1905 / 46 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 22 Feb 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Grofßhanudelspreise vou Getreide au deutschen und aufßerdeutschen Börsenpläzeu für die Woche vom 13. bis 18. Februar 1905

nebst entsprehenden Angaben für die Vorwoche. ZusammengesteUt im Kaiserlichen Statiftishen Amt. 1000 kg in Mark. (Preise für greifbare Ware, soweit niht etwas anderes bemerkt.)

Woche! Da- 13./18. | gegen Februar} Vor- 1905 | woche Berlin. Noggen, guter, gesunder, mindestens 712 g das 1 140,98] 140,58 Weizen, H r G v v 755 g das 1 176,49| 176,56 Hafer, L x z 450 g das 1 142,00 141,67 Mannheim. | Noggen, Pfälzer, russischer, bulgarisher, mittel 149,50| 149,85 Weizen Pfilter, russischer, amerik, rumáän., mittel . 190,29| 190,75 Poles, badischer, württembergischer, mittel ._. | 152,90) 150,79 erste, badishe, Pfälzer, mittel. ........ 179,37 180,00 Wien. | Naa, Peter Do ae as 139,63| 139,58 Weizen, Theiß E 186,46| 187,24 Saer aE b 128,56 127,67 erie O ee 154,95) 154,90 Si U e AOES 139,58 Budapest. | Roggen, Mittelware . S 126,86} 125,39 Weizen, u O 171,05) 168,75 fer, E 119,83/ 119,79 Gerfte, fu 122,18| 122,13 Mais, S ; | 132,82| 131,35 Odessa. | den, l bis 8 99,28) 99,06 Weiten, Ulla, (9 blo (Gkg dm... 125,81} 126,90 Riga. | Moggen, 71 bis (2k nl s eo 6+ 106,52| 104,98 e D Wai 131/501 15216 L 129,79! 129,48 Mjgen | lieferbare Ware des laufenden Monats \ 186 68 189 50 Antwerpen. | aa O 140,04} 139,26 c 146,12} 146,16 F R E N A Da aa 8,19] 148, Weizen C 158,30] 158,34 Walla Walla E x S 152,21) 151,84 E 133,54| 132,76 Bombay Glu B a 141,66! 140,07 Af E 116,91 116,99 a 91] N Roggen f E E eis 120,14| 121,02 Wei f S 153,80| 153,19 Ge ( ameritanisGex Winter- . «e « v + 172,85| 172,96 Mais G E A 99,05) 98,27 n S 102,44 101,66 London. | Produktenbörse (Mark Lange). | D E ie N e oe 153,90] 152,78 elen O rat T 151,66] 151,10 Weizen englishes Getreide, 142,98| 143,77 fer | Mittelpreis aus 196 Marktorten 121,14| 120,54 erste (Gazette averages) 141,96} 141,96 Liverpool. russischer . a 157,95| 157,95 Sa Wlcte N Ln B 180,05 ; E a 156,07} 156,07 Weizen E oe e A 140,09| 138,32 E ain ee ; ¿P 141,50| 140,09 E a0 160,08] 161,24 Gaser, englis Weile Mel aso , 2s S E a A S 201 1042 Gerste, Futter- j s 97,93| 97,93 E e 145,72 Mais Gitteriian. bunt, net „o 0 9426| 91,91 La Plata . e E 108,59| 105,77 Chicago. E s 184,28! 179,49 Weizen, Lieferungsware { Juli . ., 157,08] 155,82 September 143,91| 143,39 Mais V M. (C40) C10 Neu Yorfk. roter Winter- E A 191,37 S M e 181,31| 178,92 Weizen Lieferungsware | E t, 16286 161,62 Seer (s 148,76} 148,88 Mais | B E 85,99) 83,93 Buenos Aires. L i + 59 (F 2) 97 N | DULDIONIa e «a { "Ba'BEl L018,

Bemerkungen.

1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Pro- duktenbörse = 504 Pfund engl. gerechnet; für die aus den Umsäßen an 196 Marktorten des Königreihs ermittelten Durchschnittspreise für einheimishes Getreide (Gazette averages) ift 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. angeseßt. 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund englis; 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400, Mais = 2000 Kg.

Bei der Umrechnung der Preise in Reihswährung find die aus den einzelnen Tagesangaben im „Reichsanzeiger“ ermittelten wödhentlihen -Durhschnittswechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, Ee London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und

eu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse l St. Petersburg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. Preise in Buenos Aires unter Berücksichtigung der GSoldprämie.

Deutscher Reichstag. 144. Sigzung vom 21. Februar 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des von den Abgg. Auer (Soz.) und Genossen eingebrahten Ges eß-

entwurfs, betreffend die Errichtung eines Rei hs- arbeitsamts, von Arbeitsämtern, Arbeitskammern und Einigungsämtern, in Verbindung mit der Beratung eines Antrags der Abgg. Dr. Paasche, Freiherr Heyl zu Herrnsheim, Dr. Hieber (nl.) auf Vorlegung eines Geseß- entwurfs, betreffend Einrichtung eines Reichsarbeits- amts, und eines Antrags der Abgg. von Chrzanowski (Pole) und Genossen, betreffend Errichtung eines Reichs- arbeitsamts 2c.

Ueber den Anfang der Sißung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.

Abg. Thiele (Soz.) fortfahrend: Diez Gewerbeinspektoren baben ferner Ücht verbreitet über die Arbeiterverhältnifse, aber auch das genügt nicht, ebensowenig die Berufs- und Gewerbezählung. Das Statistishe Amt hat gewiß mustergültige Veröffentlihungen gemacht, aber auch das find nur Bruchstücke gewesen. Jedenfalls binfen wir anderen Ländern ganz wesentlich in allen diefen Beziehungen nach. Alle fortgeschrittenen bürgerlichen Sozialpolitiker erheben das Verlangen nach Einrichtung eines Reichsarbeitsamts, Arbeitskammern usw. wie wir. Von den Polen liegt ein Antrag vor, der fih im Prinzip mit dem unserigen deckt, ferner ein nationalliberaler Antrag. Es liegt also flar, daß man die Ausführung unserer Vorschläge für möglich hält. Wenn es Landwirtschaftskammern, Handels- und Handwerker- fammern gibt, warum soll es keine Arbeit?kammern geben? Es ift traurig genug, daß wir beute noch Entdeckungsreisen machen in das Reich der Arbeit. Daß wir darin noch rückständig sind, ist ein Zeichen von Unkultur. Die Konservativen haben über die Kalt- und Warm- blutzuht der Pferde längere Reden gehalten als über die Arbeiter- verbältnifse. Kann man bescheidenere Forderungen stellen als wir mit unserem Antrage? Warum sträubt si denn die Regierung? Es ist zu erwarten, daß in den Arbeitékammern nicht der engherzige und felbst- süchtige Geist herrshen würde als in den Organisationen der Handwerker. Schon Geschäftsklugheit sollte die Regierung veranlassen, hier einmal changez à gauche zu machen, einen entscheidenden Schritt zu tun. Glaubt etwa die Negierung, die Sache noch länger binausziehen zu können? Se länger fie zögert, um so größer wird die Entfremdung der Arbeiter werden. Graf von Bülow gratulierte neulich im Landwirt- \chaftsrat ten Agrariern zu ihrem Erntetage. An demselben Tage mußten 200 000 Bergleute im Ruhrrevier zu Kreuze kriehen, eben weil sie keine rechtliche Vertretung hatten. Wie sehr sie diese ver- dienen, bat der Streik gezeigt. lien Sinn dabei an den Tag gelegt wie die Arbeiter und zuglei eine solhe Ovferwilligkeit; eine Reibe von Gewerkschaften bat ]ogar die Arbeitslosenversiherung eingeführt, man fann also nicht be- baupten, daß die Arbeiter für eine solhe neue Maßnahme, wie wir sie fordern, nicht reif seien. Es muß die Arbeiter verbittern, wenn die Regierung absolut nihts tut. Graf von Posadowsky beklagte sh einmal über den sozialdemokratishen Staat im Staate. Dieser macht ibm jeßt wobl weniger Kopfshmerzen als ein anderer Staat im Staate, dessen Vertreter neulich den preußischen Minister des Innern wie einen Bureauchef abkanzelte. Mag nun Unlusft oder Unfähigkeit der Grund des Widerstands der Regierung sein, auf sozialem Gebiet fortzuschreiten, der Erfolg ist derselbe. Ist etwa seit den Februar- erlassen von 1890 dœÆ Arbeiterelend geringer geworden, daß man nicht mebr an Erfüllung dieser Erlasse denken mag? Krankheit, Invalidität und Siectum in den Arbeiterkreisen sind immer s{limmer geworden. Die durhsänittlihe Lebensdauer der Bergarbeiter ist um fes Jahre zurückgegangen. Diese sechs Jahre hat man ihnen aus Profitwut gestohlen. Jawobl, gestohlen hat man sie ihnen. Man hat Gendarmen und Schußleute im Ruhrgebiet auf die Arbeiter los- gelassen, wie auf Spißbuben. Die Regitrung hat nur einen Grund untätig zu bleiben: sie fürchtet sih vor den furchtbaren Anklagen, die die Aufdeckung der Mißstände für fie zur Folge haben würde, wenn das Reichsarbeitsamt, die Statistik usw. volles Lit verbreiten würden. Die Regierung fürchtet vielleicht au die Gestaltungs- und Direktions- fähigkeit der Arbeiter und deren Intelligenz, sie fürhtet die Folgen des Fortschritts. Die Arbeiter bitten nicht mehr um ein Arbeits- amt usw., sie fordern es, Millionen fordern es. Sie haben den Kapi- talisten längst gegeben, was des Kapitalisten ist, geben Sie nun au den Arbeitern, was des Arkeiters ist.

Abg. Patzig (nl.): Der Vorredner versiYhert, Zweck des An- trages sei, die Regierung zur Sozialisierung der Produktion hinzu- treiben. Damit würde cber dem vorliegenden Zweck wenig gedient. Wir wünschen, daß in dem Tempo der Verwirklihung der Anträge, namcntlich hinsitlih der Errichtung des Reich8arbeitsamtes, etwas \{neller vorwärts gegangen wird. Dabei bin ih aber weit entfernt, der Regierung so grunds{hlechte Absichten zu unterstellen, wie es der Vorredner getan hat. Es ist ihm sehr viel Subjektives in seiner hbistorisen Betrachtung untergelaufen. Er hat übersehen, daß im Laufe der Jahrzehnte eine gewisse Reibung und Klärung der Ansichten über die Organisation erst stattgefunden hat. Bis Ausgang der 1890er Jahre hatte das patriarchalische System noh einen sehr beredten Vertreter hier gehabt. Das ift jeßt anders geworden. Ich geke der Regierung anderseits zu, daß sie in bezug auf Arbeit ein reichliches Maß geleistet hat. Die Arbeiterstatistische Kommission 3. B. hat sehr viel Arbeit getan, die niedergelegt ift în den bezüglihen Arbeiten, und die sich in den Geseßen bemerkbar

gemaht hat. Die vereinzelten Arbeiten der verschiedenen Be- hörden müssen aber in ciner einheitlihen Organisation zu-

sammengefaßt werden, darüber find wir wohl alle einig. Die Regierung will nur eine Abteilung errihten nach Analogie der Biolozischen Abteilung. Es scheinen aber noch fiskalishe Bedenken obzuwalten. Das würde hot bedaucrlih sein. Das Neichsarbeitss- amt, wie wir es im Auge haben, soll eine Sammlung und Ver- wertung des sozialpolitishen Materials verarstalten. Der fozial- demokratishe Antrag dagegen, soweit er Vorschriften zum Scuy der Gesundheit usw. der Arbeiter ins Auge faßt, würde eine Ausschaltung des Verordnungêrehts des Bundeëêrats involvieren. Das können wir niht mitmachen. Wir wollen eine weitere Ausgestaltung der Arbeiter-

statistisen Kommission, der zu sehr die Flügel beshnitten worden

sind, und die zu sehr abhängig ift von dem Statistischen Amt, und dieses wieder von dem Reichsamt des Innern. Das Amt foll freier gestelt und ausgedehnt werden, und

zwar unter gleihmäßiger Teilnahme der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Welche Kompetenzen in Zukunft etwa der Bundesrat abtreten kann, das versparen wir vollständig auf spätere Zeiten. Bis zu der von uns gezogenen Grenze fönnen wir auch die Regierungen für die Gegen- wart und für eine absehbare Zukunft mit uns zu ziehen hoffen. Der fozialdemokratishe Gesegentwurf aber enthält Ideen, die gewiß im Zukunftsftaate denkbar jind, aber niht in unserem Gegenwartsftaat und in unserer gegenwärtigen Gesellshaftsordnung. Nach dem § 9 sollen die Arbeitskammern die Hilfsbeamten des Arbeitsamtes, also

\{önstens bedanken wird. Und so gehen in dem ganzen Entwurf Geseß- gebung und Verwaltung wirr durheinander. So sehr wir also mit dem Gedanken der Arbeitsämter, Arbeitskammern und Einigungkämter \vmpathisieren, so wenig können wir uns auf diesen Entwurf einlassen. Wir wüssen uns die Pflege der gemeinshaftlihen Interessen auf dem Gebiete der gewerblihen Arbeit in anderer Weise angelegen sein laffen, und wir hoffen, cs wird auf dem Wege unseres Antrages ein Fort- schritt zu erreihen sein. Die Aeußerung des Grafen von Posadowsky ift, wie gesagt, nit sehr bestimmt und klar gewesen: mag sie sih dahin flären, daß sie zur Schaffung von Arbeitskammern führe, und mögen wir dieses soziale Instrument nicht gar zu spät gewinnen. Stimmen

Sie also möglichst einmütig unserer Resolution zu.

Keine Klasse hat einen solchen geseßz- *

Reichébeamte ernennen, eine Methode, für die man si einstweilen |

Abg. Kulers ki (Pole) vertritt den von der polnishen Fraktion gestellten Antrag und führt dabei aus: In den sogenannten Februar- erlassen ist zum Ausdruck gebracht worden, daß das friedliche Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die Einrichtung von Arbeiter- vertretungen usw. gefördert werden müsse. Was hat die Regierung

in Preußen, was haben die anderen Regierungen in Deutsch- land zur Verwirklihung dieses Programms getan? Nichts oder so gut wie gar nichts. Die Gleichberehtigung der

Arbeiter ist noch immer nit anerkannt, ganz besonders nicht von der Regierung, an die ih die Februarerlasse rihteten. Wir unserer- seits erkennen diese Gleihberehtigung der Arbeiter an; wir verlangen Arbe itskammern ganz besonders zum Schuße des Arbeiters. Als Auf- gabe der Arbeitskammern stellen wir vor allem die Erhebungen über die Lohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse der Arbeiter hin. Auh wir balten dafür, daß das Vorhandensein von Arbeitskammern den Auébruch des großen Bergarbeiterstreiks sehr wahrscheinlich verhütet haben würde. Die Arbeitskammern follen au gewissermaßen Einigungsämter sein und das Recht der Besprechung von Geset- entwürfen der Regierung erhalten. Die Organisation follte sich unserer Meinung nach aufbauen auf der Grundlage der Arbeiter- auss üsse in den einzelnen Fabriken. e

Abg. Trimborn (Zentr.): Das Zentrum strebt feit langem Arbeitskammern an; es hat wiederholt dahin gehende Anträge gestellt, von denen der Vorredner nur einen einzigen anführte. Wenn er uns verdächtigte, wir hätten die Sache lediglich in den Sumpf führen wollen, fo habe ich dafür nur ein mitleidiges Atselzucken. Bei der Frage des Maximalarbeitstages haben die Herren ganz ebenso operiert ; sie sind den natürlichen Freunden in den Rücken gefallen. Damit fördert man niht die Sozialreform, sondern bängt ihr ein Bleigewicht an. Wir haben 1893, 1894, 1898, 1902 folche Anträge eingebracht, und im Januar 1903 hat der Reichstag einen materiellen Beschluß ge- faßt. Im Januar 1904 interpellierten wir die verbündeten Ne- gierungen und erbielten damals zuerst die Zusage, daß eine Vorlage gemaht werden würde. Also wir haben in dieser Materie den ersten reellen Erfolg davongetragen; ein Beweis dafür, was von der sozial- demokratishen GesMichtsdarstellung zu halten ist. Die versprochene Vorlage haben wir abzuwarten, und bis dahin möchte der Moment, in alle Einzelheiten der Frage einzutreten, aufzuschieben sein. Es hai daher auch feinen Zweck, den sozialdemokratishen Antrag eingehend zu erörtern, obwohl er zur Kritik geradezu herausfordert. Wir stehen auf dem Standpunkt : Arbeitskammern, nit Arbeiterkammern. Auch wir wollen in diesen Kammern Raum geschaffen sehen für eine Vertretung der geistigen Arbeiter, der Beamten und Techniker, aber niht im Sinne einer Dreiteilung, sondern es soll ein besonderer Aus\{uß konstruiert werden, in dem auch die geistigen Arbeiter und Privatbeamte zum Worte kommen sollen. Gerade die große Klasse der Privatbeamten bedarf durhaus einer organischen Vertretung. Am rihtigsten erschiene - uns, den sozialdemokratishen Antrag den ver-

bündeten Regierungen als Material zu überweisen; aber Geseßentwürfen gegenüber ist das_ ges{äfis8ordnung?smäßig un- zulässig. Da wir auch Kommissionsberatung nicht wollen,

wird man die zweite Lesung abzuwarten haben, in der eventuell eine motivierte Tagesordnung von uns vorgeschlagen werden wird. Was das Reichsarbeitsamt betrifft, so stehen auch wir ncch heute auf dem Standpunkt, daß wir zu einer solchen Zentralstelle gelangen müssen, die von Beamten versehen wird, die in der Bearbeitung der Aufgaben dieser Stelle ihre Lebensaufgabe sehen. Diese Zentral- stelle muß dauernde Fühlung mit den Arbeiterverhältnifsen unter- halten; diese dauernde Füblung fehlt heute sowohl dem Reichsamt des Innern wie ihrem ArbeiterstatistisGen Beirat. Die Zentral- tele muß auch die Zentrale für die Arbeitskammern abgeben. Das Reichsarbeitëzamt soU zur Entlastung des Reichsamts des Innern dienen, es wird aber dem Reichsamt des Innern untergeordnet bleiben müssen etwa nach Art des Reichsversicherungëamts. Das Verlangen nach größerer Selbständigkeit des Reichsarbeitsamts ist durchaus be- rechtigt, und daher werden wir einhellig dem nationalliberalen An- trage zustimmen. Den polnishen Antrag können wir nicht ohne weiteres annehmen, weil er niht nur sozialstatistishe, sondern au fozialpolitishe Aufgaben dem Reichsarbeitsamt ftellt, die den Arbeitskammern zufallen, fo z. B. die Aufgaben des Einigungs8amts. Der polnische Antrag sollte daher auch den verbündeten Regierungen als Material überwiesen werden, was nach der Geschäftsordnung zu- lässig ist.

Abg. Paul i- Potsdam (d. kons.): Wir unsererseits werden weder für den sozialdemokratishen, noch für den polnischen oder den nationalliberalen Antrag stimmen. Es steht ja ein Geseßentwurf in Au€sicht, mit dem wir uns \. Z. eingehend zu beschäftigen haben werden. Eines Anstoßes von unserer Seite bedarf es nicht. Auf den Antrag Auer gehe ih ebensowenig ein wie der Vorredner, obwobl sein Inkbalt dazu herausfordert. Der Abg. Thiele sagte, et wäre für die Arbeiter so und so viel Jahrzehnte nichts gesehen, fie seien \chußlos. Die Arbeiter haben doch s{chon eine geseliche Ver- tretung in den Gewerbegerihten, in den Unfallshiedsgerihten, den Berufégenossenshaften und in der Einrichtung der Gewerbeinspektoren. Die ute, die die Sozialdemokraten in das Arbeitsamt delegieren wollen, sind zum Teil gar nicht mehr Arbeiter. Der ganze Antrag hat lediglih den Zweck, den Macht- einfluß der Sozialdemokraten auf die arbeitende Bevölkerung zu vermehren. Alle diese Anträge sehen ganz harmlos aus, aber sväter kommt der Pferdefuß zum Vorschein. Ich befürchte weiter mit meinen politischen Freunden, daß, wenn wir einen fo ausgedehnten Antrag annehmen und der Bundesrat darauf eingeht, dann eine Schädigung des gesamten Erwerbslebens des Vaterlandes eintreten fönnte. Wir sind heute gegenüber dem Auslande nicht mehr kon- furrenzfäbig, dieser Antrag hi darauf aus, unsere eigene Produktion zu verteuern. In bezug auf die Arbeiterfürsorge sind wir viel weiter wie andere Staaten, wir stehen an erster Stelle. Die ganze Sache ift noch nicht spruchreif, wir werden sie erst prüfen, wenn der Bundesrat uns einen Entwurf vorlegt. Wir werden diesen Entwurf vrüfen und je nachdem dafür stimmen.

Abg. Dr. Mugdan (fr. Volksp.): Die Arbeiter haben zweifel- los au cin Recht auf Vertretung, wie andere Stände. Allerdingë glaube ih nit, daß die Einrichtung von Arbeitsfkammern einen so großen Wert hat, wie es dargestellt worden ist. Es ist in der leßtzn Zeit ja ein lebhafter Wunsch nach Sondergerihten ent- standen. Ich glaube nicht, daß die ftaatlich anerkannten Ver- tretungen mehr geleistet haben, als tie privaten Organisationen. Es fommt niht so auf die staatlihe Anerkennung, als auf den Eifer der Mitglieder an. Ich bin nun nicht, wie der Abg. Thiele, für Arbeitskammern, sondern für Arbeiterkammern, ih begreife nit, daß die Sozialdemokraten die Vertretung der Arbeitgeber wünschen. Das verstehe ich von den Nationalliberalen, aber niht von den Sozialdemokraten. Von einer rechtlichen Vertretung der Arbeiter fann da feine Rede sein. Was die Sozialdemokraten wünschen, isi nur ein Ausbau der Gewerbegeridte. Wenn Großunternehmer mit Arbeitern zusammen in einer Vertretung sind, so werden die Arbeiter nit so frei sprehen, wie sie es würden, wenn sie allein wären. Die Beurteilung hygienisher Fragen z. B. würde beein- flukt werden durh die Anwesenheit der Arbeitgeber. Im Prinzip bin ich für Arbeiterkammern und für ein Arbeitsamt. Der Antrag der Sozialdemokraten enthält aber sehr viel Mängel. Es heißt da: Leiter des Reichsarbeitsamts ist der Reichsarbeitsra!. Ist dies eine Person oder cine Institution wie der Reichsgesundheits- rat? Es ift unklar, was das bedeutet. Gegen die Aufgabe det Neichsarbeitsamts habe ih niht so viel einzuwenden wie Herr Paßig- Auf den Namen kommt es niht an. Im Reichsamt des Innern find {on alle Zweige vereinigt ; es müßte geteilt werden, sodaß die \sozialpolitishe Aufgabe einem besonderen Reichsarbeitsamt übertragen würde. Sie müßte dem Reichéamt des Innern koordiniert werden, es blieben diesem dann noch Aufgaben genug übrig. Der Abg. Thiele hat es im legten Theil seiner Rede der Regierung außerordentli {wer gemaht, nah links zu gehen, denn er sagte, das Reiché- arbeitsamt würde zeigen, daß die Sozialisierung der Gesellschaft notwendig ist. Sollen wir nun die Mittel bewilligen, damit un? bewiesen wird, daß die heutige Gesellshaft nihts taugt? Ich glaube

aber, daß, je mehr Freiheiten wir den Arbeitern geben, um so weniger die Sozialdemokratie zu fürchten ist. Jm Gegensaß zu dem Abg. Pauli glaube ih, daß, wenn wir heute keine Arbeiterversicherung hätten, die deutshen Arbeiter hinter anderen Staaten zurückstehen würden. Der deutsche Arbeiter ift durch diese Gesezgebung erzogen worden. Die Mißerfolge anderer Staaten können uns nit bestimmen, egen Arbeiterkammern zu stimmen. Jh werde heute für den nationals- iberalen Antrag stimmen und für Ueberweisung des polnishen An- trags an den Reichskanzler als Material. Meine Stellung zu den

Sozialdemokraten behalte ih mir bis zur zweiten Lesung vor.

__ Abg. Raab (wirtsch. Vgg.) : Ich hoffe, daß die heutige Debatte für die Vorlage der verbündeten Regierungen nit nußlos sein wird. Die Februarerlafse entsprehen unserem politishen Programm. Wir fordern Arbeits-, nicht Arbeiterkammern. Die erstere gibt die Möglichkeit, mehr Positives zu {afen als eine Arbeiterkammer. Die

irsch - Dunckershen Organisationen sind also auch für Arbeiter- ammern, aber die Befürwortung diefes Wunsches {eint mehr dabon auszugehen, die Freiheit der Bewegung der Arbeiter ein- ¿zushränken. Einen Anschluß an die Gewerbegerichte wollen wir nicht, weil deren Spruchtätigkeit darunter leiden könnte. Wir werden für den Antrag der Nationalliberalen stimmen. Der polnische Antrag ift ja aewiß umfassend, er will das Reichsarbeitsamt als Einigungsamt. Wir werden vielleicht für dessen Ueberweisung als Material stimmen. Der sozialdemokratische Antrag hat auf mich einen günstigeren Ein- druck gemacht als auf den Zentrumsredner. Bedenklih is mir aber, daß die neu zu shaffenden Organisationen etwa gutachtlih si zu äußern hâtten über Geseßentwürfe, also auch z. B. über neue Handels- verträge. Zu Propheten über die Folgen wirtshaftliher Geseßze eignen si die Arbeiter nicht. Sozialdemokratishe Arbeitervertreter würden vielleiht fo urteilen wie das „Hamburger Echo“, das in Bezug auf die Kornzölle als von einem Kindermorde sprach. Praftishere Arbeit dagegen wäre das beste Gegenmittel gegen politishe Ueberspanntheiten. Ich glaube auch, daß ein weiterer Ausbau der Sozialreform uns auf dem Weltmarkt niht konkurrenz- unfähig maßen kann. Unsere Ueberlegenheit auf industriellem Gebiet p Mas s St. E l I hat, darauf zurüdck- zuführen, unsere Arbeiter infolge der sozialen Gesetzgebung weit fortgeschritten sind. : aa

Abg. Dr. Pach nike (fr. Vag.): Eine Einigung in dieser Frage wäre sehr erwünsht, um einen wirksamen Druck auf die Regierung ausüben zu können. Van muß wissen, was man will; will man, wie bisher, eine statistishe oder eine sozialpolitishe Zentralstelle. Wir werden für den Antrag Paasche stimmen, der eigentlih unfer eigener Antrag ist. Soviel bereits über die Lage der Arbeiter geschrieben ist, so kennen wir in vielen Punkten die Lage des Arbeiters noch immer nicht genau. Der polnishe Antrag will aber nicht nur Erhebungen über die Arbeiterverhältnisse schaffen, sondern auch eine Kontrolle über die Ausführung der Arbeitershußz- bestimmungen und eine friedlihe Beilegung von Streitigkeiten auf dem Arbeitsgebiete. Damit würde die Zentrale aber über- greifen auf ein Gebiet, das wir bisher- dem Gewerbegeciht über- lassen haben. Es würde eine komplette Verwirrung herbeiführen, wenn wir diese Befugnisse auf das Arbeitsamt übertragen würden. Ich habe den Antrag gestellt, den polnishen Antrag dem Reichs- kanzler als Material zu überweisen. In die Einzelkritik des sozial- demokratishen Gesegentwurfs. trete ih jest niht ein; dazu wird in der zweiten Lesung Zeit fein. Ich kann aber niht mit dem Abg. Pauli finden, daß aus dem Entwurf der fozialdemokratische Pferde- fuß herausshaut. Sobald die versprohene Vorlage kommt, werden wir uns über das beste System zu verständigen haben. Ich gebe für meine Person dem gemischten System der Arbeitskammern den Vorzug, weil id meine, deren Beschlüsse werden bei den Behörden größere Beachtung finden, und weil ih von der Aussprache der si gegenüber- stehenden beiden Parteien am erften eine Milderung der Gegensäße erwarte. Die Frage des Reichsarbeitsamts ift zur Entscheidung reif ; das statistis@e Bedürfnis ift da und hat ungemein zugenommen. Die Arbeiterstatistishe Kommission krankte daran, daß sie feine Initiative besaß, sondern nur auf Anordnung des Kanzlers zusammentreten konnte. Machte sih Uebereifer geltend, so berief man sie nit ein, ein Mittel, von dem man zur Zeit des Einflusses des Herrn von Stumm sehr stark Gebrauch) mate. Wir müssen jeßt eine Reichsbehörte als Zentralinstanz miï erweitertem Kompetenzkreis und mit genügenden Vilf8organen schaffen. Schwierigkeiten der Ausgeftaltung sind mit ernstem Willen au zu überwinden. Dazu gehört die Regelung der Stellung diefes Amtes zu den anderen Reihs- und bundesstaatlichen Behörden. Dazu gehört ferner das Fragereht des Neichëarbeitsamtes und die Auskunftepfliht der Privaten. Mit diesem Nechte müßte das Amt ausgestattet werden, ‘es müßte eventuell seinen Vertretern au das Recht verliehen werden, Arbeitsräume zu betreten. In dem Antrage der Nationalliberalen wollen wir ten Auëdruck „Arbeitnehmer“ nicht in der Beschränkung des Titels VIT der Gewerbordnung verstanden wissen, sondern es sollen darunter auch alle Angestellten fallen, da deren Lage sih von der der Arbeiter niht wesentli unterscheidet. Endlich würde die Shaffung eines solhen Reihsamts einen erfreu- lichen Ausblick auf die Möglichkeit dec internationalen Kooperation in den hier eins{hlagznden Fragen eröffnen. Man forgt für die inter- nationale Sozialpolitik dann am besten, wenn man bei fih zu Haufe die möglichst beste Sozialstatistik herstellt. Dem Antrag Paaxsche- Hevl geben wir gern unsere Zustimmung.

Abg. Erzberger (Zentr.): Von der Stellungnahme des Herrn Mugdan bin ih nit gerade angenehm überras@t. Wenn die Sozial- demokraten gemeinsame Organisationen von Arbeitern und Arbeitgebern beantragen, sollte thnen das feiner von den bürgerlihen Parteien zum Vorwurf machen, denn die Antragsteller geben ja damit zu, daß eine gewe Interessengemeinschaft besteht. In diefer Frage haben die

nshauungen aller Parteien gewechselt ; bei den Sozialdemokraten wi: bei uns hat man sihch seinerzeit auch für Arb-iterkammern begeistert. Reine Arbeiterkammern würden jeden sozialpolitishen Fortschritt unmöglih machen. Bei den Arbeitskammern müssen dann aber auch alle Kräste, die im Produktionsprozeß tätig sind, eine Vertretung finden, also auch die geistige Arbeiterschaft, die Privats- beamten, die Techniker, die Ingenieure. Die leytere Kategorie müßte aber in einem besonderen Ausschusse in der Arbeitskammer vertreten sein, wobei ih aber nicht etwa einer Dreibeit der Vertretung das Wort reden will. Der Abg. Pauli ift doch gewiß ein überzeugter Anhänger der Handwerkskammern; wenn er jeßt den Arbeitern niht zubilligen will, was die Handwerker haben, so dürfte er den Interessen auch_ des Handwerkerstandes damit keinen besonderen Dienst erweisen. Sehr befremdlich haben die An- griffe gewirkt, die Herr Thiele bei diesem Anlaß auf das Zentrum zu rihten für gut fand. Es scheint das jeyt Sitte der äußersten Linken zu werden. Sehr gründlih informiert hatte sich Herr Thiele niht. Schon 1876 hat unser Kollege Moufang sich im Reichstage sür eine Vertretung der Arbeiterschaft oder Arbeitsfammern aus gesprochen; ebenso sind später die Einigungsamtsbestrebungen, speziell von unseren Kollegen Bachem und Trimborn geseßzgeberisher Ge- staltung entgegengeführt worden, wobei der Keim zu einer felb- ständigen Vertretung der Arbeiterschaft gelegt wurde. Einer Kom- missionsberatung für den Antrag Auer würden wir durchaus nicht entgegen sein, aber das hâtte gegenwärtig wirklich keinen Zweck. Das Hauptbedenken gegen den Antrag ist, daß alle Betriebe, gleichs viel welher Art, eine Arbeitskammer bilden follen. Das würden nur usammenwürfelungen, aber keine Gebilde mit organischem Leben sein. Eine Arbeitsfkammer, die danah eine agrarishe Mehrheit er- hielte, könnte doch nicht die Gewerbeinspektion ersprießlich wahr- nehmen. In dem Antrage \teckt ein berechtigter Kern, aber die Aus- führung der Idee ist niht meisterhaft. Die aroßen Berufsgruppen müssen | iba rif organisiert werden nah der Art der Betriebe; aus diesem Grunde wird es auch notwendig werden, die Handelskammer- organisation von Reichs wegen zu regeln. Wir werden dann Land- wirtshaftskammern, Handelskammern, Handwerkerkammern und In- dustrie- oder Arbeitskammern haben, und dann steht auch nichts im Wege, diesen vier Organisationen eine gemeinsame Spitze zu geben.

Damit shließt die erste Lesung:

Persönlih verwahrt si der ._ Abg. Pauli gegen die Vorhaltungen des Abg. Erzberger, der seine Ausführungen mißverftanden habe. j __ Abg. Thiele: Ich habe nur von der Nückständigkeit der Innungen, nit von der der Handwerkskammern gesprochen.

Das Schlußwort für den Antrag Auer erhält der

Abg. Bebel (Soz.): Die Debatte hat den von uns er- warteten “Verlauf genommen. Das foziale Verständnis der Parteien hat ja gewiß in den leßten Jahren etwas zugenommen. ehr wunderbar war die Stellungnahme des Zentrums. Herr Trimborn hat unseren Antrag in Grund und Boden verurteilt: er will ihm in zweiter Lesung die Behandlung zu teil werden lassen, die er verdient. Herr Erzberger hat viel geschickter, viel diplomatischer gesprohen. Das Zentrum hat ja hier die Entscheidung in der Hand ; geht es mit uns, dann geht unser Antrag dur, geht es mit den anderen Parteien, dann unterliegen wir. Aber einige Rücksichten zu nehmen, it es gezwungen. uch das Zentram muß anerkennen, daß in einem Staate wie dem Deutschen Reiche auch für die Arbeiter eine Organisation vorhanden sein muß. Gewiß soll unser Reich?arbeitsamt etwas ganz anderes sein als das Statistische Amt oder dergleichen; wir würden es Reichsarbeitsministerium nennen, wenn das mit der Ver- faffung vereinbar wäre. Das Arbeitsamt, welches das Zentrum und die Nationalliberalen wollen, ist niht einfach das, was wir wollen, es entspriht etwa dem conseil supérieur in Frankreich. Der Reichs- arbeitsrat bildet die Spiße des Neichsarbeitsamts, wir wollen einen solWen Mann an der Spiße haben, im übrigen laffen wir die Frage der Organisation des Neichsarbeitsamts im einzelnen ofen. Was die Funktionen der Einigungsämter betrifft, so haben wir keineswegs das Gewerbegeridtgesez abgesbrieben, sondern die Kompetenz dieser neuen Aemter ganz bedeutend erweitert. Mit einer solchen Institution wäre der Streik im Ruhrrevier unmögli gewesen. Die bolländischen Ar- beitskammern können bier nur sehr bedingt zum Vergleich heran- gezogen werden. Man hat darüber gestritten, was rihtiger sei: Ar- eitskammern oder Arbeiterkammern. Wir fordern Arbeitskammern, weil wir auch die Arbeitgeber an diesen Fragen interessieren wollen, und weil den Arbeitskammern eine viel größere Kompetenz gegeben würde, als den Arbeiterkammern. Unser klar ausgesprohenes Ziel ist, daß dur diese Arbeitskammern, wie wir sie haben wollen, allmählich die Bedeutung der übrigen Organisationen herabgedrückt wird. Herr Erzberger meinte, wir würfen verschiedene Betriebe in einen

Topf; das sei keine Organisation. Er vergißt, daß wir eine Ständevertretung verwerfen. Außerdem halten wir es für völlig au8geschlossen, daß, wie beute die Dinge liegen, der Arbeiter

eine eigene Vertretung finden würde, in der er fein eigenes Klassen- interesse vertreten könnte. Ein sebr fruhtbringender Gedanke ist auch unser Vorschlag, daß das Reichsarbeitsamt alljährlich die Arbeitsämter und Arbeitskammern zu einem Neichsarbeitertag zu- sammenruft, auf dem die zu lôfenden Aufgaben zur Beratung kommen. Die Vertretung der Großindustriellen ist für Arbeiterkammern, weil sie sehr wohl weiß, daß diese zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sein würden. Der Redner seßt sih darauf noch sehr ausführlih mit dem

Zentrum über das Maß der sozialen Fürsorge auseinander, das dieses |

und die Sozialdemokraten den Arbeitern haben zu teil werden lassen. Die Sozialdemokraten seien vorangegangen und das Zentrum fehr lau vavacielgs Die Arbeiter, die durch den neuen Zolltarif geshädigt würden, bätten das Necht, zu verlangen, daß ihre Wünsche wenigstens gehört werden.

Nach persönliben Bemerkungen der Abgg. Dr. Mugdan, Erz- berger, Trimborn, Bebel und Fischer - Berlin erbält das Sc(lußwort über den Antrag Paafsche der

Abg. Patzig: Es ist ein JIrrtum der sozialdemokratischen Redner, wenn fie glauben, daß, falls ihr Entwurf hon Geseß wäre, der Verlauf des Streiks im Ruhrgebiet anders geworden wäre. Auch nah diesem Entwurf besteht kein Ersheinungszwang für die beiden Parteien.

Jn der Abstimmung wird der Antrag Paasche-Heyl gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Polen und eines Teils der Konservativen angenommen. Der polnische Antrag wird nah dem Antrage Pachnicke dem Reichskanzler als Material überwiesen ; dagegen stimmt dieselbe Minderheit. Die zweite Lesung des Antrages Auer wird «später erfolgen.

Schluß gegen 61/4 Uhr. Nächste Sißzung Mittwoch, 1 Uhr. (Dritte Lesung der Handelsverträge.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 144. Sigzung vom 21. Februar 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus sett die zweite Beratung des Staatshaus- haltsetats für das Rechnungsjahr 1905 bei dem Kapitel „Ministerium“ des Etats des Ministeriums der geistlihen, Unterrihts- und Medizinalangelegen- heiten und zwar bei dem Titel „Gehalt des Ministers“ fort.

Berichterstatter Abg. Winckler {lägt vor, aus der allgemeinen Besprechung bei diesem Titel möglichst alle speziellen Fragen auszuscheiden.

Von den Abgg. Dr. Arendt (freifkons.) und Genossen liegt der Antrag vor:

„die Staatsregierung zu ersuhen, eine Gedächtnisfeier des hundertsten Todestages von Friedrih Sqiller in allen öffentlihen Schulen Preußens herbeizuführen und sh bereit zu erklären, die hierfür erforderlißen Mittel zu bewilligen.“

Abg. Graf von Wartensleben-Rogäsen (kons.) führt unter großer Unruhe des Hauses aus, daß dieser Etat eine große Ent- täushung bei den Superintendenten hervorgerufen habe, da noch immer feine Erhöhung der Dienstaufwandsentschädigung eintreten folle, ob- wohl der Regierungskommissar sie im vorigen Sahre in Aussicht ge- stellt habe.

Minister der geistlichen, angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Ich gestatte mir zunächst, die Anfangsausführung der Herren Abgeordneten dahin rihtig zu stellen, daß mein Kommissar im vorigen Jahre allerdings die Erklärung abgegeben hat, es werde darauf B-dacht genommen werden, in kürzester Zeit die Bezüge der Superintententen der evangelishen Kirhe zu erhöhen; aber in be- stimmte Ausficht is nicht gestellt worden, daß diese Erhöhung schon im diesjährigen Etat vorgesehen sein würde.

Meine Herren, die Anforderungen, die an die Staatskasse in dieser Beziehung von der evangelishen Kirhe und in verschiedenen anderen Punkten von der katholishen Kirche gestellt werden, sind sehr bedeutend. Es is auch seitens der Kultusverwaltung auf das Tat- kräftigste dahin gewirkt worden, und wird auch in Zukunft dahin ge- wirkt werden, daß den ber-chtigten Wünschen in tunlihst weitem Umfange Folge gegeben werde, und ih darf, namentlich was die evangelische Kirche anbetrifft, daran erinnern, daß im vorigen Jahre allein der Betrag von 850 000 M in den Etat eingestellt worden ift, um die Pfarrbeiträge zum Pfarrwitwen- und -waisenfonds auf Staatsmittel zu übernehmen. Es ist dadurch eine erheblihe Entlastung der Geist- lihen eingetreten, za welher übrigens auch noch eine Einnahme- erhöhung dadur gekommen ist, daß es möglich geworden ist, die unterste Gehaltsftufe der Geistlichen entsprechend aufzubessern. Endlich

Unterrihts- und Medizinal-

| ift im diesjährigen Etat wiederum eine Summe von 50000 Æ neu

bereitgestellt zur Unterstüßung der Pfarrwitwen und Waisen.

Ich glaube also, daß der Etfolg den diesseitigen Bemühungen nicht gefehlt hat. Jch bedauere, daß es in diesem Jahre niht mözlih war, sowohl für die Superintendenten (Dekane, Metropolitane, Pröpste) der evangelischen Kirche die erforderlichen Beträge bereit zu stellen, als auch manche Wünsche der katholischen Kirche zu befriedigen. An dem guten Willen des diesseitigen Refsorts bat es in dieser Be- Os niht gefehlt und wird es auch in Zukunft sicherlih nicht ehlen.

_ Auf Wunsch des Abg. Dr. Arendt soll dessen Antrag erst am Schlusse der Generaldiskussion beraten werden. __ Abg. Dr. Friedberg (nl.): Der Herr Kultusminister hat seinerzeit erklärt, daß die Zulassung der Marianishen Kongregationen jederzeit dem Provinzials{ulfollegium unterliegen und nur bei Kongregationen erfolgen solle, die an den Anstalten selbst errichtet werden. Der Miniiter hat im vorigen Jahr eiren Unterschied gemaht zwishen der Beteiligung als Mitglied an den Kon- reg anen und der als Teilnehmer an den Andachtsübungen. Es ind Gerüchte durch die Presse gegangen, daß an einzelnen Anitalten die Shüler auch zu Kongregationen zugelassen worden seien, welche niht für die Anstalten selbst errihiet waren. Ich bitte den Herrn Minister um eine Erklärung darüber. Die Frage der akademischen Freiheit behalte ih mir vor, bei dem Kapitel der Universitäten zu be- sprechen.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Jch habe bei Gelegenbeit der vorjährigen Er- örterungen über die Fragz der Marianischen Kongregationen in diesem boben Hause die Ehre gehabt, zu erklären, daß die praktishe Trag- weite, welche der diesseitigen Maßnahme beiwohnt, von vielen Seiten weit überschäßt wird. Die nachfolgenden Ereignisse haben meiner Auffassung vollkommen Recht gegeben. Es ist eine sehr geringe Anzahl von Anträgen auf Genehmigung Marianisher Schülerkongregationen an den höôberen Unterrihtêanstalten der Monarchie gestellt worden. Im ganzen sind sechs Anträge eingegangen auf Genehmigung folther Schülerkongregationen, die an den Gymnasßien felbst eingerihtet werden sollten, und außerdem drei Anträge, welche die Teilnahme von Schülern an solhen Vereinigungen betrafen, die außerbalb des Schulverbandes sich gebildet hatten. In diesen neun Fällen habe ih bis jeßt eine Genehmigung noch nicht erteilt (hört, hört !), weil die Frage, ob die diesseitig aufgestellten Kautelen erfüllt sind, noch nit ganz flargestellt werden konnte. Das ift die ganze Grund- lage für den ungeheuren Lärm, der namentlich in der Presse (oh! oh! links, Sebr richtig! im Zentrum) darüber gemacht ist.

Es bandelt #ch weiter um die Frage, die in dem Essener Fall praktis geworden ift, ob es richtig ist, die Genehmigung von Schul- aufsihtéwegen dazu zu erteilen, daß Schüler höherer Lehranstalten an denjenigen Andt{htsübungen und Gottesdiensten teilnehmen, die von Marianishen Kongregationen Erwachsener veranstaltet werden, und zwar auf den Wunsch ihrer Eltern und Vormünder und der Regel nach auch in Begleitung derselben. Der Irrtum, der in der Presse

in der Beziehung verbreitet ist, gibt sich auch kund in den heutigen Ausführungen des Herrn Abg. Friedberg, Es ift ein wesentliher Unterschied, ob die Schüler mit den Rechten und

Pflichten der Mitglieder an solhen Kongregationen #sch beteiligen, oder ob sie lediglih, noch dazu . in Gegenwart von Eltern, Vor- mündern usw. den Andachten beiwohnen, welhe für Kongregationen von Nichtschülern eingerichtet sind. Der Herr Abgeordnete wird nicht in der Lage sein, mir zu sagen, wie eine Verweigerung einer derartigen Genehmigung im Einklang stehen sollte mit Art. 12 unserer Ver- fassung (sehr rihtig! rechts), welcher die Freiheit des religicfen Befkenntnisses und die Vereinigung zu häusliher und öffentlicher Neligionsübung gewährleistet. Die Eltern haben ein verfassungs- mäßiges Recht, derartigen Andachtsübungen ihre Kinder zuzuführen, mit der Klausel allerdings, daß dadurch das unterrihtliwe Interesse nicht leiden darf. Es würde also dagegen eingeshritten werden müssen, wenn folde Andahtsübungen zur Schulzeit stattfinden oder die Mög-

lihkeit nicht gewähren, daß die

L

Kinder ibre bäuslihen Arbeiten in

genügendem Maße verrihten oder fonst das unterrihtlihe Interesse in anderer Art in Mitleidenshaft gezogen würde. Jch glaube, daß die - diesseitige Entscheidung sich vollkommen innerhalb der geseßlihen Grenzen bewegt und durhaus nicht den Erklärungen widerspriht, die ch im vorigen Jahre îin diesem Hause abzugeben die Ehre batte. Meine Herren, ih kann niht unerwähnt lasen, daß ein großer Preßfeldzug in diefer Angelegenbeit auch noch

in der leßten Zeit gegen mih geführt ist. Namentlich ift eine Flut anonymer Schmähungen und Drohungen infolge der dur eine ge- wisse Parteipresse gegen mi gerichteten tendenziösfen und erlogenen Angriffe über mi ergangen. (Lebhaftes Hört! Hört! im Zentrum.) Fch habe letztere ruhig hingenommen, habe mih nicht verteidigt im Bewußtsein, den konfessionellen Frieden und damit zugleih das ftaat- liche Interesse gefördert zu haben. Meine Herren, ih habe fernerhin durch die diesseitigen Maßnahmen erreiht, daß der sehr zu bedauernde Uebelstand des heimlihen Bestehens derartiger Schülerkongregationen nun endli beseitigt ist. Ich glaube also, daß die im vorigen Jahre getroffene Maßregel und ihre praktishe Handhabung bisher dazu ge- dieni hat, das Schulinteresse zu wahren und ebenso das des kon- fessionéllen Friedens in Schule und Staat. (Lebhaftes Bravo! im Zentrum und rechts. Zischen links.)

Vizepräsident Dr. Porsch \chlägt auf eine Anregung des Abg. Dr. Friedberg vor, die Frage der akademischen Freiheit erst beim Kapitel der Üniversitäten zu behandeln. E ;

Ministerialdirektor Dr. Althoff: Wenn gesagt ist, daß in der Kommission unrichtige Erklärungen von mir abgegeben worden sind, so hat das entweder keine Bedeutung, oder man muß diejen Ausdruck mit der größten Entschiedenheit zurückweisen. In der akademischen Freiheit stehe ich keinem nah, auch_ nicht dem Abg. Friedberg.

(Abg. Dr. Friedberg in größter Erregung: Ich verbitte mir das 1) Fh stehe darin niemandem nach. Wenn die Sache fo aus-

gedrückt wird, wie es gesehen ist, so trägt das niht zum Frieden, sondern zur Vermehrung der Unrube bei. Auf dem Boden der akademischen Freiheit, wie sie rihtig verstanden ist, stehe ih auch, und das ist der Standpunkt des Kultusministeriums. Die Herren seinen nit zu wissen, daß die akademisde Disziplin lediglich Sache der akademishen Behörden ist. Die Relegation ist ihr Recht. Auf der anderen Seite steht die Begeisterung für die akademishe Freiheit. Wenn Exzesse und Au#wüchse der akademishen Freiheit vorkommen, dann muß auch die Autorität der akademishen Behörden gewahrt werden. Vermögs. der korporativen Verbältniffe unferer Universitäten muß si das richtig zusammenfinden. Wir stehen einer Presse gegen- über, die hauptsählich s{chuld ift an der Unruhe. Ich bitte also alle, zum Frieden zu wirken.

Abg. Dr. Friedberg (zur Geshäftsordnung): Nachdem der Regierungskommifsar diese Frage, und zwar in einem Tone, der mich