Niederlande. Haag, 5, November, (W. T. B.) Nach dem jeßt feststehenden Resultat der Wahlen zum Senat befinden sih in demselben nunmehr 26 Liberale und 13 Antiliberale.
Luxemburg, 4. November. (Köln. Ztg.) Der Erb- großherzog von Sachsen-Weimar ist heute Nachmittag hier angekommen und von den höchsten Beamten der Re- gierung nah dem Palast geleitet worden. — Die Eröffnung der Kammersession ist heute ohne Feierlichkeit „Und ohne Thronrede erfolgt. um Vorsißenden wurde Hr. Lessel mit 33 liberalen gegen 7 flerikale Stimmen gewählt.
Belgien. Brüssel, 6. November. (W. T. B.) Der „Moniteur Belge“ veröffentliht ein Dekret des Königs und ein Rundschreiben an* die Gouverneure, dur welches einige Erleichterungen bei Anwendung des neuen Schulgeseßes eingeführt werden und das Wartegeld für Lehrer im Falle ihrer Zurdispositionsstellung erhöht wird.
Großbritannien und Jrland. London, 4. November. (Allg. Corr.) Lord Derby empfing gestern eine einflußreiche Deputation, welche, unter Führung Sir Donald Currie's, Kaufleute und andere Herren umfaßte, welche an den Ange- legenheiten. Süd-Afrika's interessirt sind. Nachdem die Deputation die dringende Nothwendigkeit vorgestellt hatte, daß die Regierung energische Schritte ergreife, um ihre Stellung als herrshende Macht in Süd-Afrika aufrecht zu halten, sagte Lord Derby U. A., daß Niemand jemals daran gedacht habe, irgend eine der britishen Besißungen aufzugeben. Aber die An- nexion Transvaals sei ein Fehler und die Annullirung des betreffenden Akts daher der weiseste Schritt gewesen, Er erklärte sih vorbereitet, alle nothwendigen Maßregeln zur Wiederherstellung der Ordnung im Betschuanalande zu ergreifen, und hielt dies weder für cin langwieriges, noch für ein s{hwieriges Unternehmen, welhes man unter keinen Umständen als gegen die holländische Bevölkerung im Transvaal gerihtet betrahten dürfe. Lord Derby konnte sich indeß niht den Ansichten derjenigen
erren der Deputation anschließen, die eine Annexion von a oder ein Protektorat über dasselbe befürworteten. Die Negierung, erklärte er, würde zwar jedes Anzeichen einer für Natal aus Zululand erwachsenden Gefahr sorgfältig überwachen, aber jie müsse es ablehnen, die Verantwortlich- keit für die Regierung jenes Eingeborenen-Staates zu über- nehmen.
Der General-Agent für das Kap der guten Hoffnung hat das nachstehende, vom 3. d. datirte Tel e- gramm von dem Premier-Minister der Kolonie erhalten: „Der ehrenwerthe T. Upington, Premier, sowie der ehrenwerthe F. Gordon Sprigg, General-Schagßmeister, begeben fich unverzüglih nah Betshuanaland, um zu versuchen, durch eine friedliche Verständigung den Krieg abzuwenden“,
Auf Befehl der Admiralität wird auf der Staatswerst in Chatham der Kiel zu einem neuen großen Panzer- [ch iff gelegt werden, welhes mit den s{hwersten Kanonen, die jemals fabrizirt worden, armirt werden soll.
Bei der gestern in Scarborough stattgehabten Wahl eines anderweiten Deputirten an Stelle des in den Pairs- stand erhobenen Kanzlers des Herzogthunis Lancaster, Dodson, wurde der von den Liberalen aufgestellté Kandidat, Frei- willigen-Dberst Steble, zum Vertreter der Stadt im Unter- hause gewählt.
In London sind Telegramme über blutige Reibe- reien unter der Kuli-Bevölkerung auf der Nel Trinidad eingegangen. Eine Menge Personen wurden ge- tödtet, ehe der Äuffiand der farbigen Arbeiter unterdrückt werden konnte.
— 5. November. (W. T. B.) Das Unterhaus hat heute den Antrag Gladstone's: nah der Adreßdebatte während des Monats November jeder Reform bill den Vorrang vor allen anderen Anträgen zu geben, angenommen. Bei der Diskussion des Berichts über die Adresse beantragte Bartlett ein Amendement zu Gunsten einer stabilen civilisirten Regierung in Khartum. Der Unter- Staatssekretär Fißmaurice lehnte es jedo ab, auf diese Frage näher einzugehen, da ihre Erörterung bei der Kreditvorlage zweckmäßiger scin würde. Die Errichtung einer stabilen Regierung gehöre zu den Aufgaben, welche in den Jnstruktionen des Generals Wolseley mit enthalten seien, und dieser wende der Frage au eine ernste Aufmerksamkeit zu. Das Amendement wurde denn auch abgelehnt und die zweite Lesung der Adresse mit 134 gegen 18 Stimmen angenommen. — Bei der Debatte über die Bill, betreffend die Armenpfleger in «Frland, wurde O’Donnel wegen mehrfacher, nicht zur Sache ge- höriger Bemerkungen von dem Sprecher zur Ordnung ge- rufen. Da er sich dem Ordnungsruf nicht fügen wollte, wurde vom Hause mit 163 gegen 28 Stimmen seine Aus - shließung für die heutige Sizung beshlossen. D’ Donnel verließ hierauf den Saal, indem er dem Sprecher zurief: Sie spielen die Rolle, die man von JZhnen erwartet hatte.
Frankreich. Paris, 4. November. (Fr. Corr.) Der heute unter dem Vorsiß des Präsidenten der Republik abgehaltene Ministerrath beschäftigte sich hauptsächlich mit den auf der Tagesordnung der beiden Kammern stehenden Punkten: Wahlreformgeseß für den Senat und Reform des Strafgeseßbuches, wobei die von den Mitgliedern der Regierung einzuhaltende Verhaltungslinie bestimmt wurde. Dem Vorschlage des Handels-Ministers ent- sprechend, wurde die Ernennung einer außerparlamenta- rishen Kommission für die Weltausstellung von 1889 unter dem Präsidium des Abgeordneten Antonin Proust
“ beschlossen. Die Beseßung der erledigten Bischof s!:
siße wurde, da man sih über mehrere Namen nicht einigen konnte, theilweise auf eine der nächsten Sizßungen verschoben.
Der Minister für Landwirthschaft, Méline, empfing heute Vormittag die Delegation der Société nationale d'encouragement à lagriculture, bestehend aus den Herren Grafen Foucher de Careil, Caze, Salveuve, Bischoffs- heim, Couteaux und de Lagorsse. Graf Foucher de Careil brachte die Wünsche der genannten Gesellschaft bezüglich der landwirthschaftlihen Krisis vor und - bat um eine Enquete im Departement Seine-et-Oise, das er im Senat vertritt, wie diese für das benachbarte Aisne-Departement durchge- führt wurde. Sein Wahlkreis verlangt nur einen mäßigen Zoll auf Getreide, Vieh und Mais. Hr. de Lagorssè hob hierauf die Nothwendigkeit hervor, daß die Regierung neben der Einführung von Schußzöllen au die nationale Produktion vom wissenschastlihen Standpunkte aus studiren müßte, und führte dabei Deutschland als Beispiel an, wo im Vorjahre
durch die Regierung eine sehr eingehende Enquete über die
Landwirthschast mit bestem Erfolge angestellt worden sei.
gr Méline gab den beiden Wünschen der Gesellschaft seine E /
— 4. November. (Köln. Ztg.) Der Tongking-Aus- \chuß hat nach Beendigung der Durchsicht der militärischen und diplomatischen Aktenstücke die Ansicht aufgegeben, daß diese Aktenstücke der Presse überliefert werden sollten, da der Veröffentlihung bei der Berathung der Kredite und bei den in Folge der Opposition erfolgten Zwischenfällen genug- sam entsprohen werde. Der Ausshuß hat in Folge dessen beshlossen, nicht zurückzutreten, sondern den Kredit ohne weitere Verhandlung zu bewilligen, aber Vorbehalte zu machen, um das Verfahren der Regierung zu beurtheilen. Der Berichterstatter wird am Donnerstag ernannt und die Berathung in der Kammer am Montag oder Dienstag beginnen können. Zugleich mit den Krediten wird die auswärtige Politik der Regierung zur Berathung kommen; die Opposition will jedoh die Trennung beider Fragen beantragen und ver- langen, daß zuerst die Kredite für Tongking und die Ver- stärkungen zur Entscheidung gebraht werden und dann die Verhandlung über die auswärtige Politik erfolgen solle. — Heute wurde zur Wiedereröffnung der Gerichtshöfe eine Messe in der Sainte Chapelle gehalten, welcher, wie üblich, der Erzbischof von Paris anwohnte, ohne daß er jedo eine Ansprache hielt. — Das vom Staate gemiethete Kauf- fahrteischiff „Comorin“ ist gestern mit 10 Offizieren und 100 Unteroffizieren nah Tongking abgefahren, um die Cadres wieder zu vervollständigen.
— 5. November. (W. T. B.) Das „Journal des Débats“ meldet: die Regierung habe mit der „Compagnie ma- ritime“ ein Abkommen wegen des Transports von 5000 Mann Truppen nah Tongking getroffen.
In Nantes sind gestern 13 Erkrankungen und 6 Todes- fälle an der Cholera vorgekommen.
Türkei. Konstantinopel, 5. November. (W. T. B.) Der russische Botschafter, von Nelidow, begleitet von dem gesammten Botschastspersonal, überreihte heute dem Sultan in feierlicher Audienz das Großkreuz des Andreas-Ordens.
Ostrumelien. Philippopel, 3. November. (A. C.) Die neue Provinzial-Versammlung wurde heute von dem General-Gouverneur von O|trumelien, Kristo- witsch, in Person, eröffnet. Die Kammer ist aus 56 Mit- gliedern zusammengeseßt, von denen 37 Bulgaren, 5 Türken und 4 Griechen sind. Der General-Gouverneur kündigte an: es würden der Kammer ein Plan für den Bau einer Eisen- bahn, die Jamboli und Sliwno mit dem Hafen von Burghos verbindet, sowie Vorschläge zur Revision des Katasters zur Erwägung unterbreitet werden.
Nufßland und Polen. St, Petersburg, 6. No- vember. (W. T. B.) Die russishe „St. Petersburger Zeitung“ meldet, daß vom 1. Januar 1885 ab die Ge- hälter an katholishe Geistlihe nur unter der Be- dingung ausbezahlt werden, daß die Bischö fe die Gouverneure über alle Veränderungen im Personal der Geisilichkeit in Kenntniß seßen und da, wo General-Gouverneure vorhan- E sind, denselben über solche Veränderungen Vorschläge machen. /
Amerika. Ueber den Ausfall der Wahlmänner- wahlen liegen folgende Meldungen des „W. T. B.“ vor:
New-York, 5. November, Morgens 7 Uhr. Die RNesul- tate der Wahlen in allen südlihen Staaten sind demo- kratish; bei denselben sind keine Ruhestörungen vorgekommen, dagegen is es in Cincinnati gestern Abend zu blutigen Zusammenstößen gekommen, wobei mehrere Personen getödtet und andere verwundet worden sind. Die Republikaner haben die Majorität in der Staatslegislative von New-York und werden deshalb einen republikanischen Sena- lor zum Kongreß in Washington wählen können. Aus den westlihen Staaten langen die Wahlresultate noch immer sehr langsam an. :
— 5. November, Nachmittags 1 Uhr. Nach den leßten Wahlberichten, welhe die Resultate zahlreicher Bezirke aus dem Jnnern des Staates New-York bringen, sollen nunmehr Blaine und Logan (als Vize-Präsident) im Staate New-York eine Majorität von 5000 Stimmen haben. Nach allgemeiner Annahme is die Wahl in diesem Staate für die Präsidentenwahl überhaupt von entscheidender Be- deutung, Ein, abschließendes Resultat liegt jedoh noch nicht vor.
— 5, November, Nachmittags 1 Uhr 30 Min. Weitere Einzelberihte aus dem Staate New-York ergeben für Blaine eine Majorität von 10000 Stimmen in diesem Staate, Die republikanishen Zeitungen behaupten, daß die Wahl Blaine's zum Präsidenten gesichert sei, während die demokratischen Blätter behaupten, daß Cleveland doch noch den Sieg davon tragen werde.
— 5. November, Abends. Die Demokraten dürften ungefähr eine Majorität von 40 Stimmen in der Reprä- sentantenkammer haben. Weiter eingegangene Wahlberichte bestätigen, daß Blaine eine Majorität von ca. 10000 Stimmen im Staate New-York erhalten hat, und dieses Resultat dürfte keine Aenderung weiter erfahren. Der Sieg Blaine's in allen Staaten Neu- Englands, mit Ausnahme von Connecticut, ist wahrscheinlich, ebenso ging Blaine auch in Colorado, Towa, Kansas, Minnesota, Nebraska, Ohio, Pennsylvanien und Wisconsin siegreih hervor. Cleveland siegte in Delaware, Florida, Georgia, Kentucky, Luisiana, Maryland, Mississippi, Missouri, New-Yersey, Nord- und Süd-Karolina, Tennessee, Texas und West-Virginien. Zweifelhaft if das Resultat in Virginien, Fndiana, Michigan, do dürften die Wahlen in Virginia demokratisch ausgefallen sein; die Wahlen in Fllinois sind noch völlig zweifelhaft. Aus Kali- fornien, Oregon und Nevada liegen noch keine voll- ständigen Wahlergebnisse vor, doch dürften dort die meisten Stimmen zu Gusten Blaine's abgegeben worden sein. Ein zweifelloses Resultat liegt auch jeßt noh nicht vor, wie auch die Organe beider Parteien dabei bleiben, ihren bezüglichen Kandidaten den Sieg zuzuschreiben.
Zum Bürgermeister von New-York ist Grace, der zur ‘ Anti-Tamanny-Partei gehö:t, mit 10 000 Stimmen Majorität gewählt worden.
_ Afffrika. Egypten. (Allg. Corr.) Aus Kairo be- rihtet eine Neutershe Depesche vom 4. d.: «Fn Erwide- rung auf Sir E. Barings Anfrage, betreffs des Gerüchts von dem Falle Khartums, meldete Lord Wo [s eley gestern aus Do n-
gola: „Major Kitchener telegraphirte an Sir Ch. Wilson, daß er einen gewissen Jbrahim Wadbeil gesprochen habe, der unlängst von den Arabern aus südlicher Gegend anlangte. Dieser Mann berichtet, daß Alles yuhig war, und daß General Gordon beim Empfange unserer Botschaft einen Salut abfeuerte und eine Truppenparade abhielt. Sowohl der britishe wie der französishe Konsul in Khartum be- fanden sih bei dem Obersten Stewart. Mr. Nicola scheint in dem Boote zurückgeblieben und daher gerettet zu sein.“ — Eine zweite Depesche von dem Major Kitchener, vom 2. d., meldet, daß Haji Abdallah von Wady Garna an- gekommen war und berichtete: ein Mann aquXK Shendy habe gemeldet, daß der Mahdi mit einer großen Streitmacht nah Omdurman gekommen sei und den General Gordon zur Uebergabe aufgefordert habe. Leßterer habe erwidert, daß er Khartum 12 Jahre halten werds. Der Mahdi zog sih hierauf ohne Kampf nah Enneh zurück, welches eine Tage- reise südlih von Khartum und 12 Stunden vom Flusse ent- fernt belegen is. Der Mahdi machte sodann bekannt, daß er die nähsten zwei Monate nicht zu kämpfen beabsichtige, worauf ihn viele seiner Anhänger verließen. Sid-el-Hassan, eine beveutende Persönlichkeit, {rieb von Kassala an den General Gordon, daß er bald kommen und ihm helfen würde. Der Scheich Sula, Sohn von Hussein Pascha Khalifa, hat einen Brief an den Robatat-Stamm gesandt und ihnen den Frieden an- geboten, wenn sie zu ihm kommen wollten. Mohamed El- Kheir ist noch immer des Mahdi's Emir in Berber, aber die Bevölkerung fürchtet General Gordon. Die Straße nah Khartum ist nicht offen, ausgenommen über Metemneh, und auch dorthin kommen die Leute des Mahdi während der Nacht.
Die „Times“ bringt die nachstehenden Telegramme:
Suakim, 3. November. Der General - Gouverneur erhielt Briefe von den Habbat-Stämmen, zwischen Agig und Massauah, welche vor Kurzem noch zu den Unzufriedenen gehörten. Ein her- vorragender Scheich sandte feinen Delegirten von Massauah und versicherte \chriftlich seine Loyalität; ein anderer, der Ober- Scheich, welcher leider sehr unzuverlässig ist , hat den Brief des General-Gouverneurs aus Agig beantwortet und sich erboten, nach Suakim zu kommen, wenn ein Dampfer nach ihm ge- \{ickt wird. Die Amarar-Scheichs haben fast \ämmtlih Briefe mit Lovalitäts- Versicherungen gesandt; sie bedauern den von Os man Digma auf sie ausgeübten Druck. Das Getreide im Distrikt Tokar ist fast reif. Dies ist eine sehr ernste Sache, soweit es die Aussichten auf eine Wiederaufnahme größerer Thätigkeit von Seiten der Rebellen betrifft. Kassala ist ruhig, aber die Lage wird dadur sehr ver- wickelt, daß die Abessynier si für eine Invasion des unteren Landes vorbereiten, welhes nur von Muselmännern bewohnt wird. Es dürften daraus ernste Folgen entstehen.
Suakim, 4. November. Gestern Abend griffen die Rebellen die Eisenbahnwerke an; sie wurden aber zurückgeschlagen und verfolgt, wobei die Kavallerie gute Dienste leistete.
Wady - Halfa, 3. November. Die Viceköniglie Yacht „Feruz“ kam heute hier mit 120 Mann der Garde-Division des Kameel-Corps an. Ferner sind hier 18 Wallfischfahrer- Boote mit einer Compagnie des 2. Bataillons des Esser-Regi- ments_angelangt.
Zeitungsstimmen.
Der „National-Zeitung“ wird aus München, 4. November, gemeldet :
In Bayerisch-Eisenstein (Nieder-Bayern) gaben bei der jüngsten Reichstagswahl 34 von 41 Wählern dem Reichskanzler Fürsten Bismarck ihre Stimmen. Auf ein noch am Abende des Wahltages an den Reichskanzler abgesendetes Telegramm, in welchem das Er- gebniß mitgetheilt und das Einverständniß der Wähler mit der Re- gierungspolitik des Reichskanzlers betont worden war, traf folgendes an den Eisenbahn-Assistenten gerihtete Antwortschreiben ein :
„Euer Wohlgeboren danke ih verbindlich für Ihr Telegramm. Wenn ih auch als Mitglied des Bundesrathes na den Bestim- mungen der Reichsverfassung nit wählbar bin, so freue ih mich doch Über das Vertrauen, welches Sie mir {enken und dem durch meine Thätigkeit im Bundesrathe zu entsprechen id mir stets an- gelegen sein lassen werde. von Bismarck“.
— Das „Leipziger Tageblatt“ schreibt über die
Berufsparlamentarier :
Cin Krebs\chaden des deutschen Verfassungslebens sind die Be- rufsparlamentarier, Erfahrungsgemäß ist diese Klasse von Leuten stets auf Seiten der Opposition zu finden, in der Organisation des Widerstandes gegen die Regierung finden sie ihren eigentlichen Beruf, das Ziel ihrer Thätigkeit. .,. Berufsparlamentarier werden von dem Augenblick an überflüssig, von welhem ab fie sih mit der Re- gierung in Uebereinstimmung befinden, und deshalb finden wir unter den Anhängern der Regierung selten oder nie Berufsparlamentarier. Es versteht sih von selbst, daß eine maßvolle Opposition, welche aus pflihtmäßiger unbefangener Prüfung der Regierungspolitik entspringt, nur zu billigen ist, aber diese unterscheidet sh himmelweit von der grundsäßlihen Opposition, welche an Alles, was die Regierung thut, mit der Absicht herantritt, das Gegentheil als zweckmäßig an- zupreisen und die Vorschläge der Regierung für unannehmbar zu er- klären. Eine solche Thätigkeit, wenn sie geshickt betrieben wird, ver- fehlt ihren Eindruck auf weite Kreise der Bevölkerung nit, die Zahl der Tadler überwiegt in der Regel die der Raten, Man kommt fo leiht in den Nuf des urtheilslofen Jasagers, wenn man der Negierungspolitik Lob spendet und sie unterstüßt. Und doch haben wir in Deutschland alle Ursache, mit der Regierungs- politik im Ganzen und Großen zufrieden zu sein; man fkann über Dies und Jenes verschiedener Meinung sein, man kann &reihandel für ersprießlicher eraten als Schußzzoll, man kann direkte Steuern den indirekten vorziehen, man kann die zweijährige Dienst- zeit für auêreichend halten, aber man kann nit sagen, daß Deutsch- land unter der Herrschaft des neuen Zolltarifs, der indirekten Steuern und der dreijährigen Dienstzeit zurückgegangen wäre in seiner Ent- wickelung, Es würde demgemäß nur dem Gesammtinteresse des Landes entsprehen, wenn man diese Fragen vorläufig ruhen ließe, so lange es gilt, so wichtige Angelegenheiten zu etnem gedetih- lihen Abschluß zu führen, wie die Gefahr, welche uns von der Ausbreitung der Sozialdemokratie droht. Aber weit ge- fehlt, der Berufsparlamentarier nutt auch diese Gefahr nur in dem Sinne aus, daß er daraus Kapital für feine berufsmäßigen Zwecke \{lägt, daß er die öffentliche Meinung dahin zu leiten sucht, daß die soziale Gefahr nur in der Einbildung bestehe und daß die Regierung diese Gefahr nur als vorhanden erkläre, um die politischen Grund- rechte des Volkes in Frage zu stellen und zu verkleinern, mit einem Wort : der Berufsparlamentarier mat aus dieser Eristenzfrage eine Parteifrage.
Wie ift unser ganzes Parteileben in Deutschland gestaltet? Ein redegewandter Parteiführer entwirft ein Programm, für welches er eine Anzahl Abgeordneter zu gewinnen weiß. Das Programm als solches enthält meist Grundsäße und Forderungen, welche man ohne Bedenken unterschreiben kann, aber einzelne Punkte sind, troy ihrer unbestreitbaren Richtigkeit, do in einem bestimmten und zwar gerade in dem vorliegenden Falle niht anwendbar. Ein folcher Programm- punkt ist z. B. die Forderung der deutsch-freisinnigen Partei: Gleiches Recht für Alle. Auf dieser Forderung beruht in der Theorie das gesammte Verfafsungsleben eines Volkes und dennoch is fie bei der augenblicklihen Sachlage im Deutschen Reiche ganz unerfüllbar. Die gleiche Bewandtniß hat es mit der
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Forderung: „Man foll dem Volke die nothwendigsten Lebensmittel nicht vertheuern.“ Welcher nah Recht und Billigkeit urtheilende
Mann möchte diesen Saß nicht unbedenklich untershreiben? Aber
im deutshfreisinnigen Programm bedeutet dieser Saß Aufhebung
der Getreidezölle und der Zölle auf eine Anzabl anderer Verbrauhs-
gegenstände, welche einen großen Theil der Staatsausgaben deen,
ohne die Verbraucher in merkliher Weise zu belasten. Es
wäre ja denkbar, daß eine Steuer ergründet werden könnte, welche
dem vorhandenen Bedürfniß noch zweckmäßiger Abhülfe versaffte,
aber vorläufig ist die Steuer eben noch nit entdeckt und es ift sehr
zweifelhaft, ob die deutsh-freisinnige Partei diesenkbesseren Besteue-
rungsmodus erkannt hat. Alle diese Fragen sind der Art, daß sie
sich zu einer fortwährenden Aufftachelung und Beunruhigung der
Wähler verwenden lassen, und dadurch wird \{hließlich der Regierung
das Leben so sauer gemacht, daß sie niht mehr weiß, wo aus und
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N Der Berufsparlamentarier bedarf für seine Zwecke der fort-
dauernden Mißstimmvng der Wähler gegen die Regierung, sie muß
in den Augen ftets als unfähig und ungerecht erscheinen, nur fo ist es
mögli, daß der Beruféparlamentarier die nöthige Anzahl Stimmen
für fih gewinnt und sein Wesen im Parlament forttreiben kann.
Worin besteht nun aber diese parlamentarishe Thätigkeit ? Der
Berufsparlamentarier führt in den E das ogroße Wort, er wendet den vorliegenden Fall auf das Programm an und
beweist den Frafktionsgenossen haarscharf, daß die betreffende Regierungsvorlage aus Rücksicht auf die Grundsattreue der Partei bekämpft werden muß. Nach einigen bescheidenen Cinwendungen der anders Urtheilenden kommt dann mit Stimmenmehrheit ein Fraf- tionsbischluß zu Stande, welcber die Fraktionsmilglieder verpflichtet, der Vorlage die Zustimmung zu versagen. Natürlih übernimmt der Berufsparlamentarier, welcher die längste Erfahrung im parlamen- tarischen Leben und die größte Rednergewandtheit für si hat, die Vertretung des Fraktionsbeshlusses im Parlament. Es wird eine
große Rede im Reichstage gehalten, welche mit den üblichen Bravo-
rufen, mit eingestreuten „Sehr richtig“ und „Sehr gut“ oder, Hört, bört“
begleitet wird, und der sensationelle Cffekt ist fertig. Die Gegner innerhalb der Fraktion find {on vorher mundtodt gemaht und dem weniger erfahrenen Parlameèntarier, der außerdem auch nit über eine glei zündende Beredsamkeit verfügt, wie der geehrte Vorredner, ist in den seltensten Fällen im Stande, den Effekt der Rede auf die zur grund-
säßlihen Opposition neigenden oder verpflichteten Abgeordneten wett zu machen. Dieser Effekt wird nun in der vom Berufsparlamentarier geleiteten oder beeinflußten Presse nach allen Richtungen ausgaenugt. Man läßt triumphirende Leitartikel als Brandraketen und Leucht - fugeln emyorsteigen, und damit sind alle Bedenken und oft sehr be- rechtinte Einwendungen abgeschnitten.
Das i} der gewöhnliche Hergang bei allen Regierungs8vorlagen. Welch unberecwenbarer Schaden aber wird dur diese Art der parla- mentarishen Behandlung der Gesetzentwürfe hervorgerufen ? Wäre es nicht besser, daß ein weniger mit allen Kunstgriffen und Kniffen be- fannter Volksvertreter Gelegenheit erhielte, seine Meinung frei und offen im MReichstage auszusprehen und durch die Unbefangen- heit und Smudllosigkeit seiner Beurtheilung auf Gleich- gesinnte zu wirken und damit die Unentschlossenen und der Führung Bedürftigen mit sich fortzureißen? Aber der Berufs- parlamentarier macht einen solchen Lauf der Dinge von vornherein unmögli, er übt dur seine Sicherheit, die Sache zu behandeln, durh die selbstbewußte Form seines Auftretens einen moralischen Druck auf einen großen Theil der Parlamentsmitglieder aus, dessen sih die Wenigsten in dem Augenblick der Entscheidung bewußt sind.
Es ift klar, daß unter solben Umftänden die wahre Meinung des Parlaments sich nur ausnahmsweise Geltung verschaffen kann. Und wer trägt die Shuld daran ? Der Berufsparlamentarier. Es liegt deshalb im Interesse der Gesammtheit der Wähler und der Würde des Parla- ments, daß Berufsparlamentarier so wenig wie möglih im Reichs- tage zu Worte kommen, daß sie, wenn irgend thunlich, gar nicht ges wählt werden. Der Volksvertreter soll die öffentlihe Meinung zum Ausdruck bringen, aber er soll nicht die eigene Meinung als die der Gesammtheit ausgeben. Das thut der Berufsparlamentarier in der Regel und deshalb sollte man sich hüten, ihm ein Mandat zu geben. In den Reichstag gehören unabhängige Männer, welche ihre Aufgabe darin sehen, das Beste des Volkes zu finden und wahrzunehmen, aber niht Parlamentarier, deren Beruf und alleiniger Zweck die syste- matishe Opposition gegen die Regierung ist.
— Die Münchener „Allgemeine Zeitung“ beginnt eine Serie von Artikeln: „Zur Geschichte der staatssozialistishen Bewegung in Deutschland“, in deren erstem wir folgende Säßte finden :
. . Der Staats\ozialismus ist weder, wie Viele meinen, eine eminent moderne Erscheinung, und noch weniger ist er, wie Léon Say jüngst äußerte, „une philosophie allemande“, Er if im Gegentheil nichts Anderes als die Verkörperung des alten preußischen Staats- gedankens, welcher eingedenk seiner kraftvollen Haltung in allen wirth- \chaftlihen Dingen und in Anpassung an die veränderten Erfordernisse der Gegenwart seine sieghafte Entfaltung und Uebertragung auf das junge Deutsche Reich mit ebensoviel Glück als Rachdruck anstrebt. Also keine unpraktishe, träumerische, deutsche Philosophie, keine dem augenbliccklihen Drang der neuesten Gegenwart entsprungene und vergängliche Tages8geburt, sondern ein altüberkommenes thatkräftiges Staatsprinzip, ebenso wetterfest und stetig in seinen Wurzeln, als wehselnd und vielgestaltig in den Formen seiner Grscheinung.
Der Umstand, daß dieses Prinzip der kraftvollen Auffassung des Staatsbegriffes und der energischen Staatsintervention in wirth- \haftlihen Dingen nicht immer mit gleiher Vollkraft wirkte, sondern periodisch verdunkelt und gewissermaßen latent blieb, ändert an der Gesammtrichtung der preußiscen Wirthscbaftspolitik nur wenig. Entgegenstehenden Hindernissen gegenüber wird auch die zielbewußteste Staatsleitung zu Kurven und Spirallinien sh verstehen müssen, und die Staatslenaker, so erleuchtet sie sein mögen, bleiben als die Kinder ihrer Zeit stets aufs innigste mit den jeweiligen Strömungen und Anschauungen des Volk38geistes verwachsen. Das Tempo der Entwicklung war verschieden , die Gesammtrichtung blieb dieselbe. Wie der rothe Faden, der durch das Tauwerk der englishen Marine läuft, so ziehen die Aeußerungen jenes Prinzips durch die Blätter der preußischen Geschichte und durch die wichtigsten Regierungshandlungen der preußischen Herrscher. . ..
— Die „Neue Zürcher Zeitung“ schließt ihre Betrach- tungen über das Ergebniß der Wahlen vom 28, Oktober also:
Daß es sich bei der Niederlage der Deutscbfreisinnigen nicht in erster Linie um die Folgen bloßer taktisher Fehler handelte, sondern daß in der That der Schlag dem Radikalismus und der Bismar- Gegnerscaft galt, das lehrt das Scicksal der süddeutschen Volks- partei und einzelner norddeutsher Demokraten. . . Sie alle sind unterlegen in einem Kampfe, in welchem die ungeheuere Popularität des Namens Bismarck gegen sie war. Seit jenen Tagen, da das Reich gegründet wurde, hat diesen Namen niemals größerer Glanz umgeben, Die friedlihen Eroberungen, welce die mit so viel Schneidigkeit als Glück inaugurirte Kolonialpolitik des Kanzlers in Aussicht stellt, regten die Phantasie des Volkes mächtig auf, uud es wird wohl heute fein Freisinuiger mehr sein, der sih über die Reden freute, die Richter und Bamberger gegen die Dampfersubventionen gehalten. Die Parteiführer konnten lange behaupten, ihre Opposition sei keine prinzipielle, sondern eine blos formale gewesen. Solche Unterscheidungen versteht das Volk niht; es verwarf die
eute, in denen es Gegner des Kanzlers und seiner mactvollen Po- litik und nicht sorgfältige Juristen und Nationalökonomen sah, welchen das Gute immer nit gut genug erschien. So sieht das Volk auch in der Bekrittelung der sozialen Arbeit Bismarcks nicht die wohl- en Bedenken vorsihtiger Männer, als welche die „National- eitung* und verwandte Blätter sie hinstellen, sondern eine eigen- innige und verbohrte Opposition gegen des Kanzlers große ‘und gute geen Und de Herren haben die Auffassung des Volkes selbft uldet.
Amtsblatt des Reichs-Postamts. Nr. 57. — úInhalt : Verfügungen : vom 30. Oktober 1884: Eröfnung der Eisenbahnstrecke Gnoien— Teterow; vom 30. Oktober 1884: Eröffnung der Eisenbahn- ftrecke Neubrandenburg—Friedland (Medcklb.).
Centralblatt der Bauverwaltung. Nr. 44. — Inhalt : Nichtamtlices: Die Einweihung der Technischen Hocbschule in Berlin. — Zur Geschichte der Technischen Hochschule in Berlin (Schluß). — Der Ursprung des Bacfsteinbaues in den baltischen Ländern. — Veber die Belastungsgleihwerthe der Brücken. — Vermischtes: Zur Einweihung der Technisben Hocschule in Berlin. — Gelegentlich der Einweihung erschienene Festshrift. — Bücherschau.
Statiftische Nachrichten.
Kapitalversiherungen auf den Erlebensfall bei den deutschen Gesellschaften. (Stat. Corr.) — Seitdem die Staatsregierungen alle reell \{einenden Privatunternehmungen auf dem Versicherungsgebiete zulassen, damit dur ihre Konkurrenz jedem erdenklihen Bedürfnisse auf mögli{#| wohlfeilem Wege abgeholfen werde, ist die Veröffentlichung vergleihender Resultate ein wichtiges Mittel der Anpreisung des eigenen Geschäftes geworden. Für solche Ver- sicherungslustige, welcbe einer beftimmten Gesfellsbaft nicht aus dem einfahen Grunde ihrer Bekanntschaft mit dem Direktor oder ortsan- gesefsenen Vertreter si anschließen, sondern ihre Wahl erst treffen, nach- dem sie die Solidität und die Bedingungen mehrerer Anstalten prüfend abgewogen haben, genügt die Vergleichung der Tarife. die Nähe des Gesellschafts\sißzes, die Bequemlichkeit der Polizenzahlung u. dgl. niht mehr ; sie wollen auch einen Einblick in das Gesammt- geschäft thun, sie verlangen eine Art von Statistik der Anstalten. Diesem Verlangen kommen nun einzelne ihres Werthes bewußte Gesellschaften oder Verbände solcher alljährlih mit vergleichenden Darstellungen entgegen, die von den Agenten bereitwillig vertheilt, auch von den Versicherungszeitungen und theilweise von Organen für allgemeine Volkswirthschaft abgedruckt werden und begreifliher Weise in erster Linie so angelegt sind, daß fie einen für die verbreitende Anstalt günstigen Eindruck hinterlassen.
Ohne ein paar oberflächliber gehaltene Zusammenstellungen dieser Art zu erwähnen, weisen wir auf die zu besonderer Bedeutung gelangten Jahresübersihten über deutsce Lebensversicherung hin, welche einerseits von der Gothaer Anstalt, der ältesten in Deutschland, und andererseits von einer Mehrzahl verbundener Aktiengesellschaften mit großer Regelmäßigkeit im September oder Oktober veröffentlicht werden. Die Sorgsamkeit und statistische Unparteilichkeit, mit welcher beide ausgearbeitet zu sein pflegen, verdient Anerkennung, und es ist hôöchst wahrscheinli, daß sie einen großen MNuten nab zwei entgegengesectzten Richtungen ausüben : bezügli des Publikums durch Aufmunterung zu vernünftiger Versicherungsnahme, bezüglich der Gesfellsck{aften durch Anreizung zu Verbesserungen man- nigfacher Art. Den leitenden Anstalten einen Vorwurf daroo machen zu wollen, daß — unbeschadet der Richtigkeit des Zahblenmaterials — theils die Anordnung, theils der Text in geschickter Weise das cigene Verdienst leuten läßt, wäre ungerecht ; vielmehr würde es der Bolks- wohlfahrt von Nuten fein, wenn aub manche andere Gebiete ge- \chäftlicher Thätigkeit Seitens der konkurrirenden Unternehmungen mittels privater Untersuhungen und Veröffentlichungen besser erhellt würden.
Vergleiht man die beiden vollständigsten Privatübersichten der deutschen Lebensversicherungs-Anstalten mit einander, so fällt zunächst die abweichende Zahl der beschriebenen Gesellschaften ins Auge: die Tabelle der „Berliner Börsenzeitung“ nimmt einige Gesellsaften mehr auf, als die Gothaer Tabelle, und enthält {on deshalb höhere Zahlen, In der That ist es {chwer, die Grenze genau zu bestimmen, welche die gemächlichen Sterbekassen von den mit ausregendem Agentur- betriebe und mathematischen Berechnungen geshäftsmäßig arbeitenden Lebensversicherungs-Gesellshaften trennt; je enger man den Begriff der eigentlichen Lebensversicherung bestimmt, desto weniger Änstalten fallen in denselben hinein, und eine Sterbekasse kann ihre Opera- tionen sehr wohl gesteigert haben, ohne daß die Verfasser der all- gemeinen Uebersicht davon Kunde erhielten.
Lassen wir jedoch vorerst den Unterschied zwischen versichertem Kapital, dessen Empfang gewöhnlih den Erben einen mehr oder minder großen Theil der Erwerbskraft des Ernährers auch nach dessen Tode zu sichern bestimmt ift, und dem zur Bestreitung aller durch das Absterben selbs entstehenden Kosten dienenden Begräbniß- gelde außer Betracht und beschäftigen uns vorerst mit einem Lebens- versicberungszweige, der niht als eigentliche Lebensversicherung und darum von den angesehensten Versicherern nicht für gleihberechtigt angesehen, deshalb in den Zustammenstellungen aub nur nebenher berücksichtigt wird, wir meinen die Versicherung auf den Erlebensfall.
Besondere Formen dieser Versicherungsart find die Altersver- sorgung, die Brautausstattungs-, die Militärdienst-Versicherung, die Kinderversorgung sowie die am wenigsten dem Versicherungswesen angehörige Sparkassenversicherung. Abweichungen in den Tarifen und sonstigen Bestimmungen kommen dabei fast ebenso zahlreich oder gar noch häufiger vor, als bei der Kapitalversicherung auf den Todesfall ; dieselben zur statistishen Darstellung zu bringen, verbietet sih aber schon durch die Seltenheit genauer Ausweise.
Dem gesammten uns vorliegenden, theils in jenen Zusammen- stellungen enthaltenen, theils aus den Originalberichten selb ge- wonnenen Materiale entnehmen wir nun», daß zu Ende des Jahres 1883 zusammen 198 610 286 Æ Ausfsteuern oder Kapitalien auf den Erlebensfall versibert waren, nämli:
a. bei 20 gegenseitigen Anstalten, von denen dret
nicht zugleich auf Todesfall versichern und eine Die LOBTCIE O U N b bei 18 Aktiengesellschaften, von denen eine nit auf Todesfall versichert und die Erlebensfall- Aera ut A IOUOISS0S
Ergänzt man durch Anwendung von Mittelzahlen auf die nicht vollständig berihtenden Gesellschaften die von 15 gegenseitigen An- stalten mit 57 219 und von 16 Aktiengesellsbaften mit 53 734 Po- lizen oder Personen angegebene Zahl der Versicherungen auf 61 000 bezw. 55 500, so erhält man als Gesammtdurchschnitt einer Polize 1705 Das bei der Erreichung eines vorher bestimmten Lebens- alters zu empfangende Kapital ist also immerhin ansehnlich genug, um der Privatwirthscchaft des Empfängers aufzuhelfen. j
Dur Hinzurechnung des muthmaßlihen Bestandes bei einer Aktiengesellschaft, welche behar:lih ihre Versicherungssummen auf Todes- und Erlebensfall zusammenwirft, erhöht ih das versicherte Gesammtkapital auf rund 2084 Millionen Mark wovon nur etn geringer Betrag bei anderen Gesellschaften rückversichert ist. Außer- dem führen 4 Aktiengesellschaften noch Tontinen oder Kinderverfor- gungs-Kafsen mit 10 687 Mitgliedern und 5496 523 A Vermögen am Jahres\chlusse auf. Ob und in welchem Umfange auch unter obiger Summe bloße Tontinen enthalten sind, haben wir nicht zu erfabren vermocht. Hierher gehören endlich die gemischten, d. h. die- jenigen Todesfallversicherungen, bei denen das Kapital {on vor dem Tode, sobald ein vorher bestimmtes höheres Alter erretcht wird, zur Zahlung gelangt. Unsere Quellen geben an:
bei 10 Gesellschaften auf Gegenseitigkeit 239 906 405 A und Allien . .. W682 289..
zusammen 444 778 694 M
Nicht hierunter begriffen sind solce Todesfallversicherungen, die bei der Erreichung eines sehr hohen Alters, meistens wohl von 90 Jahren, statutengemäß ohne Weiteres, und ohne erhöhte Prämien vorauszusetzen, zur Zahlung gelangen.
Kunft, Wissenschaft und Literatur.
Als LXV. Band der „Internationalen wissenshaft- lihen Bibliothek“ ist im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig
94 091 424 MÆ
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ershienen: „Die Säugethiere in ihrem Verhältniß zur Vorwelt“*, von Oscar Schmidt, Professor an der Universität zu
Straßburg. Der Verfasser ist ein entshiedener Darwinianer, „der die Entstehung einer Seefeder in der Südsee ohne Vorfahren“ vollkommen gleich einem Individuum, welches sein Dasein im nördlichen Ozean denselben unbekannten Vorgängen verdanke, ohne Vorfahren, für un- möglich und Adams Werden aus dem Erdenkloß für unwahrscheinlich hält, für den die Alternative, ob der Mensch erscaffen oder ent- wickelt sei, bei unecingeshränktem Gebrauch des Verstandes überhaupt nit mebr aufzuwerfen ist.“ Das vorliegende Buch foll nun in einen abgeschlossenen Ganzen die Beläge für die Nothwendigkeit, die Wahr- beit und den Werth des Darwiniësmus, als der Begründung der Abstammungslehre auf einem beschränkten Felde, erweitern und bis in die neueste Zeit fortführen. Der Verfasser bespricht deshalb in einer ausführlichen Einleitung die Stellung der Säuger im Thierreih, erörtert die Konvergenzersbeinungen und die untersheidenden Merkmale der Säugethiere, weist dann nab, wie sich seit Cuvier, dem Gegner der Descendenzlehre, das paläontologishe Wissen zu Gunsten des Darvinismus, erweitert habe, und {ließt mit einer Uebersicht der Scichtenreihe der an Säugethieren besonders reihen Tertiärformation. Bei der speziellen Vergleihung der lebenden Säugethiere und ihrer Vorfahren, zu dem Zweck, das Gewordene aus dem Werden zu erklären, folgt der Verfasser der systematischen von der niedrigsten zu den höheren Formen aufsteigen- den Reihe: Gabelthiere oder Monotremen, Beutelthiere, Zahnarme, Hufthiere (Paarhufer: Schweine, Slußpferd, Wiederkäuer : Kamele, Hirsche, Hoklhörner: Antilopen und Rinder; Unpaarhufer: Tapir und Nashorn, Pferde), Elephanten, Seekühe oder Sirenen, Wale, Fleish- fresser, Nobben, Insektenfresser, Nager, Fledermäuse, Halbaffen, Affen, Mens der Zukunft. Man muß anerkennen. daß der Verfasser seines entshiedenen Standpunkts ungeachtet, cin Werk streng wissenschaft- lih gehalten und, statt Hypothesen aufzustellen, lieber die Lücken in dem System offen anerkannt hat. So enthält er ich auch jeder Er- örterung der Frage, ob der Mensch von dem Affen abstamme, umso- mehr als die anthrorologishe Forschung seit einem Jahrzehnt fi keines entscheidenden Fortschritts - in dieser Richtung rühmen könne. Durch diese Beschränkung hat der Verfasser mit seinem Werke die Zoologie in dankenswerther Weise bereichert ; seine aründlichen, quellen- mäßigen Studien werden auch dem Gegner interessant und lehrreich sein, und ihre Veröffentlihung wird zur Erhellung der immer noch schr dunklen Materie beitragen. Der Text des Werks ist dur 51, von der Tochter des Verfassers sehr geschickt gezeichnete osteologische Abbildungen erläutert, auch fehlt es nit an ausführlihen Namens und Sachregistern.
— Von! „Hackländers Soldatengeschichten“, illustrirt von Emil Rumpf (in Lieferungen zu je 40 H bei Carl Krabbe in Stuttgart) liegen nunmehr die Lieferungen 18—22 vor. Jn der 20. {ließt der „Feuerwerker Wortmann“; außerdem enthält die Liefe- rung noch den „abgerissenen Knopf“ und die „erste Wache.“ Mit der 21. Lieferung beginnt eine neue Serie Soldatengeschibten, und zwar zunächst „ein Tag bei dem Manöver“. Auch diese Hefte sind mit trefflihen, den humoristiswen Text illustrirenden, Abbildungen ausgestattet. Der 21. Lieferung ift überdies ein \{öner Farbendruck beigegeben.
— Im Verlage von Julius Springer, Berlin, erschien soeben der „Forst- und Jagdkalender 1885“. ODreizehnter Jahrgang, herausgegeben von Dr. F. Judeih und H. Behm, — in zwei Theilen. Der vorliegende I. Theil ist dur Hinzufügung des katholischen Kalenders vermeht. Formulare und Tabellen haben diesmal Aenderungen nit erfahren. Beide Ausgaben A. und B. haben ihre bestimmten Liebhaber gefunden und sollen deshalh auch fort- geführt werden. Der I. Theil ist in 2 Ausgaben erschienen : Ausgabe A Scthreibkalender (106 Seiten) wie bisher: 7 Tage auf der linken Seite, rechte Seite frei. (Preis in Leinwand 2 H, in Leder 2,90 A); Ausgabe B Shhreibkalender (184 Seiten) auf jeder Seite nur 2 Tage. (Preis in Leinwand 2,20 , in Leder 2,70 M.) — Die uns vorliegende Ausgabe B zeigt eine gediegene und geschmadckvolle Ausstattung; auf die Dauerhaftigkeit des Einbandes ist besondere Nücksiht genommen. Der reichhaltige Inhalt weist folgende Num- mern auf: Zunächst einen Uebersichtskalender, dann eine Tafel zur Stellung einer Uhr. Notizen für Forstwirthschaft, Jagd und Fischeret. Jagdkalender. Schreibkalender. Liniirtes Papier. Ferner For- mulare: Notizen aus dem genehmigten Forst-, Kultur- und Ver- besserungéplane 2c. Notizen aus dem genehmigten Hauungsplane 2c. Schlägerlöhne und Holztaxen. Rügebuch (Frevellifte). Scbießlifte. Eine wichtige Zugabe enthält der Kalender in seinem Hülfsbuch, einer Zahl ver|chiedener Tabellen und Notizen, so: Formeln zur Berechnung der wichtigsten Flächen und Körper. Malzentafel. Kreis- fläbentafel. Messentafel für Nadelholzklötze nah Oberstärke. Messen- tafeln für Fichtenstangen nah Unterstärke. Massengehalte der Schicht- messe und des Reisigs. Ertragstafeln. Brusthöhen, Formzahlen. Derbholzmesser von Mittelbäumen. Rundholz-Zopf-Durchmesser für scharfkantig beschlagene Hölzer. Hülfszahlen für Aufstellung von Kul- turplänen. Samenmenge für 1 ba. Pflanzenmenge für 1 ha. Ent- fernungen beim Umschulen der Pflanzen. Nachweisung der von Saatkämpen zu erwartenden Menge brauhbarer Holzpflanzen, sowie der für diese erforderlihen Größe der Pflanzkämpe. Kostensätze für Dünenkultur. Das Gefälle einer Linie. Tafeln über die erfahrungs8- mäßigen Säße bei Waldwegbauten. Notizen und Hülfszahlen für Bausachen. Tafeln zur Berechnung von Kapital und Zinswerthen bei Annahme von Zinseszinsen. Gewichte der Rinde und des Holzes. Kostennachweisung über Anfertigung von Theerringen. Allerlei Zah- len. Vergleichung alter und neuer Maße, Bestimmungen über die Einführung gleicher Holzsortimente und einer gemeinschaftlichen R: h- nungseinheit für Holz im Deutschen Reih. Der Zahnwechsel des Rothe, Dam- und Rehwildes. — Das hbandliche und praktische Buch wird nah wie vor in Fachkreisen willkommen sein.
Gewerbe und Handel.
Der „Schlesischen Ztg.“ wird vom oberschlesischen Stein- kohlenmarfkt geschrieben: Da die kfältere Witterung in der verflossenen Woche anhielt, vermochte sih auch die Lebhaftigkeit auf dem Kohlen- markte zu behaupten. Die Nachfrage für Hausbrandkohlen ist in den Vordergrund getreten und macht sich in den verschiedenen Sorten, namentlich gröberen Nuß- wie Würfelkohlen, intensiv geltend. Die Haldenvorräthe haben si an mehreren Stellen des Reviers anfehn- lih vermindert und verschiedene Zeben sahen sich zur Befriedigung der Nachfrage veranlaßt, die Gewinnung mit Tag- und Naht- {ichten zu belegen und auch des Na@ts zu fördern. Der Ab- ja kleinerer Kohlenkörnungen hielt mit der J roduktion gleichen Schritt, auch Kokes finden guten Absatz, können sih jedo, da sie leiht erhäâltlich, im Preise nicht befestigen. Da die Kohlengruben dem Bedarfe gegenüber sich willig verhalten, so haben Preiserhöhungen bisher niht \tattgefunden. Die Absatverhältnisse liegen zur Zeit ziemlih gleihmäßig sowohl für die Gruben der centralen Reviere, als auch für diejenigen des östlihen Nevieres und der Gebiete von Nicolai und Rybnik ; der Westen des Revieres befand \ich insofern in einer elwas besseren Lage, als sih dort der Waggonmangel nicht fo sehr fühlbar mate, als in dem centralen und Ostrevier, das leßtere auch dadurch jeßt ein Absatgebiet verliert, als die Wafserver- frahtungen \sich ihrem Ende zuneigen. Jn der Erwartung eines größeren Absatzes durch die demnäwstige Inbetriebsezung der JIwan- gorod-Dombrowaer Eisenbahn hatten die Gruben, welche in dem an Oberschlesien angrenzenden Theil Russish-Polens belegen sind , die Kohlenförderung ausgtiebiger betrieben „Und dadur größere Bestände als in anderen Jahren angesammelt. Ein beträchtlicher Theil davon ift durch Selbftentzündung vor Kurzem in Brand gerathen und ift nah Inbetriebseßung der Iwangorod-Dombrowaer Eisenbahn ein ver- mehrter Export von obers{lesischen Gasfohlen mit Sicherheit zu er- warten. Myslowißgrube hat die zur Einrichtung der Kohlenwäsche bestimmten Baulichkeiten fast vollendet. Wandagrube im Myslowitz- Brzezinkaer Revier, welche ersoffen war, kommt wieder in Betrieb.
Danzig, 6. November. (W. T. B,) Die Einnahmen der Marienburg-Mlawkaer Eisenbahn betrugen im Oktober d. J. 236 500 6, mithin mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres
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