1905 / 23 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 26 Jan 1905 18:00:01 GMT) scan diff

S. M. S. „Sperber ist an demselb:n Tage in Hongkong angekommen. - S. M.S. „Hertha“ ist am 24. Januar von Colombo (Ceylon) nach den Seychellen in See gegangen.

Hessen.

Die „Darmstädter Zeitung“ veröffentliht einen G naden- erlaß Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs anläßlich seiner bevorstehenden Vermählung für alle diejenigen Personen, die im Großherzogtum durch Straf- befehl und Strafbescheid oder ein bei den bürgerlichen Ge- richten ergangenes Urteil zu Gefängnis, Festungshaft oder Geldstrafe wegen Mazestätsbeleidigung usw. nach den SS 95, 97, 99 oder 101 des Strafgeseßbuchs, wegen wört- licher Beleidigung von Behörden usw., wegen Zuwiderhand- [lungen gegen die Bestimmungen des Forst- und Feldstrafrehts sowie wegen Uebertretungen verurteilt sind. Der Erlaß findet nur auf solhe Strafen Anwendung, die spätestens mit Ab- lauf des 2. Februar 1905 rechtskräftig geworden sind oder

werden. Lippe.

Gestern mittag um 121/4 Uhr fand im Schlosse zu Detmold, wie „W. T. B.“ berichtet, die feierlihe Er- öffnung des Landtages statt; der Graf-Regent verlas dabei die nachstehende Thronrede:

Meine hochgeehrten Herren! Die Einberufung des Landtages im gegenwärtigen Zeitpunkte ist ein außerordentliher Akt, bedingt dur das Ihnen {on bekannte {chmerzlihe Ereignis, das dem Lande nicht nur seinen Fürsten, sondern in dem erlauchten Herrn auch den leßten männlihen Sproß der alten Linie des altehrwürdigen Gesamthauses der Grafen und Edlen Herren zu Lippe genommen kat. Schwer hat das verflossene Jahr auf meinem Hause und dem Lande gelastet, und mit ernster Trauer beginnt das neue Jahr seinen Kreis- lauf. Umsomebr ist es ein Mahnruf und ein Weckruf für alle, die dur ihre Stellung und ihr Amt auserkoren sind, die Geschicke des Lantes zu lenken und zu leiten. Daß Sie dieser Ihrer Pflicht in treuer Fürsorge für das Wohl des Landes, für die äußere Wohlfahrt und den inneren Frieden des Landes genügen, daran erinnere ih Sie in dieser Stunde, wo wir zum ersten Male in gesetzlicher feierlicher Weise den Landtag des Fürstentums hier begrüßen. Erneuern wir das Gelöbnis, alle uns übertragenen Rechte und alle uns über- tragenen Pfliten auszuüben und zu vollziehen in verfassungsmäßiger Wahrung der Interessen unseres Landes als Einzelstaat, wie als Mit- glied des großen Deutschen Reiches. Wir leben der frohen, gewissen Zuversicht, daß Sie, meine hohgeehrten Herren, meine hierauf ge- richteten Bestrebungen in dem Sinne mit gleihem Eifer wärmstens unterstüßen. Für diese außerordentlihe Sißungéperiode werden Ihnen nur zwei Vorlagen unterbreitet, ihrem Wesen nach miteinander verwandt und in ihrer Bedeutung bestimmt, für Gegenwart und Zukunft die Grundsteine der Nechtsficherheit im Verfassungsleben zu bilden, eine geordnete Entwickelung aller Ver- hältnisse herbeizuführen, namentli für die notwe&SX Ruhe und Eintracht der Bevölkerung im Lande zu sorgen, Sb so mögen Sie denn, meine hohverehrten Herren, in Ihre Beratungen eintreten mit Ernst und frobem Mut, und aus Jhren Verhandlungen erwahse ein dauernder Segen für unser geliebtes Land.

Deutsche Kolonien.

® Nah einem Telegramm aus Windhuk in Deutsch- Südroestafrika ist, wie „W. T. B.“ berichtet, der Gefreite Ernst Hentschel, geboren am 9. Mai 1882 zu Zedliß, früher im Leibhusarenregiment Nr. 2, am 23. Januar in Klein - Windhuk an Typhus gestorben. Der Reiter Paul Eckelt, geboren am 17. Juli 1882 zu Rathau, früher im Ulanen- regiment Nr. 13, ijt in einem Patrouillengefeht bei Ankubis am 16. Januar s{chwer verwundêt worden. Der Reiter Kurt Krüger, geboren am 15. Dezember 1884 zu Berlin, früher im 2. Gardedragonerrcgiment, is am 21. Januar im Lazarett zu Otjimbinde an doppelseitiger Lungen- und Brustfellentzündung gestorben.

Oesterreich-Ungarn.

Im österreichischen Herrenhause wiederholte geftern, wie „W. T. B.* berichtet, der Ministerpräsident Freiherr von Gaut \ch feine am Tage zuvor im Abgeordnetenhause abgegebene Erklärung und knüpfte daran den Apell, das Herrenhaus möge ihn in seiner \{weren, verantwortungsvollen Stellung seine wohlwollende Unterstüßung leihen. Der Ministerpräsident glaubte auf die Erfüllung dieser Bitte um so sicherer zählen zu können, als das Herrenhaus seine patriotische Gesinnung stets in einer für das Staatswohl ersprießlichen Weise betätigt habe. Das Haus wolle überzeugt sein, daß die Negie- rung bemüht sein werde, \tels volles Einvernehmen mit dem Herren- hause zu pflegen und mit wärwstem Danke jede Förderung ihrer wesentlichsten Aufgabe, die Herstellung des ersehnten politischen und parlamentarishen Friedens, begrüßzn werde.

Im Abgeordnetenhause teilte nah der Verlesung des Ein- Ilaufs, die auf Verlangen des Abg. Kl ofac im Wortlaute erfolgte, der Präsidert Graf Vetter mit, daß von den zu Beginn dieses Sessions- abschnittes vorhandenen dringlihen Anträgen sämtliche bis auf 14, die von den Ts\chehisch-Nadikalen und dem Abg. Breiter eingebracht seien, zurückgezogen worden seien. Das Haus verhandelte alsdann über den dringlichen Antrag des Abg. C hoc, betreffend die Abänderung eines Paragraphen des Wehrgeseßes. In der Begründung der Dring- lichkeit seines Antrages erklärte der Abg. Choc, die Tschechish-Nadikalen zôgen ihre dringlichen Anträge nicht zurück, weil die Wünsche des tschechischen Volkes nit erfüllt würden. Die Dringlichkeit wurde abgelebnt und sodann ebenso die Dringlichkeit eines zweiten tshechis{ch- radikalen An- trages, betreffend die Cinführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts. Als der Präsident um 64 Uhr zum Abbruch der Verhandlungen schreiten wollte, wurden lebhafte rote seitens terDeut schen laut: „Nicht abbrechen ! Fortberaten !“

er Präsident ersuchte, einen diesbezüglicen Antrag zu stellen. Vom Abg. Glöckner wurde darauf ein Antrag auf Weiterberatung gestellt, der mit überwiegender Mehrheit angenommen wurde. Das Haus [nee nunmehr zur Verhandlung des dritten 1\{chechi!ch - radikalen ringlihen Antrages, betreffend die Gewalttaten gegenüber den böhmischen Minderheiten in Böhmen. Der Abg. Dr. Bara begründete eingehend den Antrag. Die Dringlichkeit wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, nahdem ter Präsident dem Abg. Baxa sowohl in seiner Begründungérete als im Schlußwort das Wort entzogen hatte, weil er troß wiederbolter Ermahnung sih niht auf die Begründung der Dringlichkeit bes{chränkt hate. Ein um 97 Uhr von dem Abg. Choc gestellter Antrag auf Schluß der Sitzung wurde mit allen gegen 7 Stimmen abgelehnt. Nah kurzer Beratung wurde dann cin vierter tschechisch-radifaler dringliher Antrag abgelehnt und die Sißung

um 10è Ußr ge\{lo}sen. Frankreich.

Die Enquêtekommission über dcn gf tht in

der Nordsee trat gestern unter dem Vorfiß des Admirals

ournier zu einer óffentlihen Sißung zusammen, über deren lauf „W. T. B.“, wie folgt, berichtet :

Der Admiral Fournier verkündete, die Zeugenautsagen würden

ins Franzöôsishe übersezt werden. Der erste Zeuge, der vernommen

wurde, war der Kapitän eines englishen Dampfers. Dieser sagte aus, er habe das russische Geshwader am Nachmittag des

21. Oktober in der Nordsee bemerkt, und gab eine ausführliche Darlegung der Stellung des Geschwaders an diesem Nach- mittage. Der Admiral Dubassow tichtete eine Reibe von Fragen an den engen über diesen Gegenstand. Die Sißzung wurde darauf bis 3 Uhr Nachmittags unterbrochen. In der Nachmittagssizung sagte der Zeuge B eeching, Verwalter der Fischereigesell haft, aus, daß während der Naht den Fischerbooten die Signale durch rote oder grüne Naketen gegeben worden seien; er seßte auch die Bauart der Boote augeinander. Auf die Frage nach der Zahl der in der Nacht zum 21. Oktober an der Doggerbank anwesenden Fischerboote erwiderte der Zeuge: 46. Auf eine andere Frage sagte er, daß man an Bord weder Torpedos, noch sonstiges Kriegsmaterial gehabt habe. Auch babe er nie- mals davon gehört, daß Japaner sih auf den Booten befänden, und noch viel weniger, daß in den dortigen Gewässern Kriegsschiffe seien. Der russische Vertreter Man delstam fragte hierauf, ob es möglih sei, Torpedoboote mit Fischerbooten, die keine Segel hätten, zu ver- wechseln. Der Zeuge erwiderte, nein, das sei unmögli. Baron Ta ube fragte sodann, ob nicht irgend ein anderes Schiff zu der Fischerflotille gestoßen sei. Der Zeuge antwortete, niht ein einziges. Hierauf fand eine Paufe statt. Nah Wiederaufnahme der Sißung wurde der Ver- treter einer Huller Fischereifirma Heers vernommen. Er fagte aus, daß die Boote seines Pauls vorn ein deutlihes Firmenzeichen ge tragen und die vorschriftsmäßigen Lichter gehabt hätten. r habe die Beladung der überwacht, es

Boote mit Vorräten

seien weder Kriegswerkzeuge noch Krieg8material an Bord gelangt; ebensowenig . habe sich irgend ein Japaner dort befunden. Hierauf wurde der zweite Führer der Fischer-

flottille vernommen. Er erklärte, daß er- gerade den Booten das Signal gegeben habe, die Netze auszuwerfen, als er in nördlicher Richtung ein grünes Licht bemerkt habe. Bald darauf habe er Schein- werfer und Signale wahrgenommen, die von Kriegsschiffen gekommen seien, die, vier bis sechs an der Zahl, auf die Flotille losgefahren seien und den Kurs nach Südwesten gehalten hätten. Die Schiffe hätten “Halt gemaht, ihre Scheinwerfer aber weiter spielen lassen. löglih hätten sie gefeuert. Er habe darauf eine grüne Rakete steigen lassen, um anzuzeigen, daß die Fischerboote ihre Fahrt nach Osten fortsezten. Granaten und Kugeln seien rings um das Boot eingeschlagen, auf dem er ih befunden habe, das Deck sei durchlöchert worden. Die Fischer seien in die Kabinen geflüchtet. Er habe dann damit fortgefahren, grüne Nafketen steigen zu lassen, um zu zeigen, daß die Schiffe Fischerboote

seien. Der Zeuge erklärte weiter, es habe Nebel geherr\cht, das Meer sei f\tark bewegt gewesen. Alle Lichter seien an- gezündet gewesen, die Laternen hätten gebrannt. Alle

Nachdem das Feuer 5 Minuten gedauert habe, hätten die Fischerboote ihren Kurs geändert und sich in nordöstliher Richtung entfernt. Von den Kriegsschiffen sei mit Gewehren und Kanonen ae\@ofen worden, die Se enng habe etwa 20 Minuten gewährt. Auf die Bemerkung eines russischen Vertreters, daß zu Beginn der Beschießung kein Schrecken der Fischer bemerkt worden sei, erwiderte der Zeuge, man habe zuerst geglaubt, daß von den Kriegt schiffen blind geshofsen werde. Hierauf wurde die Sißung geschlossen.

Die demokratische Linke des Senats hat beschlossen, den bisherigen Ministerpräsidenten Combes zu ihrem Ob- mann zu wählen. Der sozialistish-radikale Deputierte Buisson, einer der Führer der sozialistish-radikalen Linken der De- putiertenkammer, ist aus dieser Partei ausgetreten, weil sie den von ihm wiederholt beantragten Protest gegen die An- geber abgelehnt habe.

Mehrere hundert sozialistishe Studenten und Mit- glieder anderer sozialistisher Vereine versuchten gestern abend, nach einer aus Anlaß der Vorgänge in St. Petersburg abgehaltenew“ Prpstestversammlung eine Kundgebung vor der russishen Botschaft zu veran- stalten. Sie wurden jedoch von der Polizei, die mehrere Ver- háftungen vornahm, auseinandergetrieben.

Rußland.

Bei dem Minister des Aeußern Grafen Lambsdorff findet heute, wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg be- richtet wird, die erste Beratung mit den Delegierten statt, die die italienishe Regierung zu Verhandlungen über einen Handelsvertrag entsandt hat. An der Beratung nimmt auch der Finanzminister Kokowzow teil.

Ueber die Lage in St. Petersburg liegen folgende Depeschen des „W. T. B.“ vor:

Die Naht zu gestern ist in dem Stadtteil Wassili Ostrow wurden Schüsse achöôrt. Den Petersburger Stadtteil durchzogen die ganze Nacht hindurh Patrouillen, die die Passanten an- hielten und ausfragten. Arbeiterhaufen durhzogen bis Mitternacht die Hauptstraßen. Die Läden waren g-stern ge- \{lossen, eine Anzahl Straßen wurden von Patrouillen durh-

ogen, im allgemeinen zeigte die Stadt aber ein ruhiges Aus- Ghen' An den höheren Lehranstalten wurden keine Vorlesungen ega, Auf der Newskiwerft erschienen die Arbeiter, um Fh zu ihres Lohnes in Empfang zu nehmen, sie verhielten ih ruhig.

Der Minister des Jnnern Fürst Swiatopolk-Mirski empfing gestern die Vertreter der St. Petersburger Presse, die ihm eine Bittschrift und die Beschlüsse der Konferenz der Redakteure überreichte. Ein Mitglied der Abordnung wies auf die Notwendigkeit der Freiheit der Presse sowie darauf hin, daß die Semstwos zu einem Kongreß einberufen werden müßten. Das sei das einzige Mittel, um die Gemüter zu beruhigen. Der Minister erwiderte, er werde die Petition prüfen, aber er könne nicht allein darüber ent- heiden, das gehöre auch in das Ressort des Generals Trep ow.

Jn der gestrigen Sißung des Stadtrats stellte der Stadtverordnete Nabokow im Namen von 16 Stadtverordneten einen Antrag, der lautete:

Die Bekanntgabe der Regierung bestätigt, was alle Bewohner der Stadt gesehen haben, daß nämlich am 22. Januar Truppen auf Arbeiter, die mit einer Bittschrift an den Kaiser zum Winterpalais gingen, ges{hossen haben. Der Stadtrat von St. Petersburg ist hierüber aufs böhste empört und erklärt, daß eine sol: Grausamkeit die Grundstüte der bürgerlihen Ordnung, nämli die Sicherheit des Lebens, untergräbt, und erachtet es als seine Pflicht, die Geschädigten zu unterstützen, indem er 25 000 Rubel für die Verwundeten und die Familien der Getôteten bewilligt.

Der Vorsißende Durnowo weigerte sih, den Antrag zur Besprehuung zuzulassen. Darauf beantragte der Stadt- verordnete Baron Korff, 25000 Rbl. für die Ge- shädigten zu bewilligen, ohne zu erwägen, ob sie s{huldig oder unschuldig seien. Der Antrag wurde mit großer Stimmenmehrheit angenommen. Gleichzeitig wurden 2000 Rbl. bewilligt zur Verbesserung der städtischen Ambulatorien und zur Hilfeleistung für Verwundete im Falle einer Wieder- holung der Ereignisse vom 22. Januar. Ferner wurde das Stadtamt mit der unverzüglihen Bearbeitung der Frage der Einrichtung schneller ärztliher Hilfe beauftragt, denn am Sonntag hätten nah Aussage von Augenzeugen Verwundete auf den Knien von der Morskajastraße bis zur Kasankirche kriehen müßen.

Fischer hätten auf Deck gearbeitet, die Segel feien n die fi gewesen.

ruhig verlaufen, nur

Der Rat des Polytech nishen Jnstituts hat gestern folgenden Beschluß gefaßt:

Ein Angeböriger der Gemeinschaft des St. Petersburger Pol tehnishen Instituts, der Studierende Sawinkin, if eines g samen Todes gestorben; er ist. am 22. Januar im Alexander- garten erschossen worden. Sawinkin ift gegen eine unbewaffnete friedlihe Menge begangenen Schlächterei. Der Rat des Instituts ist entrüstet und niedergedrückt ob der Er- eignifse vom 22. Januar, die bewiesen haben, daß in Rußland das Leben selbst friedliGer Bürger nit sicher ist, und \spriht seine tiefe Entrüstung über die Mafsenerschießung aus, von deren Opfern der Student Sawinkin eines ist. Der Rat ift der Ansicht, daß unter den gegenwärtigen Umständen die Fortführung des Unterrichts durhaus unmöglich ift, und beschließt, den Finanzminister von seiner Ansicht zu unterrichten. .

Die Professoren und Studenten des Polytechnischen Instituts sind bis zum September beurlaubt, da die Vor- lesungen eingestellt sind. Die Studierenden haben dem Direktor Vertreter gesandt und ihre Solidarität mit dem von dem Rate gefaßten Beschlusse erklärt.

__Der Bestattung des am Sonntag am Alexandergarten getöteten Studenten des Polytehnischen nstituts Sa- winkin wohnten gestern der Direktor des Jnstituts Fürst Gagarin, alle Professoren und Studenten und eine etwa 2000 Personen starke Menschenmenge bei. Der Sarg wurde von Studenten getragen. Ein Student der Universität sprach am Grabe; er sagte:

„Wir begraben unsern Kommilitonen, dessen unshuldiges Blut durch einen Gewaltakt der autofratishen Regierung vergossen wurde. Er ist tot, aber sein Geist lebt unter uns und fordert uns auf, unaufhörlih zu kämpfen für das Recht, frei zu leben und zu denken.“

Jn einer gestern im Bezirksgericht abgehaltenen

Sizung erklärte der Verteidiger, er sei infolge der auf- regenden Vorgänge der leßten Täge nicht in der Lage, die Verteidigung ruhig und sahgemäß zu führen. Kaum hatte der Verteidiger dies ausgesprochen, als der Obmann der Geschworenen sich erhob und namens der Geschworenen erklärte, diese seien aus dem gleihen Grunde nicht in der Lage, objektiv Necht zu sprechen. Der Vorsißende hob hierauf die Verhandlung auf. _ Der Unterricht in den Gymnasien und Realschulen ist gestern wieder aufgenommen worden. Der Kurator des Lehrbezirks machte bekannt, daß es als triftiger Grund für die Versäumnis des Schulbesuhs gelten jolle, wenn diese Versäumnis aus Furcht vor den Unruhen erfolgt sei.

Jn zwei Tabakfabriken ist gestern die Arbeit wieder aufgenommen worden.

Heute ift auf den Straßen von St. Petersburg auf Befehl des Kaisers eine Bekanntmachung des Finanzministers und des Generalgouverneurs angeshlagen worden, die, der „St. Petersburger Telegr.-Agentur“ zufolge, lautet:

Der rubige Verlauf des öffentlichen Lebens in St. Peteréburg ift

. in den leßten Tagen durch die Einstellung der Arbeit in den Fabriken

und Werk|tätten gestört worden. Jndem die Arbeiter zu ihrem ofen- baren eigenen Schaden und dem der Arbeitgeber die Arbeit nieder- legten, stellten sie zugleih eine Reih2 von Forderungen auf, die gemeinsame Beziehungen zwishen ihnen und den Fabrikanten betreffen. Die entstandene Bewegung nußten s{lechtgesinnte Personen aus, die die Arbeiter als ihr Werkzeug benußten, und verleiteten die Arbeiterbevölkerung dur E und unmöglihe Vers sprechungen auf einen Irrpfad. Die Folgen dieser verbrecherishen Agitation waren zahlreiche Störungen der Ordnung in der Hauptstadt: und die in solhen Fällen unvermeidlihe Einmishung der bewaffneten Macht. Diese Erscheinungen sind tief traurig und rufen Unruhe hervor. Die \{lechtgesinnten Personen \chrecken nicht vor der Schwierigkeiten zurück, die das Vaterland in der {weren Kriegszeit durhlebt. Jn ihren Händen erwies sih das Arbeitervolk der St. Petersburger Fabriken und Werkstätten als ein blindes Werkzeug, das sih keine klare Rechenschaft darüber gab, daß im Namen der Arbeiter Forderungen gestellt wurden, die nichts Gemeinsames mit ihren Bedürfnissen haben. Indem die Arbeiter diese Forderungen äußerten und ihre üblichen Beschäftigungen ein- stellten, haben die Arbeiter der St. Petersburger Fabriken und Werk- stätten auch vergessen, daß si die Regierung stets ihren Bedürf- nissen gegenüber vorsorglih verhielt, wie sie sich auch gegenwärtig verhält und bereit ist, ihre berechtigten Wünsche aufmerksam zu bören und diese, soweit mögli, zu erfüllen. Aber zu solcher Tätigkeit brauht die Regierung vor allem die Wiederherstellung der Ordnung und die Nückkehr der Arkeiter zu ihrer alltäglihen Arbeit. In Zeiten der Unruhe ift eine ruhige und wohlgemeinte Tätigkeit der S eMerung zum Nutzen der Arbeiter undenkbar und eine Er- füllung ihrer Forderungen, wie bercchtigt dieselben sein mögen, kann niht erfolgen, wenn Unordnung und Widerspenstigkeit herrschen. Die Arbeiter \ollen der Regierung die ihr obliegende Aufgabe der Verbesserung ihrer Lage erleihtern; sie können dies nur auf einem Wege vollbringen, indem sie sich von jenen entfernen, die allein tigenden nôtig haben und denen der wahre Nugzen der Arbeiter fowie die wahren Interessen unserer Heimat fremd sind und die diefe nun als Vorwand zur Hervorrufung von Unruhen gebrauchten, d

nihts mit dem Nutzen der Arbeiter zu tun haben. Die Arbeiter sollen zu ihren gewöhnlihen Beschäftigungen zurücktehren, die dem Lande ebenso notwendig sind, wie den Arbeitern selbst, die sonst Frauen und Kinder der Not weihen Das Arkeitervolk möge, indem es zur Arbeit zurückfehrt, wissen, daß seine Nôte dem Herzen des Kaisers ebenso nahe stehen, wie die aller treuen Untertanen. :

Mit dem, was der Kaiser unlängst nach seinem persönlichen freien Willen zu befehlen geruht, daß nämlich an die Bear- beitung der Frage der Arbeiterversiherung herangetreten werden folle, zu dem Zwede, sie gegen Invalidität und Krankheit siher zu stellen mit dieser Maßregel if die Sorge des Kaisers für das Wohl der Arbeiter niht ershöpft. Vielmehr geht gleih- zeitig auf Pedgna des Kaisers das Apangminisieran an die Aus- arbeitung eines Gesetzes, betreffend die Verkürzung der Arbeitszeit, und an die Ausarbeitung von Maßnahmen, die dem arbeitenden Volke die geseßlide Möglichkeit geben werden, über seine Bedürfnisse zu be- raten und sie zum Ausdruck zu bringen. /

Msgen auch die Arbeiter in Fabriken, Werkslätten und anderen gewerblihen Einrichtungen wissen, daß sie, nahdem sie zur Arbeit zurücgekehrt find, darauf renen können, daß die Regierung die Un- verleßlihkeit ihrer Person, ihrer Familien und ihres häuslichen Herdes {hüßen wird; die Regierung wird diejenigen, welche zu arbeiten wünschen und dazu kereit sind, vor verbreherishen Anschlägen auf die Freiheit ihrer Arbeit seitens [Mecht gesinnter Personen hüten, die die Freiheit laut verkünden, aber darunter nur das Recht verstehen, ihre Kameraden, die bereit sind, zur friedlihen Arbeit zurück- zukehren, auf dem Wege dec Gewalt hieran zu hindern. R

Aus Moskau vom gestrigen Tage meldet „W. T. B.“: Jn den Straßen is es ganz ruhig, das Ausstandsgebiet dehnt sih aber aus. Bei L erstellung der Ordnung in der Pjatnizkajastraße fielen einige Schüsse, deren Ur- heber niht bekannt sind. Die Ausständigen wurden mit Peitshen und blinden Schüssen a Jn den Theatern ist es ruhig, aber sie find niht sehr be- suht. Die Straßen sind leer, überall sind Patrouillen. Die Hospitäler haben keine Verwundeten angenommen. Die Arbeit ruht in fünfzig Fabriken des eigenilihen

Fabrikenstadtteils mit im ganzen 30 000 Arbeitern ; in den

eines der Opfer der

übrigen Fabriken wurde weitergearbeitet. Dies wurde dadurch erreicht, daß die Ausständigen verhindert wurden, sih nach diesen

abrikenzu begeben und dort einen Druck auszuüben. Von größeren

abriken ist die Metallfabrik Hübner heute vom Streik be- troffen worden ; in den Drudckereien herrscht Unruhe, in einigen davon wurde die Arbeit niedergelegt. Die ausftändigen Arbeiter gingen truppweise durch die Straßen, doh kam es, außer in der Pjatnizkajastraße, nicht zu Zusammen- stößen mit den Truppen. Eine Versammlung von

abrikanten beschloß, an die Regierung ein Telegramm zu enden, in dem es heißt, die zur Beratung der gegenwärtigen Lage oersammelten Vertreter der Moskauer Jndustrie bâten, daß die Truppen nicht die Waffen gegen die Arbeiter an- wendeten, solange leßtere niht Gewalttätigkeiten verübten oder plünderten.

Eine Gruppe von Rechtsanwälten stellte bei Gericht den Antrag, die Sizung wegen nicht genügender Ruhe abzubrechen. Der Antrag wurde abgelehnt. -

Heute früh sind, dem „W. T. B.“ zufolge, die Straßen ruhig. Die Zeitungen sind bis auf drei erschienen.

An den Straßenecken von Moskau ist heute eine Kund- gebung des Stadthauptmanns angeschlagen, die besagt :

Unter dem Einfluß von Drohungen Uebelgesinnter sei ein Aus- stand ausgebrochen, daher erahte der Stadthauptmann es für feine Pflicht, die Arbeiterbevölkerung davon in Kenntnis zu seyen, daß zu ihrem Schutze gegen die Agitatoren entshiedene Maßnahmen getroffen seten. Die Arbeiter, die die Arbeit aufnehmen wollten, könnten das ohne Gefahr für ihre Sigherheit tun.

Jn den Werkstätten der Kursker, Brester, Moskau- Kasanbahn isst die Arbeit eingestellt. Die Wasserleitung, die cleftrishe Station und die Gasanstalt werden dur Polizei und Militär bewaht. Der Versu einer starken Arbeitergruppe, den Betrieb der Gasanstalt zu stören, wurde

vereitelt.

Vierzehn Mitglieder des Semstwo des Gouvernements Simbirsk haben, nah einer Meldung des „W. T. B.“, folgende Resolution gefaßt:

Während unseres ganzen Lebens waren wir gezwungen, Still- \chweigen zu beobahten und nit zu sprechen. In allen unseren neuen Gedanken sahen die Behörden rote Gespenster, die die Grundlagen des Staats zu zerstören drohten. Vierzig Jahre lang haben wir bestätigt, daß alles gut sei; dermaßen sind wir an den Gedanken gewöhnt, daß jede andere Aeußerung ein Staats- verbrehen sein würde. Diese Haltung des zum Sklaven erniedrigten

Volkes hat Rußland eine Krisis gebraht. Aus dieser kann man nitt

dur palliative halbe Maßnahmen herausgelangen. Rußland ift auf A zum vollständigen Untergang; die Gefahr für das Vater- land ist ungeheuer, nit allein von seiten der auswärtigen Feinde, mit denen wir jeßt im Kampfe liegen, sondern auch seitens der inneren einde, gegen die die Bureaukratie so lange in dem Vaterlande chädliher Weise gekämpft hat. Die Gefahr liegt in dem durch die Bureaukratie geschaffenen Darniederliegen der allgemeinen Entwicke- lung: Die ru)sishe Nation is künstlih in ihrer natürlihen Ent- wickelung aufgehalten. Jeder Organismus gerät dem Tode nahe, wenn das Leben sich nicht mehr regen kann; auch das Dar- niederliegen des Landes bringt eine unentrinnbare Gefahr herbei. Vertreter der Semstwo haben Gelegenheit erhalten, ehrlih und fcei über die Mißstände in Rußland zu sprechen, die Bureaukraten haben jedoch Maßnahmen ergziffen, um diese Möglichkeit auszuschließen. Der Präsident des Simbirsker Semstwo hat beantragt, eine Adresse abzusenden, gegen die inneren Feinde an- zukämpfen, was niht zur Zuständigkeit der Semstwos gehört und hat in keiner Weise von den Mißständen in Rußland gesprohen. Unsere Pflicht gegenüber dem Vaterlande und dem Throne zwingt uns, dieser Adresse unsere Zustimmung zu versagen und zu erklären, was uns das Gewissen heißt; der Präsident läßt dies jedo niht zu. Es ift verbrecherisch, die Augen gegenüber der das Land bedrohenden Gefahr zu vershließen. Nur gewählte freie Vertreter würden Rußland aus der gegenwärtigen Lage befreien können. Diese Vertreter müßten stets an der Geseßgebung, der Budgetgebahrung und der Kontrolle über die Behörden teilnehmen; fie würden Rußland und seinem Kaiser eine neue friedliche und ruhmrei@e Bahn weisen.

Das Semstwo von Taurien hat, wie „W. T. B.“ berichtet, folgende einstimmig angenommene Adresse an den Kaiser gesandt:

Majestät! Das Semstwo von Taurien beglückwünscht Eure Majestät und die Kaiserin zur Geburt des Thronfolgers; er ist in einem \hrecklihen Jahre eines grausamen und blutigen Krieges und einem Fahre {chwerer Unruhen im Innern - geboren. Daß der Friede im Innern Rußlands und an seinen Grenzen kommen möge, das sind die besten io die alle russishen Untertanen für den Thronfolger aus\prechen können. Der Ukas Eurer Majestät vom 25. Dezember gibt uns die Hoffnnung auf den inneren Frieden, der überall auf der Sicherheit des Gesezes, der Gleichheit aller Bürger, der Freiheit des Gewissens und der Religion, der Freiheit des Wortes, der Presse, der Vereine und Versammlungen beruht. Majestät! Wir sind überzeugt, daß die Durchführung Ihrer Absichten und Ihre Unverleßzlihkeit nur möglich sind, wenn freigewählte Vertreter an der Selettadena teilnehmen. Wir glauben aufrichtig, daß die Einheit des Staates und der Nation ein Unterpfand für die mahtvolle Ent- widelung der produktiven Kräfte des Landes gibt. Wenn Sie Ver- treter der Nation berufen, um an der Gesetzgebung, der Budget- aufstellung, der Kontrole über die Behörden und der Ueberwachung der Durchführung der Geseße und der Absichten Euerer Majestät teil- zunehmen, werden Sie aus Rußland eine Macht schaffen, unbesiegbar nah gußen und im Innern blühend unter dem Lichte des Rechts und der Wahrheit.

Jn Saratow sind gestern, wie „W. T. B.“ erfährt, die Arbeiter in den Werkstätten der Eisenbahn in den Ausstand getreten. Der Gouverneur hat jede Ansammlung in den Straßen verboten und gegebenenfalls das Eingreifen der bewaffneten Macht angekündigt. | :

Der allgemeine Ausstand is gestern in Riga proflamiert worden. Alle Arbeiter haben sih mit denen in Petersburg solidarisch erklärt. Die zu den Fahnen ein- berufenen Soldaten zertrümmerten Scheiben und Laternen, die Os machte von der Waffe Gebrauh und zerstreute die

uhestörer. Nach allen Richtungen sind Patrouillen entsandt.

Jn Reval herrscht, wie die „St. Petersburger Telegr.- Agentur“ meldet, ein allgemeiner Ausstand. Gestern abend zog eine große Anzahl ausständiger Arbeiter vor das Haus des Gous- verneurs. Auf die Worte, die der Gouverneur an sie richtete, beruhigte sih die Menge. Es wurden darauf Vertreter der ver- schiedenen Gruppen gewählt, um dem Gouverneur die Wünsche der Arbeiterschaft vorzutragen; diese gehen auf Lohnerhöhung, Achtstundentag und Teilnahme der Arbeiter an der Aeg bung der Arbeit. Jm Bureau des Gouverneurs versammelten, si ) gleichzeitig die Direktoren und Betriebsführer der Fabriken;

ie Besprechungen zeitigten befriedigende Ergebnisse.

Spanien.

Schweiz.

Am 24. und 25. d. M. tagte in Rorshach die internationale Rheinregulierungskommission, um über das von der \hweizerischen Regierung im Einvernehmen mit der österreichish-ungarishen Regierung der Kommission zur Antragstellung Überwiesene Sachverständigengutachten, be- treffend denDiepoldsauerRheindurchsti ch, zu beraten. Dem Gutachten zufolge ift, wie „W. T. B.“ meldet, die baldige energische N des Durchstihs geboten, dessen

Kosten die Sachverständigen auf 15100000 eventuell 16 130 000 Fr. veranschlagt haben. Der Kommissionsantrag soll beiden Regierungen vorgelegt werden.

Y Türkei.

Die Untersuhungskommisson, die nah Dshum- bala entsandt worden war, hat, wie „W. T. B.“ erfährt, konstatiert, daß tatsächlich von türkischen Truppen bei der Vornahme von Hausuntersuchungen Mißhandlungen von bulgarishen Örtsinsassen begangen worden seien. Die ursprünglich darüber verbreiteten Nachrichten hätten si jedo als sehr übertrieben erwiesen, insbesondere sei unwahr, daß ein Teil der christlihen Bevölkerung infolge dieser Norglnge nach Bulgarien geflüchtet sei. Die huldigen Offiziere sollten vor ein Kriegsgericht gestellt oder verseßt werden.

Wie das Wiener „Telegr.-Korresp.-Bureau“ erfährt, hat der Generalinspektor Hilmi Pascha eine strenge Be- r: des Sees von Jenidshe-Vardar im Wilajet Saloniki angeordnet, um die in diesem Gebiete hausenden Banden in Schah zu halten. : : :

Der „Frankfurter Zeitung“ wird aus Konstantinopel gemeldet, daß die Aktion gegen die Ausfständishen in der Frein Yemen tägli einen ernsteren Charakter annehme.

ußer neuen Verstärkungen seien in den leßten Tagen 42 ‘aan von Konstantinopel nach Yemen beordert worden.

Schweden und Norwegen.

Wie dem „W. T. B.“ aus Stockholm gemeldet wird, sind am 24. d. M. infolge der Erlaubnis des Kaisers von Rußland, daß die ausgewiesenen Finnländer in ihre Heimat zurückehren könnten, mehrere in Stockholm wohnende Finn- länder nah Finnland zurückgekehrt, darunter Graf Creuß und Advokat Castren. j

Asien.

Der General Ssacharow meldet dem Generalstabe unter dem 24. Januar: z A

In der vorhergehenden Naht machten russishe Freiwillige eine Rekognoëzierung südlich von Schanlantoy und trieben die japa- nishen Vorposten zurück, wobei zwei Fähnriche getôötet und mehrere Soldaten getötet oder verwundet wurden. Um Mitternaht am 23. Januar warf ein kleines Detachement in einem {nellen Angriff die Japaner aus einer Lünette \üdöstlich von Sakepou; es wurde ein Soldat verwundet. Während der Nacht versuchten die Japaner zweimal, die Lünette wieder zu nehmen, aber ohne Erfolg. :

Das japanische Marinedepartement hat, wie das „Reutershe Bureau“ berichtet, die Bildung eines Ge- \chwaders für einen Spezialdienst angeordnet. Einzel- heiten sind nicht angegeben worden.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Sqchlußberichte über die gestrigen Sißungen des Neichstags und des So der Abgeordneten befinden sih in der Ersten und Zweiten Beilage.

Jn der heutigen (128.) Sißung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner, der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Dr. Freiherr von Richthofen und der Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke beiwohnten, nahm vor Eintritt in die Tagesordnung zunächst das Wort der

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky - Wehner: Meine Herren! Auf die Inter- pellation des Abg. von Normann, betreffend den Abschlu des deuts{-ôsterreihischen Handels»ertrages, habe ich erklärt, i würde die Interpellation im Laufe dieser Woche beantworten. Inzwischen hat sih die Sachlage dadurh geändert, daß gestern abend der deutsch- österreihishe Handelsvertrag von den Bevollmächtigten der beiden verhandelnden Mächte unterschrieben ist. Ich darf an- nehmen, daß der Bundeêërat seine Beratungen über die sieben Handelsverträge so beschleunigen wird, daß dieselben am 1. Februar dem hohen Hause zugehen werden. Bei dieser Gelegenheit werden auch alle die Fragen, die sich auf unsere Handelsvertragspolitik be- ziehen, wahrscheinli Gegenstand der Erörterung sein. Ich darf hier- nach annehmen, daß die Interpellation von Normann vorläufig erledigt ift.

Darauf wird die zweite Lesung des Reichs haushalts- etats für 1905, bei dem Etat der Neichspost- und Tele- graphenverwaltung, und zwar bei dem Titel „Gehalt des Staatssekretärs“, in Verbindung mit den Anträgen Hitze und Gröber-Eickhoff forigesegt.

Abg. Dove (fr. Vgg): Der Abg. Erzberger hat gestern der Postverwaltung ein hohes Lob gespendet. Ich will dieses meinerseits niht \{chmälern, werngleich man weiß, daß das Bewußtsein, in der besten der Welten zu leben, nur zu oft das Ruhebett für alle noch so notwendigen Reformen abgeben muß. So war es in der leßten Zeit unter dem Staatssekretär von Stephan. Im ganzen will es mir seinen, als ob die Verwaltung anderswo, z. B. in der Schweiz, mit etwas weniger Bureaukratie auskommt und dabei dasselbe leistet wie bei uns. Welche Umsländlichkeit bringen bei uns die Vorschriften über die äußere Form der Briefe und Pakete mit \sich! Es ließe

ch nah der wirtshaftlihen wie nah der sozialpolitishen Seite noch manches tun, um aus der deutshen Post einen Musterbetrieb im höchsten Sinne des Wortes zu machen. Die Sozialpolitik soll man nit bloß soweit treiben, wie das aktive Wahlrecht nt: Die Sozial- politik des Herrn Böôöckler wenigstens Hört beim allgemeinen Wahlreck(t auf, sie will von der Berücksichtigung des Frauenelements nihts wissen. Es muß befremden, daß Mete erren Klagen führen über die zu hohen Bezüge der weiblichen Angestellten; die Damen werden für ihren höchst anstrengenden Dienst wahrlich niht überreich bezahlt. Der Resolution Hize wegen Er- mäßigung der Telephongebühren für die Arbeitsnahweise timme ih zu, ebenso der Resolution Gröber bezüglih der tatistishen Erhebungen und der Verkürzung der Arbeitszeit. Nicht aber kann ih zustimmen der ersten Forderung dieser Resolution, welche die weitere Einschränkung des Sonntagsbestelldienstes und der Dun an den Vorabenden der Sonn- und Festtage wünscht.

er Kollege Erzberger scheint sich stets in der Vermögenslage befunden zu haben, daß es ihm auf einen Tag Verlust bei der

liegt niht immer \{chlechthin eine Bummelei vor. Will man hier den Unsch{uldigen niht mit dem Schuldigen leiden lassen, so muß ein anderes Auskunftsmittel gefunden werden; mit der Heraufrückung der Zeit der Auflieferung wird nicht geholfen. Der Erlaß vom 13. August 1904 gibt selbst den rihtigen Fingerzeig: Soweit die Abhilfe nicht auf anderem Wege geht, muß das Personal vermehrt werden. Schon die Rücksiht auf die internationalen Verbindungen läßt es nicht zu, daß einfah die Dauer des Schalterdienstes verkürzt wird. Das Material, das Herr von Chlapowo-Chlapowski auf den Tisch des Hauses niederaelegt hat, unterstützt seine Behauptungen doch nur in bedingtem Umfang. Wenn auf einer Adresse zwei Namen stehen, deren Beziehung zu einander durch eine polnishe Angabe erläutert ist, so muß ein solhec Brief zur Uebersetzungsstelle; andererseits ist bei Eilbriefen jede vermeidbare Verzögerung vom Uebel. Merk- würdig berührt, daß \sich auf diesen polnischen Adressen eine Art Titelsuht bemerkbar maht. In dieser Beziehung würde die Post einen Kulturfortshritt machen belfen, der uns bedeutend von China entfernt, wenn fie darauf hinwirkte, daß auch bei den deutschen Briefs aufschriften in den Titulaturen eine Beschränkung einträte.

Bei Schluß des Blattes spricht der Redner weiter.

Das Haus der Abge ardnete4 seßte in der heutigen (126.) Sitzung, welher der Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski beiwohnte, die zweite Beratung des Staats- haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1905, und zwar unächst die Besprehung des Etats der landwirtschaftlichen Meewatinna bei den einmaligen und außerordent- lihen Ausgaben fort. 2A i

Zur Förderung der Land- und Forstwirtshaft in den west- lichen Provinzen (als sogenannter Westfond s) sind 745 000 Æ, d. f. 110000 / mehr als im Vorjahre, zur Förderung der Land- und Forstwirtshaft in den östlihen Provinzen (als Ostfonds) 1120000 M, d. f. 200000 M mehr als im Vor- jahre, ues E

Abg. Tourneau (Zentr.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß der Westfonds erhöht ist; aber auch diese Mittel reichten bei der Notlage der Landwirtschaft noch nicht aus. Namentlich sei die Provinz Sachsen, die in einzelnen Teilen, wie dem Eichsfeld, gleihfalls bedürftig sei, niht genügend bedacht. Die Provinzialver- waltung habe eine weitere Erhöhung ihres Meliorationsfonds ablehnen müssen, um nit die Provinzialsteuern zu erhöhen

Nbg. Dr. von Savigny (Zentr.): Der Westfonds stammt aus einer Zeit, in der die Notlage der Landwirtschaft nur in einzelnen Teilen unseres Vaterlandes bestand; seitdem hat sh die Notlage unter der Herrschaft der Handelsverträge verallgemeinert und ver- {härft. Darum müssen wir bessere Handelsverträge wünschen. Aller- dings wird sich die Notlage auch dann noch fortsetzen, weil sie nur allmählich zurückgedrängt werden kann. Deshalb genügt dieser Fonds noch nicht. Man hbâtte dafür sorgen sollen, daß der deutsh- österreihisch-ungarishe Handelsvertrag, auf dessen Abs{chluß wir fo lange haben warten müssen, sofort in beiden Ländern veröffentlicht worden wäre, damit die Landwirtschaft endlich weiß, woran sie ist. Allerdings hat der Westfonds diesmal eine Erhöhung erfahren, aber das ift doch nur die Einlösung eines im vorigen Jahre gegebenen Versprehens. Schon damals hätte der Fonds erhöht werden müssen. Bei der vorjährigen Etatsberatung haben meine Freunde den Antrag gestellt, [eistun®#hwahen Gemeinden Beihilfen zur Wafserbeshaffung zu gewähren. Dieser Antrag liegt zur Zeit noch in der Koinmission. Der Redner tritt namentlich für die bessere Unterstüßung der Rheinprovinz, besonders der Eifel, ein. Gegenüber der Tatsache, daß vom Landtage Hunderte von Millionen für die wasserwirtschaftliße Vorlage verlangt werden, würden es diese ländlichen Distrikte sehr \{merzlich empfinden,“ wenn ihnen kein Aus- gleich geboten würde für die Vorteile, die anderen Landesteilen durch jene Vorlage zuteil werden sollen. E /

Abg. Busch (Zentr.) bedauert, daß der Rheinishe Bauernbverein weder von der Landwirtschaftskammer, noch von dem Minister eine Unterstüßung erhalten habe. Der Rheinishe Bauernverein hätte für ein Bauamt und für eine Versuhs\tation eine Staatsbeihilfe wohl verdient, und es sei zu hoffen, daß der Minister einem erneuten An- suchen entsprehen werde. i : /

Abg. Dr. Becker (Zentr.) bittet die Regierung, namentli den kleinbäuerlihen Besiß der Rheinprovinz aus dem Westfonds zu bedenken.

Abg. von Strombeck (Zentr.) beschwert sich über diéparitäs tishe Behandlung des Oftens und des Westens bei Bereitstellung des Ost- und des Westfonds.

Hierauf nimmt der Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski das Wort. An der weiteren Debatte be- teiligen sih bis zum Schluß des Blattes außer dem Minister noh die Abgg. von Oldenburg (kons.), Baensh-Schmid t- lein (freikons.) und Geisler (Zentr.).

Nr. 4 der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts“ vom 25. Januar 1905 hat folgenden Inhalt : Personalnachrihten. Gesundheitsstand und Gang der Volkskrank- heiten. Zeitweilige Maßregeln gegen Fe Desgl. gegen Cholera. Erkrankungen 2c. im englishen Heere, 1902. Geseßz- gebung usw. (Deutsches Reich.) Leichenbeförderung auf dem Seewege. (Preußen.) Nahrungsmittelhemiker. (Neg -Bez. Trier.) Typhu®- erkrankungen. (Hessen.) Reisekosten der Vertreter von Kreisveterinär- ärzten. (Ungarn.) Apothekertarif. (Italien.) Gewerbekrankheiten. (Schweiz, Kant. Thurgau.) Brunnen- und Wasserkontrolle. (Belgien.) Anjpannen von Hunden. (Rußland.) Süßstoffe. Gifte 2c. (Cuba.) Oleomargarin. Tierseuchen im Deutschen Reich, 15. Januar. Desgl. in Ungarn, 4. Vierteljahr 1904. Desul. in Frankrei, 3. Vierteljahr 1904. Desgl. in Bulgarien. Rinderpest in Aegypten. Küstznfieber in British-Südafrika. Zeit- weilige Maßregeln gegen Tierseuchen. (Deutsches Reih.) Vermischtes. (Deutsches Reih) Schlachtviehversicherungsanstalten. (Preußen.) Oberschlesisher Knappschaftsverein, 1901. Epidemishe Genikstarre,

1903. (Ungarn.) FIrrenanstalten, 1903. (Großbritannien.) Nahrungsmittelkontrolle, 1903. (England und Wales.) Sterblich- feit 2c, 1902. (Niederlande. Rotterdam.) Nahrungsmittel-

fontrolle, 1903. Geschenkliste. Wochentabelle über die Sterbes- fälle in deutshen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Kranken- häusern deutsher Großstädte. Desgl. in deutshen Stadt- und Landbezirken. Witterung. Beilage: Gerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitépflege (Kurpfu|her, Kur-

pfuscherei).

Kunst und Wissenschaft.

v. A. Im Hohenzollern-Gewerbehaus stellt Paul Brück neben einer Anzahl von Gemälden und Lithographien die Originale zu seinem großen graphishen Werk „Symphonie“, das im Groteschen Verlag erschienen ist, aus. Von Klinger und augen- heinlih auch von Sascha Schneider in seinem Ideenkreise und seiner Ausdruckêweise beeinflußt, gelingt es Paul Brück do, eigenes herauszuarbeiten und einen besonderen Klang zu finden, der ihm allein gehört. Der Grundgedanke der „Symphonie“ is ein faustisher, er zeigt uns einen Menschen, der durch alle Tiefen des Lebens hindur{hge t und sih {ließlich aus aller Verzweiflung und Verlorenbeit dennoch in eine cuavens des Lebens rettet und es wagt, ih troß alles Dunkels in das de e zu stellen und dies zu genießen. Dem gewaltigen Stoff ist der Künstler

Der Ministerrat hat, dem „W. T. B.“ zufolge die sofortige Einberufung der Cortes beschlossen.

Ankunft einer U niht ankam, aber nicht alle find in derselben günstigen Lage. Auch bei der Paketauflieferung

nicht ganz gewachsen. Besonders da, wo er die Mächte der Finsternis,