1905 / 118 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 19 May 1905 18:00:01 GMT) scan diff

handlungen über die Kaufmannsgerichte si nit zutreffend erinnert. Na dem stenographischen Bericht hat der Herr Staatssekretär des Innern in der Sigung vom 8. Juni vorigen Jahres erklärt, daß es mit der Bildung von Sondergerihten nit fo weiter gehen könne, daß dieser Bildung nunmehr ein Ziel geseßt werden müsse, und daß, um den be stehenden, zweifellos vorhandenen Uebelständen abzuhelfen, jeßt der Weg gewählt werden müsse, eine grundsäßlihe Aenderung des amts- gerichtlichen Verfahrens herbeizuführen. In dieser Erklärung steht nichts, wie die Ausführungen des Hercn Abgeordneten erwarten ließen, von dem landgerihtlihen Verfahren, und es kommt allein für die Entlastung des NReichsgerihts in Betracht, und es steht in dieser Er- klärung nichts davon, daß diese Revision alsbald erfolgen müsse. I kann also meine Erklärung nur aufrecht erbalten und muß betonen, daß das, was der Herr Abg. Müller (Meiningen) vorhin über die künftige Reform des Zivilprozesses ausgeführt hatte, niht geeignet ist, einen Grund abzugeben für einen noch weiteren Aufschub der durh die Vorlage bezielten Reform.

Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner eine Bemerkung

gema t, der ih sofort widersprechen muß. Er hat den Oberlandes- gerihten einen Vorwurf gemacht, der, wenn er begründet wäre, die Chre und das Ansehen der Oberlandesgerihte in einer empfindlichen Weise s{hädigen müßte. (Sehr richtig!) Er hat behauptet, daß, wenn die Kompetenz der Oberlandesgerichte in leßter Instanz erweitert würde, die Uebung, die hon jeßt bestehe, daß die Oberlandesgerichte sih an die Grundsäge der Judikatur des Neichsgerichts nur so weit, wie dessen Kompetenz reiche, bänden, im übrigen aber niht, noch vergrößert werden würde, und er hat \sich darauf berufen, daß in Neferendarienkreisen ofen erzählt würde, es würde bei der Beratung in den Kollegien der Oberlandesgerihte die Frage vielfah aufge- worfen, ob denn die Sache revisibel sei. Ich erinnere mi, daß auch schon in den Vorverhandlungen in der Kommission zu meinem lebhaften Bedauern mehrfach auf Gesprähe in Weinstuben und auf Bierbänken Bezug genommen worden ist über dasjenige, was beim Reichsgeriht und bei Oberlandesgerichten angeblih vorkomme. Ich kann das nit als eine Art von Diskussion ansehen, mit der viel zu beweisen ist. Wenn aber jeßt sogar der Referendarienklatsch mit als Beweisgrund herangezogen wird (Heiterkeit), dann geht das do wirklich zu weit. Ich halte es gar niht für unmögli, daß in einem einzelnen Falle die Frage gestellt wird, ob eine Sage revisibel sei oder niht, aber die geehrten Herren Referendarien, die Ohren- zeugen folher Unterhaltung gewesen sind, haben diese Frage nit ver- standen. Es handelt sih dabei nit darum, die NRevisibilität festzu- stellen zu dem Zwecke, mangels der Revisibilität leihtsfinniger und ohne Rüdfiht auf die reichsgerihtlihe Judikatur zu verfahren, fondern ¡u dem Zwecke, um um so strenger die Nehtsgrundsäte, die bei dem einzelnen Falle zur Anwendung kommen müssen, zu prüfen, weil in solchen Fällen der Partei eine weitere Instanz niht gegeben ift, während ihr im anderen Falle der Weg an das Reich8geriht noch gegeben sein würde. Das, meine Herren, ist der würdigen Haltung hober Gerihtéhöfe durhaus entsprehend und wird, wie ich glaube, auch in Zukunft noch geshebhen, wenn die Vorschläge, die Ihre Kommission gemacht hat, Annahme finden sollten. Wenn aber solhe Fragen gestellt sein sollten in dem Sinne, den der Herr Abg. Bruhn unterstellt hat, so muß ih sagen, ih würde das nicht als eine Auffassung ansehen können, die der Würde eines Richters in der oberen Instanz entspricht. Jch würde sie für pflihtwidrig halten, da die Gerichtshöfe bei gleiher Rechtslage in verschiedenen Sachen nah gleihen Nehtsgrundsäßen urteilen müssen, und da ih nit an- nehmen fann, daß in entgegengeseßter und pflihtwidriger Weise die Gerichte verfahren, so weise ih die Bemerkung des Herrn Abgeordneten entschieden zurück.

Abg. Dove (fr. Vgg.): Wir werden dem Entwurf zustimmen aber nur mit s{chwerem Herzen. Wir sind der Meinung, daß die sogenannten kleinen Mittel, ein wenig Begründungszwang usw., nit bis zur äußersten Konsequenz durchgeführt sind, um das Ziel erreichen zu können. Was den Vorschlag einer Vermehrung der Nichter angeht so wähst mit deren Zahl die Schwierigkeit ihrer Auswahl. Auch alle die kleinen Nebenrücksichten, die geübt werden, führen dabin daß bei der Auswahl nicht gehörig verfahren werden kann. Der Abg. Bruhn betonte den sfoztalen Gesichtspunkt der Benachteiligung der Armen. Von diesem Standpunkt aus wäre jede Revisionssumme zu verwerfen, aber dieser Vorschlag soll nur Eindruck auf die große Masse draußen machen. Das Neichsgericht hat nur allgemeine Gesichts- punkte für die Nechtsprechung aufzustellen; es kann gar nicht jeden einzelnen Fall bis in jede Einzelheit nachprüfen. Wir haben es hier mit einem Notgeseß zu tun, um den gegenwärtigen Kalamitäten abzuhelfen und erträglihe Zustände zu hafen, bis die große Reform der Zivilprozeßordnung kommt. Wenn das der Fall ist, wollen wir alle mit vereinten Kräften zu einer wirklihen Beseitigung aller Miß- stände zusammenarbeiten.

Abg. Dr. Brunstermann (b. k. F.): Meine Freund in der zweiten Lesung für die Borlade f is bung Sag antr? ta stimmen, behalten fich aber die endgültige Stellung bis zur dritten

Lesung vor.

__ Abg. von Chrzanowski (Pole): Auch wir halten die Herauf- seßung der NRevisionsfumme für eine Benachteiligung und S@digung der minderbegüterten Bevölkerung, für einen Rückschritt in der Sozialpolitik und im Widerspruch stebend mit den leitenden Grund- säßen unserer Partei. Die Erhöhung der Nevisionésumme ist aber auch eine Gefahr für die Gesamtheit. Wir befürchten, daß die Urteile der Oberlandesgerihte an Wert verlieren. Das beste Mittel zur Entlastung des Reichsgerihts wäre eine Vermehrung der Mitglieder der Senate oder die Schaffung neuer Senate. Auf keinen Fall darf die allgemeine Rechtésicherheit leiden. :

Hierauf wird Vertagung beschlo}en.

. Schluß 51/2 Uhr. Nächste Sizung Freitag 1 Uhr. (Erst Lesung des Geseßentwurfs, betreffend dic Ausgabe von Reichs: banfnoten zu 50 und 20 (; Fortsezung der eben abge- brochenen Beratung.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 183, Sißung vom 18, Mai 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

_ Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung eiuseinee Bestimmungen des Allgemeinen Ber geseßes vom 24. Juni 1865/1892 (über die Arbeiterverhältnisse).

Danach soll der zweite Absaz des § 80 des Allgemei i gesehes folgende Fassung E 9 gemeinen Berg

„Der Bergwerksbesitzer ist berechtigt, für den Fall der rechts- widrigen Auflösung des Ar cit9becbältri Fes ee, Bergmann die Verwirkung des rückständigen Lohnes bis zum Betrage des durhsnittlihen Wochenlohnes auszubedingen.

. Der verwirkte Betrag verfällt zu Gunsten der Ünter- stüßungskasse des Werkes oder, wo sfolhe nicht besteht, zu Gunsten der für die Arbeiter des betreffenden Werkes zuständigen E

er berechtigten Kasse ist der verwirkte Betrag binnen seckchs Wochen nach der Abrechnung über den verwirkten Lohn Ie

Abg. Brust (Zentr.) beantragt, di E R vorslag abzulehnen. ) g esen Kommissions- eber den Beginn der Verhandlungen ist in d tri Nummer d. Bl. berichtet Doe, A n gena

Minister für Handel und Gewerbe Möller:

Meine Herren! Ich habe vorab den Auftrag, das lebhafte Be- dauern des Herrn Ministerpräsidenten auszusprechen, daß er in diesen Tagen nit hier in Ihrer Mitte sein kann. Leider haben einerseits die Geschäftslage dieses Hauses und anderseits die Pflichten, die ihn auêwärts festhalten, es ihm unmöglih gemacht, hier zu erscheinen. Er behält sich ausdrücklich vor, in der dritten Lesung hier seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.

i Dieselbe Lage der Verhältnisse hat auch dazu geführt, daß ih leider nit in der Lage bin, beute hier eine definitive Stellungnahme der Staatsregierung zu den einzelnen Beschlüssen der zweiten Lesung zu erklären, und ih möchte meinen, daß das auch in diesem Augen- blick keine besonders {were Bedeutung hat. Ich stimme darin im wesentlihen mit dem Herrn Vorredner überein. Auch ih halte die Beschlüsse der zweiten Lesung niht für endgültige Beschlüsse; au ih habe die bestimmte Hoffnung, daß das hohe Haus in sehr wesentlichen Punkten sich der Regierungsvorlage wieder annähern wird, um der Königlichen Staatéregierung die Möglichkeit zu geben, in der Lösung, die dies bohe Haus dem Geseßentwurf geben wird, eine Lösung des- jenigen zu sehen, was sie ihrerseits geglaubt hat, vorab öffentlih bekannt, geben zu müssen.

Meine Herren, auf die Einzelheiten, auf die die beiden Herren Vorredner eingegangen sind, meinerseits einzugehen, würde meines Er- ahtens die Diskussion unnüg in die Länge ziehen. Ih behalte mir bor, bei der Einzeldiskussion auf jeden einzelnen Punkt zurückzukommen. Zu dem jeßt zur Diskussion stehenden Punkt, zu der Einschaltung der Kommission in den § 80, liegen erbeblihe Bedenken vor, die ih bereits in der Kommission geltend gemacht habe. Die juristishen und staats- rechtlihen Bedenken dagegen vorzutragen, hat \ich der Herr Justiz- minister vorbehalten; ich kann daher darauf verzihten. Justizminister Dr. Schönstedt:

Meine Herren, im Ans{hluß an die Bemerkungen des Herrn Handelsministers mödtte ich mir gestatten, gleih hier als Vertreter der Justizverwaltung diejenigen Bedenken vorzutragen, welche gegen den § 80 in der Faffung des Kommissionsantrags zu erheben find. Dieser Kommissionsbeshluß enthält ein Doppeltes: er wiederholt zus- nächst in bvositiver Form das, was in dem Berggeseß bereits in negativer Form ausgesprochen |ist, daß nämli für den Fall der rehts- widrigen Auflösung des Arbeitêverhältnisses dur den Bergmann die Verwirkung des rückständigen Lohnes bis zum Betrage des dur(- \{nittliden Wochenlohnes zwiscen dem Arbeiter und dem Bergwerks- besißer vereinbart werden kann. Gegen diese Bestimmung, die im wesentlihen derjenigen, die geltenden Rechts ist und \sich in un- angefochtener Geltung befindet, entspriht, würde an ih fein Be- denken vorliegen. Es wird unsererseits kein Gewiht darauf gelegt, ob die negative oder die positive Fassung gewählt wird, es kommt im wesentlichen auf dasselbe hinaus. Ich möchte glauben, daß der vom Zentrum gestellte Antrag, diefen Absaß 2 zur Streichung zu briugen, eine besondere materielle Bedeutung nicht hat. Es würde dann bei der bestehenden Vorschrift des Berggesetzes verbleiben.

Die rechtlichen Bedenken des Justizministeriums rihten ih aber gegen den Absaß 3 und den Absaß 4, in welcken gesagt wird:

Der verwirkte Betrag verfällt zu Gunsten der Unterstüßungs- kasse des Werkes, oder, wo solche nit besteht, zu Gunsten der für die Arbeiter des betreffenden Werkes zuständigen Krankenkasse.

Der berechtigten Kasse ist der verwirkte Betrag binnen 6 Wochen nach der Abrechnung über den terwirkten Lohn zuzuführen.

Die Frage, ob diese Bestimmungen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch bzw. mit anderen Reichs8gescßen vereinbar sind, is ja {on Gegen» stand der Diskussion in der Kommission gewesen, und wir stehen auf dem Standpurkt, der dort von verschiedenen Nednern vertreten worden ist, daß sie weder mit dem Bürgerlichen Geseßbuchß ncch mit dem Lohnbeshlagnahmegeseß, einem Reichsgeseß, ih vereinbaren lassen. (Sehr richtig! bei den Freisinnigen.)

Es ift ja befkanntlich in dem Ausführungsgeset zum Bürgerlichen Geseßbuch der Vorbehalt gemacht worden, daß die Landes8gesetgebung zuständig bleibe, soweit es sih um die Verbältnisse des Bergrechts handelt. Es geht au aus der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Geseßbuchs, inébesondere aus den Motiven zu dem Entwurf berver, daß dieser Vorbehalt ziemlih weit zu verstehen ist, daß er nit nur sich bezieht auf streng technische, unter den Begriff des Bergrechts fallende Bestimmungen, sondern taß er über diesen Nabmen hinaus- geht und insbefondere umfaßt die Verbältnisse der Bergarbeiter. Dem entspriht auch das in Geltung gebliebene preußishe Berggeseß, das eine Reihe von Vorschriften zur Regelung der Verbältnisse der Berg- arbeiter enthält, und dessen fortdauernde Gültigkeit noch von keiner Seite angefochten is. Es fragt si, ob der Inhalt der Abf. 2 und 3 unter den Begriff gebracht werden kann, daß es sich auch bei ibnen um die Regelung der Verhältnisse der Bergarbeiter handelt, und diese Frage glauben wir verneinen ¿zu müssen. Die Bestimmung, daß der verwirkte Lohn einer andern Kasse zufallen soll, rihtet sich ja nicht gegen den Bergarbeiter, der seines Lohnanspruchs bereits verlustig ge- gangen ift, sie rihtet sich nach ihrem formellen Wortlaut, wenn auch dabei andere Gesichtspunkte mitgewirkt haben mögen, die die indirekte Wirkung dieser Bestimmung ins Auge fassen, ledigli gegen den Bergwerksbesißer, den Eigentümer. Sie wird erst wirksam nah der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, das sie ja zur Voraus- seßung hat, und eben dadurch carakterisiert sie \sih als eine aus- \{ließlich in die Nechtssphäre des Bergwerksbesitzers eingreifende Be- stimmung, die mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gefeßbuchs si nicht wobl vereinbaren läßt. Es ift eine Beschränkung des dem

Es wird zunächst über die Nr. 1 der Kommissions- beshlüsse verhandelt, die in die Vorlage cincctige Hn.

Bergwerksbesißzer zustehenden privatrechtlihen Anspruchs auf die ver-

Mag man diese Bestimmung nun auffassen als eine Kon ventionalstrafe, mag man sie dahin verstehen, daß damit die sonst nag dem Bürgerlichen Geseßbuch unzulässige Aufrehnung etwaig Schadensansprüche des Bergwerkébesitzers gegen rückständigen Lohn ff, statthaft erklärt werden soll was an und für ih nah dem Vor, behalte des Einführungsgesetzes zulässig wäre immerhin trifft z zu, daß hierdurch dem Bergwerksbesitzer die freie Verfügung über seine Vermögensrehte entzogen wird, und dies fällt nah unserer Auffassun nicht unter den Vorbehalt des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Desbalt erkènnen wir darin einen unzulässigen Widerspru mit der Reichs, gefeßgebung und müssen eine derartige Bestimmung für unzuläs, erklären. fas

Wenn nah dieser Nihtung bin aber Zweifel hervortreten möchten so würde es sich weiter fragen, ob diese Bestimmung denn in Einklang gebracht werden kann mit dem Lohnbeshlagnahmegeseß, dessen Ab. änderung niht gedeckt wird durch den Vorbehalt des Einführungs, geleßes zum Vürgerlißen Geseßbuch. Das Lohnbeslagnahmegeseß kann auch für den Bergarbeiter nicht geändert werden durch Landes. gesez. Nun geht die Tendenz, die Absicht des Lohnbeshlagnabme, geseßes doch dahin: es will den Arbeitern sichern, daß bei der Fâllig- keit des Lohnes dieser Lohn auc in der Tat an sie ausgezahlt wird Das Geseh entzieht ihnen jede Verfügung im voraus über diesen Lohn. Es erklärt ausdrücklih die Zession, die Anweisung und jedes andere Rechtsgeschäft, wonach etwa anderen Rechte auf den rückständigen Lohn eingeräumt würden, für rechtlich unwirksam. Eine derartige nach dem Lohnbeshlagnahmegeseß unzulässige Disposition des Arbeiters selbt glauben wir finden zu müssen in den Bestimmungaen des Kommissionsentwurfs. Der Arbeiter erklärt, indem & den Arbeitsvertreg nach Maßgabe der Arbeitsordnung ein- geht, sich mit denjenigen Bestimmungen einverstanden, die das Geseg zum Inhalte des Arbeitsvertrages statuiert hat: die Bestimmung über den Verfall des verdienten Lohnes stellt fi also dar als ein Teil des Arbeitsvertrages, den der Arbeiter mit dem

Bergwerksbesizer abshließt. Wenn fie auch in der Arbeitsordnung selbst nit enthalten ist, das Geseg [egt sie kraft seiner Machtbefugnis hinein. Fn so weit liegt also darin eine Verfügung über den zu verdienenden Lohn, die jedenfalls mit der Absiht des Lohnbeschlaz- nahmegeseßes ih shwer in Einklang bringen läßt. Es ist, wenn ih niht irre, in der Kommissionsberatung von dem Vorsißenden der Kommission, Herrn Abg. Spahn, auch darauf hingewiesen worden daß eine solhe Bestimmung die Rechte derjenigea Gläubiger des Arbeiters zu beeinträchtigen geeignet fei, für die eine Ausnahme von der Unzuläfsigkeit der Beschlagnahme des verdienten Lohnes in dem Gese statuiert ist, insbesondere für alimentationsberehtigte An- gehörige, für welche dieses Verbot ter Lohnbeshlagnahme nit gilt. Auch in deren Rehte würde durch eine solche Bestimmung ein- gegriffen.

j Nebenber könnte es praktisch au zweifelhaft werden, ob in einzelnen Falle nun die Vorausseßung einer Verwirkung des verdienten Lohnes in der Tat vorliege. Der Bergherr, der Bergwerks besißer könnte unter Umftänden die Frage verneinen und diesen Lohn aus- ¡ahlen; die Unterftüßungs- oder Krankenkasse könnte aber anderer Ansicht sein und nunmehr von dem Bergwerksbesißer die noGmalige Zahlung des von ihm bereits au2gezablten Lohnes fordern und im Wege Rechtens durhsezen. Auch mit derartigen Unzuträgli(hkeiten, meine Herren, würde in diesem Falle gerechnet werden müssen.

Es ift endlih damit zu rechnen, daß, weil diese beiden Absäte 2 und 3 in einem untrennbaren Zusammenhange miteinander stehen, daraus zugleih Nüdckshlüsse gezogen würden auf die Gültigkeit des Absatzes 2, der, wie ih {on ausgeführt habe, dem bestehenden Rechte an sich entspriht. Absay 2 bekommt durch die Hinzu- fügung des Absatzes 3 einen anderen rechtli@en Inhalt: und es ist keineswegs undenkbar, daß aus der Ungültigkeit des Absatz 3 gefolgert werden könnte: dann gilt auch der Absag 2 nicht mebr.

Also, meine Herren, auf diese re{tlihen Bedenken babe ih mi für verpflihtet gehalten, das hohe Haus aufmerksam ¿u machen, und daran die Bitte zu knüpfen, daß Sie, dem Antrage tes Zentrums entsprehend, mindestens die Absäte 3 und 4 des Kommissionsbes{lusses in Wegfall bringen mö{ten.

Abg. Dr. von Heydebrand u Las .): Wir hab unsere A E bei der ersten L E Bete ph Ac jenige, die wir aus den Ergebnissen der Beratung gewonnen baben, bei der dritten Lesung zum Ausdruck bringen. Ehe wir nicht wissen, welche Beschlüsse das Haus faßt, können wir nit zu einem Gesamtresultat kommen. Wir haben die von den Vorrednern aufgerollten Bilder jenes aber der prafcische Wert ist nicht sehr groß. Wir werden nur el den einzelnen Paragraphen fagen, was wir tun wollen. Die Fassung des § 80 haben wir unsererseits niht beantragt, aber wir aben dem Gedanken, der darin liegt, eine gewisse Berechtigung zu- erkannt. Es liegt ihm der Gedanke zu Grunde, daß das Gefühl in der Arbeiterschaft, daß der Kontraktbruch widerrechtlich ist und gt ahndet werden muß, praktisch und niht bloß auf dem Papier ge- chärft werden soll. Das schien uns ein richtiger Gedanke zu sein, an aus diesem Grunde baben wir in der Kommission für diesen Antrag gesiimmt. Aber es sprehen doch sehr gewichtige rectlide Bedenken agegen, und ich kann deshalb erklären, daß meine Freunde

kein Interesse haben, daran festzuhalten, und des Y ge aus Streichung zustimmen werden, A Ande Abg. Freiberr von Zedliß undNeukirch{ (fr. konf.) : stimme dem Vorredner darin bei , daß die Generaldeba:te im E ies Moment eigentli keinen großen praktishen Wert hat, und will auch nur über diesen einen Punkt sprechen. Wir sollen soweit wie möglich dazu bet- tragen, in der arbeitenden Bevölkerung das RNechtsgefühl wieder zu stärken, das verloren gegangen zu fein scheint, daß der Kontraktbruch ein Rechté- bruch ift. Anderseits haben wir aber die Neichsgesetzgebung aufs strengste zu wahren, und deshalb werden wir zur Zeit für die Streichung dieser Bestimmung stimmen. Meine Freunde haben die erheblihsten Bedenken gegen den Zeitpunkt der Einbringung und gegen die Art dieser ganzen Vorlage, sind aber do bereit, daran mitzuwirken. Wir meinen, daß das, was die Kom- mission geleistet hat, den Vorzug vor der Regierungsvorlage verdient. Wir werden deshalb gegen die Anträge stimmen, namentlich aud gegen die Anträge wegen der Arbeitszeit, dur die gewissermaßen eit aximalarbeitstag eingeführt würde. In dem einen oder anderen Punkt ist allerdings die Möglichkeit gegeben, die Kommissionsbeslüfse E n uug bret Met R Grundlage noch zu ändern. i öffentlihen Wahlrecht werden wir zur Zeit mi Snt- \chiedenheit festhalten. I E E S

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

wirkte Strafe, auf den verwirkten Lohn.

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

M 1148S.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Traeger (fr. Volksp.): Es wäre den Tatsachen entsprechender ewesen, wenn der Handelsminister gesagt hätte, daß von autoritativer Seite, nämlich vom Reichskanzler, den Arbeitern ein mehr oder minder feierlihes Versprechen gegeben worden is. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß in der Brust des Handelsministers in dieser Frage zwei Seelen wohnen. Der Reichskanzler hat den Arbeitern feierlihs| versprohen, daß ihren Beschwerden abge- holfen werden foll, und der Handel8minister hat eine zarte Rücksicht auf die Arbeitgeber füc notwendig gehalten. Die Vorlage ist das Ergebnis des Friedens, den die beiden Seelen im Handelsminister mit einander geschlofsen haben. Wir haben uns der Vorlage der Re- gierung wohlwollend gegenübergestelt und fie nach sorgfältiger rüfung afkzeptiert, niht als eine dringende Notwendigkeit, die durch den Streik erzeugt ist, sondern als eine Notwendigkeit gegenüber Zu- ständen, die seit langer Zeit unbefriedigend find. Die Arbeiter wollen ar kein Wohlwollen von den Arbeitgebern, sondern sie verlangen ihr Recht. Gegenüber den Beschlüssen der Kommission kann von einem Vertrauen der Arbeiter absolut keine Rede fein. Ueberall, wo den Arbeitern irgend eine Erleihterung gewährt werden follte, bat die Kommission es für nôtig gebalten, Kautelen hineinzushreiben. Das ist nur eine formalistische Lösung der Aufgabe. Wer wünscht, daß die Arbeiter sch in vollständiger Freiheit auf allen Ge- bieten betätigen dürfen, muß für die geheime Wahl eintreten. Den Nationalliberalen, die noch in der Kommission für die öffent- lihe Wahl gestimmt haben, scheint nachträglich ein Licht aufgegangen zu sein, denn sie haben uns jeßt den Antrag vorgelegt, diesen \{limmsten Giftzahn der Beschlüsse der Kommission auszubrechen. Der Abg. Trimborn hat ganz richtig ausgeführt, daß man mit dieser so umgestalteten Vorlage der Sozialdemokratie eins der wirksamsten Agitationsmittel in die Hand geben würde. Sollte wieder cinmal ein folher Bergarbeiterstreik ausbrechen, dann würde auch der Beste und Wohblwollendste niht mehr im stande sein, den Agi- tatoren zu widersprehen, wenn sie sih auf diesen Vorgang berufen. Es wäre sehr \{chlimm, wenn überhaupt nichts zustande kommt, aber für noch s{limmer würde ich es halten, wenn die Vorlage in der Kommissionsfassung zustande käme. Die Zusäße zum S 80 des Berggesezes sind mit dem Reichsgeseß unvereinbar. Die Bestimmungen des bestehenden Geseges haben nur den Zweck, die Höhe der Kon- ventionalstrafe zu normieren ; was darüber hinaus von der Kommission vorgeschlagen wird, widerspricht tatsächli& dem Bürgerlichen Geseßz- buch und is auch mit den Vorschriften des Neichslohnbeshlagnahme- gesetzes niht in Einklang zu bringen. Der Redner spricht zum Schluß die S artung aus, es möge ein Geseß zustande kommen, das den be- rechtigten Ansprüchen der Bergarbeiter wirkli entspreche.

Abg. Korfanty (Pole): Die Kommissionsbes{lüsse recht- fertigen durhweg die im Lande weit verbreitete Meinung, daß das Abgeordnetenhaus niht im stande ift, die Forderungen der Berg- arbeiter zu verstehen. Durch die Kommission ift das, was die Ne- gierung den Bergarbeitern zu teil werden lassen wollte, in hohem Grade vershlehtert worden. Man kann sogar behaupten, daß die Kommissionébeshlüsse die bedrängte Lage der Bergarbeiter noch ver- s{hlimmern. Ich habe deshalb namens meiner politishen Freur de zu erflären, daß, wenn dieser so verunstaltete Gesezentwurf Geseyz werden sollte, wir gezwungen sein würden, dagegen zu stimmen. Die Arbeiteraués{@üsse sollten nach der Absicht der Regierung die Bergarbeiter hüten. Nach den Beschlüssen der Kommission werden sie ein Polizeiorgan der Bergwerksbesizer. Di? Arbeiter sollen auf Schritt und Tritt beobahtet werden, sodaß im Grunde diese Be- \chlüfse darauf hinaus laufen, daß die Arkeiterausschüfse eine organisierte Spitel- und Spionentrupve der Vergwerksbesißer sein sollen. Zum ersten Male wird hier der Versu gemaht, die Aus- übung des Wahblrehts von der Kenntnis einer bestimmten Sprache abhängig zu machen, und man {eint zu glauben, daß der Pole eine minderwertigere Arbeit leiste als der Deutshe. Die Herren außer- halb des Hauses wollen eben die Arbeiteraus\{chüsse nicht; sie wollen absolut sein, wie bis jeßt, und darum tun fie so, als ob es sich hier um die Abwendung einer furchtbaren großpolnischen Gefahr handele. Das is aber nur ein Vorwand, man sollte ofen und ehrlih sagen, daß man die Arbeiterauss{hüfse nicht haben will. Denn die Herren wissen ganz genau, daß die „großpolnische“ Gefahr in Oberschlesien überhaupt nicht existiert, daß die polnische Bevölke- rung ihre Pflichten gegen den Staat erfüllt. Um aber ihr Ueber- gewiht im sozialen Leben beizubehalten, wollen sie auch dieses Geseß für ihre Zwecke ausnußen. Ehrlich ist das nicht. Im Bergwerk muß der Maximalarbeitstag von 8 Stunden mit Einschluß der Ein- und Ausfahrt eingeführt werden; mit Rücksicht auf die {were Arbeit, die hobe Zahl der Krankheitsfälle ist es eine Forderung der

Menschenpfliht und Nächstenliebe, die Bergarbeiterschicht zu verkürzen. Die Kowmission kat , aber selbst die s{chwaen Ansäze der Vorlage dazu abgelehnt. Auch bezüglich des Vebershihtenwesens is es beim alten geblieben; nirgends zeigt sich auch nur eine Spur von Entgegenkommen gegen die Klagen und Beshwerden der Belegschaften. Wir müssen auch eine gewisse Lehrzeit für die Bergleute fordern, und wir werden dahingehende Anträge stellen.

Gewissenlose Agenten kommen ins Land und locken die Arbeiter durch das Versprechen hoher Löhne in die Bergreriere; die Arbeiter haben feine Ahnung von der Arbeit, von den Leistungen, die ihnen ‘zugemutet werden. Das muß unmöglih gemacht werden. Der Regierung®- präsident in Oppeln hat eine Verordnung erlassen, wonach die galizishen Arbeiter von den obershlesishen Gruben ausgewiesen und an threr Stelle Nuthenen eingeführt werden sollen. Wir haben gegen die Einführung von Ruthenen nichts, aber sie müssen vom Bergbau etwas verstehen. Die galizishen Arbeiter sollen eine Gefahr für den Bestand des preußischen Staates bedeuten; welche Lächerlichkeit ! Jene Verfügung ift niht zum Nugen der Bevölkerung, sondern nur ¿zum Nutzen und Vorteil der Grubenbesißer von der Oppelner Re- gierung ausgegangen. Fällt das Gefeß im Sinne der Kommission aus, so müssen wir im Interesse der Arbeiterschaft dagegen stimmen. Die weitgebendsten Anträge, die zu Gunsten der Arbeiter werden wir unserseits unterstüßen. Í 5

Abg. Wol ff - Lissa (fr. Vgg.): Die Keantnisnahme der Kom- missionsbes{lü}e bringt tatsählich den Eindruck hervor, daß dieses hohe Haus recht wenig Neigung besißt, die Arbeiterverhältnisse zu bessern,

ja, man glaubt es wirkflih nicht mehr mit einem Arbeiter-, [ tun zu haben.

sondern mit einem Arbeitgebershußgefeß „zu Es scheinen ih ja nun für die Freunde der Vorlage Ueberrashungen zwishen zweiter und dritter Lesung anzubahnen, die in

der Nichtung der Wiederherstellung der Re ierungsvorlage gehen. Unannehmbar an den Kommissionsbes{lüssen find besonders die Be- seitigung des geheimen Wablrechts und die Um estaltung der unttidneii des Arbeiteraus\{chusses in der Richtung, daß er zu einem

olizeiorgan des Arbeitgebers wird. Allerdings ersheinen die Einzel- eiten der Kommissionsbeschlußfassung in diesem Punkte praktisch kaum ausführbar. Von dem sanitären Marximalarbeitstag der Vorlage hat die Kommission nihts übrig gelassen und damit einen der wesents listen Wünsche der Bergarbeiter abgeschlagen. Ueber diese Fragen und über die Einführung des Verwaltungss\treitverfahrens werden wir uns zwischen zweiter und dritter Lesung auch zu verständigen haben. Wenn der Vorwurf, die Vorlage sei in ein Arbeitgeberschußgeseß ver-

gestellt sind,

Berlin, Freitag, den 19. Mai

wandelt worden, erhoben wird, so trifft dieser Vorwurf insbesondere bei § 80 und dem dazu vorliegenden Kommissionsvors{hlag zu. Es läuft hier immer darauf hinaus, dem Arbeitgeber einen Schuß zu gewähren. Diese Bestimmung hier ist auch mit der Reichsgeseß- gebung unvereinbar. Die gewöhnlihste Form des Kontraktbruchs ist der Streik. Nun soll der Arbeitgeber den rückständigen Lohn ein- behalten und der Unterstützungskasse überweisen. Unter dem Streik leiden auch die Familien der Arbeiter. Wenn der Arbeitgeber den Lohn einbebält, kann er sih immer damit s{üßen, daß er sagt, das Geseß zwinge ihn, den zurückbebaltenen Lohn in die Unterstügungs- fasse zu geben. Das ist eine Bestimmung, die nicht dem Frieden dient.

Ein Schlußantraß wird angenommen.

Bei der Abstimmung erheben sich nur sehr wenige Mit- glieder für die Kommissionsvorschläge zu § 80, dieselben sind also fast einstimmig abgelehnt. :

Die von der Vorlage vorgeshlagene Abänderung des

80b, wonach die Arbeitsordnung bestimmen kann, daß bei er Lohnberehnung Vertrauensmänner der Ar- beiter mitwirken können, ist von der Kommission nur redaftionell geändert worden; sie wird ohne Debatte an-

genommen.

Jn & 80c Abs. 2 des Berggesezes soll das Nullen ver- boten werden.

Die Kommissionsfassung lautet:

„Genügend und vorschriftsmäßig beladene Fördergefäße bei der Lohnberehrung in Abzug zu bringen, ist verboten. Ungenügend oder vorschriftswidrig beladene Fördergefäße müssen insoweit ange- rechnet werden, als ihr Inhalt vorschriftsmäßig ist. Der Berg- werksbesißer ist verpflihtet zu en daß die Arbeiter auf ihre Kosten dur einen aus ihrer Mitte von dem ständigen Arbeiter- ausschuß oder, wo ein solcher nicht besteht, von ihnen gewählten Vertrauensmann das Verfahren bei Feststellung der ungenügenden oder vorschriftswidrigen Beladung und des bei der Lohnberechnung anzurechnenden Teils der Beladung überwachen lassen. Durch die Ueberwachung darf eine Störung des Betriebes niht herbeigeführt werden; bei Streitigkeiten hierüber trifft auf Beshwerde des Vertrauensmannes die Bergs behörde die entsprechenden Anordnungen. Der Vertrauensmann bleibt im Arbeitsverhältnis des Bergwerks. Mit der Beendigung desselben erlischt setn Amt?

Die gesperrt gedruckten Säße sind Zusäße der Kommission.

Die Vorlage enthielt ferner noh die von der Kommission gestrihene Bestimmung, wonach der Bergwerksbesißer verpflichtet sein sollte, den Lohn des Vertrauensmannes auf Antrag des Arbeiterausshusses vorshußweise zu zahlen, er aber berechtigt sein sollte, ihn den Arbeitern bei der Lohnzählung in Abzug zu bringen. i

Der Abg. Dr. Hirs\ch-Berlin (fr. Volksp.) beantragt, diese leßtere Bestimmung wiederherzustellen in folgender Fassung:

„Der Bergwerksbesitzer is verpflihtet, den Lohn des Ver- trauensmannes zu verauslagen und den verauslagten Lohn den be- teiligten Arbeitern bei der Lohuzahlung in Abzug zu bringen.“

Die Abgg. Brust (Zentr.) u. Gen. beantragen, die Bestimmung in der Fassung der Regierungsvorlage wieder herzustellen. 4

Die Abgg. Brust u. Gen. beantragen ferner folgende Zusäße zum § 80c des geltenden Geseßes: Í

„Sofern der Lohn nach Gedinge bemessen wird, soll die Ver- einbarung desf\elben spätestens binnen zehn Tagen nach Belegung eines Betriebspunkts (Uebernahme der Arbeit) erfolgen“

„Ist das Gedinge nicht in der vorbezeichneten Frist beziehungs- weise bis zu dem in der Arbeitsordnung zu bestimmenden Zeitpunkte abgeslofsen, so ist der Arbeiter berechtigt, die Feststellung seines Lohnes im Falle der Fortsezung der Arbeit vor demselben Arbeitsort nah Maßgabe des in der vorausgegangenen Lohnperiode für dieselbe Arbeiisstelle gültig gewesenen Gedinges, in allen anderen Fällen nach Maßgabe des Schichtlohnes gleihartiger Arbeiter zu ver- langen.“

Abg. Krau \ e- Waldenburg (fr. konf.) : Wir sind zwar für das Verbot des Wagennullens eingetreten, aber nur, weil dadurch ein alter Streitpunkt beseitigt wird, niht etwa, weil wir darin eine un- gerehte Behandlung der Arbeiter durch die Arbeitgeber erblidcken. Selbst diz Regierung hat erklärt, daß im Wagennullen niemals eine Ungerechtigkeit oder Härte gelegen hat. Ich habe mit einem Arbeitervertreter gesprohen, und dieser selbst hielt das Wagen- rullen für das mildeste Verfahren, da die \{lechte Kohle oder die

zuführen ist. Ganz dasselbe sagte au ein polnischer Arbeitervertreter. Ich halte es für meine Pflicht, auszusprehen, daß wir durch die An- nahme des Verbotes des Wagennullens keinen Mißstand haben aus der Welt \{chafffen wollen, daß die sog. Mißstände überhaupt ganz und gar nit vorhanden sind. ; : L

Abg. von Kessel (kons.): Für uns sind dieselben Gründe maß- gebend. Das Nullen spielt eine große Rolle in den Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Bergwerkébesißern und wird auch in bürger- lihen Kreisen lebhaft bekämpft. Die darüber angestellte Untersuhung hat aber ergeben, daß die Klagen über das Nullen nicht berehtigt sind. Auch die Regierung hat uns nicht überzeugen können, daß das Nullen ein \{werer Mißstand ist. Troßdem entschlofsen wir uns für die Beseitigung des Nullens, weil dadurch ein Stein des Anstoßes beseitigt wird. Selbstverständlih muß ein ausgiebiges Aequivalent dafür geboten werden, denn es kann den Arbeitern unmögli frei \tehen, {chlechte Kohle zu liefern. Deshalb haben wir die vor- geshlagenen Strafbestimmungen beantragt. Wir müssen bei den Kommissionsbeschlüssen bleiben und lehnen alle Anträge ab; wohin (olen wir kommen, wenn wir hier noch einmal auf alle Einzelheiten eingehen !

Abg. Dinslage (Zentr.) will ebenfalls dem Verbot des Wagen- nullens zustimmen, um dadur einen alten Streitpunkt zu beseitigen. Im übrigen empfiehlt der Redner die vom Zentrum gestellten Anträge.

_Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.): Die Abgg. Krause und Kessel meinen ein Opfer des Intellekts bringen zu sollen, indem sie für das Verbot des Nullens stimmen. Man nennt das Nullen eine sehr milde Strafe ; das dürfte man hôöcbstens tun, wenn es sih darum handelte, an seine Stelle die Strafe des Näderns und Spießens zu egen, Es soll aber nur eine Geldstrafe bestimmt werden. Es be- stehen seit Jahren ganz allgemein Klagen unter den Bergarbeitern über das Nullen ; wäre das möglich, wenn das Nullen nur eine ganz milde Strafe wäre? In England und auf unseren staatlihen Gruben ift das Nullen bereits abgeshaft, und ebenso kommt man in Oberschlesten obne das Nullen aus. Im Ruhrgebiet, wo das Nullen herrs{t, haben wir aber {on zwei große Streiks erlebt. Es ginge noch an, wenn das Nullen für wirklich vorschriftswidrige Ladung erfolgte, aber der Oberberghauptmann von Velsen hat in der Kommission dargestellt,

wie in den niedrigen Gängen beim Transport der Wagen von der Ladung etwas reltrichen werde, und der Minister hat ferner in der Kommission selbst zugegeben, daß der Bergmann nicht {huld daran

ungenügende Beladung nur auf das Verschulden des Arbeiters zurück- |

1905

sei, wenn die Kohle in den Wagen mit Bergen verlen sei. Es fommt ferner in Betracht, daß niht nur der |\{uldige Bergarbeiter,

sondern die ganze Kameradschaft unter dem Nullen der Wagen zu leiden

hat, also die Un‘huldigen mit betroffen werden. Der Bergarbeiter Ham-

macher, also ein Mann der Praxis, hat \sich auf dem Bergarbeiter-

kongreß besonders darüber beschwert, daß das Nullen den Charakter

der Willkür habe. Das Nullen ift auch viel \{chärfer in Anwendung

gebraht worden, als offiziell zugegeben wird. Es ift berechnet worden,

daß der Lohnausfall in einem Jahre bei œinem Nullen von 1 %/6 der

Wagen 650 000 Æ ausmacht, d. h. 5 bis 6 #4 für den einzelnen Hauer.

Die Arbeiter seben überhaupt ein Unrecht darin, daß man sie für un-

reine Koble verantwortlih macht. Die Arbeiter sind doch nicht {uld

daran, daß die Flöze mit Bergen verseßt sind. In Oberschlesien ift die

Koble rein, im Ruhrgebiet aber sehr vielfah mit Bergen versetzt.

Würde man etwa einen Holzarbeiter dafür verantwortlich machen,

wenn das ges{lagene Holz einen Ast enthält? Nun foll ein Arbeiter-

fontrolleur die Feststellung unrein oder unvollständig geladener Wagen

überwachen. Es besteht aber die Gefahr, daß ein fsolcher Kertrolleur, der seine Aufgabe pflihtgemäß erfüllt, von der Grube entlaffen wird.

Es ift bedauerli, daß die Kommission niht einen Weg gefunden hat, der einer willkürlihen Entlaffung eines solchen Kontrolleurs entgegenwirken könnte. Ich bitte aber, wenigstens den Antrag meines Freundes Dr. Hirsch anzunehmen. Die Bergarbeiter wollen selbst ihren Vertrauensmann bezahlen und ihn vom Bergbesißer möglichst unabhängig machen, aber sein Lohn muß vom Arbeitgeber verauslagt werden. Von dem Antrage Brust unterscheidet sh unser Antrag wesenilich dadurch, daß wir den Bergbesißzer niht nur be- rehtigen, sondern verpflihten wollen, den verauslagten Lohn den Arbeitern in Abzug zu bringen, damit ec auf jeden Fall nur ein Vertrauenêmann der Arbeiter ist. Im übrigen werden wir für die Anträge des Zentrums stimmen. Die Arbeiter selbst wünschen, daß nur reine Koble. auf den Markt gebraht werden kann, fie sind durchaus damit einverstanden, daß ein moralisch¿er Druck auf die Arbeiter aus- geübt wird, daß sie möglichst reine Kohle fördern. Nach den Kom- missionsbeshlüfsen sollen die Geldstrafèn wegen ungenügender oder vorschriftswidriger Beladung niht 5 F übersteigen dürfen. Nach der Fassung ist es aber nicht ausgeschlossen , daß insgesamt das Dreirache an Strafe berauskommt, und dann würden die Arbeiter allertings sagen, dann bâtte man lieber das Nullen beibehalten sollen. Diese Fassung muß also gemildert werden. Wir müssen den Frieden im Bergbau erhalten, der Friede im Bergbau bedeutet die Wohlfahrt so und so vieler Tausende anderer Arbeiter.

Oberberghauptmann von Vel sen bemerkt gegenüber einer Aeußerung des Vorredners, daß für die Besichtizungêreise der Kom- mission des Hauses im Nuhrrevier auf Wunsch der Kommission gerade solhe Gruben ausgewählt seien, die nah Ansicht der Verwaltung als arme Gruben anzuseben seien. Veränderungen in der Grube felbst könnten für den Zwet der Besichtigung überhaupt nit so schnell vorgenommen werden. Er (der Redner) müsse es als seine persönlite Meinung aussprechen, daß die Untersuhungsresultate bis jeßt für die Berg- werksbesitzzr durhaus günstige seien. Das Nullen habe allerdings die Bergleute am meisten erbittert. Die Vorlage habe vorgeschlagen, daß die Strafen während eines Monats den doppelten Betrag des Tagesverdienstes niht übersteigen dürften; die Kommission habe aber beshlofsen, . daß die Strafen allein für ungenügende oder vorschrifts- widrige Beladung 5 #4 im Monat nicht übersteigen follen.

Abg. Hilb ck (nl.): Der Abg. Goldshmidt hat eine Rede ge- halten, die von Uebertreibungen \troßte. Er sagte, daß man die Strafe des Nullens durch Rädern und Spießen erseßen wolle. Das Nullen kommt überbaupt gar niht mehr in Frage, denn alle Welt ist einig, daß es abgeschafft werden sollte. Wir können es als abgetan ansehen, und deshalb tun wir gut, daß wir die Vorschläge der Kom- mission annehmen, die auf einem Kompromiß beruhen. Auch die

erren vom Zentrum haben sich in der Kommission dafür erklärt.

ch bitte, es au bei dem Maximum der Strafen von 5 F zu be- lassen. Die Mitglieder der Kommission baben sich auf ihrer Neise überzeugt, daß Koble gefördert wird, wie sie unbedingt nicht zugelaffen werden kann. Wenn die Arbeiter es anders gewollt hätten, hättz:n fie do an dem Tage des Besuchs der Kommission besonders reine Koble fördern follen; die Kommission hat aber die Koble fo gesehen, wie sie in der Regel gefördert wird. Ich bitte, alle detaillierten Bestimmungen, wie sie das Zentrum vorschlägt, die in die Arbeitsordnung gehören, aus dem Gesetze selbst herauszulassen und lediglih die Kommissions- fassung anzunehmen. j

Abg. Bru (Zentr.): Der Abg. Krause hat si auf die Aeußerung eines Arbeiters berufen für die Berechtigung des Nullens; ih habe mi noch niemals von einer Stimme überzeugen lassen, auf die Aeußerung eines einzelnen kommt es niht an. Jedenfalls ist während des Streiks die Klage über das Nullen allgemein gewesen. Fh beurteile das von der Regierung vorgelegte Material etwas anders als Herr Kessel ; die Arbeiter haben ja niemals behauptet, daß das Nullen auf allen Gruben rigoros sei. Aber wenn es vor- gekommen ist, daß bis zu 28 %% der gesamten Förderung eines Monats genullt ist, so kann man wobl von einem rigorosen Nullen \prehen. Wir stimmen zunächst für den Antrag Hirs, der weiter geht als der unserige und den Arbeitgeber verpflihtet, den verauétlagten Lohn für den Vertrauensmann den Arbeitern wieder abzuziehen; in zweiter Linie würden wir nach unserem Antrage für die Wieder- herstellung der Regierungsvorlage stimmen. Der Redner empfiehlt ferner seinen Antrag wegen Feststellung des Gedinges damit, daß die bis- herigen Bestimmungen nicht genügten, um dem geshulten Bergmann einen genügenden Lohn zu sihern.

Ein Schlußantrag wird angenommen.

Abg. Goldschmidt verwahrt si in persönliher Bemerkung gegen den Vorwurf der Uebertreibung ; er habe si ledigli auf amt- lides Material berufen. Er habe ferner niht gesagt, daß das Nullen G en und Spießen erseßt werden solle, sondern gerade das Yegenteil.

"Aba. Hilb ck bleibt dabèi, daß der Abg. Goldshmidt übertrieben babe; wenn man überhauvt das Nullen mit Rädern und Spießen vergleiche, so sei das eine Uebertreibung, wie man sie shlimmer nicht denken könne. / i

Abg. Gold schmidt: Ih verstehe niht, wie Herr Hiltck nicht verstehen kann, was ich sage.

Darauf wird § 80c unter Ablehnung sämtlicher Anträge unverändert in der Kommissionsfassung angenommen.

Zum §8 804 schlägt die Kommission vor, daß „die im Laufe eines Kalendermonats gegen einen Arbeiter wegen ungenügender oder vorschriftswidriger Beladung von Förder- gefäßen verhängten Geldstrafen in ihrem Gesamtbetrage fünf. Mark nicht übersteigen dürfen.“ i

Abg. Dr. Hirs\ch-Berlin (fr. Volksp.) bena tr ass die Wiederherstellung der Regierungsvorlage, wonach die Gesamt- heit aller Geldstrafen überhaupt in einem Monat niht den doppelten Betrag des durchschnittlihen Tagesverdienstes über- steigen darf. E .

Ohne Debatte wird die Nom ns unver- ändert angenommen, ebenso die fernere Bestimmung im Î 80d über die Verwendung der Strafgelder zum Besten der

rbeiter. :