1905 / 122 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 May 1905 18:00:01 GMT) scan diff

einheimishes Getreide (Gazette averages) ift 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. angeseßt. 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund englisch; 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen =

2400, Mais = 2000 kg. i; Bei der Umre g der Preise in Reichswährung sind die ermittelten

nun aus den einzelnen Lagebangaben im „Reichsanzeiger“ wöchentlichen Durchschnittswechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und Neu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die De auf St. Petersburg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. eise in Buenos Aires unter Berücksichtigung der

Goldprämie.

Deutscher Reichstag. 190. Sigzung vom 23. Mai 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Fortseßung der weiten S des Ge E betreffend Aen-

erungen der Zivilprozeßordnung. | Ueber den Anfang der Sißung wurde in der gestrigen

Nummer d. Bl. berichtet. i Abg. Stadthagen (Soz.), fortfahrend: Es sei ganz rihtig nah dem Genossenschaftsgeseß feitens des Kammergerichts entshieden worden und nit, wie der Justizminister, gestüßt auf die Autorität des Herrn ns behauptete, nah dem Geseß für die Gesellshaften mit beshränkter Haftung; dieses Geseg sei im Urteil nur einmal in Klammer angezogen worden. Der Redner geht das Erkenntnis im einzelnen durch und hebt hervor, daß auch das Neichsgeriht 1900 durhaus in gleichem Sinne geurteilt habe. Diesen Sachverhalt habe der preußische Justizminister ver- \{chwiegen. Dieser habe kein Bedenken getragen einzugreifen, wo es sich um die klaren Rechte von kleinen Bauern handelte. In einer Versammlung im April habe Herr Ning sich auch ganz direkt dahin ausgesprochen, daß auf sein Einschreiten der \chuldige Senatspräsident bereits habe seinen Abschied nehmen müssen, und man hoffen dürfe, daß der Minister jezt bessere Richter an diese Stelle berufen würde. Tatsächlih seien auh seitdem zwei neuere Urteile des Kammergerichts zu Gunsten der Milchzentrale und zu Ungunsten der Kleinbauern ausgefallen. In der Begründung werde ffa nach dem Wunsche der Herren Ring und Genossen statt juristisher Gründe das wirt|chaftlihe Moment verwertet, daß bei so niedrigem reise die Milchzentrale nicht bestehen könne. Auch der Geschäfts- ührer der Zentrale, ein Herr Krause, „der wegen Erpressung bereits bestraft ist“, sei in ähnliher Weise aufgetreten. Eine \olche Beeinflussung der Gerichte zu Gunsten einer Partei sei in der ganzen preußishen Rechtsgeshihte noch nicht vorgekommen. Gegen folhe Erpressungen, die sih gegen kleine Bauern richteten, fei es nah dem eben gefaßten Beschlusse son fast unmöglich, gerichtlich vorzugehen; gehe man auf die neue geseßlie Bestimmung zum 8 549 ein, so werde natürli die Schiebung so lange dauern, bis man ein Gericht finde, welches seine Zuständigkeit mit Unrecht annehme. Der Redner bittet das Haus, die Möglichkeit des Eingreifens des NReichsgerichts gegen derartige klare Rehtsbeugungen nicht vollständig zu unterbinden. Der preußishe Justizminister, dessen glänzende juristishe Unkenntnis im Königsberger Prozeß s{chockweise erwiesen sei, habe auch die Zivilprozeßordnung in dieser unglaublicen Weise mißbrauchen lassen, aber nur gegen Bauern, nicht etwa gegen Großgrundbesißer. Der Anspru des Kleinen, des Mittleren solle immer mehr zurückgedrängt werden. Der Reichsgerichtsrat sei gefeit gegen justizministerielle Drangsalierungen, er sei unabhängig, und diese Unabhängigkeit sollten alle Parteien hochhalten. Raube man nicht dem kleinen Bauern das Recht, von einer wirklich unparteiishen Stelle Reht zu bekommen! Mit dieser weiteren Einengung der Reichsgerihtéekompetenz würde man nur den Manipulationen von Schwindlern Vorschub leisten. Die Grundlage jedes vernünftigen Genofsenschaft8wesens würde untergraben werden, und damit die leßte Möglichkeit der Koalition der Kleinen gegen die kapitalistische Uebermacht. Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding: Meine Herren! Ich habe in diesem hohen Hause im. Laufe der Fahre {hon manchen Angriff auf die deutsche und speziell auf die preußishe Rechtspflege gehört ; aber Angriffe von dieser Leidenschast- lihkeit, Einseitigkeit und tatsählihen Unrichtigkeit, wie sie hier eben von dem Herrn Vorredner vorgetragen wurden, sind mir in der Tat

denn toch noch nicht vorgekommen. Ih bin der Ansicht, daß die preußischen und die deutshen NRichterkollegien unab- hängig sind gegen alle Eingriffe, die gegen ihre Recht-

\prehuxng versucht werden follten, mögen sie von einem Minister oder von anderer Stelle aus8geken. (Na, na! kei den Sozial- demokraten.) Ich glaube, die preußischen Richterkollegien werden sih erhaben fühlen über die Angriffe, die der Herr Vorredner hier gegen fie geshleudert hat, au, wenn ic sie hier nicht verteidige. (Sehr gut!)

Aber einige Tatsachen will ich doch ganz kurz korstatieren, um íFhnen zu zeigen, von welch unrichtigen tatfächlihen Voraussetzungen der Herr Vorredner autgegangen ist, Tatsachen, die gleichzeitig be- funden fönnen, wie leiht es ihm gewesen wäre, sh über den wirk- lihen Sachverhalt zu unterrichten.

Meine Herren, ih konstatiere zunächst, daß der Kläger in dem bier fraglihen Prozeß der Milchzentrale, also der Vertreter der Milchs zentrale, in dem ersten Prozeß beim Kammergericht abgewiesen worden ift, also cinen Prozeß verloren hat, daß dann die Milchzentrale auf Grund derselben Nechtsunterlage nur gegen cinen anderen Verklagten einen zweiten Prozeß angestrengt hat, später, als das angebliche Ein- greifen des preußishen Herrn Justizministers stattgefunden hatte, und daß die Milchzentrale auch diesen Prozeß verloren hat. Der Kläger

ist in dem zweiten Prozeß gerade so abgewiesen worden, wie ín dem ersten Prozeß. Wenn ih den Herrn Vorredner richtig verstanden habe, wollte er andeuten, daß infolge der

Intervention des Herrn Ministers der Kläger den zweiten Prozeß ge- wonnen hat. Wenn das richtig wäre, würde ih ihm erwidern müssen, daß diese Behauptung unrichtig ist. In beiden Prozessen, sowohl in demjenigen, der vor der Intervention des Herrn Justizministers beim Kammergericht verhandelt ist, wie au in demjenigen, der später verhandelt wurde, hat der Vertreter der Milchzentrale verloren. Weitere als diese beiden Prozesse sind mir nicht bekannt geworden, obwohl ich mich bemüht habe, mich über den Sachverhalt zu orientieren.

Dann, meine Herren, muß ih ¿zweitens konstatieren ich will mich in eine Polemik gegenüber dem Herrn Vorredner nit einlassen —, daß der Präsident des Senats, der in dieser Sache zuerst judiziert hat, und dessen Urteil angeblich von seiten des Herrn Justizministers einer nah Ansicht des Herrn Vorredners unberehtigten Kritik unter- worfen wurde, irgend eine Eröffnung von seiten des Herrn Justizministers überhaupt nit erhalten hat, auch nicht in seinem Auftrage von seiten einer anderen Instanz. Im Gegenteil, der Herr Justizminister hat

Senats überhaupt nichts eröffnet werde mit Rücksicht darauf, daß er bereits und zwar vor dieser Erklärung des Herrn Justizministers seinen Abschied zu nehmen entshlossen war. Ich bestätige hiermit, was ih neulich erklärt ‘habe, daß der Abschied des Herrn Senatspräsi- denten mit dieser Sache überhaupt keinen Zusammenhang hat.

Drittens, meine Herren, der Referent in der Prozeßsache hat über- haupt bis jeßt irgend eine Mitteilung über die gefällte Entscheidung nit erhalten, weder von dem Herrn Präsidenten des Kammergerihts noch auch von dem Herrn Justizminister, und zwar deshalb nit, weil er unmittelbar nach diesem Prozesse in eine s{chwere Nerven- krankheit verfallen ist, die auch jeßt noch nicht behoben werden konnte, sodaß irgend ein Verkehr mit diesem Richter, sei es ? von seiten des Kammergerichts, sei es von seiten des Justizministeriums bis jeßt nicht stattgefunden hat. :

Und endlich, meine Herren, der Bescheid, den der Herr Justiz- minister dem Kläger zu dem ersten Prozeß gegeben hat, als dieser fi über die unrihtige Begründung des Utteils des urteilenden Senats beschwerte, lautet folgendermaßen: Im Eingang wird zunächst, konstatiert, daß dem Minister diese Beshwerde zugegangen war:

Soweit die Behandlung der Sache in der Berufungsinstanz einer Nachprüfung im Aufsihtswege unterliegt, ist von mir das Erforderliche veranlaßt worden. Zu einer Nachprüfung der sachs lichen Entscheidung und ihrer Begründung bin ich geseßlich nicht ermächtigt.

(Hört! hört!)

Dies, meine Herren, ist der Bescheid des Herrn Justizministers an den Beschwerdeführer, und im Sinne dieses Bescheides ist das Verfahren des Herrn Justizministers gehalten worden und nah meiner Meinung ganz korrekt gewesen.

Abg. Stadthagen: Der Staatssekretär hat meine sachliche Darstellung nit entkräftet. Jch habe den Fall auch am Sonnabend so vorgetragen, wie er tatsählich liegt. Wie kommt der Staatssekretär dazu, zu behaupten, ih hätte niht gesagt, Ning wäre auch im zweiten Falle abgewiesen worden? Nachdem aber der preußische Justiz- minister im Abgeordnetenhause am 18. März seine Stellung genommen, find zwet Urteile ergangen, die nunmehr zu Ungunsten der Bauern und zu Gunsten der Milchzentrale ausfielen. Der preußische Justizminister hatte am 18. März ausgeführt, daß das Gese über die Gesellshaften mit beschränkter Haftung gegen die Genofsenschaften mit beshränkter Haftung zu Unrecht angewendet worden sei, und er habe dur den Präsidenten des Kammergerichts den betreffenden Senat darauf auf- merksam gemaht. Hat etwa der preußishe Justizminister eine Lüge gesagt? Das ist doch nicht anzunehmen. Es liegt hier in der Tat eine dffentlihe Mafßregelung durch den Justizminister vor. Der Staats|ekretär warf mir Leidenschaftlihkeit vor. Man muß E leidenshaftlich werden, wenn man sieht, wie kleine Bauern um ihr Las und Gut betrogen werden, und zwar durch die Einwirkung des

ustizministers und der Richter. Bis jeßt haben wir allerdings immer geglaubt, daß die Richter in Preußen nicht käuflich sind. Will der Staatssekretär bestreiten, daß Ning dem Justizminister gegenüber die Aeußerung getan hat, die ih zitiert habe, und daß zwei andere Senate nah der Einwirkung des Justizministers anders ent- chieden haben ?

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Bezeihnend ist, daß der Staats- sekretär so besonders echauffiert über die leidenshaftlihen An- griffe eines Mitgliedes der Linken ist, wo dieses eine Ausdehnung der Reichsjudikatur empfiehlt. Daß der Staatssekretär auf den Vorwurf, daß der preußische Justizminister in den Fall eingegriffen hat, niht eingegangen ist, beweist, daß der Justizminister nicht zu ent- huldigen ist. Dieser hätte die Pflicht gehabt, sich selbst hier zu verteidigen und sih niht durch den Staatssekretär entschuldigen zu lassen, gegen den ein Vorwurf gar nicht erhoben wurde. Entweder wagt er nit, hier zu ersheinen, weil er unrecht hat, oder er respektiert uns niht so weit, daß er hier ers{eint. Er {eint vor der Majestät des Reichstags sehr wenig Respekt zu haben. Im preußischen Abgeordnetenhause stehen nicht Gegenstände auf der Tagesordnung, die seine Anwesenheit erfordern. Es wäre seine Ehrenpflicht gewesen, sich hier zu verteidigen und nit den Vorwurf auf sich sißen zu lassen, daß er einen Eingriff auf die Justiz geübt hat. Wir können ihn ja nicht zwingen, hier zu erscheinen, wir fönnen nur einen Apyell an scin Ehrgefühl rihten. Ich rihte nohmals die Aufforderung an ihn, hier sih zu rechtfertigen. Tut er es nicht, fo ist es seine Schuld, wenn das Vertrauen des Volkes zur Necht- sprechung und zum Richtertum verloren geht. Der Staatssekretär hat fih neulich auf einen nebensählichen Punkt berufen und bei mir das Gefühl hervorgerufen, daß er selbst das Verhalten des preußischen Justizministers nicht billigen wollte. NRechtfertigt sih der Justiz- minister hier nit, so ist festzustellen, daß er einen {weren Vorwurf auf si hat sigen lassen.

Staatss\ckretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Der Herr Vorredner hat eben behauptet, daß ich in meiner neulichen Erklärung zu dieser Sache mih auf einen nebeznsählichen Punkt zurückgezogen und dadurch bei ihm das Gefühl hervorgerufen habe, als wenn auch ich das Verhalten des preußishen Herrn Justiz- ministers nicht habe billigen wollen. Diese Auffassung des Herrn Vor- redners ist unrihtig. Ich habe mih neulih auf die Sache nicht ein- lassen können, weil mir die Sache vollständig unbekannt war. Das hâtte der Herr Vorredner sih auch wohl selbst sagen können, daß ich nicht auf jeden beliebigen Prozeßganz, der irgendroo im Lande eine Rolle gespielt hat, wenn es hier ohne meine vorherige Drientie- rung vorgetragen wird, eine Antwort geben kann. Ec meint, ich hätte mich auf einen nebensählihen Punkt zurückgezogen, der das Haus nicht interessiere, nämlih die Zurruheseßung des Präsidenten des betreffenden Senats. Es war aber in der vorigen Sißzung be- hauptet worden, daß dieser verdiente Nihter in einer unzulässigen Weise von dem Herrn Justizminister gemaßregelt worden sei, und daß das dem Richter die Veranlassung gegeben habe, seinen Abschied nachzusuchen. Das ist tatsählich unrichtig, und ih hatte zur Ehre der preußischen Justiz und zur Wahrung des Rufes des betreffenden Richters wohl Veranlassung, in diesem Punkte dem hohen Hause gegenüber die Sahlage aufzuklären, wenn auch der Herr Vorredner sih für diesen nebensählihen Punkt nicht weiter interessiert. Die Ehre eines preußishen Richters, der hier in diefer Weise an- gegriffen wird, ist für mich, auch hier im Hause, kein nebensächlicher Punkt.

Der Herr Vorredner hat dann behauptet, der preußische Herr Justizminister sei entgegen dem von ihm dem Kläger im Prozeß der Milc{zentrale kundgegebenen Standpunkt doch in eine materielle Prüfung der Sache eingetreten. Nein, meine Herren, in diesem Punkte muß ih den preußischen Herrn Justizminister verteidigen. Der Herr Justizminister ist in eine materielle Prüfung der Sache nicht eingetreten, er hat nur festgestellt und dem Präsidenten des Kammer- gerihts eröffnet, daß die Begründung des beanstandeten Urteils von der Anführung eines falshen Gesetzes ausgehe.

Diese Feststellung einer unrichtigen Zitierung, ohne den Tenor des Urteils irgendwie zu berühren, ist doch keine materielle Prüfung.

da niht weit. (Heiterkeit.) Ih konstatiere, daß der Herr J, minister die sahlihe Berechtigung des Tenors des Urteils nichtß. gefohten hat, daß in der gleihen Weise wie in diesem Prozeß | in einem anderen Prozeß geurteilt worden ist, daß lediglih in deri, gründung des Urteils dem Gerichtshof ein Lapsus unterlaufen|, der auf die Entscheidung selbst augenscheinlich keinen Einfluß get hat zum Nachteile der Nechtslage. Der Herr Justizminister ist F seines Aufsihtsrechts nach meiner Meinung berechtigt, Jrrtüme einer Weise, die den Gang der Justiz und die Entscheidung des j. zelnen Prozesses nicht beeinflussen kann, dem Gericht gegenüber korrigieren.. Diese Befugnis übt er täglih, jede Aufsichtsinstanf der Justizverwaltung übt sie, und der Herr Abgeordnete hat Ft recht, wenn er behauptet, in diesem Punkte habe ein unzulässiger §- griff in die Sache von seiten des Herrn Justizministers Preuß stattgefunden. | Wenn ich mich heute des Herrn - Justizministers angenomÿn habe, so ist es nicht gesehen, weil ih Auftrag von ihm dazu bit er hat mir einen solchen ja auch nicht zu erteilen —, fonin weil es meine Pflicht als preußischer Bevollmächtigter zum Bundekt ist, in Fällen, in denen ein Vertreter der preußishen Negierungu Unrecht angegriffen wird, für ihn das Wort zu nehmen, soweit mge beshränkte Kenntnis der Sache dies irgendwie gestattet. Das hhe ih getan. Ih weise den Vorworf des Herrn Abg. Lenzmann, der Herr Justizminister in diesem Falle inkorrekt und geseßwidrig 4 handelt habe, noch einmal entschieden zurü.

Abg. Blumenthal (d. Volksp.): Ih will diese Ausführun des Staatssekretärs niht unwidersprohen E Was mir aufgefa ist, ist die mir ganz neue Auffassung über das Aufsichtsrecht d Justizministers über die Urteile der Richter. Wenn der Justizminist privatim als Rechtsgelehrter, soweit er mit genügenden Ret kenntnissen ausgestattet ift, an einzelnen Urteilen juristische Kritik üb würde man das nur auffallend finden, daß er es tut, solange er it Amte ist. Aber wenn ein Justizminister aus einem konkreten Fa Veranlassung nimmt, die Anwendung des Geseges zu tadeln, so kan es nicht anders aufgefaßt werden, als daß der Justizminister dam den Wunsch ausspriht, daß in Zukunft solhe Fehler vermied werden. Wer abcr soll in dieser Meinungsdifferenz entscheiden! Das kann nur das Gericht. Es handelt sich also um einen Eingri in die materielle Rehtsprehung. Es wird dadurh den Richtern b der künftigen Nechtsanwendung eine Direktive gegeben. Dabei daf niht vergessen werden, daß der Richter in bezug auf sein Avancs ment vom Minister abhängig ist. Wenn derartige Grundsäße Plat greifen würden, würde man mit Fug und Recht behaupten können, daß eine Justiz, die sich solche Rechtsbelehrung im Aufsihtswegt

A N muß, nicht diejenige Unabhängigkeit besißt, die f aben muß.

Abg. Stadthagen: Es is einfah nicht wahr, daß der Justizminister nur erklärt hat, es sei nur falsch zitiert worden ; Herr Schönstedt hat am 18. März unrichtig angegeben, es fei an Stelle des Genofsenschaftsgeseßes das Gescyß über Gesellschaften mit dve- schränkter Hastung angewendet worden, es seien also gewissermaßen die Richter nicht fähig gewesen, zwei ganz verschiedene Geseße rihtig anzuwenden. Er hat ausdrüdcklich von einem „Mangel in der Nechtspflege“ gesprochen, den er in dieser Sache gefunden, und davon, daß niht „rihtig nah dem Geseg“ erkannt worden sei, und dem sei er verpflihtet gewesen im Aufsichtswege nah- zugehen. Es is in dem Urteil des Kammergerichts das Geseg über die Gesellschaften „zur Anwendung gebracht“ worden, fagt der preußische Justizminister, und er sagt das der Wahrheit wider- \prehend und die Rihhter im preußishen Abgeordnetenhause öffentli herabsegend. (Vizepräsident Dr. Graf zu Stolberg-Wernigerode erklärt den Redner zu einer solchen Behauptung niht für berechtigt.) Stehen die Dinge so, dann hat der Staatssekretär kein Recht, auf dem Wege, auf dem er es versuchte, den preußischen Justizminister herauszuhauen. Wollen Sie nun solhe Eingriffe in die Unabhängigkeit der Richter sanktionieren und ihnen weiteren Vorschub leisten, dann sprechen Sie dem Neich3geriht die Kompetenz ab, wie _ es hier beantragt ift! Sind Sie aber nit der Meinung, so fordern Sie den Staatésekretär auf, die Vorlage zurückzuziehen und zunächst einen Gesetzentwurf zur Wahrung der Unabhängigkeit der Richter einzubringen, fon machen Sie ih zum Mitschuldigen daran, daß bei dem kleinen Mann, bei dem Mittelstande der Rest des Vertrauens zum deutshen Richtertum verloren geht! Soll der kleine Bauer, der als Mitglied einer Ge- nofssensh3ft über seine Verpflichtung hinaus mit vielen Hunderten, aber niht mit 2500 A in Anspruch genommen wird, dagegen kein Necht beim Reichsgeriht mehr finden ? Was soll er denn anders denken, als daß die Richter käuflihe Leute sind, die nur in Wahrnehmung der gegnerischen Interessen ihres Amtes walten!

Damit \chließt die Debatte. Der Kommissionsvorschlag wird angenommen.

Der § 554 ist von der Kommission umgestaltet worden und enthält jeßt den Begründungszwang für den Revisions- tläger. Weiter wird vorgeschrieben: :

„Die Revisionésbegründung erfolgt, sofern sie nicht bereits in der Nevisions\chrift entha!ten ist, durch Einreihung eines Schtist- \saßes bei dem Revisionsgerichte. Die Frist für die NRevisions- begründung beträgt einen Monat; fie ist eine Notfrist und beginnt mit dem Ablauf der Nevisionsfrist.“ :

Den leßten Saß will ein Antrag des Abg. Dr. Spahn (Zentr.) anderweit, wie folgt, fassen : i

„Die Frist für die Revisionsbegründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit dem Ablauf der Revisionsfrist und kann durch Verein- barung der Partcien nit verlängert werden.“ ;

Ein weiterer Zusatz der Kommission besagt: i

„Nach dem Ablauf der Begründungsfrist ist eine Erweiterung der nige oder die Geltendmahung neuer Revisionsgrände nit zulässig.“

Jn diesem Saße will der Abg. Burlage (Zentr.) die Worte „eine Erweiterung der Anträge oder“ gestrichen wihen.

Abg. Burlage (Zentr.) empfiehlt diesen Antrag ; es würde ein Formalismus fein, wenn man \ich auf den Standpunkt stellte, daß neue Gründe in diesem Verfahren niht vorgebraht werden können. SJedenfalls sollte auf diesem Wege ein Ucebergangs- tun für die Durchführung des Begründungszwanges geschassen werden.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.) spricht sich für den Begründungszwang, den er mit dem Vorredner für einen Fortschritt halte, und für feinen Antrag aus, der im Interesse der Anwalte und au der Parteien läge

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meeine Herren, die Ausführungen, mit denen der Herr Vorredner seinen Antrag hier begründet hat, {einen mir rihtig zu sein. Ih glaube, die Annahme dieses Antrags liegt im Interesse der Anwälte, und zwar niht nur der Anwälte am Neichsgericht, sondern auch der- jenigen im Lande und damit auch im Interesse der Parteien. Auf der anderen Seite wird der RNechtsgang dadurch nicht in einer irgend- wie erheblihen Weise beeinträhtigt. Ih möchte deshalb dem hohen Hause empfehlen, den Antrag Dr. Spahn anzunehmen.

(S{luß in der Dritten Beilage.)

ausdrücklih den Wunsch zu erkennen gegeben, daß dem Präsidenten dieses

(Lachen links.) Ja, meine Herren, mit dem Lachen kommen Sie

Dritte Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

e 122.

Berlin, Mittwoch, den 24. Mai

1905.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Was den Antrag des Herrn Abg. Burlage betrifft, so weiß das hohe Haus ja, daß die Vertreter der verbündeten Negierungen h für den Begründungszwang entschieden haben, nicht aus innerer Neigung, fondern lediglich aus Vernunftgründen. Der Abg. Burlaze \{chzint mir im großen und ganzen diesen Standpunkt zu teilen. Die Absicht seines Antrags geht dahin, die Beschränkungen und Unbequemlichkeiten, die mit dem Begründungszwange verbunden sind, für die beiden Parteien einigermaßen zu mildern. Jh kann vom Standpunkt der Regierung gegen diese Absicht cinen Einwand nicht erheben und telle deshalb dem hohen Hause anheim, auch den Antrag des Herrn Abg. Burlage anzunehmen.

Der § 564 wird mit den beiden Anträgen, im übrigen in der Kommisstonsfassung angenommen, ebenso ohne Debatte der 8 554a (Prüfung der Statthaftigkeit, Einlegung und Be- gründung der Revision).

Abg. Sh midt - Warburg (Zentr.) hat die Aufnahme eines neuen ate beantragt: „Das Revisionsgericht kann ohne mündliche

erhandlung nach Vortrag zweier Berichterstatter die Revision durch Cs Beschluß (unter Angabe ter Gründe) zurückweisen, falls es die Nevisionsgründe für niht geeignet erachtet, eine Ab- änderung der Vorentscheidung zu rechtfertigen.“ Der Antragsteller lihrt aus, auf diesem Wege würde eine viel wirksamere Entlastung des

eih8gerihts herbeigeführt als durch die Echöbhung der Revisions- summe, die ja nun leider beschlossen sei. Nach dieser Beschlußfassung ziehe er seinen Antrag zurü.

Der § 556 der Kommissionsvorschläge handelt von der Anschließung des Revisionsbeklagten an die Revision. Die Anschlußrevision muß in der Anschlußschrift begründet werden.

__ Abg. Kirsch (Zentr.) beantragt, den vorstehenden Saß, wie folgt, zu fassen :

„Die Anschlußrevision muß in der Anschlußschrift innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen begründet werden, die mit dem Ablauf der für die Revisionsbegründung bestehenden Frist A gad durch Vereinbarung der Parteien niht abgeändert werden kann.“

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Ich bedauere, daß ich den Ausführungen des Herrn Vorredners nicht überall habe folgen können. Es {eint mir fast, als wenn bei seinem Gedankengange ein kleines Mißverständnis obwaltet. Die Frage ist doch nur die: hat der Vertreter der Anschlußrevision ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Revision zu begründen? Und ih meine, in dieser Beziehung gewährt der Gesetzentwurf ihm vollständig Gelegenheit, um die Begründung zu bewirken. Die Ausführungen des Herrn Vorredners wären nach meiner Meinung nur richtig, wenn man sagen könnte, daß es ¿ur Begründung der Anschlußrevision, der Erkenntnis der Begründung der Hauptrevision bedürfe. Das kann man aber doch niemals sagen.

Der Anshlußrevident ist ja in der Lage, seine Revision ganz selbständig zu begründen. Jh möchte deshalb nicht empfehlen, diesem Antrage zuzustimmen, umsomehr, meine

Herren, als wir {hon jeßt das ganze Verfahren im Revisions- prozeß um einen Monat verlängern, indem neben der Frist zur Einlegung der Revision noch eine zweite Frist zur Begründung der Revision gegeben wird. Nun, meine Herren, leidet doch notorisch unser Prozeßverfahren an solhen Langsamkeiten, daß wir allen Anlaß haben, zu überlegen, das Verfahren abzukürzen, daß wir aber nicht neue Bestimmungen einfügen follten, die das Verfahren zum Nachteil der Nechtspflege vershleppen helfen könnten. Ich glaube, dieser Ge- fihtspunkt ist eiy jo erheblicher, daß ih dem Hause empfehlen muß, den Antrag abzulehnen.

Auf eine Entgegnung des Abg. Kirsch erwidert der

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Derjenige, der Revision einlegt, kennt doch auch nicht die Be- gründung der Anshlußrevision; die kommt ja später. Ebensowenig haben wir Veranlassung, zu verlangen, daß dem Vertreter der An- \chlußrevision zunächst die Möglichkeit gesichert werde, die Begründung der ersten Revision zu kennen. Täten wir das, so würde ja gerade der Anschlußrevident günstiger gestellt werden als der NRevisionskläger. Ich glaube, das würde eine Ungleichheit herbeiführen, die sachlich un- gerechtfertigt ift.

Ich kann nur bei der Bitte bleiben, den Antrag abzulehnen.

Unter Ablehnung des Antrags Kirsh wird der §556 un- verändert in der Kommissionsfassung angenommen, ebenso der Nest der Kommissionsanträge.

Art. TT „Soweit in Reichsgeseßhen auf Vorschriften der Zivilprozeßordnung verwiesen 1, welhe durch den Art. [

eändert werden, treten die entsprehenden Vorschriften dieses

eseßes an ihre Stelle“, wird unverändert angenommen, nahdem auf eine Bemerkung des Abg. Kirsch der Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding er- Aärt hat:

Der Herr Vorredner hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß eine Bestimmung, wie fie im Artikel 2 des zur Beratung stehenden Gesezentwurfs si findet, bei der Novelle zur Zivilprozeßordnung vom Jahre 1898 nicht getroffen worden sei. Das ift aber ein Irrtum. Die gleiche Bestimmung findet si in dem Gesetz, welches den Herrn Reichskanzler damals ermächtigte, die Zivilprozeßordnung und die äbrigen eins{lägigen Gesetze in einer neuen Redaktion zu veröffent- liGen. In dem fraglichen Geseg ist nicht nur diese Ermächtigung erteilt worden, sondern es finden sich auch Vorschriften darin, die unserem Artikel 2 entsprehen. Ih glaube do, wir würden Miß- werständnisse ermöglihen, wenn wir jetzt diesen Artikel 2 fallen kassen wärden, und ih empfehle dem hohen Hause, den Artikel 2 anzunehmen.

Art. [T1 (Jnkrafttreten des Geseßes und Dauer der

Geltung der bisherigen Vorschriften) wird, entgegen dem An- irage Rohl, ebenfalls unverändert angenommen.

Die Petitionen sollen durch die gefaßten Beschlüsse für

/ um fo weniner Umständen das Streikpostenstehen als verboten

Es folgt die dritte Lesung des von den Abg. Hage- mann (nl.) und Genossen eingebrahten Gesegentwurfs, betr. Aenderung desGeri t8verfassungsgese zes, auf Grund der in zfbeiter Lesung gefaßten Beschlüsse. Es liegen dazu vor: der Antrag Himburg u. Gen., den Beshluß zweiter Lesung, die Preßvergehen den Shwurgerichten zu unterstellen, wieder zu beseitigen; die Anträge Albrecht u. Gen. (Soz.), auh eine Reihe von Vorschriften der Straf- Page Bordnug im Zusammenhang mit dieser Vorlage ab- zuändern.

In der Generaldiskussion bemerkt der

Abg. Dr. Müller - Meiningen (fr. Volksp): Ich hatte ursprünglih große Bedenken gegen die Vorlage. Ich befürchtete, daß durch sie die Rosinen aus dem Kuchen einer künftigen Reform des Gerichtsverfassung8gesezes herausgenommen werden könnten, Die Erklärungen des Staatssekretärs haben mi einiger- maßen beruhigt. Der Frage der Berufung muß in der nähsten Zeit energisch näher getreten werden in der Errichtung einer wirk- lichen Berufsinstanz. Es ist Pflicht des Hauses, die Gelegenheit zu ergreifen, um andere dringende Wünsche bezüglich der Strafprozeß- ordnung zur Sprache zu bringen, zum Beispiel binsihtlih der Aus- dehnung der Zuständigkeit der erie in Preßsachen. Gewiß tun auch die Schwurgerichte Fehlgriffe, aber nicht öfter, als es seitens der gelehrten Gerichte geschieht, die selbst das Kopfschütteln eines großen Teils der Juristenwelt hervorgerufen haben. Unsere süddeutshen Schwurgerichte haben sich in Preßsachhen ganz ausgezeihnet bewährt, an bieser Zuständigkeit der Schwurgerichte in Preßsachen will man festhalten, im Interesse der Freiheit der Meinungsäußerung in Wort und Schrift. Die Juristen bei uns sind ja den Shwurgerichten nicht durhweg grün. Den Staatsanwälten stehen bei manhen Urteilen der Schwurgerihte die Haare zu Berge, aber das Volk denkt darüber anders. Der autokratishe Grundzug, der dur unser poiitishes Leben geht, fordert zu Spott und Satire heraus, und in sclhen bewegten Zeiten soll man nit jedes Wort auf die Goldwage legen. Auf einen groben Kloy gehört ein grober Keil! Unsere süddeutshen Schwurgerichte haben namentlich in der Frage der Majestätsbeleidigung usw. der öffentlihen Meinung Rehnung getragen. Ihre Verdikte sind denn auch nicht so fkritisiert worden, wie das leider in Norddeutschland so oft gesehen i. Es wäre zeitgemäßer, statt die Shwurgerichte einzushränken, die Arbeiter, alle Stände hinzuzuziehen und dies durch Gewährung von Diäten zu erleichtern. Das ganze große Neformwerk der Strafprozeßordnung würde verfehlt fein, wenn man die Schwurgerichte, wie es der Fall zu fein scheint, ganz beseitigen will. Jch glaube deshalb, daß es die höchste Zeit ist, daß, bevor die Entscheidung bei den verbündeten Regierungen fällt, die Deffentlichkeit bereits erklärt, daß das Reformwerk nicht wieder an derartigen Nückschritten und vor allen Dingen nicht am preußischen

inanzminister \{heitert, denn es ist kein Zweifel, daß die Frage eine inanzfrage ist. Es handelt sich bier niht darum, daß Preußen in Deutschland voran ist, sondern daß es endlich den füddeutshen

Staaten folgt. Ich glaube daher, daß die jegige Abstimmung über die Schwurgerichte von der allerhöchsten Bedeutung für die zukünftige Stellung derselben und unsere Strafgerichtspflege überhaupt is. Der heutige Beschluß ift bis zu einem gewissen Grade präjudizierend. Meiner Ueberzeugung nach muß jeder Freund der Schwurgerichte für die Faffung zweiter Lesung stimmen. Deshalb möchte ih Sie bitten, diese anzunehmen und den Antrag Himburg abzulehnen.

__ Abg. Dr. Herzfeld (Soz.): Der Geseßentwurf ist au mit dem Bus auf die Ueberlastung des Reichsgerihts begründet worden. Dies macht auf mi gar keinen Eindruck. Wer den Senatssizungen im Reichsgericht beigewohnt hat, weiß, daß unter den Sachen die gros Mehrzahl solche sind, die niht mehr Zeit oder Geistesarbeit n Anspruch nehmen, als die in irgend einem kleinen Schöffengericht. Ich kann nit anerkennen, daß eine Ueberlastung besteht. Man hat au gemeint, man müsse dem Neihsgericht Zeit geben, sih mit den kulturellen und wirtschaftlihen Fortschritten des Volkes zu be- schäftigen. Wer die Urteile liest, wird aber sehen, daß in ihnen keine Spur, kein Hauh zu spüren is von den Fortschritten des deutshen Volkes in der Kultur. Man hat auch zur Begründung berangezogen, daß man das Reichsgeriht dem deutshen Volke als einheitlihe große Instanz erhalten solle. Aber was tun Sie hier ? Statt in die vier Strafsenate des Reichsgerihts verlegen Sie die RechtspreGung in die vielen Einzelgerihte. Auch bei der Herauf- sezung der Revisionssumme wurde die Ueberlastung des NReichs-

bleiben. Nach der Stellung des Hauses zu unseren Anträgen wird fi zeigen, ob wir dem vorliegenden Entwurfe zustimmen können.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Gegenüber den Ausführungen der leßten beiden Redner, meine Herren, möchte ich nur feststellen, daß nah der Auffassung der ver- bündeten Regterungen in ten zur Dieékussion stehenden Anträgen irgend ein Zusammenhang mit-der legislätorischen Frage der Erhal- tung oder Umgestalturg der Schwurgerihte nicht zu erblicken ist. Wenn die gegenwärtige Vorlage in der Fassung der zweiten Lesung, also mit dem § 80, der die Zuständigkeit der Shwurgerichte er- weitern will, hier im Hause angenommen wird, dann werden die verbündeten Regierungen darüber is kein Zweifel, die Vorlage ablehnen, dann wird es also bei dem gegenwärtigen Rechtszustande bezügliß ter Shwurgerihte verbleiben, bis daß wir eine neue Straßprozeßordnung bekommen. Wird um- gekehrt der § 80, der in der zweiten Lesung angenommen ift, in der dritten Lesung gestrichen, dann werden voraussihtlich die verbündeten Regierungen in der Lage sein, der Vorlage zuzustimmen, und dann wird es ebenfalls in Ansehung der Schwurgerichte bei dem bestehenden Zustande verbleiben bis dabin, daß die neue Strafprozeßordnung ergangen sein wird. Also irgend ein Seitenblick auf die Shwurgerichte liegt, vom Stand- punkte der verbündeten Regierungen betrachtet, in dem Antrage nit, und die Annahme des Antrags enthält nah meiner Meinung keinerlei Präjudiz, weder zu Gunsten noch zum Nahteile der Schwurgerihte. Das ist unsere Auffassung. Jh meine, meine Herren, deshalb sind au diejenigen Herren, die an und für sich prinzipiell für die Ers haltung der Schwurgerihte sich ausspre{en wollen, durhaus in der Lage, diesem Entwurfe zuzustimmen, indem sie anerkennen, daß ein Notstand in der Rechtspflege vorhanden ist, dem allein der Entrourf abhelfen soll. (Sehr richtig! rechts.)

Der erste der beiden Herren Vorredner hat darauf hingewiesen, daß die Regierungen ja bereits mit der Abschaffung der Shwur- gerihte sich trügen. Meine Herren, das ist unrihtiz. Richtig ift nur, daß die Beshlüsse einer Kommission, für die keine der ver- bündeten Regterungen, auch die preußischen niht, eine Verantwortlih- keit übernimmt, dahin geführt haben, eine Umbildung der gegenwärtig geltenden Schwurgerichtsverfassung herbeizuführen. Wenn man fo ge- wöhnlich davon spricht, es follten nah diesen Kommissions- beshlüssen die Shwurgerihte abgeshaft werden, so segt man damit das Volk einer sehr bedenklihen Täuschung aus. (Sehr richtig!)

Man gibt damit der Auffassung Vorschub, als wenn die Absicht dahin ginge, die S{wurgerichte überhaupt zu beseitigen. Das, meine Herren, will auch die Kommission nicht, sie will die Shwurgerichte erhalten, nur in einer anderen Gestalt. Es wird immer dabei bleiben, daß über die {weren Straftaten ein Gerihtshof entsheiden muß, der nach dem Gedanken der Schwurgerichtsverfassung in der Ueberzabl aus Laien besteht, unabhängigen Männern, die ihr Urteil frei abgeben können unbeeinflußt von einer amtlihen Stellung, auf Grund des

Schwures, den sie vor der Verhandlung abzulegen haben. Der Wunsch der Kommission geht einzig dahin, diese unah» bängigen Männer mit einigen Richtern zusammen beraten

¡u lassen, aber derart, daß unter allen Umständen die Zahl der Ge- \hworenen die Zahl der Richter beträhtlih übersteige, und diese Ver- bindung zwischen Laien und Nichtern soll niht eintreten um das selbst- ständige Urteil der Laien über den Sachverhalt zu verkümmern, sondern das foll gesehen, um dur das gemeinsame Zusammenwirken der wenigen juristisch gebildeten Mitglieder und der größeren Zahl nicht juristisch gebildeter, aber meist mit den Verhältnissen des Lebens näher vertrauten Männer eine rihtigere Beurteilung der Straftaten

E herbeigezogen. Aber dabei handelte es sich darum gar nicht, ondern darum, die Rechtsprehung in die Landesgerichte zu ver- schieben, damit die Landesregierungen eine größere Macht über die | Richter bekämen. Ebenso, bin ich überzeugt, ist dies die Grundtentenz der sogenannten lex Hagemann. Wie steht es mit der Unabhängig- keit der Richter hon jeßt ? Fürst Bismarck hat, als es sich um die Einsetzung eines Staatsgerichtshofes für Berufungen gegen Anordnungen auf Grund des Soztalistengeseßes handelte, Bedenken geäußert, das Kammergeriht als diese Instanz einzuseßen, weil er befürchtete, | daß die Richter dort nicht zuverlässig seien. Der preußische Justiz- | minister hat ihn dann aber damit beruhigt, daß er versicherte, alle preußischen Richter seien politisch unabhängig. Die Verschiebung | der Nechtsprehung, insbesondere in die Schöffengerichte, bedeutet | aber auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu Ungunsten der | nit besißenden Klassen, denn diese werden ja nie zu Schöffen ge- | nommen. Wir haben deshalb auch den Antrag zum § 354 Siraf-

prozeßordnung gestellt, daß der Staatsanwaltshaft die Befugnis,

ein Rechtsmittel ¿zu Ungunsten des Angeklagten oder An- geshuldigten einzulegen, nicht zustehen soll. Die Ernennung der Neichsgerichtsräte is für die bürgerlihen Parteien von

Nutzen, aber nihcht für die Sozialdemokratie. Das Neich8gericht hat felbst dem Klassenkampf gehuldigt gegen uns, und seine Ürteile find für uns daher dieselben wie die der Landesgerichte. Was hat nicht das Neichsgerihi aus dem Beleidigungsbegriff gemacht, indem es den | S 193 hinweginterpretierte! Die Judikatur des Reich8gerichts ist cin Spielball in den Händen der Regierungen. Es ist berühmt, wie das Reichégericht den § 152 Gewerbeordnung fo ausgelegt hat, daß danach das Streikpostenstehen niht zu verbieten sei, aber das ist nur ein Wegweiser für die Regierungen und die Landeggerichte gewesen, mit |

anzusehen. Wir haben also keinen Wert darauf zu legen, ob das Reichsgeriht die leßte Instanz ist, aber “wir wollen wenig- stens die Nechténormen erhalten, die eine objektive NRetht- \spreGung ermöglichen können. Deshalb wollen wir aus in dem § 244 Strafprozeßordnung die Bestimmung streichen, daß in den Schöffengerichten und den Landgerichten in der Berufungsinstanz bei Vebertretungen oder Privatklagen das Geri#t den Umfang der Be- weisaufnahme zu bestimmen hat, denn der Angeklagte muß die Siher- heit erbalten, daß alle Beweismittel, die er rehtzeitig dem Gericht vorlegt, zugelassen werden. Bezüglih der Ueberrweisurg der Preß- sachen an die Schwurgerichte schließe ih mich dem Vorredner an. Würden wir den Beschluß der ¡weiten Lesung wieder eliminteren, so würden wir der Regierung den Weg babnen, die Schwurgerichte über- haupt zu beseitigen. Dem wird durch den Beschluß zweiter Lesung vorgebaui. Die Schreurgerichte sind eine Errungenschaft des Bürger-

eledigt erklärt werden.

tums, die in {weren Kämpfen erreicht ist. Sie von der Mehrheit haben selbst ein Interesse daran, daÿ die Schwurgerichte erhalten

zu erreichen.

Nun, meine Herren, mag man fih auf den Standpunkt der Kom- mission stellen oder nicht, das ist eine Frage für si, das berührt, ich wiederhole es, die gegenwärtige Vorlage niht, umsoweniger, als wir zur Zeit au innerhalb der Reich8verwaltung noch gar nicht {lüsfig find, in welhem Umfange und ob namentlich in der Frage der Schwurgerihte man sich der Auffassung der fraglihen Kommission anschließen foll; die Regierungen find noch gar nit in die Lage geseßt, darüber fih zu erklären. Wenn davon gesprochen wird, daß die Negierung die Schwurgerichte abschaffen wolle, so sage ih, selbst mir ist noch unbekannt, was die verbündeten Regierungen in diefer Frage beschließen werden; ich halte es gar niht für unmögli, daß die verbündeten Regierungen von ihren Erwägungen aus, die durhaus nit mit den Erwägungen der Kommission zusammenzutreffen brauchen, zu der Ansiht kommen, das weitgehende Problem einer völligen Umgestaltung unserer Gerichtsverfafsung, das durch die Beschlüsse der Kommission in den Vordergrund gerückt worden ist, niht dur{hzu- führen, fondern auf eine einfa@ere Weise unter Beibehaltung der bis- herigen Shwurgerichtêverfassung eine Reform unseres Strafprozefses zu erreihen. So in der Tat, meine Herren, liegt die Sache, und ich möchte doch bitten, hier oder draußen im Lande keine Darstellung zu geben, die dahin führen könne, über die gegenwärtige Rechtslage und über die Absichten der Regierungen unrihtige Mitteilungen zu ver-

breiten. Namentlih möchte ih auch bitten, im Lande der Be- sorgnis entgegenzutreten, als ob, wenn die verbündeten Regie- rungen diesem Antrage zustimmen, dabei irgend ein Präjudiz

gefunden werden solle von ihrem Standpunkte aus, um die Schwur- gerichte zu beseitigen oder um die Stellung der SHwurgerichte in unserer Gerichtsverfassung zu ändern. Jh wiederhole, das ist nit der Fall. Deshalb beruht alles auf einem Irrtum, was in dieser Beziehung von dem Herrn Abg. Müller (Meiningen) ausgeführt worden ist

Damit schließt die Generaldiskussion.

Jn der Spezialdiskussion wird zunächst über den § 80 ve r- handelt, der von der Zuständigkeit der Schwurgerichte handelt und deren Zuständigkeit in zweiter Lesung auh auf die Preßvergehen ausgedehnt worden ift. i