1884 / 81 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 03 Apr 1884 18:00:01 GMT) scan diff

Dem Geschäftsbericht der Commandit-Gesellschaft Ludw. Löwe u Co. entnehmen wir Folgendes: Das Gescbäftsjahr 1883 brate eine weitere progressive Entwickclung des Werkzeug- maschinen-Geschäftes, von welcher indeß nur zum geringen Theile der Gewinn in der Bilanz erscheint, weil die Aufbringung der Eisenkon- struktion in der im Vorjabr speziel für den Maschinenbau neu er- ricteten *Fabrik, sowie die Ausstattung und Einrichtung dieser Fabrik die Leistungsfäbigkeit zu einem wesentlihen Theil in Anspruch nahm. Wie aus der Bilanz hervorgeht, be- werthet sih die neue Anlage auf 141076 # für Grund- erwerb, 265 112 Æ für die Baulichkeiten, 138055 & für mascinelle Einrichtung und Auéstattung Das Etablissement ist in der erfreulichen Lage, na nunmehr erfolgter vollständiger Inbetriebsezung der neuen Anlage, in der Werkzeugmaschinenbranche {on jeßt auf das ganze Jahr voll beschäftigt zu sein. Der Dampfmascbinen- und Kefselbau nimmt ebenfalls befriedigenden Fortgang. Jn der Waffenbranche hat der Ausgang 1162 900 Æ betragen; mit dem vorigea Jahre ift der mehrjährige russishe Kontrakt zu Ende geführt worden, und eine Erneuerung resp. Verlängerung i nicht zu er- zielen gewesen. An Móaterial find erforderlich gewesen : 694315 kg Rob- und Brucheisen, Schmiedeeisen und Bleche, \chmiedeeiserne Façonstücke, {miedbarer Guß, Stahl, façcongeschmie- dete Stahlftücke, Messing, Kupfer, Blei, Zink, Zinn :c. im Gesammkt- betrage von 241374 , 1435170 kg Steinkohlen und Koks und 4412 t Holzkohlen 383924 Æ, 153 672 cbm Gas 22172 #, Dobel, Petroleum, Talg, Seife 15 214 c, Holz zur Fabrikation, Verpackung und zu Betriebs8zwecken 24746 Æ Es arbeiteten durchs{chnittlich 297 Mann (anfänglich 329, {ließli 353) im Ganzen 915 730 Stunden mit insgesammt (inkl Beamte, Meister, Werkzeugmacher, Spezialhandwerker) 406 870 Æ Arbeitslohn. Der Reingewinn beträgt 459 215 M; die Direktion beantragt, hicr eine Dividende von 10 % zur Vertheilung zu bringen und den Betrag von 117 059 # auf Ab- {reibungen zu verwenden.

Hamburg, 2. April. (W. T. B.) Die Dividende der Ham- burger Strafßenbahn-Eesellschaft is auf 41/5 9% festgesetzt.

Am iterdam, 2. Apr, (W. L. B) Die heute von der nicderländishen Handelsgesellschaft abgehaltene Kaffee- CUTI O erofnete Ur Mx. 1 zu 1E A 82 Nr, 3 284 Nr. 5 494 à 29, Nr. 6 307 à 307, Nr. 7 285 à 282 Nr. 10 281 à 291, Nr. 11 144, Nr. 12 284 à 284, Nr. 14 284 à 983, Nr. 18 281 A O M 19 254 A 2867, Nr, 21 306 à 31, Nr, 22 294 A 29 Gents.

London, 2 April. (W. T. B) findet am 29. April statt.

ZONDon 0 Ul, (V L. B) Die Bank von End- land hat heute den Diskont von 3 auf 24% herabgesetzt.

Verkehrs-Anstalten.

Von dem Reics- Kurs8buch ist die Ausgabe Nr. 2 des Winterfahrdienstes 1883—84 erschienen (Berlin, Julius Springer, Preis 2). Die nächste Ausgabe erscheint am 20. Mai d. I

Die nächste Wollauktion

Berlin, 3. April 1884.

Preußische Klassenlotterie. (Dhne Gewähr.)

Bei dex heute beendigten Ziehung der 1. Klaße 170. Königlich preußischer Klassenlotterie fielen:

1 Gewinn von 15 000 4 auf Nr. 34 115,

“1 Gewinn von 9000 #4 auf Nr. 34 291.

1 Gewinn von 3600 #4 auf Nr. 86 034.

4 Gewinne von 300 #4 auf Nr. 6748. 17444. 19 777. 51 472,

Der Dauti be folgende Reso- lution an:

1) Der deutsche Handelstag erkennt an, daß eine Reform der gegenwärtigen Gesetzgebung über die Aktiengesellshaften und die Kommanditagesellshaften auf Aktien namentlich nach der Richtung als angezeigt erscheint, daß für die Gesellshaftëgründung eine größere Offealeguyng des Sachverhalts und eine rechtlich \charf umgrenzte Verantwortlichkeit zu schaffen ist. Die hierauf abzielenden Be- stimmungen des vorliegenden Entwurfs bedürfen indeß im Einzelnen wesentliher Modifikationen, wenn fie den beabsichtigten Erfolg sichern und nicht andererseits s{chädlich wirken sollen.

2) Der Handelstag hegt ferner ernste Bedenken gegen verschiedene in dem Entwrourfe über die Verwaltung der Aktiengesellschaften ge- troffenen Bestimmungen, insbesondere gegen die den Organen der- selben (Vorstand, Aufsichtsrath und Generalversammlung) zugewiesene rechtliche Lage, die in ihrem Erfolge dahin führen wird, daß es an der persönlichen und sahlichen Vorausseßung für einen guten und stetigen Gang der Verwaltung fehlen wird. Dem gegenüber erachtet sich der Handelstag verpflichtet, besonders hervorzuheben, daß der ganz überwiegende Schwerpunkt für die gedeihlie Entwickelung der Aktien- unternehmungen in der Auswahl geeigneter Persönlichkeiten für die Ver- waltung sowie in der Theilnahme geeigneter Persönlichkeiten an der Leitung und Aufsicht zu suchen ist. Wird diese Theilnahme in Frage gestellt, so kann in der Häufung von Sicherungsvorschriften dafür um fo weniger ein Ersaß gefunden werden, als dieselben mehrfach über das zunächst gewollte und berechtigte Ziel hinaus einwirken und somit gerade diejenigen Interessen \{hädigen würden, welhe man zu schüßen beabsichtigt.

3) Der deutsche Handelstag erklärt hiernab eine Umarbeitung des Gntreurfes in den angedeuteten Richtungen für erforderlich.

Er fühlt sh um so mehr verpflichtet, dieselbe zu beantragen, als von dem Inkrafttreten des unveränderten Entwurfs im Gegensatz zu der wiederholt ausgesprobenen und bethätigten Absiht der Reichs- regierung eine sehr bedenklihe Lähmung des Unternehmungsgeiftes und des gesammten Volkswohlstandes, somit vor Allem eine wesent- lihe Ver|sblecbterung der Lage der arbeitenden und erwerbenden Klassen zu befürchten ist, Zufolge einer wirthschaftlichen und tehniscchen Ent- widckelung, welche unabhängig von der staatlichen Gesetzgebung sich voll- zieht, kann eine große Zahl von Unternehmungen nicht mehr dur Ein- zelne, sondern nur noch durch die Verbindung großer Kapitalassozia- tionen mit der zur Leitung berufenen Intelligenz begründet und kon- kurrenzkräftig erhalten werden. Demzufolge erscheinen alle Maß- regeln der Gesetzgebung, durch welche diese Formen der wirthschaft- lichen Thätigkeit vorzugéweise ungünstig behandelt werden, um so be- denklicher, als die Entwickelung des Gesellschaftsrehts seither nicht zu Gestaltungen geführt hat, welbe den verschiedenartigen Bedürf- nifsen der gewerblihen Aßoziation besser entsprechen.

Ina Frit Gurlitts Kunstsalon (Behrenstr. 29) ladet gegen- wärtig woleder eine der von Zeit zu Zeit sich dort wiederholenden Aus- stellungen, die regelmäßig auf eine kleine, forgfältig ausgewählte Zahl von Arbeiten beschränkt bleiben, zur Besichtigung ein. Sie umfaßt wenig mehr als 30 Nummern, dafür aber fast durhweg bemerkens- werthe Stücke und unter ihnen einige Arbeiten, die ein weit mehr als gewöhnliches Interesse beanspruchen. Vor Allem gilt dies von zwei ansehnlihen Gemälden von Arnold Böcklin, dessen Schöpfungen der genannte Salon fortgeseßt seine besondere Aufmerk- samkeit widmet. Einen ungetrübten Genuß vermag das eine dieser Bilder allerdings s\{chwerlich zu bieten, wenngleich sich in ihm bei aller Seltsamkeit ter Erscheinung das hervorragende Talent des Meisters durhaus nicht verleugnet. Die Abwendung des Odysseus von der Kalypso, das Erkalten des Zaubers, der ihn ge- fesselt hielt, und die im Gefühl öder Verlafsenheit nun in ihm er- wachte, ihn mächtig forttreibende Sehnsubt nah der Heimath giebt das Motiv des Bildes, dessen Stimmungsgehalt Böcklin als echter Kolorift in einer eigenartig konzipirten Farbendibtung zum Ausdruck zu bringen strebt, Mit nicht geringer poetischer Kraft ist ihm dies in Ton und Farbe und in der düsteren Scenerie der Landschaft in so hohem Grade gelungen, daß man über tie stoflih höchst mangel-

Handelstag nahm heut

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haft arakterisirte Felsenpartie am Stcand der märchenhaften Insel allenfalls hinwegschen könnte; in den Figuren des Bildes aber, in der am Eingang ihiex Höhle auf dem untergebrei- teten rothen Gewande mit der goldverzierten Harfe in der Hand dasißenden, von den Hüften abwärts mit einem dur{sihtigen Scleier leiht umhüllten Nywmphe, die den Kopf fragend dem Odysseus zuwendet, und mehr noch in der Gestalt des Leßteren, der, eng in seinen blauen Mantel gewickelt, von den Klippen des Ufers regungslos in die nebelverhüsllte Ferne fstarrt, \chlägt die angestcebte ernste und ergreifende Wirkung nahezu in ihr Gegentheil um. So originell und rihtig empfunden die hier zu Grunde liegende künst- lerische Intention erscheint, so sehr ist der Ausdruck derselben in affek- tirter Charakteriftik und in fals{her und dürftiger Zeibnung unter- gegangen. Um fo bedeutender wirkt neben dem mißlungenen Werke die meisterhafte Schöpfung, die uns in einer Komposition voller elegisher Poesie unter d-m Titel der „Todteninsel“ entgegentritt. Aus dem Spiegel des Wassers und aus dem wallenden Gewölk der Luft, das mit ihm verfließt, so daß sie wie ein aus vers{hwindendem Nebel auftauchendes visionâres Bild daliegt, hebt sib die Insel als ein landscaftliches Gebilde von eigenartig {wermüthiger, phanta- stisher Schönheit hervor. Kahle, steil ansteigende Felsen umschließen das einsame Eiland und scheiden das geheimnißvolle Dunkel, die sckchweigende Stille, die in ihm herrscht, von der Außenwelt ab. Nur an der Seite, die dem Beschauer des Bildes sih zukehrt, sind die Wände dieses Kraters geöffnet, und hier hat Menschenhand der Natur nagebolfen, auf dem felfigen Uferrand ein festes Mauerwerk auf- geführt und inmitten desselben die von starken Pfeilern cingefaßte, von ruhend hingestreckten, mächtigen Löwen bewachte Treppe angelegt, die vom Wasser her den Zuaang zu dem von düsteren Cypressen besatteten Thal und zu den in die Felswände gehauenen Grabkammern eröffnet. Wenn ter Eindruck feierliher Todesruhe, den diese Scenerie athmet, der poetische Zauber, der über sie ausgebreitet ist, noch einer Steigerung fähig war, fo bewirkte der Maler fie durch die Hinzufügung der stimmungsvoll in den Rahmen si einfügenden Staffage, einer ein- famen Barke, die, von ihrem Ruderer ill durch das Wasser hinge- trieben, der Insel einen weißverhüllten, mit Kränzen bedeckten Sarg und die ihn trauernd geleitende, in langem weißen Gewande aufrecht in dem Boot stehende Gestalt zuführt. Mit unwiderstehliber Gewalt ergreifend, in der malerischen Erscheinung die künstlerische Absicht voll und in fih harmonisch verkörpernd, reiht sich das Bild dem Besten, was wir von Böcklins Hand besißen, als ein neues Zeugniß einer im bôcbsten Sinne des Worts wahrhaft \{chöpferis{en Begabung an, und nur noch ein Werk der Auëéstellung kann, so verschiedener Natur es im Vebrigen ift, ibm an dichterishem Gehalt zur Seite gestellt werden, das Mon vor Jahren entstandene, in Berlin jedoch bisher nicht ge- fehene „Frühlingsmärchen“ von Gabriel Mar. Ganz von süßer, träumerischer Liebes- und Frühlingspoesie erfüllt, ist es von sämmtlichen Werken des Meisters wohl das am liebentwürdigsten anmuthende. Die jugendfrische, halb frauen-, halb noch mädchenhafte Gestalt, die es in eleganter, durch duftige® Wiß rosafarben hindur{chscchimmernder L2oilette am lichten, grünen Waldeshang sitßend schildert, wie sie, von dem zierlich gebundenen, ihr im Schooße ruhenden Buch aufblickt und, in lächelndes Sinnen verloren, mit Herz und Ohr dem lockenden Lied des Vögleins auf dem tief zu ihr herabhangenden Blüthenzweig lauscht, wirkt in der ganzen Erscheinung und in den individuellen Zügen des Kopfes, den die um den Hals geshlungenen braunen Flehten umrahmen, nahezu porträtartig. Jedenfalls beweist sie, daß auch in der Darstellung des modernen Menschen sich der höchste poetische Reiz entfalten läßt. Von seltener Vornehmheit und Meisterschaft ist dabei die gesammte malerishe Behandlung und die groß angelegte Zeich- nung der Gestalt, die sich von dem nur als Hintergrund behandelten, ihr völlig untergeordneten Fond des blühenden Waldes in vollendeter Durchbildung der Formen abhebt, Ein Vlick auf die über der Brust gekreuzten Hände und auf die in den Fingern gehaltene rothe Rose mit ihrem grünen Blätterzweig genügt, um cine Noblesse der Zeich- nung und des koloristishen Geshmacks bewundern zu lassen, in der nur wenige moderne Meister mit Marx zu wetteifern vermögen.

Das vielbewunderte kleine Bild der „Anbetung der Hirten“ von Wilhelm Diez, cine Zierde rer vorjährigen internationalen Aus- stellung, wirkt hier bei minder günstiger Beleuchtung weniger be- deutend, als es in München erschien, wozu allerdings auch der Um- stand beitragen mag, daß der Üüberrashende Eindruck einer ganz in der Weise Rembrandts gedachten und durbgeführten Komposition bei wiederholter Betrachtung for!tfällt. Immerhin aber bleibt es, obschon mehr nacbempfunden als original fkonzipirt, ein Meisterwerk geist- reister Zeihnung und malerishex Behandlung. Bekannt von der Münchener Ausftellung sind neben ihm die beiden Bilder, in denen sich Frit Uhde von den Munkacsy’ schen Einflüfsen völlig emanzipirt hat und dafür den Tendenzen der modernsten französisben Malerei huldigt. Sowohl die auf grüner, schattenloser Wiese im hellen Sonnenschein übenden bayerischen Tambours wie die holländishen Mädchen, die ein Leiermann durch sein Spiel von dem Gehöft auf die Straße lockt, zeigen dabei in der Charakterittik der Einzelerscheinung wie in der Wiedergabe des gesammten Lokalcharakters dieselbe scharf beobachtende Meisterschaft, die in der aus\{ließlich in vollem Licbt modellirenden Malerei zu Tage tritt und die Erscheinung der Landschaft und der Figuren in freier Luft bei heller Tagesbeleuhtung mit höchster Sicher- heit zu treffen weiß. Den direkten Gegensaß zu den hier erstrebten Zielen bildet Holmbergs „Vortrag beim Kardinal“, ein prächtiges Interieur aus einem italienischea Palazzo der Renais- fance, das durch die niederfallenden {weren Fenstervorhänge in mild gedämpftem Halbdunkel gehalten wird und nur einen verstohlen ein- fallenden Sonnenstrahl leise über den rothen Teppich hinzittern läßt. In feiner tiefen Tonstimmung, die freilih hier und da etwas {wer wirkt, bietet das Bild Partien von großer foloristisher Schönheit, und auch die Gestalt des mehr weltmännisch vornehmen als an den Diener der Kirche erinnernden Kardinals, der verschloffen dasitt und offenbar widerwillig mit einer Entscheidung ringt, ist charakteri\ch im Geist der Zeit gedacht, während die des ehrerbietig zu ihm sprebenden Priesters oder Sekretärs nicht ganz auf gleicher Höhe steht. Dur ein köst- liches Meisterwerk von ebenso gesunder Frische der Auffassung wie erlesener malerischer Schönheit, die Halbfigur einer jungen \{chwarz- haarigen italtenis{en Wasserträgerin in blauer, buntgeblümter Jae und gelbem Halstuch darstellend, ist ferner Passini, der auc hier in der Aquarelle an die volle Kraft und Tiefe der Oelmalerei heran- reiht, durch eine gefällige, genrchaft angeordnete Porträtgruppe zweier Kinder, die freilich bei ihrem kleinen Maßstab dur cinen geistreiheren Vortrag noch gewinnen würde, F. Sceuren- berg sehr anrsprehend vertreten. Dazu gesellen sch von Italienern Zezzo mit dem melancholish blickenden, durch den Ausdruck ungesuhter Noblesse fesselnden Kopf eines venetianischen Mädchens und G. de Chirico mit der bereits in München gesehenen figurenreihen „Laufe in Neapel“, einem trefff- lichen Beispiel moderner, die derbe Gesundheit des Volkslebens frisch und wahr wiederspiegelnder italienischer Genremalerei. Nur cin histo- risces Interesse vermag endlih noch eine große, fleißige Aquarelle von Steinle mit der Darstellung der „Hochzeit zu Kana“ zu be- anspruhen, während F. Prellers „ideale Landschaft“ mit der Staffage badender Nymphen, obschon auch sie den Zielen und Auf- gaben heutiger Kunst ziemli fernsteht, doch in ihrer fonnigen Heiter- e 8 neben der Reihe treffliher Landschaften modernen Gepräges effselt.

Von leßteren sind je zwei Bilder mäßigen Maßstabs von Andr. und Dsw. Achenbach hervorzuheben, Variationen oft behandelter Motive, von denen aber namentlih des Ersteren «Mondaufgang“ über dem in Dunst gchüllten holländischen Dorf mit den dunkel vor der Luft sih abhebenden Mühlen und des Letzteren „Kloster Vico bei Sorrent" in feinster Abendstimmung die Kunst beider Meister trefflih repräsentiren. Von O. Achenbach ift ferner ein großes Bild vom Golf von Neapel, von Lutteroth die ziemlich durchgeführte Schilderung des „Castel Gandolfo am Albaner See“, von dem jüngst verstorbenen Dskar Begas eine vorzüglihe mär- kfishe Landsha\t in shweigender Abendstille und von Louis Gurlitt eine bemerkentwerthe „holsteinische Abendlandschaft“ zu

nennen, während zwei kleine Seestücke von Scherres dur efn erfreulihes Streben nach einer reiheren Palctte interessiren. Den weitaus ersten Plaß unter sämmtlichen Landschaften der Ausstellung nimmt jedoch ein „Sonnenuntergang am Nil“ von W. Gent ein. Die breit und ruhig sich hindehnende Wasserflähe mit der ecinsam am Ufer aufragenden Palme und den im Widerschein der letzten Sonnen- strahlen rofig s{immernden Pyramiden, das leise Verhauchen deg Tageslibts und die feierlihe Stille, die sih über die weite, nur von dichten Schaaren von Flamingos und Pelikanen belebte Landschaft lagert, sind hier mit einer Meisterschaft geschildert, die den Künstler auf feiner vollen Höhe zeigt, und so seltsam eigenartig dieses land- scaftlibe Charakterbild anmuthet, fo sehr überzeugt es den Beschauer von seiner inneren Wahrheit.

Dem großen Bilde einer „Rast in der Araba“ von Eugen Brat meinen wir bereits Ende vorigen Jahres in der Ausftellung des Künstlervereins begegnet zu sein, Von früheren Gurlittshen Aus- stellungen sind uns ferner das Porträi des Sängers Georg Herschel von Alma-Tadema und die ausgezeichnete Bronzefigur eines nackten jugendlihen Bogenschüßen von A. Volkmann bestens bekannt. Zum ersten Mal lenkt dagegen die Aufmerksamkeit ein junger, bisher noch ungenannter Bildhauer Kiesewalter durch eine geschickt durch- gebildete Gruppe auf si, die cin Wisent im Kampf mit einem das Junge bedrobenden Panther zeigt und in ihrer liebenswürdigen Beob- achtung der Natur ein entschiedenes Talent für die heute bei uns wenig gepflegte Thierbildhauerei ankündigt.

London, 3, April, früh. (W. T. B.) Gestern Abend brach in Paternoster Row Feuer aus, welches mehr als 5 Stunden andauerte. Mehrere Häuser sind zerstört; die Verluste sehr bedeutend.

Das Residenz-Theater brachte gestern eine Novität vorFranz Scasler, betitelt : „Ums Regiment“, Lustspiel in 4 Akten. Der in dem Stück verarbeitete Gedanke ist eben kein neuer; es handelt \sich um das Regiment im Hause, welces einer jungen Profefsorfrau von ibrer Schwägerin, einer rechthaberischen, herrs{\üchtigen Landräthin streitig gemacht wird. Auch die Art, in welcher die junge Hausfrau \chließ- lih zum Ziel gelangt, ist nicht originell, und an der üblichen Kinderkrankheit der neueren Lustspiele mittleren Werths, der Unwahr- scheinlihkeit, leidet das Stück ebenfalls. Die Handlung ist eine so locker geshürzte, durbsihtige, die Intrigue so plump angelegt, daß von einer Steigerung, einem Höhepunkt gar nicht gesprochen werden könnte; dasselbe gilt von Vertiefung und scharfer Durchführung der Charaktere. Man könnte getroft eininae Rollen wie diejenige des penfionirten Generals, des Professors Budde|mann nebst Tochter, sogar diejenige des Studenten und, ohne dem Gange der Dinge irgendwie zu schaden, felbst die des Rittmcisters streihen. Troß alledem hat das kleine Lustspiel einige Vorzüge, welhe man wobl anerkennen kann; vor allem fehlt die in derartigen Stücken \{ließlich unbehaglich simmende Sucbt nachb Wien, welche oft gerade das Gegentheil von der beab- sihtigten Wirkung erzielen. Auch sind komishe Scenen nicht mit Gewalt herbeigeführt, sondern ergeben sih meist ziemli natürlich, dem harmlosen Charakter des Stückes ganz angemessen. Der Ver- fasser hat etwas Bescheidenes liefern wollen, und dieses Be- seidene wird auch mit Dank angenemmen und freund- libde Nahsiht mit den mannigfahen Schwächen geübt werden. Hr. Sontag gab den etwas vershrobenen Gelehrten mit gewohnter Vollendung und wußte der Rolle alle in ihr liegenden Eigenheiten und Vortheile mit Glück abzugewinnen und wiederzugeben, obglei er hin und wieder vielleicht ein wenig zu ftark auftrug. Frl, Bünau als Frau Professorin spielte gewandt und war eine recht gefällige junge Hausfrau. Die Landräthin von Remark wurde von Fr. von Pôöôllnit vornehm dargestellt; Hr. Wallner war ein flotter Student, Hr. Brandt dürfte den Kavallericoffizier etwas \ch{neidiger spielen; Hr. Swrainm, Hr. Morway sowie die Damen Hoe und Paulo fanden sich mit ihren Rollen recht zuftiedenstellend ab. Das Publi- kum bereitete dem Stück cine freundliche Aufnahme.

Fr, Amalie Joachim wird, viclseitigem Verlangen nab- gebend, am zweiten Osterfeiertage noch ein Liederconcert im Krollschen Theater geben. Die Sängerin feiert gegenwärtig am Rhein große Triumphe.

Literarische Neuigkeiten und periodisheSchriften.

Deutsches Adelsblatt. Wochenschrift für die Interesser des deutschen Adels beider Konfessionen. Nr. 13. Inhalt: König- thum und Rechts\{uß. Die Erziehung des Adels. Standes- Pessimismus und Standes-Laubeit. Von der deutschen Adels- genossenschaft. Mitglieder-Verzeichniß der deutschen Adelsgenofsen- schaft. Aus dem Kunstlcben. Familien-Nachrichten. —- Brief- kasten. Inserate.

Preußiscbes Verwaltungs-Blatt. Nr. 26. Inhalt: Die Verwaltungsreformgesete für die preußishe Monarchie. JIn- wieweit is ein Eisenbahnunternehmer in Ermangelung einer ent- sprebenden landespolizeilichen Anordnung verpflichtet, die von ihm im öffenilihen Interesse neu hergestellten Anlagen öffentlichen Wege 2. —, wenn dieselben niht an die Stelle bereits vorhandener Einrichtungen getreten sind, aub zu unterhalten? Verpflichtung des Pauseigenthümers zur Anlegung und zur Unterhaltung des Bürgersteiges; ALR. T 8 8. 81, Lokalreht (Ortsftatut, Observanz); Trottoirêlegung durch Asphaltirung. Grenze für das Polizeiverord- nungsrecht. Ortspolizei- und Gemeindebehörde in Beziehung zu ein- ander hinsihtlih des polizeilihen Verfügungs- und Verordnungs- rechts. Ertheilung bezw. Versagung der ortépolizeilichen Gench- migung zur Errichtung von Feuerstellen in der Umgebung einer

Waldung.

Die Um\shau auf oem Gebtete des Zoll- und Steuerwesens März-Nummer. Inhalt: Eine Kombination in der Erhebung von direkten und indirekten Steuern in Preußen, von H. Hartung. Zur Frage der Branntweinsteuererhöhung. Die Konstruktion eines zollpflihtigen Gewichts für Petroleum 2c. Zoll- und Steuertechnisches : Festseßung, Erhebung und Kontrolirung der Zölle und Steuern, Bundesrathsbeschlüsse vom 31, Januar, Pr. &in.-Minist.-Erlaß, Abschreibung von Mühlenfabrikaten in den betreff. Konten betreffend. Rückenzuckersteuer: Zu dem Beschluß der En- quetekommission wegen Abänderung der Rübenzuckerteuer. Ge- werblihes, Betriebskenntniß: Verfahren zur Scheidung und Reinigung des Rübenzuckersaftes. Kassen- und Rechnungswesen: Annahme der Schuldverschreibungen des Reiches als Kreditsicherheit in Bayern. Ausstellung von Gehaltsquittungen. Entziehung der Abgaben: Uebertretungen gegen das Reich8-Stempelabgabengeseß in Frank- furt a. M. Gerichtlibe Erkenntnisse: des Landgerichts Berlin: Der Begriff der Bierbereitung ist mit dem Abschluß des Gährungs- prozesses erschöpft. Des Reichsgerichts vom 5./1. 84; Verantwort- wortlichkeit aus der Unterziehung eines Wechsclblanketts als Aus- steller für die Entrichtung der Stempelabgaben. Des Recichs- gerichts vom 5.,/11, 83: Die Zolldefraude ift vollbracht, wenn der Transport zollpflihtiger Gegenstände ohne Zollausweis den Grenz bezirk passirt, auch ohne daselbst betroffen zu werden. Des Reichs gerihts vom 27./11. 82: Uebergangs-Abgabepflichtigkeit der nab Bayern eingebrachten alkoholhaltigen Flüssigkeit. Des Ober-Lan- desgerihts zu München vom 3./1. 82: Uebergangs- Abgabepflichtigkeit des von Württemberg nah Bayern eingebrachten Bieres. Verkehr mit d-m Auslande. Eingesandt: Die Stellung der Revisions- inspektoren betr. Verschiedenes: Die Halb- Seidenindustrie und die Zollreform. Einfuhr von Maschinen nah Oesterrei. Brief- tasten. Personalnacbrichten.

Redacteur: Riedsl. Berlin: -=

Verlag der Expedition (Sch{ olz). Druck: W,. Elsner.

Vier Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage).

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Nichtamkliches.

Preußen. Berlin, 3. April. Jm weiteren Ver- laufe der gestrigen (71.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten trat das Haus in die Berathung des An- trags des Abg. Stöcker und Gen., betreffend den kirchlichen Nothstand, ein.

Der Antrag lautet:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen :

Die Königliche Staatêregierung zu ersucben, auf Abstellung des in den größeren Gemeinden, namentlich den Großstädten, bestehenden firchlihen Nothstandes hinzuwirken, und, soweit es hierzu erforderlih ift. eine Abänderung der bezüglichen G-setzgebung, sowie die Bewilligung von Staatsmitteln herbei- zuführen.

Der Abg. Stöcker erklärte, der Antrag, den er mit Hülfe seiner Freunde si zu stellen erlaubt habe, sei neu und unge- wöhnlich. Er sei fi dieser Thatsahe auch vollkommen be- wußt, aber der Antrag sei doch nur in Preußen und für dieses Haus neu. Vor kurzer Zeit habe der bayerische Land- tag sowohl sür die katholische, wie für die evangelische Kirche, und auch für die jüdishe Gemeinde der Haupt- und Residenz- stadt München eine namhaste Suwme zur B-seitigung der Nothstände, die in den kirhlihen und synagoaishen Verhält- nissen vorhanden seien, bewilligt. Auch die parlamentarische Geschichte von England zeige, daß in jener Zeit, als die Re- sidenz London unverhältnißmäßig gewachsen sei, und die Stadtkirhe niht im Si!ande gewesen sei, dem Be- dürfnisse zu genügen, das Parlament wenigstens ein- mal eine große Summe bewilligt habe, damit der kirch- liche Nothstand energisch habe angefaßt werden können. Diesc beiden Beispiele, das eine aus entfernter Zeit, das andere aus der Gegenwart, würden ihn vor dem Vorwurf hüten, als ob er unerhörte Dinge fordere, als ob er hier innerfirch- liche Verhältnisse vor das Forum des Landtages bringe, wo- gegen er sih hier so ost ausgesprochen habe, Denn es handele sich hier nicht um die innerkirhlihen Verhältnisse einer besonderen Kirche, sondern um das Verhältniß des Staates zum religiösen Volksleben überhaupt, und er hoffe, den Nachweis klar führen zu können, daß eine Beseitigung der Noth- stände, welche ihm feinen Antrag eingegeben hätten, ohne eine Hüife von Seiten des Staats nicht möglich sei. Wenn es in Bayern besonders die Residenzstadt München gewesen si, auf welhe er hingewiesen habe, so nehme er auch feinen Anstand, hier zu bekennen, daß es auch vorzugs- weise die Verhältnisse Berlins gewesen seien, die ihn zu seinem Antrage bewogen hätten. Aber auch in anderen großen Städten und Landgemeinden Preußens seien die Ver- hältnisse abnorm, wenn auch die Nothstände nicht so massen- haft seien. Fn Berlin aber sei ein kirhlicher Nothstand heran- gewachsen, wie derselbe ershreckender und umfassender, durch- dringender in der gesammten Christenheit aller Konfessionen nicht bestche. Er sei jedesmnl s{chmerzlich bewegt, wenn er die Verhältnisse Berlins betrahte und veranlaßt sei, davon zu reden. Ost werde der eigentliche Nothstand für die Oeffent- lichkeit vershleiert. Wenn man erfahre, daß Berlin bei etwa einer Million evangelischer Einwohner nur 40 Kirchen und 90 Geistliche habe, so sei das eine unglaublich ge- ringe Zahl von kirchlichen Gebäuden und geistlichen Kräften. Freilich habe man sih bei der Vertheilung wenigstens nicht vor überwältigenden Verhältnissen befunden. Der Zustand der tirhlihen Nothstände, unter denen Berlin leide, lasse sich zifffern- mäßig damit belegen, daß die Vorstadt-Gemeinden zwischen 7 bis 800 000 evangelischer Christen mit 20 Kirchen und Kapellen Und 27 ständigen Geistlihen neben wenigen Hülfsgeistlichen hätten, die bei dem Mangel an Geistlichen bald kämen, bald gingen. Man habe in Berlin Gemeinden von 110 bis 120 000 Seelen mit 5 Geistlihen bei häufigen Vakanzen. Man habe 80 000 Seelen in einer Gemeinde mit 2 Geist- lichen. Es sei vorgekommen, daß davon der eine gegangen sei, und der andere, noch dazu ein alter Mann, dieser Last, 80 000 Seelen zu pflegen, gegenübergestanden habe, natürlih ohne die Möglichkeit, auch nur den [kleinsten Theil dieser seelsorgerishen Pflichten zu erfüllen. Man habe vor dem Halleschen Thore eine Gemeinde, die sich vielleicht auf 50 000 Seelen beziffere, und noch heute, nach zehnjährigem Bestande eine Kapelle habe, die einem Schuppen ähnlicher sehe, als einer Kirche. Die Verhältnisse lägen so, daß in den gesammten Kirchen Berlins nur 40 000 Sitpläße vorhanden seien, und das sei geradezu zum Himmel schreiend. Er komme zu der sittlichen Seite der Frage. An eine Be- seitigung der sittlichen Schäden durch die Kirche sei gar nicht zu denken. Man finde Leute auf dem Krankenlager, die seit 10 bis 18 Jahren keinen seelsorgerishen Zuspruh gehabt hätten, weil der Geistlihe nihts habe davon wissen können, da die Seelenzahl seiner Gemeinde eine zu große gewesen sei. Es komme vor, daß ein einziger Geistliher an einem Sonn- oder Festtag-Nachmittage hundert Taufen und unzählige Trauungen vollziehe, daß ein Geistlicher fünfhundert Kon- firmanden habe, und wöentlich 18—20 Stunden Konfir- mationsunterriht geben müsse. Das seien in der That furcht- bare Zustände, die der Residenz unwürdig seien. Die wesent- lichsten Nothstände seien seit der Einführung des Civilstands- geseßes eingetreten, e in Berlin wie in anderen großen Städten. Es sei damals ein Zustand cingetreten, den man als Bankerutt des kirhlichen Lebens bezeihnen könne. Jm ersten Jahre seien 74 Prozent der Ehen ungesegnet, und 31 Prozent der Kinder ungetauft geblieben, in den Vor- städten seien 80 Prozent der Ehen ungesegnet, und 40 Pro- L der Kinder ungetauft geblieben. Sein Antrag beziehe ih nicht blos auf die evangelische, sondern au auf die katholische Kirche, denn diese habe ganz ähnliche Ziffern zu vermerken gehabt. Wenn auch das Verhältniß bei der Ehe, weil dieselbe ein Sakrament sei, ein besseres sei, so sei es bei den Taufen noch ungünstiger geworden, da nach dem Jahrbuch der Stadt Berlin im Jahre 1877 nur die Hälfte der katholischen Kinder getauft sei. Nun seien ja diese Verhältnisse zum Theil gebessert worden. Die Kirchen hätten das ihrige gethan,

e Stadtsynoden hätten mitgewirkt und die Aufhebung der

R E Lau E E

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger. 4,

Berlin, Donnerstag, den 3. April

Stolgebühren habe wesentlich zur Besserung beigetragen. Aber eine vollständige Besserung könne nicht eintreten; wenn nicht die organisirte Kirche in ihren Kräften verstärkt werde. Was die sittliche Seite anbelange, so sei neulich in einer Debatte unter- sucht worden, ob die Verbrechen zunähmen oder abnähmen. Er ent- halte si jedes Uftheils über die Quantität, aber was die Qualität anbetreffe, so erinnere er nur ‘an den Conradschen Mord und an den Gronackshen Mord vor einigen Tagen, und da müsse er hervorheben, daß diese Thaten einen solchen bestialischen Charakter hätten, daß den Thätern nicht nur jeder chrisilihe, sondern auch jeder humane Zug fehle. Dann habe die Sache auch eine politische Seite. Sei einmal die Kirche die Trägerin der sittltch:religiösen Anschauungen, dann habe eben der Mangel an sittlich - religiöser Pflege solche Zustände nicht hervorgerufen, aber wesent- lid mit herbeigeführt. Aus - diesen Verhältnissen heraus gewinne der Umsturz seine Massen. Die Sozialdemo?ratie sei für ihn ein natürlihes Kind wirth- schaftlicher Nothstände und eines materialistishen Atheismus ; es sei doch absolut niht zu verwundern, wenn in einer Ge- meinde von 120 000 Scelen, die man geistlih unversorgt ve- getiren lasse, alle Gedanken des Umsturzes aufwucherten, wenn hier kein Einhalt geschehe. Nun habe speziell im leßten Jahre die Berliner Stadtsynode, bestehend aus den 4 ver- einigten Kreissynoden , ihre Mithülfe in Aussicht gestellt, aber zualeih betont, daß nah der Kirchenverfassung eine wirksame Abhülfe nur im Zusammenwixken der Behörden , der Gemeindeorgane und der Synodalorgane zu finden sei. Unter den Behörden seien sowohl die firhlihen wie die städtishen verstanden. Die Berliner Stadt- 1ynode fordere also die Hand der Regierung ebenso wie die Hand des Kirchenregiments zum Zusammengehen auf. Sie fordere u. A, daß die neu kreirten Pfarrstellen patronatsfrei sein sollten, daß also auch in Gemeinden Königlichen Patronats die neuen Stellen niht vom Patron, sondern durch Gemeinde- wah! beseßt würden. Diese Forderung sei nicht unberechtigt; seit 1873 habe das Königliche Patronat neue Leistungen ab- gelehnt, dasselbe sei niht m- hr iw Stande, für die Besserung der Verhältnisse durch neue Kirchen beizutragen, könne das Patronat dann die Ernennung der Pfarrer verlangen, die in Berlin aus Kirchensieuermitteln neu angestellt werden sollten ? Was nun die Handhabung im Einzelnen betreffe, so könnte ja das Konsistorium in Ve bindung mit den Staatsbehörden den Nothstand kon- statiren, man könnte die Patrone zu den Baulasten herbei- ziehen, was aber streitig sei, dann der Gemeinde ihre Ver- pflichtungen auflegen und so der Beseitigung des No1hstandes näher kommen. Aber dieser Apparat funktionire nicht mehr; die gescßgeberische Aktion biete für diese Uebelstände keine Handhade. Seit 1873 habe eben das Patronat jede neue Verpslichtung abgelehnt ; im Kultuysetat heiße es in einer speziellen Bemerkung: „Beihülfen zu Bauten an Kirchen landesherrlichen Patronats seien nur insoweit zu leisten, als das Patronat vor dem 1. Januar 1873 übernommen sei.“ Das Pitronat habe in Berlin ungemein segensreih gewirkt und in gewissen Epochen den Kirchenbau mächtig gefördert. 1873 sei ein so wichtiges Kronreht ohne Diskussion im Hause abgeschafft worden! Dieser Abschaffung zumeist verdanke man die jeßigen Uebelstände. Selbst wenn sih aber im Prozeßwege die Fortdauer der Patronatsverpflihtungen erstreiten ließe, seien die Gemeinden nicht leistungsfähig, verzichteten lieber auf ihr Recht, und überließen Alles dem Chaos, Deshalb rege sein Antrag eine Aenderung der Geseßgebung an, der erwähnte Vermerk des Eiats müsse wegfallen, damit der Kultus-Minister wieder Anträge in dieser Beziehung an das Haus bringen, und das Patronat wieder in Funktion ge- seßt werden könne, auch müsse die exekutivishe Beitreibung der Gelder für neu angestellte oder im Gehalt erhöhte Geistliche erfolgen können, was das Ober-Verwaltungsgericht bisher verneint habe; endlich müsse für einzelne versammelte Gemeinden, Konglomerate von Zuzüglern die Möglichkeit einer gemeinsamen Vertretung nah dem Muster der Berliner Stadt- synode gegeben werden. Würde diesen Punkten jeßt schon von Regiecungs wegen näher getreten, so könnte auf der Generalsynode von 1885 die Sache zum Abschluß gelangen. Auf dem Wege des Prozesses werde ja das Patronat schwerlich zur Betheiligung gezwungen werden können ; aber er bitte den Minister, nicht den formal-rcchtlihen Standpunkt festzuhalten, sondern ¿zu erwägen, daß die Regierung als Patron im eigenen staatlichen Fnteresse sehr dringende Veranlassung zur Mithülfe habe. Schließlich verlange sein Antrag auch die Gewährung von Staatsmitteln. Jn dieser Beziehung sei der Nothstand nicht blos lokal, sondern universell, für die sittlichen Zustände des Volkes sei das sittliche Leben der Hauptsiadî von der größten Bedeutung. Die Freizügigkeit locke die großen Massen in die Fndustriecentren ; für diese Massen zu sorgen, könne man den geistlich gut ver- sehenen Gemeinden ohne Staatshülfe nicht zumuthen. Dabei dürfe man nicht vergessen, daß in Berlin die sechs untersten Steuerstufen von der Kirchensteuer befreit seien, daß die besser situirten Gemeinden im Centrum und Westen für den Osten mit sorgen müßten. Die Stadtsynode allein könne die Last niht tragen. Jn anderen Staaten, Sacsen, Braunschweig, Mecklenburg sei ganz anders für die Bedürfnisse der Kirche gesorgt worden. Die von ihm ange- regte Frage könne also gar niht umgangen werden ; sie werde sih immer wieder wie ein armer Lazarus vor die Thür des Landtags seßen. Er würde den Tag segnen, wo er die Jn- stanzen alle zu gemeinsamer Thätigkeit vereinigt sähe. Die Angelegenheit ist keine Parteifrage; die Berliner Stadtsynode sei eine vorwiegend liberale Körperschaft. Er bitte deshalb, inen Antrag anzunehmen, damit endlich Abhülfe geschaffen werde.

Hierauf ergriff der Minister der geistlichen 2c. Angelegen- heiten Dr. von Goßler das Wort:

Meine Herren! wenn ih bereits in der gegenwärtigen Lage der Diskussion das Wort ergreife, fo geschieht es wesentli, weil ich fürhte, dur anderweitige Geschäste verhindert zu sein, dem ganzen Laufe der Diskussion zu folgen, und weil ih, nahdem der Herr Vor- redner das Wort wiederholt an mi gerichtet hat, niht das Haus verlassen möchte, ohne wenigstens mit einigen Worten von dem

Interesse Zeugniß abgelegt zu baben, welchbes mi den Anträgen und den Ausführungen des Herrn Vorredners gegenüber bewegt.

Der Herr Vorredner hat nicht erwartet und kann es aud nit erwarten, daß ih hier Namens der Staatsregierung irgend eine bindende Erflärung abgebe, der Antrag, in feiner Allgemeinheit ge- faßt und dur allgemeine Darlegung begründet, zielt au nicht dahin, aber der Herr Antragsteller hat nit Unrecht, wenn er bei meiner persönlichen und bei meiner amtlicen Stellung ein besonderes Interesse für die von ihm angeregten Fragen voraus- setzt, das sih umsomehr steigert, als ih nit blos Kultus-Minister bin für die älteren Landestheile im beshränkteren Sinne der Wahr- nehmung der jura circa sacra, fondern weil ich auch in meiner anderweitigen firchenregimentlißen Stellung den neuen Provinzen gegenüber meine Aufmerksamkeit der Angelegenheit zuzuwenden ver- pflichtet bin. Jch habe deshalb son, als der Antrag in meine Hand gelangte, versucht, mir klar zu machen, welche Verhältnisse namentli auf dem Gebiet der kirchlichen Versorgung der Großstädte bestehen, und wenn auch das beshaffte Material, welhes \sch für die cevangelishe wie für die - katbolishe Kirche auf die Städte über 50000 Einwohner bezieht, kein völlig ribtiges Bild giebt, und zwar hauptsächlich um deswillen nicht, weil die Eins wobnerzahl nach der letzten Volkszählung von 1880 bemessen ist, so hat das gewonnene Bild immerhin einen gewissen relativen Werth, relativ im Verhältniß der beiden Kirchen unter einander, der einzelnen Städte zu einander und der verschiedenen Zeitabschnitte zu einander. Aus diesen Zusammenstellungen erhellt, was die Herren nicht überrashen wird, daß im Großen und Ganzen die Ver- hältnisse auf Seiten der katholischen Kirche günstiger liegen insofern, als die Zahl der Katholiken im Verhältniß zu den Seelsorgestellen bez. kirhlihen Gebäuden eine zum Theil erheblich geringere als bet der evangelischen Kirche ift. Aber nicht allein bei der evangelischen Kirche, sondern auch bei der katholischen zeigt sich das beahtenswerthe Resultat, daß vorzugêweise Berlin derjer.ige Ort ist, desen kircliche Verhältnisse zu Bedenken Veranlassung geben. Die Ausführungen des Herrn Vorredners deuten auch darauf hin, daß wesen!lich aus den Berliner Erfahrungen heraus die Anträge geflossen sind, welche der Herr Vorredner an die Staatsregierung ri{tet.

Die Berliner kirchlihen Verhältnisse sind für die Staatsregie- rung, wenn man die lange Vorgeschichte des Antrages betrachtet, immer Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge gewesen. Wenn Sie z. B. die geshictlihe Darlegung, die in den 50er Jahren Sei- tens des Evangelischen Ober-Kircbenxaths veröffentliht worden ift, in die Hand nehmen, so werden Sie finden, daß bereits im Anfange dieses Jahrhunderts wesentlich aus der Initiative des Magistrats von Berlin und das gereihi ihm zur Ehre die kir{- ¡he Versorgung der Berliner Einwohner cingehend vesprochen und verhandelt worden ift. Immer erneut sind in der Folgezeit Anforderungen im kirchlihen Interesse an die Staatsregierung leran- getreten; es haben in den 59er bis in die 70er Jahre hinein Ver- handlungen in der hierfür besonders eingeseßten Kommission ge- \{chwebt, und viel Gutes ist geschaffen worden durch das Zusammen- wirken der verschiedenen Behörden und Vertreter. Diese Bemühbun- gen haben ein Ende erreiht im Jahre 1873 wesentlich aus zwei Gründen, einmal, weil damals mit der Verfassung der evangelischen Landeskirhe begonnen wurde, und hierznit dieselbe nah Auffaffung der Regierung die Möglichkeit erlangte, selbständig die Regelung threr kirhlichen Nothstände in die Hand zu nehmen, sodann in Folge des Etatévermerks zum Patronatsbaufonds. Zu den Desiderata, welche die Geistlichen und die sonstigen Vertrauensmänner Berlins in den Koms- missionsberathungen immer hervorgchoben haben, gehörte der eine Wunscb, daß die evangelische Kirche endlich verfaßt sein möchte, um eben selbständig in die Angelegenheit einzutreten. Ich betone dieses Moment absichtli, niht etwa um mein Interesse an ver Sache ab- zuschwächen, sondern um auch bereits in etwas die Grenzlinie anzudeuten, welhe im Gegensaß zu früher die Staatsregie- rung bei dieser Angelegenheit einzunehmen haben wird. Man kann doch nicht verkeanen, daß die rechtliden Verhältnisse sich im Laufe des leßten Jahrzehnts erheblih verändert haben, und auch die Stadtsynode hat, wie der Herr Vorredner bercits richtig hervorgehoben hat, in anerkennenswerther Weise ihre Verpflichtung, die kirhlihen Nothstände zu beseitigen oder zu lindern, anerkannt. Ob sie stark genug sein wird, die Lasten, die Ke si{ aufzuerlegen bereit ist, zu tragen was der Herr Vorredner bezweifelt weiß ih nicht.

Ich will indeß bei diesen Betrachtungen nit ftehen bleiben und weiter gehen, ih will versucen, nah den Ausführungen des Herrn Vorredners ungefähr diejenigen Linien zu ziehen, die ih als Geschäfts- mann mir zu ziehen habe, mithin rit lediglich mit allge- meinen freundlichen, entgegenkommenden Worten die gehörten Aus- führungen begleiten, sondern mir darüber Klarheit zu verschaffen, in welben Richtungen sih nach der Auffassung des Herrn Vorredners die Mitwirkung des Staates ungefähr bewegen foll.

Der Herr Vorredner hat sowohl im Antrage, wie namentli in seinen Ausführungen eine Reihe verschiedener positiver Gesichtspunkte hingestellt, die Gegenstand von Erörterungen fein können. Er hat zunächst mit Recht hervorgehoben, daß das Jahr 1873 nach der Rich- tung für die Stellung des Staates zu den beiden chriftlihen Kirchen einen Wendepunkt bildet, als damals aus der Juitiative des Abge- ordnetenhauses heraus der Vermerk dem Kap. 124 Tit. 4 zugeseßt worden ift, dahin gehend, daß der Patronatsbaufonds nur verwendet werden dürfe für die Bauten solcher kirhlihen Gebäude, für welche das Patronat {on vor 1873 begründet worden ift.

In der That ift zugegeben, daß vom Jahre 1873 an bis beute vielfach Schwierigkeiten dadurch ent\tanden sind, daß zwar der Träger der Krone ermächtigt ist, ein Patronat noch zu übernehmen, daß er aber nicht mehr berecbtigt ist, aud die baulichen Pflichten zu über- nehmen, die mit der Ausübung des Patronats na unseren Geseßen verbunden sind. Nun würde ich es als eine Erkeichterung für mein Refsort empfunden haben, wenn diese spezielle Frage bereits bei der diesjährigen Etatéberathung zur Erörterung gekommen wäre, da sie sih ganz fkonkret herausshälen und entscheiden läßt. Man hätte dann im Wege der Abstimmung die Kraftprobe machen können, ob das gegenwärtige Abgeordnetenhaus geneigt ift, einen Etatvermerk zu be- seitigen, welchen das Abgeordnetenhaus vor 11 Jahren hineingeseßzt hat. Heut ift diese Frage der Theil eines größeren Gebietes gewor- den und ihre Lösung meines Erachtens hierdurch einigermaßen erschwert.

Weiter sagt der Herr Vorredner: Der Staat wäre in der Lage, die Gesetzgebung 1m kirchlichen Juterefse zu ändern. Ich gebe das mit einer gewissen Einschränkung zu. Ein Theil der von ihm als Abänderung bedürftigen Punkte, wenn i anders richtig verstan- den habe, beruht allerdings überwiegend auf dem Boden der Staats geseßgebung. Das gilt zunächst von der Stellung der Patrone, vor- zugsweise der ftädtishen Patrone. Es ift in dieser Hinsicht der kirch- lihen Verwaltung wohi Recht zu geben, daß, als der Staat im Jahr 1873 fich zurückzog von der Ausdehnung feiner patronatischen Verpflichtungen, au die Städte niht mehr angehalten wurden, über ihre alten Pflichten hinaus neue Lasten zu übernehmen, und wenn es bisher meines Wissens noch nicht gelungen oder versucht ist, im Wege Rechtens städtische Patronate zu höheren Neuleistungen heranzuziehen, so ist das meines Erachtens aus der richtigen Erkenntniß der Sachlage, wie ih sie skizzirt habe, hervorgegangen. Auf Auf diesem Gebiet wäre, wie ih in thesi zugebe, die Staats- regierung in der Lage, an eine Aenderung der Staatsgesetße heran»

zutreten.