1905 / 9 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Jan 1905 18:00:01 GMT) scan diff

——————————.

gering

Qualität

h mittel | gut Verkaufte

Gezablter Preis für 1 Doppelzentner

Menge

niedrigster e

böhster

"E höGster

niedrigster | höchster M. M. M M.

A

Doppelzentner

am Markttage ü nah beridia h über Schäßung pet Doppelzentner (Preis unbekannt)

Durthsnitts- Am vorigen Außerdem wurden Verkaufs pr

für wert 1 Doppel-

¡entner Mh. Mh

°

Bemerkungen.

Neustadt O.-S. Hannover

Emden

Goch

Neuß , ,

E s ch6 Schwabmünchen Chingen . E Waldsee i. Wrttbg. . Dhitllendorf . _... Schwerin i. M. : Saaten «

12,80 14,40 11,69 13,75

14,80 14/00

14.40

l | l j j | j

Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der l mit : irt Fin liegender Strich C5 in n Spalten für Preise hat die Bedeutung, doß der betreffende Preis nit vorgekommen ift, ein Punkt (.) in den [legten sechs Spalten, daß entsprechender

Noch: Hafer. 13,40 | 13,60 | 15,70 } 15,80 13,59 13,60 14,03 14,25

| | 1320 | 15,20 15,60 | 14,10 |

|

l

13,80 30 16,20 : 13,80 900 14,25 400 14,20 120 15,60 p 14,20 112 14,40 15 14,60 52 —- 56 13,80 . 15,00 500

13,20 15,20 13,50 14,00

15.20 1410

14,00 14,20 14,50

14,40 |

1 1600 T O E 14.00

13,00 15,00 11,60 13,75

14,85

14,20 14,20 14/40 14,50 14,60 14,80 is

13,60 13,80 14,00 | 15,00

a.

402

6 800 5 600 1690

1579 220 794 809

7 400

13,40

13,60 14/00 14,08

14,10 14,29 14,59 14,45

14,80

13.60 14,00 13/60

13,80 14 09 14,33 14,76

14,75

R, DIR O pri pk pk jb park pl pri rek

21

Verkauf&wert auf volle Mark abgerundet mitgeteilt. Der Dur@schnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berehaet.

ericht feblî,

an deutschen und außerdeuischen Börsenplätzen

Groß handelspreise von Getreide

für die Woche vom 2. bis 7. Januar 1905 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. Zusammengestellt im Kaiserlihen Statistishen Amt.

1000 kg in Mark.

(Preise für greifbare Ware, soweit niht etwas anderes bemerkt.)

Roggen, zel, Gerste,

Berlin. guter, gesunder, mindestens 712 g das 1 755 g das 1 450 g das 1

Mannheim

Noggen, Pfälzer, russischer, bulgis@Wer, mittel Weizen, Pfälzer, See amerif., rumän., mittel

fer, badischer, württem

ergischer, mittel

erste, badische, Pfälzer, mittel

Wien.

Roggen, Peltee Boden

zen,

beiß-

fer, ungariscker I

erste, \l

ovafkische

Mais, ungarischer

i Weizen, afer,

rste, Futter-

Mais,

Budapest. Mittelware

gen, 71 bis 72 kg das hl Weizen, Ulka, 75 bis 76 kg das hl

Roggen, Weizen,

Roggen Weizen

,

| |

P Weizen |

Weizen | fer erste J

Weizen

Gerste, F Mais |

Riga. 71 bis 72 kg das hl O. 6

Paris. lieferbare Ware des laufenden Monats \

Antwerpen. Varna Donau, mittel Azima Odessa Californier Walla Walla Kurrachee, rot Bombay, Club weiß

Amsterdam. Asow- St. Petersburger Odefsa- ._ amerikanischer Winter- amerikan. bunt La Plata

London. roduktenbörse (Mark Lans).

englisch weiß B rot

englishes Getreide, Mittelpreis aus 196 Marktorten (Gazette averages)

_ Eer p 0oL russischer La Plata Kurrachee Kalkutta Australier

Odessa utter- amerikan. amerikan. bunt, neu La Plata

Weizen, Lieferungsware |

Mais

Weizen Mois

Se]

Neu Yorfk. roter Winter- Nr. 2 Lieferungêware \ M Buenos Aires. Dur{schnittêroare

Januar j 1905

140,79!

F 177,21)

140/83)

149,83! 190,55 150,75 180,00!

138,60 187,07! 125,84! 154,75 140,30

128,14 172,04 120,49) 123,89) 134,86)

96,31) 123,73)

101,57! 128,99)

| 133 09| 192,49

135,68! 143,78! 143,78! 147,26! 155,93 149,85! 130,25 140,54

116,77| 120,80! 155,03! 169,12 107,81 104 01!

151,62 146,05

142,03! 117,06) 136,61

151,72 154/53 136,04 | 141,42 157,80 118/62

99,11

98,33! 134/39|

99,05 109,68)

176,27| 151/45) 73/02!

| | |

188,64! 177,65| 158,26!

82,66!

120,27 77,51

| gegen | Vor- | woe

142,29 178,01 139,63

149,83 191,22 150,75 179,16

140,12 188,52 126,53 154,55 141,82

129,50 172,73 120,59 123,13 135,45

97,63 125,48

103,76 130,74

133,54 190,99

137,04 145,13 143,51 146,58 155,64 150,79 130,41 141,49

116,69 120,71 154,92 167,24 107,74 105,63

151,47 145,91 141,89 116,35 138,46

153,44 154,37 136,13 141,74 157,65 11851 101,35

98,23 131,45 102,45 100,82

175,19 151,71 74,63

186,39 176,69 158,54

84,30

119,38 80,18.

Bemerkungen.

1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Pro- duktenbörse = 504 Pfund engl. gerehnet; für die aus den Umfäßen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durhschnittépreise für einheimishes Getreide (Gazette averages) ist 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. angeseßt. 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund ‘englis; 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Noggen = 2100, Weizen = 2400, Mais = 2000 kg.

Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im „Reichsanzeiger“ ermittelten wöchentlihen Durchschnittswechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar K Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und Neu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für poos, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Pläze. Preise in Bueno3 Aires unter Berücksichtigung der Goldprämie.

Deutscher Reichstag. 114. Sißung vom 10. Fanuar 1905, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Tagesordnung: Fortseßung der Beratung der zur zweiten Lesung des Neichshaushaltsetats für 1904 (Reichsamt des Jnnern) gestellten Resolutionen, und zwar zunächst der Resolution der Abgg. Dr. von Saldern (d. kons.) und Genossen. Diese lautet : :

„Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, eine Abänderung des ersten Satzes des § 48 Ziffer 4 des Invalidenversicherungs- geseßes, „folange der Berechtigte niht im Inlande seinen gewöhn- lien Aufenthalt bat“, dahin zu bewirken, daß diese Bestimmung keine Anwendung findet, wenn ein Rentenberehtigter zum Zwede der Erhaltung oder Wiederherstellung seiner Gesundheit seinen Auf- enthalt im Auslande zu nehmen gezwungen ist.“

Abg. Dr. von Saldern: Als nichtständiges Mitglied des Reichêversicherungsamis möchte id darauf hinweisen, daß unserer Entscheidung zwei Fälle vorlagen, in denen zwei junge Kaufleute auf Veranlafsung des Arztes, der eine nah Davos, der andere nah Kairo geschickt wurden, um ihr Lungenleiden auszuheilen. Jhr Anspruch auf Rente wurde von den zuständigen Instanzen zurückzewiesen, auch vom Neichsversicherung8amt, nicht etwa aus Engherzigkeit, denn das Reicheversiherungsamt entscheidet bei der Auslegung der Versicherungs- geseße, wenn überhaupt zu Gunsten ciner Partei, tatsählich zu Gunsten der Versicherten. Aber eine andere Entscheidung war nicht mögli. Tatsächlih also liegt in diesen geseßlihen Bestimmungen eine große Härte. Es wird hier die Nente versagt, obwobl es sich doch auch um einen Aufenthalt zur Wiederherstellung oder Erhaltung der Eesund- heit handelt, obwohl der Rentenberehtigte nicht freiwillig Deutsch- land verläßt, sondern Deutschland gerade aus diesem Grunde zu ver- lassen gezwungen wird. In diesem Falle den Rentenanspruch ruhen zu lassen, entspriht nit der Billigkeit; denn man läßt dem Be- troffenen nur die Wahl: entweder bleibe in Deutschland, stirb möglichst bald, oder gehe ins Ausland und verzihte auf die Rente. Es würde dadurch unter Umständen fogar eine Besserstellung des Ausländers als Rentenbeziehers gegenüber dem inländishen Renten- berechtigten gegeben sein. Es ist nicht anzunehmen, daß der Geseßz- geber diese Absicht gehabt hat. Sehr zahlreich werden ja freilih solche Fâlle niht sein, und es könnte deshalb fraglih ersheinen, ob aus- reihender Anlaß vorhanden ift, {on wieder an eine Aendecung des Geseßes zu gehen; aber man foll wohlerworbene Rechte nit in dieser Weise kränken, und daher empfehle ih dem Hause, meinem Vor- {lage zuzustimmen :

Abg. Erzberger (Zzntr.): Wir sind geneigt, in eine Revision des Geseßes in der von der Resolution angedeuteten Richtung einzu- treten. Freilih meinen auch wir, daß die Zahl der betreffenden Fälle nicht boch sein wird; denn die im Besi der Invalidenrente Be- findlihen find nur in verschwindend geringem Maße in der Lage, kostspielige Neisfen nah Davos oder nah der Riviera zu machen. Bei der Aenderung des Gesetzes würden die Frage ist bei der Un- fall- und bei der Invalidenversicherung verschieden geregelt auch einige andere Punkte einer Abänderung zu unterziehen sein, damit die Abänderung des § 48 nicht zu einer Bevorzugung des ausländischen Rentenberechtigten führt. Ein Italiener hat bei uns das Recht auf eine Invalidenrente; jeder Arzt würde erklären,* daß dem Italiener der Aufenthalt in seinem Heimatlande zuträglicher ist als bei uns im hohen falten Norden. ie Folgerung daraus könnte ohne Vor- fehrung von Kautelen eine durhaus unerwünschte sein.

Bevollmächtigter zum Bundesrat, Direktor im Reichsamt des Innern Caspar: Jch gebe zu, daß der Gedanke, der dem Antrage zu Grunde liegt, eine gewisse Berechtigung hat. Es ist auh rihtig, daß die Regelung dieser Angelegenheit eine verschiedene ist bei der Unfallversiherung und bei der Invaliden- versicherung Wenn bei uns eine Revision dieser Gesetze kommt, so wird diese Verschiedenbeit zu beseitigen sein. Dagegen kann ih nicht zugeben, daß es notwendig ist, durch eine besondere Vorlage Wandel zu \{afffen. Der Wunsch wird bei der nächsten Gelegenheit in wohlwollende Erwägung gezogen werden. Ih kann au nit zugeben, daß der inländishe Rentenempfänger gegenüber dem auéländishen in dem Umfange zu kurz kommt, wie man es hingestellt hat. Der Ausländer bleibt doch wohl im, Auslande, und es ist gerechtfertigt, ihm eine gewisse Abfindung zu geben, der Inländer da- gegen fehrt in das Inland in der Regel zurüdck.

Abg. Stadthagen (Soz.): Ich freue mich, daß der Antrag- steller und der Vertreter des Zentrums allmählich den Weg betreten, den wir selber hon vor Jahren vorgeschlagen haben. Wie das Geseh jeßt liegt, hat es den Charafter einer armenrechtlihen Unterstüßung. Dem RNentenempfänger wird die Rente abgesprochen, wenn er seinen Wohnsiß außerhalb Deutschlands verlegt. Es is nit richtig, daß das Reichsversicherungsamt gerade dem Arbeiter besonders

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entgegengekommen ist. Es wurde auf seine Veranlassung gerade die Safung angenommen, deren Beseitigung oder Beschränkung der An- trag jeßt verlangt. Damals wandten si die Konservativen und das Zentrum gegen unsere weitergehenden Wünsche, und wenn sie jeßt sh eines Besseren besinnen, fo können wir nur hoffen, daß sie aut in anderer Beziehung sih zu unseren Ansichten bekehren. Die verbündeten Regierungen aber möhte ih bitten, mit der Aenderung nicht zu warten bis zu der großen Revision des Invalidenversiherunz8gesetzes oder Aua R Ber e E

Abg. Dr. Beer - Hessen (nl.): Unsere Fraktion wird dem Antrage von Saldern zustimmen. Wenn es sih auch nur um einzelne Fälle handelt, so meinen wir do, daß die bestehenden Härten beseitigt werden müssen. Vielleiht wäre es aber zweckmäßig, die Rente dem Betreffenden im Auslande nur so lange zu gewähren, als er die deutsche Staatsangebörigkeit besißt, sonst würde man gezwungen sein, einem Naturalisierten die Nechte weiter zu bewilligen.

Die Resolution von Saldern wird darauf einstimmig angenommen.

Es folgt die Beratung der Resolutionen, betreffend Befähigungsnachweis und Lehrlingsausbildung:

Erstens des Abg. Dr. Hitze (Zentr.) und Gen.:

„die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage tunli{| bald einen Geseßentwurf vorzulegen, durch welhen a. die Autbil- dung von Lehrlingen in handwerksmäßigen Betrieben nur \olchen I gestattet wird, welche den Meistertitel zu führen berechtigt ind; b. für die selbständige Ausübung des Baugewerbes der Be-

fähigungënahweis eingeführt wird.“

Zweitens des Abg. Dr. Dröscher (d. kons.) und Gen.:

__»die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage einen

Geseyzentwurf vorzulegen, durch welchen an Stelle der Bestimmung in § 129 Abs. 1 der Reichsgewerbeordnung die folgende Bestim- mung: „In Handwerksbetrieben steht die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen nur denjenigen Personen zu, welche das 24. Lebens- jahr vollendet haben und in dem Gewerbe oder in dem Zweige des Gewerbes, in welhem die Anleitung der Lehrlinge erfolgen foll, die Bercchtigung zur Prbeung des Meistertitels haben“ ; und an Stelle der Bestimmung în § 131 und § 131 c Abs. 1 die folgende Be- stimmung geseßt wird: „Nach Ablauf der Lehrzeit hat sich der Lehr- ling der Gesellenprüfung zu unterziehen“, und daß folgende Uebergangs- bestimmung hinzugeseßt wird: „Die Bestimmung des § 129 Abs. 1 in der neuen pasuna tritt erst mit dem 1. April 1907 in Kraft. Bis dabin steht die Befugnis zum Anleiten von Lehrlingen in Handwerksbetrieben R denjenigen Perfonen zu, welche das 24. Lebens- jahr vollendet und in dem Gewerbe oder in dem Zweige des Ge- werbes, in welhem die Anleitung der LÆhrlinge erfolgen foll, ent- weder mindestens eine dreijährige oder, falls fie am 1. April 1901 das 17. Lebensjahr vollendet hatten, mindestens eine zweijährige Lehrzeit zurückgelegt und die Gesellenprüfung bestanden oder fünf Jahre bindurch das Handwerk s\elbständig ausgeübt haben, oder alé Werkmeister oder in ähnlicher Stellung tätig gewesen sind." *“

Damit in Verbindung steht die {hon früher begonnene Beratung des Berichts der Petitionékommission: über die Petitionen des Innungsausschusses zu Goh um Einführung des allg emeinen Befähigung8nachweises bei dem Handwerk und des sächsischen Verbandes der Vereine für Maschinisten und Heizer zu Chemniß, betreffend die Einführung des Befähigungsnachweises für die Maschinisten und Heizer, zur Tagesordnung überzugehen, da- egen die Petitionen, soweit sie sih auf die Einführung des Be- ibiounaMnabieeises für die Bauhandwerker beziehen, dem Reichs- kanzler zur Erwägung zu überweisen. E

Abg. Naab (Wirts. Vgg.) will diese Petitionen dem Reichskanzler ebenfalls zur Erwägung überwiesen sehen, dagegen die Petition, ke- treffend die Einführung des Befähigungsnachweises für die Maschinisten und Heizer und für die Bauhandwerker dem Reichskanzler zur Berü- sihtigung überweisen. i M

Die Abgg. Erzberger und Genossen(Zentr.) wollen die Petition um Einführung eines allgemeinen Befähigungsnachweises dem Reichs- kanzler nach der Richtung zur Berücksichtigunz überweisen, daß in Abänderung des § 129 der Gewerbeordnung in Handwerksbetrieben nur denjenigen die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen zustebt, welche den Meistertitel zu führen berechtigt find, und die Petitionen, betreffend die Einführung des Befähigungsnachweises für die Bau- handwerker, dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überweisen. i

Die Abgg. Auer und Genossen (Soz.) beantragen, über die Petitionen, foweit sie sich auf die Einführung des Befähigungs- nachweises beziehen, zur Tagesordnung überzugehen. :

Atg. Gleitsmann (Zentr.): Die Entwickelung hat gezeigt, daß es mit der zügellosen Gewerbefreiheit nit mehr weiter geht. Das Handwerk ift mächtig erstarkt und geht kräftig vor, und große Parteien, nicht zuleßt das Zentrum, haben sich troß allen Reaktionsgeschreies stets angelegen sein lassen, ihm zu seinem Rechte zu verhelfen. Nicht die Freiheit, sondern den Mißbrauh der Freiheit wollen wir bekämpfen. Es ist doch carakterislish, daß auch eine von dem Verbande der badijhen Gewerbevereinz eigens über den Be- fähigungsnachweis veranlaßte Broschüre genau auf dieselbe Forderung im Resultat hinauëkommt, wie wir, daß nämlich die Zukunft des Handwerks in der Regelung des Lehrlingswesens liegt. Auch wir wollen keine alten Zöpfe ausgraben aus dec Vergangenheit, fondern wir wollen, daß das Recht, Debtfinge auszubilden, nur der haben soll, der au das Zeug dazu besißt, der die notwendige Vorbildung dazu erworben hat. Das selbständige Handwerk zählt troy der großen Auédehnung der fabrikmäßigen Betriebe noch Millionen erwerbd- fähiger und erwerbstühtiger Männer, deren tehnishe und wirtschaft- liche Leistungsfähigkeit erhalten und erweitert werden muß. zu ift sowohl die Geseßgebung als die Selbsthilfe durch die Förderung des genossenshafilihen Gedankens berufen. Um dieses Ziel zu erreideu und das Pfuschectum niederzuhalten, bedarf es der gründlichen Regelung des Lebrling8wesens. Da hat das bestehende Geseß viel zu wünschen übrig gelassen; es ist auf halbem Wege stehen geblieben, indem es zwar die Gesellenprüfung, aber nit die Meifterprüfung vorgeschrieben hat. Das leßte Ziel und die Konsequenz dieser Ausgestaltung ist der Be- fähigung8nahweis. Es mag ja gewiß manche tüchtige Handwerker geben, die auch ohne Meisterprüfung so weit kommen wie andere tüchtige Handwerker, und es mögen andererseits au unter den Ge- prüften mittelmäßige und shlehte Kräfte sich befinden; aber das sind do

keine Argumente gegen den Befähigungsnahweis. Stcherlich ist au dieser kein Allheilmittel für alle sozialen Schäden, ein solches gibt 5 in der sozialen Frage überhaupt niht; aber diese Maßregel im Verein mit den übrigen, mit der Wirksamkeit des genofsenschaft- lihen Prinzips, mit der Tätigkeit der Handwerkervertetung und Hand- werkerorganifaticn, mit der Beteiligung der gemeindlichen Organe ergibt ein System von Maßnahmen, die nur zum Heile des Hand- werks führen können.

Jnzwischen ist folgender Antrag des Abg. Patzig (nl.) eingegangen : G4 s

„Die verbündeten Regierungen zu ersuhen, dem Neithsta

tunlichst bald einen Géchenhwurk vorzulegen, durch welchen as

I. § 129 Abf. 1 und 4, § 133 Abs. 1 und Art. 8 der Gewerbe-

ordnung für das Deutsche Reich dahin abgeändert werden, daß 1) in

Handwerksbetrieben die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen nur

denjenigen Perfonen zusteht, welhe den Meistertitel zu führen be-

rechtigt sind und das 24. Lebensjahr vollendet haben; 2) zur

Meisterprüfung auch solche Personen zugelassen werden, welche fünf

Jahre hindurch als Werkmeister oder in äbnliher Stellung tâtig

gewesen sind; 3) zu Gunsten derjenigen Handwerker, die bei Fn-

kfrafttreten dieser neuen Bestimmungen zur Anleitung von Lehrlingen befugt sind, eine angemessene Uebergangsfrist gewährt wird.

Il. den gewerbliden Lehrlingen, jugendlihen Arbeitern, Arbeits burschen usw. der Besuch einer Fortbildungsshule zur geseßlichen Pflicht gemacht wird.“

Abg. Paßig: Der heute fortgeseßten Diskussion liegen die Forderungen zu Grunde, den Befähigungsnahweis im Baugewerbe einzuführen und die Lehrlingsausbildung anders als bisher zu regeln. Auf das erstere Thema gehe ich nit ein, es wird von berufenerer Seite behandelt werden. Die große Mehrheit unserer Partei ist ge- neigt, an dem § 29 der Gewerbeordnurg eine Aenderung dahin mit vorzunehmen, daß der gewerbliche Lehrling eine Garantie dafür erbâlt, daß er nit in unrichtige Hände fällt. Hier liegt eigentli die Wurzel des Uebels. In diesem Sinne haben wir unseren Antrag vorgelegt, der eine Fassung liefern soll, mit der im Falle ihrer Annahme die verbündeten Regierungen auch etwas anfangen können. Der Gewerbe- freiheit wollen wir dabei feinen Nückstoß machen. Seit der Gewerbe- novelle von 1897 hat sich zwar eine Besserung auf dem «Gebiete der Lehrlingsauébildung bemerkbar gemacht, aber um diese Besserung im Kern herum wirken eine Reihe äußerer Mißstände fort, die man damals nicht beseitigt hat. Dazu gebört vor allem der Umstand, daß noch immer zahlreihe Lehrlinge in_ die Hände untüchtiger Lehr- meister geraten. Vier muß die bessernde Hand angelegt werden. Das kann aber nit geschehen auf dem Wege des Zentrumsantrages, der jeder Kautel, jeder Direktive entbehrt. [s eine der wihtigîten Ausnahmen, die unbedingt zur Geltung kommen muß, betrachte ih diejenige bezüglih der Werkmeister. Diese Werkmeister, die aus der Oa ins Handwerk übertreten, darf man von der Zulassung zur Meisterprüfung oder von dem Recht zur Ausbildung von Lehr- lingen niht auss{hließen; der Stand der Werkmeister ist zu ciner solden Bede1tung berangewasen, daß es für das Handwerk nur nüßlich jein kann, wenn sich diese Männer als Mitglieder des selbständigen Handwerks niederlafsen. Um das zu würdigen, braucht man nur das gewerbliche Leben näher anzusehen, wie es sich in Süddeutschland und in den Reichslanden darstellt. Der Versuch des konservativen An- trages, Uebergangsbestimmungen zu formulieren, ist wobl nit glüdck- lich; man überläßt es besser der Regierung, in dieser Beziehung Vorschläge zu mahen. Will man aber jeßt eine Aenderung der Be- stimmung von 1897 mitmachen, so geht das niht ohne ein Korrelat auf dem Gebiete des Unterrihtêwesens. Aus dieser Erwägung ent- springt unser Vorschlag unter 11. Wir müssen endlich zur obligatorischen Fortbildungs\hule kommen, wie sie in Hessen seit 1874 besteht, aber in den meisten übrigen deutschen Staaten noch nicht. Sobald man über diesen Staat hinausgeht, rag man einen beflagens- werten Mangel an Entschlußfreudigkeit, ortsstatutarisch diesen obligatorishen Unterriht einzuführen. Je weiter man nach dem Often fommt, um so geringer ist diese Entshlußfreudigkeit. Der Handwerker umgeht vielfah die Vorschrift, indem er ftatt des zweiten Lehrlings einen Arbeitsburshen einftellt , “für den er keinerlei Verpflihtung hat. Hier muß Wandel geschaft werten. Was das Handwerk mit Recht beklagt, ist, daß die jungen Leute lieber in die Fabriken gehen, als daß sie sich einem nübßlichen Handwerk zuwenden. Es wird bierdur eine Proletarisierung berbei- geführt, die dadur vermieden werden kann, daß man erklärt, auch der jugendlihe Arbeiter in den Fabriken sei gezwungen, den Fort- bildungEunterriht zu befuchen. Natürlich ist die Fortbildungs\cule nur die Unterstufe der gewerbliGen Schule, e erseßt die Fahschule niht. Leider fehlt es vielfach an Mitteln für die Handwerker- und Fabshule und an der genügenden Beteiligung. Hoffentlih wird es damit spâter besser. Mögen die verbündeten Regierungen das Fort- bildungs\hulwesen allg-mein zur Pfliht machen. Sie werden damit dem Gewerbewesen einen großen Dienst leisten. Die Frage des Bau- bandwerks scheiden wir aus.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vag): Die Gewerbeordnung hat doch schon eine Reibe von Bedingungen für die Annahme von Lehrlingen aufgestellt. Dazu gebört u. a. die Vollendung des 24. Lebensjahres, die dreijährige Lehrzeit und die Gesellenprüfung Nun soll alles auf den Meistertitel anfommen. Nein, der Titel maht es nit, jondern die Leistung, und das Publikum ist in der Beziehung die beste Prüfungskommission. Mit diesem Antrage sind Sie mit Fhren {öpferishen Bestrebungen jedenfalls noch nicht am Ende. Hin- sihtlih der generellen Einführung des Befähigungënachweises ist man allerdings besheidener geworden. Selbst das Zentrum würde heute niht mehr den Befähigungsnachweis für das ganze Handwerk verlangen. Aber auch die Beschränkung des Befähigungsnachweises auf das Baugewerbe is nicht zweckmäßig. Was stellt denn die Prüfung fest ? Doch nur das Wissen, aber niht das Können und die moralische Qualifikation. Was man tun könnte, wäre die Ueber- wachung des Gewerbes mit Hilfe von Arbeiterorganisationen über die Vurhführung des Strafgeseßbuhes. Und wer soll denn geprüft werden? Doch nicht allein der Bauunternehmer. Es müßten auch die Handwerker, die Zimmerer 2c., geprüft werden. Auf jeden Fall muß vor diesem ersten Schritt eines Durchbrucbs der bestehenden Gewerbe- ordnung gewarnt werden. Das Bauwesen hat Fortschritte gemacht ohne den Prüfungëzwang, uñd es wird sie weiter mahen. Das Zeugnis einer Baugewerbesule legitimiert mehr als ein Titel. Ich hoffe, daß die verbündeten Regierungen dem Antrage, auch wenn er angenommen werden sollte, nicht Folge geben werden. Die badische egierung wenigstens hat sih bisber auf einen atlehnenden Standpunkt gestellt. Aug aus der früheren Erklärung des Grafen von Posadowsky klang mehr eine Abneigung als eine Zuneigung zu folhen Wünschen, und ih kann mir nicht denken, daß \sih inzwishen ein Frontwechsel vollzogen at. Auch seine bekannte Aeußerung über die moderne Entwickelung läßt feinen Zweifel. JIch will ihn darin nicht loben, um ihm durch mein Lob nicht zu s{chaden. Es handelt sih für d1s Handwerk um die Forderung der persönlihen Tüchtigkeit und der Fach- ausbildung. Sind wir also gegen die Einführung des Befähigungs- nahweises für das Baugewerbe, so sind wir für den Passus des nationalliberalen Antrags, der sich auf den obligatorischen Fort- bildungsshulunterrit bezieht.

_ Abg. von Dir k sen (Rp.): Der Antrag Paßtig ist uns bedenklich, weil in ibm der Befähigungsnahweis für das Baugewerbe fehlt. Was die Einführung des obligalorishen Fortbildungeunterrihts betrifft, so möchten wir erft den Nachweis abwarten, ob diese Maßregel au auf dem Lande möglich ist. Der Abg. Schrader hat den Konservativen den unberehtigten Vorwurf gemacht, daß sie in zwei Dezennien nits für den Mittelstand erreiht haben. Wir sind nicht der einzige gesetz- ebende Faktor. Anderseits muß es uns allerdings mit Bitter- eit erfüsslen, wenn alle unsere Bestrebungen \o wenig rüchte giectigt haben im Gegensaß zu den Wünschen anderer Klassen.

abei sind die Wünsche der Handwerker immer bescheidener geworden.

n Befähigungsnachweis verlangen wir gar nicht, bara ist auch nah der leßten Erklärung des Grafen von Posadowsky faum zu renen. Um so mehr geben wir uns der Hoffnung hin, daß die Ginführung

des Befähigungsnachweises wenigstens für das Baubandwerk die Zustimmung der verbündeten Regierungen fincen- wird. Die Prüfung des Wissens ist doch auch für das Baugewerbe notwendig. Die Prüfung des Gewissens allerdings ist & einer bôheren Instanz. Ich bedauere, daß Herr Pagig dieser Forderung nicht fo freundlih gegenüber steht wie der Abg. Bassermann. Die preußishe Regierung wie das Reichsamt des Jnnern haben sich der Frage gegenüber nit ablehnend verßalten. Aller- dings war die Liebe platonisch, und die Verwirklihung der Versprehungen ist ausgeblieben. Es find ja Fragebogen hinaus- gesendet worden, aber man hört nihchts davon. Seit sieben Jahren sind wir nicht weiter gekommen. Wir können wobl verlangen, daß na den sieben mageren Jahren nun endli sieben fette folgen. Die Handwerker haben doch auf ihrem Magdeburger Handwerker- und Innungstag si unzweideutig für die Einführung des Befähigungs- nahweises im Bauhandwerk ausgesprochen, ebenso einstimmig der fünfte deutshe Handwerker- und Gewerbekammertag in Lübeck, also die be, rufensten Vertretungen des deutshen Handwerks und Gewerbes. Danach verstehe ih nit, wie die Liberalen aus theoretishen oder historischen Gründen einer solhen Forderung widerstreben. Dem nächsten Tage soll ein bestimmter formulierter Geseßentwurf vorgelegt werden. Diesem Vorgehen gegenüber sollten die verbündeten Regierungen endlich aus ihrer Reserve heraustreten und der Stimme des Volkes Gehör schenken. Bedauerlich ist es, daß wir in dieser Frage hier nit zu einem einstimmigen Beshluß kommen können. Daß die Sozialdemokraten abseits stehen, ist ja begreiflich, um so un- erklärliher is es, wenn Intelligenzen, wie die Abgg. Müller- Meiningen und Schrader, diesem berechtigten Wunsche der Hand- werker entgegenstehen. Die Frage ist vollkommen \pruchreif, es liegt Teine Merzulaisung vor, dazu eine abwartende Stellung ein- zunehmen. Wir kalten uns lediglich an das, was auch die Regierung hon vor einigen Jahren als erwägenêwert bezeihnet hat, als sie sagte: Kommt nah sechs, sieben Jahren wieder, und wir wollen dann sehen, was sich tun läßt. Spruchreif ist au die Frage, betreffend die Ausbildung der Lehrlinge. Es handelt si in diesen Fragen um Wünsche, die seit Jahren von Kreisen gebezt werden, von denen wir nur dringend wünschen, daß sie erhalten werden in Vaterlandsliebe und Königstreve. Es sind Wünsche, die außerdem dem Reihe keinen Fs kosten würden. ,

Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg.): Wir halten den Befähigungs- nahweis für das Baubandwerk und ähnliche Betriebe für wünsens- wert und au für praftisch ausführbar. Den Grundgedarken, die den beiden Anträgen hinsihtlih der Ausbilbung der Lebrlinge zu Grunde lieger, stimmen wir vollkommen zu. Nach der Seite der Organisation wie der Ausbildung haben die Handwerkerkammern bereits sehr Er- freuliches geleistet. Jeyt ist die Frage der Vorbildung, und zwar durch den Antrag Patzig auch die der theoretishen Vorbildung, dur die Resolutionen aufgeworfen. Wir find au unsererseits Freunde der obligatoris{en Fortbildungéshule; aber dieser Antrag gehört nicht in den Reichsiíag, er muß im preußischen Abgeordnetenhause ein- gebraht werden. Der Vorstoß, der heute gegen die Regierung vorgenommen werden foll, trifft einen {wachen Punkt ibrer M ition; denn {hon in der Begründung des Entwurfs von 1897 teht ungefähr dasselbe zu lesen, was jezt durch die Resolutionen gefordert wird; jedegfalls ist dort der Grundsag an- erkannt, daß E nur ausbilden soll, wer dazu die Befähigung erlangt hat. Dem Meistertitel wieder mehr Geltung zu verschaffen, ist ebenso im Interesse des erwachsenen Handwerkers, wie der hecan- wachsenden Handwerkerjugend. Wir vertreten mit dieser Forderurg eine Vitte des gesamten Handwerks; denn gerade die Gewerbevereine aus Baden haben diesen Wunsh mit ausgesproßen. Wenn an der Formulierung der Uebergangsbestimmungen durch den Abg. Dröscher, den wir mit Bedauern im Reichstage vermissen, manhes zu modi- fizieren wäre, so kommt es auf diese Einzelheiten für heute noch nicht

an, sondern dâàrauf, daß sich endli eizmal auf diese Wünsche eine |

stattlihe Mehrheit des Hauses vereinigt.

Abg. Euler (Zentr.): Als wir 1897 das T*ogenannte ' Hand- werkergesez verabschiedeten, baben wir in einer Refolution die Re- gierung aufgefordert, hon im nächsten Jahre eine Vorlage zu machen, durch die dem gesamten Handwerk der Befähigungsnachweis ge- geben werden solle. Darüber sind jeßt sieben Jahre verflofssen. Die Arbeiter haben stets und immer die Zentrumspartei, die konser- vativen Parteien und oft auch die Nationalliberalen an der Arbeit gesehen, wenn es galt, die Arbeitershußbestimmungen festzulegen und zu erweitern; aber dem Handwerk ist man nit in und in der Vorbildung der Lehrlinge sieht das Handwerk einen Schuß für fich: das Pfusckertum foll ausgeschlossen werden. Um das zu erreihen, gilt es, die jeßigen fafultativen Meisterprüfungen obligatorisch zu machen. Wem treten wir denn damit zu nahe? Wird irgend jemand der Weg zum Handwerk dadur vers{lossen ? Wir vertrauen, daß die Regierung jeßt eadlich einsehen wird, daß der Befähigungsnachweis niemand etwas schadet, aber dem Handwerk nur nügen kann; das muß auch ihr nah dem Lübecker Tage klar fein. Daß man auf der Linken an dem Widerstande feftbält, kann uns nicht wundern; wenn ih auf dieser Seite des Hauses sigen würde, würde ih dieselbe Haltung beobachten . .. . denn je mehr Eristenzen ruiniert werden, desto mehr kommt das bei den Wahlen durch die Verstärkung der Linken zum Ausdruck. Der jeßige Zustand vermehrt eben die Zahl der Unzufriedenen ins Kolossale, macht sie ihrer vatriotishen Pflicht abwendig und verstärkt die Reihen der radikalen Parteien. Der Antrag der National- liberalen deckt sich ja eigentlih mit dem des Zentrums, aber er ist etwas lendenlabm im Vergleich damit; in der Hauptsache ent- spriht er einem Antrag, der unter meinem Namen schon 1897 vom Zentrum und den Konservativen gestellt war. Damals erklärte der Handelsminister Brefeld den Antrag für unannehmbar, und er wurde fallen gelaffen. Mit der Forderung „mehr Bildung* allein kommen wir nicht weiter; wir wollen das eine tun und das andere nit lassen, wir wollen auch mit der Vorbildung Ernst machen und so das Schicksal der Lehrlinge bezüglich ibrer Ausbildung \icherstellen. In den 35 Jahren der Gewerbefreiheit hot die Ausbildung der Lehrlinge wahrlich niht gewonnen; es sind mafsenhaft Lehrlinge autgebeutet, aber nicht ausgebildet worden. Wir sind keine Feinde der Bildung, dieses Vorurteil wolle die linke Seite nun endli fallen lassen. Das Handwerk ist notwendig für Staat und Gesellschaft; der goldene Mittelstand, wie wir ihn uns denken, foll als die festeste Stüge des Vaterlandes gelten. Den Fortbildungsunterriht verlangen auch wir, wie unsere Anträge im preußischen Abgeordnetenhause be- weisen. Das Zentrum will im Einversiändnis mit dem größten Teil des Handwerks diesen Unterricht vom Abend und vom Sonntag weg haben. Lediglich die Gesellenprüfung, auf die Herr Pachnike hinweist, gibt noch keine genügende Garantie. Ein geseßliher Zwang zur Ablegung der Gesellenprüfung besteht au gar nicht, er müßte erst eingeführt werden. Was der Antrag Paßig bezügli der Werkmeister will, stebt zum Teil schon in dem Gesch von 1897. Die Großindustrie kann ih mit unseren Anträgen nur einverstanden erklären, denn sie muß ja ihre besten Kräfte aus dem Handwerk beziehen. Mögen die verbündeten Regierungen ihren guten Willen in die Tat umseßzen. Das deutsche Handwerk, die beste Stüße des Staats, verdient es.

Hierauf wird die Vertagung beschlossen.

Schluß 6 Uhr. Nächste Sizung Mittwoch 1 Uhr. (Zweite Lesung des Reichshaushalteetats: Etats des Reichstags, der E verioaliaug, des Reichsshaßamts, des Reichseisen- bahnamts und des Rechnungshofes.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 116. Sißung vom 10. Januar 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Entgegen- nahme von Vorlagen der Königlichen Staats- regierung.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Das hinter uns liegende Jahr ift in besonderem Maße für dieses hohe Haus und für die Staat®ëregierung arbeitsreich gewesen, und wiederum unterbreite ih Ihrer Beratung neues Arbeits- material in der Gestalt erstens der allgemeinen Rechnung über den Staatshaushalt des Jahres 1901, zweitens der Uebersiht von den Einnahmen und Ausgaben des Etatsjahres 1903 und drittens des Gesetzentwurfs, betreffend die Feststellung des Staatéhaushaltsetats für das Jahr 1905, welche Vorlagen ih. auf Grund Allerbö{ster Er- mächtigung Ibnen zu überreihen die Ebre habe.

Meine Herren, werfe ich zunächst zurückschauend einen Blick auf das abges{lofsene Rehnungsjahr 1903, so babe ih {hon in meiner vorjährigen Etatsrede vom 19. Januar vorigen Jahres dargelegt, daß nah den allzu optimistis{hen Berechnungen bei Aufstellung des Etats für 1903, die zur Folge hatten, daß das Etatejabr 1901 tats\ächlih mit einem Minus von 374 Millionen Mark abs{loß. es eine unbedingte Pflicht einer vorsihtigen Finanzgebarung war, bei der Aufstellung der Etats für 1902 und 1903 doppelte Vorsiht walten zu lassen. Die wirtshaftliGe Depression, die bei uns etwa Ende des Jahres 1900 einseßte, nahdem wir uns lange Jahre einer wirtshaftlihen Blüte erfreut hatten, pflanzte sich fort in das Jahr 1902 und gab noch die Signatur der Zeit ab, als im August und Sevtember 1932 der Etat für das Jahr 1903 aufgestellt wurde. Infolge dessen konnte die erst ganz Ende 1902, im Dezember 1902, stch wieder bemerkbar machende Belebung unserer ganzen wirtschaftlicken Verkältnisse bei Aufstellung des Etats für das Jahr 1903 noh nicht berücksihtigt werden. Diese Belebung hat erfreuliherweise im Jahre 1903 angedauert, und in- folgedessen haben sich auch die Staatseinnahmen im Jahre 1903 günstiger gestaltet, als bei Aufstellung des Etats vorausgeseßt wurde, und auch nur vorausgeseßt werden fonnte aus den Gründen, die ih kurz dargelegt babe.

Dies gilt vor allem von den Einnahmen der Staatseisenbahn- verwaltung. Schon am 19. Januar 1904 habe ih gesagt, daß die Eisenbahnverwaltung die Mehreinnahmen im Ordinarium auf 100 Millionen Mark {äße und die Mehrausgaben auf 36,6 Millionen, fodaß sich bei dem Etat der Eisenbahnen ein Mehrüberschuß von 63,4 Millionen ergebe. Jch habe wörtlih hinzugefügt :

Ich halte au diese Schäßung noch. für eine durhaus vor- sichtige und glaube, daß bei andauernden uten wirtscaftlihen Konjunkturen öh ein günstigeres Ergebnis zu erzielen sein wird.

Meine Herren, erfreuliterweise hat sich meine Annahme als Zus treffend erwiesen. Die Mehreinnahmen der Eisenbzhnen baben, weil die günstigen Konjunkturen fortdauerten, nicht nur 100 Millioven Mark, sondern 146 Millionen betragen (hört, bört !), und die Mebr- ausgaben , die damals von der Eisenbahnverwaltung selber auf 36 Millionen Mark gesäßt wurden, haben niht ganz diese Höhe

erreiht, sondern sich nur auf 34 Millionen Mark belaufen. Dem- gemäß stellt fich der Mehrübershuß des Jahres 1903 niht auf 63 Millionen, wie damals von der Eisenbahnverwaltung angenommen wurde, fondern auf 111 Millionen, also auf 48 Millionen Mark

geseglich | böber, ein Beweis der vortrefflihen Verwaltung unserer Eisenbahnen. | i ; M in | (Heiterkeit links.) derselben Weise zur Seite getreten. In dem Befähigungsnahweis |

Auch sonstige Mehreinnahmen haben si ergeben, zunädst bei den Forsten in Höhe von 18 Millionen Mark. Jh habe aber {on damals hervorgehoben, daß diese Mehreinnahmen zwar auch auf eine Steigerung der Holzpreise zurückzuführen sein würden, aber in der Hauptsache doch auf extraordinären Ursachen beruhten: auf dem enormen Abtrieb in der Letlinger Heide infolge wiederholten Rauven- fraßes und auf dem starken Holzeinshlag, der hervorgerufen wurde dur die Windbrüce namentlih in Shlesien.

Die direkten Steuern haben ein Plus von 10 Millionen ergeben, die indirekten von 8,5 Millionen, hauptsählich hervorgerufen durch eine wesentlihe Belebung des Grundstücksgeshäfis, das in Stempel- einnahmen seinen Auêëdruck fand.

Dagegen find Mehrausgaben hervorgetreten in Höhe von 800 000 M bei den Domîänen, zurückzuführen auf eine Steigerung der Ausgaben bei den selbstbewirtschafteten Domänen, dann auf die Beis hilfen an Pächter für Wege- und Chaufseeanlagen, die den Domänen zugute famen, vor allem aber auf den Erwerb von Wirtschaftsinventar bei den neu angekauften Domänen überwiegend also Verwendungen, meine Herren, die später wiederum in erhöhten Pachten der Staats- kasse zugute kommen.

Die Bergverwaltung bat einen MinderübersGuß von niht weniger als 8 Millionen ergeben. Dieser ständige Rückzang in den Erträgen bei den Bergwerken, meine Herren, könnte in der Tat zu erheblichen Bedenken Anlaß geben, wenn niht hier außergewöhnlibe Umstände mitwirkten. Der Nückgang ift hervorgerufen durch Mehrausgaben an Löhnen, an fählichen Kosten. Diese Ausgaben beruben aber haupt- \ählich in den großen Investitionen, die- die Bergverwaltung gemacht hat, namentlich in dem Niederbringen neuer Schachtanlagen in West- falen und Oberschlesien.

Bei den Staatêverwaltungen ist insgesamt ein Mehrbedarf von 5 Millionen hervorgetreten, darunter allein wiederum für Pensionen und Witwen- und Waisfengelder von niht weniger als 3 Millionen Mark. Auch im Jahre 1903 erforderte die Fürsorgeerziehung höhere Beträge, als wir bei Aufstellung dcs Etats annehmen konnten. Für die Fürsorgeerziehung is ein Mehrbedarf von 1 300 000 Æ erforder- lih gewesen.

Außeretatêmäßige Ausgaben sind im Jahre 1903 geleistet worden in Höhe von 9,8 Millionen, vor allem zurückzuführen auf die shweren Hochwassershäden des Jahres 1903. Durch diese Schäden sind weite Teile unseres Landes, namentlich auch S@hlesien, in einem Maße be- troffen worden, daß es unerläßlich war, ihnen auch staatsseitig die helfende Hand zu reihen. Die Gesamtausgaben, die aus diesem Anlaß erforderlih werden, beziffern wir auf etwa 11 Millionen Mark. Sie sind aber nicht alle bereits im Etatsjahr 1903 in Erscheinung getreten, sondern werden zum Teil erst im Jahre 1904 fällig; im Jahre 1903 sind nur 6 Millionen von diesen etwa 11 Millionen zur Zablung gelangt, und es werden, wie gesagt, die restlihen 5 Millionen in die Rechnung des Jahres 1904 übergehen.