1904 / 288 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Dec 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Prinzessin-Witwe Friedrih von Hohenzollern, Seine Königliche P der Prinz Ferdinand von Rumänien, Jhre Majestät die

önigin-Witwe von Sachsen, Jhre Königlichen Hoheiten die Gräfin von Flandern, der Prinz Albert von Belgien, die Prinzessin Carl von Hohenzollern, die Herzoge Franz Joseph und Siegfried in Bayern, der Prinz Arnulf von Bayern, die Großherzogin und der Erbgroßherzog von Baden, Jhre Hoheit die Herzogin und Seine Durchlauht der Prinz Eduard von

nhalt, der Fürst und die Fürstin von Thurn und Taxis, der Herzog von Vendôme, Prinz Miguel von Braganza, der fommandierende General von Bülow und viele Vertreter von regierenden Häusern und der Armee.

Bayern.

Seine Königliche Hoheit der Prinz-Regent ist mit

Fhren Königlichen Hoheiten den Prinzen Ludwig und

Leopold gestern abend von den Jagden im Spessart nach München zurückgekehrt.

Sachsen.

Der außerordentliche Landtag ist heute mittag ge- schlossen worden.

Württemberg.

In der Kammer der Abgeordneten beantwortete gestern, wie „W. T. B.“ berihtet, der Minister des Auswärtigen Freiherr von Soden eine Anfrage über eine bevorstehende GCisenbahn- betriebs8mittelgemeinscchaft. Der Minister erklärte, die Ueber- tragung der Eisenbahnen an das Reich sei heute nicht mehr mögli, dazu sei der Zeitpunkt verpaßt. Auf der leßten Ministerkonferenz in Heidelberg sei aber beshlosjen worden, ciner weiteren Verhandlung einen von Württemberg auëgehenden Entwurf einer Eisenbahn-Betriebs- mittelgemein\haft zu Grunde zu legen, der eine Wazengemeinschaft mit Gemeinschaft der Werkstätten vorsehe. Ueber die Personentarif- reform sei dabei keine Festsezung erfolgt; jede Verwaltung habe da noch freie Hand. Daß von den Verhandlungen eine deutsche Ver- waltung ausgeschlossen worden sei, davon sei keine Nede. Auf der nächsten Konferenz im Jahre 1905 würden im Gegenteil sämtliche Verwaltungen vertreten sein. Der Minister sprach dann die Hoff- nung aus, daß das Unwesen der Verkehrsumleitungen mit der Betriebs- mittelgemeinshaft aufhören werde. Die Kammer trat in eine Debatte über diese Erklärung nicht ein.

Hamburg.

Der Dampfer „Palatia“ von der Hamburg - Amerika- Linie is, nah einer Meldung des „Hamb. Korresp.“, mit 48 Offizieren, 539 Unteroffizieren und Mannschaften sowie 996 Pferden gestern nahmittag um 3 Uhr nah Deutsch-Süd- westafrika abgegangen. Der kommandierende General des IX. Armeckorps von Bock und Polach nahm in der üblichen Weise von den Truppen Abschied und brachte ein dreifaches Hoch auf Seine Majestät den Kaiser aus.

Oefterreich-Ungarn.

Im österreihischen Abgeordnetenhause ‘interpellierten gestern, wie „W. T. B.“ berichtet, die Abgg. Nowak und Genoffen die Gesamtregierung über den Stand der Handelsvertrags- verhandlungen mit dem Deutschen Neiche; sie verwiesen auf die zahlrei@en öffentlihen Interessen, die mit dieser An- gelegenheit verbunden seien, und fragten, ob die Zeitungs- nachrihten auf Wahrheit beruhten, wonach die Handelsvertrags- verhandlungen zwischen Oesterreih-Ungarn und Deutsdland gescheitert seien, und ob die Regierung geneigt ist, der Oeffentlichkeit bekannt zu geben, worin haupt\ächlih die Differenzen gelegen hätten. Sodann seßte das Haus die Debatte über die Negierungserklärung fort. Der Abg Schreiter fkritisierte in shärsster Weise die Amtsführung des Ministerpräsidenten, der eine Nationalität gegen die andere ausspiele und den Klerikfalen ¿ur Hilfe komme. Der Redner befürchtete von der Sanktionierung des niederösterreihischen Schulgeseßes eine chlimme Rückwirkung auch auf andere Provinzen. Der Abg. Biankini erörterte unter heftigen Angriffen auf den Ministervräsidenten die Angelegenheit des Statthalters von Dalmatien und erklärte, der vom MPéèinisterpräfidenten gegebene Sahverhalt entsprehe nit den Tatsachen.

Im Budgetaus\chus\e sprach gestern bei der Verhandlung der Notstandsvorlage der Finanzminister sein Erstaunen darüber aus, daß der von der Regierung beanspruchte Notstandéskredit zu gering befunden worden sei, und erklärte dessen Erhöhung vom Stands punkte der Finanzverwaltung für absolut ungerehtfertiat ; eine folche Erhöhung würde das Gleihgewiht des Staatshaushalts stören,

weshalb er dringend bitte, von ihr gegenwärtig abzusehen. Derartige Anträge könnten nur bei der Beratung des Budgets,

in dem übrigens für die Förderung der Landwirtschaft so- wie für Meliorationsfonds bedeutend höhere Beträge eingestellt seien, beraten werden. Was die Refundierung betreffe, #so verweise er auf den gleiGen Vorgang bei dem Eisenbahninvestitionsgeseze und betone, daß in den leßtên 6 Jahren etwa 51 Millionen aus staat- lihen Kassenbeständen für Notstandszwecke entnommen worden seien. Der Minister rehtfertigte die Regierungsvorlage meritorisch, weil die Refundierung mit 155 Millionen niht ausreihen würde, um die ftaatliche Kafsagebatrung von der gegenwärtigen Beengtheit zu befreien, und formell, weil \{werwiegende Bedenken entgegenständen, den Naotstandékredit durch eine Rentenemission zu bedecken. Die Regierung müsse daher auf dem Junctim zwischen dem Notstandskredit und der Refundierung bestehen. Er bitte dringend um unveränderte Annahme der Regierungsvorlage. Der Abg. Baernreiter betonte, sowohl der Notstandsfkredit wie der Nefundierung8posten gehörten ins Budget und rechtfertigte den Standpunkt des Ministerpräsidenten, der si bereit erflärt habe, die Emission der Tilgungsrente mit dem Budgetprovisorium zu verbinden. Der Abg. Steinwender sprach sih gegen die Refundierung der ganzen Summe aus und trat für die Aufnahme einer Anleihe im Betrage von 157 Millionen, äußersten Falls von 354 Millionen, ein. Der Ministerpräsident von Körber setzte sodann die Grundsäße bei der Verteilung der Not- standsgelder auéeinander. Bei der Verwendung der Notftands- mittel {chwebe der Regierung zunähst die Durchführung von Notstandsarbeiten vor, außerdem die Lieferung von Saatgut und die Vermittlung niedrig verzinsliher Darlehen. Der Abg. Kramarc betonte die Pflicht des Staates, der landwirtschaft- lihen Bevölkerung in der Not beizuspringen; protestierte gegen das Junctim und exklärte die Bereitwilligkeit, der Regierung diejenige Summe, die das Haus für den Notstand bewillige, im Wege der Anleihe zur Verfügung zu tellen. Der A ieE kam alsdann auf die Ausführungen des Abg. Zaernreiter zurück und hob hervor, so namhaft auch die Erfordernisse für die Wasserstraßen und Etsenbahnen und Triester Hafenanlagen seien, so liege do keine Veranlafsung zu einer Besorgnis und Unruhe vor. Die Regierung werde sich stets eine rationelle Sparsamkeit und weise Selbstbeshränkung vor Augen halten. Hierauf wurde die Ver- handlung abgebrohen und die Weiterberatung auf heute vertagt.

Dem Abgeordnetenhause is gestern ein Gesetzentwurf iugegangen, der den Schuy der Auswanderer zum Zweck hat. Ohne die Auswanderungsfreiheit einzus{ränken, sicht der Entwurf eine Auskunftserteilung dur sftaatlihe Behörden sowie gemein- nüßige Anstalten und Unternehmungen vor, wobei die leßteren für diese Tätigkeit behördliher Genehmigung und Ueberwachung unterliegen sollen. Bezüglich der Anwerbung von Auswanderern find Schutbestimmungen für Lohnarbeiter und für An-

folchen erklärt der Entwurf nur dann für wirtschaftlich reell und da- ber zulässig, wenn fie von Arbeitgebern für den Bedarf des eigenen Unternehmens bezw. von Personen vorgenommen werde, die tatsäch- lich die verspcohene Besiedelung durchführen könnten. Der geseßlih zur Anwerbung Berechtigte kann diese durch Be- vollmähhtigte vornehmen lafsen. Die geseßliche Berechtigung zur Anwerbung von Ansiedlern muß bei der Behörde, teilweise vor Beginn der Anwerbung, nachgewiesen werden. Die Anwerbung von Lohnarkbéitern ist diesem Zwange nicht unterworfen. Der über- seeishe Transport der Auswanderer nach bestimmten, für die Aus- wanderung wichtigen außereuropäishen Ländern foll nur auf Grund einer besonderen, jederzeit widerruflihen Erlaubnis des Ministeriums des Innern betrieben werden dürfen. Als beratende Organisation der Staatsverwaltung auf dem Gebiete des Auswanderungswesens nimmt der Entwurf einen Auswanderungsbeirat in Ausficht.

Großbritaunien und Frland.

Der Staatssekretär des Auswärtigen Marquis of Lans- downe erhielt, wie dem „W. T. B.“ aus London mitgeteilt wird, vor einigen Tagen einen Brief, in dem seine Aufmerk- samkeit auf die Ausfuhr von tausenden Tonnen Kohlen für die russishen und japanischen Kohlen- stationen gelenkt wird, besonders zu der Zeit, als England infolge des Zwischenfalls in dec Nordsee am Vorabend eines Krieges mit Rußland gestanden habe. Jn dem Brief wurde weiter darauf hingewiesen, daß es niht richtig sei, diese Ausfuhr weiter zu gestatten. Der Staatssekretär antwortete hierauf, daß er unverzüglih diese sehr wichtigen Fragen untersuchen lassen werde.

Das „Reutershe Bureau“ meldet, die englishe Re- EERNS habe von der japanischen eine Mitteilung bezüg- ih der deutshen Kohlenschiffe erhalten, die in Cardiff Kohlen für die russishe Flotte lüden. Die englische Regierung habe diese Art Operationen verboten und tue ihr möglichstes, um strenge Neutralität aufrecht zu halten.

Frankreith.

. Der Senat nahm gestern, wie „W. T. B.“ meldet, die Be- a des englisch-französishen Abkommens wieder auf. Der Senator Lavrue Moysan kritisierte das Abkommen über Neu- fundland. Der Senator Garreau hob die guten Beziehungen zwischen Frankreich und England bervor, hielt aber die Opfer, die Neufundland zugebilligt scien, für zu groß und beantragte

deshalb, das Abkommen abzulehnen. Ebenso sprach fih der Admiral Cuverville gegen das Abkommen aus, kritisierte alsdann die Klauseln, betreffend Aegypten und

Marokïo, und führte aus, Deutshland und England würden aus den Anstrengungen Frankreihs Nußen ziehen. Der Senator Daulway bedauerte das Aufgeben der Finanzkontrolle in Aegypten, aber beglüdck- wünschte sch zu dem marofkkanishen Abkommen; er werde für die französish-englishe- Konvention stimmen, weil sie für die Politik der Annäherung und des Einvernehmens mit England eintrete, eine Politik, die gestatten werde, daß der Huller Zwischenfall friedlich ge- regelt werde.

Die Deputiertenkammer seßte gestern die Beratung der Vorlage, betreffend die Einkommensteuer, fort. Jules Note nahm seine gestrige Rede zu tiesem Gegenstande wieder auf und gab einen historischen Veberblick dieser Steuer in den Vereinigten Staaten, die der Oberste Gerihishof im Jahre 1894 für ungeseßlich erklärt habe. Der Redner hob fodann die Schwierigkeit hervor, die sich bei der genauen Feststellung des Vermögens jedes einzelnen Bürgers ergebe, und {loß seine Rede mit der Bitte um Ablehnung des Ent- wurfes, dessen Anwendung für die Finanzen und die Republik ge- S sein würde. Hierauf wurde die Weiterberatung auf Montag ertagt. i 6

Es heißt, in einem fatholishen Jnstitut in Paris habe eine Versammlung französisher Bischöfe stattgefunden, in der ein jüngst aus Rom eingetroffener Prälat auf Grund eines päpstlihen Auftrags die Mitteilung gemacht habe, der Papst beabsichtige, eine aus zwei Kardinälen, zwei Erzbischöfen und drei Bischöfen bestehende Kommission zu ernennen, die die Ansicht des französischen Episkopats über die Politik, insbesondere über die Kündigung des Konkordats, zur Kenntnis bringen solle. Die Kardinal- erzbishöfe von Paris und Reims würden den Vorsiß in der Kommission führen.

Der Rittmeister der Pariser Munizipalgarde Eld ain, der dem Gencralsefretär des Grand Orient Vadecard Auskunfts- zettel über mehrere Offiziere verschafft hatte, war, als er gestern die Kaserne betrat, der Gegenstand feindseliger Kundgebungen seitens seiner Kameraden. Der Kriegsminister Berteaux hat eine Untersuhung des Vorfalles angeordnet,

Rußland.

, Der „Nusskij Jnwalid“ meldet die Ernennung des Chefs der 8. Kavalleriedivision Bekmann zum Kommandeur des 12. Armeekorps und des Chefs des Stabs des kaukasischen Militärbezirks Sander zum Kommandeur des 20. Armeekorps.

Gestern mittag überreihte der Generalgouverneur von Finnland Fürst Obolensky im kleinen Saale des Kaiser- lichen Schlosses zu Helsingfors dem Vizepräsidenten des Senats Linder, der vom Kaiser zum Landmarschall des Landtags ernannt war, den Marschallstab. Darauf wurde Wuorenheim zum Vizelandmarschall vereidigt, der lutherishe Erzbischof von Âbo Johanson zum Sprecher der Geistlichkeit und der Bischof von Borgo Roberg zum Stellvertreter Johansons ernannt. Die Eröffnung des Landtags findet am 9. d. M. statt. Die fünf verbannten Abgeordneten Feldman, Lundenius, Mechelin, Kristierson und Segerstrole sind vorgestern abend in Helsingfors eingetroffen und am Bahnhof von ciner überaus großen Menge empfangen worden.

Ftalien.

__ Die Königin von Portugal ist, wie „W. T. B.“ be- richtet, gestern in Turin eingetroffen und hat sofort der Herzogin von Aosta, die sich gestern etwas besser befand, einen esuh abgestattet.

__ Der Prinz Albrecht von Preußen nahm gestern: an einem Frühstück bei dem preußischen Gesandten bei dem Vatikan teil, gu dem auch der Kardinal-Staatssekretär Merry del Val, der Kardinal-Fürstbishof von Breslau Kopp und der Kardinal- Erzbischof von Cöln Fischer geladen waren. Von der preußischen Gesandtschaft begab sih der Prinz nah dem Vatikan und stattete dort dem Papste einen Besuch ab. Später besuchte der Prinz den Kardinal-Staatssekretär und besichtigte dann die Peterskirche.

Im Senat erklärte gestern der Ministerpräsident Giolitti bei der weiteren Besprehung der Interpellation über den Ausstand im September auf eine Rede des Abg. Garneri, daß die Regierung, wenn sie bei dem Ausstande im September Gewalt angewendet hätte, der Monarchie und der Ordnung einen sehr shlechten Dienst erwiesen haben würde. Die ländlichen Arbeitervcreinigungen seien zu einem wirtschaftlihen Zwecke auf der Grundlage des Vereinigungsrechts, das durch das Gese garantiert sel, gegründet. Alle Länder seien

fiedler auf Grund und Boden vorgesehen. Die Anwerbung von

übrigens in einer Periode fozialer Umwandlung, weil die Arbeiter-

klassen den Wunsch hätten, besser zu leben, und da der dritte Stand ortschritte gemaht habe, wolle der vierte das auch, und kein Ges ónne diese Bewegung aufhalten. Die Monarchie fei, wie au Garneri gesagt habe, die Grundlage der Einheit Italiens, die republikanishe Form würde das Land spalten und es zu neuer Knecht- haft führen; die Monarchie müsse verteidigt werden, nicht dadur, daß man auf die Massen scieße, sondern, daß man sie den Ein- rihtungen des Landes geneigt mae, und dadur, daß man selbst den sozialen Fortschritt fördere. Nachdem noch mebrere Redner ge- \sprochen, wurde die Weiterberatung auf heute vertagt. Der Papst ist leit erkältet. Dr. Lapponi versichert,

der Patient werde heute wieder vollständig hergestellt sein.

Belgien.

In der Deputiertenkammer interpellierte gestern, wie „W. T. B.* mitteilt, Huy8mans (liberal. Fortschritt) die MRe- gierung wegen des Briefes, den der König vor drei Monaten an den Kriegsminister gerichtet habe und der der Regierung eine Art Militär- programm vorzeihne. Huysmans fragte die Regierung, was fe zu tun gedenke, um die in dem Brief enthaltenen Grundsäße zur An- wendung zu bringen.

Türkei.

Nach einer Meldung des Wiener „Telegr.-Korresp.- Bureaus“ wurden am 29. v. M. bei Bulacani, ‘10 km nordöstlih von Uesk üb, zwei Mohammedaner aus Veschtica von einer bulgarishen Bande getötet. An demselben Tage wurde ein Knabe christliher Konfession ermordet, nah türkishen Angaben von derselben Bande, nah Angabe von Christen durch Mohammedaner aus Rache für den obigen Mord. Jn Daolnje Solnje tôteten Mohammedaner 83 Christen. An- lies der zunehmenden Mordtaten würden entsprehende

aßregeln für dringend notwendig erachtet.

Rumänien.

Im Senat erklärte gestern, dem „W. T. B.“ zufolge, der Minister des Aeußern, daß die rumänische Negierung mit leb- hafter Sympathie die Einladung zu einer zweiten Haager Friedenskonferenz erhalten habe und nur die Feststellung des Programms und des Zeitpunktes ihres Zusammentritts dur dic Mächte abwarte.

Das in der Deputiertenkammer von Mg l ktie unterbreitete Budget für 1905/06 beziffert die Cinnahmen mit 229 647 736 Fr., die Ausgaben mit 228 645 736 Fr., sodaß sich ein Uebers{huß von etner Million ergibt.

Serbien.

Jm Laufe des gestrigen Vormittags hatte Gruitsh mit einzelnen Ministerkandidaten Besprehungen. Nachmittags

wurde die vorgestern vertagte A des Ausschusses der ge-

mäßigten Radikalen fortgeseßt. Die aupischwierigkeiten, ein neues Kabinett zu bilden, bestehen, wie „W. T. B.“ erfährt, in der Meinungsverschiedenheit innerhalb der Gruppe der ge-

mäßigten Radikalen über die Auflösung der Skupschtina.

Bulgarien.

Durch die Vermittelung des amerikanischen Gesandten in Konstantinopel hat der Staatssekretär Hay der bulgarischen Regierung den Abschluß eines Schiedsgerichtsver- trages vorgeschlagen und sie zur Beschickung der Friedens- T CTEA eingeladen. Obwohl dem erstgenannten Antrage keine große Bedeutung zukommt, findet er, wie „W. T. B.“ berichtet, als Höflichkeitsakt an maßgebender Stelle die günstigste Aufnahme.

Schweden und Norwegen.

Der s{hwedisch-norwegishe Gesandte in St. Petersburg Graf Gyldenstolpe ist, dem „W. T. B.“ zufolge, von seinem Posten abberufen worden.

Amerika.

__Im Senat und im Repräsentantenhause wurde gestern, wie „W. T. B.“ aus Washington. berichtet, die S d des Präsidenten Roosevelt verlesen, in der es heißt:

Die Vereinigten Staaten erfreuten sich fortdauernd bemerkens- werten Gedeißens. Mit Recht werde in solcher Zeit mehr als in un- günstiger zu größeren Ausgaben für dauernde Zwecke, für den Bau von Schlachtschiffen, Forts, öffentliclen Gebäuden und die Verbefse- rung von Wasserstraßen geschritten; auf Vermeidung unnötiger Auf- wendungen sei jedo gleihwohl beständig zu ahten. Die Regelung der Fragen von Kapital und Arbeit sei durch die Trennung der Machtbefugnisse der Bundesregierung und der-Einzelstaaten ers{chwert. Besonders zeige sich diese Schwierigkeit hinsichtlich der Gesetzgebung über das Arbeiten mit ungeheuren Kapitalien. Auch zum Schuye der Rechte der Arbeit, wie andererseits gegen Uebergriffe der Arbeiterorganisationen einzuschreiten, stehe der Bundesregierung nur selten das Recht zu; gegen Ausschreitungen der leßtecen müßten aber alle guten Bürger und öffentlichen Diener Front mahzn. Pöbelherrschaft dürfe in keiner Form geduldet werden. Die Lohnarbeiter hätten aber Anspruch auf befonderen gen Schuß; in ihrem Interesse follte nah Möglichkeit ein strenges Haftpflichtgesep durchgeführt werden. Der Präsident empfiehlt sodann Maßregeln gegen die immer häufiger werdenden Cisenbahnunfälle, kündigt eine Sonder- botshaft über den Grubenarbeiteraus\tand in Colorado an und erklärt es für wünschenswert, daß das Bureau für Arbeiterwesen eiue Zusammenstellung der Fabrikgeseßgebung der Einzelstaaten aus- arbeite. Die Botschaft wendet sh sodann der Frage der Be- hantlung der großen Korporationen zu und führt aus, daß solche notwendig seien, doch sollten sie mit gebührender Achtung der Interessen des großen Publikums geleitet werden. Die Ergänzung der auf die großen Korporationen bezüglihen unzulänglihen Geseße sollte niht im Geiste der Feindseligkeit, sondern mit dem ernsten Bemühen, Schaden zu vermeiden, aber auch mit der festen Absicht erfolgen, nah und nah die Uebelstände zu beseitigen, die sich für den zwischenstaatlihen Handel ergeben hätten. Die Botschaft empfiehlt sodann dem Kongreß, zu erwägen, ob das Versicherungs- wesen gefeßlich dem Bureau für Korporationen unterstellt werden könne, und regt eine vershärfte Regierungsaufsiht über das Eisenbahn- wesen an. Die Botschaft beklagt die Uebervölkerung der Großstädte und die Entvölkerung des flahen Landes und wünscht scharfe Kinder- arbeits- und Fabriksinspektionsgeseze sowie das Verbot der Frauen- arbeit in Fabriken. Längere Ausführungen sind demAckerbau, der kün st- lihen Bewässerung wasserarmer Gegenden, dekn Forft- wesen, den dffentliden Ländereien, dm WildsGuBgebieten, dem Pensionswesen, den Indianern und der Postverwaltung gewidmet. Erwogen werden follte, heißt es in der Botschaft weiter, die Frage der Einziehung der „Greenbacks“ und das Problem, den Umlaufsmitteln eine folhe Elastizität zu verleihen, wie sie sich mit der Sicherheit vertrage. Jeder Silberdollar sollte geseßlich in Gold einlösbar gemacht werden. Bezüglich der Einwanderung und der Naturalisation führt die Botschaft aus, es wäre absurd, einen Untershied machen zu wollen zwishen dem Manne, btessen Eltern nah Amerika einwanderten, und dem Manne, dessen Eltern {ou vor mehreren Generationen landeten. Jeder sei berehtigt, lediglich

nah seinem Wert als Mensch beurteilt zu werden. Aus welchem Lande die Einwanderer kämen, sei gleihgültia ; wenn sie körperlich und geistig

e mit berzliher Gastfreundschaft bewillkommnen.

Die gute Lebens-

fle mi vor allen Dingen aber guten Charakters seien, dann solle man

ltung der

amerikanischen Lohnarbeiter aufrechtzuerhalten, sei

‘inder

und deshalb sollten nicht Massen von Leuten zu- gelafsen werden, deren Lebenshaltung, Gewohnheiten und Gebräuche.

wesentli,

derart seien , daß dadurch die amerifkanischen Lohnarbeiter auf eine niedrigere Stufe herabgedrückt werden könnten. Nach Aus- führungen über den Schuß der Wablen, die Vershleppungen Strafrehtspflege, über Alaska, Hawaii und Puerto Rico bemerkte der Präsident, wenn man von der aus- wärtigen Politik und der Haltung sprechen wolle, die die amerikani sche Nation in der Welt beobachten solle, fo sei davon untrennbar die Frage, welhe Stellung der Kongreß gegznübzr der Armee und namentlich der Marine einzunehmen gewillt sei, Wie für ein ndividuum, fei es auch für eine Nation niht nur unklug, sondern sächerlih, eine hohtrabende Sprahe zu führen, wenn sie sih nicht auf eine entsprehende Macht \tügen könne. Fehle die Absicht, eine folhe Macht zu hafen und zu erhalten, die erforderli sei, eiuer kräftigen Haltung Nachdruck zu verleihen, dann sei es besser, feine solhe Haltung einzunehmen. Die Botschaft führt dann aus, das feste Ziel des amerikanischen Volkes, wie aller erleuhteten Nationen, sollte darin bestehen, den Tag näber zu bringen, an dem in der ganzen Welt der Friede der Gerechtigkeit herrshe. Gewifse Arten von Frieden seien in höchstem Grade unerwünsht und auf die Dauer ebenso zerstôrend, wie L ein Krieg. Das Ziel, das der Nation und der ganzen Menschheit geseßt werden sollte, das sei der Friede der Gerechtigkeit, der Friede, der komme, wenn jede Nation erst einmal in ihren eigenen Redten gesichert sei, und fie auch ihre Vflicht anderen gegenüber genau erkenne und erfülle. Es sei Pflicht, im Gedächtnis zu behalten, daß eine Nation niht mehr Reht habe, einer anderen schwachen oder starken Nation eine Ungerechtigkeit zuzufügen, wie einem einzelnen Menschen einem andern gegenüber ein soldes Recht zustehe. Aber man dürfe au nit vergessen, daß es die Pflicht einer Nation wie die des einzelnen Menschen sei, die eigenen Rechte und Interessen zu schüßen. Solange nicht Mittel und Wege gefunden seien, Nationen, die ein Unreht begingen, internationaler Kontrolle zu unterstellen, sei es für die zivilisiertesten Nationen eine böse Sache, ab- zurüsten. Eine vollständige Abrüstung von seiten der großen zivilisierten Völker würde _gleihbedeutend mit einem fofortigen Rückfall in die Barbarei in der einen oder anderen Form sein. Ein großes freies Volk sei es sich selbs und der Menschheit \{uldig, vor den Mächten des Bösen niht zur Hilflosigkeit herab- zusinken. Der Präsident kündigt dann an, daß er in kurzem dem Senat Schiedsögerichtsverträge mit all den Mächten vorlegen werde, die gewillt seien, solche Verträge mit den Vereinigten Staaten abzushließen, und teilt mit, daß er den Mächten den Vorschlag zur Abhaltung einer zweiten Haager Konferenz gemacht habe. Bezüglich der Politik der Vereinigten Staaten gegenüber den auderen Ländern der westlihen Hemisphäre erklärt die Botschaft, es sei unwahr, daß die Vereinigten Staaten von Ländergier erfüllt seiea oder hinsihtlich dieser Länder andere Projekte hegten als folhe, die deren Woblfahrt bezwecken. Jedes dieser Länder, dessen Bevölkerung ih gut führe, könne auf die herzlihe Freundschaft der Vereinigten Staaten * renen. Ankhaltendes Unrehttun aber und Ohrmacht würden, wie sie anderwärts auch \{chließlich das Einsczreiten einer zivilisierten Nation erforderten, auf der westlichen Hemisphäre auf Grund der Monroedoktrin die Vereinigten Staaten zwingen, wenn auch widerstrebend, eine internationale Polizeigewalt aus- ¡uüben. Die Interessen der Vereinigten Staaten und die ihrer süd- lichen Nachbarn seien in Wirklichkeit identish. Die Botschaft fommt dann auf die Rechte amerikanischer Bürger im Auslande zu. sprehen, die, ohne Rücksiht auf deren Glauben und Rafse, mit Festigkeit gewahrt werden müßten. Es habe i als schr \chwierig erwiesen, von Rußland sür die cmerikanishen Bürger jüdischen Glaubens die Bewilligung des Rechts zu erreichen, Pässe zu erhalten und in Rußland zu reisen. Wenn ein amerikanischer Bürger, Jude odèr Christ, {fich in d og shlecht führe, könne er ausgewiesen werden; führe er sih aber jo, wie es sich gehöre, so sei es ein Unrecht, ihm nur auf Grund seiner Rasse oder seiner Religion den Paß zu verweigern, und die Vereinigten Staaten seien be- rehtigt, gegen solches Unreht Einspruch zu erheben. Die starke Waffe der Regierung, heißt es in der Botschaft weiter, dur die die Regierung ihren Rechten in internationalen Angelegen- heiten A(tung verschaffe, sei die Flotte. In deren weiterem Aus- bau dürfe fein Stillstand eintreten. Es gebe feine größere patriotische Pfliht, als die Flotte den Bedürfnissen des Landes entsprechend zu erhalten. Die Stimme Amerikas sei mächtig in gte des Pricveny und sie sei mächtig, weil Amerika den Krieg nicht fürchte. er Krieg im fernen Osten habe gezeigt, daß das Hauptgewicht für jede Flotte, die dieses Namens würdig sei, auf die großen Scchlacht- chiffe zu legen sei. Die Botschaft befürwortet ferner den Bau von Torpedobootszerstörern und von Unterseebooten; das Flottenpersonal müsse auf den höchsten Grad der Leistungsfähigkeit gebracht werden. Bezüglich des Heeres betont die Botschaft, daß dieses mehr Offiziere benôtige; ferner sei es wichtig, daß die Offiziere sich in der Führung größerer Massen übten und daß die Nationalgarden der einzelnen Staaten sich an das Manövrieren im Felde , - be- sonders in Verbindung mit der regulären Armee, gewöhnten. Gndlih erwähnt die Botschaft noch die Philippinen. Der Präsident s\priht die Hoffnung aus, daß die Philippinen \cließlich so weit würden selbständig werden, daß sie zu den Ver- einigten Staaten in ein Verhältnis träten, wie es für Cuba bestehe. Die Aufgabe Amerikas auf den Philippinen entspreche, wenn au nicht genau, der Aufgabe der anderen großen Kulturmächte, die Besitzungen im Osten hätten; mehr aber, als diese, bemühe Amerika si, die Eing-borenen dahin zu bringen, daß sie immer größeren Anteil an der Regierung nehmen könnten. Jede Maßregel, die hinsihtlih der Philippinen getroffen werde, müsse aus der Er- wägung getroffen werden, ob sie zu deren Vorteil sei. Mit dem Nusdrucke der Hoffnung, daß das amerikanische Kapital dur die Gesetzgebung ermutigt werde, auf den Philippinen Anlage in Eisen- babnen, Faktoreien, Pflanzungen, Minen zu suchen, shließt die Botschaft.

Die „New York Tribune“ versichert, die Vereinigten Staaten würden die Häfen von Santo Domingo be- seßen und die Zölle einziehen, die dazu benußt werden sollten, die unbefriedigten amerikanishen und europäischen Gläubiger zu bezahlen. Der augenblicklihen unsicheren Re- g solle dann eine solche unter amerikanischem Protektorat olgen.

Der bra silianische Senat nahm gestern in zweiter Lesung das von der Kammer bereits angenommene Gesez über die Re- erganifation der Flotte an.

Asien.

_ Wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg mitgeteilt wird, heiße es in einem Telegramm des Generals Ssacharow an den Generalstab, daß große Kälte herrshe, daß die Truppen aber dank der warmen Kleidung und den geheizten Erdhütten nicht darunter litten. Bisher sei niemand erfroren, der Geist der Truppen sei ausgezeichnet.

Der „Birschowija Wiedomosti wird aus Mukden vom 6. d. M. telegraphiert:

Als Chinesen verkleidete T\hunts{chusen unter dem Befehl von Tul issan hätten die russische Vorpostenlinie gekreuzt und fi 150 km von Tieling vereinigt, wo sie einen günstigen Augenblick abwarteten, um die Eisenbahn zu zerstören und die Brücken zu sprengen. Maßregeln zum Schutze seien getroffen worden.

Das „Reutershe Bureau“ meldet aus Tokio: Dem amtlichen Bericht aus dem Hauptquartier der Belagerungs- armee vor Port Arthur zufolge schienen die Japaner die Eroberung des 203 Meterhügels ausnußen zu wollen, indem sie dort Schiffs- geshüßze aufstellten, deren Feuer es den russishen Schiffen unmö lih

Port Arthur gemeldet:

Unter dem 5. d. M. wird aus dem Hauptquartier vor

Unsere Schiffsgeshüte beschießen die feindlihen Schiffe. Die _Pobjedes „U getroffen, ein Schiff von der Klasse des "Retwisan“ sogar achtmal. Sechzehn weitere Schüsse trafen die anderen Schiffe. Weiter wird gemeldet, os am d. die Beschießung fortgeseßt worden sei, und die „Pobjeda“ siebenmal, die „Poltawa und der „Retwisan“ elfmal getroffen worden seien. Am Nachmittag seien japanishe Geschosse in ein feindlihes Magazin südlich von Payuschan gefallen, wodurch eine heftige Explosion hervorgerufen worden sei. Es sei ein Brand entstanden, der mehrere Stunden gewährt babe. An demselben Tage schossen wir aus unseren großen Kanonen auf die feindlichen Schiffe und trafen den „Peresviet* zwei- mal und zwei andere Schiffe der „Poltawa“ - Klasse ebenfalls zweimal, die dann eine Stunde lang heftig brannten. Die Berwoegungen gegen das Fort Sungshuschan und die ostlih davon gelegenen Forts wurden während der Naht sowie des folgenden Tages ortgesezt. Am 4. wurden bei Erlungshan zwei 36 mm-Geshüße genommen.

Nach ciner dem „Reutershen Bureau“ aus dem Haupt- quartier des Generals Of u zugegangenen Meldung würden die Häuser der in der Nähe der Gefechtslinie liegenden Dörfer ausgebessert und neue Häufer errichtet. Viele Brunnen würden gebohrt. Alles weise darauf hin, daß die Japaner in der gegenwärtigen Stellung zu überwintern gedähten. Die Kälte schade den Japanern nicht; sie hätten nur wemg Kranke. Dem „Daily Telegraph“ wird aus Schanghai vom gestrigen Tage gemeldet, in Tokio sei gestern eine Kaiser- liche Verfügung erlassen worden, die die Organisation einer Miliz- und einer Freiwilligentruppe anordne. Frühere Offiziere und Mannschaften würden zum Eintritt

aufgefordert.

Parlamentarische Nachrichten. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Der Schlußbericht über die gekrige Sitzung des Nei hs- tags befindet sih in der Ersten Beilage.

Jn der heutigen (107.) Sißung des Reichstags, welcher der Reichskanzler Graf von Bülow, der Staats- sekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Graf von Posadorósky - Wehner, der Staatssekretär des Reichs- marineamts, Staatsminister , Admiral von Tirpiß, der Kriegsminister, Generalleutnant von Einem genannt von Nothmaler, der Staatssekretär des Reichspostamts Kractke

und der Staatssekretär des Reichsshaßamts Freiherr von Stengel beiwohnten, wurde die Generaldiskussion des Neichshaushaltsetats für 1905, des Nachtragsetats für 1904 und der Geseßentwürfe, betreffend die Frieden s- präsenzstärke des deutshen Heeres und betreffend Aenderung der Wehrpflicht, fortgeseßt.

Abg. Schrader (fr. Vagg.): Bei der Besprehung des Etats möchte ih mi auf einige Hauptgesihtspunkte beshränken. Der neue Etat ist so \{lecht, wie er nur sein kann, und auch der nächste wird voraussihtlih nicht günstiger sein. Es wird nun nichts andeces übrig bleiben, als die Matrikularbeiträge zu erhöhen, das entspricht auch durchaus der Verfassung. Wir haben gar feine Veranlassung, von vornherein zu erflären, daß wir uns mit einer Herabseßung der Matrikularbeiträge einverstanden erklären. Nun hat man gegen die Matrikularbeiträge eingewendet, daß sie die kleinen Bundesstaaten zu sehr belasten. Welche Staaten sind denn nun niht in der Lage, die Matrikularbeiträge zu leisten? Das können nur die kleinen 12 Staaten sein. Von den 24 Millionen Matrikularbeiträgen entfallen auf diese im ganzen 2 Millionen, also auf den Kopf 25 Z§. Wenn Preußen diese 2 Millionen übernähme, fo würde es ihnen nur einen Ersay bieten für das, was es ihnen durch die drakonishen Lotterieverordnungen abgenommen hat.

Bei Schluß des Blattes spricht der Redner weiter.

Auf der Tagesordnung der heutiger. (113.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, der die Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Podbielski und der öffentlihen Arbeiten von Budde beiwohnten, stand die zweite Beratung des Gesegentwurfs, betreffend Frei- haltung des Ueberschwemmungsgebiets der Wasser- läufe, auf Grund der Beschlüsse der Kanalkommisston.

Fn der Diskussion werden § 1 und der von der Kommission h inzugefügte § La zusammengefaßt.

8 1 bestimmt in der Kommissionsfafsung: ;

„In dem nicht hohwasserfrei eingedeihten Ueberschwemmungs- gebiete der bei Hochwasser gefahrbringenden Wasserläufe (S 1a) dürfen Erhöhungen der Erdoberflähe und über die Erdoberfläche binausragende Anlagen (Deiche, Dämme, Gebäude, Mauern und sonstige bauliche Anlagen, Feldziegeleien, Einfriedigungen, Baum- und Strauchpflanzungen und ähnliche Anlagen) ohne Genehmigung

„nit neu ausgeführt, erweitert, verlegt, Deiche, deihähnlihe Er- hôöhungen oder Dämme auch nicht ganz oder teilweise beseitigt werden. j;

Zuständig ist bei \{iffbaren und bei besonders hohwasser- efäbrlihen Wasserläufen der Bezirksausshuß, im übrigen der reis- (Stadt-) Aus\{huß. s i: :

Auf Schußmaßregeln, die in Notfällen für die Dauer der Gefahr getroffen werden, finden diese Vorschriften keine An- wendung.“

S 1a lautet: e E

Der Oberpräsident hat ein Verzeichnis derjenigen Wasserläufe aufzustellen, auf welche der § 1 Anwendung finden soll, unter gesonterter Aufführung der s{hiffbaren und der besonders hohwassergefäbrlihen sowie der sonstigen Wasserläufe.

In dem Verzeichnis ist für jeden Wasserlauf Bestimmung zu treffen, ob die Vorschrift des § 1 für die ganze Breite des Ueberschwemmungsgebiets und für den Wasserlauf in }einer ganzen Länge oder nur für Teile des Ueberschwemmungsgebiets oder des Wasserlaufs Anwendung finden soll. Zugleih kann Be- stimmung getroffen werden, für welhe Unternehmungen die Vor-

schriften des § 1 Anwendung finden. i

Das Verzeichnis wird für jeden Wasserlauf, erforderlichen Falls unter Beifügung von Lageplänen, öffentlich ausgelegt. Die Auslegung ist dur die Kreisblätter und in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. In der Bekanntmachung ist anzugeben, bei welcher Stelle innerhalb einer auf mindestens sechs Wochen nah der Bekanntmachung in den Kreisblättern zu bemessenden Frist Einwendungen gegen den Plan erhoben werden können.

Nach Erörterung der rechtzeitig erhobenen Einwendungen mit den Beteiligten beschließt der Provinzialrat. Gegen defsen Beschluß ist innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Land- wirtshaftsminister zulässig. Die Beschwerde steht auch dem Oberpräsidenten zu. :

Nah Erledigung der Einwendungen oder fruhtlosem Ablauf der dafür gegebenen Frist erfolgt die endgültige Feststellung des Sees für jeden Wasserlauf dur den Oberpräsidenten. Die Feststellung is dur die Amtsblätter zu veröffentlichen.

Abänderungen des Verzeichnisses erf: lgen in demselben Verfahren.

In den Hohenzollernschen Landen tritt an die Stelle des ODber- präsidenten der Regierungspräsident, an die Stelle des Provinzialrats

Die Abgg. Schoof (kons.) und Dr. Hahn beantragen: Dem lién Absaß des § 1 den Saß anzufügen: „Zuständig sind in den im Gebiete von Ebbe und Flut liegenden Teilen der rovinz See (speziel im Regierungsbezirk Stade) die Deich- ämter, sobald dieselben eingerihtet fein werden.“ | ; Berichterstatter Abg. von Bockelberg: Wer sh nicht fehr

eingehend mit dieser Materie beschäftigt hat, wird vielleiht nicht

imstande sein, zu einer vollkommenen Klarheit der Absichten der Vorlage zu gelangen. Darunter müssen auch gewihe Teile des Be- rihts leiden. Die Kommission hat ihren Mitgliedern Zeit gelaffen, sich mit den Interessenten und Anliegern der betreffenden Ueberschwemmungs- gebiete in Verbindung zu seßen, um deren Wünsche für die spätere Be- handlung benußen zu fönnen. Infolgedessen sind eine große Reihe von Petitionen an das Haus gelangt, die mehr oder weniger radikal ih gegen den Geseßentwurf wenden. Ih meine nun, es üt Zeit, daß endlich Farbe bekannt wird. Was den Inhalt des Geseßz- entwurfs selbst betrifft, so wird wohl jedem Einsichtigen klar ge- worden sein, daß die Fafsung, die die §§ 1 und 1a in der Kommission gefunden haben, den Vorzug vor der Fassung des & 1 der Re- gierungsvorlage verdienen. Die Absicht der Kommission bestand darin, zu verhindern, daß die Waffe, die das Gesey zur Bekämpfung der Hochwassergefahren den Behörden geben wollte, niht zu stumpf werde. Abweihend von der Regierungsvorlage, soll der Oberpräsident ein Verzeichnis derjenigen Wasserläufe aufstellen, auf die der § 1 Anwendung finden soll, unter gesonderter Aufs führung der schiffbaren und der besonders hochwassergefährlihen, sowie der sonstigen Wasserläufe. Es is also das umgekehrte Vers fahren gewählt wie in der Regierungévorlage, wo in § 6 der Res- gierungêpräsident die Befugnis haben foll, diejenigen Unternehmungen zu bezeihnen, bei denen wegen ihrer unerhbeblihen Einwirkung auf den Hohwasserabfluß von - dem Erfordernis einer Ge- nehmigung ganz oder zum Teil abgesehen werden soll. Fh kann Ihnen nur die Annahme der §§ 1 und 1a nah dem Kom- missionsantrage empfehlen. i 8

Abg. Dr. Iderh off (freikons.): Meine politischen Freunde geben zu, daß in der Kommission die Regierungsvorlage verbessert ist, immerhin ruft auch die Kommissionsfassung einige Zweifel hervor. Durch § la ist das Geseg allerdings vorsichtiger gestaltet, indem das Geltungs- gebiet tunlihst beschränkt ist, aber auch in der jeßigen Fassung geht das Gesetz über den Rahmen dessen hinaus, was notwendig ist. Meine Freunde haben deshalb beantragt, daß die Vorschriften dieses Gesetzes feine Anwendung finden sollen S |

1) auf die Herzogtümer Bremen und Verden, foweit die Deich- ordnung vom 29. Juli 1743 Anwendung findet;

2) auf das Land Hadeln; /

3) auf das Fürstentum Lüneburg und die zur Provinz Hannover gehörigen Lauenburgischen Landesteile, soweit die Laueuburgische Deich- und Sielordnung vom 15. April 1862 Anwendung findet ;

4) auf die Grafschaften Hoya und Diepholz, soweit die Deich- und Abwässerungsordnung vom 22. Januar 1864 Anwendung findet ;

5) auf das Fürstentum Ostfriesland; :

6) auf den zum Herzogtum Arenberg-Meppen gehörenden Bezirk der Stadt Papenburg; S a

7) auf die hleswig-holsteinischen Marschdistrikte, insoweit das Patent vom 29. Januar 1800 und das allgemeine Deichreglement vom 6. April 1803 Platz greifen. /

Meine politishen Freunde haben beantragt, diese Bestimmungen als einen neuen § 13 dem Gesegze hinzuzufügen. Ich empfehle ihn Ihrer wobsroollenden Erwägung.

Die Abgg. Dr. Dahlem und Vogt beantragen:

L. einzufügen als Absay 2 des § 1:

Als Uebershwemmungsgebiet gilt das Gelände, welhes vom durchs\chnittlich höchsten Wasserstand seit dem Jahre 1880 mit Aus» {luß des hôchsten Hohwasserstandes während dieser Zeit er- reiht wurde. , L

II. cinzufügen in § 1a Absatz 4 hinter „Beteiligten“ : zu welhen auch die Grundeigentümer und Gemeindebehörden ge- hôren,

[II. einzufügen in § la hinter Absay 4:

Unter Mitteilung dieser Beschwerde und ihrer Begründung an die Beteiligten ist denselben vor der Entscheidung Gelegenheit zur Gegenerklärung zu geben.

Abg. Freiherr vonNRicht hofen (konf.): Wir haben uns in der ersten Lesung bereit erklärt, an diesem Gesezentwurf mitzuarbeiten. Wir hatten das Bedenken, ob die Waffe, die die Regierung erhalten follte, viel- leiht do zu |harf sein könnte für diejenigen Distrikte, in denen die Hochwassergefahr nicht in erster Linie in Betraht kommt. Die wesentlihsten unserer Bedenken find durch die Kommissions- beratung beseitigt, do bleiben im einzelnen noch Bedenken übrig. Es ift aber \chwierig, alle Zweifel jeßt zu lösen. Der Praxis muß es überlassen bleiben, dieje Bedenken zu erkennen, um später

Aenderung eintreten zu lassen. Der Abg. von Zedliy hat bei der ersten Lesung angeregt, diese Vorlage einer fkleinen

Kommission zu überweisen, weil es in der Tat bei der wassertehnisch schwierigen Frage zweckmäßiger sein kann, wenn einzeln unterrihtete Persönlichkeiten sih damit befafsen. Gilt dies shon von der Kommissionsberatung. so noch in viel höherem Grade von der Plenarberatung, in der wesentliche Verbesserungen einer solhen Materie überhaupt niht möglich sind. Es soll nun der Wunsch bestehen, das Geses noch einmal in _ die Kommission zu \{hidcken, damit einige Abzeordnete \sich über die inzwischen eingegangenen Petitionen unterrichten können; ih glaube aber, aus di-ser Orien- tiecung wird eine bessere Fassung des Gesezes kaum zu erwarten sein. Es werden si immer Kreise finden, denen das Gefeß zu einschneidend ist. So war es ja auch beim s\{chlefischen Geseß Auch bei diesem wird man die Erfahrungen in der Praxis abzuwarten haben. Bei dieser Sahlage möchte ih davon abraten, den Entwurf noch einmal an die Kommission zurückzuverweisen. Die Kommissions- vorlage enthält gegenüber der Regierungsvorlage eine größere Klarstellung und Verbesserung. Dieje Verbesserung bezieht #ch auf die Konstruktion -des Gesetzes selbst. Während nah der Vorlage das Geseß Anwendung finden sollte ohne weiteres auf alle Wasserläufe, hat die Kommission diese Bestimmung eingeschränkt, indem der Dber- prâsident die Flüsse usw. zu bezeichnen hat, auf die das Gese Anwendung finden foll. Zu diesem Zweck soll ein Verzeihnis aufge|tellt werden. Nun könnte man ja sagen, daß das wie ein Damokles\hwert für die Adjazenten wirken fönnte. Auf der andern Seite is aber ¡u berüdsihtigen, daß eine folhe Vorschrift den Adja- zenten eine gewisse Rechtssicherheit gibt. Redner bespricht dann noch die wèiteren Bestimmungen der §Z 1 und 1a. Es ist auh die Frage der Entschädigung angeregt worden. Wer sollte denn die Entschädigung zahlen, die Provinzen oder der Staat ? Bei Veränderungen durch Baupolizeiordnungen wird ja auch feine Entschädigung gezahlt, z. B. wenn in den Vororten von Berlin in- folge einer neuen Bauordnung weniger Stockwerke aufgeführt werden dürfen als früher. So kann auh hier eine Entschädigungs- berehtigung niht fonstruiert werden. Nah dem Allgemeinen Land- recht kann im öffentlihen Interesse in das Privateigentum ein- gegriffen werden. Wir würden uns auf eine Entschädigung auch nit einlassen können, wenn die Vorlage noch einmal an die Kommission ginge. Die industriellen Interessenten haben be- sonders Bedenken gegen den § 8, wonach durch Polizeiverordnungen Beschränkungen in den verschiedenartigsten Anlagen an den Flüssen angeordnet werden können. Wir müfsen aber darauf bestehen, daß der & 8 aufrecht erhalten wird, denn wenn wir die Materie ganz regeln wollen, müssen wir auch die Verhältnisse außerhalb des e gn lichen Uebershwemmungsgebiets in Betracht ziehen; z. B. muß in Sqlesien, wo die Flüsse in engen Betten liegen, die Vorflut erbalten werden können. Allerdings wollen wir nit, daß jedes kleine Flüßhen, in dem irgend einmal ein Hochwasser vielleicht eintreten könnte, in das Verzeichnis aufgenommen werden müßte, denn dazu brauhten wir ein ganzes Heer neuer Beamten. Aber wir wollen die wirkli hohwassergefährlihen Flüsse aufnehmen.

machen werde, sch länger unter dem Schuß des Forts Paiyuschan zu halten.

der Bezirksaus\chuß.

Aber gerade deshalb müssen wir die polizeilihe Anordnung nah § §8