1905 / 84 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 07 Apr 1905 18:00:01 GMT) scan diff

s E O A D E R H aa Zane

E E E E E E R

ausgabten Baukapitals mit den für die vorbezeichneten Ab- schnitte vorgesehenen Säßen nicht ausreichen.

Bei Berechnung der aufgewendeten Betriebs- und Unter- haltungsfkosten gelangt ein bisher zur O der freien Flußstrecke verausgabter Betrag von einhundertneunzigtausend (190 000) Mark zur Absezung.

Der Gan, der Beendigung der Kanalisierungsarbeiten wird von dem zuständigen Minister festgestellt. __ V-bersteigen die laufenden Einnahmen in einem Rechnungs- jahre die um 190 000 4 gekürzten Betriebs- und Unterhaltungs- kosten der zu fanalisierenden Flußstrecke einschließlich des Großschiffahrtweges bei Breslau und die zur Verzinsung und Abschreibung des für die Kanalisierung verausgabten Bau- kapitals mit 31/2 vom Hundert erfordeclihen Beträge, so ist der Ueberschuß zu verwendcn:

__ zunächst zur weiteren Abschreibung des Baukapitals für die Kanalisierung,

sodann zur Verzinsung mit 3 vom Hundert des für die Erbauung des Großschiffahrtweges bei Breslau und der Shleusenanlagen bei Brieg und Ohlau verwendeten Bau- kapitals von jechs Millionen fünfhunderttausend (6 500 000) Mark und zu dessen Tilgung,

sodann nach vollendeter Abschreibung beider Kapitalien zur Zurücßzahlung der vom Staate und den beteiligten Verbänden in früheren Jahren seit der Beendigung der Kanalisicrungsarbeiten geleisteten Zubußen, einschließlih der Ausfälle an der Verzinsung des vorbezeichneten Kapitals von E M, nah dem Verhältnis des beiderseitigen Gut-

avens,

darnach zur Erstattung der vom Staat verausgabten Bau- zinsen und |

{ließlich zur Erstattung der von den leßteren sowie von den Zubußen des Staats und der Verbände mit 3 vom Hundert zu berehnenden Zinsen nah dem Verhältnis der beiderseitigen HZinsbeträge.

S 6.

Wenn und soweit durch die Inbetriebnahme des Groß-

schiffahrtweges Berlin—Stettin die Wettbewerbsverhältnisse der

1hlesishen Montanindustrie, insbesondere für Steinkohlen und Eisen, troß der für die Oder vorgesehenen und bis dahin ausgeführten Verbesserungen gegenüber anderen (in- und aus- ländishen) Montanerzeugnissen ungünstig vershoben werden, sind alsbald diejenigen weiteren Maßnahmen zu treffen, welche geeignet sind, die vorher vorhanden gewesene Frachtenspannung in dem Schniitpunkt Berlin zwischen den schlesischen Nevieren einerseits und den konkurrierenden Revieren (für England ab Stetlin gerehnet) andererseits Ac zu erhalten.

Die Erlöse aus der Wiederveräußerung von Grundstücken, die über den dauerden Bedarf hinaus für Bauzwecke* erworben werden, sind den Baufonds, solange diese noch offen sind, wieder zuzuführen S 20 des Geseßes, betr. den Staatshaus- halt vom 11. Mai 1898, Gesehsamml. S. 77), nah Schließung derselben aber von den aufgewendeten Baukapitalien abzu- schreiben.

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Die Beträge, welhe von den beteiligten Verbänden auf Grund der vorbezeihneten Verpflichtungen der Staatskasse oder jenen von dieser zu erstatten sind, werden für jedes Rechrungsjahr nah Anhörung von Vertretern der Verbände von dem zuständigen Minijter und dem“ Finanzminister end- gültig festgestellt.

S 9.

Bei der Aufbringung und Unterverteilung der aus diesen Verpflichtungen den Provinzen, Kreisen und Gemeinden erwacsenden Lasten finden die geseßlihen Vorschriften über die Mehr- und Minderbelastung einzelner Kreise und Kreis- teile sowie der S889 und 20 des Kommunalabgabengeseßes vom 14. Juli 1893 ns S. 152) Anwendung.

L

Der Finanzminister wird ermächtigt, zur Deckung der im 8 1 erwähnten, jedoch um den nah §2 A 2 Abjsaß 4 zu leistenden Beitrag Bremens verminderten Kosten im Wege der Anleihe eine entsprehende Anzahl von Staatsschuld- verschreibungen auszugeben.

An Stellé der Schuldverschreibungen können vorüber- gehend Schazanweisungen ausgegeben werden. Der Fälligkeits- termin ist in den Schaßanwei)ungen anzugeben. Der Finanz-

minister wird ermächtigt, die Mittel zur Einlösung dieser | | beiten wid neben dem aus den Garantieverbänden zu bildenden

Schaßanweisungen dur Ausgabe von neuen Schaßanweisungen und von Schuldverschreibungen in dem erforderlichen Nenn- betrage zu beschaffen.

Die Schazganweisungen können wiederholt ausgegeben werden. Schaßanweisungen oder Schuldverschreibungen, die zur Einlösung von fällig werdenden Schaßanweisungen be- stimmt sind, hat die Hauptverwaltung der Staatsschulden auf Anordnung des Finanzministers vierzehn Tage vor dem Fällig- keitstermine zur Verfügung zu halten. Die Verzinsung der neuen Schuldpapiere darf niht vor dem Zeitpunkte beginnen, mit dem die Verzinsung der einzulösenden Schaßanweisungen aufhört.

Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchen Kursen die Schazanweisungen und die Schuld- verschreibungen verausgabt werden sollen, bestimmt der Finanz- minister.

Jm übrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der Anleihe sowie wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Geseßes vom 19. Dezember 1869 (Geseßsamml. S. 1197), des Geseßes vom 8, März 1897 (Geseßsamml. S. 43) und des Gesches vom 3. Mai 1903 (Geseßsamml. S. 155) zur Anwendung.

LL

Jn Verbindung mit den in diesem Geseße vorgesehenen Unternehmungen is eine Verbesserung der Landeskultur- verhältnisse nah Möglichkeit herbeizuführen.

_Bei der Aufstellung, Ausarbeitung und Ausführung der Pläne haben die Organe der sandwirtscaftlichen Verwaltung mitzuwirken.

Bei der Entscheidung über Beschwerden im Planfest- stellungsverfahren 22 des Geseßes über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874, §8 13 dieses Geseßzes) ist der Minister für Landwirtschaft, Domänen und perren zu- zuziehen, sofern A D in Betracht kommen.

S 12.

Dem Staate liegt bei Durhführung der in diesem Belege vorgesehenen Unternehmungen die S isa derjenigen An- lagen ob, die für die berahbarten Grundstücke oder im öffent- lihen Jnteresse zur Sicherung gen Gefahren und Nachteile notwendig sind, ingleichen die Unterhaltung dieser Anlagen, soweit sie über den Umfang der bestehenden Verpflichtungen

| zu machen.

ur Unterhaltung vorhandener, demselben Zwecke dienender nlagen hinausgeht.

Wo die Herstellung der Anlagen zur Sicherung der be- nahbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile mit der Ausführung des Bauplanes nicht vereinbar oder wirtschaftlich niht gereh!fertigt ersheint, ist Schadenersaß zu gewähren. Hat der Grundeigentümer nicht bereits nah geltendem Recht einen Anspruch auf Entschädigung, so ist der Schaden insoweit zu erseßen, als die Billigkeit nah den Umständen eine Schadloshaltung erfordert. A

Soweit niht eine Planfesisezung im Entcignungsverfahren stattfindet, erfolat die Feststellung der Verpflichtungen des Staats nah folgenden Bestimmungen:

Ein Auszug aus dem von dem zuständiaen Minister ge- nehmigten Bauplan, aus dem die gemäß § 12 herzustellenden Anlagen zu erschen sind, ist in jedem Gemeinde- oder Guts- bezirk während zwei Wochen zu jedermanns Einsicht offen- puegen: Während dieser Zeit kann jeder Beteiligte Einwen-

ungen gegen den Plan erheben. Zeit und Ort der Offen- legung sowie die Stelle, bei welcher solche Einwendungen in bezug auf die herzustellènden Anlagen s{riftlich oder mündlih zu Protokoll erhoben werden können, ist durch das Kreisblatt und in ortsübliher Weise bekannt zu machen. Auch der Gemeinde- oder Gutsvorstand hat das MRecht, Ein- wendungen zu erheben. Nach Ablauf der Frist find die Einwendungen durch einen . Beauftragten des Regierungs- präsidenten mit den Beteiligten und der Bauverwaltung, nötigenfalls unter Zuziehung von Sachverständigen, zu er- örtern. Nach Abschluß der Erörterung erfolgt die Feststellung der dem Staate obliegenden Verpflichtungen durch den Be- zirksausshuß. ; : :

Gegen den Beschluß jteht, soweit es sich um die Höhe der Entschädigung handelt, binnen neunzig Tagen der Rechtsweg, im übrigen binnen zwei Wochen die Beshwerde an den Mi- nister der öffentlihen Arbeiten zu. Die Frist für die Be- \shreitung des Nehtsweges läuft, sofern Beshwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten eingelegt ist, von der Zu- stellung der Entscheidung auf diese Beschwerde.

Sofern mit der Bauausführung eine befondere Behörde betraut ist, steht au dieser die Beschwerde zu; ‘ihr ist der Be-

{luß zuzustellen. chluß zuz L

S

Wegen solcher nachteiliger Folgen, welche erst nah der Erörterung vor dem Beauftragten des Regierungspräsidenten erkennbar werden, steht dem Entschädigungsberechtigten ein An- spruch auf Errichtung von Anlagen oder Schadenersaß (8 12) bis zum Ablauf von drei Jahren nah der Ausführung des Teils der Anlage zu, durch welchen er benachteiligt wird. Die g der Verpflichtung des Staats erfolgt sinn- gemäß nah den im S 13 Se Vorschriften.

Fehlt einem Grundstück der Anf{hluß an den Kanal vom Rhein zur Weser, an den Anschluß nah Hannover, an den Lippe-Kanal oder an einen der Zweigkanäle oder Häfen dieser Schiffahrtstraßen und erscheint die Herstellung des An- \chlusses aus Gründen des vöffeatlihen Wohles, ins- besondere im Interesse der Förderung des Kanalverkehrs, geboten, so bedarf es für die Ausführung des An- \chlusses zur Enteignung einer Königlihen Verordnung nicht, vorausgeseßt, daß ‘nicht der Eigentümer zur Abtretung des mit Gebäuden beseßten Grund und Bodens und der damit in Verbindung stehenden, eingefriedigten Hofräume gegen seinen Willen angehalten werden foll. Die Zulässigkeit ‘der Ent- eignung wird von dem Na ausgesprochen. -

J,

Dem Staate kann an dem Kanale vom Rhein zur Weser, an dem Anschlusse nah Hannover, an dem Lippe-Kanal oder an einem der S und Häfen dieser Schiffahrtstraßen durch Königliche Verordnung das Recht zur Enteignung solcher Grund- stücke verliehen werden, deren Erwerb zur Erreichung der mit dem Unternehmen in Verbindung stehenden, auf das öffentliche Woht gerichteten staatlihen Zwecke erforderlich ist. Von dem Enteignungsrecht ist spätestens bis zum 1. Juli 1909 Gebrauch Auch darf es zu beiden Seiten des Kanals nicht Uber eine Linie hinaus ausgedehnt werden, welche sich in der Entfernung von 1 km von Sn Rae hinzieht.

Zur Durchführung der in diesem Geseße beschlossenen Ar-

Beirat ein aus Kommissarien der Regierung und Vertretern der verschiedenen in Betracht kommenden Jnteressenten be- stehenden Wasserstraßenbeirat gebildet.

Der Vorsigende und sein Stellvertreter werden vom König ernannt.

Das Nähere wird durch Male Verordnung geregelt.

Auf dem Kanale vom Rhein zur Weser, auf dem An- {lusse nah Hannover, auf dem Lippe-Kanal und auf den Zweigkanälen dieser Schiffahrtstraßen is einheitliher staat- licher Schleppbetrieb einzurichten. Privaten is auf diesen Schiffahrtstraßen die mehanishe Schlepperei untersagt. Zum Befahren dieser Schiffahrtstraßen durch Schiffe mit eigener Kraft bedarf es besonderer Genehmigung.

Die näheren Bestimmungen über die Einrichtung des Schleppmonopols und die Bewilligung der erforderlichen Geld- mittel werden einem besonderen E vorbehalten.

1

Auf den im Jnteresse der Schiffahrt regulierten Flüssen sind Schiffahrtabgaben zu erheben.

Die Abgaben find so zu bemessen, daß ihr Ertrag eine angemessene Verzinsung und Tilgung derjenigen Aufwendungen ermöglicht, die der Staat zur Verbesserung oder Vertiefung jedes diejer Flüsse über das natürlihe Maß hinaus im Interesse der Schiffahrt gemacht hat.

Die Erhebung dieser Abgaben hat spätestens mit Jnbetrieb- seßung des Rhein—Weser-Kanals oder eines Teiles desselben zu beginnen.

s / §9. __ Die Ausführung dieses Gesehes erfolgt durch die zu- n dli es Unf rfundlih unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen nsiegel. din tial Gegeben Gibraltar, den 1. April 1905. L. 8) / WilhelmR.

Graf von Bülow. Schönstedt. Graf von Posadowsky. von Tirpiß. Studt. Freiherr von Rheinbaben. von Podbielski. Möller. von Budde. von Einem. Freiherr von Richthofen. von Bethmann-Hollweg.

180. Sigung vom 6. April 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.). j

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berat Nachtrags zum Reihshaushaltsetat für 1905, M

Ueber den Anfang der Sißzung wurde in d ; Nummer d. Bl. berichtet. tung er gestrigen

Abg. Dr. Arendt (Rp.), fortfahrend: Bei den & handelt es sich nämlich um- Großgrundbesißer, und id niht, ob Herr Ledebour den deutshen Großgrundbesig ebenst shonend behandeln würde wie den der- Herero. Herr Ledebour meinte, die 196 Millionen wären für diefen Krieg weggeworfen. Die Opfer an Gut und Blut werden ja von dem ganzen deutshen Volk auf das s{merzlichste empfunden. Glaubt aber e Vorredner, daß wir es ruhig hinnehmen follten, wenn deutsches Blut vergossen, deutsches Eigentum zerstört wurde ? Selbst im sozial. demokratishen Zukunfts|taate würde man zu den Waffen ‘greifen, um unsere Landsleute zu s{ügen. Was die Verzinsung des Kapitals by, trifft, so foll man weder pe!simistisch noch optimistish in die Zukunft blicken. England hat Transvaal auch anfangs für wertlos gebalten aber Millionen dafür eingeseßt, um es wieder zu erlangen. Für die nationale Ghre müssen wir solche Ausgaben machen. Jch halte es E gas Nichtswürdig ist die Nation, die ni&t ihr Alles seßt an ihre Ehre.

Abg. Freiherr von Nihthofen-Damsdorf (d. Fons,). Herr Ledebour hat sich hier als Dozent des Völkerrehtz aufgespielt. Jch muß entschieden dagegen Protest erheben, alß ob irgendwie das Völkerrecht hier Play greift. Um ein Völker, reit kann es sich doch nur handeln, wenn Staaten gegen Staaten kämpfen. Im vorliegenden Falle hat ein Aufstand stait. gefunden, und bei Aufständen hat die Staatshoheit zu bestimmen, wie die Sache zu regulieren ist. Ein Krieg im völkerrehtlihen Sinne hat hier gar nit stattgefunden. Vom kaufmännishen Standvunkts betrachtet, haben wir es allerdings hier mit keinem günstigen Resultate zu tun, aber wir glauben, daß eine derartige kaufmännische Rechnung hier überhaupt niht aufgemaht werden foll und darf. Es handelte si darum, den durch Aufruhr ge|chädigten deutschen Anfsiedlern Re, vanche zu schaffen. Auf die Landfrage gehe ih nit weiter ein. Necht- lih hat darüber das Deutsche Reich zu befinden, praktis könnte es fih darum handeln, ia welcher Weise YNeservate gebildet werden sollen. Besißlos s\ollen _ja die Leute für die Zukunft niht werden,

_ Abg. Ledebou r (Soz.): Herr Arendt übersieht doch ganz die Ursachen, welche die Herero zum Aufstand getrieben haben. Wo bleiben die Grundsätze der Gerechtigkeit ?/ Mit solhen Anschauungen kann man die barbarishste Behandlung Aufftändischer rechtfertigen. Wir stehen solhen Anschauungen diametral gegenüber. Man hat die Leute aufs unerhörteste drangsaliert, ihnen alle Rehte genommen; da ift nichts wahrscheinlicher, als daß der Aufstand immer von neuem aufflammt. Auf keiner größeren A stehen die Auffassungen des Herrn von « Richthofen, der das Völkerrecht hier für nit anwendbar erklärt. An den amerikanishen Sezessionskrieg hat er dabei wohl nicht gedacht, nach desen Beendigung man mit ausgesuchter Milde verfuhr, um die shlimme Nacwirkung des Kampfes möglichst 1asch auszutilgen. Von den großen materiellen Vorteilen, die man dem deutshen Volke aus der Kolonie vorredet, kann in Wirklichkeit gar nicht die Nede sein, sondern lediglih vom Gegenteil. Die Besißergreifung Südwestafrikas hat si als ein Unglück für Deutschland erwiesen.

Abg. Lattmann (wirtsh. Vag.): Herr Ledebour hat die große Bedeutung Südwestafrikas als Bergbauland ganz außer Augen gelaffen. Wenn er dann von ktarbariscwen Drangsalierungen spricht, so wird er nirgend in der Kolontalpresse einen fo verrückten extremen Standpunkt als berechtigt vertreten finden. Und find nicht die barbarischen Mißhandlungen der Pariser Kommune viel \{limmer gewesen? Und wethalb macht man nicht die entsprechenden Nechnungen auf für die enormen Ausgaben, die andere Staaten für Kolonieen hingegeben haben ? Wieviel Hunderte von Millionen opfert England jeßt nit für Transvaal! Cine Fülle von Aeußerungen von Kennern diess Gebietes läßt .sih für die ausfihtsreide Zukunft Südwestafrikas an führen. Nachdem wir einmal in die Weltpolitik eingetreten find, fönnen wir den Schritt nicht mehr zuück machen ; diese Forderungen können nur abgelehnt weiden von einer Partei, der die nationale Chre fehlt. .

Abg. Dr. Paa sche (nl.): Wir alle bedauern lebhaft, daß diese Kolonie durch den unglückseligen Aufstand so große Opfer kostet. Sie kann leiht noch e Opfer kosten, aber deshalb k3anen wir nit zurück. Die Sache auszufehten ist für ein ebrliebendes Volk eine Notwendigkeit. Hier und da sind Fehler gemacht, hier und da ist ein Herero ungerecht behandelt worden. Aber ist man den Deutschen gegenüber anders verfahren? Hendrik Witboi ift gegen uns in den Aufstand eingetreten, und ich verstebke nicht, wie ein guter deutsder Mann wie Herr Ledebour sih für diese Mörder und Blutschänder einlegt! Der Grundsay der Gerehtig- keit erfordert, daß ich den Mörder und Räuber eben/o an dem nächsten Bau aufhunge. Die Deutschen sollen angefangen haben! Haben wir nicht im Gegenteil die Kulturarbeit dort in fried- lihster Weise aufgenommen? Leider mit unzulängliGen Mitteln. Den blutigen grausamen Aufstand, der dazwischen kam, müssen wir niederwerfen. Die Sozialdemokraten, die keinen Groschen für Kulturarbeit bewilligt haben, werden wir doch nicht überzeugen, daß das Geld hier nicht weggeworfen, sondern nußbringend angelegt ist. Nach unserer Ueberzeugung wird das Opfer reiche Früchte tragen. Undankbar vom Reichstage und vom Volke wäre es, wenn wir den binaufgegangenen deutschen Pionieren die Quittung ausftellen wollten: Weaggeworfenes Geld ! und unsere Finger davon abzögen. Wir bitten die Regierung so sparsam wie mögli zu wirtshaften; aber das Opfer muß gebrackt werden. :

Abg. Ledebour: Auh gere Paasche vergißt wieder, daß die Deutschen als Eroberer in das Land gekommen sind, und die teutschen Farmer haben durch unlautere Praftiken den Herero ihren Besiß, ihr Land, ihr Vieh abgelockt; das ist erwiesen durch das Zeugnis der Missionare der verschiedenen Konfessionen in Dugtenden von Schriften und selbs in der Regierungsdenkschrift. Diese Landspekulanten, Händler und Farmer haben die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit der Herero auégebeutet. Und auch die Zahl der erwiesenen Mißhandlungez von Herero dur die deutschen Beamten usw. ist ebenfalls sehr gro Der Hinweis auf Witboi ift ganz haltlos; die Deutschen haber gegen ihn die Treue gebrohen, nicht umgekehrt. Ein christlih - frommer Mann wie Herr Paasche stellt sich hier t& und erklärt, die Grundsäße der Gerechtigkeit hätten hier keine Stätz sondern es könne sih nur darum handeln, den Herero an den nächst Baum zu hängen. Dann find wir also die einzigen, die hier in Hause noch den Grundsaß der Gerechtigkeit vertreten.

Abg. Dr. Müller -Sagan (fr. Volksp.) : Aus Anlaß dieses Nad- tragsetats nohmals in eingehende Erörterungen einzutreten über die Lagt in Südwestafrika, schien keine Veranlassung; nachdem aber die Debatte sih soweit entwickelt hat, müssen auch wir dagegen protestieren, daf aus Südwestafrika jemals wieder herauszuholen Fein wird, was dor! hineingesteckt wurde. S aber können wir nicht umhin, dort gf m im Kampfe stehen, die Mittel zur Beruhigung dieses Gebietes, soweit sie notwendig sind, zu bewilligen. Auch bezüglich des gende Witboi kann ih Herrn Ledebour niht recht geben. Solange

ier eine kriegerische Verwicklung vorltegt, sagen au wir : Right o: wrong, my native country! Wenn aber Herr Paasche die Grund- säße der Gerechtigkeit außer Kraft setzen will, so protestieren wir aud

dagegen.

Aba. Dr. Paasche: Ich habe keineswegs erklärt, es solle den Herero und Hottentotten gegenüber niht Gerechtigkeit und Humanität walten. Was ich gesagt ba , halte ih in jedem Punkte au

P der Bir für Kamerun bezweifelt der bg. Dr. dek um (So0z.), daß es bei der Verstärkung der

Schußtruppe um zwei Kompagnieen llg ih um eine pr

äventive Maßregel handle, er glaube vielmehr, daß die Kolonialyerwaltung

‘von hintenherum zu einer dauernden Verstärkung

r - Sagan: Da wir Näheres über die Lage

n, bilhes Mit mitgeteilt erbalten haben, ist zur Zeit

cine gründliche Erörterung untunlih: Zu einer solchen werden wir ja e bald Gelegenheit haben, wenn eine Eisenbahnvorlage für E erun an uns wirkli kommen sollte. Auch hier können wir Vie Nerantwortun für die möglihen Eventualitäten nicht übernehmen,

ie durch Ablebnung der Forderung entstehen könnten.

Der Nachtragsetat wird nah dem Kommissionsantrage

genehmigt. üller - Sagan bittet den Präsidenten, das Haus zu

D Ti heute auénahmsweise die dritte Beratung der foeben eier Lesung erledigten Gegenstände vorgenommen werden könnte. in ille sehr wohl, daß der Widerspru eines einzigen Mitgliedes Gr ¿ um das unmöglih zu mack#en. Ein folcher Widerspruch aus genug "use sei aber wohl nit zu besorgen. Selbstverständlich dürfe

| det hee Vorgang kein Präjudiz ¿für \päter darstellen. Andererseits

ei der Ncichstag der A bedürftig, sodaß sich eine solhe Ausnahme i ertreten lassen.

o sident Graf von Ballestrem: Ich habe gegen diefen An-

weierlei Bedenken. Ersilich, daß die zweite und dritte Lesung nicht

erog es aufeinander folgen dürfen. Es würde vielleiht in diesem

l lle feine Unzuträglihkeiten haben, aber man fönnte fi spätcr

Fa ) Andererseits hat der Präsident die Verpflichtung, au

fen. h ; A eiden Petitionen gerccht zu werden. Diese Petitionen können

; i eit beraten werden, wo das Haus vollauf mit wich- 1e E beschäftigt ist. Wenn jedoch aus dem Haufe kein Widerspruch gegen den Antrag Müller-Sagan laut wird, fo würde

j allein niht dagegen sein.

Nbg. von Tiedemann (Rp.): Ih widerfpreche.

Präsident: Damit ist die Anregung des Abg. Dr. Müller-

Sagan hinfällig.

Es folgen 33 Berichte über Petitionen.

| ¡tion der Firma F. Brandts in M.-Gladbach, betreffend 3 E für Cbotgatne, wird dem Reichskanzler zur Berüks suhtiaung Bew Betitionen des Vorstandes des Tiershußvereins zu Bamberg, des Magistrats von Braunéberg und des Molkercipächters Wyppich in Schelejewo, enthaltend Vorschläge zur Abänderung des

Geseßes über die Abwehr und Unterdrückung von Viehscuchen, geht das Haus zur Tagesordnung über.

Die Petitionen auf Abänderung des § 61 der Konkursordnung

werden dem Reichskanzler als Material überroiefen,

Ueber die Petitionen, betreffend Abänderung des § 107 Abs. 2 der Konkursordnung, wird zur Tagesordnung übergegangen.

Der Verband katholischer kaufmännischer Vereinigungen Deutsch- lands zu Essen petitioniert: 1) daß von Reichs wegea eine genaue Statistik über die im Handelsgewerbe beschäftigten weiblichen Per- sonen angestellt werde, bezüglich deren Lohnverhältnisse, A1beits- arten, Geshäftszweige, Arbeitszeit, Alter, Vorbildung und des Berufsstandes der Eltern; 2) daß im Handelsgewerbe angestellte weiblihe Personen bezüglih ihrec Ausbildung denselben geseßz- lien Vorschriften unterstellt werden, wie die männlihen; 3) daß Prinzipale, die wegen unsittlicher Handlungen an ihrem weib- lien faufmännishen Personal gerichtliche Strafe erlitten haben oder wegen solher Verbrechen im Sinne des Strafgeseßbuchs abgeurteilt worden sind, fernerhin keine weiblichen Angestellten mehr halten dürfen. Die Kommission ist über die Petition zur Tagesordnung übergegangen. Entgegen diesem Beschluß wird auf Antrag des Abg. Na ken (Zentr.) Nr. 1 dem Reichskanzler zur Berücksihtigung, Nr. 2 als Material überwiesen ; auf Antrag der Abgg. Nacken und Lattmann erfolgt auch die Ueberweisung der Nr. 3 als Material.

Die Petition des Stadtrats zu Bitsch, betreffend den Bahnbau Bitsh— Pirmasens, überweist das Haus dem Reichekanzler zur Er- wägung. N "Die Petition der Tauiskommission der Militär-Effektensattler Deutschlands in Berlin überweist das Haus, soweit sie sh auf die Beseitigung der Zwischenmeister bezieht, dem Reichskanzler zur Be- rüdsihtigung, soweit sie sich auf die Heimarbeit an und für sich be- zieht, zur Erwägung.

Der Vorstand des Deutschen Musikdirektorenverbandes und der allgemeine Deutsche Musikerverband bitten um Schuß für die Zivil- musiker und verlangen die Einschränkung bezw. völlige Untersagung des außerdienstlihen gewertlihen Musizierens für die Militärmusiker.

_Unter Ablehnung eines Antrags Thiele (Soz.) auf Ueber- weisung zur Berücksichtigung beschließt das Haus, entsprehend dem Kommissionsantrag, beide S titionen mit Rücksicht auf die früheren Reichstagébeshlüsse dem Reichskanzler als weiteres Material zu über- weisen.

_Die Petition des Provinzial-Bienenzüchtervereins der Provinz Posen um Erlaß eines Geseßes über den Verkehr mit Honig wird dem Neichskanzler zur Erwägung überwiesen. :

Neber die Petition des Tehnikers Rainhardt in Dresden, be- treffend die Abschaffung der Briefmarken, geht das Haus zur Tages- ordnung über.

Die Petition des deutschen Goethe. Bundes um Abschaffung der Theaterzensur, wozu der D gu aufran U Uebergang zur Tagesordnung vorliegt, wird auf Antrag des Abg. Dr. Müller - Sagan von der Tagesordnung abgeseßt. i i

Der Gesamtverband der evangelishen Arbeitervereine Deutsh- lands hat um möglihst baldige Vorlegung eines Geseßentwurfs über Errichtung von paritätishen Arbeitsnahweisen petitioniert. Die Petition wird dem Reichskanzler als Material überwiesen, ebenso die petition des Verbandes fkatholischer kaufmännisher Vereinigungen

eutschlands, betreffend Erlaß eines Scheckgeseßes. /

Zur Berücksichtigung will die Kommission die Petition des Kammergutspächters Dobenecker in Zella wegen Gewährung von Sdadenersay für den Verlust von Pferden infolge vermeintlicher Einshleppung der Brufstseuhe durch Militärpferde dem Reichskanzler überweisen.

Abg. Fries (nl.) besürwortet lebhaft das Petitum. Dem Petenten seten aht Pferde kaput gegangen, und es sei ihm ein Scaden von 12 000 4 entstanden. Der urjächliche Zusammenhang der Erkrankungsfälle mit der Dragonereinguartierung werde zwar von der M bestritten, es sprächen aber außerdem ganz überwiegende Billigkeitsgründe für die Berücksichtigung.

Kommissar des Bundesrats, Geheimer Kriegsrat Guntel- mann: Nach den von der Militärverwaltung Lugezogtuen wissenschaft- lihen Gutachten muß sie auf ihrem ablehnenden Standpunkt verharren. In der Annahme von Billigkeitsgründen geht sie sehr weit, hier aber stehen nur Behauptungen und willkürliche Annahmen in Frage, und die Heeresverwaltung würde unberehtigten Ansprühen Tür und Tor öffnen, wenn sie daraufhin Entschädigungen gewähren würde.

Der Kommissionsantrag wird angenommen.

b Ueber die Petitionen des Verbandes ter euen Baugetwerks- gg ufsgenofsenschaften und des deutschen A erbundes für das augewerbe, die sich insbesondere gegen die estellung von Bau- ontrolleuren aus dem Arbeiterstande wenden, kommt ein Beschluß des

aues niht zustande, da sowohl ein Antrag Le \ ch e (Soz.) e Üehergan zur Tagesordnung, als auch der Kommissionsantrag au

erweisung als Material abgelehnt werden.

5 etitionen des Internationalen Vereins zur Herbeiführung 1 rferer geseßliher Bestimmungen zum Schutze der Tiere und des

iellbundes zum Schutze der

E von Prof. Dr. Paul Förster, fordern wirksamere Straf-

e Tia en gegen die Tierquälerei.

rûdsi Stiguae us überweist beide Petitionen dem Reichskanzler zur Be- Á Fur Tagesordnung geht das Haus über über die vom Verband jert rittlicher Frauenvereine in Berlin eingereihte Petition, das urcltellen, den Verkauf und das Tragen von Maulwurfspelzwerk F onfig t plndliche Strafe zu stellen und dieses im Uebertretungsfalle zu zieren; ebenso wird über die Petition des Flugtechnikers

Tiere und gegen die Vivisektion, unter-

av Koh in München wegen Gewährung einer staatlichen Bei- hülfe zur Förderung der Flugmaschinentehnik zur Tageêordnung übergegangen. / i : Die Petition des. Deutschen Landwirtshaftsrats wegen Be- arbeitung des statistishen Materials über das Heeresergänzungs- geschäft in der Richtung, daß die Bedeutung der ländlichen Be- völkerung für die Wehrkraft des Deutschen Reiches voll hervortritt, wird dem Reichskanzler als Material überwiesen, ebenso die De des Verbandes deutsher Zahnärzte wegen Aenderung des 147 Ziffer 3 der Gewerbeordnung. Die Petition der Handwerkskammern zu Magdeburg, Nürnberg und Insterburg um Abänderung der Bäckerciverordnung überweist das Haus dem Reichskanzler als Material.

Die Petition von Cramer ú. Gen. in Steele gegen den Verkauf und die Stillegung von Zechen, im Ruhrrevier, welche die Kommission dem Reichskanzler als Material überweisen will, wird auf Antrag des Abg. Bebel (Soz.) von der Tagesordnung abgeseßt.

Als Material überweist das Haus dem Reichskanzler sodann die Petition des Borstandes des bayerischen Handwerkerbundes wegen Abänderung der Gewerbeordnung (Feststellung der Begriffe Hand- U me Bee Lehrlingsausbildung, Einführung des Befähigungs- nachweises).

Ueber die Petitionen verschiedener Drogistenvereinigungen um Freigabe des Verkaufs der Tierheilmittel und Futtermittel-Viehpulver geht das Haus, entsprechend einem Antrage des Abg. Nett i ch (d. kons), zur Tagesordnung über. f

Die Petition des Verbandes deutsher Milhhändlervereine um reich8geseßlihe Regelung des Verkehrs mit Milch wird dem Reichs- kanzler als Material überwiesen.

Das Eisenbahnkomitee Bolchen erbititet die Hilfe des Reichstages behufs Erlangung der Einmündung der künftigen Bahn Merzig— Waldwiese in Station Anzelingen der Linie Diedenhofen—Teterchen. Auch diese Petition wird dem Kanzler als Material überwiesen, des- On die Petition um Erlaß einheitlicher Bestimmungen über die Bor- und Ausbildung der technische:- Zollbeamten und die Petition des pensionierten Schußmannes August Plorin in Kiel, betr. die Aus- dehnung der Unfallfürsorge auf die Polizeibeamten. Die Petition des Vereins Berliner Dienstherrshaften und Dienstangestellten, unterstützt von 46 Vereinen für Frauenwohl und Frauenbildung, wird, soweit sie sih auf die Ausdehnung der Kranken- und Unfallversiherung auf die Dienstboten bezieht, dem Kanzler als Material überwiesen, soweit sie auf Einführung obligatorisher Fortbildungsshulen mit anschließendem D Ange nten gerihtet ift, durch Uebergang zur Tageßordnung erledigt.

Die Petition des Eigentümers Leichner in Stewken bei Thorn um Aenderung des Nayongesezes wird dem Kanzler als Material überwiesen, ebenso die Petition des deutshen Müllerbundes um Schaffung eines Spezialorgans für internationalen Nachrichtendienst über Getreide und Mebl.

Damit ist die Tagesordnung erledigt. Schluß 41/4 Uhr. Nächste Sißung Freitag 1 Uhr. (Dritte Beratung des Nachtragsetats für 1905 und kleinere Vorlagen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 174. Sißung vom 6. April 1905, Vormittags 11 Uhr. s (Bericht von Wolfs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den ersten Teil der Verhandlungen is in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Die daselbst auszugsweise wiedergegebene Antwort des Ministers der geistlichen, Unterrihts- und Medizinalangelegen- heiten Dr. Studt auf die Jnterpellation der Abag. Faltin (Zentr.) und Genossen, betreffend die Gen istarre in Oberschlesien, hat folgenden Wortlaut:

Meine Herren! Die erste Frage des Herrn Interpellanten gestatte ih mir dahin zu beantworten: Es ist der Königlichen Staatsregierung bekannt, daß die Genickstarre in Oberschlesien epidemisch auftritt. Bereits die ersten Anzeichen dieses Auftretens zu Ende des vorigen Jahres haben die Aufmerksamkeit der beteiligten Kreis- und Bezirks- behörden erregt und fofort diese Behörden zu eingehenden und energishen Maßnahmen veranlaßt. Ebenso sind die Vorgänge durch die Zentralinstanz mit größter Aufmerksamkeit verfolgt worden.

Meine Hzrren, bereits unter tem 9. Dezember vorigen Jahres, also kurz nach dem Auftreten der ersten Erkrankungen im Stadtkreise Königshütte, habe ih den Negierungêpräfidenten in Oppeln zu einer eingehenden Berichterstattung veranlaßt. Es handelte sich damals um 11 Erkrankungen, von denen“ 8 in Königs- hütte und 3 in Neu-Heiduck, 7 im November und 4 im De- zember, vorgekommen waren. Troß der umsichtigen Maß- nahmen, welche \ofort seitens der zuständigen Behörden ergriffen worden sind, hat |ch die Epidemie anfangs allmählig, später in \hneller Folge verbreitet. Bereits im Januar kam es in Königshütte zu einem ausgesprohenen Epidemiecharakter, und dann kamen ver- einzelte Fälle in mehreren Orten des Landkreises Beuthen sowie der Kreise Tarnowiß, Gleiwitz, Pleß und Zabrze vor. Jm Februar traten vereinzelte Fälle in den Kreisen Lubliniß, Nybnik, Groß-Strehlitz und Grottkau, im März in den Kreisen Oypeln, Neustadt, Kreuzburg und Kosel hinzu. Gegenwärtig sind niht nur fast \ämtliche Kreise des Negierungsbezirks Oppeln, sondern auch die Kreise Breslau, Brieg, Ohlau, Oels und Schweidniy des Regierungsbezirks Breélau be- troffen. Die Zahl der Erkrankungen beträgt bis jeßt im Bezirk Oppeln an 1200, im Bezirk Breslau 16, die Zahl der Todesfälle im Bezirk Oppeln über 600, im Bézirk Breslau 9. (Bewegung.)

Meine Herren, die Behörden haben selbstverständlich ihre Auf- merksgmkeit darauf gerichtet, die Entstehungsursahen der Epidemie aufzuklären. Leider haben diese Ermittlungen zu einem festen Ergebnis nicht gesihrt. Daß die Seuche aus Nußland, wo sie häufig auftritt, eingeshleppt sein mag, ist nur eine Vermutung. Vereinzelte Fälle von Genickstarre kommen in jedem Jahre in dem Bezirk Oppeln vor. Zu etner Epidemie ist es aber in der leßten Zeit nicht ge- kommen. Nur 1886 und 87 und 1895 bis 97 hat die Krankheit einen epidemishen Charakter in dem genannten Negierungsbezirk an- genommen. Damals waren wie jeßt hauptsählich die Kreise Beuthen und Kattowiß, also 2 Grenzkreise, betroffen. Die Zahlen der Er- krankungen find aber damals erhbeblih binter den diesjährigen zurüdck- geblieben.

Die ersten Erkrankungen im vorigen November kamen im nörd- lien Teile der Stadt Königshütte vor; dort traten au in der Folge- ¡eit gehäufte Erkrankungen auf. Kennzeihnend für den Charakter der Krankheit ist dabei die Erscheinung, daß nur ausnahmsweise mehrere Erkrankungen in demselben Hause oder in derselben Familie vorkommen. Ein Stadtplan von Kattowiy, in dem die Fälle eingetragen waren, machte den Eindruck, als wenn diese Fälle regellos über die ganze Stadt ausgesät waren. Auch die in den übrigen Kreisen des Bezirks vorgekommenen Fälle waren nur ganz ausnahmsweise an einer

Stelle gehäuft, der Mehrzahl nach dagegen vollkommen sporadish.

Ich mathe auf diese Ersheinungen besonders aufmerksam, weil sie beweisen, daß der Charakter der Krankheit ein ganz eigenariiger ist. wegen der Unberechenbarkeit des Auftretens in den einzelnen Ort- haften und einzelnen Häusern.

Bekanntlich befällt die Krankheit havptsählih das jugendliche. Alter, namentlich Kinder unter 11 Jahren. Man hat deshalb besonders darauf geachtet, ob die Schule eine Nolle bei der Verbreitung der Krankheit gespielt hat, und da möchte ih die besondere Frage, die der Herr Intecpellant heute an mich gerihtet hat, in der Weise be- antworten: es hat fich dabei gezeigt, daß mehrere Fälle aus einer Schule nur selten, aus einer Schulklafse aber niemals gleichzeitig gemeldet worden find. Es war daßer au nur zweimal erforderlich, eine Schule vorübergehend {ließen zu lassen, weil je ein Erkrankungsfall in einer Familie vorgekommen war, die das Schulhaus bewohnte.

Der Grund dafür, daß die epidemishe Genickstarre troß ihrer verhältnismäßig geringen Uebertragbarkeit die Bevölkerung in so hohem Grade beunruhigt, liegt in der Schwere ihres Verlaufs; darauf wird mein Herr Kommissar nahher nochþ näher eingehen. Mehr als 50 9% der Erkrankungsfälle führen zum Tode, während in einem starken Bruchteil derjenigen Fälle, wo Genesung stattfindet, erheblihe Störungen, wie Taubheit, Blindheit, Lähmung, Geistess{twoäche oder Blödsfinn zurückbleiben. Mit Recht baben daher die Behörden der Verhütung und Bekämpfung der Krankheit ihre volle Aufmerksamkeit zugewendet, und ih freue mich, ebenso wie in frübßeren Fahren gelegentlih der großen Typhusepidemie in Oberschlesien und der Ueber- shwemmungen in Schlesien aus dem Jahre 1903, erneut feststellen zu können, daß alle beteiligten Behörden wie Private, Verroaltungs- und namentlich au die Medizinalbeamten und Aerzte, im vollen Umfang ihre Pflicht getan haben.

Wenn jeßt, wie es s{cheint, in einigen Teilen des Oppelner Be- zirks eine gewisse Beunruhigung auftritt, wenn sogar ganze Familien ihre Wohnorte verlassen oder wenigstens ihre Kinder fortshicken, fo ist diese Sorge für ihre Angehörigen ja verständlih. Aber es liegt darin eine gewisse Gefahr für die Allgemeinheit insofern, als dadur die Verschleppung der Seuche in Gegenden, welche von ihr bis jeßt vershont geblieben sind, begünstigt wird. Ih möchte daher diese Gelegenheit benußen, um die Bevölkerung von Oberschlesien zu be- schwichtigen und ihr ein ruhiges Ausharren nahezulegen, umsomehr, als in den leßten Wochen die Zahl der Neuerkrankungen bereits etwas zurüdckgegangen, und nach der Erfahrung früherer Epidemien die Hoffnung nit unberechtigt ist, daß bei dem Eintreten der wärmeren Witterung die Seuche weiter zurückgehen und vielleit bald er- löschen wird.

Was nun die Maßregeln anbetrifft, die zur Bekämpfung dieser beklagens8werten Krankheit getroffen worden sind, so sind es im wesentlichen folgende.

Sofort nach Beginn der Seuche wurde die Anzeigepflicht, welche durch Erlaß meines Herrn Amisvorgängers vom 23. November 1888 für Aerzte eingeführt ist, durch öffentlihe Bekanntmachung in Erinnerung gebraht. Jch kann bemerken, daß die Maßnahmen s\o- wohl bei den Aerzten als bei der Beyölkerung durchaus beifällig auf- genonimen wurden, und daß die Anzeigepflicht allerseits loyal erfüllt worden is, wodurch die übrigen Maßnahmen wesentli erleichtert werden. Ich konstatiere das hier mit Befriedigung und möchte hier Anlaß nehmen, den Beteiligten vor diesem hohen Hause meinen Dank dafür auszusprechen.

Zweitens ist man in Verfolgung der {hon erwähnten Ministerial- verfügung vom 23. November 1888 bemüht gewesen, die Erkrankten tunlichst abzusondern. Wo dies innerhalb der Familie möglich ift, werden die Kranken in derselben belassen. Bei der Didstigkeit der Bevölkerung und der Beschränktheit der Wohnungen im JIndustrie- gebiete läßt fich dies aber nur ausnahmsweise erreihen. Gibt es doh zahlreihe Arbeiterhäuser, in denen 20 und mehr Familien zusammen wohnen, oft an einem Flur, sodaß die innigsten Berührungen zwischen ihnen ganz unvermeidlich sind. Es sind daher etwa 95 vou je 100 der Erkrankten in Krankenhäuser übergeführt worden, also ein fehr erheblicr Prozentsatz, beinahe die Gesamtheit der Erkrankten. Das war nur mögli, weil der oberschlesische Jndustriebezirk an aus- gezeichneten Krankenhäusern reich is, und weil die Knappschaft in dankenswertem Entgegenkommen gestattet hat, daß, entgegen den Statuten, auch erkrankte Kinder in die Knappschaftslazarette auf- genommen werden. In nächster Zeit wird die Knappschaft außerdem an zwei gefährdeten Punkten Döckershe Baraden aufstellen, um noch mebr Kranke in Lazarettbehandlung nehmen zu können. Das kann nicht genug begrüßt werden; denn alle Aerzte find darüber einig, daß ein großer Teil der Erkrankten in der geordneten Pflege des Krankenhauses gerettet werden kann, der in den unglücklichen Verhältnissen der Privatwohnung dem Tode verfallen wäre. Auch wird die Gelegenheit zur Krankheitsübertragung wesentlich ein- geshränkt, wenn der Kranke frühzeitig in ein Krankenhaus über- geführt wird.

Fn dritter Linie kam die Sorge für die Schule in Betracht. Sgthon in den Anfängen der Epidemie hat der Regierungspräsident in Oppeln angeordnet, daß gesunde Kinder aus Häusern, in denen ein Fall von Genidstarre vorkommt, vom Unterricht ausgeschlossen werden müssen und in die Schule erst dann wieder zurücklehren dürfen, wenn der Erkrankungsfall abgelaufen und eine gründlihe Desinfektion der Wohnung derselben erfolgt ist. Ein allgemeiner Shulshluß, wie er in der Presse angeraten worden ist, wird von den NRegierungs- präsidenten nah Anhörung der Sculabteilung widerraten, weil er- fahrungsgemäß Uebertragungen der Krankheit in der Schule verschwindend selten und die Berührungen der \chulfreien Kinder bekanntlih überaus häufig sind. Ich kann diese Auffassung, meine Herren, nur billigen. Natürlich wird dabei nit ausgeschlossen, daß nit gelegentlih eine Squle oder eine Sqchulklasse vorübergehend geschlossen wird, wenn im Schulhause selb ein Erkrankungsfall vorkommt. Auch kann eventuell eine Verlegung der bevorstehenden Osterferien in Betracht genommen werden.

Meine Herren, als vierte Maßregel kommt die Desinfektiou in Frage. In dieser Beziehung kann ich mit Genugtuung feststellen, daß im Bezirk Oppeln niht nur in der Stadt, sondern auch in vielen Landgemeinden geshulte Desinfektoren angestellt und wirksame Desinfektionsapparate verfügbar sind, und daß in der Mehrzahl der Kreise die Desinfektion auf öffentlihe Kosten geshicht. In anderen brauen nur Bemittelte die Desinfektion zu bezahlen. Die Durch- führung dieser Maßregel ist, wie ih hervorheben darf, wesentlih da- durch erleichtert worden, daß die Desinfektorenshulen, welche ih an

verschiedenen Orten, z. B. au in Breslau, habe errihten lassen, die