1927 / 71 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 25 Mar 1927 18:00:01 GMT) scan diff

stellen, jeyt sei man nüchterner geworden.

mals nicht, weil der Abgeordnete erst das Ergebnis der im Gange befindlichen Verhandlungen der Hauptverwaltung mit

den Getverftschaften abwarten wollte, Bei der Wiederaufnahme der Verhandlungn zwischen Hauptverwaltung und den Gewerk- schaften Ende Februar und Anfang März dieses Jahres über die von den Gewerfks{baften aufgestellten Forderungen wurde auf Antrag die Entscheidung über die höchstzulässige Arbeitszeit und über die höchstzulässige Schichtzeit ausgeseßt, bis sich übersehen läßt, zu welchem Ergebnis die zurzeit im Reichstage im Gange befindlichen über die Arbeitszeitnotverordnung führen würden.

Im übrigen hat nisse zu den Forderungen der Gewerkschaften gemacht und wird erforderliche Aenderung der Dienstdauervorschrift Die Arbeitszeitfrage wird übrigens von

Verhandlungen

die Hauptverwaltung teilweise Zugeständ= die hiernach demnächst bekanntgeben., neuem aufgerollt wegen der zum 1. April dieses Jahres erfolgten Kündigung der Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen des Lohn- tarifs. Die Besprehung der Angelegenheit mit den Reichstags- abgeordneten wird unter diesen Umständen ziveckmäßig erst dann wicder aufgenommen werden können, wenn die im Gange be- findlichen Verhandlungen über den Lohntarif beendigt sein werden.

Auch abgesehen von der Lohn weiten Raum bei der Kritik des Reichstags an den Verhältnissen bei der Reichsbahn-Gesellschaft bisher stets das Personalwesen eingenommen. Jch habe bereits im Hauptauss{chuß ausgeführt, daß das Verhältnis zwischen meinem Ministerium als Aufsichts- behörde und der Reichsbahn-Gesellschaft auf gegenseitiges Ver- tvauen und gegenseitiges Entgegenkommen aufgebaut sein muß und kann nux wiederholen, daß das Verhältnis sich im Laufe des leßten Jahres zufriedenstellend gestaltet hat,

Aus den Reihen der Reichsbahnbeamten sind eine Reihe Anfragen und Beschwerden an mich gerihtet worden, die mir Veranlassung geben, auf die Verhältnisse näher einzugehen. Wie bekannt, sind die Rechte der Reichsregierung auf dem Gebiete des Personal- wesens gegenüber der Reichsbahn-Gesellshaft beschränkt. Jch werde aber mit Nachdruck darüber wachen, daß die Reichsbahn- Gesellschaft auf diesem Gebiete ihre Verpflichtungen loyal erfüllt, daß sie si also in den gesevlih vorgeschriebenen Rahmen an die Bestimmungen für Reichsbeamte anlehnt. Die Anlehnungspflicht fasse ih so auf, daß nur da eine Abweichung in Frage kommen kann, wo die Juteressen des Betriebes sie unabweislih verlangen. Die neue Orduung der Rechtsverhältnisse der Reichsbahn hat gerade für die Reichsbahnbeamten eine ganze Reihe bedeutungs- voller Abänderungen gebracht. Jh werde stets bestrebt sein, berehtigte Wünsche des Personals gegenüber dem Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft zu vertreten; ein zufriedenes Personal ist die beste Garantie für die Sicherheit des Betriebes. Neben diesen Eingriffen in die Rechtsverhältnisse des Personals bedeutet die der Reichsbahn auferlegte Reparationslast einen ständigen Druck auf das Reichsbahnpersonal allgemein und die Reichsbahubeamten im besonderen. Fs es Aufgabe des Reich§- fabinetts, die Auswirxkung der Dawes-Lasten im allgemeinen sorg- Fältig zu verfolgen, so erblicke ih meine Aufgabe insbesondere darin, die der Reichsbahn auferlegten Lasten und ihre Auswirkuag ständig zu beobachten.

Meine Damen und Herren, meine Ausführungen dürsten Fhnuen einen Einblick in die außerordentliche Vielseitigkeit derx Aufgaben des Neichsverkehrsminuisteriums gegeben haben. Die Uebertragung weiterer technischer Arbeitsgebiete des Reichs an das Ministerium wird vielfa gefordert. Die durch die Ent- schließung des Reichstags vom 22. Fanuar 1926 gefordecte Denkschrift ist ausgearbeitet und im Reichskabinett zur Ent- scheidung zunächst nah der generellen Seite hin vor einiger Zeit vorgelegt worden. Jch stehe den fraglihen Bestrebungen mit Sympathie gegenüber, möchte aber doch betonen, daß im Reichs- verkehr8ministerium niht der von einem Mitglied des Haushalts=- auêshusses behauptete Zustand geherrscht hat, daß die Techniker als Handlanger der Juristen angesehen werden. Jch darf auh hier darauf hinweisen, daß mein Vertreter aus der tehnishen Laufbahn hervorgegangen ist, auch in meinen Ministerium sind rechtskundige und geshulte Verwaltungsbeamte nicht zu entbehren. Unter verständnisvollem Zusammenwirken aller Glieder des Ministeriums werden, wie ich zuversihtlih hoffe, dessen Aufgaben auch fernerhin mit Erfolg gefördert werden. (Lebhafter Beifall rechts.)

und Arbeitszeitfrage hat einen

295. Sißung vom 24, März 1927, nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)

Vizepräsident E \se rx eröffnet die Sißzung um 1 Uhr.

Die zweite Lesung des Haushalts des Reichs- verkehrsministeriums wird fortgeseßt.

Abg. Quaayh (D. Nat.) berichtet über die Verhandlungen des Ausschusses, der sih mit einer Fülle von Problemen beschäf- tigen mußte. Auf dem Gebiete des Luftverkehrs liegen die Dinge T das Reich insofern günstig, als wir dabei von der großen Erb- vankheit, der Zuständigketitsfrage zwischen Reich und Ländern, nicht berührt werden. Freilich u die Luftschiffahrt gefesselt durch den Versailler Vertrag. Der Aus\huß behandelte au den Fall Junkexs. Die Beteiligung des Reiches an den JFunkers-Werken at im laufenden Etatsjahre steigende Zuschüsse erfordert. Das Kabinett beschloß daher, weitere Mittel für das Werk nicht mehr aufzuwenden. Wollte man es nicht zum Konkurs oder zur Liqui- dation kommen lassen, dann blieb nur der Weg einer vertraglichen Auseinanderseßung mit den Vertretern der Aktienminderheit übrig. Dieser Weg wurde beschritten. Funkers hat auf Subventionen jevt verzichtet. Der Haushaltsausshuß hat die Loslösung aus ieser Beteiligung gebilligt. Fn den Etat neu eingestellt wurdey but Betrieb einer weiteren Luftverkehrslinie Berlin—Danzig—

önigsberg 405 000 M., für die Linie Danzig—Marienburg— Elbing—Allenstein 110 000 M,, zur Förderung des Luftverkehrs mit Südamerika 1 800 000 M. Der Redner behandelt dann das Kanalproblem. Früher konnte man eine Kanalschwärmerei fest- Wie eine Sensation wirkte die Mitteilung, daß die Wasserversorgung des Mittelland- kanals nicht auf dem bisher erwogenen Wege erfolgen pn Man wollte bisher das Wasser für die Speisung des Mittellandkanals aus dem Harzgebirge entnehmen. Feßt ist man davon ab- gekommen und will es aus der Kanalisierung der Unterweser nehmen. S

Preußischer Staatssekretär Dr. Weißmann gab für die an dem Bau des Mittellandkanals beteiligten Länder Preußen, Sachsen, Braunschweig und Anhalt folgende Erklärung ab:

1. Das Reich hat sich durch Staatsvertrag verpflichtet, den Mittellandkanal einschließli des sog. Südflügels zu bauen. Diese Verpflichtung war die Vorxausfeßung für die R der Wasserstraßen an das Reich. 2. Das Reich kanu dieser Verpflich-

tung gegenüber nur den einen Einwand erheben, daß es zu ihrer Erfüllung finanziell niht in der Lage sei 3. Dieser Einwand kann insonderheit bezüglich des Südflügels nicht erhoben werden, da für andere Wasserjtraßenbauten, deren wirtshaftliche Bedeu- tung sih mit der des Mittellandkanals nicht vergleichen läßt, erhebliche Mittel verfügbar sind. 4. Fn der beantragten Strei- chung des Südflügels und der Weserkanalisierung liegt eine shwere Gefährdung des Mittellandkanals in allen seinen Teilen, die in ihrer Gesamtheit ein einheitlihes Projekt darstellen. 5. Damit wird gegen feierlih verbriefte vertraglihe Abmachungen verstoßen. Hiergegen erheben die eingangs genannten Länder in aller Oeffentlichkeit Widerspruch.

Abg. Schumann - Frankfurt (Soz.) weist darauf hin, daß ein hestiger Kampf zwischen den Befürwortern und den Gegnern des Ausbaues des Wasserstraßenneßes entbrannt sei. Der Zwist habe leider bereits eine unsachliche Schärfe angenommen. Von der künftigen Tarifpolitik der Reichsbahn wird es abhängen, von welhem Umfange Kanäle zu bauen sind. Unrentable Kanäle sollten überhaupt niht gebaut werden. Da sollte man lieber die kleinen Bahnlinien ausbauen. Wir treten für den Ausbau der natürlihen Wasserstraßen ein, um deren Leistungsfähigkeit zu steigern und deshalb bedauern wir namentlich, daß für die Oder nicht genug geschehen ist. Bedauerlih ist auch, daß durch den Abstrih des Südflügels beim Mittelland-Kanal die Vollen-

dung des Gesamtwerkes auf Fahre hinausgeschoben ist. Wenn einmal Staatsverträge über solhe Bauten abgeschlossen sind,

müssen sie auch vollklommen ausgeführt werden. Durch den Ab- strich der Weserkanalisierung kann es dahin kommen, daß \chließ- lich dem Mittellandkanal das Wasser fehlt, das aus der Weser genommen werden soll Alle übrigen Projekte müssen auf das Genaueste auf ihre Wirtschastlichkeit hin geprüft werden. Es wäre besser, diese Frage niht beim Etat zu entscheiden; sondern E jedes baureife Projekt ein besonderes Geseß vorzulegen. Jm Rahmen des Verkehrsministeriums ist es auch unser Recht, das Verhalten der Reichsbahn-Gesellschaft zu kritisieren, insbesondere in der Tarifpolitik und Lohnpolitifk. Es genügt nicht, daß die Reichsbahn uns im Ausschuß unverbindlihe Auskünfte gibt, eventuell muß eine geseßliche Aenderung eintreten. Es geht nicht an, daß im Verwaltungsrat keine Vertreter der Beamten und Arbeiter siven. Fm Verwaltungsrat kommen nur die Unter- nehmerinteressen zur Geltung Die Durchführung des Personal- abbaues ist nur Dank der Tüchtigkeit des Personals möglih ck& wesen. Die Schließung von eigenen Werkstätten dacf nicht er- folgen, um die Arbeiten der Privatindustrie zuzuwenden. Da- durch hat die Reichsbahn manche Lieferungen zu teuer bezahlen müssen. Die Reichsbahn soll möglichst wirtschaftlich arbeiten. Für den größten Teil des Personals seßt die Verwaltung die Arbeitszeit einseitig fett. Es gibt daher Arbeitszeiten bis über 70, ae Fallen sogax bis 93 Stunden in der Woche. Der Krankenbestand belief sich am 1. Fanuar 1927 bei den Orts- kranfenkassen auf 3,99 vH, bei der Eisenbahn auf 5,51 vH. (Hört! hört!) Eine Lohnerhöhung hält die Reichsbahn ohne Tarifer- höhung niht für möglih, bei sparsamer Wirtschaft sei sie sehr wohl möglih. Dex Bahnschuß, den die Reichsbahn als Technische Nothilfe eingerichtet hat, kostet sehr viel Geld und ein Bericht aus Württemberg beschreibt ein Preisschießen und Preisverteilung, das die Bahnschußleute veranstaltet haben unter Teilnahme von 250 Mann. Für solhen Mumpiß und Kriegsspielerei in der heutigen Zeik, wo die Verhältnisse längst konsolidiect sind, ift also Geld da, abex nicht für bessere Löhne. Der Kraftwagenverkehr muß weiter entwickelt und ausgebaut werden, aber die Kontrolle des Reichs über die Gesellshaften muß bleiben. Mit dem deut- hen Straßenbau sicht es sehr e aus, die Straßenanlagen ind zum Teil über hundert Fahre alt. Die Vielheit dex Ver- waltungsbehörden hat Fortschritte im Straßenausbau verhindert, aber der Kraftwagenverkehx verlangt jeßt dringend den Ausbau. Den Lusftverkehr wollen wix ra aber bei Hergabe von Mitteln sollie man vorsichtiger sein. Bei den Funkerswerken ist die Korruption an den Tag, gekommen. Das Reich muß sein Futeresse in den Gesellschaften, an denen es beteiligt ist, wahren. Das Verhalten der Leitung der Lust-Hansa ist das Schtimmste, was dex reaktionärste Unternehmer tun kann; die Leitung ver-

- weigert ihrem Personal die Koalitionsfreiheit und die Tarifver-

träge. Da muß der Verkehrsminister einareifen. Die deutsche Seeschiffahrt wird vom Reich subventioniert, die großen Reede- reien erzielen aber sechs Prozent, daher darf von Subventionen nicht die Rede sein. Mindestens müßte der Reichstag über alle Einzelheiten aufgeklärt werden. Die Schiffahrtsorganisation muß hinsichtlich des Schußes der Seeleute verbessert werden, und zwar durch internationale Abmachungen. Die 120 000 RM. im Etat, die für die Regulierung der Sakrowe-Enge vorgesehen waren, sind im Ausschuß leider aus Rücsiht auf die Landschaft gestrichen worden, wir wünschen die Wiedereinstellung im Fn- teresse der Schiffahrt. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Lejeune-JFung (D. Nat.) erklärt, daß die Abstriche des Ausschusses niht aus irgendwelher grundsäßlichhen Kanal- feindlichkeit der Regierungsparteien heraus erfolgt sind, sondern in allererster Linie unter dem harten Zwang dex finanziellen Lage des Reichs. Nicht die abgeschlossenen Staatsverträge, auf die sich die Vertreter dex einzelnen Länder zum Teil mit Metan Temperament im Ausschuß beriefen, Jtanden zuc Diskussion, son- dern es handelte sich um die brutale Tatsachenfcage, ob das Reich in diesem Fahre in der Lage ist, die vorgesehenen Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch die Staatsverträge machen die Durch- führung der Verpflichtungen des Reiches selbstverständlicherweise von seiner finanziellen Leistungsfähigkeit abhängig. Dem Minister verspricht dexr Redner vertrauensvolle Mitarbeit. Er exkennt die hervorragende Arbeit an, die im Ministerium zur Klärung dev verschiedensten Kanalprojekte geleistet worden sei. Die Wandlung, die z. B. in den Auschauungen hinsihtlih der Wasserspeisung des Mittellandkanals eingetreten sei, gebe immerhin Anlaß zum Nachdenken. Welche Kosten die Einbeziehung der Weser in die Kanalprojekte erfordern wird, ist heute noch nicht abzusehen. Un- abhängig von der Finanzlage ist es deshalb zweckentsprechend, wenn zur weiteren Klärung aller dieser Fragen auch für den Reichstag Zeit gewonnen wird. D&x Redner verweist dann auf die Rückivirkungen, die der Ausbau und die Vollendung des Mittellandkanals vor allem auf die östlichen Landesteile, besonders auf Schkosien, ausüben werde. Mit wachsender

Sorgè sehen vor allem Ober- und Niederschlesien, und hier insbesondere das Waldenburger und Neuvroder Gebiet,

der Vollendung des Mittellandkanals entgegen. Wirklich nicht aus Verkehrsfeindlichkeit oder Kanalfeindlihkeit, sondern ledig- lih aus der klaren Erkenntnis, daß, wenn die aroßen west-östlichen Wasserstraßen bis in das Herz des schlesischen Absaßgebiets hinein- geführt werden, ohne gleichzeitig auch im Osten ein großzügiges Verkehrsprogramm zu vertwirklihen, dies den wirtschaftlichen Ruin Schlesiens endgültig besiegeln würde! Der Mittellandkanal wird nahweislich z. B. die Kohlenverfrahtung Westfalens nach Berlin und Mitteldeutshland um 3,50 Æ bis 5 F je Tonne ver- billigen. Nach diesen Gebieten seßt aber Niederschlesien zurzeit über eine Million Tonnen Brennstoff ab, also sast ein Viertel seines Gesamtabsaßes. Diese Menge würde einen Preisdruck er- fahren, der für das Waldenburger und Neuroderx Gebiet untragbar wäre, wenn nicht großzügige Verkehrsverbesserungen und -ver- billigungen zu Hilfe kommen. „JFmmer drohender senken sih die Schatten des kommenden Sterbens auf uns herab“, heißt es in einer Denkschrift aus dem Waldenburger Revier. Erst in diesen Tagen wieder i} eine Grube mit allem modernen Zubehör, die Abendrot-Grube, für immer stillgelegt worden. Einem Bergbau, der unmittelbar und mittelbar die Lebensbedingungen für 200 000 Menschen sgaîft, kann die Lebensnotwendigkeit niht abgesprochen werden. denn aber das niederschlesische Kohlenrevier lebens- fähig erhalten werden muß, dann muß auch den besonderen Ver- hältnissen dieses Bergbaues und auch derx niederschlesisthen Textil- industrie usw. durch individuell angepaßte Tarife Rechnung ge- tragen werden. Es wird ernstlih die Eröffnung einex neuen Absaßpforte, etiva dur den Ban einer leistungsfähigen Schlepp- bahn vom Neuroder Bezirk nah der Odex hin in Angriff ge- nommen werden müssen. Auch eine Verbesserung der Ver-

s

bindungen nach den notleidenden Bädern Schlesiens und der Graf haft Glatz ist notwendig. Aehnliche Sorgen wie auf dem nieder- sh)lesischen Kohlengebiet lagern auch über der oberschlesischen Kohlen- und Eiscnindustrie. Auch diesem shwer um seine Existenz ringenden, für Deutschland unentbehrlihen Fndustriebezirk im Land unter dem Kreuz würde durch die Vollendung des Mittel- landfanals der Todesstoß verseßt werden. Der gegenwärtige west- obershlesische Bergbau muß ganz besondere Berücksichtigung er- warten, weil er in dem verlorengegangenen Ostoberschlesien einen starken Konkurrenten erhalten hat. Wie diese Verkehrsförderung Westoberschlesiens in der Praxis aussicht, zeiat eine Mitteilung der Breslauer Handelskammer, wonach z. B. die direkte Bahnfracht ab ostoberschlesisher Grube bis Danzig 4,50 M, die deutsche Fracht bis Kosel dagegen 3,20 Æ und die Gesamtfracht bis Stettin unter Benugzung der Oder mindestens 11 K beträgt. Wie stark die Stadt Breslau durch die Tarifvolitik vorbelastet wird, ergibt si daraus, daß der Transport eines zweiachsigen bedeckten Güter=- waggons von Breslau nah Hamburg um 480 M teurer ist als von Hannover. Das sind 10 vH der Gestehungskosten. Bei einem D-Zugwagen stellt sich der Unterschied auf 1180 4, bet einer Güterlokomotive sogar auf 2000 f. Bekanntlich ist Breslau eine der wichtigsten Waggonerzeugungsstätten im Reiche. Gerade auf dem Gebiet der Eisenbahntarife ist noch ein weites Feld des Ausgleichs für die durch den Mittellandkanal eintretende Wett- bewerbsverschiebung zum Nachteil Schlesiens vorhanden. Dazu kommt der Ausbau der Oder zu einer leistungsfähigen Verkehr8- straße. Unterhalb von Breslau ift die Oder vollkommen frei von Wehren und Schleusen. Die Folge sind Störungen, welche den Wasserverkehr oft monatelang völlig zum Stillstand bringen. Beim Bau des Staubeckens von Ottmachau sind Eee zurzeit ganze zwei Arbeiter beschäftigt. Wir wünschen deshalb Auskunft, innerhalb welcher Frist mit der Fertigstellung _ge- rechnet werden kann. Wenn etwa die Regulierung der Oder um Fahre hinter dem Mittellandkanal hinterherhinken sollte, so hätte sih das Schicksal Schlesiens inzwischen bereits vollendet. Mit Ottmachau ist es aber allein nicht getan. Durch Verhandlungen mit der tschechischen Regierung muß erreicht werden, daß auch aus anderen Staubecken Zuschußwasser bereitgestellt wird. Auch der Landwirtschaft im Odertal käme das zugute. Schließlih würde auch die Vorausseßung für die Fortführung dexr Oder-Groß- schiffahrts\straße bis in das Herz Oberschlesiens hinein geschaffen werden. Fast alle Oderprobleme, die Moltke bereits vor fast 90 Fahren fklax exkannte, sind heute noch ungelöst. Der deutsche Osten hat bei den Verhandlungen über den Mittellandkanal die feierliche Zusage erhalten, daß zugleich eine leistungsfähige Wasser- straße von Breslau bis Berlin und bis Stettin auf Staatskosten bereitgestellt wird. Fmmer dringender wird die Aufgabe, einen aroßen einheitlichen Verkehrsplan für den Osten, insbesondere für Schlesien, aufzustellen, der den OÖstprovinzen einen festen wirtschaftlichen Rückhalt gibt. Der Rednex verweist zum Schluß auf ein Wort dex Handelskammer Breslau, daß nämlich jeßt wie immer im Laufe der Geschichte unsere Zukunft auf zwei Pfeilern beruhe, die durch den Namen Rhein und Oder bezeichnet werden. Bricht einer von ihnen zusammen, dann wäre es um die Zukunft unseres Volkes geschehen. (Beifall.)

Abg. Giesberts (Zentr.) erkennt an, daß die Reichsbahn sich die modernen technischen Einrihtungen gut nußbar gemacht babe. Troßdem könne daneben ein großes Kanalney bestehen. Beim Bau des Mittellandkanals müssen die Fnteressen Schlesiens unbedingt geivahrt werden. Das Rheingebiet, das durch den Verlust von Eupen und Malmedy schon {wer geschädigt ist, muß wirtschaft- lich lebensfähig erhalten werden. Kann die Eisenbahn das nicht leisten, dann müssen Kanäle gebaut werden. Der Redner bespricht dann das Verhältnis des Verkehrsministers zur Reihsbahn. Die Stellung des Ministers müsse gestärkt werden. Man müsse s{hließ-

-lih eine Aenderung des Reichsbahngeseßes vornehmen. Die Reichs-

bahn dürfe nicht in einem Kuliverhältnis zu den anderen Mächten stehen. Diesen komme es doch nur darauf an, das Geld zu be- fommen. Wie es verdient werde, sei unseren früheren Gegnern doch wohl gleichgültig. Auf dem Gebiet der Luftfahrt darf Deutsch- land niht hinter anderen Ländern zurücstehen. Bezüglich des Kraftverkehrs hoffen wix auf Erhaltung des guten Verhältnisses zwischen Post- und Verkehrsministerium. Das Verhältnis des Reiches zu den Kraftverkehrsgesellshaften muß nah und nah abgebaut werden, Auf dem Bebiete des Verkehrs darf es keine Ländergrenzen geben. Das gilt besonders für den Straßenbau. Es muß nach einheitlihen Gesichtspunkten und Richtlinien ver- fahren werden.

Abg. Dr. Gildemeister (D. Vp.) weist darauf hin, daß das Verkehrsministerium nah, dem Fortfall der Eisenbahn im wesentlichen Verkehrshoheitsverwaltung sei. Es müsse daher den Gesichtspunkt verfolgen, die moderne Verkehrsentwicklung gewisser- maßen vorauszudenken. Erfreulich seien die Fortschritte auf deur (Gebiete der Luftfahrt, wo eine Reihe einshneidender Hemmungen jeßt beseitigt sei. Die Schiffahrt hätte besser beim Wirtschafts- ministerium bleiben sollen. Der Redner wünscht dem Ministecium auch auf diesem Gebiete eine glücklihe Hand. Es komme darauf an, den alten deutshen Anteil an der Seeschiffahrt wiederzu- gewinnen. Der Redner wendet sih dann dem Kanalprogramnt zu. Es gehe nicht an, daß man ein angelegtes Wasserstraßenneßz einfa mit größerer Langsamkeit durhführt. Es O ohnehin Jahrzehnte, bis ein derartiges Programurt vollendet und in Wirksamkeit treten kann. Beim Gesey über den Uebergang der Wasserstraßen auf das Reich wurde in einem besondecen Annex bestimmt, daß das Reich gewisse Wasserstraßenbauten, die die Einzelstaaten begonnen hatten, ausführen müsse. Dazu gehörten auch die Bauten an der Weser von Minden bis Bremen, allerdings „soweit die Mittel des Reichs es gestatten“. Kann nun das Reich allein entscheiden, ob es die Mittel zur Verfügung hat? Es handelt sih nicht darum, daß die Weser für den Mittellandkanal das Wasser liefern soll und daher nicht so eilig ist, weil dex Bau des Mittel- landkanals lange ¡Fahre dauert, sondern die Weser-Kanalisierung an sih war damals bereits vorgesehen. Der Ausschuß hat eine Petition um Ausbau der Weser der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen, im gleihen Atemzug aber die Mittel dafür aus dem Etat gestrihen. Bei deu anderen Projekten hat man wenigstens die Mittel für die Prüfung dex Projekte nicht gestrichen, bei der Weser hat man überhaupt nichts bewilligt. Die Reichsbahn muß die Tarife so billig stellen, wie es nux irgend möglich ih, denn jie hat eine volkswirtshaftlihe Aufgabe zu erfüllen. Das Verkehrs- ministerium muß darauf hinwirken. Bei dem Mittellandkanal muß sehr genau geprüft werden, ob er, wenn ex die Ruhrkohle nah Berlin gebracht hat, auch die Rückfracht hat; der Mittellandkanal ist doh nux dex Versuch der Lösung eines Verkehrsproblems, Die natürlihen Wasserstraßen dienen dem Verkehr zu den Sezhäfen. Das Verhältnis zwishen Verkehrsminsterium und Reichsbahn muß so gestaltet werden, als ob es überhaupt kein Dawes- Gesetz gäbe, beide E, in Harmonie miteinander an denselben Db arbeiten. Deutschland muß ein einheitlihes Verkehrsneß aben. Die gesamte Verkehrspolitik muß nohmals daraufhin ge- e werden, daß niht an falsher Stelle Mittel ausgegeben

erden.

Abg. Dr.-Fng. Wieland (Dem.): Die Beseyung des Hauses zeigt leider nur ein sehr geringes Jnteresse an diesen wichtigen Fragen. Der Verkehrsetat enthält 254 Millionen Mark, wäre also wert, daß man ihm die größte Aufmerksamkeit schenkte. Der Reichstag hat beim Uebergang der Wasserstraßen auf das Reich die Regierung ersucht, bis, zum Fahre 1925 eine Denkschrift über die gesamte Verkehrspolitik vorzulegen; die Denkschrift ist aber steckengeblieben, wir haben sie heute noch niht. Der Reichskanzler Luther hat bei Eröffnung des Deutshen Museums in München der Technik ein Loblied gesungen, aber in Taten hat es sih niht umgeseßt, obwohl die Technik sehr rasch vorwärts O Es muß im Ministerium alles anders aufgezogen wer- Fin der Techniker darf nicht bloß der Handwerker des Juristen Gi: des Juristen degradiert worden. Frage, sondern

Auch bei der Reichsbahn ist der Techniker zum Handwerker / en. Es ist nicht cine politische eine Zwecckmäßigkeitsfrage. Der Minister ha!

Zweite Beilage

zum Deutschen ReichSanzeiger und Preußischen StaatS8anzeiger

Ir. 71.

(Fortsezung aus der Ersten Beilage.)

und die bezwedckt, eine mit der Bevölkerung des Landes gut aus- kommende, homogene Staatsverwaltung zu schaffen, ist auch keines- wegs, Herr Kollege Dr. von MNichter, der Ausdruck einer Nervosität, hervorgerufen durch die Sorge um den Bestand der Republik o nein, ih selbst bin wahrhaftig niht nervös, sondern ih bin ge- wohnt, die schwierigsten Dinge mit größter Ruhe zu betrachten, und ih lasse mich auch niht von aufgeregten Leuten, die es zroerifel- Ios auch bei meinen Freunden gibt, nervös machen. Der Staat und seine Einrichtungen stehen fes. Schließlih haben auch die Kreise der Landwirtschaft, die erst der neuen Staatsform skeptisch gegenübergestanden haben, gesehen, daß sich auch in der Republik sehr gut verdienen läßt (Unruhe rechts), und daß jede Unruhe, jeder Umsturz der Wirtschaft nur schaden kann. Nachdem die Deutsch- nationalen im Neiche die Verfassung beschworen haben und ihren Schwur halten werden, haben sie vorerst mit ihren Wählern zu tun, um ihnen dieses ihr neues Tun plausibel zu machen, statt an eiwas anderes oder gar an Umsturz zu denken. Also, meine Herren, ih bin in dieser Beziehung gang unbesorgt und gar nicht nervos.

Jch sehe also, Herr Kollege Dr. von Richter, für mich einen Boden zum großzügigen Handeln, und ih bin bereit dazu; das entspricht auch meiner sonstigen Veranlagung, Aber Jhren Au3- führungen über die Verwaltungsreform vermag ich doch nicht zu folgen. Sie haben mir zwar das Verständnis für diese Frage abgesprochen. Jh nehme Jhnen das nicht weiter übel. Schließ- lich gehören folche Behauptungen nah Meinung gewisser Herren und gewisser politischer Kreise mitunter zum politischen Hand- werkszeug. Jch beneide Sie darum nicht. (Sehr gut! bei der Sozialdemokrati schen Partei.) Jch darf mir nur eine Frage an Sie. erlquben, Herr Kollege von Richter, warum haben Sie, als Sie von 1921 bis 1924 als Minister in der preußischen Koalition saßen und Mitchef der allgemeinen Verwaltung waren, die von Jhnen so dringend für notwendig gehaltene Verwaltungs- reform nicht mehr gefördert, als Sie es getan haben? (Sehr gut! linf8) Jch sehe zu meinem Bedauern in diesem Landtag noch weniger als in dem vorhergehenden eine Mehrheit für das, was man unter Vertwvaltungsreform versteht, Mein nun ein- mal auf das. Praktische gerichteter Sinn ssträubt sich dagegen, eine Arbeit in Angriff zu nehmen, die keine Aussicht auf Erfolg hat. (Zuruf bei der Deutschen Volkspartei: Von Jhrem Standpunkt!) Aber für mich ist der Standpunkt zuerst maßgebend! Jm übrigen haben Sie, meinae Herren von der Deutschen Volkspartei, vor zwei Jahren. einen Antrag zur Verwaltungsreform ein- gebrachi. Jch habe von ernstlichen Bemühungen Fhrerseits, diese Sache in Ausschußberatungen weiter gu bringen, bisher leider nichts gehört. (Zuruf bei der Deutschen Volkspartei.) Sie sollten also zunächst bei sih anfangen, wenn Sie von FJnitiative sprechen. Im übrigen liegen in der Frage der Verwaltungsreform und der Stadt- und Landgemeindeordnung Regierungsvorlagen dem Land- tag deawegen nicht vor, weil gleich zu Beginn der Legislatur- periode Parteien dieses Hauses FJnitiativanträge eingebracht haben, die sich auf Beschlüsse stüßen, die die zuständigen Aus- schüsse des vorhergehenden Landtags auf Grund von Regierung3- vorlagen gefaßt hatten. Die Regierung is infolgedessen ettvas gehandikapt, und“ zwar ganz ohne ihre Schuld.

‘Abex auf einem andern Gebiet muß etwas geschehen, auf eineni Gebiet, das sicherlih auch Herrn Dr. von Richter am Herzen liegt, und über daë Herr Abgeordneter Dr. Shmedding gestern gesprochen hat, auf dem Gebiet des Beamtennachwuchses. Mit Recht legt Herr Dr. Shraedding Wert auf die Heranbildung der Referendare. Fch stehe, nahdem zunächst in einem gemein- jamen Erlaß des Finanzministers und von mir über die Ein- ftellung von Referendaren die Sperre ausgesprochen worden ift, im Augenblick nit den noch in Frage kommenden preußischen Ressorts in Verhandlung über eine einheitliche Ausbildung der Gerîìchts- und Verwaltaingsveferendare. Jch hoffe, da dann ein größerer Kreis von Personen auch für die Verwaltung zur Ver- fügung steht, eine größere und besseve Auswahl des Nahwuchses für die Verwaltung zum Vorteil der Verwaltung zu haben. (Hört, Hört! bei der Deutschnationalen Volkspartei.)

Herr Dr. Schmedding sprach dann über die hier und da ge- forderte und von einem Ressort der vorhergehenden Reichs- rêgiérung beabsichtigte Wahlreform. Jch freue mi, mit ihm der. gleichen Meinung zu sein, wenn ih sage: ih halte eine fFolche Wahlreform nicht für erforderlih. Jch glaube auch nit, daß dié Preußische Staatsregierung im Reichsrat, im Falle die jeßige Regierung auf die Absicht der vorhergehenden Regierung gurüdlommen sollte, eine andere Stellung als ich hier einnehmen sollte, (Bravo! links.) :

Abg. Kilian (Komm.) greift den Fnnenminister heftig au. In dexr Verwaltung sei unter ihm nichts geschehen, beson- dexs auch nicht in der Verwaltungsreform oder in der kommu- nálen Geseßgebung. Man habe allerdings lange geschwankt ob man Grzesinski oder Noske zum Nachfolger Severings nehmen ollte, Die „Frankfurter Zeitung“ habe seinerzeit geschrieben, er Ministerpräsidènt Braun würde wohl Noske wählen. Es hätte freilich bei Braun nicht wundergenommen, wenn er den größten Schuft auf den Ministerposten berufen hätte. (Dex Redner wird wegen * Beleidigung des Ministers zur Ordnung gerufen.) Die Verwaltungsreform sei niht zustande gekommen, Weil man zu feige war und seine Vorschläge von den reaktionären Parieien habe zertrampeln lassen; das Zentrum habe \sih völlig zur Reaktion geschlagen. Der Redner erörtert die Vor- schläge setner Fraktion zur Verwaltungsreform; auf keinen einzigen fei die Regierung eingegangen. Die Aufwandsentshädigung Vir Landrâäte, die zum großen Teil für private Zwecke verbraucht verde, belaufe sich heute in Preußen auf niht weniger als 427 000 Mark. Die Gemeinden ständen heute vor dem Bankerott Und vernahlässigten entweder ihre sozialen und fkulturellen Pflichten oder könnten, wenn sie ihre Aufgabe ernst nähmen, A/aŸ nicht weiter. Manche Gemeinde hätte sih durch höhere Belastung des Grund und Bodens geholfen; vor den Beschwerden der Agrarier habe dann die Regierung einfa kapituliert. Der eßige Präsident des Städtetages Dr. Mulert habé früher als Ministerialdirektor in Preußen die Gemeinden aufs schärfste herangenommen; jeßt shreie er anhaltend über die Beschränkung

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Berlin, Freitag, den 25. März

der kommunalen Selbstverwaltung. Der Redner sührt eine Reihe von Fällen an, in denen Kommunisten als Gemeindevorsteher micht bestätigt-wurden, troßdem gegen sie nichts vorgelegen habe, als daß sie kommunistishe Funktionäre E Kommunisten Lien eben rechtlos in der preußishen Republik. Fn Halle a. d. S. habe man den Erwerbslosen zwei Zentner Kohle zu halbem Preise zugebilligt. Dieser Beschluß sei von dem als arbeiterfeindlih be- kannten Merseburger Regierungspräsidenten Grüßner, einem Sozialdemokraten, beanstandet worden. (Hört, hört! bei den Kom- munisten.) Gegen den Beshluß einer anderen Stadt, der für Schießstände für den Stahlhelm 30 000 Mark bewilligt habe, habe man Einspruch nicht erhoben. Bezeichnend sei auch der Fall Worpswede, wo man nah wie vor die Entfernung der Gemalde des Malers Vogeler aus dêm dortigen Kinderheim fordere. Die starken Worte sozialdemokratisher Minister seien nichts wie leere Worte.

Abg. Riedel (Dem.) erklärt, kein Minister habe für die Nöôte des. Ostens soviel Verständnis gezeigt, wie Minister Severing. Man solle niht, wie es der Abg. Baecker (D. Nat.) getan habe, den Westen gegen den Osten ausspielen. Gewiß dürfe auch die Nordmark nicht vergessen werden, aber im Osten liege wegen der widernatürlichhen Grenzziehung ein besonderer Fall vor. Deshalb müsse auch das Reich genügend Mittel für den Osten zur Ver- fügung stellen. Der Osten leide besonders stark unter den SUnden des alten Staates, in dem die Rechte den Ausschlag gegeben habe unter dem Dreiklassenwahlrecht. Auf diese Unter- lassungssünden seien die sozialen und kulturellen Mißstände im Osten zurückzuführen. Nach der allgemeinen Entlastung durch Locarno habe die Fürsorge für den Osten begonnen. Bedauerlich ei, wenn das Reich niht mehr zur Verfügung stelle für 1927 als im Vorjahr. Dié preußishe Regierung habe jedenfalls starke Hilfe geleistet. Das Ministerium möge dafür wirken, daß die Mittel gerecht verteilt würden. Es dürfe sich nicht wiederholen, daß allein für das Gesellshastshaus in Schneidemühl große Summen verwandt würden. Die Rechte stelle andauecnd AgT- tationsanträge, versage aber vie Bewilligung der Mittel. Das gehe niht an. (Sehr richtig! links.) Die preußishen Gemeinden besänden sich gerade in diesem Fahre in äußerst shwieriger Lage. Das Reich musse endlih mit dém Finanzausgleith Klarheit in die Dinge bringen. Die Rechte sie jq, jeßt im Reich in der Regierung; ihre Politik zwinge aber die Gemeinden, sih an die Realsteuern zu halten. Man weise den Gemeinden immer neue Aufgaben zu, verweigere ihnen aber die Mittel. Die sozialen Ausgaben müßten die Gemeinden aber {on im Fnteresse der Kriegsopfer erfüllen. Man sollte endlih Schluß machen mit derx kleinen Mosaikarbeit und an das große Werk der Vereinheit- lichung gehen. Die Verwaltung sei zu vereinfahen und zu ver- billigen. Der Abg. Baecker (D. Nat.) habe von dem vorbildlichen Beamtentum des alten Staates gesprochen. Wie war es? Nicht einmal eine sfozialdemokratishe Zeitung durfte ein Beamter lesen. Und jeßt stellen sih die Rehtsparteien hin und klagen über Ein- shränkung der Meinungsfreiheit. (Anhaltende Unterbrechungen rechts. Zuruf: Fhre Gesinnungsshnüffelei!) Sie (nah rechts) verlangen politische Meinungsfretheit für die Beamten und greifen dabei den Minister an wegen seiner politishen Gesinnung. Die Rechte beansprucht den Schuß der demokratischen Verfassung für die Gegner dieser Verfassung. Das steht auf derselben Linie, wie wenn man Hochverrätern eine Pension zahlt. Mit dem Funker- regiment in. Preußen ist es vorbe1/ Es wird in Preußen nie wieder der Adel der Geburt regieren, sondern nur der Adel des Geistes und der Arbeit. (Gelächter und Zwischenrufe rechts.) Und nun die Achtung vor den Symbolen dex Vergangenheit. Die Demokraten haben ihnen die Achtung nie verfagt. Aber welche Achtung haben Sie (nah rechts) vor der s{chwarz-rot-goldenen Fahne gezeigt? Sie haben fie immer wiedex besudelt und in den Schmußb gezogen. Herr von Keudell ist ja für Verfassungsrecht zwar verantwortlich, hat fich aber von Professor Anshuß sagen lassen müssen, daß er von Verfassungsrecht überhaupt nicht versteht. Der Fememordprozeß hat gezeigt, in welcher großen Gefahr Deutsch- land 1923 geshwebt hat: Um so mehr ist man verpflichtet, dem Minister Severing für seine verdienstvolle Tätigkeit zu danken. Wir unterstüßen auch den neuen Minister! Was das Reichs- banner anlangt, so ist doch diese Organijation als Abwehr nötig gewesen gegen die UVebergriffe der Rechtsverbände. Fm Verhält- nis zwishen Reich und Preußen fordert die Rechte Etnheitlichkeit. Im Reiche macht sie Steuergeseve, die sie in Preußen ablehnt. Das heißt Einheitlichkeit! Die nationale Gemeinschaft, die Herr Baedcker fordert, beginnt nicht rechts von den Demokraten. Stehen links nicht ebenfalls Tausende, die ihr Blut vergossen haben und sih die Knochen haben zerschießen lassen? Der nationale Gedanke liegt uns allen am Herzen. Ein deutschnationaler Antvag Schmidt-Stettin fordert Beseitigung des Preußishen Statistischen Amts und seine Vereinigung mit dem Statistischen Amt im Reich. Sieht so Fhr (nah rechts) Föderalismus aus? Die Frage des Einheits\staates wird einst spruchreif werden; dann werden Sie sehen, daß wir niht nur preußish, sondern auch deutsch zu denken verstehen.

Abg. Schö n (Wirtsch. Part.) erkennt Severing große Ver- dienste zu, meint aber, der ihm ausgesprochene Dank Hätte wohl mit mehr Zurückhaltung ausgedrückt werden können. Das wäre sicher Herrn Severing auch angenehmer gewesen. Der Sozial- demokrat Severing habe shließlih genau wie der jeßige Minister in der Hauptsache die Forderungen seiner Partei. auszuführen! August Bebel habe einmal gesagt, wenn seine Partei an die Macht käme, würde sie nicht die genügenden Köpfe zur Beseyung der Regierungsstellen haben. (Lahen und Zwischenrufe bei den Sozialdêmokraten.) Das habe si

wirkli bestätigt, Das eine muß allerdings gesagt werden: Herx Severing hat sich bestrebt, wichtige ntsheidungen selbst zu fällen und die Verwaltun {ali zu leiten. Wenn er

eine Angelegenheit für erledigt erklärt hat, so war sie erledigt. Er hat nicht eine“ Erklärung gegeben, wie es jeyt in einem Fall geschehen ist, wo gesagt wurde: „Erledigt“ heißt: die Sache shwebt noch! (Anhaltende Unterbrehungen links.) Wir wenden uns gegen den Leerlauf in unserem Beamtenkörper. Eine Vereinfahung des Beamtenapparates muß eintreten. Das gilt besonders für die Frage der Oberpräsidien und Regierungspräsidien, Der Vor- redner hat gefördert, der Beamte musse fit restlos auf den Boden der Republik stellen. (Sehr richtig! links.) Es gibt aber Leute, die ausgezeihnete Beamte sind, troßdem fie keine Republikaner sind. (Anhaltendes Lachen bei den Sozialdemokraten.) Sehr viele von ihnen sind noh bessere Beamte! Gewiß, auch ein Nichtakademiker kann einmal ein 4 Beamter werden. Jch habe selbst die Wahl eines Sozialdemokraten. zum Beigeordneten unterstüßt. Al8 er es geworden war, wurde er von seinen eigenen Parteigenossen bekämpft. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Fenneit nennen!) Der Redner wendet sih gegen die steuerlihe Belastung des Mittelstandes, die sechsmal so hoh sei wie früher. Daran sei die Politik der Koalitionsparteien s{chuld. (Lachen links.) Die Steuerpflichtigen hätten heute von ihren Einnahmen vielfah noch zuzulegen. Haus- besißer müssen bei der Armenverwaltung um Almosen betteln. Dabei sei noch ein Erlaß ergangen, rücksihtslos gegen die Steuer- shuldner vorzugehen. Gemeinden solle man nicht unnötig zer- [shlagen; dem Eingemeindungsfimmel müsse die Spiße abgebrochen werden. Man solle große Siedlungsverbände schaffen. Gegen die Mensur werde so scharf zu Felde gezogen. Man sehe sich aber

1927

einmal die Boxkämpfe an, wo sich die Menschen zerflerschen, um der Sensationslust zu dienen. Da solle das Ministerium einmal den Finger drauflegen. Als der Redner auf den BVarmat-Prozeß zu sprechen kommt, kommt es zu lebhaften Unterbrehungen der Sozialdemokraten, wobei Vizepräsident v. Kries mit einem Ordnungsruf einschritt.

Abg. V o 5 (Völk.) wendet sih dagegen, daß man angeblich den Nationalsozialisten abgenommene Waffen zur Stimmungsmache im Landtagssaal ausstelle. Der Funenminister habe nah altem Muster gegen links ünd gegen rechts gesprochen. Gegen das Reich8s banner habe er nihts gesagt. Hoffentlih halte der Minister sein Versprechen, den Stahlhelmtag nicht zu verbieten. Der Minister habe vor Provokationen gewarnt. Was könne man nicht alles als Provokation ouffassen. Für manchen bedeute {hon das Zeigen der shwarz-weciß-roten Fahne eine Provokation. - Seine Partei werde jedenfal!s das System Grzesinski ebenso wie das seines Vor- gängers bekämpfen. Betde unterschieden sih nur dadurch, daß der heutige Minister noch brutaler vorgehe. Der Redner fkritisiert die Erseßung des Staatssekretärs Meister durch Abegg und die ganze Personclpolitik beim Fnnenministerium; man könne direkt von einer Christenverfolgung sprehen. (Heiterkeit.) Was die Paritätsbeshwerden beïm Zentrum angehe, so vergesse man, wie viel hohe Posten in den leßten Jahren mit Katholiken besetzt worden seien. Das Zentrum gehe mit souveräner Verachtung über den viel kräftigeren Gegensaß Jude und Deutscher hinweg. Die Einwanderungs- und Einbürgerungsbestimmungen dürften nicht gemildert werden.

Abg. Severing (Soz.) führt unter lautloser Stille aus, daß in den Entschließungen derx politishen Parteien im Reiche zum Finanzausgleich die Frage der Verwaltungsreform eine besondere Rolle gespielt habe. Seit sieben Fahrên beschäftige. sih dte preußische Regierung mit dem Problem der Verwaltungsreform. Es sei sogar ein besonderer Staatskommissar, der Staatsminister Dr. Drews, für die Verwaltungsreform eingeseßt. 1923 sei die kleine Verwaltungsreform vom Staatsministerium dem Landtag unterbreitet worden, die hauptsächlih eine Personalunion zwischen Ober-- und Regierungsprasident wollte. Diese Vorlage fiel leider durch die Auflosung des Landtags unter den Tisch. Dann hat die preußishe Regierung 1925 einen „neuen Vorstoß unternommen für die Verwaltungsreform. Damals machten sih aber politische Bestrebungen der Deutschen Volkspartei bemerkbar. Die Deutsche Volkspartei wollte niht mehr mitmahen. (Abg. von Eynern: Wir saßen ja draußen!) Sie haben sih den Stuhl selbst vor die Tür gesetzt. Es famen Schwierigkeiten anderer Art hinzu, die auch mit dem

entrum entstanden waren. Heute liegen die Dinge so, daß man sih fragen muß, ob man diese Frage jeßt weiter verfolgen kann. Die Berge von Makulatur, die 1m Jnnenministerium liegen, shrecken. Mir wäre es sehr lieb, wenn die Zusammenseßung des Landtags in der nähsten Legislaturperiode dem Staatsministerium wieder einen kräftigen Auftrieb geben würde, dann die Frage der Verwaltungsreform erneut zu behandeln. Erfreulich isf das Zugeständnis des Abg. Baecker, daß der Beamte selbstverständlih' treu zur Verfassung stehen muß. Das ist ein bedeutender Fort- schritt. (Rufe bei den Deutschnationalen: Das war immer so!) Bei uns wohl, aber niht bei Jhnen. (Heiterkeit.) Jh erinnere Sie anu Jhre (zu den Deutschnationalen) Etatsreden nah dem Kapp-Putsch. Damals wandten Sie sih dagegen, daß Beamte, die sih auf die Seite Kapps gestellt hatten, entlassen würden. Wer aber in den Kapp-Tagen fi auf die Seite der Putschisten stellte, war kein treuer Beamter. Jhre (zu den Deuischuationaler) heutigen Erfläarungen sind dahex zu begrüßen. Man muß Gott füx alles danken! (Seiterkeit.) Auf den Fall Keudell will ih hier niht eingehen. Fch will nux der Hoffnung Ausdruck gebeu, daß es Herrn von Keudell vergönnt sein möge, bis zum natür- lihen Ende der. Reichstagsperiode im Sinne der Erklärung zu wirken, die er na der Kanzlerrede am 11. Februar im Reichstag abgegeben hatte. Er hat damals erklärt, daß er treu zux Vecs fassung stehen und die Verfassung fogar fordern wolle. Jh nuß aber mit ein paar Worten eingehen auf einige Ausführungen, die der von mir hochverehrie Herr Reichskanzler Marx gelegentlich seines Berichtes über das Untersuhungsergebnis im Falle Keudell machte. Der Herr Reichskanzler Marx hat sih damals nicht auf politishe Ausführungen beschränkt, sondern auch rechtliche Aus führungen einfließen lassen, die mir bedenklich erscheinen. F mochte die Regierung bitten, gerade diese Stelle der Rede de Herrn Reichskanzlers besonders zu beah:en. Nach diesen Aufs fassungen des Herrn Reichskanzlers darf niht verfahren werden, Der Herr Reichskanzlex hat ges (Fnaenminister Grzesinsfkk begibt sich in diesem Augenblick an das Rednerpult und übers reiht dem Abg. Severing einen Zettel; Rufe bei den Deutschs nationalen: Sind Sie nicht mehr selbständig, Herr Severing?, Leisten Sie bestellte Acbeit?) Auf dem Zettel, den der Herk «Funenministex mir überLeiht hat, steht nur: „Dex Reichskanzlek hat sih berichtigt!“ Aber ih muß troßdem meine Ausführungew hierüber E Reichskanzler Marx hat u. a. erklärt, eint Beamter habe in ester Linie zu gehorwen und insbesondere dan zu gehoren, wern es sihch um die dienstlihe Anweisung eines Vorgeseßten handelt. Nun hat der Herr Reichskanzler inzwischen berihtigend érflärt, daß er damit nicht etwa den alten Beamten, die treu zum Staate während des Kapp-Putsches standen, eine1t Vorwurf machen wollte. Damit hat er aber nichts verbessert (mit erhobener Stimme): Meuterei ist auch dann Meuterei, went sie von einem General ausgeht; und Hochverrat ist auch dant Hothverrat, wenn der Befehl dazu von einem stellvertretenden Regierungspräfidenten ausgeht. (Lebhafte Zustimmung link8}3 Rufe bei den Deutshnationalen: Auch wenn es der Staat8 sekretär Scheidemann ist!) Nein, meine Herren von den Deutschs

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nationalen: Geschihte 5b. (Lebhafter Beifall links.) Dis Parallele stimmt nicht. Als Staatssekretär Scheideman? dis Republik ausrief, hatte der Kaiser abgedankt (sehx rihtig!

links; Zurufe rets) und die Beamten waren von ihren Eides pflichten damit entbunden. (Rufe rechts: Unwahr!), Jh ers innere Sie daran, daß die Gehorsamspfliht auch in den Femes angelegenheiten eine große Rolle gespielt hat. So hat z. B; gelegentlih eines Femeprozesses Herr von Senden gesagt, wenn ein Befehl vorgelegen hätte, hätte man auch Leute umbringew können. Gerade diese Vorgänge legen der Regierung die Vers

lihtung auf, allen preußishen Beamten klarzumachen, daß dit

erleßung der Dobel au dann eine Verleßung ist, weni ste durch höhere Dien Ta gedeckt wird. (Sehr gut! links und in der Mitte.) Wer seinen Eid verleßt, verleßt thn eben und er kann niht entschuldigt werden. (Große Unruhe rechts; Rufs bei den Kommunisten: Keudell!) Fm Berliner Abkommen vont 18. März 1920 zur Liquidierung des Kapp-Putsches, das auch der Herr Abg. Herold unterschrieben hatte, wurde von der Regies rung die Säuberung der Regierungsstellen von solhen Beamter kategorish verlangt, die sich auf die Seite Kapps gestellt hattens« Und die Reden, die der Abg. Trimborn und andere Zentrums führer damals hielten, ließen gar keinen Zweifel darüber aufs fommen, daß diese Forderung die Billigung der ganzen Reichs tags- und Landtagsfraktion des Zentrums gefunden hatte. Man hat den Versuh gemacht, mich wegen des Herrn Staatssekretärs Dr. Meister gegen meinen Herrn Amtsnachfolger auszuspielem

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