1884 / 163 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 14 Jul 1884 18:00:01 GMT) scan diff

3. B. eine Schlosserei in einer Baumwollspinnerei, mit dem Hauptbetriebe versiherungspflichtig sind. Endlich: E

c. sind nicht versiherungspflihtig das Handels- und Transportgewerbe, sowie die Gast- urd Schankwirthschaft. Eisenbahn- und Schiffahrtsbetriebe jedo, welhe wesentliche Bestandtheile eines der unter 1 bezeichneten Betriebe sind, z- B. ein Eisenbahnbetricb auf einem Hüttenwerke, fallen mit dem Hauptbetrieb unter das Vnfallveriicherungsgeseß.

3) Nach Ziffer 1d werden Betriebe, in welchen Dampf- kessel oder durch elementare Kraft bewegte Motoren zur Ver- wendung kommen, als versicherungspflihtig angesehen. Gleih- wohl bleiben solhe Betriebe von der Verficherungspflicht be- freit, wenn die Motoren nur vorübergehend und ohne daß sie zur Betriebsanlage gehören, benußt werden, vorausgeseßt, daß solhe Betriebe niht ohnehin nach den übrigen Bestimmungen der Ziffer 1 versicherungspflichtig sind.

Die vorübergehende Benußung tines zur Betriebs- anlage gehörenden, dur elementare Kraft betriebenen Motors, z. B. die vorübergehende Benußung einer zur- Betriebeanlage

ehörenden Turbine zur Winterszeit macht den Betrieb ver- Aherungspsliktig. Ebenso begründet die dauernde Be- nußung eines niht zur Betriebsanlage gehörenden Motors, z. B. einer Lokomobile oder einer gemierheten, aus einem Nachbarhause herrührenden stationären Kraft die Versiche- rungspflicht des Betriebes.

4) Als „Aufbereitungsanstalten“ sind anzumelden: gewerbliche Anlagen zur mechanischen Reinigung bergmännisch gewonnener Erze,

als „Steinbrüche“: solhe Anlagen, in denen die Ge- winnung von Steinen gewerbsmäßig und nach tech- nischen Regeln über oder unter der Erde erfolgt,

als „Gräbereien (Gruben)“: die auf die Gewinnung der in den sogenannten oberflächlichen Lagerftätten vorkom- menden Mineralien (Mergel, Kies, Sand, Thon, Lehm 2c.) gerichteten Anlagen, in denen ein gewerbsmäßiger und nach tehnischen Regeln ausgeführter Betrieb statt- findet. Die Ausbeutung eines eigenen Mergei- oder Torf: lagers zum Gebrauch auf dem eigenen Acker oder in der eigenen Haushaltung, sowie der niht nah technishen Regeln erfolgende übliche Torfstih bäuerlicher Besißer, auch wenn der Torf verkauft wird, sällt nicht unter das Geseßg. Nach tehnishen Regeln gewerbsmäßig betriebene Bernstein-, Torf-, Kies- 2c. Baggereien sind als Gräbereien (Gruben) anzumelden.

Als „Bauhöfe“ sind anzumelden: die auf eine gewisse Dauer berechneten Anlagen für Bauarbeiten (z. B. für Vor- rihtung von Zimmerungen 2c.).

5) Wer die Kraft seines stationären Motors an ver- schiedene Gewerbtreibende vermiethet, muß, auch wenn er selbst die Krast niht benußt, diesen Gewerbebetrieb mit Beziehung auf seinen Maschinenwärter, Heizer 2c. anmelden. Desgleichen sind die einzelnen Unternehmer der von diesem Motor be- wegten Betriebe für ihre Unternehmungen anmeldungspflichtig. (Vergl. Ziffer 3 Schlußsag.)

6) Die gewerbsmäßigen Betriebe der Maurer, Zimmere!:, Dachdecker, Steinhauer, Brunnenmacher und Schornsteinfeger sind anzumelden, wenn in denselben auch nur ein Lehrling beschästigt wird, einerlei ob es sich um Neubauten 2c. oder Reparaturen 2c. handelt.

Personen, welche niht gewerbsmäßig Maurer- 2c. Ar- beiten ausführen, unterliegen der Anmeldungspflicht nicht, wenn sie einen Bau durch direkt angenommene Arbeiter im Negie- betriebe ausführen lassen.

Andererseits brauchen die Unternehmer das Bauhandwerk nicht persönli erlernt zu haben oder selbst auszuüben, um wegen ihrer Maurer-, Zimmer-, Dachdekergesellen anmeldungs- pflichtig zu sein. Zur Begründuna der Anmeldungspflicht genügt es, daß der betreffende Arbeitgeber gewerbsmäßig Maurer- 2c. Arbeiten ausführen läßt.

Nur die Zahl der im Maurer-, Zimmer-, Dachdecker-, Steinhauer-, Brunnenmacher-, Schornsieinfeger:-Gewerbe durch- schnittlih beschäftigten Arbeiter ist anzumelden. Die Zahl der von dem Bauunternehmer etwa mitbeschäftigten Tischler, Glaser, Anstreicher 2c. ist nicht mit anzumelden, es sei denn, daß die Tischlerei 2c. von ihm fabrikmäßig (oben Ziffer 1 c, d) betrieben wird und deshalb für siG versiherungspflichtig ist.

Erdarbeiter für Wege-, Kanal-, Eisenbahn- 2c. Bauten sind nicht anzumelden.

7) Bei der Anmeldung ist der Gegenstand des Betriebes genau zu bezeihnen. Es genügl z. B. nicht, den Betrieb als Spinnerei, Weberei, Mühle anzumelden, sondern es muß aus der Angabe hervorgehen, was gesponnen, gewebt oder auf der Mühle verarbeitet wird. '

Umfaßt ein Betrieb wesentlihe Bestandtheile verschieden- artiger Jndustriezweige, z. B. Baumwoll-Spinnerei, -Weberei und -Färberei, so sind diese Bestandtheile bei der Anmeldung sämmtlich anzugeben, und gleichzeitig ist derjenige Bestandtheil hervorzuheben, welcher als der Hauptbetrieb anzusehen ist.

8) Jn der Anmeldung ist ferner die Art des Betriebes genau zu bezeichnen, insbesondere ob derselbe lediglich ein Handbetrieb is oder unter Benußung elementarer Kräfte (Wind, Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft 2c.) erfolgt.

9) Zur Anmeldung verpflichtet ist der Unternehmer des Betriebes oder sein geseßlicher Vertreter. Als Unternehmer gilt derjenige, für dessen Rehnung der Betrieb erfolgt, dem- nah bei verpachteten Betrieben der Pächter, bei Betrieben, welche im Nießbrauh besessen werden, der Nießbraucher.

_ Für die Anmeldungspflicht ist es einflußlos, ob der Be- trieb im Besiße von physischen oder juristishen Personen, des Reichs, eines Bundesstaats, eines Kommunalverbandes oder einer Privatperson ist.

__10) Die gen aller in dein Betriebe dur(hschnittlich be- \chästigten versiherungspflihtigen Personen muß in der An- meldung angegeben sein, einerlei ob dieselben Jnländer oder Ausländer, männlichen oder weiblichen Geschlechts, ob sie er- wadchsene Arbeiter, junge Leute oder Kinder, Lehrlinge mit oder ohne Lohn sind, ob sie dauernd oder vorübergehend be- \häftigt werden. Beamte mit mehr als 2000 46 Jahres- verdienst sind nit mitzuzählen.

11) Bei Betrieben, welche regelmäßig nur eine bestimmte Zeit des Jahres arbeiten (Zuckerfabriken, Brauereien, Bau- betriebe 2c.), ist die anzumeldende („durchschnittliche“) Arbeiter- zahl diejenige, welche sih für die Zeit des regelmäßigen vollen Betriebes, also bei Maurern während des Sommers, ergiebt.

12) Als „in dem Betriebe beschäftigt“ sind Diejenigen anzumelden, welche in dem Betriebsdienste stehen und Arbeiten, die zu dem Betriebe der Fabrik 2c. gehören, zu verrichten haben, ohne Rücksicht darauf, ob die Vercichtung innerhalb oder außerhalb der Yetriebsanlage (der Fabrik: Höfe 2c.) erfolgt.

13) Selbständige Gewerbtreibende, welche in eigener Betriebsstätte im Auftrage oder für Rehnung anderer Ge- werbtreibenden mit der Herstellung oder Bearbeitung gewerb- liher Erzeugnisse (d. h. in der Hausindustrie) beschäftigt werden, sind bei der Anmeldung nicht mitzuzählen. Ein Kaufmann (Fabrikant), welher 100 Hausweber beschäftigt, hat deshalb allein noh keinen versicherungspflihtigen Betrieb.

Sollte dagegen ein Hausweber an seinem mittelst elemen- tarer Kraft betriebenen Webstuhl einen Arbeiter beschäftigen, so müßte der Hausweber (niht der Fabrikant, für den er arbeitet) diesen Betrieb gemäß Ziffer 14 anmelden.

14) Für die Anmeldung wird die Benußung des nach- stehenden Formulars empfohlen.

15) Fs ein Unternehmer zweifelhaft, ob er seinen Betrieb anzumelden habe oder nicht, so wird derselbe gut thun, die Anmeldungsfrist niht unbenußt verstreihen zu lassen, wenn er sicher jein will, den aus der Nichtanmeldung eines ver- siherungspflihtigen Betriebes sih ergebenden Nachtheilen zu entgehen. Hierbei bleibt ihm unbenommen, in dem Formulare, Spalte „Bemerkungen“, die Gründe anzugeben, aus denen er die Anmeldungspfliht bezweifelt.

16) Schließlich werden die betheiligten Betriebsunterneh:ner noch besonders darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn sie die vorgeschriebene Anmeldung nicht bis zum 1. September 1884 erstatten, sie hierzu durch Geldstrafen im Betrage bis zu ein- hundert Mark angehalten werden können.

Formular für die Anmeldung. Kreis (Amt) (Bemeinde- (Guts-) Bezirk . Anmeldung auf Grund des 8. 11 des Unfallversicherungsgesetzes. Name | | i 2 | des Gegenstand | Art | durschnittlich | Be- des | des beschäftigten

Unternehmers | merfungen.

(Firma).

| Rotriohost) [Notrtohocnr) | versicherungs- | | Betriebes ). Betriebes ). pflichtigen | Personen.

' | | ! / |

, den (Unterschrift des zur An:neldung Verpflichteten.) . B, Baumwoll-Spinnereti, -Weberei, -Färberei, «Appretur, Holzsägemühle, Getreidemühle, Oel:nühle. Bei mehreren Betriebszweigen ist der Hauptbetrieb zu unter- streichen, _*) Z. B. Handbetrieb, Betrieb mit Dampf-, Wind-, Wasser- kraft, Gasmotor 2c.

Nichtamtliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 14. Juli. Wie „W. T. B.“ von der nsel Mainau meldet, verlief das am Sonnabend von den Offizieren des 6. Badischen Jnfanterie-Negiments Nr. 114 veranstaltete kostümirte Jagdfest äußerst glänzend.

Se, Majestät der Kaiser und König trafen mit den Großherzoglich badischen Herrschaften Abends 61/2 Uhr auf dem Festplaße în dem benachbar:en Walde ein, verließen hier den Wagen, unterhielten Sih in huldvollster Weise mit den bei dem Feste mitwirkenden Herren und Damen und dankten den- selben sür die bereitete Ovation. Bei der Arkunft auf dem Festplaße wie bei der Abfahrt von demselben wurden Se. Majestät von der zahlreihen Volksmenge mit enthusiastishen Kundgebungen begrüßt.

Enthält ein Geschäftsabs{chluß unter anderen Festseßungen auch solche, die als Verträge über unbewegliche Sachen an sih dex Schristfsorm bedürfen, resp. die als Ver- träge über Handlungen im Geltungsbereih des Preuß. Allg. Landrechts das sreie Nücktrittsreht gestatten, so bedarf des- halb nach einem Urtheil des Reichsgericzts, i. Civilsenats, vom 31. Mai d. J., das Geschäft, wenn :s in seiner Tota- lität im Wesentlichen eine kaufmännische handelsgeschäst- liche Zereinbarung bezweclt, wever der Schriftsorm, noch steht dem Kontrahenten ein freies Nücktrittsreht in Bezug auf das ganze Vertragsverhältniß oder auf einen Theil desselben zu. Beispieisweise ist ein mündlih abgeschlossener Vertrag, dur welchen ein Kaufmann einem anderen Kaufmann sein Waaren ge\shät nebst Beständen verkauft und den Käufer verpflichtet, in seinen Miethsvertrag in Bezug auf die bis- herigen Geschüfstslokalitäten und in seine mit dem Geschäfts- ra abgeschlossenen Engagementsverträge einzutreten, gültig.

Bei der Beleidigung eines Kindes, welches des chrenkränkenden Charakters der Beleidigung fh noch nicht bewußt ist und deshalb sich gar niht beleidigt fühlt, ist nach einem Urtheil des Reichsgerichts, 11. Strassenats, vom 2. Mai d. J., der Beleidiger dennoch, auf den Strafantrag 4 d des beleidigten Kindes, wegen Beleidigung zu be-

rafen.

-=- Der hiesige hanseatishe Miniscer-Resident Dr. Krüger hat einen längeren Urlaub angetreten. Während seiner Ab- wesenheit von Berlin werden die Geschäfte der hanseatischen Mission durch die Königlich dvagyerishe Gesandtschaft mit versehen.

S, M. S. Leipzig, Kommandant Kapitän zur See Herbig, 12 Geschütze, ist am 12. Juli cr. in Simonstown bei Kapstadt eingetroffen und beabsichtigte, am 16. Juli cr. die Reise fortzuseßen. Das vom Aufenthalt in Singapore stam- mende Malariafieber an Bord ist erloshen. Der Gesundheits- zustand ist sehr gut, :

Als Aerzte haben sih niedergelassen die Herren: Feilchenfeld in Schlohau, Dr. Breitkopf in Schweß, Dr. Win- ter, Dr. Jos. Hoffmann, Dr. Feld unb Dr. Quetsch, sämmtlich in Berlin, Dr. Herzfeld in Heldrungen, Dr. Wessel in Roz- leben, Dr, Wander in Ellrih, Dr. Ewers in'Wesel, Dr. Vogel-

sang in Werden, Dr. Wehrmann in Düsseldorf, Dr. Hofadcker in Düsseldorf.

Bavern. Kreuth, 14. Juli. (W. T. B.) Der König und die Königin der Niederlande sind heute früh von hier abgereist.

Oldenburg. Oldenburg, 11. Juli. (Oldb. Ztg.) Der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin nebst Prinzessin Charlotte werden sich am Sonnabend, den 12. Juli, auf kurze Zeit wieder nah Helgoland begeben. Nach bis jeßt getroffenen Bestimmungen wird die Erbgroßherzogliche Familie gegen den 20. d. M. nach Lensahn übersiedeln, woselbst die hohen Herrschaften wie alljährlih bis Anfang November zu verweilen gedenken.

Oesterreich-Ungarn. Wien, 13. Juli. (W. T. B.) Das Kriegs-Ministerium hat die Einberufung zu den Waffenübungen betreffs derjenigen Urlauber und Reser- visten, welche sich in Frankreich aufhalten, aus Anlaß der in Südfrankreich herrshenden Cholera-Epidemie für dieses Jahr sistirt.

Agram, 12. Juli. (Prager Ztg.) Der Landtag nahm heute mit 63 gegen 3 Stimmen den §8. 1 des Gesehß- entwurfs, betreffend die Suspendirung der Unabhän- gigkeit der rihterlihen Personen, mit dem Amende- ment Gyurayvic (dreijährige Dauer der Suspen- dirung) an. Die Weiterberathung des Geseßentwurfs wurde durch die Opposition verhindert, welche fortwährend die Verhandlung unterbrach und die bei Beginn der Sißung von Tuskau und Barcic eingebrachten Dringlichkeitsanträge zu ver- handeln verlangte. Der Antrag Tuskau's wegen grundbücher- licher Eintragung der Grenzwälder als Eigenthum Kroatiens wurde mit 18 Stimmen Majorität abgelehnt, ebenso der An- trag Barcic, daß der Bericht der Negnikolardeputation über die Fiumaner Frage als erster Gegenstand der Tagesordnung der nächsten Sißung verhandelt werde.

Niederlande. Haag, 12. Juli. (W. T. B) Die Erste Kammer hat die Vorlage, betreffend eine Anleihe von 60 Millionen, und den zwishen Frankreich und den Niederlanden abgeschlossenen Handelsvertrag, angenommen.

Großbritannien und Jrland. London, 12. Juli (W. T. B) Die finanziellen Beigeordneten der Kon ferenz traten heute Nachmittag im Auswärtigen Amt wiederum zu einer Situng zusammen.

Lord Wemyß beabsichtigt, am Montag eine Nesolu- tion im Oberhause einzubringen, in welcher die Ansicht ausgesprochen wird, daß die Berathung der Wahlreform- bill im Oberhause fortgeseßt werden müßte, um die An- nahme derselben noch in der gegenwärtigen Session zu er- möglichen, Ferner soll in der Rejolution betont werden, daß eine Adresse an die Königin gerichtet werden müsse, mit der Bitte, das Parlament im Oktober zusammenzuberufen, um den Entwurf der Reorganisation dexr Wahl- kollegien zu berathen, welhen das Kabinet vorzulegen versprach, sobald die Wahlreformbill die Königliche Sanktion er alten habe. Die Aben dblätter besprechen die Chancen des Kompromisses zwischen dem Oberhause und dem Unterhause und halten ein Arrangement für möglich.

Die „St. James Gazette“ will wissen: der Regierung sei die Nachricht zugegangen, daß Osman Digma sih des 60 Meilen von Suakim entfernten Port Asis am Rothen Meere bemächtigt habe.

(A. C) Das Reutersche Bureau meldet aus Kap- stat t, voin 10. Juli: Thabanchu, ein Flecken im Orange - Fríistaat, ist von einer Horde Basutos und Baralongs angegriffen worden. Die Stadt wurde niedergebrannt. Dem Bejsehlshaber des Plaßes gelang es nur mit Mühe, \ich zu lichten. Von Bloemfontein sind Truppen nah dem Schau- paß der Ruhestörungen entsandt worden.

Frankreich. Paris, 11, Juli. (Köln. Ztg) Dex Minister des Jnnern wird morgen einen Kredit von 2 Millionen verlangen, von dem je nah Bedürsniß die von der Cholera heimgesuchten Städte, welhe um Geldunter- stüßung nahjuchen, unterstüßt werden sollen. Die Minister des Junern und der öffentlichen Arbeiten reisen am Dienstag nah Toulon und Marseille. Bis jeßt ist noch kein Cholerafall in Paris erwiesen worden; freilih kommen viele Fälle von Cholerine vor.

Sn der heutigen Sißung des Pariser Gemeinde- raths theilte der Seine-Präfekt zuerst das Gutachten der Akademie der Medizin mit und fügte hinzu: die Regierung bringe dieses Gutachten einfach zur Kenntniß des Gemeinde- raths, ohne Anträge irgend welcher Art hinzuzufügen ; die Feier des 14. Fuli sei ein geseßlich besiehendes National- fesi und werde ein solches bleiben. Was die Regierung be- treffe, so würden die angekündigten Beleuchtungen und Pa- raden in der vorgeschriebenen Weise erfolgen; der Gemeinde- rath habe demnach zu überlegen, was von seiner Seite ge- schehen solle. Nach kurzer stürmischer Berathung beschisß der Gemeinderath mit 51 gegen 18 Stimmen Uebergang zur Tagesordnung. Mit der Rechten stimmten neun Republikaner gegen die Tagesordnung. Die Parade der Schüler- Bataillone und die übrigen Festlichkeiten werden also stattfinden.

11. Juli, (K. Ztg.) Der Beschluß des Pariser Gemeinderaths, das Nationalfest, ungeachtet des Gut- ahtens der „Académie de Médecine“ und vieler anderen be- rühmten Aerzte, do zu feiern, hat die Furcht vor der Cholera nur noch vergrößert. Die Angst ist viel {limmer als 1867, 1853 und selbst 1849, wo die Cholera in Paris arg hauste. Der Polizeipräsfekt Camescasse hat indeß angeordnet, daß auf einem und demselben Festplaße niht mehr als 6 bis 8 Buden errichtet wecden dürfen, um allzu starke Ansammlun- gen zu verhüten, Die Vorbereitungen für das Fest begannen heute Morgen mit erneuter Thätigkeit. Die zwei Paraden der Garnison vonParis, die eine in den Elyseischen Feldern, die andere an der Barrière du Trône, werden eben- falls stattfinden. Der Kriegs-Minister hatte dieselben keines- wegs abgesagt, sondern sie sollten erst abgesagt werden, wenn der Pariser Gemeinderath sich gegen die Feier des Festes oussprechèn würde.

Der Senatsausschuß für die Verfassungs- Revision hielt heute wieder Sizung. Der Ausschuß be- müht si, einen Entwurf zu Stande zu bringen, in welchem die

Veränderungen genau festgestellt werden. Die Arbeiten können deshalb lange dauern. Da die Revisionsfrage in die Länge gezogen wird, so werden Senat und Kammer ihre leßte Sitzung wahrsheinlich am 21. halten. Das Budget wird erst in der Herbstsession zur Verhandlung kommen. Der Budgetausshuß hat jeßt die Prüfung des Kriegsbudgets beendet. Die Ersparnisse, die er bewirkte, betragen 22 Mill. Francs. Die wichtigste ist die Streichung von drei Millionen von den Kosten für die Beseßung von Tunesien. Der Ausschuß stüßt sih dabei auf die im leßten Jahre gemachten Erklärungen des Minister-Residenten Gambon, daß diese Ausgaben 1885 um 3—4 Millionen verringert wer- den könnten. Der Marine-Minister überreichte der Kammer einen Gesetzentwurf, in welhem er 82000 Fr. für die Beseßung des Hafens von Obok verlangt. Der Gesetzentwurf rechtfertigt die For- derung durch die Ausdehnung der französishen Besißung in Hinterindien und dur die Nothwendigkeit , in der sich die französishe Flotte befinde, beim Auslaufen aus dem Rothen Meere einen Hafen zu haben, wo sie Kohlen und Lebenemittel einnehmen kann. Die Einleitung zu dem Ge- seßentwurf besagt ferner, daß der Hafen von Obok trefflih und durch unbedeutende Arbeiten sehr bequem zu machen sei. Süßes Wasser sei leiht zu erhalten, und ein großer Theil des Bodens könne bebaut werden, Außerdem würden die Eingeborenen, deren Gesinnungen sehr freundliche seien, hel- fen, um einen Kolonialpunkt zu bilden, dessen Sicherheit durch eine kleine Truppenabtheilung ges{hüßt sei. Vom 1oirth- schaftlihen Standpunkt aus fkfönne Obok der Markt der rei- chen Provinzen von Schoa werden. :

Wie verlautet, wird General Millot, Oberbefehlshaber in Tongking, die verlangten Verstärkungen Anfangs August schon erhalten. Dieselben werden aus 2500 Mann, von denen die eine Hälfte der Marine-Jnfanterie, die andere dec afrikonishen Armee entnommen werden soll, bestehen.

12. Juli. (Fr. C.) Das „Journal des Débats“ kommt auf die Gefahr zurück, welche für die Pariser Bevölke- rung in der Abhaltung des Nationalfestes am 14. d. liege, und fordert, „da alle Warnungen an dem Starrsinn einer politishen Partei scheitern, den Pariser Gemeinde- rath auf, doch wenigstens sih der 7000 Knaben zu erbarmz:n, welche dem Programm gemäß von allen Seiten nah dem Stadthause zu einer Truppenschau über die „Ba- taillons scolaires“ strömen sollen. Die Anstrengungen, bie man ihnen da auferlege, könnten niht ermangeln, bedenkliche Symptome zu erzeugen, die dann im Laufe des Nachmittags und Abends durch Besuch der verschiedenen Ergößlichkeiten mit den Familien noch entwickeli würden, Wenn man. doch um jeden Preis das Fest feiern wolle, so möchten die Schul- bataillone vor ihren Schulen oder Mairien versammelt und ihnen die Mühe langer Märsche in der Julihize erspart_wer- den. Die Vorsichtsmaßregel, die man für die Erwachsenen ergriffen, sollte doch wahrlich auch den noch zarteren Un- erwachsenen zu Gute kommen.“

12, Juli, (K. Ztg) Am 5. August geht von Brest ein Handels\chiff mit 500 Soldaten und Kriegsmaterial nah Tongking ab. Jm Kriegs- hafen von Brest werden die Kreuzer „Lapeyrouse“ uno „Nielly“ zur Verstärkung der Flotte in den chinesischen Gewässern ausgerüstet. Jm Hafen von Lorient wird das Transportshif „Gendre“ für Tongking aus- gerüstet. Clémenceau wurde zum Präsidenten der uäuzersten Linken gewählt. Dauphin, der Vorsigende des Senatsausschusses für die Ver- fafsungsrevision hatte heute Morgen eine Besprechung mit Dreyfus, dem Berichterstatter des Kammeraus- schusses für die Revision. Nach Dauphins Ansicht ist der Senat zur genauen Angabe der in die Verfassung einzu- führenden Reformen geneigl, wird aber die Entscheidung bis zura Oktober vertagen. Die amtlichen Vorbereitungen zurn Nationalfes|t sind sast beendigt, dagegen die der Privatleute noch sehr im Rückstande ; bis jetzt sind nur wenige Fahnen zu sehen.

12. Zuli. (W. T. B.) Heute Vormittag fand im

Palais Elysée ein Ministerrath statt, in welhem der

Präsident Gréèvy mehrere Strafmilderungen für politishe Vergehen unterzeihnete. Die Strafen, zu denen Louise Michel, Krapotkin und Gauthier verurtheilt worden, sind hierbei nicht gemildert worden.

Der Erste Sekretär der diesseitigen Botschaft in Berlin, Baron von Plancy, ist zum Offizier der Ehrenlegion ernannt worden.

Jn der Deputirtenkammer legte heute der Conseils- Präsident den am 6. Juni zwishen Frankreich und Annam geschlossenen Vertrag vor. Révillon und Laguerre begründeten ihren Antrág auf Erlaß einer all- gemeinen Amnestie für alle wegen politischer Ver- brechen Verurtheilten, Der Minister des FJnnern, Waldeck-Rousseau, erklärte: es sei nicht statthast, Individuen zu begnadigen, welhe sich der Aufreizung zur Plünderung, Brandstistung und zum Morde u. st. w. s{uldig gemacht hätten. Das seien keine politishen Vergehen. Die Regierung sei geneigt, den Jrre- geführten gegenüder Nachsicht zu üben, nicht aber den Führern der Anarchisten gegenüber. Der Amnestieantrag wurde \{ließ- lih mit 283 gegen 123 Stimmen abgelehnt. Der Minister des Jnnern beantragte sodann die Bewilligung eines Kredits von 2 Millionen für die von der Cholera heim- gesuchten Städte. Für diesen Antrag wurde die Dringlichkeit beschlossen und derselbe einstimmig genehmigt; ebenso ein weiterer Kredit von 500 000 Fr. zur Bestreitung der durch die Epidemie verursachten Kosten. Jm Laufe der Debatte erklärte der Deputirte für Marseille, Clovis Hugues: die Nach- richten über die Cholera in Marseille seien übertrieben; die Cholera trete in einer „milden Form“ auf, und es wür- den von derselben nur Personen betroffen, welhe Früchte und Wasser im Uebermaß genössen. Die Kammer nahm sodann den Art, 1 der Zuckersteuervorlage an, welcher neue Steuern auf Zucker jeden Ursprunges sowie auf inländischen Traubenzucker einführt.

Nach dem heute veröffentlihten Bericht über den Ge- sundheitszustand in Paris während der leßten Woche sind 1105 Personen gestorben, gegen 991 in der vorhergegangenen Woche. Die Zunahme ist indessen nur dur die zahlreichen Todesfälle von Kindern unter 2 Jahren hervor- gerufen. Bisher ist hier kein Cholerafall konstatirt worden. Der „Temps“ bestätigt, daß der bereits ge- meldete Todesfall an sporadischer Cholera in der Rue St. Pères durch Unmäßigkeit hervorgerufen worden sei.

Lm 11. d. Mts. sind in Marseille 83 und am 12. 60 My ra vorgekommen. i n dem Zeitraum von gestern Abend bis heute Abend sind in Marseille im Ganzen 63, in Toulon 22 Per- sonen an der Cholera gestorben. Der Geheime Regie- rungs-Rath Dr. Koch besuchte heute die Hauptstadttheile von Lyon, wo heute Vormittag ein Cholera-Todesfall vor- gekommen |st. 5 | 13. Juli, Abends. (W. T. B.) Von heute früh bis heute Abend starben in Toulon 8, in Marseille 32 Per- sonen an der Cholera.

Italien. Rom, 12. Juli. (W. T. B.) Die „Agen- zia Stefani“ veröffentliht mehrere dem Ministerium des Auswärtigen zugegangene Depeschen aus Aden und Asssab, in welhen, auf Grund aus dem Jnnern Afrikas eingegangener Nachrichten, die Meldung von dem Scheitern der Expedition Bianchi's dementirt wird.

__ Der „Agenzia Stefani“ wird aus Madrid gemeldet : Diespan ische Regierung hat ihrenGesandten inRom beauftragt, dem Minister des Auswärtigen, Mancini, die herzlihsten und freundsch.ftlihstcn Versicherungen zu geben und demseiben den lebhasten Wunsh der spanischen Regierung auszudrücken, den durch den Minifter Pidal hervorgerufenen Zwischenfall zur vollen Zu- friedenheit JFtaliens zu beendigen. Um diesen Zweck zu erreichen, finden gegenwärtig Verhandlungen zwischen dem spanischen Kabinet und dem italienischen Ge- jandten in Madrid statt. Leßterer erhielt auh die Weisung, ein formelles Dementi der Worte des Ministers Pidal zu ver- langen, daß Jtalien die spanishe Regierung anläßlih des Passus der spanischen Thronrede, welcher die zwischen Spanien und dem Vatikan herrshenden wohlwollenden Beziehungen betont, beglückwünscht habe.

Türkei. Konstantinopel, 11. Juli. (Wien. Ztg.) Bedraß Efendi Kerhtedjan, Beamter des Finanz- Ministeriums, und Ali Beg, Funktionär der Civilliste, wurden zur Durchführung der Konvertirung der türxrki- schen Schuld in Paris und London designirt.

Nufßland und Polen. St. Petersburg, 13. Juli. (W. T. B.) Der Min: ster des Fnnern hat anläßlich des Austretens der Cholera in Südsrankreich unterm 28. Juni und 1. Juli cr. die Erneuerung der Maß- regeln angeordnet, welche im vorigen Jahre gegen die Ein- \chleppung der Cholera von Egypten her auf dem Seewege getroffen worden sind. Demzufolge find alle aus cholera- verdächtigen Oerilihkeiten Frankreihs kommenden Schiffe in den Häfen des Schwarzen Meeres einer zweiwöchent- lihen Quarantäne zu unterwerfen. Jn die baltischen Hâä fen dürfen solche Schiffe nicht einlaufen, wenn sie nit eini Certifikat über eine im Auslande bestandene Quarantäne vor- weisen. Am 2. Juli fand eine Bcrathung des Ministeriums des Jnnern mit demjenigen der Wege 1!nd Kommunikationen wegen sofortiger Ergreisung prophylaktisher Ma ß- nahmen cuf den Eisenbahnen, insbesondere den d- westbahnen statt, in Folge deren den Behörden die Be- folgung der Bestimmungen eingeschärst worden ist, welche in dem im vorigen Jahre erlassenen Cirkular des Medizinal- Departements, betreffend das Verfahren bei dem Auftreten der Cholera oder Cholera ähnlichen Krankheiten, getroffen worden sind.

Amerika. Chicago, 12. Zuli. (W. T. B.) Die demo- kratishe Konvention hat sih nach der Ernennung Hen- dricks zum Kandidaten sür die Vize-Präsidentschaft vertagt.

Afrika. Egypt?n. (Allg. Corr.) Ueber die zum Schuße Ober-Egyptens gegen eine Junuvasion ge- troffenen Maßnahmen wird der „Times“ aus Assuan unterm 9. d. gemeldet: Affuan is} jegt gründlich geschüßt. Die egyptishe Junfanterie und Artillerie haben auf einer süd- lich von der Stadt gelegenen Anhöhe eine stark befestigte Stellung bezogen. Die Kavallerie lagert in der Ebene im Osten, während eine halbkreisförmige Linie von Vedetten mit einem Radius von zwei Meilen die Stadt und das Lager umgiedt. Das Royal Sussez-Regiment campirt am Flußufer, 11/5 Mei- len nach Norder zu. Die westlihe Front ist durch Kapitän Bedfords Nilbo»te geshügt. Es existirt eine Karavanenstraße von Berber nach Kosseir mit Zweigstraßen nah Darawi, Cu- mumbu, Luxor und Keneh. Auf dieser Route befinden ih zahl- reihe Brunnen, aus denen 200 Mann in Zwischenräumen von 2 Tagen mit Trinkwasser verschen werden könnten. Land- einwärts, om linken Ufer des Stromes, sind mehrere Routen mit Äbzweigungen nah dem Nil vorhanden. Eine läuft von Darfour "ängs der alten Sklavenhändler-Route nah Assiut, wo Oberst Colville und Major Stuart-Wortley jeßt Posten der irregulären Beduinen herstellen. Eine andere, parallel mit dew Flusse laufende Route vor. Dongola nah Assiut, zweigt nah Esneh und Girgeh ab. Oberst Duncan beah- sichtigt Vorpostenlager auf diesen Routen zu bilden.

Der „Daily News“ wird von ihrem Spezialkorrespon- denten in Assuan u. d. 10. berichtet: Ein aus Dongola cingelaufener Brief bestätigt vollauf die Verrätherei des Mudirs von Dongola. Ein Abgesandter des Mahdi hat die Stadt besucht. Sämmtliche Christen wurden gezwungen, den mohamedanishen Glauben anzunehmen. Der Mudir von Dongola hatte eine Unterredung mit dem Scheih Huda, der die Rebellen in Debbah befehligt, und is vom Mahdi als Emir anerkannt worden. Der in griehisher Sprache geschriebene Brief fommt von einem maltesishen Kausmann, Joseph Franco, der britisher Unterthan ist und gegenwärtig in Dongola weilt. Aus dem Briefe erhellt, daß Dongola seit dem 20. Juni in der Gewalt der Rebellen is, und daß die angebliche Schlacht bei Debbah im Juni eine Erfindung war.

Kairo, 13. Juli. (W. T. B.) Aus Suakim wird gemeldet, das englishe Kanonenboot „Woodlark“ sei gestern von Rawaya und Agig zurückgekehrt und de- rihte: an beiden Orten habe Ruhe geherrscht.

Zeituugsstimmen.

Jn dem „Deutschen Landboten“ lesen wir:

._, . Die amerikanishe und seit Kurzem auc die indishe Lebensmittelkonkurrenz hat in allen Staaten des mittleren Europas {were Bedenken füc den Bestand der europäischen Landwirthschaft hervorgerufen, und man ist allgemein bemüht, die Nachtheile, welche

die auf das Prinzip des Freihandels gegründeten" Handelsverträge heraufbeschworen haben, zu beseitigen. Die Erfahrung lehrte ja deutlich genug, in welch reihem Maße es der nordamerikanishen Republik gelungen war, cine eigene selbständige Industrie zu erzielen. Ruß- land verfolgt gcnau dasselbe handelepolitisbe Prinzip und es ist nit zu levgnen, daß tres der wenig entwickelten inneren Verhältnisse unseres östliben Nachbarreicßes seit mehr als einem Jahrzehnt ein gewaltiger Aufshwung der Industrie erfolgt ist, der massenhaft deutsches Kapital und deutsbe Arbeit und Unternehmungslust heran- gezogen hat. Das sind unter grundverschiedenen politishen Staats- verfassungen unkleugbar ganz gleichartige Erfolge des Scbutzollsystems. Wir Deutschen sollten daraus lernen, daß die wirthshaftlihen Be- dürfnisse mit den politishen und den Berfassungsfragen nicht das Gerinatte zu thun haben.

Unsere Freitändler weisen uns dagegen immer auf England hin das angeblich dur den Freihandel reich geworden sein soll. Es wäre wohl einer Untersuchung werth, ob England in Folge oder troßiz des Freihandels scinen Reichthum erlangt hat und ob derselbe niht blos eine Folge seiner geographischen Lage ift, ähnlich wie Hamburg immer die größte See- und Handeléstadt Deutschlands sein und bleiben muß, einerlei ob es \ch{utzöllnerishen oder freihänd- lerishen Prinzipien folgt. Aber wenn wir auch diese Frage ununter- sucht sein lassen wollen, müssen wir doch darauf hinweisen, daß das Handeleprinzip Englands thatsächlich nur \chcinbar frei- hândlerish ist, in Wirklichlichkeit ist es blos ungemein praktisch. Verschiedene Maßregeln, wie Viehsperre, Zoll auf Spiritus und Seife 2c. beweisen, daß man in England keineswegs Alles aus frei- hândletishem Prinzip thut, sondern daß man dort bei Allem und Jedem nur den wirthschaftlihen Vortheil im Auge hat. Die über- seeiscbe Lebensmittelkonkurrenz hat jetzt {on in England eine mäch- tige Bewegung auf Einfuhr von Getreide;&llen wachgerufen, und wer die praktischen Engländer aiwt nah liberalen Zeitungsphrasen be- urtheilt, sondern sie wirklich kennt, der ist gar nicht im Zweifel darüber, daß man im Parlament zu Londcn plößlich zum theilweisen oder gänzlichen Schußzzoll übergehen wird, sobald das Land seinen Vortheil dabei findet

Es ift uns unbegreiflich, daß cs auch außerhalb der Scestädte Leute giebt, welche in den Bestrebungen zur Vereinheitlihung und zum Zollscbutz unseres woirti schaftlichen Gesammtlebens eine Schädi- gung der „Freiheit“ zu sehen vermeinen.

Die Getreidekonkurrenz, welche durch das Auftreten indisher Ge- treidemassen noch größer geworden ist, wird bald die Vertreter des europäiscben Freihandels lehren, wie sehr sie im Icrthum befangen gewesen find. Alles ausländische Getreide, das bei uns bätte gebaut roerden können, jede englische oder sonstige aus!ändishe Waare, wclche in Deutschland hätîte hergestellt werden können, aber durch den see- städtischen Import bei uns eingeführt wird, \chädigt die deutsche Arbeit und vermindert die Zahl der deutshen Käufer. Daduriy schadet sich der deutsche Kaufmann offenbar selbs. Denn so richtig es ist, daß der Kaufmann die Waare von Orten des Ueberflusses nach Orten des Mangels daran befördern soll, so wenig richtig ift es, daß er Waaren heranführt, welche die Produkte seiner Käufer hecab- drücken und letztere sc{hließlich kaufunfähig machen. An tem Geld, welches die Einfuhr nach Deutschland ins Ausland spedirt, verdient der Kaufmann nur einmal, an dem Gelde, welches für deutsche Arbeit im Lande cirkulirt, fann dagegen der Kaufmann viele Male verdienen, weil es oft dur seine Hände geht.

Die seit fünf Jahren bestehende Zoll- und Wirthschaftspolitik hat der von unserem Handelsstand gepflogenen (Beschäftsrichtung be- reits ein wesentlihes Hinderniß in den Weg gelegt, die Handelswelt lehnt. sib aber dagegen auf und glaubt in ihrer bisherigen Praftik die „Freiheit“ zu erblicken, während doch gerade durch die Zollpolitik auch für ihre Zukunft eine gesicherte Fortdauer angestrebt wird. Ciwas Wandel in diesen Irrthümern ist allerdings son eingetreten, am meisten im Süden Deutschlands. Aber auch im Norden wird unsere Kaufmannswelt bald mehr vund mehr einsehen lernen, daf! man sich von alten Gewohnheiten, welche der Neuzeit und den Crfordernissen eines nationalen Staates niht mehr ent- sprechen, losmachen muß, und daß es für die deutsche Handelswelt heute nichts mehr und nichts weniger als eine Pflicht der Selbst- erhaltung ift, sih ihren Käuferkreis kaufkräftig zu erhalten.

Das „Deutsche Handelsarchiv“/ meldet:

Die in Glauchau und Meerane heimishe Webwaaren- branche für Kleiderstoffe anlangend, so haben die Fabrikanten in den Monaten Januar und Februar hinreichezde Aufträge bekommen, \o daß sowohl die Arbeiter in den mechanischen Webereien als solche auf Handstühle volle Beschäftigung hatten und noch haben. . ..

Die meisten Fabrikanten verfügen abex noch über hinreichende, unausgeführte Aufträge, so daß man hofft, die guten Arbeiter bis zum Beginn der nächsten Saison beschäftigen zu können. .

Die Lage der Arbeiter hat weitere Besserung erfahren. Wenn auch die Löhne in den leßten Monaten nicht erhöht wurden, so war es do von großem W-°rth, daß die Arbeiter ohne jede Unterbrehung in ein und demselben Artikel thätig sein konnten. Daß durch den außerordentlich milden Winter die Ausgaben geringer waren, hat die Lage der zahlreihen Weber gleichfalls wesentlih unterstützt.

Der Geschäftsgang der Webwaarenbranhe in Fra,nkenberg und Umgegend (Fabrikaüion von Cachenez und sonstigen Tüchern) ist fein flotter gewesen, aber dennoch als mittelmäßig zu bezeichnen. . .

Ueber die verschiedenen Industriezweige des Vogtlandes kann erfreulicherweise meist Gürstiges berihtet werden. Was zunächst die Stikereien anlangt, so ift die Tüllstikerei voll beschäftigt. Die Tüll- spige ist nod immer sehr beliebt und verdrängt fast alle übrigen, besonkers Cambrie., Die Geschäfte haben stark zu thun und alle Masinen sind beseßt. Welcze Massen von Tüll gebraucht werden, ergiebt sih, wenn man berechnet, daß die etwa 3300 Stickmaschinen von Plauen und Umgegend wöwhentlih je 2 Stück Tüll verarbeiten, also insgesammt etwa 6600 Sröck pro Woche. 7

Die Seidenftickerei erfreute sich eines recht flotten Geschäfts- ganges

Die DeckenfUcerei, die fic) in Reicbenbahß immer mehr aus- dehnt, hat eine große Anzahl neuer Maschinen bescäftigt.

Gardincn. Das Geschäft geht in englischer Waare nach wie vor flott; troß der verdoppelten Arbeitszeit einiger größerer Etablisse- ments können die eingehenden Aufträge nit prompt effektuirt werden. .,_. , Die Konkurrenz mit den in England selbst angefertigten Gar- dinen toird mit Erfolg ausgehalten. . |

__Die Appreturanstalten waren gut und zu lohnenden Preisen be- \chäftigt: Das Konfektionsgeshäft hat scit kurzer Zeit wieder einen etwas lebhafteren Anstrich gewonnen Die Korsetfabrikation hat gesteigerte Nacfrage nah besseren Qualitäten aufzuweisen, so daß die Fabriken in Oelsnitz voll beschäftigt sind. .……. Die Musikinstrumenten-

abrikation ist zwar gut beshästigt, klagt aber schr über die in

olge unsolider Konkurrenz arg gedrückten Preise. Concertinas und Mundharmonikas bilden noch immer die gangbarsten Actikel und gehen in großen Posten nach Amerika. . .., Die Holzschleifereien und Holzstoffpapier-Fabriken des Erzzebirges haben in der leßten Zeit in Folge des neuen Verfahrens zur Gewin- nung der Cellulose und au in Folge der erhöhten Holzpreise nicht so gute Ergebnisse aufzuweisen, wie vorher; immerhin sind die haupt- säcblihsten und nah den neuesten Erfahrungen eingerichteten Etablisse- ments (besonders in Niederschlema) für längere Zeit mit lohnendea Auf- trägen versehen. Das Jahr 1883 hat nach den jeßt fertiggestellten Ab- \{lüssen in der Brancbe einen recht ansehnlichen Gewinn abgeworfen. Die R A g i hat dur die Konkurrenz zu leiden und vermag keinen hohen Gewinn zu erzielen. -=— Die Kartonfabrikation ist dagegen im Aufblühen begriffen. Aus Rautenkranz, wo diese Industrie lebhaft entwickelt ist, gchen jährlich allein etro: 10000 Ctr. Kartons nach Süddeutschland Das Geschäft der Steinnußknopf-Fabrikation, welhes in Schmölln und Göß- niß betrieben wird, hat sich in den leßten Monaten etwas belebt, volle Beschäftigung haben indeß die Fabrikanten ao nit Die Cigarrenbranche ist leidlih gut beschäftigt gewesen. . . . Die Mascinenindustrie ist in den verschiedenen Zweigen auch sehr ab- weichend beschäftigt. Was den Werkzeugma‘{hinenbau an-