1884 / 150 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 28 Jun 1884 18:00:01 GMT) scan diff

4106 für das weiblide Geslecht erböben, wenn das erste Lebentjabr außer Bctract bleiben dürfte. Die Zabl der Selbstmorde belief fb im Jahre 1883 auf 56. Die Höcbftzabl der Selbstmorde fiel 1883 in die Alteréfkla}e 31/40 und die beidin folgenden, während sie in beiden Vor- jab1cn in terErvpre 21/25 lag. Ein Vergleich derSelbfstmorde ir Mür cen, wo auf je zehntausend Einwohner 2,33% entfallen, ergiebt, daß in Breélau auf je zehntausend 4,45, in Hamburg 4,31, in Frankfurt 3,63, in Nürnberg 3,52, in Berlin 3,31, in Wien 293, in Elber- feld 2,41, in Darmstadt 2,13, in Augétburg 2,05. in Stuttgart 1,92 entfallen. Mürcben rimmt mitbin in dieser Selbftmortstatiftik erft die ate Stelle cin. Der Antbeil des Selbstmordes an der Ge- sammtsterblifit ist am erößten, wie im Vorjabr, in Frankfurt a. M. mit 1,86, am gerirgsten gleihfalls, wie im Vorjahr, mit 0,70 in

n Mitthcilungen des Herzoglich anhaltiscben ifiscben Bureaus entnehmen wir in Bezug auf Geburten, Ekeschlickungen und Sterbefälle im Herzogthum Anhalt während der Iabre 1579 tis einslicflib 1882 Folgendes: In diesen 4 Iabren sind im gesam inten Herzogthum 7893, oder im Jahreédurdschnitt 1973 Ebe- schlicZurgcn vorcekemmen ; cs hat also ein Zuwachs der Bevölkerung dur den Uektericbuß der Geburten über die Sterbefälle um 13 896 Personen cder im Jabreédurschnitt um 3474 Personen ftatt- ccfundin. In den tricr vorbergehenden Jahren betrug dieser Ueber- icbuß 13534 Personer, oter im Hahreédurchscbnitt 3384 Personer ; tie erfteren vier Jahre weisin sorach etwas günstigere Verbältnifse ra. Die Zahl der weiblihen Geburten verbielt fch zu den männ- liden im Dur(swnitt der 4 Jahre wie 1 zu 1,07, und cs fam auf 2658 Geburten eine Todtgeburt und aus 19,80 Gekur1en eine unebelide. In früheren Jahren war von 22 Geburten cine Todtackturt und von 9 Geburten eine unebeli, die otiaen 4 Iabre weisen also in dieser Veziebung etwas günstigere Verktältr isse ra. Im Verböliniß zur Gesammtzabl der Geburten fom auf dcm Londe mehr urcbelite und Todtgeburten, als in den Städten vor. Im Durcscbritt der 4 Iabre war von 9,02 ehbe- ilickenten Männern ein Wittwer, während erst von 15,97 ebe- iblicßenden Frauen eine Wittwe war; dagegen haben sib mehr gescietene Fraucn als ges&icdere Männer wieder verheirathet. In din frocliben 4 Jahren kamen 220 orer unter 1C0 durscnittli& 991 Ebestlictungen zwischen Personen verscicdenen Religions bekenntnisses vor. Im vierjährigen Durchschnitt wverbielt si

ad _. ) Ps)

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die Zahl der weibliden Sterbefälle zu den männlicen wie 1 zu 1,13, Wenn verbältnißmäßig mehr männliche als weiblide Personen geboren werden, so ift wieder die Sterb- lidfeit unter dem möännlicken Geshledte niht nur größer als

unter dem weibliben, sondern cs übersteigt au der Prozentsaß der männlichen Sterbefälle denjenigen der mänrliden Geburten. Nament- li in den ersten Lebentjahren ist die Sterblikcit unter dem männ- liden Gesbledt arößer als unter dem weiblichen, Im Jahre 1875 famen auf 1000 Girwoktner 39,94 Gekurten und 24,29 Sterbefälle, was den Erscbeinungen dcs Jahres 1880 ziemli gleikommt. Im ganzen Deutschen Reice entfielen im Jahre 1880 auf 1000 Einirobner 39,1 Geburten und 27,5 Sterbefälle; dem gegenübcr dürften die Verbält- rise in Anbalt als aanrznormale bezcicbnet werden. In Bezug auf Selbit- morde und Totesfôlle dur Véerunglückung in Anhalt während der vier Sabre sci mitaetbeilt, daß von den 325 zur amtlicen Kenntniß ge- langten 325 Selk stmorden 81 im Iabre 1879, je 84 in den Iahren 1880 und 1881, und 76 im Jahre 1882 vorgekommen; es hat also in diesem Zeitraume eine jährliche Zunahme der Selbstmorde nit staiteefunden. Von sämmtlichen in det 4 Jahren stattgehabten Selbstmorden kommen auf den Kreis Zerbst 14,46%, auf den Kreis Bernburg 23,399/g und auf den Kreis Ballenstedt 22,15 /. Wenn hier- na auch im Kreise Bernburgdie relativ größte Anzabl von Selbstmorden vorgekommen ift, so nimmt doc im Verbältniß zur Gesammtzahl der Sterbefälle (mit Ausschluß der Todtgeburten) in Bezug auf die Selbstmorde der Kreis Ballenstedt die erfte Stelle ein, denn es fam bier auf 37,21 Sterbefälle 1 Selbstmord, während im Kreife Dessau erst auf 64,35, im Kreise Köthen auf €8,37, im Kreise Zerbst auf 74,60 und im Kreise Bernburg auf 74,24 Sterbefälle ein Selkbft- mord entfiel, Wenig gröfer als die Zahl der Selbstmorde ift die der Todectfôlle durch Verunglückung. Von denselben sind 84 im

Sable 1819 94 inm Soyre 1880 9% im Jahre 1891 und 78 im Iabre 1882, und zwar 18,640%/6 im Kreise Dessau,

20,90 9/6 im Kreise Kötben, 12,71% im Kreise Zerbst, 31,92 9% im Kreise Bernburg und 15,82% im Kreise Ballenstedt vorgekommen. Die meisten todtliden Verunglückungen haben sonachb im Kreise Ballenstedt stattgefunden. Jn demselben entfiel auf 47,84 Sterbe- fälle eine tôdtlide Verunglücuna, während eine ole im Kreise Bernkturç auf 49,93, im Kreise Köthen auf 51,74, im Kreise Dessau auf 72,18 und im Kreise Zerbst auf 77,91 Sterbefälle kam. Im ganzen Lande kam auf 57,68 Sterbefälle und im Jahresdurchs{nitt auf 2628 Eirwohrner 1 Todeéfall dur Verunglückung. Ueber 6 Mal fo viel männlite als weibliwe Personen haben ihren Tod dur Ver- unglückungen gefunden und über 279% aller Verunglückungen waren Kinder unter 15 Jahren, welbe vo!herrshend durch Ertrinken ums Leben gekommen sind.

Kunft, Wissenschaft und Literatur.

Gescichte der Kunst im Alterthum (Egypten, Afsyrien, Persien, Kleinasien, Griecbenland, Etrurien, Rom), von Georges Perrot und Charles Chipiez. Autorisirte deutsche Ausgabe. Egypten, Mit urgefähr 600 Abbildungen im Text, d farbigen

und 9 s{chwarzen Tajeln. Bearbeitet von Pr. Richard Piets{mann, Leipiig, F. A. Brockhaus, 1884 Von diescm kunsthistorts{Wen Werk sind neuerdings wieder 3 Lefe-

rungen, 22 bis 24, au8gegeben worden. Die erste Abtheilung , Egypten“ war, wie gemeldit, wit dem 10. Kepitel, in welchem eine Charakte- ristik der eevptiswen Kunst im Allgemeinen und der Stellung dieses alten Kulturlandes ix der Kurstaescbichte gegeben wurde, also dem 21. Heft, in der Hauptsache bereits abgeschlossen. Die vorliegenden 3 Lieferungen bringen noch außer der Einleitung von Perrot einen umfanarciden Anhang, welcher fortlaufende Anmerkungen und Be- ritigungen zu den einzelnen Kapiteln, Zusätze auf Grund neuer For- \œuncen und Funde sowie Erklärungen zu den zahlreichen Abbildungen

des Werks entkält. Die 24. Lieferung trägt den Titel und die íInbaltétübersht na und bietet ein Verzeichniß der Abkildungen

fowie ein sforafältiges alphabetishes Namer- und Sachregister. In let:.terem Heft finden wir aud noch eine \{ône Farbendrucktafel, we!chcbe cine aus der Kavalierperspektive aufgenowmene Reproduktion einiger ornamecntalen Malereien von der Wéestwand des Grabes des Ptahbbotep darstellt. Der erste Theil dieser erschôpfenden, ebenso inter fsart geshz1icbcnen wie rcid auêgistatteter Kunstgeschichte ist nunmehr (24 Lieferungen zum Preise von je 1,50 4) in den Händen der Abonnenten, Das Werk will die Etfirdung und Ueberlicferung der technischen Maf:.regeln, welce die Ausübung der Kunst vorauétseßt, die Ent- stébungégeschihte und das Verwandtschaftsverhältniß der Formen, die [leiseren oder tiefer gehenden, \chrofferen oder allmähliberen Umwand- lungen, welde tiese beim Uelercange von cinem Volk zum anderen turchecmacht baben, um schlicßlich bei den Griechen die slüdlidfte und vrollkemmerste künstlerishe Wirkuna zu erreichen, {lit und ohne gelebrte ästhetishe Abhandlungen, ohne Mißbrauch mit Kunstauédrücken zu treiben, schildern und darlegen und davon zugleich dur eine Auêwahl von Illustrationen dem Kunstfreunde und Künstler ein lebendiges Vild geben, sodaß er, wenn er nicht geduldig den Be-

schreibungen und Untersuchungen fclgen will, nur die Seiten durch- zublättern und mit dem Vlick die zahlreichen, forafälticen und ge- treuen Akbbildurgen zu seiner Belebrurg zu befr2gen braudt. Dieses

Ziel, welcbes die Verfasser vor Augen hatten, haben sie in dem nun abgeschlossenen crsten Abschnitt „Egypten“ vollkommen erreicht, sodaß man den weiter folgenden Theilen mit großer Erwartung entgegen- sehen darf. 5 ° E

Pandektein von Heinri Dernburg, ord. Professor d. R. in Berlin, (Verlag von H. W. Müller hierselbft.) Das bkbedeut- same Untcrnehmen des berübmten Recbtélehrer8 schreitet rüstig vor- wârts, dern bereits jet, wenige Wocten nah Ets@einen des ersten

Heftes, lieat die zweite, die £8. 50—99 des allgemeinen Theils vymfafsende Lieferung ror. Die Klarheit und Dur(sicbtigkeit der Darstellung, die Schärfe des juristisben Urtheils und die Vereinigung von Theorie vnd Praxis werden den Besiß des Werkes jedem Juristen erwünscht machen. ¿

Die Entwicklung der Landrecbtsglosse des Sawsenipiegels. Von Dr. Emil Steffenhagen. IV. Die Tzerstedishe Glosse. Wien, 1884. In Kommission bei C. Gerolds Sohn. In 2 HÄfdscriften der 3. Ordnuna der Glofsen- flafse, zu Lüneburg und Wolfenbüttel, ift uns zum Landrecht des Sacsenspiegels eine Glosse aufbewabrt, welbe der Lüneburger Raths- herr und Patrizier Brand I1I. von Tzerstede (7 1451) im Iabre 1442 besorgt bat. Für den Tert des Sabsenspiegels ging derselbe darauf auëê, „Tbeilung urd Beginn der Artikel nab den alten und gemeinsten Zablweisen“ wieder berzustellen ; die Gloffe aber anlangend, ritete sid seine Absidt auf Vervollständigung der Busen Gloffe, also für diejenigen Artikel, wel&c der Glossirung bisher noc cnt-

behrten, die nôthige Glofse zusanmenzubringen. Bis jett waren von dieser Tzerstedi\wen Glofsfe nur die von Bruns und Spangenberg mitgetheilte Glofse zur Vorrede „von der

Herren Geburt“ und 2 kurze (vermeintlid Tzerstedisce) Glossenstücke bekannt. Der Verfasser der vorstebenden Abhandlung bescbreibt nun zunä st die beiden Handschriften (die Lüneburger und die Wolfen- bütteler), welche die Tzerstediihe Giosse enthalten, erwähnt, daß die Wolfenbütteler auf der Lüneburger berube, verbreitet fic über den Inhalt der beiden Handschriften und weist sodann im Einzelnen den Ursprung und die Quelle der einzelncn Glofsen Tzerstede's nab, be- merkt aber in Betreff seiner Glosse zu den Swlußartikeln, daß es nit zu ermitteln sei, aus welber Quelle Tzerstede diese leßtere her- gebolt und wer sie abgefaft babe. Tzerstede sei urtheilt Steffen-

bagen im Allgemeinen über denselben bei seiner Arbeit mebr sfammelnd und Nhtend, als selbfiändig glossirend zu Werke gegangen; er reproduzire die Buse Glofsse in ihrer reiweren Gestalt und mit der üblichen Zusaß-

Stlußartifeln (III, 88 bis 91) anderweitig; seine eigenen Zuthaten reiten über die Glossirung der Vorrede „von der Herren Geburt“ nit hinaus. Was ihm sort beigelegt weide oder beigelegt werden fönnte, amme entweder anderéwober oder geböôre bercits der Busen Glosse an. Ein Ankang ¿zu der Abhandlung, welcbe aus dem Jahrgang 1884 der Situngsberichte der phil.-hist. Klasse der Kaiscrlihen Afka- demie der Wissenschaften zu Wicn (106. Bd,, 1. Heft, S. 197 f.) besonders atgedrudt ist, entbält: 1) die Glcfse Brands von Tzer- stete zur Vorrede „von der Herren Gekturt“ (abgedruckt aus der vor- zügliden, der Lüneburger Handschuift, mit Angabe der Abweichungen der Wolfenbütteler Handschrift in den Noten) und 2) die Glossirurg tcr Scblufartikel 111, 88 bis 91 na Brand von Tzerstede.

Von Hatckländers Soldatengescbichten, illustrirt von Emil Rumpf (in 20 Lieferungen à 40 bei Carl Krabbe ia Stutt- gart) liegt nunmehr Liiferung 9—11 vor. Diese drei Lieferungen enthalten nit weniger als 90 Bilder, welwe Hakländers heitere Schöpfungen in mustergültiger Weise mit dem Stifte wiedergeben. íIn dem 11. Heft scbließen die Wacbtstubenabenteucr und beginnt das Soldatenlcben im Frieden. Für den vollendeten Band kann eine geschmackrolle Einbanddecke zu 75 & S von der Verlagétbucbhandlung bezogen werden.

alosse, und entlehne die Glofe zu den

Gewerbe und Hande!.

New-York, 27. Juni. (W. L. B) Baumwollen- Wocenbericht. Zufuhren in allen Unionshäfen 6000 B., Aus- fuhr nad Großbritannien 16 000 B., Au€fubr na dem Kontinent 3000, Vorrath 346 000 B.

Veterinärwesen.

_In Rumönien ist in den Gemeinden Darabani und Hu- dessimare (Kreis Doroko) die orientalishe Rinderpest ausgebrocen.

CHIB E L r * Verkehrs-Anstalten.

Bamb 2 U S S Ber Poldampier „Hammonia“ der Hamburg-Amerikanishen Padcketfahrt- Aktiengesellscbaft ist, von Hamburg kcmmend, beute früh 2 Uhr in New- York eingetroffen.

Sanitätswesen und Ouarantänewesen.

Die italienische Regieturg bat aus Anlaß des Ausbru{8 ciner ch oleraüûhrliden Krankheit zu Toulon unterm 24. Juni d. I. cine Beobacbtungs-Quarantäne von 10 bez. 15 Tagen gegen Provenienzen Toulons, sowie von ò bez. 7 Tagen gegen Provenienzen der übrigen franzsisben Mittelmeerbäfen, welcbe cine gesunde Ueberfahrt gehakt haben, dagegen eire strenge Quarantäne (di rigor:) von YO0tägiger Dauer cçegen alle Provenienzen dir französiswen Mittel- mcerfüste, welche während der Ueberfahrt verdättige Krankheitsfälle an Bord gebabt haben, angeordnet.

Die griecbiscbe Regierung bat für Provenienzen von Toulon eine 11tägice, für solbe von Marscille cine ötägige Quarantäne vor- geschrieben.

Berlin, 28. Juni 1884,

Wilhbelwstiftung „Beamtendank“. In Ecmäßhcit des laut Allerhöck&ster Kabinets - Ordre vom 98, Januar 1882 bestätigten Statuts bat das Kuratorium alljährlich cm 11. Iunt, zur Erinnirurg an das im Jahre 1879 gefcierte Ebc- jubiläum Ihrer Majestäten des Kaijers und derKaiserin, Kafsenbericht zu erstatten. Am 11. Iuni 1883 war ein Beftand vorhanden : in Effekten zum Nominalwertbe von . : 34 000 M und an Vaarmitteln, deponirt bei der Kur- und Neumärkischen Ritterschaftlihen Darlehntkafe 48 Summa 34748 M. 8 S Aus den statutenmäßig zu Unterstüßungen zu verwendenden zwei Dritteln an Kapitalzinsen waren dieponibcl 712 K 10 A. Hiervon sind an Beamte, Beamtenwittwen und Hinterblicbene ehemaliger Beamten gezablt: an 17 Perfonen in Beträgen von 50 M, 40 M 30 Æ und 20 M, zusammen 620 # An Portokcsten sind 5 F 80 4 und an sonstigen Unkosten i1 A 11 „§ verausgabt, so daß noch cin Betrag von 5 #4 19 - im Bestande verbleibt.

Ein Drittel der auffommenden Zinsen ist dem Kapitalstock so lange zuzufübren, bis derielbe die Höbe von 200 000 A errcit hat. Der Gesammtbestand der Stiftung beträgt heute in Effekten

i 34 000 M ias D, bierzu deponirt, wie oben, und zwar Grundkapital-Conto 965 M 6l Unterstüßungsfonds . . O

Summa

O W Z H 34970 M £0 S. Berlin, den 11. Juni 1884, Im Auftrage des Vorsitzenden des Kuratoriums: v. Baerensprung. Biester.

_ Tie 1. Sommerobst- Ausstellung, die der Verein zur Be- förderung tes Garter baues in den preußi\chen Staaten heute im Wirtergartcn des Centralbotel8 eröffnet hat, hat die Erwartungen der Facbleute bci Weitem übertroffen. Troß der Ungunst der Witterung, die den Obftbau besonders {wer gescbädtgt hat, ift die Auëstellung rei beshickt. Nech wit mehr aber als di: Quantität überzeugt die

Qualität des Ausgestellten von dem ernsten und erfolgreichen Streben, den Obstbau aub in den Gegenden, wo er bisher mebr aus bloßer Lieb- haberei getrieben wurde, zu einem rentablen Erwerbézweig zu machen. Der Sortenwahl, die man bisber namentli auf dem platten Lande ohne Verständniß traf, ift erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet, uxrd auch in Bezug auf die Treiberei läßt sch ein merkliber Fortschritt g2gen

Der äußere Eindruck, ten die Auëstellung gewährt,

früber konstatiren. D re Eini das Gesammtbild derselben, ist ein überaus ansprewendes, Der präc- tige Wintergarten mit seinem reihen Palmensbmuck dient ihr als

eine ebenso wirkfungêvolle wie würdige Fclie. Auch die einzelnen Aus- steller baben si bemuübht, möglidst ges{chmackvolle Arrangements zu treffen, und dieses Bemühen ist meist von bestem Erfolg begleitet worden. Glei beim Eintritt in den Wintergarten fällt das Auge des Be- suders auf ¿wei reizende Arrangements, zu denen E. Thiele-Plötersece die Produkte sciner weltbekannten Erdbeerzu&t vereinigt hat. Aus Cuivre poli - Schalen erbeben sib beerenreide Erdbeerstauden, die saftigen Früchte der Ascot Tine apples, die fi vor Allem als Ein- madebeeren berähren, sind zu Sträußen gebunden, andere Früchte beten sid mit ihrem tiefen Roth von dem Grün der fie umgebenden

Blâtter ab. An zwei langen Tafeln haben die Werderschen Obstzütbter ihre Produkte ausgestelt. Allerdings sind von den

550 Obstbauern des Werders nur etwa 20 erscienen; was sie aber auêgestellt baben, giebt in der That einen Ueberblick über die bobe Leistungéfähigkeit der märkishen Obstkammer, deren Produkte si

den Weltmarkt erobert haben. Mit einer recht reien Kollektion ist auch Guben erschienen, dessen Obstbauverein u. A. 22 neue aus Kernen gezogene Sorten autgeftellt hat.

Neben Kirscben sind bier auch konservirte Aepfel und Birnen sowie Beerenobst aller Art zu erwäbnen. Von den spätreifen Sorten, auf die Guben eigentli den S&werpunkt seiner Zucht legt, sind Zweige mit unreifen Früchten zur Schau gestellt, die ob ihrcr Fülle in der That Uufseben errezen. Den näcbsten Tisch hat Glindtow, der neue Konkur- rent Werders, occupirt Vor Allem ist Glintow in Erdbeeren stark ver- treten, deren Zucht der dortige lebenéfrisbe Verein aanz besondere Aufmerksamkeit \c{enkt. Ein kleiner Theil derselben Tafel ift der Königlichen Gärtnerlehranstalt eingeräumt, die ein großes Sortiment

Erdbeeren und Kirsben an Zweigen ausgaestellt hat. Auf der Tafel zuräbst der Orchesterwand führt der Frarkfurter Gartenvcrein Früchte aus seinen Versucbsftationen, darunter namentlib \ck&êne Erdbeeren urd Stachelbeeren, vor. Ihm bliezen sich die Erdbkeerkollektion des fkekannten Zücbters

Göscbfe-Cöôthen sowie die von den Königliben Gärten in Potédam und Sanésouci veranstaltete Auéstelung an. Neben getrietenen Früchten sind bier ramentlich Tafelerdbeeren zu nennen. Mit ihnen fonfurriren die Gräflid Scbaffgotsbshen Gärten, die vor dem Orttester Pfirside, Weintrauben u. dgl. ausgestellt haben. Lorberg- Berlin hat #\ch mit Erd- und Stachelbeeren, das städtisbe Rieselgut Blankenburg mit Himbeercen bei der Stau betheiligt. An der gegenüberliegenden Wand haben Mosiscb- Treptow und Buntzel-Nieder-Schönweide reibe Sortimente Stacel- beeren ausgelegt. Zwischen beiden Kollektionen hat Buwbkändler Radet:ki-Tempelhof as seinem Privatgarten 24 Erdbeersträucwer in Töpfen und Lubascb-Zossen Erdb-eren und Aepfel ausaeftellt. Vor der Palmengruppe in Mitten des Wintergartens bat A. Scbacffer Sohn in Berlin einen mit frishen Früchten gefüllten MRiesenfruchtfkorb placirt, der den Umfang von 4 m aufzuweisen hat, und vor der Estrade endli bat Oekonomie-Rath Späth für die Vermehrung ge- zogene Erdbeeren zur Schau gestellt. In der Abtheilung der Obft- weine finden wir u. A. aub hon diesjährigen Himbeersaft aus der Werdershen Frucbtsaftpresseret ron W. Hühne, während der Gubener Obstbauverein Apfelwein zcigt, bei dessen Fabrikation besonders tarauf Gewidt gelegt wird, daß nicht die einzelnen Sorten ver- mist gekeltert werden.

Thorn, 27. Juni. (W. T. B.) Gestern Abend ist der Damm gegen die Weichsel bei Altau vom Hochwasser durch- brocben worden. Heute früh reichte das Wasser bis Schmolln. Die Niederung auf der linken Flußseite steht vollständig unter Wasser ; der Scbaden ist sehr erheblid. Die Gefahr für den Damm bei Czarnowo gilt durch die Hülfe des Militärs für beseitigt. Hier war der Wasserstand der Weichsel gestern 6,40, heute ift derselbe 5,70 und fällt weiter. j i

Bad Kreuzna, 24. Juni. Die Saison verspricbt in diefem Fahre eine glänzende zu werden. Alle Nationalitäten sind unter den bis heute hier eingetroffenen Kurgästen, deren Zahl ich um eéinige Hundert böber stellt als um dieselbe Zeit des Vorjahres, vertreten: Franzosen, Engländer, Holländer, Italiener, Russen, Dänen, Schwe- den, Norweger u. f. w. Vorgeftern trafen von Hobe-Pascba, Kaiserl. ottomaniscer General der Kavallerie, Ober-Stallmeister und General- Adjutant Sr. Majestät des Sultans, aus Konstantinopel, und Ge- neral Hawkins aus New-Nork zum Kurgebrauch bier cin. Im Ganzen sind bis heute 1966 Kurgäste bier eingetroffen.

Die beiden letzten Vorstellungen des Deutschen Theaters in dieser Saison sind: morgen, Sonntag: „Der Hüttenbesizer"“ und

am Montag: „Don Carlos“,

Fr. Rosa Papier sctte gestern im Krollsben Theater ihr Gastspiel mit der Titelrolle der „Jüdin® von Halévy fort und bec- währte auch darin ihre in gesanglicer und tarstellerisber Hinsicht glei bobe Künstlersbaft. Der phänomenale Umfang ihrer berrliwen Stimme ermöglicht der Sängerin, die uns als „Orpheus“ und als „Fides“ durch ibren scnoren Alt ertzükte, au die Bewältigung dieser zum Theil ziem- lid bodlieaenden Mezzosovranpartie in bewunderungéwürdiger Weise, Quellende Schönheit und Reinheit des Tons paarte si auc hier mit seeliser Innerlichkeit des Ausdrucks und einem allen Regungen de]- clben sofort eine edele plastishe und mimise Gestalt ge- benden Spiel zu cinem so vollendeten Ganzen, wie es leider cuf der modernen Bühne zu den Seltenheiten gehört. Musterhaft deutlib und klar ist ihre Ausspracbe, das edle vor- nehme Maß, welcbes die Kürstlerin in ihrer Da!stellung walten lat, und die Strenge, mit der sie alle die Mittel&en meidet, mit denen andere, weit weniger Begab1e die Menge zu ködern wissen ; e Ur stets mit Leib und Secle bei der Sache und geht ganz in der Rolle auf. Und so war dern auc ein viel größerer Beweis ihrer eminent2n Künstlerscaft die athemlose Stille, welbe während der bewund:rung®" würdig gespielten und gesungenen, dramatisch bewegten Romanze 1m zweiten Akt: „Er kommt zurü“, über dem dicht gefüllten, großen Saale lagerte, als der stürmische Beifall, welcber dieser Meisterleifiuns folate und der Särgerin auch den ganzen Abend über treu blieb. Nicht minder ergreifend und ersütternd war aber au ihr Spiel und Gesang in dem Duo zwischen Eleazar und Recba im leiten Aft, na welchem die Hervorrufe kein Ende nehmen wollten. Den Eleaziar gab Hr. Grupv reckcht wacker; nur liegt dem Sänger die Partie mand&mal etwas zu boch. Für die Ausführung der grozen Arie im vierten Aft jedod gebührt? ihm uneingescränktes Lob. Ör. Biberti brate seinen mächtigen, {önen und auédrucsfäbigen Baß in der Rolle des Kardinals Brogni, besonders in dem großen Dtetk mit Eleazar im vierten Aft gut zur Gcltung. Fr. Baumann als Cudora und Hr.“Scbreiber als Prinz Leopold vervollständigten das gefällige Ensemkle. Hr. Kapellmeister Göße batte die für eine kleine Bühne so viele Scwiecigkeiten bietende Oper sorgfältig einstudirt. In der stimmungsvollen Ensemblescene des Osterfestes hielt sid au der Chor recht brav. Der große Saal des Krollsben Etablissement? war wiider vollständig ausverkauft. Zum Benefiz für den Chor findet übrigens am Montag eine Wiederholung der „Jüdin! m1! Fr. Rosa Papier als Recha statt. Am Mittwoch singt die Künstlerin den „Orpheus“ roc cinmal. Am Dienstag, den 1. Juli, beginnk die frúbere Operettensängerin Frl. Regina Klein ihr Gastspiel als e Margarethe.

Redacteur: Riedel. Verlag der Ervedition (S olz). Druck: W. Elsnt?- Fünf Beilagen

(einsblicßlid Börsen-Beilage).

Berlin:

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

.MZ¿ 150.

Berlin, Sonnabend, den 28S. Juni

154,

Nithßtamfkliches.

Preußen. Berlin, 28. Juni. Jm weiteren Ver- laufe der gelitrigen (43.) Sißung des Reichstages begann das Haus die dritte Berathung des Entwurfs eines Gesetzes über die Unfallversicherung der Arbeiter.

Jn der Generaldiskussion erklärte der Abg. Rickert, er wolle die Streitfragen nicht alle noch einmal eingehend ‘bier erörtern, fondern nur die wesentlihfsten Punkte summarisch zusammenfassen. Nach der ersten Lesung sei keine Partei mit der Vorlage zufrieden gewesen, jede l,abe in Kardinalpunkten tiefgehende Aenderungen gewünscht. Nun habe man lange Beit in der Kommission gearbeitet, und das Resultat sei die ziemli unveränderte Annahme der Regierungsvorlage! Er verstehe es ja, wenn die Herren sagten, man müsse sich, um etwas zu Stande zu bringen, den Verbältnißen fügen, aber er wisse nit, woher man die Berehtigung nehme, geaen Andere, welche die alten Grundsäße, die ein Theil der Majo- rität jahrelang bekannt habe, niht verlassen wollten, nun

die sehr billige Anklage zu erheben, als ob die Liberalen |

nichts weiter könnten, wie negativ sein und unfrudtbare Opposition treiben. So habe in der bekannten Versammlung in Neustadt der Reichstag2abgeordnete Buhl erklärt, die frei- sinnige Partei habe bisher ja auch denselben Standpunkt, wie die Nationalliberalen vertreten, aber nah seinen Erfahrungen in der Kommission glaube er, daß sie doch genug theoretische Gründe finden würden, um schließlich gegen das Gesetz zu stimmen. Wenn Jemand mit einer so vorgefaßten Meinung über frühere Freunde an die Sache herangehbe, so sei es kein Wunder, wenn derselve im Brustton der Ueberzeugung den- selben Standpunkt, den er früher mit seiner (des Redners) Partei vertreten habe, nun als arbeiterfeindlich oder volistän- dig negativ hinzustellen suhe. Er (Redner) meine, daß die neuen sozialpolitishen Jdeen, auf Grund deren der Reichs- kanzler seine Politik aufbauen wolle, nirgends wo anders, als vom Liberalismus herstammten, und die Rechte habe am aller- wenigsten Veranlassung, gerade seiner Partei den Vorwurf zu machen, als ob sie für die Jnteressen der Arbeiter kein Herz hätte, Aus der liberalen Partei heraus sei im Fahre 1868 die Jnitiative zu dem Haftpflihtgeseßs gekommen, und liberale Abgeordnete hätten zuerst Mängel des Haft- pslihtgeseßes hier betont und Abhülfe gefordert. Wäre das Haus seiner Partei gefolgt, so wären die Arbeiter bereits in dem Besiß der Wohlthaten, die die Rechte ibnen jeßt verschaffen wolle. Schon 1881 hätten die Fabrikanten 548 000 Arbeiter für alle Unfälle versichert, also mehr als den vierten Theil ; hâtte man diese Entwickelung nur weiter gehen lassen und außerdem das Haftpflichtgeses verbessert, so hätte man längst eine Versicherung gegen ale Unfälle auf dem Gebiete der freiwilligen Thätigkeit, die viel mehr leisten würde, als was jeßt nach langem Mühen dies Geseß leisten werde. Der Abg. von Bennigsen, dessen Nücktritt vom politishen Leben wohl Niemand mehr bedauere als er, er bedauere ihn um so mehr, als er aus seiner Berliner Rede und den über die thatsächlihen Verhältnisse gegebenen Ausführungen ersche, daß derselbe den Dingen niht mehr nahe genug stehe; er halte es überhaupt nicht für rihtig, daß ein Führer einer Partei, der nach außen die Führung wieder übernchme, nit zugleih an der verantwortlichen Stelle im Parlament mitwirke. Hr. von Bennigsen habe in der Berliner Versammlung die durhaus nicht zutreffende Mcinung übe

die freisinnige Partei geäußert, daß sie es ablehne, den Staat mit seinem Rechtszwange Hülfe schaffen zu lassen. Es wäre doch sehr leiht, nachzuweisen, daß seine Partei auf anderen Gebieten und auf diesem den Zwang nicht ablchne, Habe seine Partci den Antrag Buhl nicht gemeinschaftlih mit den Nationalliberalen eingebracht, niht das frühere Hülfskassen- gese beschlossen? Wan sollte sih ein treueres Gedächtniß bewahren. Seine Partei habe kein Fnteresse gehabt an einem Kampfe mit den Nationalliberalen, Seine Partei habe es bei der Fusion ausdrücklich als Bedingung gestellt, daß dieselbe nit einen folhen Kampf bedeuten folle. Kaum aber sei die freisinnige Vartei ins Leben gerufen, da fet die Hege gegen seine Partei losgeaangen und die Tonart, in der man in der Presse über seine Partei spreche, sci ein Beweis, daß man ein aufrihtiges Zusammengehen mit derselben nicht mehr wolle. Dann möge man sich nicht wundern, wenn jene Partei die Konsequenzen ziehen müsse, Das Verhalten der Nationalliberalen in der Unfallfrage bleibe immer noch unaufge- klärt. Wer diePolitik des Neichskanzlers genauer verfolge, der wisse, daß derselbe an seinen Zielen mit eiserner Kon)equenz festhalte, die Formen würden gewechselt und zerbrohen. So auf dem Gebiet der Finanzen und des Budgetrechts; die Beseitigung des Einnahmebewilligungsrechts und die Vermehrung der 1n- direkten Steuern im Zusammenhang damit. Auf dem Gebiet der Sozialpolitik sei das Ziel, den Staat als entscheidenden Regulator in die Erwerbsthätigkeit des Volkes einzuführen und die erwerbende Gesellschaft unter der Leitung des Staatê- gewaltamtes zu organijiren. Alle Unfallvorlagen hielten an der Beseitigung der Privatgesellschaften und an der Staats- einmishung und dem Staatszuschu)je 1n irgend einer Form fest. Seine Partei habe bisher mit den Nationalliberalen ge- meinsam diefen Bestrebungen widerstanden; es feine, daß seine Partei einen Theil ihrer früheren Kampfgeno)jen auf diesem Gebiet verlieren werde. Ohne daß es für die Znter- essen der Acbeiter, denen auch seine Partei dienen wolle, nöthig gewesen sei, werde eine wohlthätige Privatversicherung zer!tört, um eine unerprobte {chwerfälige neue Genossenshaftsorganijation zu schaffen. Und um was handele es sich dabei ? Von 10 Millionen Arbeitern sollten nur circa zwei Millionen versichert werden. Für die Hälfte derselben sei bereits Vorsorge getroffen. Um diese verhältnißmäßig kleine Aufgabe zu lösen, mache man, wie auch die Freunde der Vorlage anerkennten, einen Gang ins Dunkle, schaffe eine weitläufige Organijation, welche, wie auh der Minister anerkannt habe, nicht ausgedehnt Es könne, für die große Mehrzahl derjenigen Arbeiter, welche un- versichert bleiben müßten. Man mache es also geradezu un- möglich, das zu erfüllen, was das sozialpolitishe Programm an die Spitze stelle. Wie lange sollten die Arbeiter noch warten? Sie würden bald erkennen, daß ihnen au} dem Wege

* werden dur einige philosophishe Systeme.

der Liberalen shneller und besser geholfen worden wäre. Aber die Privatgesell'chaften müßten beseitigt werden, und dieser Tendenz habe si das Andere anbequemt. Es handele si ch hier um den Anfang, um die erste Etappe auf dem Weze, um jo mehr sollte man sih hüten, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Noch bei der ersten Lesung habe der Abg.

Buhl „ein entsheidendes Hauptgewicht“ auf die Erhaltung der Gegenseitigkeits:Gesellshaften gelegt. Derselbe habe ge- sagt: „Das wäre doch ein außerordentliG bedenklihes Moment, wenn man, um dem einen zu einer, wie er glaube, niht besseren Versicherung zu verhelfen, dadurh vielen anderen die Versicherung unmöglich

machen würde.“ Ein s{härferes Votum gegen das Gesetz, für das die Nationalliberalen jeßt stimmen wollten, könne es doch niht geben. Dem Arbeiter wäre besser zu helfen ge- wesen. Jett solle die Entshädigung auf 66?/; Proz. herab- geseßt und troy anerkannten Bedürfnisses die Versicherung auf den größten Theil der Arbeiter niht ausgedehnt werden, 95 Proz. der Unfälle wälze man auf die Krankenkasse, über- trage den Arbeitern die Last der Verwaltung und Abwickelung und außerdem 3 Millionen Mark, welde sie von Rehtswegen zu bezahlen hätten. Das Ungerechteste sei aber, daß die- jenigen zu diesen 3 Millionen beizutragen hätten, welche von den Wohlthaten des Versiherungsgeseßes ausges{lofen scien. Das heutige Amendement beseitige diese Ungerechtigkeit nicht. Um in 4: bis 5000 Unfällen im Jahre die Entschädigungs- frage zu regeln, mahe man für das Reich einen so kolossalen und s\chwerfälligen Apparat von Gencssenschaften, die in allen Haupt’achen keine Selbstverwaltung hätten, sondern sih den Bestimmungen des Reichs - Versicherungsamtes unterwerfen müßten, Als Dekoration werde ein Arbeiteraus\{huß beige- geben, der, wie das anerftannt sei, nit mitzureden und nihts mitzuthun habe. Man habe diese Gesetzgebung als erste Lösung der sozialen Frage ausgerufen, aber wie dürftig sei in Wahrheit diese angebliche Lösung. Habe dem Hause doch der Abg. Kayser nachgewie?en, daß die Fndustrie, welche früher 12 Millionen aufgebrah: habe, nunmehr 16 Milionen aufbringen müsse, Also um dieser 4 Viillionen werde ein

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derartiger Weg in ein unbekanntes Land beshritten !

Beseitigung der Konkurrenz der freien Versicherungen sei eine Stappe zur Verstaatlichung aller Fndustrien, und wer dies zu

erkennen vermöge, der müsse sich auch zum Widerstand gegen eine Maßregel aufraffen, deren Quintessenz doch nur sei, daß der Staat, nachdem derselbe selbst versihere, nun alle Anderen verhindern wolle, selbst zu versichern. Redner bestritt, daß die Reich3garantie nur ein „Ornament“ sei; diese Garantie werde sih zweifellos praktish äußern müssen; ferner widersirebe €s allen bisher in der Arveiterwelt geltend gewesenen Grund- säßen, daß die Arbeiter von den über ihre Angelegenheiten be- rathenden Ausschüssen ausgeschlossen bleiven sollten. Worin bestehe denn nun der Nuzen des Gefeßes? Dazu sei ein großer Theil der Unfälle auf die Krankenkassen abgewäl!zt worden! Noch nie habe er gesehen, daß ein Theil der Vo!ks- vertretung gegenüber der Thatsache, daß der Reichskanzler seine Hand auf einen Zweig der Privatthätigkeit gelegt have, also einem so wilCtigen Schritt in ein unbekanntes Land gegenüber, so leiht wie hier, ihr Recht aus der Hand gegeben habe. Man habe mit diesem Geseß das Fundament zu einem jozialdemokratishen Staate gelegi, man habe den Anfang ge- macht mit einer staatlihen Zwangsorganisation eines hervor- ragenden Betriebes unter staatlicher Leitung; man habe die Unfallversiherung in einem Sinne geleitet, daß man den Arbeitern 3 Millionen mehr aufgelegt habe, als nothwendig gewesen sei, und das Leßte, aber niht das Leichteste: man habe den Anfang mit der Vernichtung einer großen Privat- Erwerbsthätigkeit gemacht. Diesen Anfang wolle feine Partei nit mitmachen und deshalb bitte er im Junteresse einer ge- funden sozialen Entwickelung des deutshen Volkes die Vor- lage abzulehnen.

Der Abg. Frhr. von Wendt erklärte, der größte Theil seiner politishen Freunde werde für die Beschlüsse zweiter Lesung stimmen. Er glaube, daß durch dieselben dem sozialen Elend und der Atomisirung der Arbeiterwelt entgegengewirkt werden könne. Freilih umfasse der Entwurf nur zwei Mil- lionen Arbeiter. Seine Partei sei aber davon ausgegangen, daß zunächst nur diejenigen Arbeiter zu treffen seien, welche vorzugsweise unter der modernen Entwickelung der Jndustrie zu leiden hätten. Der Geseßentwurf unterscheide sich vortheil- haft von dem Haftpflichtgeseßh. Jn den alerseltensten Fällen sei der Hastpflichtige dazu zu bewegen, ohne Mitwirkung der Gerichte dem Verletten eine Entshädigung zu gewähren, Die jezige Organisation werde auch sehr viel vortheilbafter sein, als die Aftiengeselshaften. Durch die organishe Gliederung bei den Berufêgenossensc,aften werde eine Milderung der Gegensäße zwishen Arbeiter und Arbeitgeber herbeigeführt werden können. Der Arbeiter solle niht wie ein todtes Werk- zeug, wie eine zerbrohene Schraube weggeworfen werden. Es jole sich zwishen Arbeiter und Arbeitgeber ein Verhältniß der Nächstenliebe, gegründet auf die Anerkennung des moralishe! Werthes und der Dankbarkeit, herausbilden. Mit großer Freude habe das Centrum den Sag der Allerhöcsten Botschaft be- grüßt, daß der Staat allein der Fürsorge für den Schuß der Arbeiter nit gewachsen sei, sondern daß es hierzu der Heran- ziehung aller realen Kräfte des Volkslebens bedürfe. Wenn nun auch dieser Zweck in der Vorlage nicht in vollem Um- fange erreicht sei, fo sei doch wenigstens der Anfang gemacht, mit dem unheilvollen System der Staatsomnipotenz zu brechen. Man habe nicht ohne Weiteres staatlihe Fnstitute geschaffen, sondern eine organische Gliederung, wie sie das Handwerk zum Theil besie. Alle diese Bestrebungen würden aber nichts nuten, wenn sie niht durch die Religion unterstüßt würden. Der Abg. Bebel befinde sih in einem sehr großen Jrrthum, wenn derselbe meine, daß man mit der Kirche leicht fertig werden könne, nachdem der Kapitalismus und die Bourgeosie besiegt sei. Die christliche Kirche sei niht begründet auf die Geldsäcke der Bourgeoisie. Sie könne auch niht überwunden Christenthum und Wissenschaft seien auch keineswegs S, er meine aber die wahre Wissenschaft. Um die soziale Reform durŸ- zuführen, sei es durhaus nothwendig, den realen Kräften des

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Volkslebens volle Freiheit zu geben; deshalb verlange das Centrum die Freiheit der Kirhe. Die Kirche predige freiwillige Entsaguna, Selbsilosigkeit, Näckstenliebe. Dadurch allein föónne der allgemeinen Scrankenlosigkeit auf allen Gebieten ein Damm entgegengeseßt werden. Daß diese Ziele nur langsam und vorsichtig erreiht werden könnten, liege auf der Hand. Er empfchle dem Hause nochmals die Annahme der Vorlage und warne dasselbe vor einer übereilten Annahm derjenigen Anträge, welhe in der Kommission niht gründlich geprüft jeten.

Der Abg. Blos betonte, die segensreihen Wirkungen, die man sich von diesem Gesetz versprehze, würden ausbleiben. Wenn der Vorredner die Wissenschaft für sh in Anspru néhme, so frage er denselben, welche Wissenschaft derselbe eigentlih im Sinne habe? Etwa die Theologie? Es heiße immer, die fkatholishe Kirhe könne alle fozialen Schäden ausgleihen und beseitigen. Dann sei die katholishe Kirche aber son schr lange bei dieser Arbeit und

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Schäden seien dabei gewachsen, statt sich zu vermindern. Der Vorredner habe die Entsagung als das regierende Prinzip seiner Anschauungen hingestellt. Die Leute in den fatholishen Gesellenvereinen seien ja_ politisch indisserent, weil sie inm von der Vesfentlichkeit ferngehalten würden; aber deshalb solle man do nicht etwa meinen, daß man heutzutage neh eine wirth

Y 4 A Too! y 7 d A I 41124 S t A1tH f 70 lihe Gesetzgebung auf das Prinzip der Entsagung baue 1 L

Uebrigens ließen die hauptsätlihst

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könne. Ta- tholishen Bewegung es an ihrem Aeußeren nicht erkennen, daß ste am Prinzip der Entsagung hingen. Wenn ferner

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auc die Regierung behaupte, dies Gesct sei erst der Anfang einer arößeren Reformentwickelung, so lasse |ch damit keines- wegs der in diesem Geseze bestehende Zwiespalt re{htfertigen, daß man einen Theil der Arbeiter versicherungspflihtig mache, den andern nicht. Daß man aber die Arbeiteraus\{chüsse be- seitigt habe, was hauptsächlich des Abg. Windthorsts Be- mühungen zu danken sei, das erfläre er als den s{hwersten in dieser Sache begangenen Fehler. Man babe die Arbeiter voli- ständig von jeder Mitwirkung bei der Unfallversiherung aus- geschlossen, was weithin im Lande die größte Unzufriedenheit erregen werde. Mit den Berufsgenossenswaften andererseits babe man den Unternehmern eine großartige Waffe in die Hand gegeben, deren Wirkungen sich erft später zeigen wücden. Das ganze Gesetz sei nichts als ein weiterer Versuh zur Be- vormundung der Arbeiter, ige |

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Eine recht merkwürdige Bestim- mung in der Vorlage sei die den Einzelstaaten eingeräumte Möglichkeit, cuch für sich Versiherungsämter zu errichten. Wolle man damit etwa den Partikularismus begünstigen ? Man werde nur neue Störungen in den an sih shon s{chwer- fälligen Apparat hineinbringen, den man durch dieses Gesetz konstituiren wolle. Solle denn au 3. B. der in seinem Wahl- kreise, dem Fürstenthum Reuß älterer Linie, regierende Staatsmann, der bereits alle Ministerposten in seiner Person vereinige, sih nun auch noch mit der Unfallversiherung be- schäftigen? Man habe überhaupt die Sozialreform von der verkehrten Seite angefangen. Die Versiherungsfrage treffe überhaupt nidt den Kern der heutigen sozialen Bewegun Für die ie Ag 1

i Sozialdemokraten handele es sich um die Verhältnisse der arbeitenden Klassen, Wolle man die

‘eform wirksam beginnen, dann führe man zunächst den L Leid)

B iglarhoitats otn ! C C 2, 4 i Normalarbeitstag ein! Das vom ? sfanzler proflamirte Qn L, 4 c 14 94 4 : 5 J c c e Recht auf Arbeit werde wohl in der Luft schweben bleiben. Qu ql A 4 A A bii 2 E oi nt E a D Im Volke fajte man die Sozialreform auf als Beshräntung der ungerechten Vorrechte der besizenden Klassen. Jn diesem Sinne 2 aber, wie es Ut

möge die Regierung vorgehen, nicht der Borlage der Fall fet, jene Voxrrechie neu erweitern.

Der Abg. Dr, Buhl bemerkte, es sei zunächst nit riütig, was der Abg. Rickert gesagt habe, daß die Gründung der deutsch: freisinmgen Fusion keine Feindseligkeit gegen die Nationalliberalen gewesen sei. Die Herren hätten gleich zuerst eine gemeinschaftliche 9 die Pfalz gemacht, um den

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Reise in dortigen nationalliberalen Wahlkreis zu ershüttern. Was dan: die Organisationsfrage betreffe, so habe die Regierung zuerst eine monopolisirte Reichsanstalt vorgescwlagen, gegen welches Pèonopol ebenso wie gegen das noch schlechtere der Einzel- staaten seine Partei jeder Zeit entschieden Stellung genommen habe. Jn der gegenwärtigen Vorlage aber beschränke sh ja die Thätigkeit des Staates darauf, ledizlih die Anleitung in der Regelung dieser ganzen Sache zu geben, und das gerade wolle seine (des Redners) Partei, Man ftäâme dann vom staatlihen Monopol zu dem von freisinniger Seite angeregten Versicherungszwang. Beim Erscheinen der jeßigen Vorlage hätten aber freisinnige Blätter, wie die „Volkszeitung“ und die „Osiseezeitung“ geschrieben, daß der Versicherungszwang mit der privaten Vereinsthätigkeit auf diesem Gebiet unver- einbar sei. Diese Blätter von der linken Partei hätten fofort die ganze Tragweite des Versiherungszwanges adoptirt. Für seine Partei sei die Zulassung der Privatzesellshasten, die sie fakultativ habe gewähren wollen, keine fundamentale Frage, denn den Arbeitern könne es gleich sein, ob sie ihre bestimmt regulirten Entschädigungen von den Privatgesellshaften oder von den Genoßfsenschaften erhielten. Besonders wichtig sei es seiner Partei aber jeßt, daß die verbündeten Regierungen nunmehr, wo die Privatgesellshaften beseitigt seien, sih mög- lihste Mühe geben würden, um denen, die um ihren ehrlichen Broderwerb bei dieser Gelegenheit gebracht würden, eine Ent- schädigung zu gewähren. Was die Frage des Reservefonds und des Umlageverfahrens betreffe, fo erkläre die „Frant- furter Zeitung“, das Blatt des Abg. Sonnemann, noch am 24, Mai, daß ein Reservefonds von 40 Millionen eine halb- wegs solide Grundlage sei. Nun aber komme man zu einem Neservefonds von 48 Millionen im Minimum. Außerdem würden durch die Bestimmung, wie der Reservefonds geregelt sei, in den ersten 5 Jahren mit Zinsen etwa {hon 40 Mil- lionen aufzubringen fein. Jn einer derartigen Regelung des

Neservefonds liege wirklih ein vermittelnder Standpunkt zwischen dem, was er in der ersten Lesung befür- wortet habe, und dem, was jegt erreiht sei. Die

ganzen Ausführungen des Abg. Sonnemann über die geringe Belastung der Jndustrie in den ersten Jahren seien bei dem