wien, London, Paris, Birmingham, Warscbau, Madrid, Murcia, Lissabon, St. Louis. In Triest, Brüssel, Malaga, New-Orleans hat die Zahl der Opfer erheblich zu-, in Prag und Rio de Janeiro etwas abgenommen. Sterbefälle an Cholera kamen aus Kalkutta (Mitte Dezember) 24, aus Bombay (16.—22. Januar) 22 zur Anzeige. In Rio de Sineiro erlagen in der 2. Dezemberhälfte 16 Personen dem gelben ieter.

Kunft, Wissenschaft und Literatur.

Im Verlage von Rudolf Line, Leipzig 1884, ersien soeben eine Broscbüre, betitelt: „Eine Antwort auf die soziale Frage“, von Christ. Kraemer, vormals L.hrer in Königswinter a. Rhein, (Preis 50 4). Der Verfasser sucht auf diese wichtige, von so vielen Seiten beleuhteten und immer noch ihrer Erledigung harrenden Frage eine neue Antwort zu geben durch ein eigenartiges Jastitut, welches er den Familienbund nennt und selbst als ein volkswirtbschaftliches Unternehmen bezeichnet, Er ist der Ansicht, daß die soziale oder Arbeiterfrage nicht allein dur sächliche, sondern aub vornehmlich durch sittliche Kräfte gelöst werden könne, wozu eine gewisse menschlihe Ver- einigung der Kräfte des Arbeitens auf gemeinsamer Grundlage mit gemeinsamen Richtpunktea viel beitrage. Diese Vereinigung sei nun die Familie, welche das befte Bewahrungêmittel vor allen sozialen Ver- irrungen bilde; die Tugenden derselben, Liebe, Ordnung, Fleiß, Spar- samkeit, sie seien die werthvollste Garantie für ein gedcihlihes, ge- selschaftliches Leben und Schaffen So denkt der Verfasser durch einen allgemeincn Familienbund das sittlihe und materielle Wohl seiner Mitglieder für die ganze Lebensdauer gründen und för- dern zu belfen, soweit dies in seiner Macht liegt und in seinen Be- rei gehört, Er entwirft cin Programm und provisorisches Statut nebst Darlegung dcr Zwecke dieses Bundes und seine in sozialer Beziehung bedeutende Wirksamkeit für Familie, Staat und Kirche. Zunächst soll dieser Bund durch Belehrung wirken. Unter Mitwirkung bewährter und auf dem Gebiete der Bolkswirtibschaft und des Familienlebens anerkannter Männer und Frauen soll zunächst an jedem Sonnabend ein Wochenblatt: „Die Familie“ erscheinen. Dasselbe wird, ohne au eigentli staatliche und kirhlihe Einrichtungen und Streitfragen einzugehen, dem Gewissen, dem Rechte und der Klugheit die gebührende Nechnung tragen und sich hiernach verbreiten über das Zustandekommen der Ebe, die Ec- ziehung der Kinder, die Gesundheitspflege, die Wahl des Lebens- berufes, das Verhältniß des Arbeitsgebers zu dem Arbeitsnchmer, die Entstchung, Bezugs- und Absatquellen der Waaren, das Verwittelungêwesen, inétbesondere zur Erlangung von Stellen nit allcin für das Gesinde, fondern auch für Diejenigen, weld:e zu mehr geistigen Dingen, zur Aufsicht, ‘Erziehung, Verwaltung u. \. w. ke- rufen sind, sei es innerhalb des Familienkreises als Kost- und Woh- nungêgen offen oder außerhalb tesselben. Ferner -die Zuträglichkeit ge- wisser öffentliber oder auch nit öffentlider Anj|talten und Ein- richtungen, wie Lebensversicherungen, Zufluchts- und Versorgungshäuser, Unterstütungskafsen, sowie das Erscheinen von Gesetzen, Vero: dnungen 2c. Zweitens durch Errichtung zweckmäßiger Anstalten. In ciner längeren Betrachtung motivirt {ließlich der Verfasser das Unternehmen. Um demselben die größtmöglidste Ausdehnung zu ver- E: werden in Stadt und Land General- und Spezial- Filialen errichtet.

Land- und Forstwirthschaft.

Im Verlage von Carl Chun (Berlin, Steglißerstr. 57) erschien soeben: Katechismus für den Nemonterettex over die sul: gercchte Dressur des jungen Pferdes, von J. Blan ck, Königl. Prinzl. Wagenmeister a. D. Preis einzeln 50 9, in Parthien 35 S. Der Verfasser giebt in der klar und faßlich§ geschriebenen und jedem Laien verständlichen Broshüre in Form von Frage und Aniwort dén Stallmeistern, Bereitern und solchen, die es werden wollen, Thatsachen an die Hand, wie es am leichtesten möglich ift, junge Pferde sculgerecht zu dressiren und zuzureiten. Die Broschüre wird in 3 Perioden cingctheilt. Die 1. Periode umfaßt folgende Lektionen bei der Drefsur des Remontepferdes : 1) das Handfrommmachen im Stall, 2) das Bekanntmachen des Pferdes mit der Neitbahn, 3) das Auf- und Absißen, 4) das Anreiten im Freien, den natürliden Schritt und den Uebergang daraus zum natürlichen Trabe. IT. Periode. Im Allgemeinen: 1) Die Bear- beitung des Pferdes in der Stellung der Fäuste auf gerader Linie; 2) die Bearbeitung des Pferdes in der Stellung der Fäuste auf gerader Linie und auf dem Zirkel. Im Speziellen: 1) Entwickelung des natürliden Trabes mit Herstellung eines natürliten Gleich- gewits ; 2) dreisteres Vorwärtsgehen auf vershränkten Schenkeldruck und Erlangung der richtigen Anlehnung, Rückwärtstreten und dadur Vorbercitung zur Aufrihtung; 3) Entwicklung der cadercirten Trab- arten, Weihmachen des Halses in der Bewegung und auf der Stelle Biegung des Genickes, vermehrte Aufrichtung und Gleichgewicht : 4) Bearbeitung in der Stellung auf gerader Linie, Arbeit auf dem Zirkel, vorbereitende Lektionen zu den Seitengängen ; 5) Wendungen auf der Stelle und zwar anfänglib nur auf der Vor- hand. Die 111. Periode enthält: das Schulterherein, Travers, Ren- vers, Volten, Kehrt!-Wendung, kurze Kehrt-Wendung, der Galopp: der kurze Galopp, der starke Galopp, Fehler im Galopp, Wecbseln im Galopp, Springen. Diese Broschüre sei bicrmit allen Stall- meistern, Unteroffizieren, Bereitern und allen Freunden der Pferde- S 34 E E R zumal der Verfasser an e nd langjähriger Erfahrungen seine Rathschläge zur Drefsur junger Pferde in derselben ertheilt. MSIROO I, VeldteRtEN

Gewerbe und Handel.

Der Aufsichtsrath der Preußishen Immobiltien- Aktien-Bank hat die von der Direktion vorgelegte Bilanz éa nehmigt. Das Gewinn- und Verlustkonto ergiebt einen Reingewinn von 564 000 M. inkl. des Gewinnvortrags aus 1882, Hieraus resultirt ae Ds o Mun A Len die Vertheilung cine ende von 7% und ein Gew SE ane 100 nnvortrag auf dieses Jahr

er ufsihlsrath der Berliner Kammagarn- Spinnerei, Shwendy u. Co. hat die Dividende pro 1883 au 14 9/6 festgeseßt. Die Gesellschaft hat im vorigen Jahre 330 000 Kilo Zepbyrgarne und 130 000 Kilo Garne für Webezwecke produzirt. Die Fabrikation der leßteren erwies sih als ziemlich rentabel, doc waren die Preife au für sie gedrückt. Der Gesammtgewinn beläuft sib auf ca. 50000 4, während der Gewinn pro 1882 80961 M betragen au: Aufs

Der Aufsichtsrath des S@&lesischen Bankverei , nehmigte die Bilanz für das Jahr 1883, die mit einem Meitoaeidfitn von 1187 107 4 abschließt. Derselbe ermögliht, nab Dotirung des Reservefonds mit 59 547 4, Abschreibungen guf Fabrik- und

Hanegrundftücke in Grünberg, sowie auf Ausfälle bei der Centrale mit 52 728 Æ, Zablung der Tantième an den Verwaltungsrath mit 49 500 Æ, die Vertheilung einer Dividende von 54% und einen Gewinnvortrag pro 1884 von 35 332 Königsberg i. Pr., 4. März. (W. T. B.) Die Betriebs- einnahme der Düprenstldan Südbahn im Februar 1884 betrug nach vorläufiger Feststellung: im Personenverkehr 58 684 4, im Güterverkehr 187 704 e, an Extraordinarien 15 000 4, zusammen 261 388 Æ, im Monat Februar 1883 definitiv 545 138 4, mithin gegen den entsprewenden Monat des Vorjahres weniger 283 750 Æ, im Ganzen vom 1. Januar bis ultimo Februar d. I. 566022 ; gegen 1078049 A im Vorjahre, mithin weniger gegen den ent- sprechenden Zeitraum des Vorjahres 512027 London, 3, März. (W. T. B) Wollauktion. Der Ton war während der leßten Tage wi: der lebhafter, Preise fester. Glasgow, 3. März. (W. T. B.) Die Verschiffungen von Noheisen betrugen in der vorigen Woche 7190 gegen 10 200 Tons in derselben Woche des vorigen Jahres. Bradford, 3. März. (W. T. B.) Wolle unverändert, Garne sehr matt, unregelmäßig, Stoffe unverändert, Kopenhagen, 3. März. (W. T. B.) Die Nationalbank seßt von morgen ab den Wechseldiskont und den Lombardzinéfuß auf

3F7—4 9/0 herab. Verkehrs-Anstalten.

Bremen, 3. März. ‘(W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Hohenstaufen“ ist am Sonuabend in Baltimore, der Dampfer „Frankfurt“ derselben Gesellschaft am 25, v. M. in Montevideo und der Dampfer „Rhein“ eben- e “rig Norddeutschen Lloyd heute früh 6 Ubr in New-York ein- getroffen.

Pamburg, 4. März. (W. T. B.) Der Postdampfer „Lessing“ der Hamburg - Amerikanischen Packetfahrt- Aktiengesell\chaft ist gestern Abend 10 Uhr in New-York, und der Postdampfer „Wieland“ derselben Gesellschaft ist, von New-York kommend, Nachts 12 Uhr auf der Elbe angekommen.

Berlin, 4. März 1884.

Eine Kunstaukt ion von ungewöhnlicher Bedeutung findet in Rom vom 17. März bis 10. April statt. Es kbandelt sich um die Versteigerung der berühmten, von Alessandro Cafstellani hinter- lôfsenen Sammlung von ebenso vielseitigem wie kostbarem Inhalt. Eine Vorstellung von ihrem Umfang und von der auserlesenen Qualität der in ihr vereinigten, das Gesammtgebiet künstlerischer und kunstgewerbliher Produktion des Alterthums, des Mittelalters und der Renaissance repräsentirenden Stüde giebt der in fran- zösiswer Sprache abgefaßte beschreibende Katalcg, cin an- sehnliher Quartband von 8312 Seiten Umfang, der auf 5L in Licbtdruck und Zinkogravüre hergestellten Tafeln, zu denen now zahlreice in den Text gedruckte JUustrationen hinzukommen, eine kleine Auswahl hervorragender Stücke veranschauliht. Er zerfällt in zwet Abtheilungen von ziemlicher gleiher Ausdehnung, von denen die erste in 1420 Nummern die antiken Arbeitea, die andere in 1325 Nummern diejenigen des Mittelalters und der Renaissance umfaßt. In beiden Abtheilungen hat ein seltenes Sammlerges{ick und ein nicht geringeres feines künstlerisches Ver- sländniß eine Fülle der auserlesensten Objekte jedweder Tecnik ver- einigt. Unter den Denkmälern antiker Kunst sind cs, abgésehen von einer ansehnlihen Reihe von Marmorskulpturen, vornehmlich die Vasen und Terrakotten, die Bronzen, Medaillen, ge- \hnittene Steine und S{mudckgegenffände, die nebst Mie- cellaneen verscbiedenster Art das Auge auf sich lenken. Unter den Kun terzeugnissen der späteren Perioden stehen sodann die italienishen und persischen Fayencen, einige der seltenen Medici- Porzellane, die veneitanischen, deutschen und orientalishen Gläser, eine reihe Kollektion von Arbeiten in Gold, Silber und Email so- wie die kostbarsten Gewebe und Stickereien in erster Linie, Daneben fehlt es niht an hervorragenden Möbeln und Holz- und Elfenbein- \hnißereien, an Produkten der mannigfachsten Zweige der Keramik und der Metallindustrie,“ an bemerkenswerthen Leder- arbeiten, an Skulpturen, Gemälden, Manuffkripten u, \. w. Bon den Abbildungen ist die größere Hälfte den Werken antiker Kunst gewidmet, unter denen eine ganze Reihe von Stücken höchster Seltenheit und größter Schönheit der Arbeit si präsentirt, Neben zwei Marmorbüsten, von denen cin überlebensgroßer, auf Sizilien ge- fundener weiblicher Kopf auch dur seine tadellose Erhaltung sich auêzeihnet, werden namentlich Bronzen, Vasen und Terrakotten vor- geführt. An einen Spiegel alterthümlichsten Styls, dessen Handgriff die Statuette einer langbekleideten Venus mit zwei seitlich ange- ordneten beflügelten Genien bildet, und einen anderen, dessen Gravirung cine auf einem Hirs reitende Artemis zeigt, reiben \i hier Figuren und Gruppen des strengeren und eine köstliche Venus- statuette des freiesten Styls sowie eine statiliche sechéflammige Lampe mit cinem meisterlichen Medusenkopf als Mittelpunkt des plastischen Scmues, : Noch reichcr ist die Zahl der besten Terrakotten von LTanagra, Myrina und anderen Fundorten, von benen man(he bereits in der archäologischen Litteratur bekannt ist. Erotishe und bachische Gruppen, das figurenreiche Bildwerk eines Leichenshmauses, eine Artemis in reidges{mückter Kleidung und von vollendetster Feinheit der Modellirung und eine ruhende Aphrodite, deren Gewand von Eroten hinweggezogen wird, gehören hier zu den ausgezeinetsten Arbeiten ihrer Art. Von den Vasen sei endlih noch eine ansehnliche Hydria des sog. s{önen Styls hervorgehoben, die in einer Gruppe von Gottheiten die beiden mittleren Geftalten in reiher polychromer Malerei zeigt und auch bei den übrigen Figuren dem Roth zierliche farbige Zuthaten und Vergoldung hinzufügt. In der zweiten Abthcilung des Katalogs werden sodann eine männliche Porträâtbüste florentinisher Renaissance und eine Madonna des Antonio Pollajuolo in altem Renaissarcerahmen reproduzirt. Daran reihen sich als kunstvolle Metallarbciten zwei interessante Religuiarien, als ein sel- tenes Stück gerißter italienisher Lederarbeit mit fectiger Bemalung und Vergoldung cine runde Dose mit religiösen Darstellungen, als Proben der Glassammlung einige venetianishe Gläser mit Gmailmalerei u. a. m. Die größte Zahl der Abbildungen aber ist den Fayencen gewidmet, von denen ein rhodischer Teller \{önster Zeichnung, mehrere hervorragende sicilisch-arabishe Gefäße und \hließ- - lih eine Reihe von Stücken aus der reihen und kostbaren Gruppe italienisher Majoliken der verschiedensten Fabrikationëstätten wieder- gegeben sind. Auch nach der Zerstreuung der Sammlung selber wird der Katalog durch diese vorzüglichen Abbildungen im Verein mit der genauen und sorgfältigen eshreibung sämmtlicher bedeutenderer Stücke einen dauernden wissenshaftlihen Werth behalten.

So lebhaft auch das Lutherjubiläum des vorigen Ja in de Reichshauptstadt gefeiert worden ist, so hat der rofe E chen die Feier hier in Berlin annehmen mußte, für welchen die Kirchen nicht zureichten, ähnliche Festlveranstaltungen, wie sie in Jena und Worms das höchste Interesse erregten, in den Jubiläumstagen niht möglich gemacht. Dies soll nun jeßt in würdigster Weise nach- geholt werden. Es hat \ich ein Comitée hervorragender Männer der Aufgabe unterzogen, das Wormser Lutherfestsyiel von Dr. H. Herrig, welches in Worms vom 30. Oktoker v. Zat elf Mal mit immer größerem Erfolg aufgeführt wurde, hier in Ber- lin im Saale des Stadtmissionshauses, Johannistish 6 zur mehrmaligen Aufführung zu bringen. Die dazu nöthigen zahl- reihen Mitwirkenden sind, ebenso wie in Worms und Jena, aus Privatkreisen zusammengetreten und haben si in steigender Begeistc- rung die Einlibung des Festspiels angelegen sein lassen. Am Don- nerstag, den 6. d. M., wird die erste Aufführung stattfinden. Es han- delt sich hier um eine ganz eigenartige Kunstersbeinung, welche schon um der äußeren Form willen geeignet ist, bohes Interesse zu erwecken. Da

der Kirche berechnet war, so mußte von allem scenishen Aypara allem im eigentlihen Sinne Theatermäßigen so gut zu an E schen werden. Jn gleicher Weise, wird dasselbe au hier in Berlin vorgeführt. Man wird dabei an “die mittelalterliden firliben Mys- fterien oder auch an die ursprünglicen Shakespeare’she Bühnen- einrihtung erinnert. Auch der Inhalt des Festspiels hält \ich durchaus in den Grenzen einer weihevollen Feier zum Zweck innerer Erhebung und Andacht. Auch hier is Alles nur Theatralische mit Geschick und taktvollem Sinn vermieden ; nit eigentli historische pa Ag rve eden arp en j pudenn Ee belebte Bilder jener großen Tage, und in den Persönlichkeiten mehr geschichtlie Typen als dramatisch{ durchgeführte Charaktere. A us __ Am Mittwoch findet die Generalprobe statt. Die Einfludirung, die von dem Direktor Ahlers geleitet wurde, hat niht geringe Mühe gekostet, da zwanzig Rollen zu beseßen waren und außerdem über huntert Statisten mitwirken. Die von dem Hoflieferanten Straube gelieferte Orgel ift hintec der Bühne aufgestcllt.

Der Tagesverkauf der Billets findet nur im ,„Invalidendank“, Markgrafenstr. 51a, sowie Abends an der Kasse statt.

_(A. Woldts wissenschaftl. Corr.) Der berühmte russische Reisende Oberst N. Przewalsfki hat auf seiner leßten großen Reise zwei deutschen Forschern die Ehre erwiesen, große, von ihm entdeckte Schneegebirge in Centralasien mit ihrem Namen zu benennen. Durch die bereits früher gemachte Entdeckung des kolossalen Gebirges Altyn-tag wurde die bis dahin unbekannte Verbindung zwischen dem Kuen-Luen und dem Nan-shan als Thatsache festgestellt und zugleich die Lage des Nordrandes des ganzen tibetanischen. Hochlandes in allgemeinen Zügen klar gelegt. 90 Werst öftlich von der Scneegipfelgruppe Anembar-ula erhebt sich in der Hauptaxe des Nan-\schan-Gebirges eine kolossale Kette von Bergen mit ewigem Scnee, die sih über 100 Werst in der Ribtung von Westnord- west nah Ostfüdost hinzieht. An das Ostende dieser Ketie {ließt sich, von Südfüdwest her, fast unter einem rechten Winkel ein anderes, gleichfalls in den ewigen Schnee hineinragendes und vielleiht nur wenig kürzeres Gekirge, das mit seinem südlihen Theile in der Nähe des Sees Iche- Zaidaminnor an die Wüste von Nordzaidam stößt. Przewalski berihtet hierüber in seinem Reisewerk: Da diese beiden Schneeketten keinen allgemeinen Namen von den Eingeborenen erhalten haben, diese vielmehr, wie gewöhnlich, nur einzelne Theile und die Hauptzipfel durch Namen unterscheiden, habe ich von dem Rechte des ersten Erfor- shers Gebrau gemacht, und die Schneekette, die sich in der Hauptaxe des Nanschan hinzieht, Humboldt-Gebirge und die perpendikulär zu dieser stehende Rittergebirge genannt, um zwei große Gelehrte Lyn e fi g eifrig G Le May Centralasiens bemüht

en, Elnzelne Gipfel des Humboldt-Gebirges erheben sich bis zu 19 000 Fuß absoluter Höhe. s y G : Das Deutsche Theater hat dur die Aufnahme der „Valen- tine“ von Gustav Freytag wiederum bekundet, daß es bei der Zu- sammenstelung seines Repertoires, das uns s{on so manchen edlen Genuß geboten hat, sich durch feinen Geschmack und Achtung vor dem Urtheil des literarisch gebildeten Publikums in gleiher Weise leiten läßt, Denn man kann nit leugnen, daß {on heute die Zahl Der- jenigen niht gering ist, die geneigt sind, die dramatisdhen Werke Freytags mit dem Verdikt „veraltet“ zu belegen: ein Makel, der der heutigen raschlebigen , zur Ueberhebung neigenden Generation alle inneren Vorzüge aufwiegt. Sie weiß eben nits mehr von den geistigen Kämpfen um „Freiheit und Selkstbestimmung“, welche noch in den Dialog ¿wischen Valentine und Saalfeld hineinspielen und vor bei- nahe 4 Jahrzehnten so viele Köpfe verwirrten und begeisterten ; sie sieht sih im glücklichen, unangefochtenen Besiß alles dessen, wonach damals mit ebensoviel aufrihtigem Enthusiasmus wie \{chwülstiger Unklarheit gerungen und gestrebt wurde. Aber wenn auch das Interesse an dem Stoff nur mehr ein historisches als aktuelles ift, kann man eine herzerquickende Freude an den Hauptcarakteren haben, die fo ganz aus übervoller Dichterbrust geschöpft, so ungekünstelt und bei aller Idealisirung zu so voller Lebensfähigkeit auêgestaltet vor uns hintreten. Die mit dem ganzen Zauber edler Männlichkeit ges{hmüdckte, von dem Schimmer der Ro- mantif umlihtete Figur des Saalfeld ist immer eine der dankbarsten und schönsten Rollen für Helden - Liebhaber gewesen, und Hr. Barnay bringt nit nur alle äußeren Erforderlihkeiten für ihre Re- präsentation mit, sondern vermag sie auch innerlich so über- zeugend zu gestalten, _wie sie es verlangt. Selbst der etwas schwerflüssige Konversctionston, der ihm bei der Darstellung leichterer Salonfiguren Hindernisse bereitet, war dem Auétdruck dieser unsmiegsamen Ueberzeugungstrcue und Ehrlichkeit förderlich. Auch dem Frl. Haverland stehen für die Verkörverung der Titelrolle, dieser „Löwin, die mit Mäusen spielt“, alle wünshenswerthen äußeren Vorzüge reilich zu Gebote, indessen {ien die ges{äute Künstlerin, troß vieler herrlicher Momente, noch nicht ganz gleihmäßig in ihrer Rolle aufgegangen zu sein; wenigstens zeigte fie hier und da, nament- li wo die höfishe Intrigantin hindurhbrict, eine gewisse Unfreiheit, die allerdings vielleibt auf Rechnung der erklärlichen Befangenheit bei der ersten Darstellung einer so \{chwierigen Rolle zu setzen sein dürfte. Die leßte Scene zwischen ihr und Saalfeld wurde dagegen vollendet gespielt. Frl. Sorma war als Prinzeß Marie so elegant, natürlih und naiv, wie wir noch keine Rolle so glüdliÞ von diefer jungen Dame dargestellt gesehen haben. Die undankbare Rolle des Fürsten gab Hr. Peppler mit guter Re- präsentation, obgleich der liebenswürdige, joviale Künstler sih sictlich vielen Zwang dabei auferlegen mußte. Den Minifter von Winegg spielte Hr. Förster mit Wärme und Ueberzeugung, und den Hof- marsball hielt Hr. Kiershner mit vielem Glück in trefflihster Charakteristik von jedec Charge und Uebertreibung fern. Hr, Fried- mann schob dagegen den Benjamin fast zu fehr in den Vordergrund und fand bei der überlauten Betonung der niedrigen Kniffe und Pfiffe dieses Vertreters vom Stamme „Nimm“ eine häufig beinahe unheimlich beifällige Zustimmung von Seiten eines Theils des Audi- toriums. Die sehr willkommen zu heißende neue Einrichtung der seitlihen Ausgänge bewährte sich bei Füllung und Leerung des Zu- \chauerraums vortrefflih und zu allgemeiner Zufriedenheit.

Die Königliche Akademie der Künste veranstaltet am Freitag, den 7. d. Mts., Abends 75 Uhr, im Saale der Sing- Akademie ihr 4. Abonnements-Concert L Cyklus) unter Mitwirkung der Hrrn. Joachim Andersen und Hofopernsänger Franz von Milde aus Hannover und unter Leitung des Hrn. Prof. Rudorff. Das Programm lautet: 1) Brahms, Variationen f. Orchester über ein Thema von J. Haydn. 2) Sachini, Arie, 3) Mozart, Concert f. Flôte. 4) Beethoven, Ouverture „Leonore“ Nr. 11. 5) Spohr, Arie aus „Jefsonda“. 6) Haydn, Sinfonie D-dur Nr. 5. Billets zu 5, 4 u. 2 M find in der Sing-Akademie bei H. Schaeff zu haben. Das 3. Abonnements-Concert der Sing-Akademie findet am Sonncbend, den 15, d. M., Abenvs 6} Uhr, statt. Zur Aufführung gelangen die „Jahreszeiten“ von Haydn. Einlaßkarten ¿u 4 k (Loge 3 M, Balkon 2 4) sind bei dem Hauêwart der Sing- Akademie käuflich.

Im Concerthause kommt morgen die C-mo!l-Symphonie 2 Den dar T Werke v Mozart, Dee

agner, Liszt, Lassen, Nubinstein 2c. vervollständigen das inter- essante Programm dieses Abends. ! L E As

Nedacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Fünf Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

das Lutherfestsptel in Worms von vornherein für die Darstellung in

S E a ai Pi Gia A L R EA: B En A i a C Or R L ULA

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gefeßt.

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Slaats-Anzeiger.

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Erste Beilage

Berlin, Dienstag, deu 4. März

1884,

Nichtamfklißes. -

Berlin, 4. März. Im weiteren

Preufen.

Verlaufe der gestrigen (57.) Sißung des Hauses Der Abgeordneten wurde die dritte Berathung des Geseß-

entwurfs, betreffend die Feststellung des Staatshaus- halts-Etats für das Fahr vom 1. April 1884/85 fort-

Die Spezialetats der Domänenverwaltung, der Forst- verwaltung, der Centralverwaltung der Domänen und Forsten, der direkten und der indirekten Steuern, sowie die Rente des Kronfidcikommiß:-Fonds wurden ohne weitere Debatte ge- nehmiat.

s Es folgte der Etat der Lotterieverwaltung, zu ‘welchem folgender, von den Abgg. Dr. Löwe (Bochum) und Dr. Windthorst eingebrahte Antrag vorîtag:

Das Haus der Abgeordueten wolle beschließen :

Die Könialihe Staatsregierung aufzufordern, ihre Be- mühungen für den Erlaß eines Reichsgefeßes eintreten la'ien zu wollen, turch welches alle in den Staaten des Deutschen Reiches bestehenden Lotterien aufgehoben werden und die Errichtung neuer verboten wird.

Der Abg. Dr. Wagner (Osthavelland) erklärte, dieser ‘Antrag entsprehe durchaus seiner persönlichen Stellung zur Sache. Die Aufhebung der Staatslotterien sei {hon oft, {hon auf dem vereinigten Landtag von 1847 gefordert wor- den, wo si der spätere Finanz-Minister von der Heydt sehr \charf gegen die Lotterien ausgesprochen habe. Der nord- deutsche und der deutsche Reichstag seien vielfah mit ähnli- hen Diskussionen befaßt gewesen; noh 1881 sei in der Kom- mission für das Stempelgeseß ein gleihlautender Antrag mit geringer Minorität abgelehnt. “Auch der gegenwärtige Augen- blick lege dem Hause die ernstlihe Beseitigung der Staats- Totterien nahe. Die hauptsächlihsten Kulturstaaten duldeten diese Lotterien niht mehr, England habe sie 1828, Frank- reih 1835 abgeschafft, auch Nordamerika und Rußland hätten sie nicht mehr. Außer Deutschland hätten nur noch Hol- land und Dänemark eine Klassen- und Desterreih, Un- garn und Jtalien eine Zahlenlotterie, TFedermann wisse aber, wie verderblih in diesen Ländern das Lolteriespiel ge- wirkt habe, wie es Unwirthschaftlihkeit und Abgerglauben gefördert habe. Die Reineinnahme von 8 Millionen Gulden, die Oesterreich daraus ziehe, sei jedenfalls die s{limmste Form einer Staatseinnahme; ebenso stehe es in Jtalien, und auch für Ungarn seien für diese Einnahme hauptsächlih finanzielle Nücksichten maßgebend. Solche lägen aber für Preußen nicht vor. Jm Deutschen Reiche hätten noch Preußen, Sachsen, Braunschweig, Hamburg und Mecklenburg-Schwerin Staats- lotterien. Preußen habe einen Reinertrag von über 4 Mil: lionen Mark, dagegen Sachsen, welches nur den neunten Theil der Einwohnerzahl Preußens habe, 4 406 000 6, das kleine Braunschweig 1164000 #, Hamburg 1454000 /6 Das “Mißverhältniß sei offenbar; Preußen müßte seine Loose ver- zehn- oder verzwölffahen, um Sachsen gleih zu kommen, welches 1880 zudem den Preis der Loose unter der Hand er- höht habe. Durch die Ausgabe der Loose, die ja zum großen Theil in Preußen gespielt würden, hätten jene Kleinstaaten ih einen unverzinslichen Kredit verschafft, namentlih Sachsen, dessen Kosten von Preußen getragen würden. Hier müsse Abhülfe geschafft werden. Die Kompetenz des Reiches sei nicht zu bestreiten, da schon dessen Rehtsvorgänger, der Nord- deutsche Bund, die Spielbanken aufgehoben habe. Solle nun cine bloße ecinheitlihe Regelung genügen, wona die Lotterien der Einzelstaaten entweder auf das Reich übergehen follten, oder den Einzelstaaten vom Reiche ein Spielplan vorgeschrieben werde ? ‘Wenn man das Lotteriespiel als reines Hazardspiel für un- mmoralish erkläre, wenn man leßteres strafrehtlich verfolge, wenn man selbs| die Börse unter demselben Gesichtspunkt höher besteuere, dann müsse man sih für die Aufhebung der Staatslotterien aussprechen. Ohne zu übertreiben, könne man diese Frage mit der der Prostitution zusammen berühren. Würde es ret sein, leßtere etwa so zu regeln, wie in Frank- reich, weil es sih hier doch auch um Glieder der Menschheit handele, oder solle man nicht vielmehr sie mit allen Mitteln zu unterdrücken traten. Er sage mit seinem geliebten Lehrer Robert von Mohl: Es handele sich für den Staat siets darum, nicht mit dem Laster zu paktiren, sondern es zu verfolgen, wo man es treffe. Prinzipiell müsse man daher der Aushebung der Lotterien geneigt sein. Preußen dürfe natürlich damit nicht allein vorgehen, denn sonst würden die kleineren Staaten einfa ihre Loose noch weiter vermehren, wie zum Beispiel Sachsen die Zahl von 34 000 auf 100 000, Hamburg von 22 000, Braunschweig von 25 000 ebenfalls auf 100 000 erhöht hätten. Hier müsse also reihsgeseblich eingegriffen werden. Finan- zielle Einwände seien in Preußen auch nicht stihhaltig; die vier Millionen könnten wohl auf andere Weise beschafft wer- den, und selbst Zuschläge zur Klassensteuer seien lange nicht so schlimm, als diese Lotterie, welche gerade den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche lotte. Zum Schlusse komme er auf das dem Hause zugegangene „ergebenste Promemoria der unterzeihneten Hamburger Einwohner und Jnhaber von Lotteriegeschästen“, welches er zuerst für die Eingabe irgend cines Spaßvogels gehalten habe, denn die Beweisführung sei fo hochgradig naiv und andererseits ironisch, daß ein Gegner der Lotterien nichts Besseres hätte schreiben können. Zunächst werde auf die im Dienste ergrauten Collecteure hingewiesen ; aber {hon der Abg. Virchow habe in den se{ziger- Fahren gesagt, um der Collecteure Willen seien die Lotterien gewiß nicht beizuhalten. Dann werde die Gemeinschädlichkeit der Lotterien bestritten, während doch heutzutage {hon mit Vier- undsec{hzigsteln und Hundertahtundzwanzigsteln operirt werde, und die Collecteure an jedem dieser Antheile sih bereicherten. Auch solle das Lotteriespiel unvergleihlich besser sein, als das Börsen- und Aktienspiel, und das leßtere zu beschränken geeignet seien. Wenn nun auch dem Lotterie- spiel duch die staatlize Genehmigung die levis

notae macula genommen werde, werde doch das Börsenspiel durch dasselbe keineswegs verringert. Das wunderbarste Argu- ment in dem Promemoria sei aber jene tiefere psyhologische Begründung des Spiels ; der Mensch verlange nah Abwechse-

lung, der kleine Mann müsse wenigstens im Lotteriespiel eine Hoffnung haben, die ihn den tagtäglihen Sorgen einiger- maßen entziehe. Kürzer könne man wohl frei nah Schiller sagen: „Ein Lotterieloos muß er sein eigen nennen, oder er wird morden und brennen !“ Diese Art der Lösung der sozia- len Frage möge wohl den Hamburger Lotterie-Collecteuren entsprechen, seiner Pactei entspreche sie niht. Der Staat mit der stärksten Entwickelung des Lotteriespiels habe bekanntlich auch die allershlimmste und heftigste Sorte der Sozialdemo- kraten erzeugt, das Lotteriespiel habe hier also keine Auëgleihung der Gegensäße herbeigeführt. Das Beste an dem Promemoria aber seien die Namen derx Unterzeichner, sie sprächen Bände. Hier seien sie: Lilienfeld, Blumenthal, Sally Levy, Westphal, Manasse, Kallmann, Seligmann, Mansfeld, Rosenberg, Herz, Marienthal u. \. w. u. \. w. Man solle viese Namen einfach an die große Glocke hängen; es sei gegen den guten Geist des deutschen Volkes, daß man solhe Promemorias einem deutshen Parlament zu überreichen wage, daß sih in Deutsch- land eine Reihe von Leuten finde, die dein Hause so etwas zu bieten wagten!

Der Abg. Frhr. von Minnigerode hatte inzwischen fol- genden Gegenantrag eingebracht :

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen : Die Staatsregierung aufzufordern, ihre Bemühungen für den Erlaß eines Reich8gesetes eintreten zu lassen, durch welbes eine einheit- lie Regelung des Lotteriewesens innerhalb der Einzelstaaten an- gebahnt wird.

Der Abg. Frhr. von Minnigerode befürwortete seinen An- trag. Er (Redner) stehe dem Grundgedanken des Antrages Windt- horst sympathish gegenüber, derselbe erscheine ihm aber zu weitgehend. Zunächst seien es die finanziellen Momente, die für ihn, auch wenn sie noch so klein seien, ins Gewicht fielen, er meine, daß dringende Vorsicht bei der Beseitigung einer Einnahmequelle geboten sei, er verkenne aber niht, daß dies ein Nebenpunkt sei. Prinzipiell könne er sih nicht gegen die Lotterien erklären. Jn allen Menschen liege die Neiaung, ihre Verhältnisse durh Glücksversuche zu verbessern. Wolle man von der moralischen Verpflichtung sprechen, folhe Ver- suche zu verbieten, so müßte man zunächst das BVörsenspiel aus der Welt \{affen, und das könne man nicht. Die mora- lishe Entrüstung über das kleine Lotteriespiel sei also nicht angebracht, mit demjenigen an den Spielbanken sei dasselbe gar niht zu vergleichen. Bei der Lotterie ‘set dur die Kontrole des Staates ein normaler Verlauf garantirt, die Chancen ständen dabei von vornherein fest, die Leidenschast des Augenblicks falle dabei fort. Diese Form des Hazards sei gewiß die mildeste, verbiete man sie, so werde man das Spiel in der Stille begünstigen, und Extra- vaganzen herbeiführen. Wenn nan erwäge, daß Braun- {weig und Hamburg verhältnißmäßig zur Einwohnerzahl viel größere Einnahmen hätten als Preußen, und daß das viel kleinere Sachsen sogar im Ganzen einen größeren Rein- ertrag erziele, als Preußen, so müsse man zugeben, daß grobe Mißstände in Preußen nicht vorlägen. Nachdem das Deutsche Neich geeinigt sei, könne eine Ueberproduktion von Loosen in einigen Staaten gehindert werden. Jn Preußen liege gerade in der Beschränkung der Loose, die durch die große Nachfrage nach Loosen konstatirt sei, eine Garantie gegen ein Ueberhand- nehmen des Spiels. Die einheitliche Regelung im Reich könnte etwa so vor sih gehen, wie die Ausgabe der Kassen- scheine für die Einzelstaaten, oder es könnte nach der Zahl der Bevölkerung eine Regelung erfolgen. Db cs überhaupt möglich sein werde, eine Regelung vom Reich aus vor- zunehmen, das zu beweisen überlasse er den Abgg. Windthorst und Löwe. Sein Antrag sei ein modifizirender Abänderungs- Antrag, der wesentlich von praktischen Gesichtspunkten aus

estellt sei.

s Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, er bedaure fehr, daß sein Mitantragsteller durch {were Krankheit verhindert sei, heute seinen Antrag zu vertheidigen. Er sei von jeher ein Gegner der Lotterie gewesen und sei es auch heute noh. Er hâtte eigentlich erwartet, daß ein solcher Widerspruch gegen feinen Antrag sih nit erheben würde, obwohl er wisse, daß einige seiner Freunde anderer Ansicht scien, wie er. Der Antrag von Minnigerode lehne den einheitlihen Gedanken der An- tragsteller ab, und wolle nur eine einheitlihe Regelung, also den Fortbestand der Lotterie. Der Abg. von Minnigerode wolle au in Preußen nichts geändert sehen, und nur den fleinen Staaten zu Leibe gehen. Das wolle er niht. So lange die Lotterien beständen, müßten die Einzelstaaten genau dasselbe Necht haben, wie Preußen. Die Spielneigung des Menschen verdiene keine Förderung. Man hakte auch bereits die früheren Spielbanken verboten, und es wäre gut, wenn Deutschland seinen durshlagenden Einfluß im Auslande verwendete, um auch die auswärtigen, speziell in Monie Carlo zu beseitigen, denen auch Deutsche alljährlih zum Opfer fielen. Das Lotteriespiel sei aber noch verderblicher, als die Spielbanken, weil die niederen Volksschichten abfolut nicht im Stande seien, die Dinge so klar zu übersehen, wie Diejenigen, die an der Spielbank säßen. Ein heiml iches Lotteriespiel nah dem Verbot wäre gewiß nicht so gut möglich, wie das heimliche Spiel an Spielbanken. Denn daß man da noch spielen könne, bewiesen die vershiedenen Gelegenheiten selbst in Berlin, wo Angehörige der höheren Klassen dem verderblichen Spiele fröhnten. Wolle man einem an sih ver- derblihen Dinge endlih ein Ende machen, so müsse es ganz und gründlih geshéhen. Mit „Anbahnen“ sei es nit gethan. Ob für den Fall einer solchen Aushebung ein Uebergangsstadium nothwendig fein werde, wolle ex nit entscheiden, er glaube es nicht, würde aber nicht dagegen sein, wenn aber die Sache Erfolg haben solle, so müsse sie für ganz Deutschland geschehen, und es müsse dann selbstverständlih auch der Vertrieb fremdländisher Loose vom Reiche verboten werden. Einnahmen aus unmoralischen Hand- lungen wünsche er niht, das non olet könne er nicht unter- \{hreiben. Wie viele hätten in der Hoffnung, ihren Ruin dur Lotteriespiel abzuwenden, gerade dadurch ihr Unglüd herbeigeführt. Er wisse, daß ein Antrag, wie der seinige, nicht gleih am ersten Tage praktish zur Durhiührung kommen werde, besonders wenn die Regierung jich zu demselben ablehnend

oder \{weigend verhalte. Der Abg. Dr. Löwe und er habe dies wohl erwogen und sich 226 gesagt: ein Antrag, der auf so guter Basis ruhe, werde, wenn der Antrag im ersten Jahre nicht durchschlage, es in dem folgenden thun. Er wünsche, daß sein Kollege Dr. Löwe genesen, und im folgen- den Jahre, wenn der Antrag diejem keinen Erfolg haben sollte, den Antrag erneuern möge. Sollte der Abg. Löwe es nicht können, so werde er es thun, um das Lotteriespiel, von dessen Verderblichkeit er überzeugt sei, zu beseitigen,

Der Abg. von Uechtriz-Steinkirh erklärte, er habe sih früher mit Genehmigung der Mehrheit seiner politischen Freunde für die Aufrechterhaltung der preußischen Klassen- lotterie ausgesprochen, wegen der finanziellen Lage des Staates, und weil das Lotteriespiel bei der Neigung des Volfs ein Bedürfniß sei. Er für seine Person stehe auch jeßt noch auf diesem Standpunkte. Er bestreite von vorne herein, daß das Spielen in der preußischen Staatslotterie eine Ausbeutung des Volkes sei, das Volk wisse sehr wohl, daß es mit dem Ankauf eines Looses eine Abgabe an den Staat entrihte, und er glaube, daß im Volke geradezu ein Bedürfniß dazu vor- handen sei. Wenn gesagt werde, man rege dur die preußische Staatslotterie die Spielleidenschaft an, so glaube er, daß dies in viel höherem Maße die auswärtigen Lotterien thäten. Wenn aber hier eine Regelung nicht eintrete, so halte er die Beschränkung der preußischen Klassenlotterie für unstatthaft, weil dadurch die Leute veranlaßt würden, in auswärtigen Lotterien zu spielen. Er würde daher selbst für eine Vermeh- rung der preußischen Staatslotterieloose sein.

Dex Regierungskommissar, Unter-Staatssekretär Meinecke entgegnete, scine Erklärung bei der zweiten Lesung des Etats, daß die Staatsregierung nah den Verhandlungen des rFahres 1881 den Beschluß gefaßt habe, vorläufig die Jnitiative zur Veränderung des Lotteriewesens nicht zu ergreifen, sei er jeßt nicht in der Lage, zu ändern. Zunächst könne er unumwun- den erklären, daß der jeßige Zustand ein sehr unerwünschter sei, namentlich auch in der Beziehung, daß die preußische Be- völkerung durch Loose von benachbarten Staaten vielfach über- s{chwemmt werde. Wenn es sich um eine Neueinführung oder Wiedereinführung einer aufgehobenen Lotterie handelte, fo würde shwerlih ein folher Antrag gestellt, und an das Haus gebracht werden. Vom idealen Standpunkte aus betrachtet, sei die Lotterie, so wie der Abg. Windthorst es ausgeführt habe, immerhin etwas Mißliches, da immer dem Spiel die Absicht zu Grunde liege, reich zu werden ohne ent- \prehende Arbeit, und auch wirthjchaftlich durhaus nicht zu billigen. Aber zwischen dem und der Aufhebung der Lotterien liege doch ein weiter Raum. Sie bringe 4 000 000 M, was an si fein absolutes Hinderniß der Auf- hebung scin würde, wenn man sih überzeugen könnte, daß die Staatslotterie, wie sie gehandhabt werde, in der That ein unmoralishes Jnstitut sei. Aber sie mit den Spielbanken in eine Neihe zu stellen, sei do entschieden übertrieben. Denn bei ihx falle vor allen Dingen die Aufreizung dur die augenblicklihen Chancen , wie bei den Spielbanken, weg. Solche Verhältnisse, wie sie der Abg. Windthorst als nah- theilige Folgen des Lotteriespiels angeführt habe, seien der Staatsregierung nicht zu Ohren gekommen. Jhm seien akten- mäßig keine solhe Fälle bekannt, und es wäre doch von der einen odec anderen Seite darauf aufmerksam gemacht worden, daß irgend ein vernünftiger Mensh durch das Lotteriespiel ruinirt wäre. Vereinzelte Fälle der Art möchten vorgekommen sein, aber in denen würde auf eine Geistes- verwirrung geshlossen werden müssen. Schon die langjährigen Verhandlungen zeigten, wie verschiedene Auffassungen in Bezug auf das Lotteriespiel in der ganzen Bevölkerung herrschten, und wie man deshalb zu einer bestimmten Reso- lution nicht habe gelangen können. Solle das Reich jeßt in Bewegung gesezt werden, so werde zunächst die Kompetenz- frage zu erörtern sein. Er möchte sih der Erörterung dieser Frage bier enthalten, und auch das Haus sei nicht in der

age, darüber entscheiden zu können. Aber das könne er dem Abg. Wagner doch bemerklich machen, daß der bloße Hinweis darauf, daß das Spiel in den Spielbanken aufgehoben jei, keinen Beweis dafür abgebe, daß die Neichs- kompetenz vorhanden sei. Da habe es sich um eine zweifellos straf- bare Handlung gehandelt, um etwas, was dem Strafrecht anheim- falle, und die Strafgesezgebung sei dem Reich übertragen. Die Staatslotterien aber, wie fie in Preußen gehandhabt würden, seien seither nicht nur geduldet, sondern vom Staate selbst, von den konstitutionellen Körperschaften ausdrüdlih gebilligt worden: sie nun plöglih als etwas Strafbares hin- stellen und aus diesem Grunde der Reichsgeseßgebung Üüber- weisen zu wollen, das scheine ihm doch in hohem Grade ge- wagt. Der Antrag, wie derselbe hier vorliege, habe 1881 dem Reichstage vorgelegen, und sei dort abgelehnt, und zwar mit dem Zusaß, daß eine Erweiterung der bestehenden Lotterien inzwischen nicht solle stattfinden dürfen. Ein Jahr darauf habe die sächsishe Regierung ihren Lottericetat vergrößert ; sie habe die Zahl und den Preis der Loose erhöht, so daß die Lotterieeinnahmen dort etwas über die in Preußen hinaus- gingen. Der Abg. Wagner habe aus dem starken Spielen in der Lolterie in Sachsen gefolgert, daß damit der Sozial- demokratismus gefördert werde; aber als diese Position des sächsischen Etats in der Zweiten Kammer zur Berathung gekommen sei, habe der Abg. Bebel beantragt, die Position zu streichen, weil er die Lotterieecinnahme nihi wclle, und dieser Antrag sei mit allen gegen drei Stimmen abgelehnt. Darum bitte er, das richtige Maß in der Beurtheilung inne zu halten, nicht allzusharf zu verdammen, was bisher als straflos gegolten habe, aber auch nicht zu verkennen, daß die Lotterie vom prinzipiellen Standpunkt aus nichts Wünschenswerthes sei. Er schließe mit der Versicherung, daß, wohin der Antrag des Hauses auch gehen möge, die Staatsregierung ihn in ernst- lihe Erwägung nehmen und sich die Frage vorlegen werde, ob sie in Folge desselben -nun eine weitere Aktion eintreten lassen solle, Nach seiner Auffassring habe der Antrag des Abg. von Minnigerode mehr Aussicht, von der Regierung an- genommen zu werden, als der erstere, weil derselbe nicht glei jo entschieden Front gegen das ganze Lotteriespiel mache. Er lege ihn übrigens nicht so aus, als sollte dana für Preußen.