1904 / 292 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Dec 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Polizei inzwischen noh ¿wei weitere Ueberseßungen zugegangen wären einer bei Nowagroßki in zwei Exemplaren, bei Klein, wenn ih nit irre, in bunderten ton Exemplaren vorgefundenen Nummer einer russischen Zeitschrift, die den Namen führt „Narodowoleh, zu deutsch übersezt zunächst „Der Volksbefreier“, später „Der Volktbeglücker“, einer Zeitschrift, die herautgegeben wird von einem „Komitee der Nolfsbeglücker“ ; wo das Komitee seinen Siy hat, weiß ich nit. Non wem diese beiden Uebersezungen herrühren es sind kurze Ueber- sctzungen —, das vermag i mit Bestimmtheit nit zu sagen; ih vermute abir, daß sie auh von dem russischen Generalkonfulat hergestellt sind, und auch von diesen Ueberseßungen gilt das, was ich Hon vorher ermäbrte: daß sie mit dem wirklihen Wortlaut der

WOUli L

Shrift, der sie entnommen sind, nicht übereinstimmen, daß sie ungenau }

reen t gy d 1unHhA t InA und unvoultandtg nund.

(Hört, bört! bei den Freisinnigen.)

meine Herren, lautet die Frage an die Königliche Staats- regierung dabin, welchen bestimmenden Einfluß diese Ueberseßungen, dercn Unrichtigkeit sh später herausgestellt hat, auf die Einleitung des Strafverfahrens haben. Da gebe ih selbstverständlich

¿e weiteres zu, daß

Nun,

uch der Staatsarwaltshaft maßgebend ge-

für richtig gehalten und danach ihre Maß-

eitern Verlauf des Verfahrens

Sta ehr bald dazu übergegangen, sih zuver- ger? Uzbersetzungen zu verschaffen. Ich habe am 31. Okiober v. I. Zeriht Oberstaatsanwalts bekommen, der sch mit der urgêfrage beschäftigt. In diesem Bericht wird gesagt, die walti{aft babe Bedenken getragen, sih wegen solWer Ueber-

an tas russishe Generalfon’u!ai zu wenden, und zwar au

e nöttze Kenntnis der deutsh:n Sprache zutraue, um auf |

zuverläifig? Ueberseßungen bei ibnen rechnen zu können; fie i deshalb um eine andere Ueberseßung vemübt. Tüchtige Ucberieger seien für diese shwierige und zeitraubende Arbeit aber sehr shw:r zu finden, und der einzige, auf den sie ih sch{ließlich beschränkt geseten habe, sei der Privatdozent und Lektor der russis&en Sprache in Königéberg Dr. Rost. Diesem ist nun die ganze UVebersezung über- tracen worden. Er hat mit großer Hingabe an Zeit und Arbeitékraft die Uebersezungen hergestellt, die für den späteren Verlauf des Prozesses auéscliefilih maßgebend gewesen sind, sowcit die Schuften in Frage kommen. Die Zuverlässigkeit und Tüchtigkeit dieses Dr. Nof ist von niemanden besiritien; sie ist, wenn ich nickcht irre, in der Verbandlung in Königtberg auch von den Verteidigern ausdrüdlich anerfannt worden. Dr. Rost hat einen Teil seiner Jugend in Ruß- land verlebt, bat das Gymnasium und die Universität in Moskau :t in Berlin Sprachstudien gemacht und den Offizieren des us\cken Spracunterricht erteilt. Gegenwärtig ift er, nt, Lckior der russishen Sprache iu Königtberg. Die Uedirsetungen, die dieser Herr geliefert hat, bilden nun die Srund- lage der nah langer Voruntersuhung erhobenen Anklage.

Das dt hat auf Grund dieser Uebersetzungen die teschlag- nabmten ‘riften in drei Eruppen geteilt. Die erste Gruppe um- faßt solite Sthuificn, die sich im wesentlißen auf den Boden der deutschen ldemofratie, tes Marrxiémus, stellen und Gewalttaten als Kamvfmiitel vrinziviell verwerfen. Ich will hierbei in Paren- tbese bemerken, daß, wenn dics als Grundsaß der Sozialdemokratie bingeitellt der sozialdemokratis&e Verteidiger eines der An- geflagten diesen Grundsaß etwas abgeschwächt hat; es war der Nechts8- anwalt LicbkneSt. Dieser hat erkiärt ih glaube, es ist {hon von de:n Herrn Abz. Grßling erwähnt —, ja, die Gewalt könne für die Durchsezung der sozialdemokratischen Bestrebungen als Nebenmittel aub mit in Betracht fommen. Er hat das Wort wohl etwas un- bedaht ih entsHlüpfen lasscn; es ist abec festgelegt und in dem Urteil wiedergegeben.

Dann fommt de zweite Gruppe dieser Schriften, die den Terro bedingt als Kamvfmittel anerkennen, endlih die dritte Gruppe der S{:iften, die einen mehr oder weniger terroristishen Standpunkt

Zu dieier Gruppe rechnet die Strafkammer deë Land- 1 Königsberg diejenigen beiden Schriften, bei teren Ueber" ; Generalfo: sulat in Köniaëberg beteiligt war, die „Wieder- volutioni in Ruß!and® und dann die Nummer 4 er Anklage\chrift und später im s diescn Striften mitgeteilt, was in den kurzen Autzügen des t den Say aufstellen Zteren zwar formell bei gespielt haben, materiell ab eon feiner Bedeutung gewesen sind, und die Staattanwaltsaît, wenn vorn hbercin vorgelegen Q ie von ibnen ergriffenen Maßregeln zu treffen, und daß inébesondere auch zu den Hasft- beshlüssen gekommen wären, die sie 3 auf, wie si später berauëcestellt bat, unzuv:rlässiger Grundlage angeordnet baben.

s L ¿ s wurde lm Wweser e

; N IMITLT

Tite 11A

Cn15Mmus Narcdowolaß". umfassende Auszüge sind viel scklim mer Generalkcnsulats steht. d können, daß tie Uecker

Das, meine Herren, 1tliGen die erfte Nummer der Interpellation in ibrem ersten Teil betreffen. Die Nummer 1 en:bält nun noch ‘ine zweite Frage, dabin getend: welhe Gründe er- klären cs, daß bei Einleitung des Verfahrens die Vorschriften des russischen Strafrechts teils übersehen, teils unrichtig übersezt und insbe’ondere dic Voraussctzungzn für die Veirbürgurg der Gegenseitig- feit nit ausreichend flar gestellt worden sind? Meine Herren, auch hier beginne ih gleih mit dem, was der Herr Abg. Gyßling ein Be- kfenntnis nennen müde, daß bezüglih der Gegenseitigkeitsfrage zunächst für die Königsberger Behörden eine Erklärung des russischen General- konsulats maßgebend gewesen ist, die mir auch in ihrem Wortlaute vorliegt.

Das Kaiserli russishe Generalkonsulat hat der Polizeibehörde in amtliher Form und unter amtlihem Siegel folgende Bescheini- gung unterm 30. September/13. Oktober 1903 ausgestellt :

ad Nr. 641

Das Kaiserliche Konsulat bescheinigt, daß in Band 15 der rusfischen Gesecsammlung der § 269 folgendermaßen lautet:

„Wenn ein in den §8 241, 242, 249 des russischen Straf- gesezbuhs vorgeseßenes Verbrehen gegen ein auswärtiges Neich verübt wirt, mit welhemin die Gegenseitigkeit verbürgt ist, oder gegen den Herrscher desselben Reichs, so wird ter Täter zur Ver- bannung nah Sibirien und Verlust aller Rechte verurteilt.“

Dcr Art. 241 lautet: „Jeder Anschlag gegen das Lelen, die Gesundheit und die Ehre

ist aber j

éhalb, weil man den Beamten des russishen Generalfonsulats |

des Kaisers von Rußland und jeder Vorsaß, ihn vom Throne zu stürzen, wird mit Todesstrafe bestraft.“ Art. 242 lautet :

„Dieses Verbrechen wird als solhes nicht nur dann beirachtet, wenn der Schuldige s{on ein Attentat verübt hat, sondern auch dann son, wenn er durch den Vorschlag an einen anderen, an dem Verbrechen teilzunehmen, oder durch eine VersGwörung oder durch einen mündlihen oder f{riftlihen Ausdruck seiner Gedanken und Vorschläge, somit zur Vorbereiturg dieses Verbrechens geschritten ist.

8 249 bestraft mit dem Tode jede Verschwörung oder Teil- nabme an einer Revolution zum Zwecke einer Staatsumwälzung.“

Der Kaiserli russis&e Konsul in Königsberg i. P. gez.: v. Wymodzeff.

Der Herr Interpellant hat hon erwähnt, daß außer dieser Ueber- sezung im Laufe des Verfahrens noch zwei andere Uebersezungen zum Vorschein gekommen find, gleifalls vom Generalkonsulat hergestellt, die sh untereinander und mit der ersten nit genau decken. Ich will hier gleit bemerken, daß die Annahme des Herrn Interpellanten, von dieser zweiten und dritten Uebersezung habe das Justizministerium vor Erlaß des Urteils irgendwelche Kenntnis gehabt, irrig ist. Von diesen späteren Uebersetzungen, von denen die eine seitens der Staat8anwalt- schast extrahiert war aus Anlaß ciner von ten Angeklagten erhobenen Haftbeschwerde, während die Akten versandt waren und also der Beschwerdebehörde die ursprüngliche Bescheinigung nicht vorgelegt werden fonnte, von denen die dritte später durch den Gerihtévorsißenden ein- gezogen worden ist, haben wir erst durch einen Bericht des Ober- staatêanwalts in Königsberg, der gleifalls erst nah dem Urteil davon Kenntnis erlangt bat, Kenntnis erbalten. Also für uns lag eine Ver- anlassung und eine Möglichkeit, auf diesen Widerspruch aufmerksam zu machen, absolut nicht vor. Die erste Uebersezung ist allerdings hier durhgelaufen, sie ist sofort wieder zurückges{icki worden, ohne bier einer näheren Prüfung unterzogen zu werden.

Nun, meine Herren, iît es richtig, wie ich schon gesagt habe, daß die Uebersetzung des § 260 an wesertlihen Lücken litt. Es waren einmal nit alle Paragraphen angeführt, auf die der § 260 verweist, aber was noch viel mehr ins Gewicht fällt es waren in dem Satze, mit welhem die Gegenseitigkeit verbürgt ist, weagelafsen die Worte: „auf Grund von Traktaten oder hierüber veröffentlichten Gesezen*, zweifellos fehr wesentlihe Worte. Meine Herren, die Annahme aber, daß das Justizministerium keine Kenntnis des wirk- liden Wortlauts des russishen Gesegzes gehabt habe, entbehrt jeder tatsählihen Begründung; ich kann Ihnen das Gegenteil aftenmäßig nabweisen. Ih will bier zunähst bemerken, daß ih bei der ersten Einl-itung des ganzen Verfahrens mi auf Urlaub befand; bei den rsten Schritten, die in der Sache geschehen sind, bin ich persönlih ar nit beteiligt gewesen. Auch nach der Rüdkkehr von neinem Urlaub habe ich zunöchst amtlich nichts davon er- ahren, sondern bin erst turch Zeitungênahriht:n wahrscheinlich ozialdemokratisher Blätter auf die Sae bingewiesen. Dann fam am 14. November ein Bericht des Oberstaatsanwalts, aus dem hervorging, daß dort ein Vorgehen auf Grund der §§ 102 und 103 es Strafgeseßbuchs beabsichtigt war. Diesen Bericht habe ih am 14. November 1903 präsentiert und ktabe glei bei der Präsentation darauf geschrieben :

Ist zu den §8 102, 103 des Strafgeseßbuchs die Gegenseitigkeit bei Rußland verbürgt ? é

f \

i Darauf wird mir dieser Bericht wieder vorgelegt mit der Bemerkung

des Referenten : Die einschlägigen Bestimmungen finden sih in Art. 241, 242 und 960 des geborsamsi beigefügten russishen Strafgesegbuchs. Das beigefügte russishe Strafgeseßbuch war die amlihe Ueber- seßung 8 russ{?:n Strafgeseßbuchs, die wir in unserer Bibliotbek haben und die sch im Justizministerium im tägliken Gebrauhe befindet. Auf Grund dieser amtlichen Uektersetzung ist darn im Justizministerium eingehend geprüft worden, ob die Voraussetzungen der Gegeuseitigkeit mit Rußland gegeben seien oder nit, und das Ergebnis dieser Prüfung war, daß Einstimmigkeit darüber bestand: allerdings sei die Gegenseitigkeit gegeben, und zwar deshalb, meil das nach der rihtigen Ueberseßung notwendige Geseßz, auf das der § 260 hinweist, nah unserer Auffaffung, die auch noh heute bestebt, niht ein rufsishes, sondern ein vreußishes Gese sein mußte, und weil dieses si findet in dem § 102 unseres Strafgeseßz- bus. Der § 102 lautet, soweit es hier in Frage kommt, dahin: in Deuts&er, welcher im Inlande oder Auslande . . . eine g vorrimmt die, wenn er sie gegen einen Bundeëstaat oder cinen Bundeéfürsten begangen hätte, nah Vorschrift der 81 bis 86 zu bestrafen sein würde, wird fo und so bestraft, sos in dem anderen Staate dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt wird. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Ne- gierung ein.“ Meine Herren, das war das Gesetz, auf das nach unserer Auffaffung allein der Artikel 260 verweisen konnte und verweisen wollte.

Wir kaben feine Ahnung davon gehabt, und haben es für gänzlich auéges{lossen gehalten, daß die Justizbehörde in Æönigsberg bis zur Erhebung der Anklage und bis zum Hauptverfahren lediglich mit den Uebersetzungen des Gesegestertes, die vom Generalkonsulat geliefert waren, arbeitete und niht sih diese Geseze felbst versckchafft hat. (Hört, hört! bei den Freisinnigen.) Wir haben es als selbstverständlich vorausgeseßt, daß die deutsche Uebersezung des russishen Strafgesetzs- buches in der Gerihtebibliothek in Königsberg si ebenso finden werde, wie sie tatsähli sch nachträglich in der Bibliotbek des Dkerlandes- gerihts gefunden hat (bört, hört! bei den Freisinnigen), wie fie auhch in anderen Landgeritsbibliotheken sich findet, und wie sie z. B. ih weiß das mit Bestimmtheit bei dem Landgericht in Tilsit ih findet das ja allerdings noch nähere Beziehungen zu Rußland hat als das nicht unmittelbar an diese Grenze reihende Königsberg —, wo mit diesem russishen Strafgeseßbuch tatsählih gearbeitet wird. Wir baben also feinen Zweifel gehabt, und es ist auch nichts vorgekommen, das sol@e Zweifel bei uns hätte anregen - können. Es fam einmal ein Bericht bierber, in dem Zweifel ausgesprochen wurden über das Vorkandensein der Gegenseitigkeit bei der Majestätébeleidigung. Das war am 186. November. Auf diesen Bericht ist dem Staatsanwalt in Königsberg bezw. dem Oberstaats- anwalt geantwortet worden :

Die Annahme, daß in den Fällen des § 103 des Strafgeseßbuchs des Majestätsbeleidigungsparagraphen in Rußland dem Deutschen Reih die Gegenseitigkeit verbürgt sei,

beruhte auf der Fassung des Eingangs dis Art. 242 des russisc en Strafgeseßbuchs in Verbindung mit Art. 260 daselbst. Sie ist aber mit Rücksicht auf die in §§ 245 und 246 ebendaselbft enthaltenen, die Majeftätsbeleidigung betreffenden Vorschriften nit unbedenkli{h. Umsomehr sei der übrige Inhalt der Schriften in bezug auf seinen strafbaren Inhalt zu prüfen.

Darauf ist eine weitere Rücffrage niht ergangen. Es ist au, wie ich hier gleich dem Herrn Interpellanten bemerken will, eine Uebersezung der §§ 245 und 246, die si mit der wörtlihen Majestätsbeleidigung in Rußland befassen, auch von dem General- kfonsulat niemals gefordert und gegeben ist; meines Wissens wenigstens; aus unseren Akten geht darüber nihts hervor. Wir durften also an- nehmen, daß die Königsberger Behörden fih nun mit dem authentischen Text dieser Paragraphen vertraut machen würden. In dieser An- nahme, daß der amtlihe Gesetzestext den dortigen Behörden befannt sei, sind wir nach dem Vortrage meiner Referenten dadurch bestärkt worden, daß bei einer gelegentlihen mündlihen Unterredung, die in Berlin zwishcn einem Beamten der Staatéanwaltshaft und meinen Referenten stattgefunden hat, gerade über den Wortlaut des § 260 gesprochen worden ist, ohne daß seitens jenes Herrn irgend ein Be- denken erboben worden wäre, das bei Kenntnis nur der unvollständigen Uebersetzung, die der Staatéanwaltschaft vorgelegen bar, fih ibm von selbfi bätte aufdrängen müssen.

Nun ist also die Anklage auf diese unrichtige Ueberseßung geftüßt, und erst in der Hauptverhandlung ist das Versehen aufgeklärt. Es ist obne weiteres zuzugeben, daß und ich habe daraus den mir unterstellten Behörden in Königsberg kein Hehl gemacht ih es als ein bödst bedauerlihes Versehen betrachte (bört, bört! links), daß man dort nit den authentishen Text des Gefeßes si verschafft hat. (Sebr richtig! links.) Ein gewisser mildernder Umstand könnte vielleiht darin gefunden werden, daß die Verteidigung, die in Händen von vier sehr gewiegten Anwälten lag, sich desselben Versehens \{chuldig gemaht hat. (Zuruf links: die Verteidigung erhebt au keine Anklage!) Sie hat sogar am vierten Tage der Verhandlung auf die Frage des Vorsigenden, ob sie die Ueberseßzung als richtig anerkenne, erklärt: ja fie erfenne die Ueberseßung als richtig an. Und ¡wei Tage später kam plöglich die Aufklärung. Woher kam die Aufklärung? Irgend ein russisher Freund oder ein deutscher Professor hat den Verteidigern geschrieben, scheinbar durch Zeitungsberihte veranlaßt es gebe eine deutshe amtlihe Ueber- sezung des russishen Strafgesezbuchßs ih glaube, fie ist nach Königsberg bingeshickt worden da möchten sie doch hineinsehen. Das geschah am sechsten Tage, und {lug ein wie eine Bombe. Selbstverständlich bieß es nun, ja, die Anklage ist auf falsher Grund- lage erboben; das ist etwas Unerhörtes. Jch glaube, daß von diesem Augenblick an sich eine gewisse Erregung aller Beteiligten in Königss berg bemäßtigt hat, die den fslaren Ueberblick über die Sache und das flare Urteil einigermaßen getrübt hat.

Nun bandelt es sich weiter um die Auslegung, die dem Art. 260 in seiner wirklihen Form gegeben ist und die wir bekämpfen. Diese Autlegung war, wie ih glaube, wesentlich beeinflußt durh das Guts achten eines Professors von Reußner, der früher Staatsrehtslehrer an der Universität von Tomsk gewesen ist, dort seine Stelle nieder- gelegt hat, weil er mit dem Vorgehen der Behörden gegen Studenten niht einverstanden war, der aber mit allen Ehren, wie er sagt, und ih nit bezweifle, und mit dem Andreakorden oder einem anderen russischen Orden ich bin nicht genau über die russishen Orden orientiert aus seiner Stellung ausgeschieden ist und sich nah Deutschland zurückgezogen hat. Dieser Herr wurde von der Ver- teidigung als Zeuge und Sachverständiger in dem Termine gestellt; er hat au Auskunft über die Auslegung und Handhabung ter Gesetze in Rußland selbst gegeben und angeführt, daß der § 260 des Russischen Strafgesezbuchs zur Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht genüge, sondern daß dazu weiter notwendig sei, entweder ein Staatsvertrag zwisen Rußland und dem Deutschen Reih oder aber ein zweites russishes Gese, welhes ausdrücklih konstatiert, daß die Gegenseitigkeit verbürct sei. Er hat sich dafür unter anderem berufen auf Er- lâuterungen zu dem im Jahre 1903 publizierten, aber noch nit ins Leben getretenen neuen russishen Strafgeseßbuch. In den Er- läutecunzen dieses Strafgeseßbuchs findet sih eine Ausführung, die dahin geht: für den § 260 sei das österreihishe Straf- geseßbuch vorbildlch gewesen und dieses enthalte eine Be- stinmung, daß die Verbürgung der Gegenseitigkeit - nit durch ein Gesep des fremden Staats, dem gegenüber sie angewendet werden solle, fondern durch ein öôfterreihisches Gesetz ver- bürgt sein müfse; da, wie gesagt, das österreihishe Geseßbuh vor- bildlih gewesen sei, so müsse die russishe Bestimmung ebenso aus- gelegt werden.

Meine Herren, diefe Auffassung hat die Straffämmer in Königs- berg sich angeeignet. Wir erkennen sie nicht an und sie bildet den Gegenstand des Revisionsangriffes der Königlihen Staats8anwalt- haft. Selbstverständlih enthalte ih mich hier eines weiteren Ein- gebens auf diese Rechtéfragen ; aber zwei Tatsachen will ih doch bier zur Rechtfertigung unserer Auffassung konstatieren.

Die erste Tatsache ist die, daß der Wortlaut des österreichischen Strafgeseßbuches garniht sagt, es müsse durch ein österreihisches Gesetz die Verbürgung der Gegenseitigkeit anerkannt fein. Der § 66 des Allgemeinen Strafgeseßbuches vom 21. Mai 1853 lautet vielmehr wörtlich :

Deéselben Verbrechens maht sich {vldig und ist auf dieselbe Art zu bestrafen, wer cine dieser Handlungen gegen einen anderen fremden Staat oder dessen Oberhaupt unternimmt, insofern in dessen Gesezen oter durch besondere Verträge die Gegenseitigkeit verbürgt und im Kaifertum Oesterreich geseßzlih kundgemacht ift. Also das österreihishe Geseg verweist ganz ausdrücklich auf die Ge- seße des fremden Landes und verlangt nur eine Kundmahung in Oesterrei, daß ein solches fremdes Gesey existiert.

Die zweite Tatsache isi die, daß das russische Strafgesezbuch, dem das öôsterreihishe als Vorbild gedient hat, den leßien Say von der Kundmachung weggelafsen, ihn garniht aufgenommen hat, während es doch nabe gelegen bätte, wenn diese Vorbildlihkeit durhgeführt werden sollte, fih mindestens dann auch diesen Zusaß anzueignen.

Zur Begründung der Auffassung des Justizministeriums will ih Ihnen aber aud ncch weiter auh nur als Tatsade eine wissenschaftlihe Autorität anführen. Es findet sch im driiten Bande

| der Lisztshen Zeitschrift für die gesamte Staatswissenshaft ein sehr

eingehender Aufsaß über „Politishe Verbrechen gegen fremde Staaten*,

wo auch speziell diese Paragraphen erörtert werden. Da beißt es an | abhängig vön der Frage, ob die Eegenseitigkeit verbürgt ift. Cine Aus-

einer Stelle:

In einer Beziehung untersheiden \sch das geltende öster- reiGishe Reht ebenso vroie die öôsterreihisen Entwürfe fehr zu ihrem Vorteil von dem § 102 des geltenden deutshen Gesetzes, indem sie ebenso wie der ursprüngliche Tert des deuts{hen Straf- geseßes vor ver Revision von 1876 verlangen, daß die Gewährung der Reziprozität von seiten des anderen Staats in Oesterreich geseßlih kundgemacht ift.

An einer späteren Stelle heißt es:

Mit dem deutshen Geseß stimmt auch das in feiner ursprüngs lichen Faffung in das Jahr 1845 zurückgreifende russishe Gesetz von 1866, § 260, überein. Ebenso wie das revidierte deutsche Geseß verlangt es nur die Vereinbarung der Reziprozität, nit aber au die Kundmachung der Vereinbarung.

Meine Herren, Verfasser dieses Auffazes i eine der ersten Autoritäten auf dem Gebiete des Strafrechts, der Professor Dr. Lammasch an der Universität in Wien. Der steht also auf dem Standpunkt des Justizministeriums in dieser Frage, und wenn urser Standpunkt ein irriger sein möchte, worüber ja das Reichsgeri®t zu befinden haben wird, dann, glaube ih, sind wir doch nit so s{uldig, wie es in den Augen derjenigen Herren erscheint, die so maßlose An- griffe gegen uns gerichtet haben. (Ruf rechts: Sehr gut!)

Richtig ist allerdings das eine, daß auch hier übersehen worden ift, daß das russische Strafgeseßbuch iweierlei Majeftätsbeleidigungen kennt, und zwar einmal in § 241, für den der § 260 tie Gegenseitig- Feit verbürgt, tätlihe Majestätsbeleidigungen, und in § 245 und 246, die {hon vorher erwähnt worden find, wörtlihe Majestätébeleidigungen. Der Wortlaut eines fremden Gesetzes ist ja nun nit so leiht zu verstehen, wie das mit unseren eigenen Gesetzen der Fall ist. Die Sprae der Gesetze ist eine verschiedene, man muß si daher erft hinein- denken und hineinleben. Der Wortlaut des § 241 sagt: „Ieder böss willige Anschlag und jede verbrecherishe Handlung wider das Leben, die Gesundheit und die Ebre des Kaisers wird so und so bestraft." Wir sind der Ansicht gewesen, daß unter den Begriff eines Anschlages gegen die Ehre auch eine wörtlihe Majestätsbeleidigung zu subfumieren sei und niht nur, wie uns später, glaube ih, zutreffend nahgewiesen und auch aus der russischen Geriht#praxis dargelegt worden ift, tätlice Angriffe gegen die Ehre, von denen ih allerdings nit fo recht weiß, was man darunter zu verstehen hat. Diese Abstufung und Unter- scheidung der Majestätsbeleidigung in tätlihe und wörtlihe ist uns entgangen. Insofern bekenne ih mich \chuldig.

Aber, meine Herren, von erbebliher Bedeutung war die Sache nicht, fie hat au gar keine erheblihe Rolle gespielt. Wir find davon ausgegangen, und ebenso ift die Anklage davon ausgegangen, daß es sich bier handelt um eine idzale Konkurrenz zwischen hohverräterischen Unternehmungen und Majestätsbeleidigungen, dur dieselbe Handlung, dur dieselben Schriften begangen, und daß für die Bestrafung nur das strengere Strafgeseßzbuch zur Anwendung kommen würde und könne, alîo dasjenige, welhes die hochverräterischen Unternehmungen mit Strafe bedroht, und daß dadurch vie Majestätsbeleidigung im Sc{hlußeffekt konsumiert werden würde, dies würde au zweifellos der Fall gewesen sein, wenn man überhaupt zu einer Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung bâäite kommen können.

So ift es also mit der Prüfung der Gegenfeitigkeitsfrage ge- gangen, und ich kann nur sagen: als ich in diefer Sommer in den Dolemiten im „Berliner Tageblatt* einen Bericht über den Königs- berger Prozeß zu Gesicht bekam, bin ich im allerhödchsten Grade über- rast gewesen, mehr überrascht vielleiht als irgend ein anderer Leser deutscher Zeitungen, daraus zu ersehen, daß die Klarstellung der Nechislage, die uns niemals gefehlt hat, erst im späteren Verlauf der Verbandlung den Königsberger Behörden, den Angelagten und ihren Verteidigern zum Bewußtsein gekommen ist. Ih habe es nicht be-

griffen und Habe das zu lebhaftem Ausdruck gebracht; aber in der |

Sache selbs war nichts mehr zu ändern. J bedaure das, wie ge- sagt, umsomehr, als ich der Ansicht bin, daß diese Yeberras{chung eine gewife Rolle gespielt hat bei der späteren Auslegung der strafgeseß- lichen Bestimmungen.

Die Frage unter Nr. 2 der Interpellation, die der Herr Inter- pellant heute gar nicht wiederholt hat, die ich aber doch als gestellt ansehen muß, lautet dahin:

Fft es rihtig und der Königlihen Staatsregierung bekannt, daß russishe Behörden den preußischen Bebörden unrichtige Ueber- seßungen rufsisher Rechtsnormen geliefert und einshlägige Nehts- normen mitzuteilen untedafsen baben?

Auf diese Frage kann ih nur erwidern, daß eine andere bezüg- liche Auskunft als die des russishen Generalkonsulats nicht vorliegt, daß insbesondere die rufsishe Botschaft und die russishe Regierung uns strafgeseßli%ße Bestimmungen überhaupt nicht mitgeteilt haben und nit mitzuteilen batten, weil wir fie niht dana gefragt hatten; wir hatten die Bestimmungen selbft. Jch entnehme aus dem Kopfs{hütteln des Herrn Abg. Gyßling, daß er sich bei dieser zweiten Frage auch niht weiter aufkalten will. (Zurufe bei den Freisinnigen: General- konsul!) Ic meine andere Behörden und sprehe von anderen Behörden. Was den Generalkonsul angeht, so habe ih {or das Nöôötige gesagt.

Nun will ich übergehen zur Beantwortung der Einzelfragen, die der Herr Abg. Gy{ling in der Begründung feiner Interpellation in großer Zahl gestellt hat. Ich stehe ganj auf seinem Standpunkt, daß man auch dem Teufel recht geben muß, wenn er recht hat, und nehme keinen Anfiand, auch der sozialdemefratishen und fogar der anarcifsti- hen Presse recht zu geben, wenn sie wirklih recht baben.

Herr Gyßling hat den in der Prefse fo vielfach breitgetretenen Vorwurf der Liebedienerei wiederholt, deren unfere Behörden \ih gegenüber den russishen Behörden schuldig gemachbt hätten. Was ift Liebedienerei? Ich darf bier noch einmal auf dex Begriff der Gegen- seitigkeit hinweisen und auf die Bedeutung der Gegenseitigkeit. Wenn die modernen Strafgesegebungen mit Strafandrohungen für die im eigenen Staatsgebiet begangenen feindlihen Handlungen gegen fremde Staaten vorgegangen find, so beruht das im wesentlihen auf der Erkenntnis eigener Interessen, niht bloß auf der Anerkennung internationaler Rücksichten oder Verpflihtungen. Das ift der Siaud- punkt der Wissenschaft und der Standpunkt der Gesetzgebung, ins- besondere auch der Standpunkt unserer deutshen Gesetzgebung, wie sih aus den Materialien zu § 102 des Strafgeseßbuchs deutli ergibt. Die meisten anderen Staaten, fowcit sie überbaupt derartige Straf- bestimmungen kennen, gehen darin viel weiter als wir; fie stellen feindselige Handlungen gegen befreundete Staaten unter Strafe, un-

| die Gegenseitigkeit anderen Staaten

| doch zu einem freisprewenden Urteil

S | jenigen mit Strafe, der dieser Verpflichtung fich

nahme machen nur Deutschland, die Schweiz, Defterreih und Rußland. Andere Staaten halten es für eine selbstverständliche Pflicht, niht für eine Pflicht der internationalen Courtoisie, sondern für eine aus ihren eigenen Interessen sich ergebende Pflicht, derartige Unternehmungen, die auf ihrem Boden, unter dem Schuß ihrer Geseße vorgenommen oder vorbereitet werden, nit einfah mit dem Mantel der Liebe zu- zudecken und zu ignorieren, sondern tagegen einzushreiten und die Macht ihrer Geseze ihre eigenen Angehörigen auch dann fühlen zu lassen, wenn sie ch solcher Vergehungen gegen fremde Staaten s{uldig machen. Das ift, wie gesagt, nit Liebedienerei, sondern die Erfüllung einer Pflicht, die der Staat gegen ih selbst hat, die er aber au gegen andere hat, wenn überhaupt internationale Beziehungen freund- licher Art aufrecht erhalten werden follen. (Sehr richtig! rechts.) Nun ist in dem {on von dem Herrn Interpellanten verlesenen Say der Urteilsbegründung der Strafkammer ausgeführt worden,

N

daß die Schriften, die den Gegenstand des Verfahrens gebildet haben, zu wesentlihen Teilen, insbesondere soweit sie zu der dritten Gruppe gehören, falls sie sih gegen das Deutscbe Reich riteten, mindestens den Tatbestand des § 86 des Strafgesezbu&s, für n chen auédrüdcklich zugesiha ist,

erfüllen würden. Die Frage, ob der Tatbestand des § 86 sich mit einer entsprebenden Bestimmung des russishen Strafgesezbuchs dee,

| was ja Vorausseßung der Anwendung der E egenseitigkeit war, läßt

das Gericht dahingestellt, weil es wegen Verneinung der Gegenseitigkeit fommt. Die Tatsache ist also festgestellt, daß in diejen Schriften Aufforderungen, mindestens vor- bercitende Handlungen zu hochverräterishen Unternehmungen zu finden waren, die, wenn gegen das Deutsche Reich oder gegen einen deutschen Herrscher gerihtet, unter den § 86 des Strafgesepbuhs fallen würden. Meine Herren, ih glaube, diese Feststellung genügt vollkommen, um die Haltung der Königlichen Staatsregierung in dieser Angelegenheit zu rechtfertigen ein solher Tatbestand in den Schriften zu finden war, dann war es ihre Pfli&t und es war die Pflicht der Staatsanwaltschaft einzuschreiten.

Der Herr Abg. Grßling fragte: ja, war es denn wirkli ge- boten, bier einzugreifen, hätte nicht von der Erhebung der Anklage Abstand genommen werden können? Ich glaube, diese Frage ver- einen zu follen. Es ift allgemeine Bürgerpflicht, daß derjenige, der von dem Vorhaben cines Mordes oder eines Hochverrats Kenntnis hat, tavon der Behörde oder dem Bedrobten Mitteilung mat, und ein Paragravh unseres Strafceïsetbuhes, der 139, bedroht den-

entzieht, falls es demnächst zur Ausführung der Tat kommt. Meine Herren, diefer Paragravh gilt au zu Gunsten des Kaisers von Rußlard, nicht

Wenn

blos zu Gunsten deutsher und preußisher Staattbürger, und ich

glaube, es würde eine grobe Pflißtverlezung gewesen szin, wenn die preußishe Staatsbehörde da ein Auge zugedrücckt hätte und nicht eingeshritten wäre. (Sehr richtig! rechts.)

Der Herr Abg. Gyßling hat an mich die Frage gerichtet, ob es

I N

| rihtig sei, daß die Staatsanwaltschaft nach Schluß dcr Vorunter-

fuhung die Absicht gehabt habe, das Verfabren einzustellen und keine Anklage zu erheben. Ich kann darauf erklären, daß mir von einer

| solhen Absicht der Staatsanwaltschaft absolut nihts bekannt ist. | Wenn sie bestanden hätte, dann würde durch den weiteren Verlauf des

Verfahrens und durch das Urteil, welhes auf Grund des § 128 gegen fes der Angeklagten ergangen is, die Auffassung der Staatëanwalt- schaft genügend widerlegt sein, sodaß dée Zentralstelle ein Vorwurf nit treffen wêrde, wenn s der Staats8anwaltsckaft in den Arm

| gefallen wäre und gesagt bätte, sie möge von dieser Absidt absehen.

Der Intezpellant hat fich dann gegen das Verfabrea gewandt und Vorwürfe erboben gegen die Behörden, die nict rechtzeitig zur sachgemäßen Vernehmung der Angelagten und zur Vorlegung der Drucks{riften an die Verteidiger geschritten seien und dadur gegen Bestimmungen der Strafprozeßordnung verstoßen hätten. Ob in dieser Beziehung überall korrekt verfahren ift, meine Herren, weiß ih nicht; gewisse Verzögerungen sind dadurch herbeigeführt worden, daß die Akten infolge fortgesezter Beshwerden der verhafteten Angeklagten, die bis in die höchste Instanz, also bier an das Ober- landesgeriht, gingen, vielfa unterwegs und deshalb nit verfügbar waren; solange die förmliGße Voruntersuhung nicht eröffnet war, war ja auch nur in beschränktem Maße ein Anspruch der Angeklagten

| oder threr Verteidiger auf Akteneinsiht gegeben

Wenn es richtig fein möchte, daß die Shriften selbst den An-

geklagten und ihren Verteidigeern niht rechtzeitig vorgelegt und fi? da-

durch in ihrer Verteidigung g{emmt worden sind, dann würte 1ch es im böchsten Grade bedauecn: ich weiß es nicht, ob dem so ist, da, wie ih schon gesagt habe, die Berihtsaften mir niht vorgelegen haben.

Dann hat der Herr Interpellant gerügt, daß die sehr volu- minôöse Anklageshhrift, die mehr wie 200 Seiten umfaßt, den Angeklagten zu ihrer Erklärung binnen einer Frist von 5 Tagen zus geftellt sei, einer Frist, die niht ausgereiht habe, um fi eingebend zu informieren. Die Tatsache ist rihtig. (Hört, hört!) Eine Be- \hwerde gegen diefe Friftbestimmung ift von dem Oberlandesgericht zurückgewiesen. (Hört, hört!) Maßgebend ist, wie ich glaube, für die Entschließung der Strafkammer oder des Sirzffammervorsitzenden der Umstand gewesen, daß die Sache vor eine ordentliche Straf

| fammer und nicht vor eine Ferienstraffammer gebraht werden sollte,

um dem Vorwurfe zu entgehen, daß etwa eine Ferienkaamer, deren Zusammenseßung im wesentlihea vou den Anordnungen des Präst- denten über die Ferienbeurlaubungen abhängt und daher der Ein- wirkung des Präsidiums in der Hauptsache entzogen ist also eine

| Kammer ad hoc gebildet sei, deren Unbefangenheit bemängelt werden

könne. Ich glaube, daß dieser Gesichtspunkt wesentlich maßgebend gewesen ist für die Entschließung des Gerichts, das den Termin auf den 12. Juli angesctt hatte, also roch drei Tage vor Beginn der Ferien, obglei von vornßberein feststand, daß die Verhant:lungen eia paar Wesen dauern würden. Freilih bat diese Maßregel lebhafte Angriffe in der sozialdemokratishen Presse niht verhindert, die sih der Herr Abg. Gyßlinz beute angeeignet hat, über die tatsähliwe Zusammenseßung dec Strafkammer. Meine Herren, diesem Angriff ist {on der Herr Präsident des Landgerichts in Königéberg öffentlih entgegengetreten, und ich halte ibn für vollfommen hbaltlos. Es wird da zunächst der Vorwurf erhoben, daß zum Vorsitzenden ein Herr bestellt worden sei, ter am 1. Juni erst als Di:ektor beim Landgericht eingeireten war und eben aus der Staatsanwaltschaft hberauskam. - Dieser Herr hatte bis zum Jahre 1895 dem Rihterdienste ange- hôrt; er ist von 1895 bis zum Jahre 1903 Staatsanwalt

1

| |

| i. Das

vernommen werden müssen“. Jn Paragraphen eine recht weite Auélegung gegeben, und zwar dabin, daß au dann die Vernehmung erfolgen muß, wenn ihr Gegenstand mit dein Gegenstand der Anklage in keinem näheren Zufammenbung stcht. Die Strafkammer if der Ansicht gewesen, daß mindestens für das

in Erfurt gewesen; ec galt als einer der hervorragendfien, tüh:igsten Staatéanwälten, und wenn das Präsidium ihm den Vorsitz in der Strafkammer übertragen hat nur das Präsidium hat darüter zu bestimmen gehabt dann ist es zweifellos der Ansicht geroefen, daß er der Sache besonders gewachsen sei. Ich glaube auch, daß dk Angeklagten keinen Anlaß gehabt haben, sich über den Vorsitzenden irgendwie zu beschweren. Der Herr Abg. Gyßling hat ihm seibst das Zeugnis gegeben, daß er den Vorsiß geschickt, mit Rube und Objek- tivität geführt hat. Er ist namentli den Beweisanträgen der An- geklagten im weitesten Umfange entgegengekommen.

Im übrigen gebörten der Strafkammer an zwei Landgerichtêräte, ein Amtsgerichtsrat und ein Affessor, der auch, wie ich aus den Zeitungen erfahren bakte, in der Sache ¿1m Referenten besiellt war. Meine Herren, das Landgericht in Königtberg litt im vorigen Jahre mter \{wierigen Verhältnissen, die aber nit in der ungenügzenden Besetzung ihren Grund hatte, sondern zurückiuführen waren auf einen auffallend starfen Personenwehsel. Das Landgericht hatte bis 1. April vorigen Jahres außer dem Präsidenten nur zwei Direktoren; von diesen starb der eine, der andere wurde zum Landgerichttpräsidenten befördert, und der Etat für 1904 brachte eine dritte Direktorstelle, sodaß in kurzer Folge drei neue Direktoren beim Landgericht eingetreten Non den Landgerichtsräten wurde eincr befördert, cin c Hilfäarbeiter zum Oberlandesgericht eingezogen Tätigkeit in der Strafkammer entzogen. f

Afsessor, dessen Name mir augenblicklich nit

fammer als ftändiges Mitglied für einzelne Tage zugewiesen, und zwa speziell für die Dienstagsfigungen. Diese Verhandlung

Dienêtag ihren Anfaag genommen, und

verständlich dieser Herr der Verhandlung bis zum Sch{luß beiwob Er ist zum Referenten bestellt worden, und ih glaube, denn er hat tin ausgezeibnetei

müssen. das von niemandem zu bedauern war, Urteil angefertigt, dem sogar ter „Borwatk? nit versagt hat, der dieses (

{ickte Arbeit anerkannt hat, die

selbsiverständlih nur in scweit, als tas Urteil zur Angeklagten geführt hat, nicht aber au im zwziter Verurteilung aus 28 gefübrt hat; daran läßt auch nicht ein gute ar. (Heiterkeit)

Der Herr Abg. Gyßling hat tann endli erwähnt, daß die russische Behörde uns in bezug auf die nehmung des Zeuzen Skubik, der in dem S&riftenvertrieb eine hervorrazgendc Rolle gespielt bat, und von dem die Züricher Sendungen angeblich berrühren folien, der aber inzwischen die Unvorsißhtigkeit begangen hatte, sih über die russi’he Grenze zu begeben und ta verhaftet worden i 5 also den Anträgen auf Vernehmung dieses Zeugen, die vom Gerick#t auf Antrag beider Teile beschlossen worden war, nicht, bezw. nitt in sahgemäßer Weise entsprochen worden sei, auch diese Tatsache ist rihiiz. (Hört, bört! bei ten Freisinnigen.) Einmal#twar er ili i : verfabren vernommen worden, und da hat auf den verneinenden Standpunkt geftellt und gefag weiß von der Sace nichts; id kenne keine von den Personen, die da ge- nannt find obglei diese teilweise nah ihren eigenen Angaben mit

e Borwarts

1

ibm in Korrespondenz gestanden und mit ibm persönli verkebit baben in Memel bei Gelegenbeit eines sozialdemokratishen Festes. Er sagt: id kenne sie niht. Er konnte das au@ schr gut fagen, da ja von einer eidliden Vernehmung niht die Rede war. Nachträglich folite er dann in den für fommifsarishe Vernebmungen vorgeschriebene Formen vernommen werden unter Zuziebung der Angeklagten oder ibrer Vertreter, und da hat das russishe Gericht, bei dem der Antrag geftellt war, allerdings, nachdem es tagelang überbaupt wortet batte, auch Telegramme unbeachtet gelassen nebmung einen Termin angeseßt auf einen Tag, verbandlung längst zu Ende geführt sein mußte, un die Verteidiger dürften der Vernehmung nit bei die Angeklagten selbst. Ob diese: Zusatz Gesetzen entspriht, das weiß ih

der Abg. Gy§{ßling. Jedenfalls hat er Charakter. Ebenso nebme ih gar feinen Änstand diese verzögerlihe Behandlung der

behörden böchst befremdend ist.

preußischen Justizverwaltung einen :

Ih möhte nun nocch die Geleg: Bemerkungen benutzen, die sich gegenüber der groß die in der Sake ih entwickelt bat, mir aufträngen. einen etwas eigentümlihz:n Verlauf genommen infoweit, als dic Ber-

fampazne,

Der Prozeß hat

russishe Politik una tagelanger Bewcis8s Zeugen und Sachverständige dafür waren dee {Gon vorhin genannte Professor von Reußner und ein Herr Buchholz, ein tätiges Mitglied der biesigen sozial- demokratishen Partei, der na feinen eigenen Angaken längere Zeit in Rußland gelebt Hat und, wie ih glaube, bei einzelnen Bewegungen auf studentisem Gebiete mitbeteiligt ge- wesen ist. Diese beiden H:rren sind eingehend über die Zustände in

stand der Anklage, scndern auch die innere russishe Verwaltungszustände zum Gegenstand verhandlungen zu machen.

| Rußland vernommen worden und haben da vielfach ein Bild gegeben,

das ón manchen Einzelheiten Schauder erregen konnte: sie haben eine Reibe von Tatsachen als notorisch oder wenigstens unwiderlegt Ein- gesteüt über barbarisdes Vorgehen, über Grausamkeiten, die dort vor- gekommen seien, über Willkürlichkeiten usw. Sie baben es verstanten, dadurch für die Angeklagten Stimmung zu machen nit nur in Königsberg, sondern in ganz Deutshland und viellziht darüber hinaus. Diese Stimmung hat bei der Beurteilung des Prozesses zweifelles eine gewisse Rolle gespielt. Ih will es dabingeftellt sein lassen, ob es geboten war, eine solhe Beweisaufnahme zuzulafsen oder sie wenigstens in dem Umfange zuzulassen, wie €s geschehen GeriŸt hat sh auf die Bestimmung des § 241 der Strafprozeßordnung gestüßt, wonach: ,„geladene oder von den Angeklagten gestellte Zeugen und Sachverständige in der Verhandlung der Praxis hat man diesem

Strafmaß, falls es ¿ur Verurteilung wegen bochverräterishen Unter-

neh:nens kommen mögte, die Klarstellung der ru!sishen Zustände von wesentlifem Interesse sei, und daß. wenn in den Sthriften vielleiht weniger Uebertreibungen wären, als man sonst an-

infriminierten