1905 / 12 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 14 Jan 1905 18:00:01 GMT) scan diff

erkannt. Es gab einmal einen vreult hen König, der \{rieb: Indem vor der Justiz alle Leute gl seyen, es mag seyn ein Prinz oder ein Bâuer, \o ist der Prinz vor der Justiz dem Bauer gleich und muß pure nach der Gerechtigkeit verfahren werden, ohne Ansehen der Person.“ (Zwischenruf links: Das war einmal!) Dieser Zwishenruf „das war einmal!“ \sprihi Bände. Die Erklärung des Freiherrn von Mirbach, daß er sch vor Ge- richt vertreten lassen wolle, hätte einem anderen eine Anklage wegen Achtungsverleßung des Gerichts zugezogen. Wenn Leute, die binter Herrn Stoeckter stehen, uns über Gerichtsurteile [predies, dann muß man nach dem Rechten sehen, um jenen den

gitationsstof zu entziehen. In mancher Beziehung kann ih Herrn Kirsh zustimmen. Ueber die konfessionelle Frage wird später zu sprechen sein. Wir achten die religiösen Gefühle und Veberzeugungen ; aber der Gotteélästerungsparagraph ist in feinem zweiten Teil allmählich zu einer ernsten Gefahr für die Aufrechterhaltung des kon- fessionellen Friedens geworden, und die Erbitterung darüber fleigt von Tag zu Tag. Man beklagt sih mit Recht über Imparität, und es war die höchste Zeit, einen Antrag zu stellen, der auf eine Reform des 8& 166 abzielt. Die Staat8anwälte wenden diesen Paragraphen auf alle Beleidigungen von Päpsten an, E, p sie noch so lange tot sein, sogar in dem Falle des Papstes Alexander VI. Borgia. Himmel wolle uns davor behüten, das ein gewisser konfessioneller Geist in die Anwaltsstuben und Gerichts\äle verpflanzt wird. Durch diesen Paaropven werden sehr viele Richter in Gewissenskonflikte gebracht. Bei den gespannten konfessionellen Gegensäßen des Südens ist es notwendiger als je, die konfessionellen Gegensäße aus den Gerichts\älen zu bringen. (Abg. Erzberger ruft: S impffreiheit !) Nein, es ist keine Schimpffreiheit zu befürhten. Wir aben in frei- sinnigen Kreisen den innigsten Wunsch, daß die konfessionellen Gegen- S in die Gerichtsfachen FEmges werden. In diesem Sinne baben wir unseren Antrag gestellt.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat an mi die Frage ge- rihtet, wie es mit dem Gesezentwurf über den Versicherungs8vertrag stehe. Der Gesegzentwurf über den Versicherungsvertrag liegt gegen- wärtig zur Beratung und Beschlußfassung im Bundesrat. Der Bundesrat wird voraus\ichtlich noch einige Zeit brauchen, bevor er das umfangreihe Geseßeswerk zur Erledigung bringen kann. Das hat bei der jeßigen Geschäftslage des Reichstages auch nicht viel zu sagen, denn wenn die Herren sih vergegenwärtigen, was am Etat und an widhtigen Geseßesvorlagen in der nächsten Zeit ibrer noch wartet, so werden Sie selbs zugeben, daß es nichts schadet, wenn dieser neue Gesetzentwurf noch etwas auf sich warten läßt. (Sehr richtig! rehts.) Im übrigen versteht es \sih von selbst, daß das Reichsjustizamt, das diesen Gesezentwurf mit besonderer Genugtuung au8gearbeitet hat, alles tun wird, um seine Erledigung im Bundesrat herbeizuführen.

Der Herr Abgeordnete hat dann gefragt, wie es mit der An- regung stehe, die sich auf die Einführung abgekürzter Geburtéurkunden rihtet, die für gewisse Fälle es ermöglichen, die eheliche oder außerehelihe Geburt des Kindes zu verscleiern. Ih habe bereits früher gesagt, daß das Bedürfnis zur An- wendung solcher verkürzten Geburt8urkunten außerhalb des Gebiets der Militär- und Marineverwaltung und des Arbeiterinvaliditäts- wesens, wo diese Urkunden länger {on benußt werden, in mandcher Beziehung von seiten der Regierung anerkannt wird. Inzwischen baben sich die Bundesregierungen über entsprehende Einrichtungen verständigt, und es sind die Anordnungen in den Einzelstaaten ent- weder bereits ergangen, oder sie werden in Kürze ergehen, nach welchen in allen Fällen, in denen es \sich um die Ausstellung von Geburts3- zeugnissen zu fkirchlichen und Unterricht8s]wecken handelt, ein ab- gekürztes Formular zur Anwendung fommt, und daß die Aufsicht3- behörden außerdem angewiesen werden , aub in anderen Fâllen, die dazu geeignet ersheinen, die Standesämter zur Anwendung verkürzter Geburtsurkunden zu ermähtigen. Damit, glaube ih, ist dem Bedürfnis, das auf diesem Gebiete hervorgetreten ist, genügt.

Meine Herren, ich komme dann zu den Fällen, die der Herr Abgeordnete behandelt hat, und zu den allgemeinen Betrachtungen, die ec daran geknüpft hat. Er hat mir den Vorwurf gemacht, daß ih seit den 7 Jahren, seitdem er hier im Reichstag Erklärungen von mir gehört hat, stets mih darauf berufen hätte, der vorgebrahte Fall sei mir nicht bekannt. Das ist nit immer, aber oft geschehen. Ih bin meinerseits gewohnt, Rehtsfälle nur ¿zu behandeln in einer solchen Körperschaft wie der Reichstag, wenn ich die Fälle nicht nur kenne, sondern gründlih durchgearbeitet habe, und ich muß, wenn der Herr Abgeordnete mir gegenüber nah dieser Richtung hin einen Vorwurf macht (Widerspru links), meinerseits doch ihm gegenüber den Vor- wurf erheben, daß ér mit am meisten dazu beigetragen hat, unvorbereitete, nit klar erledigte Fälle bier im Hause oder in den Blättern zur allgemeinen Kenntnis zu bringen und damit die öffentlihe Meinung zu alarmieren (sehr richtig! recht8), statt vorber der Regierung Ges legenheit zu geben, sich über den Fall zu orientieren und au ihre Meinung zu sagen.

Der Herr Abgeordnete hat nun zwar erklärt, das sei nicht immer möglich, denn es gingen ihm nech .im leßten Moment Haufen solcher Bes&werten zu. Das will ih zugeben; aber daß es zuweilen möglich ist, und daß es wichtige Fälle gibt, in denen es möglich ift, tas beweisen die beiden Fälle, die der Herr Abgeordnete bier selbst zur Sprache gebraht hat, die ihm {on seit dem Sommer bekannt sind. Ih würde ihm sehr dankbar gewesen sein, wenn er in beiten Fällen Gelegenheit genommen hätte, mir Mitteilung davon zu machen; ich würde ihm dann in beiden Fällen vollständig Rede gestanden haben, während ih es jeßt nur in dem einen Falle kann. (Zuruf links.) Ja, Herr Abgeordneter, es ist vielleiht ein Versehen des Bureaus, wenn der eine Fall niht zu meiner Kenntnis gelangte; Sie können do nidt verlangen, daß ih alle Nummern der Zeitungen natlese. Es kann mir selbst auch mal passieren, daß eine Sahe von mir unbeachtet bleibt. Wenn Sie aber Ihr Entgegenkommen noch etwas weiter treiben wollten, ss könnten Sie ja die Güte haben, mir unter Kreuz- band die betreffende Nummer der Zeitung zu senden. (Sehr richtig! rechts.) Das ist de nit viel, aber es ist niht geschehen; ich halte mih daber für entschuldigt, wenn ih nur den einen Fall hier behandeln kann. Ich bin au der Meinung, wenn der Herr Abgeordnete eine persönlihe Bemerkung über sein Verfahren mir gestaiten will, daß es durchaus nit nötig wäre, alsbald, wenn er Beschwerden über Nechts- verlezungen bekommt, in die Zeitungéposaune zu stoßen. Mir scheint es vollständig zu genügen, wenn er uns erst Mitteilung macht und sich erst naher ausfpriht. Ih würde dann gern Gelegenheit rehmen, ihn über den Fall zu orientieren. Er würde dann vielleicht zu der Meinung gelangen, daß er später richtiger zu urteilen in der Lage ist, als wenn er gleich den Weg in die Oeffent- lihkeit wählt. So geht es, meine Herren, daß in vielen Fällen tadelnde Mitteilungen von Männern in autoritativer Stellung auf

Grund einseitiger Angaben in die Presse gelangen, daß die öffentliche Meinung dadur beunruhigt wird und daß sich nachher herausstellt : die Herren sind getäuscht worden, die Sache liegt gar niht so, wie es anfangs von ihnen angenommen war. Dann wird der einzelne Fall von dem Publikum rasch vergessen und die Verteidigung ter Be- hörden kommt zu \pät, um noh beachtet zu werden; aber der all- gemeine Eindruck, daß die Behörden unrichtig gehandelt haben, ein Eindruck, der falsch ist, bleibt im Publikum, (sehr rihtig! rechts), bestimmt sein Urteil, und das ist sehr beklagenswert.

Ih sage: über den einen Fall hat mi der Herr Abgeordnete dadur unterrichtet, daß er in die „Frankfurter Zeitung“ glaube ih, war es eine Mitteilung hineingebraht hat, die sehr alarmierend lautete und si bereits in einer Weise über den Fall ausspra, die ih für voreilig halten mußte, und ih glaube, der Herr Abgeordnete wird aus meiner Darstellung des Sachverhalts die Ueberzeugung gewinnen, daß es besser gewesen wäre, zunächst nicht zu urteilen. Jeder Leser, der niht weiter juristisch gebildet ist und keine Er- fahrungen auf diesem Gebiete hat, wird nah dem Artikel, den der Herr Abg. Dr. Müller-Meiningen im Herbst veröffentlihte, annehmen, daß ein sehr großes Versehen auf seiten der richterliGen Behörden vorgekommen sei, und ih muß hier ich werde auch die Daten dafür anführen konstatieren, daß ein solhes Versehen in keiner Weise vorgekommen ist.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat selbst den Namen des Betreffenden genannt, ih darf ihn alfo auch nennen, obwohl es dem Herrn vielleiht nicht erwünscht sein mag. Der Fall betrifft einen gewissen Freundel, einen Former, einen Mann, von dem der Herr Abgeordnete sagt, es sei ihm nihts Nachteiliges über seine Per- sönlihkeit troy seiner Bemühungen bekannt geworden. Ich bedaure, in diesem Punkte durch seine Ausführungen genötigt zu sein, etwas darüber zu sagen. Der Mann ist in den 80er Jahren wegen Meineids zu vier Jahren Zuchthaus und zu fünfjährigem Ehrverlust verurteilt worden, und außerdem ist der Polizei bekannt, daß er scine Frau vielfach im Stiche läßt, daß die arme Frau im wesentlichen dur eigene Arbeit ihr Brot verdienen muß und, soweit es nicht ausreiht, auf die Unterstüßung ihrer, nicht seiner Angehörigen an- gewiesen ist. Das kann natürlich die rechtliche Beurteilung dieses Falles nit beeinflussen, ih bin aber genötigt, diese Seite der Sache bier hervorzuheben, weil der Herr Abgeordnete seinen Schüßling als Unschuldsengel hinzustellen versuchte. (Hört! hört! rechts.) (Zurufe links.)

Also, meine Herren, die Sache liegt folgendermaßen. Die Ver- gangenheit dieses Mannes ist nicht ganz klar, er hat si vielfa, viel- leiht um Arbeit zu suhen ich will ihm keinen Vorwurf daraus machen, ih muß es aber anführen an verschiedenen Orten herum- bewegt. Er taute anfangs vorigen Jahres, im Januar, in Eisenach in einem thüringishen Ort, es kommt ja nit genau darauf an, wo, auf und war beschäftigungslos. Er wurde dann von einem guten Freunde darauf aufmerksam gemacht, daß in Remscheid Bes \chäftigung für ihn sei. Zwei Monate, nahdem bekannt geworden war, daß er keine Beschäftigung babe, ist er dann nah Remscheid gekommen. Er hat seine Reise nicht so eingerichtet, daß er glei zu der Fabrik, die ihm genannt wurde, gegangen wäre und gesehen hätte, ob er Arbeit finden könnte, sondern er ist auf die Polizei gegangen und hat fi als mittellos und obdaclos gemeldet ; infolgedefsen wurde er polizeilich untergebraht.

Dieser Umstand gab nun der Polizeibehörde Veranlaffung, auf Grund eines ihr- vorliegenden gerihtlihen Haftbefehls ihn zu verhaften. Weshalb? Da muß. ich nun ein Intermezzo erwähnen, das in seiner Art eigenartig is und Gott sei Dank selten vorkommt, das aber nit gestattet, den Behörden einen Vorwurf zu machen, und dieses Intermezzo ist folgendes. Zwei Jahre vorher, Ende 1890, wurde in Stettin ein Mann, der sich Klein nannte, verhaftet und wegen Betruges zu einem Jahre Gefängnis verurteilt. Er hatte eine Reibe kleiner Handwerksmeister in verschiedenen Orten mittels An- bieten von wertlosem Arbeitsmaterial betrogen. Dieser angebliche Klein bekam also ein Jahr Gefängnis. Während er seine Strafe absaß, wurden über sein Vorleben Ermittelungen angestellt. Er behauptete, er beiße Klein und sei aus Rovigno in Istrien. Natürlich nahmen die Ermittelungen eine lange Zeit in Anspruch, es stellte sich aber s\ch{ließlich Heraus, daß man in Rovigno in Istrien von diesem Klein nichts wußte. Es war also ein Schwindel, den er den Behörden vorgemaht hatte. Als er nun seine Gefängnisstrafe verbüßt hatte, wurde er nochmals deshalb zur Verantwortung gezogen. Man verhaftete ihn niht, er versprach, seine Legitimationspapiere beizubringen und ih dadurch genügend bekannt zu geben. Er vershwand aber und ist bis beute spurlos ver- s{wunden. Inzwischen kam aber zur Kenntnis der Behörden, daß ähnlite Schwindeleien, wie dieser angeblihe Klein sie in der Gegend von Stettin verübt hatte, in ganz gleiher Weise auch verübt worden waren in Oft- und in Mitteldeutshland. Die Polizeibehörden kamen dadur, wie ih glaube, doch mit Reht auf den Gedanken, daß es sih bier um eine Persönlichkeit Handele, die allerhand strafbare Dinge verübt habe, die Grund habe, ihre Person den Behörden zu entziehen. Es wurde infolgedefsen, wie das üblich ift, Hier im Polizeipräsidium eine Photographie des Mannes ausgehängt. Nun, meine Herren, kommt eines s{önen Tages zur Polizei ein Mann, der früher mit dem Freundel zufammen gearbeitet hatte, und teilt der Polizei mit: das ift ja die Photographie von meinem früheren Arbeits- genossen Freundel, mit dem ih zusammen arbeitete, ih erkenne ihn danach wieder. Amtlich war man vorsichtig, man ging auf diese Mitteilung hin nicht ohne weiteres vor, sondern {rieb an die Behörde des Heimatztorts und ließ die Photographie dort Bekannten des Freundel mitteilen. Die sagten : gewiß, das ist der Freundel, wir kennen ihn ja. Man blieb noch immer vorsichtig, wendete sich au an das Zuthaus, in dem der Freundel 4 Jahre gesessen hatte, und in dem Zuchthause wurde der Beamte vernommen, der in dieser Zeit den Freundel zu beaufsichtigen hatte. Dieser Aufseher rekognoszierte gleichfalls Freundel. Daraufhin wurde nit nur von dem einen Gericht in Stettin, sondern auch von den anderen Gerichten Haftbeshluß gefaßt, ein Steckbrief gegen den Freundel alias Klein erlassen, und ich möchte den wissen, der es nah solchen Vorgängen den Behörden verargen wollte, daß sie gegen den

Mann fo vorgegangen sind.

Dieser Steckbrief lag nun in Remscheid vor, als der Freundel dort eintraf. Was konnte die Polizei anders tun, als dem gerichtlichen Haftbeschluß Folge leisten ? Sie verhafteie den Mann. Nun kbâtte ja der Freundel es sehr leiht gehabt von der Haft sich zu befreien, er

bätte bloß zu sagen brauen: ih bin nit der Mann, sondern ih k während der Zeit, wo die Taten, deren ih beshuldigt werde, y gekommen sind, dort und dort in Deutschland gewesen. Er hat ny zwar wohl geleugnet, daß er der Mann sei; aber er f, niht gesagt, wo er \sich zu der Zeit, wo die Betrügereien vg gekommen sind, aufgehalten hat. (Widerspruch und Zun links.) Nein, das genügt nicht für diesen Zweck. Wey man sich gegen den Verdacht einer strafbaren Handlung unter so wandten Umständen decken will, so muß man sich ausweisen, wo ma gewesen ist. Erst eine Reihe von Tagen später besinnt Freundel s darauf, zu sagen: ih bin in den fraglichen Zeiten da und da gewese; Das Gericht stellt die Wahrheit dieser Behauptungen fest, und ergibt fi, daß die Aussage zutreffend ist. Es ergibt sich daraus tj weitere Folge, daß der Mann unschuldig verhaftet worden i Sofort, nachdem im telegraphishen Wege die Gerit die Haftbeshluß gefaßt hatten, davon Kenntnis bekam: sind die Haftbefehle zurückgenommen worden, find ql Bebörden telegraphisch von der Zurücknahme in Kenntnis gesett Nur ein Gericht, das Geriht in Danzig, hat, weil es besondai Ermittelungen angestellt hatte, geglaubt, einige Tage zögern zu müsse um zunächst das Ergebnis der Ermittelungen zu erfahren, hat dan aber auch denselben Schritt getan.

Seitdem war der Mann frei. Wenn der Herr Abgeordnete sa; seitdem sei der Mann noch verschiedentlih verfolgt und vernommz worden, so ist meines Wissens nur eins richtig: er ist einmal j einem besonderen Punkt noch vor dem Geriht vernommen word Es ist aber nit rihtig und der Herr Abgeordnete ift hier fali unterrihtet worden —, wenn gesagt wird, daß er verschiedentlih v nommen worden sei. Er hat allerdings verschiedene Zuschikunz von den Gerichtsbehörden bekommen, aber diese Briefe haben nitt anderes enthalten als die Mitteilung, daß der gegen ihn erlas Haftbefehl aufgehoben sei. Wenn der Mann den Inhalt dieser g rihtlihen Mitteilungen anders aufgefaßt hat, oder wenn er etn au an den Stellen, mit denen der Herr Abgeordnete in Verbindun stand, falsche Mitteilungen darüber gemacht hat, fo kann den Y börden do kein Vorwurf gemaht werden. Wie liegt also die Sa&: meine Herren ? Auf Grund eines Irrtums in der Identität der Perso eines, wie ich glaube nah meinen Mitteilungen sagen zu dürfen, g ungewöhnlihen Irrtums, haben die Behörden in entshuldbarer Wei angenommen, daß Freundel si strafbar gemaht habe und der V strafung \sich entziehen wolle. Auf Grund der Haltung des Ver hafteten, indem er ih niht gleich dazu bereit fand, zu sagen, wo ih zu fraglicher Zeit aufhielt, hat der Mann länger gesessen, als # an sich nötig gewesen wäre. Für diese TatsaWße kann kein Richi verantwortliß gemacht werden, auch keine Polizeibehörde. Di Gerichte haben so gehandelt, wie sie nah Maßgabe der Strafproz ordnung auf Grund der Mitteilungen handeln mußten, die ibn vorlagen, und es ist also nichts, was in diesem Falle auf seiia der Gerichte oder Polizeibehörden zu entschuldigen oder weiter j rechtfertigen wäre. Der Mann nahm nun eine Entschädigung in A: \pruch für die Einsperrung; obwokßl er eine Reibe von Tagen gesef hat vermöge seiner eigenen Schuld, weil er nit angab, wo er si aufgehalten habe, hat der preußische Herr Minister do kein Bedentn getragen, ihm für die ganze Dauer der Haft eine Entschädigung i gewähren, und zwar wurde diese Entshädigung für jeden Tag bemefst nah dem bôchsten Lohnsaß, der in der Fabrik, an die der Mann st

wenden wollte, für Leute seines Handwerks bezahlt wird. (Hörif

hört! rechts.) Also er hat für diese Zeit alles bekommen was er im andern Falle hätte verdienen können, und als der Man ih dann noch einmal an den Minister wendete und darauf hinwi daß er nit gleih nahher habe unterkommen können, ist ihm nos mals eine Entshädigung, wie der Herr Abgeordnete das auch ritt hervorgehoben hat, von ‘120 Æ bezahlt worden. Das ist eine Erÿ \{ädigung für eine Zeit von mehr als drei Wochen, während welt Zeit der Mann keine Arbeit gefunden haben will. Auf noch läng? Zeit, selbst wenn der Mann dann noch arbeitslos war, ihm de Unterhalt zu gewähren, lag kein Anlaß vor. Nah dem Sinn è Gesetzes über die Entshädigung unschuldig Verhafteter kann man ! Bebörden unter diesen Umständen gewiß nicht bezichtigen.

Meine Herren, wenn Sie sich diesen Fall vorhalten, so wer? Sie mir zugeben müssen, daß geseßmäßig in allen Stadien dit Sathe gehandelt ist, und der Herr Abg. Müller (Meiningen) mir vielleiht auch zugeben wollen, daß es rihtiger gewesen wäre, niß von vornberein die öffentlihe Meinung aufzuregen und Beshuldigun# auszuspreen. (Sehr rihtig! rechts.) S

Der Herr Abgeordnete hat nun den Vorshlag gemacht, möchten doch ein Verzeichnis sämtliher Fälle, in de grundlose Bezichtigungen der Behörden vorkommen, aufstellen vf dann veröffentlichen. Er glaubt, daß sehr viele Zeitungen gr Zeitungen bereit sein würden, dies abzudrucken. Einmal ist ak die gefährlihe Wirkung solcher Mitteilungen nicht in dem Publika der großen Zeitungen zu suchen, \ondern sie liegt in den Mitteilun der kleinen Blätter, der Blätter, die in die große Masse komm und diese Mitteilungen das hat der Herr Abgeordnete selbst erkannt können unmögli alle berihtigt werden, und geschähe ! so würden die kleinen Blätter die ihnen niht genehmen Berichtigur auch nicht aufnehmen. Das Beste wäre, wenn in solhen Fällen, ?

eine Bedeutung haben, die Herren Abgeordneten Fie hier P

Hause zur Sprache bringen wollen, da hat die Verhandlung Resonan und eine Richtigstellung kann in keinem Blatt untershlagen wert Wir werden immer gern bereit sein, zu antworten. Aber die Herr Abgeordneten sollten sich in solhen Fällen, in denen es sich um wichti Angelegenheiten handelt, auh regelmäßig Zeit nehmen, si vor unparteiish zu orientieren, und uns Gelegenheit geben, uns unsert seits genau zu orientieren. Wir werden ihnen dann, wenn sie il Beschwerden vorbringen, nie die Antwort shuldig bleiben. (Bravo! red

(Sé{luß in der Zweiten Beilage.)

zum 12.

Zweite Beilage

Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen

Berlin, Sonnabend, den 14. Januar

Staatsanzeiger. 1905.

(S{&luß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Kulerski (Pole) bemängelt, daß die Gerichtsfäle in den polnishen Landesteilen zum Tummelplaß der Leidenschaft und des Hasses gegen die Polen gemaht würden. Gewisse Leute spi-lten in den polnishen Landesteilen die Rolle von agents rovocateurs. Besonders bedenklih sei das Vorgehen ter Staats- anwälte gegen die polnischen Avgeklagten, namentlich gegen polnische Retakteure. Ein Staat2anwalt habe gefagt, es sei unglaubli, daß Geistliche über die polnischen Aufständischen. alfo über Räuber und Mörder, den Segen Gettes berabgefleht hätten. Das fei, bemerkt Redner, eine unerhörte Beleidigung und Verunglimpfung des polnischen MNationalgefühls. Ein solckes Nerfahren zeuge nit von edler Ge- innung. Aber beute frage man ja nit nach edler Gesinnung, man n auf jede Weise Karriere zu machen. Gegen das geknechtete

polnishe Volk glaube man si eben alles erlauben zu dürfen. Wenn .

Polen die Aussage in deutsber Sprache verweigerten, so täten fie das, weil sie in der Tat des Deutschen niht vollkommen mächtig seien, und weil sie von der Heiligkeit des Eides eine hohe Meinung bâtten. Man gewinne immer mehr den Eindruck, daß die preußischen Gerichte zu politischea Zwecken mißbraucht würden. Die polnishe Presse werde von den preußischen Gerichten viel \{chlechter behandelt als in Rußland.

Ba Dr. Spahn (Zentr.) widerspriht dem Antrag Müller- Meiniagen wegen Abänderung des & 168 Abs. 2 des Strafgeseybuchs. Der Antrag wolle zwar die Beschimpfungen der Kirche strafbar laffen, aber die firchlihen Einrichtungen s{hußlos machen. Er selbit stehe auf einem absolut abweichenden Standpunkt. Der Richter habe si zu fragen, was eine Einrichtung, ein Gebrau der Kirche sei. Dabei könne es allerdings vorkommen, daß ein Richter in nicht genügender Kenntnis der religiösen Einrichtungen niht wisse, was eine solche Einrichtung sei. Aber es müsse verbindert werden, daß cine Konfession angegriffen werde. Der § 166 {üge die Angehörigen aller Konfessionen in ibrem religiösen Bewußtsein. Wenn ‘der Fall angezogen werde, daß Staatsanwälte wegen Beleidigung von Pâäpsten angeklagt bâtten, so sei es eben ein Angriff auf das Papsttum, wenn ein Papst an-

egriffen werde. Gerade in Deutschland, wo es verschiedene Kon- fefsionen gebe, müsse dieser Paragraph aufrecht erhalten werden, damit jeder das Bewußtsein habe, daß er die andere Konfession achten müsse. : 5 L Abg. Kops\ch (fr. Volksp.): Es hat langer Kämpfe bedurft, ehe die Neaterurg sih tazu ents{loß, der Frage der Entschädigung für uns{uldig erlittene Untersuhungéhaft näher zu treten. Sie . hak sh mit einer Abschlagszahlurg begnügt. Die Hoffnung nun, daz das Geseg wenigstens in einheitliher Weie durchgeführt werden würde, hat sich niht erfüllt. In einem Falle wurde ein notorisher Siitlichkeitsverbre%er, der lediglich wegen seines Geiste8zustandes freigesprohen werden mußte, für die Haft ent- sckcädigt. Das Entgegengeseßte reignete sich in dem bekannten Falle des Fräuleins Kümmel in Kottbus, die einstimmig freigesprihen ist. Das Gericht billigte ihr feine Entschädigung zu, weil nit erwiesen sei, daß cin begründeter Verdacht gezen die Angeklagte vorgelegen hätte. Es cibt also jeyt außer Freigesprohenen und Verurteilten auch verdächtig Freige|prochene. Das Wieder- aufnabmeverfahren ist heutzutage wobl geeignet, dem uns{uldig An- geklagten die idealen Güter der Ehre und Freiheit wiederzugeben, aber nit den materiellen Verlust. Das versteht das Volk nicht. Eine folhe Entschädigung vermag ja der Staat nicht zu geben. Wer vermag zu entschädigen für den Kummer und die Sorgen und den Verlust des guten Namens? Der Staat muß den unshuldig Ver- urteilten wenigstens materiell so stellen, wie er tand, als die Anklage erboben wurde. Wenn “dieje Zustände weiter bestehen, dann haben diejenigen recht, die den alten Zustand vor Erlaß dieses Gesetzes dem jetzigen vorziehen. j Abg. von Gerlach (fr. Vgg): Ih bekam vor einigen Tagen eine Vorladung als Angesculdigter. Diese Borladurg war gesetz- widrig, dern meine Eigenscaft als Abgeordneter war nicht be: ück- chligt. Aber ih lafse das dabingestellt. Ich weiß niht, um welche Bagatelle es sh handelt. Ich habe mih dadurch nicht irritieren lassen. Aber andere haben zartere Nerven Es müßte in der Vor- ladung doch angegeben werden, um welches Delitt es sich denn eigentlih handelt. Sonst kommt man unvorbereitet hin und hat kein Beweis- material bei ih. Nach der Haltung der Justizverwaltung ist freilich auf ein Entgegenkommen kaum zu re{chnen. Der Abg. Lenzmann sagte, er sei nit der Ansicht, daß wir eine Klafserjustiz hätten. Sehr weite Kreise des Volkes bis in die äußerste Rehte werden dieser Ansicht nit zustimmen. Ein früherer Neichs8tagsabgeordneter, Professor der Rechte Delbrück, rieb in den „Preußi'hen Jah1büchern“, der Ruf „Klassenjustiz“ der Sozialdemokraten verdiene Beachtung. Wir haben feine Ausficht, die Sozialdemokratie auézurotten, che dieser Ruf sich ridt als unberech!igt herausstellt. Der Redakteur des „Deutschen Adels- blatt-5*, Freiherr von Grotthus, führte eine ähnliche Sprache. Er fordert zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, daß mit der Klassenjustiz ein Ede gemaht werde. Auch Profcfsor Laband hat sich dafür aus- gesprochen, daß es so nicht weiterg:hen düufe. Auch die Schwur- gerichte, jo relativ gut sie vor den anderen Gerichten find, sind doch in gewissem Sinne nur Klassengerichte, niht Volksgerichte. Die Zusammenseßung der Geschworenen in einem Prozeß gegen einen ländliwen Arbeiter in Eüstrew war derartig, daß man sagen konnte, nit ein einziger der Gesbworenen würde na seiner politihen und wirtscaftlihen Stellung Milde und Verständnis gegenüber dem An- geklagten walten lassen. In Bayern ist ein Eclaß ergangen, in dem gesagt wird, es stehe nihi im Einklange mit dem Gesetz, wenn zum mt eines S{öôffen oder Geschworenen sol&e nit berufen werden, die der Arbeitershaft oder einer bestimmten Partei angebörten. Dieser Erlaß näre nicht ergangen, wenn er in Bayern nicht not- wendig gewesen wäre. Unsere Negierung bâtte aber alle Veranlafjung, die'em Beispiel zu folgen. Wenn man sagt, die Arb. iter hätten kein Geld zu solhen Ebrenämtern, so glaube ih, die Arbeiterorganisation würte das nôtize Geld ihren Mitgliedern sehr gern zur Verfügung stellen. Zu bedauern ist, daß der Staatéfekretär auf den typi)chen Fall Kozlawsfki in Posen nit eingegangen ist. Tie Justizverwaltung weiß von diesem Falle nicht einmal. Hoffentlich siebt sih der Staatssekretär diesen Fall nahträglih on. Dem Gesinde gegenüber gilt nah der jeßigen Ses s nit Recht, fondern Poliz-iwilllür. Soll denn dieser \chußloscste Tcil der Bevölkerung auf alle Zeit der Gesindeordnung preiégegeben sein? Noch cin Wort über Oldenburg. Die Zustände ter oltenburgishen Justiz sind von Herrn Burlage geren als so rosig dargestellt worden, als wenn das oldenburgifche ustizpalais die Ubberschrift verdiente: „Herberge dec Gerechtigkeit“. Andere Leute sind anderer Meirung. Herr Burlage hat die Berichte der Berliner Blätter über den Prozeß angegriffen; aber die Blätter in Oldenburg selbs haben garz die gleichen Berichte gebraht. Daß manches faul is im Staate Oldenburg, hat die gestrige Rede des Vertreters dieses Staates im Bundesrat gezeigt. Der „Residenzbote“ mag ein \{chmutiges Instrument sein, aber er hat einen guten Dienst getan, indem er den oldenburgishen Sumpf aufgerührt hat. Es ist so viel nachgewiesen, daß in Zukunft ganz gewiß be- deutend weniger als bisher in [denburg gejeut werden wird. Wenn Herr Buzlage dann von dem Schmuy des „Simplicissimus* sprach, den ter „Residenzbote" verbreite, so möchte ch demgeg-nüber die Meinung verireten, daß wir als Deutsche uns freuen dürfen, ein soldes Organ zu tesipen. Ich halte den „Simplicissimus* für das beste satirishe Blatt ter Welt. (Rufe:

„Kladderadat\ch" !) Der „Kladderadatsh“ ist ein gutes Blatt, aber im Vergleich mit dem „Simplicifsimus" ist er doch nur ein stumpfes Messer gegenüber einem \{chneidigen Florett. Ich identifiziere mich keineswegs mit seinem ganzen Inhalt, aber er steht geistig und künst- [erisch so bo, daß man ihn nicht einfa zu der Schmuyliteratur werfen darf. Satirishe Blätter müssen immer eine gewisse Freiheit haben. Sie sind der Zeitspiegel und bewahren noch in die späteren Jahr- hunderte hinein ihre fulturgeshichtlihe Bedeutung. (Zwischenruf : Und die Sittlichkeit?) Auch sitilih steht der „Simplicissimus“ sebr boch, weil er die Fäulnisersheinungen der Zeit bloßlegt und Kritik daran übt. Deshalb muß man auch manchmal etwas in den Kauf nehmen, was weniger gefällt. Durch den „Simplicissimus“ wird noch keine Seele, fein Charakter verdorben worten sein wie dur die Smuß- presse. Ich habe mich auch an manchem geärgert ; aber deswegen werde ich das Unternehmen nicht verdammen, weil es dann und wann eine Ausschreitung begebt. Daß die Festungshaft ein fideles Gefängnis ist, dafür kann auch Graf Püler als Zeuge angeführt werden. Als er in Weichselmünde brummt?è, fand in Danzig die Einweibun des Denkmals Kaiser Wilhelms statt. An dieser nahm Graf Püdler teil, begab si auf die offizielle Tribüne, gesellte sich später nah dem Einweihungfakt zu dem offiziellen Diner und saß im Frack mitten unter den Spiven der Behörden. Dann legte er sih in einem ersten Hotel Danzigs zur Nachtrube nieder und erschien erst am nächsten Morgen wieder in Weichselmünde. Das hat ein mitgefangener Redakteur öffentlich bezeugt. Sollte das NReichs- justizamt sih nit aus dieser Veranlassung darüber orientieren, ob hier ein Strafvollzug oder nit vielmehr die Farce eines folhen vorliegt? Fch bin mir tarüber nit klar, ob Graf Püdler ein vollendeter Demagoge oder ein vollendeter Narr ist. Ich habe ihn einmal gehört und möchte ibn für das leßtere halten.

Darauf wird Vertagung beschlossen.

Es folgen persönlihe Bemerkungen der Abgg. Lenzmann

und Werner. Nächste Sißung Sonnabend 1 Uhr

Schluß 6 Uhr. inabenî (Interpellation Auer, betreffend den Bergarbeiterstreik ; Etat).

Nr, 2 j der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamt 8“ vom 11. Januar 1905 hat folgenden Inhalt : Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Sterbefälle im November 1904. Zeitweilige Maßregeln gegen Pest. Sterbs- lihkeiteverbältnisse in deutshen Orten mit 15000 und mehr Ein- wohnern, 1903. Geseßgebung usw. (Baden.) Tuberkulose der Menschen. (Medcklenburg- Schwerin.) Bandwurm- und Trichinen- merkblatt. (Frankreih.) Tierseuhen. (Belgien.) MWurmfkranktkeit in der Provinz Lüttich. Tierseuchen im Deutschen Reich, 31. Des zember 1904. Rinderpest in Aegypten. Vermischtes. (Ver- einigte Staaten von Amerika, Maine.) Geburten und Sterbefälle, 1902. Monatstabelle über die Sterbefälle in deutshen Orten mit 15 €00 und mehr Einwohnern, November 1904. Desgleichen in größeren Städten des Auélandes. Wothentabelle über die Sterbes fälle in deutshen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Des- gleichen in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenbäusern deuts%er Großstädte. Desgleichen in deutschen Stadt- und Landbezirken. Witterung. Beilage: Gerichtliche Entscheidungen, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln (Wurst).

Statistik und Volkswirtschaft.

Die Arbeiterverhältnisse auf den staatlihen Berg- werken, Hütten und Salinen im Etatsjahre 1903. Der Minister für Handel und Gewerbe hat dem Haufe der Ab-

geordneten 70 Quariseiten umfassende „Nachrihten von dem Betriebe

der unter der preußishen Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung stehenden Staatöwerke während des Etatejahres 1903“ unterbreitet, die auch Aufschluß über die Verhältnisse der Arbeiter

auf den Staatswerken geben. Im Berichtsjahre 1903/4

baben ih die Arbeiterverhältnisse auf den Bergwe:ken, Hütten

und Salinen des Staates gegen das Vorjahr nicht lezientlid geändert ; sie gewährten im ganzen ein erfreulides Bild, da infolge der zwar langsam, aber stetig fortshreitenden Neubelebung des wirtschaftlichen

Lebens mit der erböhten Aussicht auf Arbkeit8gelegenheit au die Lage

der Arbeiter sich besserte. Arbeiterentlassungen von nennerSwertem

Umfange kamen nit vor. :

Es waren im Jahresdurchs{chnitt insgesamt 80097 (im Etats- jahre 1902 77 064) Arbeiter beshäftict, also 3033 mehr als im Vor- jahre (während die Zunahme ven 1901 zu 1902 nur 2189 betragen hatte). Auf die einzelnen Betricbszweige kamen:

1903 1902 74 378 Arbeiter 71 426 Arbeiter

S 892 3789 » 3777

Bergbau Gewinnung von Steinen und Erden Hüttenbetrieb . Salinenbetrieb 813 838 Badeanstalten 109 121 Bohrverwaltung. 0 A

zusammen. . , 80037 Arbeiter

77 064 Arbeiter Der Gesundheitszustand der Belegshaften war zufrieden-

stellend. Die Wurmkrankheit (Ankylostomiasis) blieb wie im Vor- jahre auf die neuerworbenen Stetinkohlei bergwerke des Ruhrreviers

beschränkt. Die erste Durhmusterurg der gesamten unterirdischen Be- lezashaft der Möllershähte des Steinkoh ert Ver. Gladbeck wurde zu Ende geführt. Hicrbei wurden von 638 Mann 27, d. h. 4,2 v. H. als wurmfranf befunden. Bei einer auf Grund der Bergpolizei- verordnung vom 13. Juli 1903, betreffend Maßregeln gegen die Wurm- krankheit der Bergleute, vorgenommenen zweiten Untersuhurg von 20 v. H. ter Belegschaft befanden sich unter 158 Mann 9, d 5,7 v. H. Wurmkranke. Von den feit Inkraf1treten der genannten Polizeiverortnung vom 1 August 1903 auf den Möllershächten neu angelegten 247 Mann wurden bei den sehéwöchentlihen Nachunter- \subungen 3 Mann als wurmkrank befunden. Auf den Rheinbaben- \hächten wurde bei der Nachuntersuhung von 239 neu angelegten Bergleut:zn in nur 2 Fällen Wurmkrankheit ermittelt. Auch auf dem Steinkohlendergwerk Waltrop gelangte die erste T©urhmusterung der gesamten unterirdishen Belegshaft zum Abschluß. Unter den 33 zuleßt Untersuchten befanden sich ncch 9 Wurmkranke. Im ganzen wurden 46 Mann untersuht und hier- von 8 d. \. 17,4 v. H. als wu1mkrank befunden. Bei der im Juli 1904 vorgerommenen zweiten Durhmusterung der gesamten unter- irdish beschäftigten Belegschaft wurden von 130 Mann nur 5, also 3,8 9/0 wurmfranf befunden. Die Kranken unterzogen sich einer Ab- treibur gsfur. Bei den Nachuntersuchungen der seit der zweiten Durch- musterung neu angelegten Bergleute ergab sih kein Fall von Wurm- franfbheit. Auf dem leinkohlenbergwerk Bergmannsglück ift bei den Nachuntersuhungen der unterirdishen Belegschaft kein Fall von Wurmfkrankheit bekannt geworden. 4

Die Zabl der tödlichen Verunglückungen ging gegen das Vorjahr zurück. Es kamen dur Betricböunfälle 128 (131) Arbeiter oder auf 1000 Mann der durch|chnittliden Belegschaft 1,566 (1,665) zu Tode. Die Unfallziffer ging hiernach zwar gegen das Vorjahr

zurüdck, war jedoch gegen die früheren Jahre immer noch - hoh; sie wurde außerordentliÞ ungünstig beeinflußt dur ¡wei Unfälle, die je eine größere Anzahl von Opfern erforderten. Auf der Königin Luise - Grube in Oberschlesien wurden bei einer Kohlenstaubexplosion am 2. Avril 1903 23 Bergleute getôötet, während auf dem Steinkoblenbergwezik von der Heydt bei Saarbrücken vier verbotswidrig das Seil zum Einfahren benußzende Arbeiter infolge Séilbruchs tödlih verunglüzen.

Für die Versicherung der Arbeiter auf Grund des Unfall- und Invalidenversiherunasgescßes sowie an Beiträgen zu den vers schiedenen Knappschaftskassen waren von den Staatewerken insgefamt 7 995 922 (7 577 689) aufzubringen. Je i

Die Ansiedlung der Arbeiter in der Näbe der fstaatlihen Werke wurde, wie in den Vorjahren, in der bither bewährten Weise verfolgt. Es wurden bei der Zentralverwaltung zu Zabrze 900 6. Hausbauprämien und 2100 Æ unverzinslihe Hausb 1udarlehen, beim Salzwerk zu Bleicherode 900 (3600) (A Hausbauprämien und 6375 (6616) A Hausbaudarlebhen, bei dem Steinkoblenbergwerk zu Ibben- büren 3609 Æ Hausbauprämien und 6020 #4 Hausbaudarlehzn, im Saarbezirk 120 (82) Hauébauprämien im Gesamtbetrage von 107 115 (73 455) A und 195 000 (123 000) Hausbau?arlehen verautgabt. Die Gesamtsumme der im Saarbezirk seit dem Jahre 1865 gewährten unverzins- [hen Hausbaudarlehen belief sich am íIFahres[chlufe auf 5 892 335 M und die Zahl der seit 1842 prämiierten Bergmannshäuser auf 6465.

Aus dem der Staatsregierung durch das Geseg vom 4. Mai 1903, betreffend die Verbesserung der Wohnungsverhält- nisse von Arbeitern, die_in Staatsbetrieben beschäftigt find, und von gering besoldeten Staatsbeamten, zur Verfügung gestellten Mitteln wurden im Bereiche der Berg-, Hütten- und Salinen- verwaltung während des Berichtejahres überwiesen: der Zentrals verwaltung zu Zabrze 579350 # zum Bau von 24 Vier-, 3 Sechs- und 6 Zwölffamilienhäusern, dem Hüttenamte zu Gleiwiß 46 000 ÁÁ zum Bau von. 2 Achtfamilienhäusern, der Saline zu Schönebeck 15 000 / zum Bau eines Zweifamilienhauses (für Beamte), der Berginspektion zu Grund 22 690 „# zum Bau eines Achtfamilien- hauses, der Bergwerksdirektion zu Dortmund 674 400 (A zum Bau von 30 Vier- und 16 Zweifamilienbäusern, der Bergwerksdirektion zu Saarbrücken 418 600 A - zum Bau von 30 Zweifamilienhäufern (davon 7 für Beamte) und 3 Vierfamilienhäusern (davon 2 für Beamte); ferner wurde an Arbeiter der Saarbrücker Staatswerke ein Betrag von 200 000 4 an verzinéliben und zu tilgenden Baus- darlehen gezahlt. Insegesamt sind bisber cuf Grund der Gesetze, betreffend die Verbesserung der Wehnungéverbältnisse von Arbeitern, die in Staatsbetrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten, der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung, zur Ver- fügung gestellt worden

an Baukosten 4 905 100 M, 1 188:600.

T Baudarlehen .

zusammen . 6093 700 4 __ Von den sonstigen MWoblfahrtseinrihtungen seien noch die folgenden erwähnt.

Die im Bereiche der Bergwerksdirektion zu Saarbrücken bestehenden Werks\hulen, die von Bergleuten im Alter von 14 bis 16 Jahren besucht werden, wurden von 70 auf 73 vermehrt. Die dur&scnittlihe Schülerzahl stieg von 2643 auf 3318. Die vorhandenen Industriesch ulen, in denen Handarbeits-, zum Teil - auh Koch- und Haushaltungêeunterridt an heran- wachsende Bergmannétöchter erteilt wird, erfreuten ih eines gleich starken Besuchs wie im Vorjahre. In den Kleinkinderbewahr- anstalten fanden 2680 (2648) Kinder Aufnahme. Durch das Auf- treten von Kinderkrankheiten in größerem Umfange wurde der Besuch indessen auch im Berichtéjahre zeitweise ungünstig béeirflußt. In den Arbeiterbibliotheken wurde der Lesestoff fortdauernd ver- mehrt. Die Ausgaben hierfür beliefen ih auf 2713 Die vorhandenen 9 Konsumvereine und Einkaufsgenossen- \chaften erfreuten ch einer steigenden Entwickelung. Die Zahl ibrer Mitglieder stieg von 10432 auf 11154. Für den Bau von

«Arbeiterbadeanstalten mit Brausevorrihtungen wurden wiederu:n

bedeutende Beträge verausgabt. An sonstigea freiwilligen Leistungen zu Gunsten der Arbeiter ist zu erwähnen die Gewährung von Kohlen zu dem ermäßigten Preise von 3 für die Tonne, die einen Einnahmeausfall von 693 154 (650285) 4 bedingte.

Von ten oberschlesischen Staatswerken gewährte das Steinkohlenbergwerk Königin Luise 2068 Arbeitern Vor- \chüsse von insgesamt 58 965 M zur Beschaffung von Kartoffeln. Der auf dem Ostfelde errihtete Backofen wurde von 1281 Arbeiter- familien benugt. Der in Zaborze B erst im Berichtsjahre ge- gegründete Konsumverein eifreute ih troy der wenig günstigen Lage seiner Verkaufsstellen einer zunehmenden Be- licbtheit unter den Arbeitern. Die in Dorotheen- dorf und Zaborze errichteten Kleinkinderbewahran stalten wurden von 140 und 112 Kindern besuht. Das Steinkohlen- bergwerk König vermehrte seine Arbeiterwobnungen von 108 im Vorjahr auf 202. Am 1. Oktober 1903 wurde eine Haus haltungs schule für die der Volksshule entwachsenen Töchter aftiver und früherer Arbeiter eröffnet. Der erste Halbjahr- fursus war mit 32 Schülerinnen voll besegt. Zur ersten Hilfe bei Unglücksfällen wurden 25 Aufseher von dem Ober- \lesihen Knappschaftéverein im Samariterdienst ausgebildet. Zur Unterhaltung der Belegschaft veranstaltete die Werfeverwaltung durch das Personal des Oberschlesischen Volkstheaters 3 Theater- abende. er Zuschauerraum war jedesmal bis auf den legten Platz gefüllt. Als Ausweis diente ein zum Preise von 5 -ck ausgegebenes gestempeltes Programm.

Von dem Königlichen Oberbergamt in Breslau wurden auf Vorschlag der beteiligten Staatswerke aus Staatémitteln ins- gesamt 132 unterstütungsbedürftige Berginvaliden und Witwen mit 1546 #, aus Miiteln der Merk8arbeiter-Unterstüßzungskassen der Staatswerke insgesamt 1406 Personen (aktive Arbeiter, Berginvaliden, Witwen und Waisen) mit 15190 #, aus Werksfonds und der Güttlerstiftung 68 Arbeiter mit 1200 Æ unterstüßt.

An die Arbeiter des oberharzer Blei- und Silberbergwerks- baushalts wurden 1907 (im Vorjahre 1953) t Brotkorn zu er- mäßigten Preisen abgegeben. Zur Deckung des Minderpreises leisteten die Werkskafsen einen Beitrag von 102 969 (64 427) # und die Kasse des Clauéthaler Hauptknappschaftsvereins einen folhen von 6024 des (4 Auf den einzelnen Arbeiter berechnet sich daraus eine

uwendung von 27,61 (17,06) 4A im Jahre oder 9,20 (5 69) -\ für den Arbeitetag. Bei den 9 für die Arbeiter der fisfalishen Werke bestehenden Konsumvereinen berechnete sih im ganzen der Umsaß im Jahre 1903 auf 1731363 (1 722 309) #, der Reingewinn auf 961 562 (247 981) A, wovon 254 372 (286 132) Æ« als Dividende an die 7913 Mitglieder gezahlt wurden.

Der auf dem fitkalischen Steinkohlenbergwerk am Deister bestehende Spar- und Vorschußverein hatte 1023 Mit- glieder, deren eingelegtes Kapital von 555 842 ÆMA si mit 3,9%

verzinste.

y Die beim Steinkohlenbergbau in Oberschlesien, Nieder- \{lesien, in dem Oberbergamtsbezirk Dortmund urd auf den Saar, brúcker Staatsgruben in den legten Jahren gezahlten Arbeits- [öhne darunter sind hier die reinen Löhne, d. h. fole nah Abzug aller Nebenkosten (Kosten für Geleuchte, Gezähe, Knappschafts- beiträge usw.) verstanden waren folgende :