1905 / 78 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 31 Mar 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

_—… Meine Herren! Von einer Zensur der Postverwaltung kann gar „t die Rede sein. Ih habe aus den leßten Bemerkungen des Herrn Vorredners auch nicht mehr entnommen, daß es sich um irgend eine Gesetzwidrigkeit handelte; der Herr Vorredner ver- wechselt das Preßgeseßp mit dem Postgesep. Nah § 14 des Preßgeseßes iff überhaupt die Verbreitung einer Zeitung, in welcher Form es auch sei, verboten. Hier handelt es si aber lediglich darum, daß wir eine Verpflichtung, die wir nicht haben, nicht übernehmen ; wir find nur verpflichtet, im Postdebit die innerhalb des Deutschen Reichs erscheinenden politishen Zeitungen zu vertreiben. Wir stehen also vollständig auf geseßlihem Boden.

Betreffs dessen, was von dem Herrn Abg. Zubeil über Aus- \hreitungen von Postvertrauensärzten angeführt worden ift, erwidere ih: es hat allerdings vor Jahren Beschwerde über einen Vertrauens- arzt dahin vorgelegen, daß der Arzt bei der Untersuchung den Ge- hilfinnen fich zu weit genähert hätte. Bei der fehr eingehenden Untersuchung dieser Beshwerde bat sih herausgestellt, daß der Arzt nach keiner Richtung hin sich sittlih vergangen hat, sondern nur, daß er die Gepflogenheit hatte, den zu Untersuchenden, und zwar nicht bloß den weiblichen, fondern auch den männlichen etwas näher zu kommen, als sonst üblich ist. Dies hat einer jungen Dame zur Beschwerde Anlaß gegeben. Wir haben dem Arzt eine Verwarnung dahin erteilt, daß er fich in Zukunft von dieser Untersuhungsart fernhalten sollte. Jedoch hat sich kein Anlaß ergeben, ihn eines sittlihen Vergehens zu zeihen.

Was den andern Fall betrifft, den der Vorredner anführte, so ist er mir nicht bekannt.

Abg. Dr. Müller - Sagan (fr. Volksp.): Da die Postverwaltung einmal ausländishe Zeitungen zuläßt, fo übt sie in der Tat eine

Zenfur aus, wenn sie einzelne aus\chließt. Sie handelt in- fonsequent und kulturwidrig.

Der Etat der Neichspost- und Telegraphenverwaltung wird genehmigt; ebenso die Etats der Reichsdruckerei, der Ver- waltung der RNeichseisenbahnen, der Expedition nah Ostasien, der Expedition in das südwestafrikanishe Schußgebiet, der Zölle und Verbrauchssteuern, der Reichsstempelabgaben und des Bankwesens.

Zu den Matrikularbeiträgen erklärt der

Preußishe Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Ich bin genötigt, troß der späten Stunde noh einige Worte an Sie zu rihten und eine Erklärung namens der ver- bündeten Regierungen abzugeben.

Obwohl im Entwurf des Meichshaushaltsetats bereits 24 Millionen ungedeckte Matrikularbeiträge enthalten waren, haben die verbündeten Regierungen sich bereit erklärt, noch weitere 22 Millionen ungedeckte Matrikularbeiträge auf sich zu nehmen, um den Wünschen des Reichstags nah Möglichkeit entgegen zu kommen und die Zuschußanleiße herabzumindern. Die Budgetkommission und der Reichstag ist in seinem Plenum bei der zweiten Lesung der Kommission gefolgt hat dann aber ncch weitere 46 Millionen Mark vom Extraordinarium auf das Ordinarium verwiesen, also be- {hlofsen, diese 46 Millionen Mark nicht durch Anleihe zu decken, sondern abermals den Bundesstaaten zur Last zu legen, auf die Matrikularbeiträge zu s{lagen. Wenn auch dieser Betrag von ins- gesamt 92 Millionen durch die Erhöhung einiger Einnahmepositionen und die Herabminderung einiger Ausgabepositionen um etwas herabgedrückt worden ist, fo bleibt immer noch der außerordentli hohe Betrag von 80 Millionen ungedeckter Matrikularbeiträge zu Lasten der einzelnen Bundesstaaten. Der Reichstag hat ja zwar be- \{chlofsen, diefe Matrikularbeiträge, soweit sie den Betrag von 24 Millionen Mark, der im Etat bereits eingestellt i, übersteigen, zu stunden gewiß immerhin ein dankens8wertes expediens —; aber, meine Herren, die Matrikularbeiträge in dieser außerordentlichen Höhe bleiben doch, wie das Schwert des Damokles, über den Bundes- staaten hängen. Die Bundesstaaten, die eine verständige und vor- sihtige Finanzwirtshaft führen wollen, müssen damit rechnen, daß diese Beträge eines {nen Tages von den Bundesftaaten erhoben werden, und wenn fie als verständige Finanzverwalter damit rehnen, so berauben sie sich selber in erbheblihem Maße der Mittel, deren sie dringend bedürfen zur Erfüllung ihrer eigenen Kultur- aufgaben.

Mein verehrter Herr Nachbar, Freiherr von Stengel, hat sich redlihe Mühe gegeben, noch bis zur dritten Lesung einen Ver- mittlungsvorshlag durhzuseßen, etwa auf der Basis, daß von diesen 46 Millionen etwa 36 Millionen wiederum auf die Anleihe zurück- verwiesen würden und nur etwa 10 oder 11 Millionen für die Bewaffnung der Fußartillere im Ordinarium verblieben, wie das tatsählich auch früber der Fall war. Ich glaube, eine folche Regelung hâtte sch auch vom finanzpolitishen Standpunkt durchaus rechtfertigen lassen; denn es kann meiner Ansicht nah zweifelhaft sein, ob in der Tat diese 46 Millionen für Bewaffnungskosten auf das Ordinarium gehören oder auf das Extraordinarium. WVtan kann sehr wohl, glaube ih, die Ansicht vertreten, daß es \sich hier niht um dauernde, sondern um einmalige Ausgaben handelt, um Aukegaben, die nicht nur der Gegen- wart, sondern auch der Zukunft zu gute kommen, also um Ausgaben, die auch vom Standpunkt einer verständigen Finanzwirtschaft aus auf Anleihe übernommen werden können, und ih meine, dieser Weg wäre bei der außerordentlih s{rwierigen finanziellen Lage, in der man ih gegenwärtig befindet, durhaus gangbar gewesen.

Ich sehe davon ab, meine Herren, im gegenwärtigen Stadium der Angelegenheit auf diese Frage zurückzukommen, weil ih mir keine Hoffnung machen kann, daß im gegenwärtigen Augenblick dieser Be- {luß des Reichstags noch rückgängig gemacht werde. (Sehr roahr !)

Aber, meine Herren, im ausdrücklichen Auftrag der verbündeten Regierungen muß ich Verwahrung einlegen gegen diese Gestaltung des Etats, wie sie durch jenen Beschluß geworden ist, und wie sie die außerordentliche Mehrbelastung für die Einzelstaaten mit sich bringt. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Bedenken, die wir dagegen haben, liegen auf finanziellem wie auf politischem Gebiete.

Wenn ich einem oder dem anderen der Herren die Bitte nahe- gelegt habe, es möchte doch ein Vermittlungëweg gefunden werden, um diese übermäßige Belastung der Bundesstaaten zu vermeiden, dann ift mir immer lächelnd entgegnet worden: ja, das reihe Preußen kann das ruhig tragen! Meine Herren, das kann nur jemand sagen, der die Verhältnisse in Preußen nicht genügend kennt,

der nicht weiß, welhe Schwierigkeiten selbst in Preußen bei einem so starken und elastischen Budget die Herstellung der Balance bereitet.

Meine Herren, ih kann versichern, daß ih s{lechterdings außer- stande bin, etwa durch Erhöhung von Einnahmepositionen oder durh Herabdrücken von Ausgabepositionen nun plößlich diese etwa 40 Millionen Mark zu decken, die neu auf die preußische Staatskasse gelegt worden sind, sodaß selbst in Preußen nur der eine Weg übrig bleibt: den Anleiheweg zu beschreiten.

Nun, meine Herren, gestatten Sie mir einige wenige Daten darüber zu geben, wie selbst auch in Preußen in immer steigendem Maße die Ausgaben die Einnahmen zu übersteigen drohen, wie in allen Staaten, so auch bei uns die Ausgaben auf kulturellen Gebieten ganz enorm wachsen und die sonstigen Anforderungen an den Staat. Denn keine Bevölkerung ist so geneigt wie die deutshe, zwar möglihst viel vom Staat zu verlangen, aber möglichst wenig an ihn zu zahlen. (Sehr wahr! und Heiterkeit.) Das ist in allen deutschen Staaten fo.

Meine Herren, in welchem Maße die Kulturaufgaben bei uns steigen, ergibt folgende Betrahtung. Im Jahre 1894/5 betrugen die gesamten Staatsverwaltungësausgaben des preußisben Staats also von den Betriebs8verwaltungen, wo die Einnahmen die Ausgaben deten, abgesehen 376 Millionen Mark und in der kurzen Periode bis 1905, also in 11 Jahren, sin die Ausgaben auf 574 Millionen gestiegen, haben fich also in diesem kurzen Zeitraum um nahezu 200 Millionen vermehrt. Allein das Kultusministeriuum, das im Jahre 1894/5 110 Millionen Mark erfordert hat, erforderte im Jahre 1905 {hon 185 Millionen, also 75 Millionen Mark mehr, demnach eine Steigerung von rund 70%/ in 11 Jahren!

Als ih den preußishen Etat für das Jahr 1905 aufstellte, über- stiegen die angemeldeten Ausgaben die Deckungsmittel um nicht weniger als 164 Millionen Mark, und Sie werden sich denken können, welcher energischen Einwirkung der Finanzverwaltung es be- durft hat, um die Ausgaben mit den Einnahmen in Einklang zu seßen, um einen balancierenden Etat herzustellen. Viele Ausgaben haben zurückgeschoben werden müssen, deren Natur in den nächsten Jahren gebieterisch Befriedigung erheischt, und jedes neue Jahr werden sich erhöhte Anforderungen ergeben. Dazu kommt, wie alle Herren, die im preußishen Landtag sind, wissen, daß mit sehr erheblihen neuen Forderungen für die nächsten Jahre gerehnet werden muß: mit den großen Ausgaben, die das Sc{ulunterhaltungs8geseß bringen wird, die Erhöhung des Wohnungs- geldzuschufses für die Unterbeamten und Forderungen auf den ver- schiedensten Gebieten. Also selbst in Preußen ist es nur mögli, diesen Mehrbetrag, der uns jeßt auferlegt wird in Höhe von etwa 40 Mils lionen Mark, im Wege der Anleibe zu decken.

Nun, meine Herren, liegt es mir vollkommen fern, hier etwa als Anwalt von Preußen auftreten zu wollen. Jch handle im ausdrücklihen Auftrage der verbündeten Negierungen, und wie wir uns in allen großen Fragen für solidarisch halten, so in dieser Beziehung au, und dem entspriht meine Stellung. Meine Herren, wir wollen „in keiner Not uns trennen und Gefahr“, und ich muß sagen, daß es sih hier nicht nur um eine Gefahr handelt, sondern um eine Not, und zwar, daß die Not um so größer i, je kleiner der Staat und je weniger der Staat imstande ist, diesen Anforderungen gerecht zu werden. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, wer wie ich oft Veranlafsung gehabt hat, mit den Finanzministern der kleinen Staaten zu sprechen, der be- fommt ein lebendiges Bild von der Notlage das ift niht zu viel gesagt —, in der fich die kleinen Staaten befinden, und ich muß sagen, der Reichstag hat sich die Deckungsfrage außerordentli leiht gemacht: er hat zwar das Plus auf die Matrikularbeiträge überwiesen; aber wie sie die Bundesstaaten decken follen, darüber hat er sich nicht den Kopf zerbrohen. (Heiterkeit links.)

Meine Herren, verseßen Sie sich mal in den Etat der kleineren Staaten. Die neue Einkommensteuergesegebung in Sachsen, Württem- berg, in den kleineren thüringishen Staaten hat die Einkommensteuer ncch viel weiter angespannt, als das bei uns in Preußen der Fall ist. Während Preußens Einkommensteuer bei 900 (A Jahreseinkommen beginnt, seßt sie in den anderen Staaten schon viel tiefer ein, bei 500 M, selbst bei 400 # Während wir mit einer 4prozentigen

Steuer ers bei einem Einkommen von 100000 A be- ginnen, finden Sie in anderen Einkommensteuergeseßgebungen diesen Say von 4% bereits bei einem Einkommen

von 30000 A und noch niedriger. Dazu kommt, daß diese kleineren Staaten meist keine großen Betriebsverwaltungen haben wie wir, und es wird ihnen in der Tat einfach nur der Weg der Anleihe bleiben, um die neuen Lasten eventuell zu decken, die thnen auferlegt werden. Und, meine Herren, ich muß das namens

der verbündeten Regterungen aussprehen, wie ich glaube, daß niemand bei Erlaß der Verfassung daran gedacht hat, den Begriff der Matrikularbeiträge fo weit zu fassen,

daß die Bundeéfstaaten nur im Wege der Aufnahmen von Anleihen imstande sein sollen, die laufenden Ausgaben des Reiches zu deen. Es handelt sh hier um Ausgaben des Neihs, und wenn das Reich die eignen Deckungsmittel niht beschafft, dann, meine ih, wäre es näherliegend, daß das Reich die Anleihe aufnahm, nicht aber, daß das Reich die Einzelstaaten zwingt, ihrerseits Anleihen für Reichszwecke aufzunehmen.

Meine Herren, ih sagte, neben den finanziellen Bedenken haben die verbündeten Regierungen sehr ernste politishe Bedenken. Ich kann wirklich nit ernstlich und nicht eindringlich genug auf diese Seite der Sache hinweisen. Verseßen Sie \sih in die Lage der Bundesstaaten, namentlich der mittleren und kleineren! Sprechen Sie mit den dortigen verantwortlichen Leuten, und dann beantworten Sie mir die Frage selbs: woher soll die Freudigkeit zum Reich kommen, wenn in dieser Weise Anforderungen an die kleineren Staaten gestellt werden? (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ih meine, meine Herren, darin sollten Sie doch alle, Reichs- tag wie verbündete Regierungen , einig sein in dem Wunsch, die Freudigkeit zum Reich zu heben und zu stärken, und deswegen meine ich, sollten wir alle Maßnahmen unterlassen, die dieser Ent- wickelung entgegenzuarbeiten, ja geradezu eine {were Mißstimmung gegen das Reih hervorzurufen geeignet find. (Sehr wahr! rets.) Darum, meine Herren, \chließe ih mit der Bitte, daß es, wenn auch niht jeßt, so doch in einer künftigen Tagung, gelingen möge, diese Last der Bundesstaaten dauernd von ihnen zu nehmen, daß es gelingen möge, die jeßt nur gestundeten Matrikularbeiträge tatsählich dauernd von ihren Schultern zu nehmen, daß Sie auf diese

Weise den Bundesftaaten wieder die Möglichkeit geben, mit frei», Blick an die Befriedigung der eigenen großen Aufgaben heranzug, die in allen Bundesftaaten gebieterisch ihre Befriedigung erheisg, und ich knüpfe daran die fernere Bitte, daß der Reichstag \ich ), immer mehr der Erkenntnis der Notwendigkeit ershließen möge, auf diesem Wege nicht weiter gewirtshaftet werden kann, \ondern es notwendig ist, endlih einen Weg zu finden, der: wie den Bedi nissen des Reichs, so auch den Lebensinteressen der Bundesstazt, einigermaßen gerecht zu werden vermag. (Beifall rets.)

Präsident Graf von Ballestrem: Das Wort wird nj wei. 2r verlangt.

Hierauf wird das Etatsgeseß ohne Debatte nah Beschlüssen zweiter Lesung angenommen, ebenso der Reit haushaltsetai in der Gesamtabstimmung gegen jj Stimmen der Sozialdemokraten. i

Die Resolution des Abg. Grafen von Kaniß (d. kon] welche vorsieht, daß vom 1. Juli 1905 bis zum 28. Februy 1906 eine Stundung der Zölle für Getreide usw. nit stat finden soll, beantragt der Abg. von Normann (d. kon}.) eing Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen.

Auf Antrag des Abg. Singer wird über diesen Antry namentlich abgestimmt. Die Abstimmung ergibt die Y, wesenheit von nur 151 Mitgliedern, von denen 109 für, 4 gegen den Antrag Normann stimmen. Das Haus ift gh nicht beshlußfähig, und die Beratung muß abgebrochen werde

Schluß 8 Ube. Nächste Sizung Freitag 1 Uhr. (Nas trags- und Ergänzungsetats, Wahlprüfungen, Petitionen.)

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 36. Sizung vom 30. März 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus seßt die Beratung des S taatshaushaliy etats für das Rechnungsjahr 1905 beim Etat de Bauverwaltung fort.

Zu diesem liegen zwei Petitionen vor, eine Petition de Magistrats zu Leer um Korrektion der Ems von der See bis Leerort und eine solhe des Magistrats zu Weener um Bewilligung einer jtaatlihen Beihilfe zum Bay einer Shußschleuse bei Weener im Zusammenhange mi der geplanten Emskorrektion zwishen Papenburg un Leerort. Die Kommission, deren Berichterstatter Her von Graß ist, beantragt, diese Petitionen als Matericl der Negierung zu überweisen.

Oberbürgermeister Stru ckmann - Hildesheim fragt an, wan: der Entwurf dem Hause zugehen werde, der neben den baupolizeilide S auch künstlerishe NRüdsihten beim Bauen feststelle o

e. Geheimer Oberregierungsrat Kisker: Der Entwurf ift i Bearbeitung. Er ist auf Schwierigkeiten gestoßen und muß dabe ganz umgearbeitet werden. Doch hoffen wir, im Lauf des Jahres iki zum Abschluß zu bringen. “1

Oberbürgermeister Körte- Köntgsberg bittet, darauf hin wirken, daß mit der Aufftellung von Bebauungsplänen tin Vororter, die eingemeindet werden sollten, gewartet werde, bis über die Ei gemeindung entschieden sei. S

Ein Negierungskommissar erklärt, die Regierung werd: das ihrige dazu tun.

von Zi M CRgoR bittet, Mittel für den Ausbau a x \sttmole des Fischereithafens an der Mündung der Rega bereit- en. M ibèinter Oberregierungsrat Kisker gibt eine entgeger fommende Erklärung 4

Graf Finck von Finckenstein-Schönberg ersuht dei Minister, dafür einzutreten, daß der Oberländishe Kanal zur Erzeugung eleftrisher Kraft für die Landwirtschaft nußbar gemacht wird, nament lih 3000 A zu Vorarbeiten bewilligt werden.

Minister der offentlihen Arbeiten von Budde :

Ich kann nur bestätigen, daß der Verlauf der Angelegenheit i gewesen is, wie der Herr Vorredner gesagt hat. Neu war für mi nur, daß die Interessenten den Vorschlag, der von meinem Ressort gemacht worden war, eine Reserve an Dampfkraft zu Hilfe zu nehmen, jeßt in Aussicht genommen ist. Darüber hatte ich noch kein Nachricht; nachdem ich diese erfreulihe Nachricht bekommen habe, mil ih gern in erneute Prüfung der Angelegenheit eintreten in Verbindung mit dem Minister für Landwirtshaft und dem Finanzminister.

Graf von M irbach bittet, der Minisler möge mehr ftatistischt! Material zur Verfügung stellen, insbesondere auch über die Beträgt, welche die einzelnen Landesteile aufgebraht haben, um der Forderun der Hergabe des Terrains zu Eisenbahnbauten zu entsprechen, und re(t eine Herabsetzung der Tarife für Mafsengüter, namentlich Holz an.

Minister der öffentlihen Arbeiten von Budde:

Meine Herren! Ich habe nit erwartet, daß wir uns heute noW über Eisenbahntarife unterhalten würden. Deshalb habe i natürli das Tarifmaterial auch nicht bei mir, denn soweit ich die Tage ordnung gelesen und verstanden habe, handelt es \ich heute um der Etat der Bauverwaltung, also um Hochkau und Wasserbau. muß aber doch dem Herrn Grafen von Mirbach etwas auf fein Tarifausführungen erwidern in der Hoffnung, daß ich vom Hei: Vorsitzenden niht zur Tage8ordnung gerufen werde. (Heiterkeit !)

Der Herr Graf von Mirbah hat über eine Denkschrift, übe einen Aufsatz gesprochen, der von dem Herrn Unterstaatssekretär Fle in meinem Auftrage über die Entwicklung der Gütertarife di preußish-hessishen Staatseisenbahnen verfaßt worden ist. Der Aufsaß der zunächst im „Reichsanzeiger“ erschien und dann als Broschüre her ausgegeben worden ift, hatte den Zweck, nahzuweisen, daß die Staal eisenbahnverwaltung bemüht gewesen ist, die Tarife nah gesunde! wirtshaftlihen Grundsäßen fortzuenlwickeln, nah den Grundsäßen die au in der Broschüre genannt worden sind. Es würde eit Fehler sein, wenn die Staatseisenbahnverwaltung auf einer starr" Tarifbildung bestände, die nicht auf die wirtschaftlichen Inter essen, die sih im Laufe der Zeiten natürlichß ändern, Rücksihi nähmt Die Grundsäße nach denen \sich unsere Eisenbahntarife entwidelt haben, sind in dem Aufsay in 4 Punkten zusammengefaßt. É heißt da:

Als leitende Gesichtspunkte waren maßgebend :

1) die Förderung der inländishen gewerblichen und landwirl schaftlichen Produktion durch Erleichterung der Zufuhr notwendist Rob- und Hilfs\toffe;

2) die Förderung des Absatzes inländisher Grzeugnifse gege?“ über fremder Konkurrenz, namentlich auch die Erleichterung Ausfuhr ;

3) die Unterftüßung des Handels der deutschen Handelsplät:

befonders der deutshen Seehäfen gegen den Wettbewerb fremder Pläye, und

4) die Unterstüßzung inländisher Verkehrsanstalten, namentli der Staatseisenbahnen gegen die Konkurrenz fremder Eisenbahnen und Wasserstraßen.

Meine Herren, nach diesen Grundsäßen sind unsere Tarife fortgebildet worden, und es sind in der Broshüre als Bet- spiele hinsihtlich einzelner Mafssenprodukte sehr weitgehende Tarif- ermäßigungen, die im Laufe der Zeit stattgefunden haben, zusammen- gestellt worden; diese betragen rechnerisch, glaube ih, rund 2 Milliarden Mark jährlich. Wenn nun aus diesen Beispielen der Herr Graf Mirbach den Schluß zieht, daß andere Tarifermäßigungen im Laufe der Zeit niht gegeben worden wären, so muß ich, troßdem ih das Tarifmaterial niht bei mir habe, dies als einen Irrtum bezeichnen. Es ift ganz selbstverständlih, ich glaube, eine ganze Anzahl von Herren aus dem hohen Hause, würden Beispiele dafür anführen föônnen —, daß auch auf anderen Gebieten, namentlih auch auf dem Gebiete landwirtshaftliGer Erzeugnisse Ermäßigungen gegeben worden sind. Fch muß deshalb auch die Berufung des Herrn Grafen auf die Be- stimmungen der Verfassung in der dargelegten Schlußfolgerung aus dem Material der erwähnten Broschüre zurückweisen. i

Wenn nun Herr Graf Mirbach einen anderen Punkt berührt hat, nämlich daß man aus den Summen für die Hergabe des Terrains ¡zu Bahnbauten das Wohlwollen erkennen könne, was, glaube ih, speziel für Ostpreußen von seiten des Staats bestätigt worden wäre, so ist das, meine Herren, ein Irrtum. Denn aus den Summen, die zusammengezählt werden können, aus den einzelnen Nebenbahnvorlagen geht doch noch nit hervor, wieviel in Wirklichkeit für die betreffende Provinz getan ist. Zunächst müssen die Summen sehr verschieden beurteilt werden, weil die Preise für das Gelände außerordentlih verschieden find. Ferner kommt es darauf an, welche Rente die betreffende Eisenbahn, die neu gebaut wird, demnächst hat. Es ist wohl zweckmäßig, daß große Auf- wendungen gemaht werden für Bahnen, die unmittelbar eine große Rente abwerfen. Wenn der Staat anderswo Bahnen ohne folhe Rente baut, dann ist doch natürlich, um den Ausdruck des Herrn Grafen von Mirbach zu gebrauchen, „das Wohlwollen“, das an der Stelle geschieht, wo Rentabilität aus den Eisenbahnen niht berausfommt, viel größer als an anderen Stellen, wo die Eisenbahnen mit großer Rente gebaut werden, wenn auch die Auf- wendungen hier erhbeblih größer find. Ich glaube also, aus der ge- wünschten Statistik wäre wenig zu ersehen und zu beurteilen. Jch möchte aber doch einiges mitteilen, was ich gestern im anderen Hause erklärt habe über den Ausbau des Bahnnetzes in den leßten 2% Jahren. Es zeigt #sch, daß in den leßten 25 Jahren Eisenbahnen im Osten der Monarchie in viel größerem Umfange gebaut worden find als im Westen. Meine Herren, das ift auch selbstverständlih; denn bis zum Jahre 1880, wo die große Staats- eisenbahnära Bismarck - Maybach begonnen hat, wurden die Eisen- bahnen durch Privatunternehmer gebaut, und da ift es ganz selbst- verständlich, daß im Westen, wo die Bevölkerung eine zahl- reihere war und wo mehr Industrie vorhanden war, sich mehr Kapital fand, um Privatbahnen zu bauen, als im Osten. Als nun der Staat die Eisenbahnen gewissermaßen als Monopol

üternahm, da war es Sie werden mir den Ausdruck nit übel-

nehmen die verfluhte Pfliht und Schuldigkeit des Staates, im Osten mehr zu tun als im Westen, und das hat der Staat gerne getan. Ich bin nur durch den Herrn Grafen von Mirbach veranlaßt, hierüber einige Zahlen auszuführen, sons würde ih es lieber nicht getan haben, weil ich es nicht für nüßlich halte, den Osten und Westen im einheitlißen Staate gegeneinander auszuspielen (sehr richtig!) oder miteinander zu vergleihen. Meine Herren, wir sind ein preußischer Staat, und der einheitliche Staats8gedanke muß uns alle beleben.

Meine Herren, im Osten sind seit dem Jahre 1880 5847 km Bahnen gebaut worden. Das is eine Steigerung gegen den Bestand im Jahre 1880 von 134,60 %. Im Westen sind in derselben Zeit, im leßten Vierteljahrhundert, nur 4303 km Bahnen neu gebaut worden; das ist eine Steigerung gegen den Be- stand von 1880 von 66,28 9/0.

Meine Herren, nun wird gesagt: ja, im Westen werden haupt- sählih Hauptbahnen gebaut, bei denen das Gelände nicht frei her- gegeben zu werden brauht, und im Osten nur Nebenbahnen. Meine Herren, das stimmt auch nit ganz. Jch habe das gesamte Material bier beim Bauetat niht zur Hand, aber eine Zahl kann ich Ihnen do angeben aus der Nebenbahnvorlage, die nah der Verabschiedung im anderen Hause Sie demnähst beschäftigen wird. Da ist in dem Geseßentwurfe vorgesehen, daß im Osten für fast 28 Millionen Haupt- bahnen gebaut werden sollen, während in dem gleihen Geseßentwurfe im Westen nur für 6 700 000 A Hauptbahnen gebaut werden sollen. Meine Herren, es kommt doch immer auf das Bedürfnis an, und in diesem Jahre isst der Betrag für den Often außerordentlih hoh, weil eine strategische Bahn Shmentau— Marienwerder dabei ist mit einer neuen Weichselbrücke. Daß aber überhaupt der Bau der Hauptbahnen im leßten Vierteljahrhundert nit die Rolle gespielt hat wie der Bau von Nebenbahnen, das wird Ihnen die Zahl beweisen, taß unter den gesamten über 10000 km

| Bahnen, die bewilligt wurden nur 810 km Hauptbahnen enthalten

sind. Also der Hauptbahnbau ist wesentli zurückgetreten gegenüber dem Bau von Nebenbahnen sowohl im Osten wie im Westen. Ich gehe, wie gesagt, auf diese Zahlen niht näher ein; bei der Nebenbahn- vorlage können wir uns ja ncch eingehender damit beschäftigen. J darf nur noch anführen, daß speziell in Ostpreußen der Zuwahs an Neubauten seit 1880 gegenüber dem damaligen Stande 195 9/6 betrug, während der Durchschnitt in ganz Preußen mit Ausnahme von Hohenzollern sich nur auf 93 9/0 stellte. In Westpreußen beträgt der Zuwachs gegenüber dem damaligen Stande 147 0/6, in Pommern 7%, in Posen 275 0/0, in Schlesien 257 9/9 und in Brandenburg 6680/0, im Durchschnitt kommt auf die östlichen Provinzen eine Steigerung von 134 09/6. Demgegenüber is der Zuwachs in den west- lichen Provinzen nur 66°%/. Jch glaube, die Königliche Staats- regierung hat rihtig daran getan, den materiell nicht in so günstiger Uge befindlichen Osten reihliher mit Bahnen auszustatten als den Westen, der auch damals son reichlicher mit Bahnen versehen war, und ich glaube, Herr Graf von Mirbah wird daraus entnehmen können, daß das Wohlwollen für die östlichen Provinzen von der Ot Staatsregierung in reihlihem Maße betätigt worden ift. rabo !)

Präsident Fürst zu Inn- und Knyphausen: Ich habe den leihten Vorwurf des Herrn Ministers verstanden, bedauere aber, ihn niht annehmen zu können. Denn S habe gestern mih damit einver- standen erklärt, daß bei dem Titel „Gehalt des Ministers" beide Etats gemeinsam behandelt werden.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Budde:

Es hat mir selbstverständlih fern gelegen, gegen den Herrn Vor- sißenden einen Vorwurf zu erheben, der mir ja auch garniht zu- käme. Ich wollte nur eine Entschuldigung für mich aussprechen, daß ih die notwendigen Materialien nicht hier habe und au die Herren Kommissare niht anwesend sind, die in der Lage gewesen wären, dem Herrn Grafen Mirbach über Tariffragen eingehend zu erwidern.

Graf von Mirbach: Die Tatsache bleibt bestehen, daß die Landesteile, in denen viele Nebenbahnen gebaut werden, viel Grund und Boden zur Verfügung stellen müssen.

Oberbürgermeister Dr. Wilm s - Posen stimmt dem Oberbürger- meister Körte bei und dankt der Regierung für mehrfache Unter- stüßung in Eingemeindungsfragen.

Oberbürgermeister Dr. Bender - Breslau befürwortet eine Ne- vision des Fluchtliniengeseßzes von 1875.

Ein Regierungskommissar erklärt, daß eine allgemeine Revision des Fluchtliniengeseßes niht beabsichtigt wird.

Das Haus überweist hierauf die Petitionen der Regierung als Material.

Beim Etat der Justizverwaltung bittet

Herr von Klitzing, künftig doch Hypotheken im Grundbuch nah Straße und Hausnummer einzutragen und niht nah ganz un- verständlichen Zeichen, z. B. Berlin Umgebungen B. II. usw.

Justizminister Dr. Schönstedt:

Ich bin nicht in der Lage, auf die Anfrage des Herrn von Klißing hier gleich Auskunft zu geben; ih bin niht vorbereitet. Das Berliner Grundbuch ift vielfa noch nach alten Bezeihnungen geführt, und ih weiß speziell, daß es ein Grundbuch für die Umgebungen von Berlin gibt, womit die Berliner vollständig vertraut find. Wenn bei der Eintragung von Hypotheken und Ausfertigung des Hypothekensheins die Katasterbezeihnung fehlt, so kann ich dafür nur die Erklärung finden, daß für diese Grundstücke das Grundbu} noch nicht auf die Höhe der Gegenwart gebracht war, daß es noch nicht vollständig ein- gerihtet war. Es fann sich wohl nur um einzelne Fälle handeln. Mir find Klagen, wie sie Herr von Klißing vorgebracht hat, noch niht zugegangen, und ich bin deshalb zu meinem Bedauern nicht in der Lage, nähere Auskunft zu erteilen. Jch bin aber gern bereit, der Sache nachzugehen, und bitte, mir einen speziellen Fall für eine folhe Beschwerde zugehen zu lassen.

‘fige: von Durant wünscht Trennung der jugendlihen und erwa

senen Verbrecher in den Gefängnissen, insbesondere Berücksichtigung dieses Wunsches bei Neubauten von Strafanstalten.

Justizminister Dr. Schönstedt:

Meine Herren! Die von dem Herrn Freiherrn von Dúrant an- geführte Tatsache, daß in einer größeren Zahl von Gefängnissen die normale Belegungsfähigkeit unter Umständen durch die tat- sählihe Belegung mit Gefangenen nicht unerheblich über- \chritten wird, ist rihtig. Sie findet eben ihren Grund darin, daß wir noch nicht überall mit einer dem Bedürfnis ent- \sprehenden Zahl von größeren Gefängnissen ausgestattet sind. Diese Tatsache allein aber gestattet niht den Schluß, daß bezüglich der Trennung der jugendlichen von den erwahsenen Gefangenen den geseßlihen Vorschriften niht genügt werde. Die Vorschrift des Straf- gesezbuhs geht bekanntlichß dahin, daß an Personen unter achtzehn Sahren, an denen Strafen zu vollstrecken find, diese Strafen entweder in für jugendlihe Personen bestimmten Anstalten, oder aber in be- sonderen Räumen vollstreckt werden. "Zur Ausführung dieser Be- stimmung des Strafgeseßbuchs is in den im Jahre 1897 zwischen den Bundesstaaten vereinbarten Grundsäßen der Say aufgestellt worden:

Strafgefangene, welche das achtzehnte Lebentjahr noch nit vollendet haben, werden von den erwachsenen Gefangenen derart getrennt gehalten, daß jeder Verkehr zwishen ihnen ausgeschlossen bleibt. Zur Verbüßung von Strafen, deren Dauer einen Monat übersteigt, werden sie der Regel nah in besonderen Anstalten (Ab- teilungen) untergebracht.

Diese vom Bundesrat aufgestellten Grundsäße sind wörtlich in die Gefängnisordnung der preußishen Justizverwaltung übergegangen, und sie werden durchgehends befolgt. Die Sache liegt nun tatsählich so, daß im Jahre 1903 15 sogenannte Jugendstationen für männliche und 7 für weiblihe Gefangene in den Gefängnissen der Justizverwal- tung eingerihtet waren zur aus\{ließlihen Aufnahme jugendlicher Ver- urteilter. Diese Jugendstationen bieten Raum für 1232 Köpfe. In Wirklichkeit ist aber die Zahl der jugendlichen Gefangenen in den Justiz- gefängnifsen in den leßten zehn Jahren ganz erheblich zurückgegangen. der Tagesdurhshnitt der jugendlihen Gefangenen in den Justiz- gefängnifsen betrug im Jahre 1893 2202, im Jahre 1903 nur noh 1058, und diese Zahl von 1858 bleibt mithin zurück hinter den in den Iugendstationen verfügbaren Räumen, die, wie ih wiederhole, für 1232 Köpfe Play bieten. Diese Zahl von 1232 Köpfen ist auch bei der Maximalbelegung bisher noch nit erreiht worden. Es ist also immer noch Raum übrig gewesen. Die Stationen sind auf die ver- schiedenen Provinzen verschieden verteilt. Wir haben sie nicht in allen Provinzen gleihmäßig eingerihtet, und zwar teshalb niht, weil ja ein großer Teil der von den Gerichten erkannten Gefängnisstrafen in den Gefängnissen der inneren Verwaltung zur Vollstreckung kommen und weil es auch unter diesen Gefängnissen solhe mit Jugendstationen gibt, die also für die Vollstrekung der Strafen an Jugendlichen gleihfalls zur Verfügung stehen. Aber immerhin bleibt die Tatsache bestehen, daß die vorhandenen Einrichtungen mehr als genügend find, um die Trennung der jugendlihen von den erwachsenen Gefangenen, wie es das Geseß verlangt, durchzuführen. Wir sind sogar über den Grundsay, den der Bundesrat aufgestellt hat, hinausgegangen und bringen auch solche Strafen die die Dauer von einem Monat nicht erreihen, in besonderen Jugend- stationen zur Vollstreckung. In einer ganzen Reihe von Oberlandes- gerihtsbezirken kommen die Verurteilten mit viel kürzeren Strafen {hon in diese Stationen; so werden z. B. in den Bezirken Cassel, Celle, Côln und Kiel, und ebenso im wesentlihen in dem Kammer- gerihtsbezirk Strafen an Jugendlihe über 14 Tage in den Jugend- stationen zur Vollstreckung gebraht; im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm sogar Strafen, die eine Woche übersteigen, sodaß über die Norm, die der Bundesrat aufgestellt hat, hinausgegangen is. Selbstverständlich kommen ja nun Fälle vor, wo es sich bei der Kürze der Strafe kaum lohnt, die jugendlichen Verurteilten in eine folhe Station zu bringen. Dann werden die Strafen in den Amtsgerichtsgefängnissen vollftreckt. Da wird aber gleihfalls dafür gesorgt, daß die Jugendlichen in

besonderen Räumen und nicht etwa in gemeinschaftlihen Zellen mit Er- wahsenen untergebraht werden, und was die Statistik, die Herr von Dúrant erwähnt hat, die Zahl der gemeinschastlihen Zellen und der Einzelzellen betrifft, so kann ih sagen, daß die Strafen an Jugend- lichen nur in Einzelzellen zur Vollstreckung gelangen, oder in Gemein- \haftszellen, die aus\{ließlich mit Jugendlichen belegt werden. Nie- mals aber sind Jugendlihe mit Erwachsenen zusammen. Der sehr erbeblihe Rückgang der Zahl der jugendlichen Strafgefangenen findet seine Erklärung in den segensvollen Wirkungen des Allerhöchsten Erlasses über die Strafaussetzung mit der Ausficht auf Begnadigung bei guter Führung während einer Bewährungsfrist. Aus der im Reichsjustizamt aufgestellten leßten Statistik über die Ausführung dieses Allerhöchsten Erlasses ergibt fi, daß in Preußen im Jahre 1899 nur 3374 jugendliche Verurteilte dieser Wohltat teilhaftig geworden sind, daß diese Zahl aber seitdem fortwährend gestiegen is und im Jahre 1904 ih bereits auf 7630 erhöht hat.

Meine Herren, mit geringen Ausnahmen werden den Jugendlichen, denen eine bedingte Begnadigung gervährt wird, auh demnächst die Strafe vollständig erlaffen. So kommt es, daß die Zahl der Jugendlichen, die im Gefängnis Strafe zu verbüßen haben, sich in einer fort- währenden Abnahme befindet. Deshalb ist das Bedürfnis, in jedem neuen Gefängnis eine Station für Jugendlihe einzurichten, niht so dringend und groß, wie es in früheren Zeiten gewesen ist. Es bestand z. B. die Absicht, in dem seiner Vollendung entgegengehenden neuen Gefängnis in Neumünster eine Abteilung für Jugendliche eins zurichten. Die Zahl der Jugendlichen, gegen die eine Strafe zu voll- strecken ift, hatte aber in Schleswig-Holstein dergestalt abgenommen, daß die Errichtung einer neuen Jugendstation niht nötig erschien, und daß diese für Jugendliche bestimmte Station in eine Weiberstation umgewandelt worden ist, denn die Einrichtungen für Jugendliche im Oberlandesgerichtsbezirk Kiel reichten aus, um gegen die Jugendlichen die Strafe in besonderen Räumen zu vollziehen. Im übrigen wird {on in den nächsten Monaten eine neue Station für Jugendliche in Naumburg eröffnet, die für mehr als 70 Personen bestimmt ift, und bei den geplanten neuen Gefängnissen wird selbstverständlich darauf Bedacht genommen, daß, soweit das Bedürfnis vorliegt, an Jugendlichen die Strafe in besonderen Abteilungen zur Vollstreckung gelangen kann. Die Justizverwaltung ist eifrig bestrebt, dem Ge|etze in jeder Richtung zu genügen, sodaß die Jugendlichen, die in ein Ge- fängnis gebraht werden, vor der unter allen Umständen zu verhütenden Berührung mit älteren Gefangenen bewahrt bleiben, und ih glaube, daß es gelingen wird, das Ziel, dem wir zustreben, vollkommen zu erreihen. (Bravo!)

Oberbürgermeister Struckmann - Hildesheim bittet, in den nächsten Etat Mittel für den Neubau eines Gefängnisses in Hildeskeim einzustellen.

Justizminister Dr. Schönstedt:

In Beantwortung der Frage des Herrn Oberbürgermeisters Struckmann kann ih leider nicht in Aussicht stellen, daß der Neubau des Gefängnisses in Hildesheim oder der dort nôtige Erweiterungsbau {on im nähsten Etat eine Stelle finden würde. Die außerordent- lien Schwierigkeiten, die wir gehabt haben, um in Hildesheim einen geeigneten Bauplaß zu finden, hat Herr Oberbürgermeister Struckmann selbst hon angedeutet. Wir haben aber jeßt einen Weg gefunden, von dem wir glauben, daß er den Interessen der Stadt nah jeder Richtung hin Rechnung trägt und keinem Widerstand seitens der städtishen Verwaltung begegnen wird. Es handelt sich um den Er- weiterungsbau des alten Gefängnisses an der Godehardi-Kirhe, und im Ministerium der öffentlihen Arbeiten befindet sich gegenwärtig ein Plan in Vorbereitung, von dem ih hoffe, daß er die Zustimmung der Stadtbehörden und der Bevölkerung finden wird und niht den Be- denken begegnen wird, die früher von verschiedenen Seiten diesen Plänen gegenüber erhoben worden sind. Die Bearbeitung wird nah Möglichkeit beshleunigt werden, aber doch nicht so rasch, daß für die Sathe {hon im nächsten Etat eine Forderung eingestellt werden tann.

Oberbürgermeister Dr. W il ms - Posen führt darüber Beschwerde, daß oft die Zeugen lange warten müssen, und zwar in gänzlih unzu- länglihen Räumen.

Justizminister Dr. Schönstedt:

Meine Herren! Nach dieser Richtung find wiederholt im Aufs sichtswege Verfügungen an die Gerichte ergangen, daß bei Anberaumung der Termine darauf Rücksicht genommen werden soll, daß die ge- ladenen Personen nicht länger als notwendig zu warten haben. Aber dies ist {wer durchzuführen. Eine gewisse Nücksiht muß auch auf die Tatsahe genommen werden, daß namentlich in Zivilprofsen eine Reihe von Sachen ausfallen, aber auch in Strafsachen fommt es vor, daß die Leute einfah nicht erscheinen, die geladen sind. Da würde sich ein zu großer Zeitaufwand für die beteiligten Beamten ergeben, wenn nicht von vornherein dafür gesorgt würde, daß irgend ein Ersaß eintreten kann. Wie gesagt : es wird im Aufsihtswege stets darauf gehalten, daß auf die beteiligten Personen nah Möglichkeit Rücksicht genommen wird. Der Mangel an geeigneten Räumen für den Aufenthalt der Zeugen und sonst bei Gericht beteiligten Personen bildet ja Gegenstand ständiger Klage. Es ift zuzugeben, daß bei manhen, namentlich älteren, einfacheren Gerichten es an geeigneten Aufenthalts- und Warteräumen fehlt ; bei den neueren, prompteren Gerichten ist überall für die Ansprüche des Publikums in genügender Weise dur geeignete Räume gesorgt. Da zeigt ih nun, daß das Publikum die Räume fast immer unbenugt läßt und es vorzieht, auf den Korridoren zu warten. Woran das liegt, weiß ih nicht; aber ih habe es selbst erlebt, daß die Warteräume vollständig verwaist waren, während auf den Gängen das Publifum ih drängte. Die Anweisungen der Unterbeamten und Diener, die das Publikum auffordern, in den Wartesälen zu warten, bleiben in sehr vielen Fällen durchaus erfolglos. Die Uebelstände liegen vielfa an einer gewissen Neigung und Gewöhnung des Publikums, der entgegenzutreten die Justizverwaltung niht in der Lage ist.

Wenn die Herren vielleiht hon einmal die neuen Gerihtsgebäude gesehen haben, wie z. B. das neue Amtsgericht in Berlin, und einmal Anlaß gehabt haben, dort tätig zu werden, werden sie geschen haben, daß da Wartehallen eingerichtet sind, die das große Treppenhaus um- geben, sehr gut eingerihtete Hallen, lihte Nebenräume. Ich hoffe, daß sie in größerem Maße den Beifall des wartenden Publikums finden werden als die alten, nicht immer einladenden Wartezimmer, und ih möchte die Hoffnung aussprechen, daß das Publikum seiner- seits au das Seinige dazu tut, daß kein unnötiges Gedränge und keine Luftverunreinigung entsteht, sondern daß es vou den Einrichtungen, die ihm zu Gebote gestellt werden, auch wirklih Gebrauch macht.

g “uztd ‘0 “S0 h Î Ÿ

4