1905 / 58 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 08 Mar 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 157. Sißung vom 7. März 1905, Nahmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Tagesordnung: Fortseßung der zweiten Beratung des Reichshaushaltsetats für 1905 bei dem Etat des Reichsamts des Jnnern und zwar bei dem Titel: „Gehalt des Staatssekretärs“, und den dazu beantragten R ALEIEE

eber den Anfang der Sizung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet. Éa

Abg. Zube il (Soz.) fortfahrend : Was den Hausierhandel betrifft, so sind wir gegen dessen Beschränkungen, denn die Lute greifen nicht aus Uebermut, sondern meist aus Not zum Hausier- handel. Es ist nicht das angenehmste Brot, das die Hausfierer essen. Tritt erst der neue Zolltarif in Kraft, dann wird der Hausierhandel erst recht um si greifen. Ein großer Teil der Leute auf dem flachen Lande kommt o monatelang nicht in die Stadt, für diese sind die Hausierer ein fehr gern gesehener Gast. Der Abg. Mugdan bat am vorigen Freitag fein Gift und seine Galle, die er an- esammelt hat, von sich gegeben. Er warf den sozialdemokratishen Kranken- assenvorständen vor, daß fie Sozialdemokraten bevorzugen. Handeln denn die Aerztevereine, die Hirsh-Dunckerschen Vereine anders? Geben fie niht auch ibren Vertrauensleuten den Vorzug? Herr Mugdan zweifelte die Befähigung der sozialdemokratischen Beamten an. Die Regierung ist darüber wobl besser unterrihtet als Herr Mugdan. Als neulich eine Konferenz im Kaiserlichen Statistishen Amt stattfand, wurde eine ganze Reihe sozialdemokratisher Sachverständigen zu- ezogen. Die Regierung fragt hier eben niht nach der politischen Richtung, sondern nah Wissen und Können. Ob Herr Mugdan bei seinen Kollegen Beifall-finden wird, wenn er sagte, ein großer Teil von ihnen sei von den Krankenkassenvorständen wirtshaftlich und ethish zu Grunde gerihtet? Herr Mugdan muß ja seine Kollegen beffer kennen, aber ih wußte nit, daß unter den Aerzten eine solche Gesinnungslumperei berrsht. Wir haben noch nie einen Art wegen einer entgegengeseßten volitis{en Gesinnung gemaßregelt. Möge Herr Mugdan doch ein solches Exemplar ia den Tisch des Hauses niederlegen. Es gab eine Zeit, da dahte Herr Mugdan anders über die Vorstandsmitglieder der Krankenkassen. Gr vershmähte es damals nit, mandte Stunde der Nacht ganz kordial Mitgliedern der Krankenkassenvorstände zu opfern, sih tagaus tagein an_ ihre Rockshöße zu klammern. Nachdem aber die Kranken- kassenvorstände den Charafter des Arztes Dr. Mugdan außerhalb dieses Hauses kenren gelernt hatten, da war es vorbei mit der Freund- schaft, da kündigten sie dem Drt. Mugdan die Freundschaft, denn sie erkannten, wes Geistes Kind er fei, Herr Mugdan, außerhalb dieses Hauses. (Präsident Graf von Ballestrem ersucht den Redner, sich ledigli mit der politischen Tätigkeit eines Kollegen zu beschäftigen.) Ich sprach von der Tätigkeit des Abg. Mugdan, ehe er Abgeordneter war. (Präsident: Das geht uns hier nichts an, fondern nur, was er politisch als Abgeordneter mat, das fônnen Sie hier in den Kreis der Erwägungen ziehen.) Es besteht bei Berlin ein Verein frei gewählter Kafsenärzte, der denkt anders über Sozia demofratzn als Dr. Mugdan, der hat einen Sekretär angestellt, ter als Sozialdemokrat agitatoris tätig ist. Herrn Mugdan fommt es auh nit darauf an, hier öffentlih nit ganz bei der Wahrheit zu bleiben. Er sprach hier von einem Partei- enossen Oëwald, das ift nur sein Vorname, et heißt Oswald Grauer. Dieser hat i selbst unter schwerer Mühe eine Kneipe eröffnet. Er ist dann nit als Expedient nah dem „Vorwärts“ gekommen, sondern seine Parteigenossen in Friedrihsberg und Lichtenberg haben ihn zum Zeitungsspediteur gewählt. Zu gleiher Zeit wurde der damalige Nentant der dortigen Ortskrankenkasse, eine frei- sinnige Leute namens Kaufmann, weil er sich viele Unregelmäßig- feiten batte zu s{ulden fommen laffen, seines Amtes T IREA: Unter den acht Bewerbern um die Stelle meldeten sich ein Kaufmann und auch zwei Korvetterkapitäne a. D., gewählt wurde aber ein- stimmig von Arbeitgebern und Arbeitern, welche ersteren sämtlich freisinnig sind, Oswald Grauer. Die Aufsichtsbehörde in Lichtenberg wird be- zeugen, in welher musterhaften Weise bis heute Grauer die Kasse verwaltet kat, und welchen Aufshwung die Kasse unter seiner Führung genommea hat. Herr Mugdan hat ferner auhch auf einen Schneider hingewiesen, der aht Monate Gefängnis gehabt haben soll und doch Rendant einer Krankenkasse geworden sein soll. Es fragt si, weshalb er bestraft ist, ob etwas Chrenrühriges vorliegt. Die Aufsichttbebörte fann bescheinigen, daß das niht der Fall war. Herr Mugdan hat ten Namen nit gekannt; so viel Schamgefühl scheint doch noch in Ihnen (¿um Abg. Mugtan) zu sein, daß Sie sih scheuen, den Namen zu nenuen. Es war der Schneider Tâterow; wir wissen, daß die Strafe nicht ehrenrührig war daß er sie nur für andere auf sich genommen hat. Er hat auch die Bestätigung als Krankenkassenrendant von der Aufsichts- behörde befommen. In den Kreisen ter Urbeitershaft \si:.d Sie, Herr Kollege Mugdan, für immer gerichtet.

Abg. Jt schert (Zenir.) begründet die von den Abgg. Erzberger und Genossen beantragte Resolution: „die verbündeten Regierungen zu ersuchen, durch Vermittlung des Neichsamts des Innern bei den Einzel- regierungen auf eine gleihmäßigere Gestaltung und Einschränkung der im Handelsgewerbe bezüglich der Sonrtagsruhe (S 105 b Reichsgewerbe- ordnung) getroffenen Ausnahmebestimmungen hinzuwirken“, sowie die von den Abgg. Dr. Hiße (Zentr.)und Genossen beartragte Nesolution: „die verbündeten Regierungen zu ersuchen, tunlihst bald einen Geseßtz- entwurf vorzulegen, durch welchen bestimmt wird, daß 1) die den Arbeitern zu gewährende Ruhe 105 Gewerbeordnung) mindestens für jeden Sonn- und Festtag 36, für zwei aufeinander folgende Sonn- und Festtage 60 Stunden beträgt; 2) die Arbeitszeit der Handlungs- gebilfen, -Lehrlingz und -Arbeiter, soweit sie niht in offenen Ver- fauféstellen beshâftigt werden 139 Gewerbeordnung), auf hôchstens zwei Stunden an Sonn- und Fesitagen beshränktwird; 3) eire ortsftatutarisce Regelung der Sonntagéruhe 105 Gewerbeordnung) auch dahin ermögliht wird, daß die Zulaffung der Beschäftigung an bestimmte Bedingungen geknüpft wird; 4) den in Gast- und Scharkwirt- schaften beshäftigten Personen tunlihst an jedem Sonn- und Feiertag, mindestens aber an jedem zweiten Sonntag der Besuch des Gottesdienstes ihrer Konfession ermögliht wird 105 i Gewerbes ordnung).* Der Redner führt etwa folgendes aus: Zunächst möchte iy den Anträgen der Abgg. Müller-Sagan und Stockmann zu- stimmen. Unsere Aniräge über die Sonntagsruhe lassen ebenso wie die sozialtemokratiscen Ausnahmen zu; tie Frage ist nur, wie weit man die Ausnahmen ausdehnen will. Wir wollen lieber \chritt- weise das Crreihbare nehmen, als daß wir auf einmal das Unmögliche verlangen. Wir wollen niht große Forderungen aufstellen und nachher ein großes Geschrei erheben, daß die Negierung unsere Forderungen nit erjúllea will. Die Forderung unter Nr. 1 des Antrags Hiye stimmt mit dem sfozialdemokratishen Antrage überein. Bei der lezten Arbeitershußnovelle haben wir auf diese Forderung leider verzihten müssen, weil bei dem Widerstand der Regierung und der Mebrbeit des Hauses daran die ganze Novelle gescheitert wäre. Wer die Frage der Sonntagsruhe zuerst angeregt kat, ift für das Volk wirklih gleichgültig, aber die sozialdemokratishe Partei hat damit niht den ersten Schritt getan. 1869 war schon ein Antrag des Konservativen Brauchitsh gestellt worden, und wenn das Zentrum damals noch feinen Antrag eingebracht hatte, so lag. das daran, weil das Zentrum damals noch gar nit bestand; seine späteren Mitglieder gehörten damals hauptsäcblih den Konservativen an. Herr Lipinsfi hat dem Abg. Erzberger vorgeworfen, daß er auf das Alte Testament zurückzegriffen habe, und ihn gefragt, warum er nicht gleich auf die Schêpsungsgeschichte ¿urückgegangen sei. Meines Wissens fteht die Schöpfungégeschichte im Alten Testament. Der sozial- demotratishen Forderung, daß die gewerblide Sonntags8arbeit geseylih verboten wicd, fönnen wir nicht zustimmen; wir fönnen nur Ausnahmen von der Sonntagsruhe mahen. Im vorigen Sommer habe ich gesehen, wie am Opernhause in Berlin Sonntag für Sonntag gearbeitet wurde, um die sckônen Treppen rings um das Haus herzustellen. Wenn cs auh eine no.wendize Arbeit war, so

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bâtte doch niht gerade Sonntags gearbeitet ¿u werden brauchen. Die Ausnahmen von der Sonntagsruhe müssen ganz erheblich ein- geshränkt werden. In dem Handel8gewerbe wollen wir höchstens zwei Stunden Arbeitszeit zulaffen. Wir sind auch mit einem Antrag einverstanden, der noch eingebraht werden wird, daß diese beiden Stunden auf einander folgen müssen. Wir wollen mit unserem Anirage nit sagen, Bs wir die zwei Stunden für angemessen halten, wir erhoffen vielmehr von dem sogenannten sozialpolitischen Verständnis, daß diese Sonntagsarbeit mit der Zeit ganz verschwindet. Wir wollen auch bier niht unbedingt einen ge}eßlihen Zwang, sondern wollen den Gemeinden die ortsftatutarishe Regelung vorbehalten, damit sie bei die*en Maßregeln, die natürlich tief in das Gewerbe- [eben einshneiden, die speziellen Bedürfnisse berüdsihtigen fönnen. Man beruft sih darauf, daß ‘auch in den Ministerien Sonntags ge- arbeitet wird. Sollte das richtig sein, so möchte ih hoffen, daß diese Arbeiten auf das geringste Maß beschränkt und baldmöglichst beseitigt werden. In der Stadtverordnetenversammlung zu Berlin find über die Sonntagsrube im Oktober vorigen Jahres sehr rückständige Anschauungen geäußert worden; man befürchtet einen Rückgang des Geschäft:s usw. Wenn wir beantragen, daß eine ortsstatutazishe, Regelung der Sonntaasruhe auch dahin ermög* licht würde, daß die Zulaffung der Beschäftigung an bestimmte Bedingungen geknüpft wird, so geshieht das mit Nüdsicht auf ein von Frankfurt a. M. erlafsenes Ortsfiatut, in dem es als zus lässig erklärt wird, daß die Handlungsgehilfen einen Sonntag frei haben unter der Bedingung, daß sie an einem anderen Sonntag mehr be- schäftigt werden. Das Kammergericht hat diese Verordnung für un- zulässig erklärt. Ferner beantragen wir, die verbündeten Ÿegierungen zu ersuchen, durch Vermitilung des Neichsamtes des Innern bei den Einzelregierungen auf eine gleihmäßigere Gestaltung und Ein- schränkung der im Handelsgewerbe bezüglich der Sonntagsruhe 105 N.-Gewerbeordnung) getroffenen Ausnahmebestimmungen hinzuwirken. Wir hatten seinerzeit bei Erlaß dieser Bestimmung unsere Wünsche auf eine weitergehende geseßliche Einschränkung der Sonntagsrube zurücktreten lassen müssen. Wir hatten aber gehofft, daß die Re- gierung dies Ziel bei Ausführung ibrer Befugnisse im Auge behalten würde. Darin haben wir urs getäusht. Es ift von der Befugnis, die fünfstündige Arbeit an Sonntagen einzushränken, sehr wenig, dagegen von der Befugnis, diese Arbeitszeit an Sonntagen usw. auszudehnen , _außerordentlich bäufig Gebrauch gemacht worden. Der Kollege Lipineki hat neulich aus einer Broschüre des Handlungs- gehilfenvereins zitiert, daß die Ausdehnung der Sonntagêéarbeit am Totenfonntag, am Himmelfahrtstag, am Konfirmandentag, am Aller- heiligentag, am Ablaßsonntag usw. staitgefunden bat. Bei dieser Aufzählung und in der Auswahl der betreffenden Sonntage ift Herr Lipintki ersihtliÞ darauf ausgegangen , chriftlide, f\pezifish tatholis@e Feiertage berauszugreifen, sie mit einem gewissen Ausrufungs;eichen zu versehen, nach der Richtung, als ob die katho- lische Bevölkerung besonderen Wert darauf legte, an diesem Tage Aus- nahmen zu machen. _Das Reformationsfest, das an jzner Stelle auch erwähnt ist, hat er übergangen. Gegen diefe Methode möthte ih doch protestieren.- Jedenfalls ist man bisher in der Gestattung von Auênahmen viel zu weit gegangen; und eine derartige Handhabung steht im frassen Widerspru mit dem Sciit des Veseyes. Statutarische Bestimmungen, die in diesem Umfange Ausnahmen zulassen, dürfen niht genehmigt werden. Mindestens jeden zweiten Sonntag muß den in Gast- und Schankwirtschaften angestellten Personen Gelegenheit zum Besuh des Gottesdienstes gegeben werden; dieser Teil unseres Antrages spricht für sich selbst. Ich kenne in Berlin eine bessere Gastwirt- aft, wo die Kellner tagaus tagein von Morgens 9 Uhr bis Nachts 2 Uhr beschäftigt sind. Solche Angestellten sind hâufiz mit 35, 36 Jahren Greise. Das sind die Folgen einer derartigen Veschäftigunzg. Die An- gestellten im Gastwirtsgewerbe verdienen energische Berücksichtigung. Das Verkehrs- und Transportgewerbe darf ebensowenig vernachlässigt werden; auch dort bedarf die Sonntagsarbeit erheblicher in- shränkungen. Hoffentlich ift die Mitteilung der Ergebnisse der ein- geleiteten Erhebungen baldigst zu erwarten. Hand in Hand mit unseren Resolutionen zu diesem Etat gehen unsere Anträge zum Post- etat auf Einschränkung des Postbestellverkehrs, womit notwendig ganz von selbst auch der Hantdelsverkehr eingeschränkt wird, wie auch die Freigabe des Sonnabendabends für die Arbeiterfrauen in derselben Richtung wiken würde. Herr Lipinski bat au erwähnt, daß der Sonntag, an dem der Katholikentag in Osnabrück begann, ein Ausnahmesonntag war. Darauf haben die Katholiken keinen Einfluß; außerdem hat der Stadtrat dort feine fatholishe Majorität. Daß Rosenkränze zu Hunge:löhnen hergestellt werden, mag fein; die- jenigen aber, die sie zu Hungerlöhnen herstellen laffen, find in der Zee feine Katholiken, und jedenfalls keine, die dem Zentrum an- gehören.

“___ Aba Dr. M üller- Meiningen (fr. Volkép ): Diese wichtige sozialpolitishe Debatte wird nun schon eine Reibe von Tagen vor einem so schlecht beseßten, bes{lußunfähigen Hause verhandelf, daß den Staatésekretär Grafen von Posadowsky wirklich ein Grauen über- fommen muß. Wollte er doch die Konsequenzen daraus ziehen und seinen großen Einfluß darauf verwenden, daß wir endlich einmal Diäten und damit ein beshlußfähiges Haus bekämen ! Leider bat das Zentrum fih diesmal nicht bewogen gefunden, eine gesonderte Erörterung der Refolutionen zuzulassen; aber etwas wäre immerhin gewonnen worden, wenn man wenigstens eine Gruppierung nah drei oder vier verschiedenen Materien beliebt hätte. Ein Lichiblick in dem ganzen sozialpolitis&en Wirrwarr if die Anerkennung der Berufsvereine durch den Staatssekcetär. Wir sind durchaus ein- verstanden mit Herrn Trimborn, daß auch die öôffentlih-rechilihe Seite dieser Frage geordnet würde; und tas fann nur gesehen durch die endlih2 Vorlegung eines Reich8vereins- und Versammlungsgeseßzes. Herr Trimborn als sozialpolitischer Meisterfahrer kann vielleiht durh- seßen, daß uns ein solcher zweiter Teil dieser Gesetzgebung vor- gelegt wird; wir versprehen ihm dabei unsere vollste Unterstüßung. In Sachsen-Weimar wird schr viel über die Handhabung des Vereins- geleges gzgenüber den Gewerkschaften geklagt; da fagte der Regierungévertreter, man würde erst vorwärts fommen fönnen mit der Landesgefeßzebung, wenn aus ein Reichsvereinsgesez verzichtet würde. Hier im Reichstag bôren wir es immer umgekehrt. Auf die Berechtigungsfrage, die von dem Abg. Eickhoff angeschnitten ift, hat Graf von Posadowsky ausweihend gzantwortect. Da möchte ih auch als Süddeutscher dem Staunen der Bevölkerung über diz Rück- ständigkeit Preußens Auésdruck geben ; hier ist wirklich Preußen nicht in Deutschland voran. Ih will bier damit nichi etwa den Norden gegen den Süden und einen Bundeéstaat gegen den anderen ausspielen. Vielleicht fönnte die Frage des Berechtigung8wesens in einer ein- heitlihen Bundesratsverordnung geregelt werden. Nötig wäre das namentlich hinsichtlich des Frauenstudiums. Eine Dame, die in Karlsruhe die Gymnafialreife erlangt hatte, wurde in München ¿um medizinisen Studium niht zugelassen. Notwendig wäre auch cine schnelle Reform des fkünstlerishen und photograpbishen Urheberrechts. Ih habe beantragt, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, baldigst dafür zu sorgen, daß der Verkehr mit Automobilen auf öffentlichen Straßen, Pläß?:2n und Wegen in Deutschland in einheitlicer Weise geregelt wird (Festseßung und Kontrolle der Geschwindigkeit usw.). Die Unpopularität der Automobile wird vershwinden, wenn die Exzesse des Sports ver- hindert werden. Ich derke namentlih an die Staubfrage und die Benzingeruhfrage. Das Reichsgesundheitsamt sollte hier cinmal einschreiten. Wenn einer n Hähne früh krähen läßt, dann hat nah einer Entscheidung des O erlandesgerihts der Eigentümer die Pflicht, den Hahn früh einzusperren wegen Belästigung des Publikums; wenn ein Lehrjunge auf der Landstraße ein wenig den Straßenstaub auf- wirbelt, so fann er, auch wznn er es nicht aus Bosheit tut, bestraft werden. Wenn aber ein Autler dasselbe tut, so nimmt man das als selbstverständlich hin. Jedenfalls bitte ich den Staatssekcetär, die Regelung dieser Frage zu beschleunigen. Ich habe ferner einen Antrag gestellt wegen des Schmierens, oder, wie man auch sagen kann, des westeuropäischen gewerblichen Backschishs. Das Zentrum hat unseren Antc2g erwzitert, indem cs einen Geseßtz- entwurf v:rlaagt. Es iff nur zu bedauern, daß es diesen Entwurf

nicht selbst vorgelegt hat. Bei Kartellen und bei Konsumvere; besteht das Bestehungswesen in gleicher Weise wie z p Geschäften. Das Geseg muß die Angestellten gegen Versuun-s s{hügen und ebenso Treu und Glauben im Geschäftsverkehr. J Stand der Angestellten if im großen und ganzen hölst e wert und wünscht selbst einen folden Schuß. Dazu ift aber wendig, daß dieser Stand erst gehört wird, namentlich darüber ; welcher Weise die Beste{ungêversuche sich äußern. Nur ‘auf dieio

Wege können wir ein gutes Geseß machen. In vielen Fällen mj

dur die \{lechte Bezahlung der Boden für die Bestehung bereit Es gibt aber auch sehr gut bezahlte Angestzllte, s bee s ns e RIaSeS Lana s P wir E eine gena ntersuchung der Frage. neller Gesetzgebung allein ist nis erv he Man ijt Fw leba 5 G klar. Jh für meine Person möchte auf die Bestimmungen für tz unlauteren Wettbewerb zurückgreifen. Ich empfehle Ihnen, fi «j mal die Geseßgebung der anderen Staaten über diese Frage anzuseh z- B. die amerikanishe. Prüft man diese Bestimmungen, fo n diese so disparat, daß einen ein _Grauen befällt. Das englische Geis enthält ganz ungeheuerlihe Strafbestimmungen; die Beweispflit wird dem Angeklagten aufgewälzt, daß die Zustimmung des Prinzipal nicht erteilt ijt. Die Frage ist fo tief einschneidend auf das gewe lihe Leben, daß wir sehr vorsichtig sein müssen. Dem Mittis stand will ja auch jeder helfen, aber über den Weg ist man f verschiedener Meinung. Das Expreßtempo ift nirgends gefährli&s als auf dem Gebiet des gewerblichen Konkurrenzwesens. Ich bi Sie also, unserem Antrag vor dem des Zentrums den Vorzug zu gebe

Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Gro von Posadowsky-Wehner:

Der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) hat die Länge der Beratur über den Etat des Innern mit der Diätensrage in Verbindung g brat. Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat ja fonst ein i menschenfreundlihes Herz, und ih hoffe deéhalb, er betrahtet mi nit als Geisel, die so lange zurückbehalten werden muß, bis Diâätenfrage gelöft ist. (Große Heiterkeit.)

Ih möhte jeßt auf einige Anfragen, die im Laufe der Va handlung an mich gerichtet worden sind, antworten, obglei ih ei Anzahl der Herren, die jene Anfragen an mih gerihtet haken, leit nit mehr im hohen Hause sehe.

Es ist zunächst auf. die Lusführung des Gesetzes, betreffend d Kaufmannsgerihte, eingegangen worden. Ich gestatte mir hierzu j bemerken, daß in Preußen zur Errichtung solher Gerichte 154 G meinden verpflichtet sind. Ih habe die Bundesregierungen gebet mir mitzuteilen, wie weit die Ausführung dieses Gesetzes gediehen i Die Antworten der Bundesregierungen stammen aus Ende Janz dieses Jahres. Danach war in Preußen die Errichtung rechtzeitig 6 folgt bei 25 Gemeinden, und es wurde berichtet, daß der Rest te Gemeinden wahrscheinlih im Laufe des Februar ordnung mäßige Kaufmannsgerihte habzn würde. Besondere Schwierigkeit mache die Einrichtung in Kreisen, wo ein Kreistagsbeshluß und Allerhöchste Genehmigung erforderlih fei; diesen Kreistagsbesckli einzuholen, erfordere längere Zeit.

In Saÿhsen ift in sieben von den in Betracht kommenden 13 & meinden das Gesetz rehtzeitig durchgeführt, in sechs waren die Wakl Ende Januar noch nicht vollzogen, die volle Durchführung sollte ki ebenfalls Ende Januar oder Anfang Februar beendet sein. Ebeni meine Herren, muß ich nach diefen Mitteilungen für die übrig Staaten annehmen, daß Ende Januar im großen und ganzen Gese durchgeführt sein dürfte.

Ferner ist auf die Stellung der Handel8agenten Bezug 0 nommen worden. Es ift richtig, daß in. dem Handelsgeseß buch die Handelsagenten eine besondere rechtlicze Stellung halten baben, und ich muß bis zu einem gewissen Grade gestehen, daß diese rechtlide Stellung der Handelsagenten, sie das Handelsgeseßbuch ihnen zuweist, in der Gewerben nung nicht völlig zum Ausdruck gekommen ist, indem sie dort (li den Hausierern behandelt werden. Die hier im hohen Hause geregte Frage verdient deshalb meines Erachtens eine ernste Vi digung, und ih werde diese Frage in Verbindung mit den preußisda Ressorts und auch mit dem Reichsjustizamt weiter verfolgen.

Auch die Stellung der Privatbeamten ist erörtert. Mit 18 Untersuung der Arbeitsverbälthifse in Kontoren und kaufmännis48 Geschäften is zur Zeii der Beirat beim arbeitsstatistischen Amt schäftigt. Diese Arbeiten sind bisher noch niht beendet.

Was die landwirtschaftliGen Beanten betrifft, so unterlizgen r bekanntli niht d-r Gewerbeordnung. Bezüglih der technis#s Beamten ift cin Bedürfnis, ihre Arbeitsverhältnifse näher zu untt suchen, bisher niht hervorgetreten. Ih werde aber dieser Fray nachdem sie hier angeregt ist, näher treten.

Hinsichilih der übrigen niht technishen Beamten , der Beami bei den Rechtsanwälten , Notaren, Gerichtsvollziehera und Kranker fassen ist gleichfalls der Beirat zur Arbeiterstatistik nicht zuständig,

Einer der Herren Vorredner hat namentli die Beseitigung d Nechtsungleihheit zwischen den tehnishen und faufmännis@en L amten einerseiis und den übrigen Beamten andezrseits verlangt. J folge der Resolution des Reichstags zu der lezten Gewerbeordnuns novelle find Verkandlungen mit dem preußishen Herru Justizminif angeknüpft, namentliß über die Stellung der Hilféarbeil der Privatbeamten in den Bureaus der Notare und Red! anwälte. Diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Es ift ferner die Forderung gestellt, daß mindestens ein maliger Beriht von den Gewerbeaufsihtsbeamten einzufordern über die Arbeitsverhältnisse der Werkmeister. Ich gestatte mir zu bemerken, daß nach § 139b der Gewerbeordnung die Zuständigl! der Gewerbeaufsichtsbeamten ih niht auf die Beobachtung der Ins haltung der für die Werkmeister gegebenen Vorschriften der §S 18: bis 133 f erstreckt.

Sehr eingehend is die Frage der Hygiene in den Glashü! behandelt worden. Auf Grund der Anregungen, die mir {on früheren Sitzungen des Reichstags gegeben sind, habe ih dur ei tehnishen Rzt des Neichsamts des Innern eine Anzahl von El hütten bereisen lassen. Es wurde namentli darauf hingewiesen, es hygienisch gefährli sei, daß bei einzelnen Aiten des Glasblaîi vershiedene Arbeiter sih desselben Instruments bedienten, wd die Gefahr des Uebertrazens von ansteckenden « Kcankh schr nahe liege. Soweit s\sich das hat feststellen [af wird nur in einizen Fabriken das Glasblasen dur komprimi Luft besorgt, besonders ia der Flaschenindustrie, also einer verhäl mäßig einfahen Glasindustrie.

(S{hluß in der Zweiten Beilage.)

niht einmal über die tis des Gesen

zum Deutschen

Zweite Beilage Reichsanzeiger

Berlin, Mittwoch, den §. März

und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

1905.

auer

(Séhluß aus der Ersten Beilage.)

Man hat allerdings auch in anderen Fabriken, wele f\o- enaunte Hohlglaswaren herstellen, versucht, durch Anwendung „n fomprimierter Luft das Glasblasen vermittels der mens{h- Tichen Lunge zu ersezen, vor allem {on um deshalb, um Ar- heitskräfte zu sparen und sich voa den Arbeitern unabtängiger zu len. Diese Versuche haben sih abir als praktisch nit heraus- stellt. Ich kann auf die Technik des ganzen Verfahrens hier nicht näher eingehen, das würde zu weit führen; aber be- merten möchte ih do, daß sich bei jener Bereisung ergeben hat, daß die Gefahr der Uebertragung von an- steckenden Krankheiten niht so nahe liegt, wie allgemein an- genommen wird. Wenn vor allem auf die Uebertragung der Tuber- fulose durch Benußung eines gemeinshaftlihen Instruments hHin- gewiesen wird, fo wurde bei Beratung der Angelegenheit von den Aerzten darauf hingewiesen, daß der Speichel doch nur in den Magen gelange, und deshalb eine Infizierung der Lunge weniger wahrschein- lih sei. (Hört, hört!) Der hier gegebene Rat, daß jeder Glas8- gläser sein eigenes Mundstück benußen solle, um die Ueber- tragung Von ansteckenden Krcankheitea zu verhüten, hat sih praktisch bisher als nicht durhführbar herausgestellt. Also: bis ¡egt hat sich ein Verfahren, das die immerhin mögliche Uebertragung gon ansteckenden Krankheiten beim gemeinschaftlihen Glasblasen un- möglich macht, nit finden lassen. Die Sache wird indessen von mir weiter verfolgt werden.

Was die Anfrage über die Revision der Apothekergesezgebung betrifft, so wurde im Reichsamt des Innern angenommen, daß die Vor- aussezung für eine gründliche Regelung des ganzen Apothekenwesens die Ablösung der Apothéekenwerte sei. Man hat si in Preußen mit »ieser Ablösung auch sehr eingehend beschäftigt, ist aber dabei auf unübersteigbare Schwierigkeiten gestoßen. Ich habe deshalb den preußischen Herrn Kultusminister gebeten, in Erwägung darüber einzutreten, ob sch nit auf andere Weise, ohne die Ablösung der Apothekerrehte, eine Neform dez Apothekenwesens herbeiführen ließe. Man scheint jezt in Preußen ver Ansicht zu sein, die Frage landesgeseßlih zu regeln. Ich kann aber nicht leugnen, daß es außerordentlich münshenswert wäre, wenn es sh ermöglichen ließe, eine reihfgeseßlihe Regelung des Apotkbeken- wesens herbeizuführen. (Sehr richtig! links.)

Das Gesetz, betreffend den Schuß der-Werke der bildenden Künste und der Erzeugnisse der Photographie, ist im April 1904 den Bundes- regierungen im ‘Entwurf mitgeteilt und gleichzeitig im „Reichsanzeiger“ veröffentlicht worden. Auf Grund eingegangener Aeußerungen und Eingaben hat eine nohmalige Umarbeitung des Entwurfs statt- gefunden, der jeßt dem preußischen Herrn Kultusminister vorliegt. Sobald ich die Zustimmung des preußischen Herrn Kultusministers erlangt Habe, werden diese beiden Entwürfe dem Bundesrat bezw. dem Reichstage zugehen.

Es ist auch der Wunsch ausgesprohen worden, bevor das Gesey über den privaten Ver sicherungévertrag ergeht, eine Enquete über die Kartelle der Feuerversiherungscesellshaften anzustellen. Meine Herren, die Kartelle der Feuerversicherungégesellshaften können Sie niht mit den übrigen Kartellen vergleichen; die übrigen Kartelle sind Warenkartelle, die Feuerversicherungégesellschaftsfartelle find Rartele über eine Listung; es handelt \s\ch hier um den Preis der Versicherung, die Prämien, ferner darum, unter welchen Bedingungen versichert wird, und ob über- hauyt versichert wird, die notleidenden Risiken. Kontradiktorische Er- hebungen über die Angelegenk eit haben \chon im Frühjahr 1902 bei Vorbereitung des Gesezentwurfs stattgefunden. Es find dabei sowohl die Versiherungêgesellschaften wie au die Vertreter der Versicherten aus Landwirtschaft, Handel und Industrie gehört worden ; ih glaube deshalb, taß weitere kontradiktorische Erhebungen jeßt niht mehr not- wendig sind, um das Gefeß über den Versicherungsvertrag fertig zu stellen. Außerdem ist ja das Privatversiherungsamt da, um gleihmäßig die Rechte der Versicherurgsgesellschaften und der Versicherten zu vertreten. Ih gestatte mir, hier eine grundsäßlihe Aeußerung des Privat- versiherungsamts über seine Stellung zu den Rechten der Verficherten und der Versicherungsgesellschaften zu verlesen. Da heißt es:

Das Aufsichtsamt hat den Standpunkt vertreten, daß die Be- dingungen nit darauf allein anzusehen seien, ob sie dem Zivilreht nicht zuwiderliefen. Lehteres gewährt eben- volle Vertrags- freiheit. Eine wichtige Pflicht der Aufsichtsbehörde mußte gerade darin erblickt werden, zu verhindern, daß in Aus- nuzung der Vertragsfreiheit Bestimmungen getroffen werden, die den Versicherten in unbilliger Weise belasten; es gilt, zwischen den entgegenstehenden Interessen des Versicherers und des

Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstänte einen

billigen Ausgleich zu finden. Soweit die anstoßerregenden

Bestimmungen \chon jeßt von den größeren Gesellschaften

niht in voller Schärfe gehandhabt werden, lag in der milderen

Praxis kein Grund, von dem Verlangen einer solchen Fassung der

Bedingungen abzusiehen, dur welche der Möglichkeit einer uns

billigen und harten Handhabung tunli{st vorgebeugt wird. Auch

hielt es das Aufsihtsamt für richtiger, durch die Klarstellung

¡weifelhafter und die Milderung harter Bedingungen auf die Ver-

minderung von Prozessen hinzuwirken, als es den Gerihten zu

überlassen, Abhilfe zu schaffen.

Meine Herren, von diesen grundsäßlihen Gesichtépunkten wird auh das Gesetz, betreffend den Versicherungsvertrag, geleitet fein.

Infolge der Anregung des Versicherungsamts für Privatversicherung haben die Versicherungsgesellshaften übrigens eine Erklärung erlassen, in welcher sie vielfach die harten Bedingungen der bisherigen Ver- siherungsstatuten im Interesse der Versicherten ganz wesentlih ge- mildert haben.

Was die Frage der Bestehungsgelder im privatwirtschaftlichen Verkehr betrifft, so ist dieselbe ja erst kurz vor Beginn dieser

unwesen gehandhabt wird, und zu welchen tatsählihen Mißständen es geführt hat, darüber sind nähere Mitteilungen biéher nit vor- handen. Tritt man deshalb der Frage näher ganz abgesehen davon, in welcher gesezlihen Materie man die Frage etwa regeln will —, so glaube ih, würde es das Richtige sein, zunächst einmal die Handels- fammern über den Umfang dieses Bestechungswesens zu hören und sih erst dann ein Urteil darüber zu bilden, ob und was überhaupt ge- schehen fann. (Sehr ritig !) j

Meine Herren, der Redner der sozialdemokratischen Partei hat beute au über Verrufserklärungen seitens einzelner Arbeitgeber gegen- über den Arbeitnehmern gesprohen. Ich bemerke zunähst, daß die Handlungen, die hier mitgeteilt sind, unter die Vorschriften der Gewerbe- ordnung nicht fallen; denn nach § 153 der Gewerbeordnung ist der Verruf bekanntlich nur strafbar, insoweit er ausgeübt wird, um jemandben zu zwingen, einer Koalition beizutreten oder fi von einer Koalition fern zu halten. Außerdem enthält die Gewerbeordnung nur noch Bestimmungen dahin gehend, daß keine die Person benahteiligenden Bemerkungen in deren Atteste aufgenommen werden dürfen. Also unter diese Vorschriften der Gewerbeordnung fallen die Fälle, die hier angeführt sind, nicht.

ih mißbillige den Verruf in jeder Form, mag er ausgeübt werden, von wem er will; denn ich bin der Ansicht, die persönlihe Freiheit, seine Arxbeitékraft zu verwerten, wann und. unter welchen Bedingungen man will, und arbeiten zu lassen, wann und durch wen man will, muß die Grundlage jedes geordneten Staats- wesens und jeder gesitteten bürgerlihen Gesellschaft sein. (Sehr richtig!) Aber wenn man die Nichtigkeit dieses Vordersazes an- erkennt, dann muß man au die vollen Folgerungen daraus ziehen. Und, meine Herren, eine Art Verruf ist es auch, wenn in der Zeitung steht: in der und der Fabrik wird gestreikt, Zuzug fern- zubalten! Eine Art Verruf ist au das Streikpostenstehen, wenn man die Arbeiter dadurch abhalten will, an einer bestimmten Arbeitsftelle zu arbeiten. Und eine Art Verruf ist es endlih au, wenn organisierte Arbeiter, wie ih das jeden Tag ereignet, mit nicht- organisierten Arbeitern nit zusammenarbeiten wollen, wenn sie er- flären: wir legen die Arbeit nieder, sobald auch nihtorganisierte Arbeiter an der Arbeitsstelle arbeiten. (Sehr richtig!) Meine Herren, es ift sehr bedauerlich, daß solche Verbältnisse bestehen; wenn man dieselben beklagt, muß aber auch von allen Seiten danach hin- gestrebt werden, diese Verhältnisse zu ändern, und vor allen Dingen muß man die volle Freiheit der Persönlichkeit in der Verwendung ihrer Arbeitskraft anerkennen und achten.

Was die Kinderarbeit und das Geseß zum Schuß der Kinder be- trifft, meine Herren, so können Sie nicht erwarten, daß ein der- artiges Gesez in allen Lebenslagen und allen Kreisen der bürger- lichen Gesellschaft sofort voll und gewissenhaft zur Durchführung ge- langt. Die dispositiven Strafbestimmungen etnes Gesetzes genügen eben nit allein, sondern ein Geseß muß, wenn es rihtig gefaßt ist, auch dazu beitragen, das öffentlihe Gewissen zu s{ärfen und allgemein eine bessere Sitte einzuführen. Ih hoffe, daß man an der Hand dieses Gesetzes in den Kreisen, wo Kinderarbeit üblich ist, immer mehr zu der Ueberzeugung gelangen wird, daß der Miß- brau der Kinderarbeit eine unrechte Handlung und ein Vor- griff auf die Zukunft der überanstrengten Kinder ift. Was speziell den angeblihen Mißbrauch von Kinderarbeit in öffentlichen Erziehungsanstalten betrifft, so ist an und für \ich der Grundsay richtig, daß in diesen öffentlichen Erziehungsanstalten die Kinder \{chon frühzeitig angehalten werden sollen, ihren förperlihen Kräften entsprehend zu arbeiten und so sch für ihren Broterwerb vorzubereiten. Aber es mag mögli sein, da diese Er- ziehungéanftalten meist von einem Zuschuß aus öffentlihen Mitteln leben, da sie sich selbstverständlich ihre Existenz nicht dur die Arbeit der Kinder allein erringen können, es ist mögli, sage ih, daß manch- mal der Uebereifer eines einzelnen Vorstehers dahin wirkt, diesen Zuschuß aus öfentliczen Mitteln möglichst herabzudrücken und deshalb einen möglichst großen Erwerb aus der Kinderarbeit zu erzielen. Dakbei fann eine Ueb-ranstrengung der Kinder vorkommen. Ich werde niht ermangeln, die verbündeten Regierungen auf die hier erhobenen Beschwerden aufmerksam zu machen. Wenn folches in öffentlihen Erziehungs8anstalten geschähe, so würde meines Erachtens der Leiter einer derartigen Erziehungs- anstalt den Zweck der Erziehung vollkommen verkennen, denn die Kinder, die in derartige öffentlihe Erziehungsanstalten gebracht werden, sind häufig sittlich und auch köôrperlih herabgekommen, und die Erfahrung lehrt, daß, wenn man das körperliche Befinden eines derartigen Kindes verbessert, man sehr häufig gleichzeitig auch seinen sittlihen Zustand hebt. (Sehr cut! bei den Sozialdemokraten.) Deshalb, meine Herren, würde eine derartige Ueberschreitung, eine derartige Ausnußung der Kinderarbeit im Interesse der billigeren Erhaltung der Anstalt entschieden ein pädagogischer Fehler sein. (Sebr rihtig! links).

Fch möchte jeßt auf

einer früheren Gelegenheit mate.

Meine Herren,

eine Bemerkung zurückommen, die ih bei Ich haite darauf hingewiesen, daß Mr. Watson, der eine Zeitlang Premierminister des australischen Gesamtstaates war, als er gefragt wurde, wie er sein Programm des Kolleftivismus auszuführen gedächte, sich außerordentlich vorsichtig geäußert habe. Ein Redner von der äußersten Linken behauptete daraufhin, ih hâtte den Mr. Watfon der sozialdemokratischen Partei“äangehängt, was nit ritig wäre. Meine Herren, ih habe nicht von der sozial- demokratischen Partei in Australien gesprochen, sondern von der sozialistischen Arbeitervartei in Australien. Die sozialistishe Arbeiterpartei daselbst Hat mit der sozialdemokratishen Partei in Deutschland einen Vergleihungépunkt: daß sie nämlich beide theoretisch den Kollektivismus vertreten, den Herr Watson \ ehr vorsichtig war, folange er die Stelle des Premierministers inne hatte, vraftisch durchzuführen. (Heiterkeit rets.) Aber anderseits besteht zwischen der sozialistischen Arbeiterpartei in Australien und der sozialdemokratishen Partei in

in Australien hoprotektionistisch ist (sehr richtig! in der Mitte), - und deshalb wäre es von mir sehr falsch gewesen, ein Mit- glied der sozialistishen Arbeiterpartei in Australien der sozial- demokratis@en Partei in Deutschland anzuhängen und diese beiden Parteien vollkommen zu identifizieren. °

Meine Herren, ich komme zum Slhluß noch auf die Sonntags8- rube zurück. Ih habe \chon darauf hingewiesen, daß ih im Begriff bin, die Vorschriften über die Sonntagsrube einer all- gemeinen Nachprüfung zu unterziehen. Wer englische Verhältnisse niht kennt, ist wohl geneigt, über die- englifte Sonntags- ordnung zu \potten. Wer aber England kennt, weiß, daß troy aller Uebertreibungen im einzelnen dech in der englischen Sonntagsruhe cine unendlihe Quelle. des Segens für die physishe Erhaltung des englischen Volkes und für die Gestaltung des englishen Familiens lebens liegt. (Sehr wahr! in der Mitte und links.) Es wurde bei der Bebandlung der Sonntagsruhe in der vorigen Sitzung ih glaube, man ftritt fi darüber, wer zuerst die Anträge auf Verstärkung der Sonntagêruhe eingebracht babe tazwischengerufen, man könnte ja dann bis auf Moses zurückgehen. Meine Herren, ih habe über die Bemerkung gar nicht gelaht ; die Bemerkung war meines Erachtens eine durchaus richtige. Die Gesetzgeber des Alten Testaments, des jüdishen Volkes waren eben tiefe Kenner des Volkss lebens und der menshlihen Seele, und was sie im Alten Testament als Gese vorgeschrieben haben, berubte eben auf der überlieferten Er- fahrung der Jahrtausende. (Sehr richtig!) Deshalb, meine Herren, stellen die Religionen aller gesitteten Völker die Forderung der Heiligung eines Tages in der Woche, die Forderung der Sabbats- oder Sonntagsruhe, und ich glaube, wenn wir die Sonntagsruhe, soweit es mit den berechtigten Forderungen des wirtschaftlihen Lebens vereinbar ist, immer mehr auszubilden suchen, dann leisten wir in der Tat der sittlichen und geistigen Wohlfahrt unseres Volkes einen ersprießlihen Dienst. (Bravo! in der Mitte und links.)

Akg. Bruhn (Reformy.): Den Weg, den tas Zentrum jeßt geht, immer die Arbeiter in den Vordergrund zu drängen, halte ih nit für rihtig; weit mehr bedarf der Mittelstand jegt der Fürsorge der Gejeßgebung. In diesem Sinne treiben wir »Mittel- \tandépolitik ; und eine gesunde Mittelstandspolitik {ließt auch eine gesunde Arbeiterfürsorge in sich. Auch den kaufmännischen An- estellten wollen wir die Möglichkeit der Selbständigkeit ofen On, während sie jeßt bei der verwüstenden Tätigkeit der MWarenbäuser nur die Aussicht auf dauernde Sklaverei baben. Wir wollen auch dem Lohnarbeiter seine Forderungen erfüllen, soweit sie gerechtfertigt sind. Die Mittelstandsberufe werden einmal bedrückt durch das Großkapital, anderseits von dem Terrorismus, der in der Arbeiterschaft immer von neuem wieder erzeugt wird. Der Mittelstand wird so zwischen zwet Mühlsteinen errieben. Wir können also nicht erst Arbeiterpolitik und dcnn ittelstandspolitik treiben, sondern beides muß gleichzeitig geschehen. Bea rr Trimborn recht, und er ist do von der taatserhaltenden edeutung des Mittelstandes nah seiner eigenen Ausfage durchdrungen, so müßte er uns zugeben, daß unsere Politik staat3erhaltend ist. Der Fabrikarbeiter teht ich heute wesentlih besser als viele Bauern,

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Handwerker und Handwerksmeister. Das Zentrum begeht mit seinem Metteifern mit der Sozialdemokratie einen großen Fehler ; denn die Sozialdemokratie wird mit ihren Forderungen nie aufhören, sodaß bei dem Wettstreit dem Zentrum doch der Atem ausgehen möchte.

Der Atbeitershuß ist ohne Schutz des Meittelstandes ein Schlag ins Wasser. Sollen nicht täglih neue 2

ittelstandsshihten ins Meer des Prole- tariats versinken, so muß der Mittelstand geschüßt werden. Wohin die Lokomotive des sozialpolitishen Eisenbahnzuges führt, schen wir so ret an dem Krankenkassenwesen in den Großstädten, wo, die Sozial- demokratie alles beherrscht. Das ist do sehr bedauerlich. Kaum hatte dér Staatssekretär von der Vereinfachung der VersicherungSzwelge gesprochen, sofort fiel ihm Herr Spabn ins Wort und legte sein Veto ein. Wollte er nur die Regierung seine Macht fühlen laffen ? Es chien, als ob der Staatssekretär zunähst nur einen Fühler aus- strecken wollte. Der Staatssekretär hat gemeint, ih hätte ihm feind- lihe Aeußerungen getan. Das ist nicht der Fall gewe]en. Der Staatssekretär ist mir persönlih gegenüber in den Fehler verfallen, den er mir zum Vorwurf machte, er wurde nämlich persönlich, weil es ibm an sachlichen Gründen gebrach. Uebrigens bin ih von meinen Wählern nicht hierher gesandt, um mich in fkonventionellen Formen zu bewegen, sondern um über die Meinung des Mittelstandes die ungeshminkte Wahrheit zu sagen. Es war auch mir gegenüber ganz unangebrat, von den Nechten der Krone zu reden. ch gehöre zu denen, die stets für die Rechte der Krone und der Monarchie und egen die Ausdehnung der Parlamentsrechte eingetreten sind. Nach meiner Metuung müßte das Streikpostenstehen als unzulässig verboten werden. Fh kann dafür auf persönlihe Beobachtungen hinweisen, wir esezlihe Mittel gegen den Terrorismus der Arbeiter. Da hat aber das Zentrum versagt ; es macht immer nur Sozial- politik auf dem Papier, berüsihtigt aber nicht die praktishen Ver- hältnisse. Die sozialdemokratishe Arbeiterschaft dagegen handelt nah dem Saß: „Und bist Du nicht willig, so brauch? ih Gewalt !“, und die daraus entstehenden Drangsalierungen gleichen einer Schraube ohne Ende. Nirgends ist der Terrorismus der Arbeiter so groß, wie im Baugewerbe in Berlin. Christliche Arbeiter können auf Bauten kaum noch Arbeit finden; sie werden sofort nach der „reinen Wäsche“ gefragt, und haben sie diese E aufzuweisen, so müsen sie weichen, oder die anderen legen \{chon Nachmittags die Arbeit nieder. Das führt dahin, daß sie einen Staat im taate bilden. Der christlihe Staat aber sollte seine christlihen Arbeiter {hüten gegen diesen Terrorismus. Die Lohnmehrforderungen werden aufgestellt ohne jede Rücksicht darauf, ob das Geschäft es tragen fann. Die Berliner Maurer, die Pioniere der gesamten Arbeiterschaft bekommen jeßt 70 - die Stunde; vor einigen Tagen haben sie beschlossen, 75 A und eine weitere Ver- fürzung der Arbeitszeit zu fordern. Also stets waletve: Mehr Löhne, weniger Arbeit! Welche Folgen wird diese Lo nsteigerung haben ? Die Sozialdemokraten reden den Leuten vor, die Getreidezölle würden das Brot verteuern. Die Lohnerhöhung für die Maurer wird die Bauten und die Mieten verteuern und so die Lebenshaltung der Arbeiter ver- \chleckchtern ; tanah fragen die Herren Sozialdemokraten aber nicht. Für das Verbot des Streikpostenstehens ist leider das Zentrum nicht zu haben. Es muß aber irgend etwas gegen die Sozialdemokratie fer E Vor den preußischen blauen Bohnen haben sie ja Angl aber das Gefährliche ist der wirtshaftlihe Kampf, den sie tagläg ih führen, gegen den müssen wir uns wenden, denn wir können nicht finten, daß ein großes Proletariat zum Vorteil des Staates ist. Beim Berliner Bäcker]treik haben die Bâkergesellen und ihr Verband mit den verwerflihsten Miiteln gearbeitet ; sie haben in Flugblättern den Meistern die größten Sauereien in ihren Betrieben nachgesagt und nachher stellte sich bei Gerichtsverhandlungen heraus, da

brauchen

Tagung aufgetauht. In welchem Umfang dieses Bestehungs8-

Deutschland der große Unterschied, daß die sozialistishe Arbeiterpartei

alles nicht wahr war. Die Herabseßung der Altersgrenze für