1905 / 42 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Feb 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Kostenaufwand von vier Fünfteln dauernd der Staatskasse zur Last fallen wird.

Was nun aber die Provinz Schlesien im allgemeinen be- trifft, so möchte ih dem Herrn Oberbürgermeister gegenüber erwähnen, daß das Prinzip, daß der Staat vier Fünftel der Kosten übernimmt, niht nur im vorliegenden Geseß zu Gunsten der Provinz Schlesien festgeseßt worden ijt, sondern bereits bei dem Gese) wegen der \chlesishen Nebenflüsse vorgesehen war, daß von den Kosten, die mit 40 Millionen berehnet sind, der Staat vier Fünftel, also 32 Millionen, übernimmt.

Gs if fkürzlih das Geseg verabschiedet worden be- trefffs der unteren Oder, durch welches der Staat etwa mit annähernd 38 Millionen belastet worden ist. Wenn man

berehnet, daß das vorliegende Gesey den Staat vor einen Aufwand von 40 Millionen stellt, so ergibt \sih, daß im Laufe der Fahre niht weniger als 110 Millionen für das Odergebiet und hier- von der größte Teil im Interesse der Provinz Schlesien aufgewendet worden find bezw. aufgewendet werden.

Dann hat der Herr Oberbürgermeister alle Details besprochen, die das Projekt um Breslau betreffen. Ich kann nur sagen, daß der Herr Oberbürgermeister dabei von dem Prinzip ausgegangen ist : ih fenne die Gründe der Regierung nicht, aber ih mißbillige sie. (Heiterkeit.)

Es steht noch nicht fest, welches Projekt zur Ausführung kommen soll, es steht noch niht fest, welche Beiträge die Stadt Breslau zu Leisten haben wird, ob die Stadt oder andere Interessenten oder ob der Staat zur Ausführung schreiten wird und wie hoh der

Beitrag der Stadt Breslau zu bemessen sein wird. In der Vorlage waren allerdings die Beiträge der Stadt Breslau und der sonstigen Interessenten auf 3,2 Millionen fixiert.

Non wem aber war der Vorshlag ausgegangen? Nicht etwa von dem Finanzminister, dem der Herr Oberbürgermeisler alles Schlechte zutraut, sontern von dem der Stadt Breslau sehr günstig gesinnten Herrn Oberpräsidenten der Provinz Schlesien. Er hatte, um alle künftigen Streitigkeiten über die Beitragsverhältnisse zu vermeiden, \{ließlich seinerseits vorgeschlagen, diese Summe in das Gesetz hinein- zunehmen; es war dies also ein Vorschlag zu Gunsten der Stadt Breslau, nicht etwa zu Ungunsten der Stadt. Wir haben die Summe auf Wunsch der Stadt gestrichen, ob sie aber naher nicht vielleicht höher herangezogen werden wird, das steht sehr dahin.

Also ih kann nur davon ausgehen, daß die Vorlage der Staats- regierung nach meiner Ueberzeugung nur eine wohlwollende Beurteilung verdient. Ih muß allerdings noch auf einen Punkt ein, gehen. Zu den Bemängelungen des Herrn Oberbürgermeisters gehört es auc, daß in der Vorlage die angemessene Heranziehung der Kotpo- rationen, also auch der Städte, vorgesehen ist. Nun, meine Herren, das ist vollkommen den biéherigen Grundsäßen und Gepflogenheiten entsprehend geshehen. Wenn, wie wir das jedes Jahr von Breslau aus gehört haben, die Uebershwemmungsshäden eine Kalamität ersten Ranges für die Stadt Breslau darstellen, wenn dadurch shwere sanitäre und wirtschaftliche Nachteile für die Stadt und ihre Bewohner herauf- beschworen werden, so ist es nur billig, daß die Stadt einen Beitrag zu der Abstellung dieser Schäden zahlt, und däs ift in der Vorlage vorgesehen; und da meine ih nuù, ift es doch richtiger, daß die Stadt und andere leistungsfähige Interessenten einen Beitrag zahlen, als daß der kleine Kofsät in Pommern oder der kleine Kapusbauer in der Rheinprovinz diesen Beitrag zahlen, und darauf würde es do fonst hinautkommen.

Der Herr Oberbürgermeister hat dann von dem Kommunismus der Gemeinden gesprohen. Ih meine, daß dieser Kommuniëmus allerdings bestehen muß, derart, daß alle für einen und einer für alle eintreten, und wenn so erbeblihe Interessen wie hier auf dem Spiele stehen, würde ih es für einen falshen Standpunkt halten, wenn die Stadt Breslau \ih diesem gesunden Kommunismus entziehen wollte, weil sie einen Beitrag leisten muß.

Ueber die Details der Vorlage will ih niht \sprehen. Jch habe mich nur für verpflihtet gehalten nachzuweisen, wie weitgehend und ganz abweihend von dem früheren Maßstabe die Staats- gierung si bereit erklärt hat, Staatsmittel für diesen Zweck her- zugeben, und deshalb meine ih, daß die grundsäßlihe Bemängelung seitens des Vertreters der Stadt Breslau eine gerehtfertigte niht war. (Lebhaftes Bravo.)

Oberbürgermeister Dr. Be nder : Sie rufen Bravo! und machen mir dadur zum Vorwurf, daß ih Unzutreffendes ausgeführt hätte. Es ist zunächst unrichtig, daß ih die Vorlage ablehne ; ih habe kein Wort davon gesprochen, sondern nur gesagt, sie enthalte Bestimmungen, die erhebliche Beanstandungen hervorrufen müßten. Das Geseß zu den pommerschen Kossäten oder zu den rheinischen Vauern in Vergleich zu stellen, ist ganz unangebraht. Der Staat zieht doch aus Schlesien Folossale Einnahmen. Wenn der Finanzminister den Glauben erzeugen will, als ob wir uns in Breslau gegen wohlerwogene {taatlihe Pläne sträubten, so weise ih demgegenüber auf die ganz außerordentlihen Summen hin, welhe Breslau seit meiner Amts- führung, also seit 15 Jahren, zu öffentlihen Meliorationen, zu öffent- lihen Bauten und sonstigen staatlihen Ausgaben gezahlt hat und die mindestens 15 Millionen betragen. (Der Präsident ersuht den Redner, ih nit zu weit vom Thema zu entfernen.) Bezüglich der staatérehtlihen Lage der Angelegenheit, insbesondere binsihtlich der endgültigen Entscheidung muß ih bei meinen vorherigen Ausführungen stehen bleiben. Wenn wir noch das absolute Regiment hätten, und der König nah seinem Ermessen verfahren könnte, ih bin überzeugt, diese Vorlage wäre niht gekommen.

Damit {ließt die Generaldiskussion.

Freiherr von Manteuffel beantragt, die Vorlage an die Kommission zurückzuverweisen. Die Ausführungen des Herrn Dr. Bender bedürften der Prüfung; außerdem sei bei einem großen Teile der Mitglieder der Wunsch vorhanden, den § 9 unverändert zu lassen; endlich seien noch neue Anträge gestellt worden. Die Kommission solle am Freitag möglihst bald nah Sonnenaufgang zusammentreten und sih so beeilen, daß noch in der nächsten Plenarsizung der Ent- wurf erledigt werden könne.

Graf von S {lieben bält die Zurückvoerweisung nur unter der Voraussezung für zweckmäßig, daß sriftliher Bericht erstattet wird.

Oberbürgermeister Becker schließt sh dem Antrage von Man- teuffel an, desgleichen Fürst von Haßfeldt, der keinen Schaden darin sieht, wenn die Vorlage erst im Véärz Geseß wird.

Nach kurzer Debatte wird der Antrag auf Zurückver- weisung fast einstimmig angenommen.

Es folgt die allgemeine Diskussion über den Entwurf eines Gejeßes, betreffend die Herstellung und den Aus-

Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Graf von Bülow:

Meine Herren! Wenn ich das Wort zu Beginn Jhrer Verhandlungen ergreife, so bilde ich mir niht ein, über die widhtige Vorlage, die uns jeßt beshäftigt, viel Neues sagen zu können. Dazu würde kaum jemand imstande sein, nachdem der Gesetzentwurf in dem anderen Hause des Landtags seit Fahren von allen Seiten beleuhtet und durhleuhtet worden ist. Aber ih möchte, bevor die endgültige Entscheidung über die Kanal- vorlage fällt, in aller Kürze und ganz sahlich die folgenden Gesichtspunkte hervorheben.

Es ist seit meinem Amtsantritt mein Bestreben gewesen, die Kanalfrage auf dasjenige Gebiet zurückzuführen und zu beschränken, dem sie ihrer Natur nah angehört : auf das Gebiet der tehnischen, wirtshaftlihen und sahlichen Erörterungen. Dadurch wird der {wer zu übershäßenden Wichtigkeit der Frage kein Eintrag getan. Es handelt sch um eine grundlegende Frage des Verkehrs, um die Frage der besten Ausnußung eines von der Natur uns geshenkten Gutes, die Verbesserung der Transportmöglich-

keiten, der Landesmeliorationen usw. Ueber all diese Fragen fann man verschiedener Meinung sein. Man kann darüber streiten, ob es richtiger ist, Kanäle zu bauen oder Schlepp-

bahnen, ob die Verbilligung der Transportkosten in dem an- gestrebten Grade eintreten wird, ob die wirtschaftliche Annäherung der verschiedenen Landesteile in dem gewünshten Maße erreichbar ist, ob die für die Kanalbauten gewählte Trace die richtige ift, ob die Landwirtschaft aus der Regulierung der Wasserläufe die erhofften Vorteile ziehen wird. Alle diese Fragen müssen sih nah den besseren \ahlihen Gründen entscheiden, und diese sind nach meiner festen Ueberzeugung und nach der Ueberzeugurg der Mehrheit des Ab- geordnetenhauses für die Vorlage der Königlichen Staatsregierung. Aber man kann diese Frage behandeln, ohne eine Partei- angelegenheit daraus zu machen, man kann nach einer Verständigung \fuhen, ohnèë politishen Ueberzeugungen oder Grundsäßen das mindeste zu vergeben. Ich rechne es der Königlichen Staatsregierung und ih rene es mir selbst zum Verdienste an, daß ih diese wirtshaftlihen Gesichtspunkte der Vorlage wieder in den Vordergrund geshoben habe. Ich habe mich auch nihcht davor gefürchtet, mich in anscheinenden Widerspruch mit früheren Er- klärungen zu verseßen. Und wenn man mir deshalb hier und da zu grollen schien, so getröstete ih mich des alten Spruches: vir jàp toaow dow rdéov Huwou nzavróc, zu deuts: „Die Hälfte ift mehr als das Ganze.“ Gewiß, meine Herren, nur ungern, nur hôchst ungern hat die Königliche Staatsregierung si ents{hlofsen, ein Stück, ein großes Stück des ursprünglihen, nah Lage der Ver- hältnisse als zu weit reihend erkannten Plans zu opfern, um den übrigen Teil des Programms zu verwirklihen; aber die Königliche Staats- regierung glaubte, den Verhältnissen wie der Auffassung der preußischen Volksvertretung Rechnung tragen zu sollen. Aus dieser Erwägung und in der Ueberzeugung, daß cs ihre Pflicht sei, zunächst da helfend ein- zugreifen, wo die größten Schäden hervorgetreten find, hat si die Königliche Staatsregierung auch bereit finden lafsen, das gesamte roasserwirtshaftlihe Prögräinm in eine Reihe einzelner Vorlagen zu zerlegen und damit die Verquikung von Arbeiten und Projekten, die nah Snhalt, Anlaß, Art und Tempo \{hwer zusammen paßten, zu beseitigen. Auf der anderen Seite kann ih mit Genugtuung konstatieren, daß die {weren Kämvfe früherer Jahre mit ihrer Verbitterung diesmal dem Hause der Abgeordneten ganz fern gehalten worden sind, daß man \ich sehr sachlich und sehr versöhnlih auseinandergeseßt hat und auf diese Weise ¿u der dringend wünschenswerten Verständigung ge- langt ist. Alle die Gründe, meine Herren, die sahlihen Gründe, welche für die Nüßlichkeit und Notwendigkeit der Vorlagen spre{en, will ih bier meinerseits nidt nochmals wiederholen; auf fie einzugehen, darf ih den Herren Ressortministern überlassen. Aber das will ih sagen : die Meliorationsvorlagen kommen wesentlih dem Osten der Monartie zugute, auch die Wasserstraßenentwürfe dienen bis auf einen den Interessen der Landesteile rechts der Elbe. Wenn wir den Bedürfnissen des Ostens in weitgehendem Maße mit er- beblihen Kosten entgegenkommen, so würde es eine unverdiente Zurük- sezung des Westens sein, wenn wir über seine Wünsche zur Tage8- ordnung übergingen. Dem Frieden unter den vershiedenen Landes- teilen, dem Geiste der Eintraht und Zusammengehörigkeit würde damit eine {were Wunde geschlagen werden. Eine schwere Wunde auch dem Solidaritätégefühle zwischen Landwirtschaft und Industrie. In dem ersten Stadium der Kanaldebatte, das jeßt längst der Geschichte angehört, stand die Landwirtschaft ob mit Recht oder Unreht, will ih ganz unerörtert lassen unter dem Eindruck, daß dem Westen und der

Industrie ein Vorteil zugewandt werden sollte, ohne daß für den Often und für die Landwirtschaft ein gleiches geschehe.

Was ist seitdem gesehen? Im Reiche haben wir unter s{wierigen und langwierigen Kämpfen cinen Zolltarif zustande gebraht und Handelsverträge abgeschlossen, welche den Forderungen, den berechtigten Forderungen der Landwirtschaft so weit entgegenkommen, als dies im Rahmen des Gesamtwobls und in den Grenzen des tatsählich Erreich- baren nur irgendwie möglich war. In diesem Kampfe ist uns die In- dustrie treu zur Seite gestanden. In Preußen haben wir unter Auf- wendung sehr erbeblicher Mittel ein Syftem von Maßnahmen zur För- derung und wirtshaftliben Kräftigung des Oftens eingeführt unter Mitwirkung der Industrie. Endlich find die Meliorationsvorlagen für den Often ich erkenne das gern und dankbar an unter Mit- wirkung aller Parteien ohne Anstand Geseß geworden. Wenn nunmehr der Rhein-Leine-Kanal gebaut wird, so kann das au in den Augen der östlichen Landwirte nicht eine einseitige Bevorzugung der Industrie sein, sondern lediglih ein Shriit, der beweist, daß die Fürsorge des preußischen Staats allen Zweigen der erwerbstätigen Bevölkerung gleichmäßig zugute kommt. Meine Herren, ih glaube, daß niemand mehr das Recht hat, an meiner aufrihtigen Teilnahme am Wohle der Landwirt- \haft zu zweifeln. Als Freund der Landwirtschaft nehme ih aber auch das Recht in Anspruch, vor einer Uebertreibung der Tendenzen zu warnen, die das Wobl der Landwirtschaft einseitig und ohne Rücksicht auf andere Erwerbsftände verfolgen wollen. Eine solche Cinseitig- keit, ein Mangel an NRücksiht für gleihberechtigie Interessen würde es sein, wenn jeßt derjenige Teil der Vorlage verworfen werden follte, welcher den Anteil der Industrie bildet. Daraus würde ein Gegensatz hervorgehen, welher auf die dur viele Jahre zum beider- seitigen Vorteile gepflegte Solidarität beider Berufsstände und das von dem Fürsten Bismarck immer und immer wieder empfohlene

wirken und für das Gesamtwohl , für die gemeinsame Arbeit, für die Leistungsfähigkeit unseres ganzen wirtschaftlichen Systems eine ernste Gefahr bedeuten würde. Wie im Reich gerade die großen Industriellen in Rheinland und Westfalen mit Entschiedenheit für

bieten in Preußen das Solidaritätsgefühl und die politische Klug- heit, daß die Landwirtschaft die Industrie in der für diese so hoh- wihtigen Frage niht im Stiche läßt, daß die Wünsche, die von so wertvollen Zentren der nationalen Industrie seit lange und mit \steigendem Nachdruck geäußert werden, berücksichtigt werden.

Und nun, meine Herren, lassen Sie mih nur noch eins sagen: Es ist keine ganz leihte Aufgabe gewesen, die Kanalfrage als wirtschaft- lihe Angelegenheit zu isolieren. Die verschiedenen Stadien der lang- jährigen Kämpfe haben uns wiederholt über die Linie hinaus geführt, wo sich die wirtschaftlihe Diskussion vom politishen Streite trennt. Es war aus dieser Zeit an mehr als einer Stelle viel vofffene und stille Verbitterung zurückgeblieben, die end- lich beseitigt werden muß. Die Königliche Staatsregierung und zu meiner großen Freude auch das Haus der Abgeordneten haben das Jhrige getan. An Ihnen, meine Herren, ist es nun, die Schritte zurückzulegen, die uns noch vom Ziele trennen. Lassen Sie uns hoffen, daß der alte Zwist jeyt endgültig zu Grabe getragen wird. Treten Sie den Beschlüssen des Hauses der Abgeordneten bei, und Sie werden sich woblverdient mahen um alle Zweige der vaterländishen Arbeit, um alle Teile des Landes, um die wirtshaftlihe und um die politische Zukunft der Preußishen Monarchie. (Lebhaftes Bravo !)

Graf von Wartensleben: Ich war ein entshiedener Gegner der Kanalvorlage vom Rhein bis zur Elbe, weil es si dabei um ein kostspieliges Unternehmen von zweifelhaftem Nutzen handelte. Da- gegen sagte ih mir {on damals, daß, was die sonstigen mit der Kanalfrage zusammenhängenden wirts{aftlichen, finanziellen und tech- nishen Gesichtspunkte betrifft, eine jede der hervorgetretenen Ansichten mit sehr guten und einleuhtenden Gründen vertreten werden könnte und vertreten worden ist. Ein bestimmter Richtigkeitsbeweis für diese oder jene Ansicht konnte nicht geführt werden, und das liegt auch heute noch so. Der Richtigkeitsbeweis liegt in der Zukunft, die wir ja vielleicht zum kleineren oder größeren Teil noh erleben. Nun ist die heutige Sachlage eine wesentlich andere geworden. Die Staats- regierung is den Kanalgegnern dabei in einer Weise, ih möchte fagen auf mehr als halbem Wege entgegengekommen dadurch, daß sie die sogenannten Notgeseße eingebraht hat. Ich bin deshalb aus einem Kanalgegner zwar kein grundsäßlicher Freund geworden, wohl aber ein warmer Anwalt der jeßigen Vorlage. Es ist nit zu bestreiten, daß diese oder jene Verbesserung noch möglich wäre, aber es gilt auch hier der Say: Das Bessere ist des Guten Feind. Und als Neuling im parlamentarischen Leben sehe ich nit ein, ob es klug wäre, die Vorlage zwischen beid2n Häusern hin und her zu schieben. Nachdem die Frage wieder eine rein wirtschaftliche geworden ist, darf für diejenigen, die der veränderten Sachlage gemäß ihre Haltung zur Norlage geändert haben, der Anspruch erhoben werden, daß dteser Standpunkt geahtet und niht der Vorwurf erhoben wird, wie es in der Presse hon hin und wieder geschah, daß man umgefallen fei. Man könne #ich ja trôsten mit der von der anderen Seite fallenden Bemerkung, daß die Regierung vor den Agrariern kapituliere. Hier ibt es keine Sieger und Besiegten, sondern es handelt sh um eine Ver- tändigung auf verständiger Grundlage. Gegen die alte Kanalvorlage hâtte ih nah bester Ueberzeugung stimmen müssen; nah bester Ueber- zeugung trete ih für die jeßige Vorlage ein, und zwar unverändert, wie fie uns zugegangen ist aus dem anderen Haufe.

Graf von Mirbach: Die Einleitung der Ausführungen des Ministerpräsidenten - konnte nur wohltuend berühren im A zur dritten Lesung der Vorlage von 1899, bei der auëgefübrt wurde, da die Ablehnung weittragende Folgen haben würde in bezug auf das Ver- bâltnis der Konservativen zur Regierung. In einer Richtung bin ih mit diesen Ausführungen aber niht ganz einverstanden. Nicht sowohl um einen Gegensatz zwischen Landwirt|chaft und Induftrie bandelte es sich früher, dieser ift erst künstlich bineingetragen worder, sondezn um einen Gegen)aß zwischen dem wesifälishen Koblenbergbaudistrikt und dem \{lesishen. Die frühere Vorlage litt an dem Mangel einer Kompensation für Schlesien, weil der Mittellandkanal die Situation zu Gunsten der rheinisch-westfälishen Koblenindustrie vershob. Daß die obersh!esishen Karbonari sih dagegen wehren, kann man ibnen niht übel nehmen, und daß es ihnen so leiht gelang, die Vorlage ju

alle zu bringen, kann man wobl begreifen. Auch ih wünsche eine Verständigung in vollem Umfange. Das kann uns aber nit. der Pflicht entheben, eine Menge von Gesichtspunkten hier sorgsam zu erörtern. Mein engerer Landsmann Herr Bender hat Ihre Zeit so lange in Anspruch genommen , daß ih einen erbeb- lihen Teil meiner Notizzettel in der Versenkung vershwinden lassen muß. Die Kanalvorlage von 1899 iît auch nahezu in einer Versenkung verschwunden; der Grundgedanke, die Notwendigkeit der Verbindung uaserer natürlichen Wasserstraßen von der russischen bis zur bolländishen Grenze, ist fort. Gemeinsam baben die beiden Vorlagen nur das vollständige Ignorieren der Interessen der tausend Quadratmeilen rechts der Weichsel. Sie dürften \fich also nit wundern, daß die Vertreter der Gegend, welhe der Masurishe Kanal berühren soll, ich sehr scharf auêgesprochen haben wegen der Ver- nachlässigung dadurch, daß dieser Kanal auh jeßt vollkommen fehlt. Das Projekt des Masurishen Kanals hat gerade in meiner engeren Heiwat sehr starke Wandlung erfahren. 1877 ftellte der Oberbürgermeister von Königeberg Kieschke jeden Nuyen des Kanals für die Kaufmannschaft in Abrede; heute tritt Königs- berg warm für den Kanal ein. Nach meiner Kenntnis liegt die Sache so: er würde dem Forstfiékus sehr zu statten kommen, durch den Export nach Königsberg, und den Adjazenten die Möglichkeit zu erheblichen Meliorationen, ramentlich Wiesenmeliorationen gewähren. Es nürde mir von großem Werte sein, eine autoritative Aeußerung der Regierung zu hören. Der Wasserspiegel der großen Seen darf niht erbeblih gesenkt werden, er muß um etwa è m zurückbleiben gegenüber dem gegenwärtigen Stande. Schon von Natur sinkt der Wasserspiegel der Seen allmählich, und zwar zum Teil in bedenklicher Weise. Eine zweite Vorbedingung für den Ausbau des Kanals wäre, daß bei den Ausführungsarbeiten auf auswärtige Arbeiter und unter keinen Umständen auf die einheimischen Arbeiter zurückgegriffen wird. Eine Wasserstraße von der Weichsel bis in das Seengebiet hinein würde für uns außerordentlih be- deutungêvoll fein für den Export von Holz, Steinen, Getreide und für die Einfuhr von Koblen, künstlihen Düngemitteln, Kalk und vielleidt auch von sehr \{chweren Maschinen. Wenn die Regierung an die Kanalisierung der Mosel und Saar herangeht, wird fie hoffentlih auch den fernen Often nicht vergessen. Der Eisenbahn- minister fônnte doch auch gleich Kompensationen für die ärmften Landeéteile eintreten lafsen auf dem Gebiete der Tarife, auf dem Gebiete neuer Bahnrecbindungen und durch den Erlaß der freien Hergabe des Grund und Bodens für diese neuen Bahnen. In der Borlage, wie sie jet aus den Beshlüfsen des anderen Hauses an uns gefommen ift, sind die leitenden Prinzipien der früheren faft gar nicht mehr vorhanden. Wir haben jeyt das s\taatlihe SWlepp- monopol, wir haben die Dn füc die Schiffahrt auf den regu- lierten Strômen; diese Abgaben werden hoffentlih sehr umfangreich werden und einen Ersatz bieten für den Ausfall, den die Staats- bahnen erleiden. Gegen die Aufwendungen für Kanäle in der Mitte des Staates wird das Herrenhaus keine Einwendungen haben. Ganz anders aber liegt die Frage in betreff der Viertelmilliarde, welche im Interesse der Kohlenindustrie von Nheinland und Westfalen qus- gegeben werden soll. Ich persönli meine, daß bei Einführun des

an e d a t

bau von Wasserstraßen (Kanalvorla ge).

Zusammengehen der Landwirtshaft mit der Industrie ungünstig ein-

eleftrishen Shnellbetriebs für den Kohlen- und Güterverkehr in

einen verstärkten Zollshuß der Landwirtschaft eingetreten find, so ge-

dem Eisenbahnneß von Westfalen nach dem Rhein und Hann die Möglichkeit gegeben wäre, den Moblenrevont glei h 0 nüpglih für den Staat zu bewältigen, auch wenn er noch viel mehr stiege. Selbstverständlih erfordert ein solher Kohlenkectrieb die Verwendung sehr ree Wagen. Die olge davon ift, ‘daß die Züge ganz erheblich verkürzt werden, die Schwierigkeiten des Rangierens fortfallen und die bezüglichen Gleise zum Teil entbehrlich werden. Ich bin noch nit überzeugt, daß diese Einrichtung undurch- Führbar wäre. Die Frage der Ermäßigung der, Gütertarife wird in der Kommission sehr gründlih erörtert werden müssen. Gelingt es der Regierung, meine Ansiht zu ershüttern, dann bin ih persönlich ju P Me M S E Ich hoffe und wünsche eine glü Lölung dieser Frage, aber die von mir berü

bedürfen sorgfältigster Erwägung. E Se

Herzog von Trachenberg: Die neue Fraktion wird der Vor-

lage Ansiiininia oder fast einstimmig ihre Zustimmung geben. Der Vorredner führte aus, daß in der früheren Vorlage Schlesien eine vollständige Nichtberülsihtigung gefunden hätte. Dies muß h bestreiten. Genau was in bezug auf § 5 im Gesege steht, hatte die Regierung 1899 vorgeschlagen. Der neuen Fraktion ist es eine P Genugtuung, daß die Kanalvorlage, um diesen ominösen usdruck zu gebrauchen, endlich auch an das Herrenhaus gelangt ift, nachdem sie Wechselfälle hat durhmachen müssen, die fast f einer Erschütterung des Staates führten. Wir danken es dem ge- chickten Vorgehen der Staatsregierung und namentlich des Minister- präsidenten, daß sie an uns gelangt is. Freilih ist es nicht mehr der Kanal, der eine direkte Verbindung des Ostens mit dem Westen herstellen wollte, und für den si bereits das Herrenhaus 1883 in einer Resolution ausgesprohen hat. Die Staatsregierung i}t einem Wunsche diefes Hauses nahgeklommen. Eine Reihe von Kanälen soll teils im Osten, teils im Westen hergestellt werden. Wenn es auh kein einheitlihes, großes Kulturwerk ist, das hergestellt werden soll, so bieten doch die einzelnen Wasserstraßen so große Vorteile, daß wir die Vorlage freundlich begrüßen, in der Hoffnung, daß sie alle ge- fährlihen Klippen glücklich um\chiffe und in nicht zu ferner Zeit in a Fassung i S I wird. Ich be- antrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommi 4 2 taliedera E g Kommission von erbürgermeister aken: Sie wollen mir gestatten, das Interesse Stettins zu vertreten. Stettin hat mit O emei keit wie kaum eine andere Stadt einen Freihafenbezirk errihtet. Die Sorge einiger Kreise in Stettin, daß der Groß[chiffahrtsw2g uns \chwere Opfer auferlegen wird, teile ih nicht. Geben Sie uns ae Waffen zum Wettkampf, so werden wir ihn fehr leiht auf- nehmen.

Graf Udo zu Stolberg-Wernigerode: Ih will die Vor- lage niht vom politischen, sondern vom wirtshaftlihen Standpunkte aus beurteilen. Seit 1878 wollen wir eine einheitliche, nationale Wirtschaftspolitik treiben. Dazu gehört zweterlei : Zölle an der Grenze in nôtiger Höhe zum Schuß der nationalen Arbeit. Diese Zölle waren vorher zu niedrig. Erfreulicherweise werden sie erhöht werden, ob sie hoh genug sein werden, wird die Zukunft lehren. Zweitens kommt dazu, daß innerhalb dieser Grenzen sämtliche Artikel nah sämtlichen Richtungen möglichst leiht und schnell transportiert werden. Von dieser Bedingung. sind wir aber in Preußen leider noch sehr weit entfernt. Infolgedessen ist der Westen der Monarchie vorangeschritten, der Osten zurückgeblieden. Wir leiden im Osten an den zu hohen Frachtkosten. Alles, was wir brauchen, wird uns verteuert, Kohlen, künstlicher Dünger usw. Am liebsten wäre mir ein Kanal, der von Insterburg nah Thorn, von Thorn nach Bromberg, Berlin, Hannover bis zum Rhein, also vom Pregel zum Rhein ginge. Von diesem Jdeal, welches ih im Interesse des Ostens vertreten möchte, ist diese Vor- lage 108 weit entfernt. Ob diese Vorlage ein Torso sein, ein Embryo bleiben wird, können wir nicht wissen, aber ib werde es nicht erleben, daß der Kanal von Hannover nah der Elbe gebaut wird. Wir vertreten ja niht unser eigenes Interesse, sondern das unserer Nachkommen. Ih werde für die Vorlage stimmen und halte eine Kommissionsberatung eigentlih niht für notwendig. Da sie aber von dec Majorität gewünsht wird, so werde ich natürlih auch für die Ueberweisung stimmen. Ich beschränke mich auf diese Worte und behalte mir vor, später meine Auffassung näher zu begründen.

Herr Kullak: Jh freue mi, daß endlih etwas für die Re- gulierung der Flüsse gesehen soll, und hoffe, daß die Negterung dem- nächst au die kleineren Flüsse regulieren wird. und daß namentli der Ausbau des Masurischen Schiffahrtskanals nur aufgeshoben ift. e e PRIeNO darum bitten, daß diese Aufshiebung nicht zu ange dauert.

Graf von Schlieben: Jh muß anerkennen, daß die Regierung nah großen Schwierigkeiten die Vorlage so umgestaltet hat, daß sie viel {chmackhafter ist als vor vier Jahren. Die Landesteile, für welche die Regierung so viel tut, werden ihrerseits gut tun, sich der Regierung gefällig zu erweisen, indessen muß ih be- dauern, daß für meine ostpreußishe Heimat so gar nihts getan werden soll. Jch hoffe aber, daß der Eisenbahnminister den Staffel- tarif einführen wird, dann verzichten wir auf Kanäle und alles. Gleihwohl aber möchte ih darauf aufmerksam machen, daß, wer si für die heutige Vorlage engagiert, sich damit auh für den Weiter- bau nah der Elbe engagiert. Nach fünf Jahren etwa wird diese Vorlage kommen; ih glaube keineswegs, daß wir alle duüber hin- sterben werden, wie Herr Graf Stolberg meinte. Deshalb werde ih gegen den Kanal stimmen.

Oberbürgermeister Struckmann: Ih müßte meine ganze Vergangenheit verleugnen, wenn ih, da nicht alles Wünschenswerte erreiht worden ift, mich gegen die jeßige Vorlage aus\sprehen wollte. Ih werde für die Vorlage stimmen, und zwar, wenn es sein muß, so wie sie ist. Ich möchte aber die Kommission ersuchen, die Peti- tionen wegen der beiden Zweigkanäle nah Peine und Hildesheim zu berüdsihtigen. Diese Kanäle würden der Frage der Fortsetzung des Kanals nah Magdeburg niht präjudizieren. Es wäre nur eine (Fr- gänzung des Kanals bis Hannover. Mein Votum mache ih aber von der Ersüllung dieses Wunsches nicht abhängig.

_ Graf zu F Lee C Ich babe nur das Wort er- griffen, um über den Masurishen Kanal zu spreben. Der Masurische Kanal ist etwas ganz anderes als das, wofür sich Graf Mirbach ins Zeug gelegt hat, der nur von der südlichen Linie, von der Weichsel nah den Seen, gesprohen hat. Mit den Vorrednern bin i der Meinung, daß Ostpreußen der mütterlichen Fürsorge bedarf. Ih für meine Person habe ja niht nôtig gehabt, beim Ministerium die Glode zu ziehen. Das tut man nicht gern, wenn man noch ganze Hosen hat. Der Masurishe Kanal if, wenigstens nach den Erwartungen und Versicherungen, die si die Kanalfreunde von ihm machen, ein Nonsens. Das erste Projekt scheiterte, weil die Anlieger erklärten, sie würden dabei ersaufen. Auch das zweite Projekt erwies sh als unzweckmäßig. Ich meine, wenn man 30—40 Millionen für diesen Zweck hergeben will, so wäre es richtiger, fih mit 5 bis 77 Millionen zu begnügen und den Fluß Pissek bis Rußland zu regulieren und das masurishe Wasser in ihn ablaufen zu lassen.

err voy Klitzing begrüßt die bes{hlossene Einführung von. Schiffahrtsabgaben mit Seide und hätte gern gesehen, wenn die Regierung sich dem Antrage von Heydebrand angeschlossen hätte, der ein gutes Druckmittel auf die RNheinuferstaaten und Holland geboten hâtte. Schiffahrtsabgaben müssen {hon aus dem Gesichtspunkte der ausgleihenden Gerechtigkeit eingeführt werden. Das Inland dürfe uicht teurer auf unseren Wasserstraßen fahren als das Ausland. Wenn der Kanal dem Rhein eine deutsche Mündung gäbe, würde er gewiß au den lezten Feind, den er noch habe, verlieren.

dern creineler Körte- Königsberg: Entgegen den Ausführungen des Grafen ulenburg und des Grafen Schlieben muß ich mich mit dem Grafen Mirbach für den Masurishen Kanal erklären. Der Pro- (peallandtag bat fast einstimmig dieselbe Stellung eingenommen ; selbst der Vorsitzende, eben Graf Schlieben, hat die sehr große Mehrheit für den Antrag bei der Abstimmung konstatiert. Das Wasser der masurishen7Seen in den Pissek ablaufen zu lassen, wäre

Dr. Nieberding, daß ich wiederholt erklärt habe: die Anweisungen

Nach einer tatsählihen Berichtigung des Grafen zu Eulen- burg- Prafsen erklärt

__ Graf von Mirbach: Die Ostpreußen kämpfen ofenbar nicht viribus unitis. Graf Schlieben muß ausscheiden, er wobnt an einem \chiffbaren Fluß, dem Pregel, und braucht keine künstlihe Wasser- straße. Graf Eulenburg legt mir irrtümlih unter, daß ih niht auch von dem eigentlihen Masurishen Kanal, sondern nur für die von M auch aua südliche Linie von der Weichsel nah den Seen

rochen hätte.

Oberbürgermeister Becker-Cöln: Jh werde zwar das S{hlepy- monopol und die Schiffahrtsabgaben in den Kauf nehmen, aber in der Pa egung daß das erstere sich nit zu einem Betriebs- monopol auúswachsen wird, und unter Berücksihhtigung der die Mög- lihkeit der Erhebung von Schiffahrtsabgaben einshränkenden Be- stimmungen der Reichsverfassung und der internationalen Verträge. Legt man die Schiffahrtsabgaben nur in bescheidenem Maße auf, so werden sie die Nahteile niht bringen, welhe die große Mehrheit der Rheininteressenten befürhtet. Der Saß von 0,04 1 pro Tonne wäre wohl erträglich; Massenprodukte müßten natürlich billiger behandelt werden, fo die aus dem Auslande kommenden Erze,

Phosphate und Chilesalpeter, diese müßten tunlihst abgabenfrei ge- lassen werden,

Nachdem Oberbürgermeister Kör te sih mit dem Grafen Eulen- burg nohmals über die Abstimmung im ostpreußishen Provinzial- landtag auseinandergeseßt hat, erklärt der

Präsident: Damit dürfte der Friede in Ostpreußen wieder hergestellt sein.

_ Der Gesehentwurf wird es einer Kommission von 25 Mitgliedern überwiesen, welche sofort durch Zuruf gewählt wird. Die Kommission wird sih am Freitag konstituieren.

Schluß nah 5 Uhr. Nächste Sißung Freitag 1 Uhr. (Oderregulierungsvorlage, Denkschriften, Uebersichten, kleine Vorlagen, Petitionen.)

Haus der Abgeordneten. 141. Sißung vom 16. Februar 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegravphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus seht die zweite Beratung des Staatshaus- haltsetats für das Rechnungsjahr 1905 im Etat des Ministeriums des Jnnern fort.

Bei den O für die Standesämter befürwortet

Abg. Peltasohn (fr. 208 ) die Berücksichtigung des dringenden Wunsches, daß bei der Verabfolgung von Auszügen aus den Standes- amtsregistern die Angabe, daß der Bctreffende unehelitzer Geburt war, fortfalle, wenn durch spätere Eheschließung die Geburt legitimiert worden ist. Bei dem jeßigen Verfahren werde Leuten der Makel der unehelihen Geburt aufgeheftet, die davon bis dahin keine Ahnung hatten. Allein in Berlin seien in den Jahren 1888 bis 1900 jährlich etwa 1600 Kinder legitimiert worden.

(inister des Jnnern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Die Anregung des Herra Abg. Peltasohn ist au früher {on von Lehrervereinen und von anderen Kreisen an mih herangetreten. Es haben längere Verhandlungen unter allen beteiligten Ressorts unter Zuziehung des Reichsjustizamts stattgefunden. Die preußischen Minister find übereingekommen, einc Anordnung dahin zu erlassen, daß bei Mitteilungen der Standesämter über die Per- \sonenstandsverhältnisse zu Schul- und Konfirmationszwecken an Stelle von vollständigen Auszügen nur Mitteilungen aus den Urkunden er- folgen, aus denen in Fällen nachhträgliher Legitimierung der Kinder die uneheliche Gebuct nicht hervorgeht. Wir haben Bedenken getragen, diese Einrichtung auch auf weitere Fälle, namentlich auch auf die Unterlagen zu einer künftigen Heirat zu erstrecken, aus den verschiedenen, zum Teil auch juristishen Gründen.

Wir glauben au, daß, wenn solche Kinder zu Jahren gelangt sind, es dann niht mehr Pflicht ist, ihnen ihren Ursprung zu ver- heimlichen, sondern eher, ihnen flaren Wein darüber einzuschenken.

Meine Herren, ih glaube, ' daß durch dieses Entgegenkommen die wesentlichste der jezt erhobenen Beshwerden, nämlih daß die dur nachfolgende Ehe legitimierten Kinder noch in dem Kindesalter er- fahren, daß sie unehelich geboren find, beseitigt is. Ich kann hinzu- fügen, daß nah den mit den anderen Bundesstaaten Deutschlands geführten Verhandlungen diese bereit find, diesem System Preußens zu folgen.

Abg. von Czarlinski (Pole) kommt auf die Beshwerden der Staatsbürger polnischer Zunge über angebliche Vergewaltigung polnischer weibliher Namen mit der Endung -ka zurück. Troß des Reichstags- beshlusses vom März 1903 sei noch immer nichts geshehen. Eben- so müßten die Beschwerden über die Schwierigkeiten erneuert werden, welche die Standesbeamten der Eintragung polnischer Vor- namen bereiteten. Es müßten den Standesämtern polnische Kalender zur Information ter Standeébeamten von Amts wegen zur Verfügung gestellt werden. Bei der Beratung des Bürgerlichen Geseybuches seien Neichstagskommission und verbündete Regierungen darüber einig gewesen, daß die Eintragung der weiblihen Namen mit -ka statt -ki zu erfolgen habe, weil es sich um etwas Althergebractes handle. Anstatt dieser Auffassung Nechnung zu tragen, seßten sich troy der unanfechtbaren Urkunden die Standesbeamten darüber hinweg und ezlaubten sih sogar die shrofste Behandlung ‘der Nupturienten.

Minister des Jnnern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Ich bedaure, daß die Frage des „ski" und „ska“, die, solange ih die Ehre habe, in diesem hohen Hause zu verhandeln, hier jedes Jahr verhandelt wird, auh in diesem Jahre einen Teil Jhrer Zeit in Anspruch nimmt. (Abg. von Czarlinski: Kommt auch wieder!) Ich darf aber seine Behauptungen, die in die Provinz hinausgehen, nicht unwidersprochen lassen, damit es dort nicht heißt : der Abgeordnete hat Klagen vorgebraht, und der Herr Minister hat ruhig dazu \{chweigen müssen, die Klagen sind also begründet. Im Gegenteil, meine Herren, die Klagen sind vollständig unbegründet. Wenn die Herren nur genau lesen wollten, was der Herr Abgeordnete vorgelesen hat, so würden sie finden, daß der Herr Staatssekretär

an die Standesbeamten sind dahin ergangen, in allen den Fällen die Umwandlung in „ska“ einzutrazen, wo der Nachweis erbracht wird, daß die Mutter und die Großmutter (Nuf bei den Polen: Die Großmutter!) glei{falls ih mit „ska“ geschrieben haben. Wo dieser Nachweis den Standesbeamten schon vorliegt oder wo es notorisch ift, da wird kein Standesbeamter so unvernünftig sein, troßdem noch einmal Urkunden darüber zu fordern. (Abg. von Czarlinski: Das hat er aber getan!) Meine Herren, diesen Nachweis zu bringen, sollte doch den Herren nicht s{chwer sein; denn wie Sie wissen, sind die alten Personenstandsnahweise in den Kirhenbüchern enthalten: die Kirchenbücher sind von den Geistlihen geführt, und die Geistlichen werden in ganz überwiegender Mehrzahl polnisher Nationalität

ein großes Unrecht.

man „sa“ zu shreiben hat. Diese Kirhenbücher find meines Wissens auch in Posen niht verschwunden, sondern noch überall vor- handen. Aber fich darauf zu verlassen, was die einzelnen Personen fagen, ledigliß den Willen der einzutragenden Person maß- gebend sein zu lassen, wie es der Herr Abgeordnete wünscht, davor müfsen wir uns hüten. Der Herr Abgeordnete hat die Be- bauptung aufgestellt, wörtlih: daß kein Deutscher si unter polnishem Namen einschreiben lasse. Ich konstatiere mit Freuden, daß das heute fo ist. Leider ist das aber in früheren Jahren niht der Fall gewefen. Es liegt mir ein Brief vor aus der Provinz Westpreußen, in dem u. a. gesagt ift, daß der Name Czarlinski ursprünglich Scherlein geheißen habe, aber mit Willen der Familie umgeändert fei in die jetzige volnishe Namensform. Ih lege kein großes Gewicht darauf. Tatsache ift aber, daß es unendlih viele Shumanns, Schulzes und wie sie alle heißen, gibt, die zweifellos früher Deutsche gewesen \ind, die aber nunmehr, sei es mit ihrem Willen, sei es ohne ihren Willen, dur die Eintragung in die Personenstandsnahweise, in die Kirchenbücher eine polnishe Namensform bekommen haben. Ebenso wie wir dem vorbeugen müssen,“ daß diese Polonisierung deutsher Namen fortdauert, ebenso müssen wir uns davor hüten, daß da, wo Familien diese Flerion nicht hatten, fie jeßt unter der Einwirkung einer gewissen Agitation der Polen neu eingeführt wird. Ich bedaure deshalb, dem Wunsche des Herrn Abgeordneten nicht entsprehen zu können.

Was den Einzelfall anlangt, von dem er selbst \agt, daß er ge- beten sei, ihn dem Minister zu unterbreiten, so ift dieser Fall mir bis jeßt gestern sheint er zu dem Herrn Abgeordneten gekommen zu sein vollständig unbekannt. Ich bin gern bereit, die Beschwerde darüber in Empfang zu nehmen, ih werde sie sorgfältig prüfen und danach entscheiden, was Recht ist.

Abg. Dr. Lotichius (nl.) bittet, den Kirhengemeinden der Rheinprovinz die ihnen genommenen Kirchenbücher, da fie großen kulturgeshihtlihen Wert hätten, zurüdckzugeben.

Minister des Jnunern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Der Wunsch der rhbeinischen Preovinzialsynode ift in den Ministerien des Kultus und des Innern eingehend erwogen worden, und ich bin mit meinem Herrn Kollegen zu der Ueberzeugung gekommen, daß wir besser tun, diesem Wunsche der rheinischzn Pro- vinzialsynode nicht zu entsprehen, indem die Ueberlassung der Kirchen- bücher an die Pfarrer die Benutzung dieser Kirchenbücher, die jeßt in den Gemeindehäusern sind, wesentlih erschwert, und zweitens in der Mehrzahl der Pfarrhäuser cine wirklihe feuersihere Aufbewahrung nit in dem Maße gewährleistet ist wie auf den Bürgermeistereien. Mir baben deshalb, und {on ‘vor 14 Jahren, die rhbeinische Pro- vinzialsynode ablehnend beschieden. Ih kann dem Herrn Abgeordneten nit versprechen, schon jeßt die Angelegenheit einer erneuten Prüfung zu unterziehen.

Abg. yôn Czarlinski: Nah den Erklärungen des Ministers werde ih Veranlassung nehmen, einen Beschwerdesühbrer, der fih in diesen Tagen an mich gewandt hat, direkt an den Minister zu verweisen. Der Redner verteidigt seinen Namen, der nihts anderes bedeute als den Besißer von Czarlin. Die Czarlinskis seien in Westpreußen schon gewesen, ehe der deutshe Orden dahin kam. Der deutsche Orden habe erst die Namen vertauscht.

Bei den Ausgaben für die Regierungsamtsblätter und die damit verbundenen öffentlihen Anzeigen führt

Abg. Busch (Zentr.) aus, daß bei der Vergebung der öffentlichen Anzeigen keine Parität obwalte. Es fei nicht einzusehen, warum man der Zentrumspresse mit wenigen Ausnahmen die Anzeigen systematisch entziehe. - Er wolle keine Namen nennen, fondern . nur das System treffen. Wolle der Minister wirkliÞh Parität obwalten lassen, so brauhe er nur einen Erlaß hinausgehen zu lassen, um Wandel zu hafen. Möge er seinen gestrigen Worten die Tat folgen lassen.

Bei den Ausgaben für die landrätlihen Behörden und Aemter weist

Abg. von Bockelberg (kons.) darauf hin, daß der Minister den Wunsh nah Einstellung von landrätlihen Hilfsftellen inzwischen erfüllt babe. In dem Pauschquantum für die landrätlihen Auslagen stecken au die Entschädigungen für die Fubrwerke. Diese Fuhr- kosten müßten voll entshädigt werden. Es läßt sich nit klar über- sehen, wie bo die Entshädigungen für die Bureaus sich stellen. Gedenkt der Minister für das nächste Jahr darüber Klarheit zu hafen? Sollte der Minister keine genügende Auskunft geben, fo würden seine Freunde beantragen, die Position an die Budgetkom- mission zurückzuverweisen; es würde eine Resolution beantragt werden.

Minister des Jnnern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! An und für sh bin ih niht sehr empfänglih dafür, daß man mir die Pistole auf die Brust sezt: wenn du jegzt nicht das erflärst, dann follst du mal sehen, was passiert. (Heiterkeit.) Aber in diesem Falle bin ih fehr gern bereit, dem Herrn Abgeordneten zu antworten, weil in der Tat die wohlwollende Haltung, die der Herr Abgeordnete bei mir im vorigen Jahre anerkannt hat, auch in diesem Jahre ganz die nämliche geblieben ist. Ich bedauere, daß es in diesem Jahre noch nicht mögli ist, ia der Frage der Fuhrkosten- entshädigung der Landräte zu einer definitiven Entscheidung zu gelangen. Es finden darüber noch Ermittelungen statt. (Zuruf: Finanzminister!) Erst in allerjüngster Zeit sind noch neue Nach- weisungen verlangt worden, auf Grund deren es mir hoffentlich gelingen wird, im nähsten Jahre eine Besserstellung der Landräâte in dieser Beziehung herbeizuführen.

Es wurde mir soeben, wenn ih recht gehört habe, das Wort

„Finanzminister“ entgegengerufen. Da möchte ich doch ausdrüdcklich erklären, wie au der Herr Finanzminister sich dahin auêgesprochen hat, daß er bereit sein würde, vorzugehen, wenn ihm cin allgemeines Bedürfnis nahgewtesen sei, daß dieses allgemeine Bedürfnis von ihm zur Zeit noch nit anerkannt werden könne, daß er aber bereit sei, in einzelnen Fällen, in denen tatsählich noch eine Benachteiligung der Landrâte stattfände, auf gecignete Weise zu helfen. Jch nehme an, daß die Ermittelungen, die jetzt stattfinden, ein Bild liefern werden, nah dem der gegenwärtige Zustand auf die Länge in der Tat un- haltbar ist. Was die übrigen Wünsche des Abg. von Bockelberg anlangt, fo glaube ih, daß auch tunlichst Abhilfe zu {hafen ist, und auh künftig geschaffen werden wird. Ich kann nur wiederholen, daß ih von allen Stellen, die mir unterstehen, die Stellung des Landrats für unsere ganze Verwaltung niht nur im Sinne der Regierung, fondern wesentli im Sinre der Bevölkerung für die allerwihtigste halte (sehr rihtig!), und es für notwendig halte, daß die Landräte so gestellt sind, daß sie ohne Sorge ihres Amts walten können und in der Lage sind, möglich viel hinaus in ihren Kreis und unter die Menschen zu kommen, und niht an das Bureau gefesselt sind. (Sehr richtig!)

gewesen sein und werden gewußt haben, wann man „sfki* und wann

Da ih einmal das Wort habe, will ih auf Wunsch des Hercn