1884 / 286 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

wurde Superintendent Dieckmann in Verden mit 64 Stimmen gewählt, zum zweiten, weltlichen, Landes-Oekonomie-Rath von Kaufmann-Steuerwald mit 53 Stimmen.

Pastor Greve-Hannover überreihte in Gemeinschast mit dem Senator Liebrecht eine Petition von Gemeindemitgliedern und Kirchenvorftänden der Stadt Hannover: die Landes- synode dahin möge wirken, daß der Allerhöchste Erlaß vom 16. August, die Bildung der Schloßkirhengemeinde zu Han- nover betreffend, zurückgenommen werde. Bei der Ueber- reihung der Petition sprah Hr. Greve die Ansicht aus, daß in den nähsten Tagen wahrscheinlich noch Petitionen gleichen Znhalts an die Synode gelangen würden, denn dieser Erlaß habe in der Stadt Hannover viel Aufsehen gemacht und die Gemüther erregt; er bitte, die etwaige Berathung der Petition shon morgen auf die Tagesordnung zu seßen.

Die Petition fand genügende Unterstüßung in der Synode, wird also zur Berathung gestellt werden.

Nach Erledigung einer Anzahl von Urlaubsgesuchen wur- den die eingegangenen Scthriftstücke verlesen. Von Zastor Hoppe-Dsterholz ist eine Petition, betreffend die Geltend- machung des der Landessynode dur Erwiderungsschreiben vom 17. Februar zugestandenen Rechtes in Bezug auf die Trauungsliturgie.

Es entspann sih eine Geschästsordnungsdebatte über die Frage : ob der Geseßentwurf, die Umgestaltung der Konsistorial- behörden der Provinz betreffend, bereits morgen zweckmäßig auf die Tagesordnung geseßt werde. Abt Uhlhorn theilte mit, daß der Minister der geistlihen Angelegenheiten den Wu: sh geäußert habe, die Synode möge noch vor Weih- nachten sih über den Entwurf erklären. Ec (Nedner) bitte deshalb, den Entwurf möglichst bald zu berathen ; es sei do vielleicht cine Kommission zur Vorberathung nöthig, und so liege die Gefahr nahe, daß die Beschlußfassung bis nach Weihnachten sih verzögere, was er zu vermeiden bitte.

Dr, Brüel hätte zwar eine frühzeitigere Einberufung der Synode lieber gesehen, aber er ist damit einverstanden, daß der Entwurf bereits morgen im Allgemeinen berathen, indeß noch keine B-schlüsse über ihn gefaßt werden, weil die von der Kirchenregierung etwa werdenden Erklärungen zu dem- selben das Urtheil der Synode nur klären könn- ten. Zur Beschlußfassung sei aber reiflihere Ueber- legung nöthig. Nachdem Abt Uhlhorn sich damit ein- verstanden erklärt hatte, wurde die Sißung geschlossen. Der Plan der Königlichen Regierung über die Umgestaltung der Konsistorialbehörden für die evangelisch-lutherish? Kirche der Provinz Hannover, welhe mit dem 1. April 1885 in Wirksamkeit treten soll, hat folgenden Wortlaut : 1, Es besteht die Absicht, dur kirchenregimentlihen Erlaß des Landesherrn zu verordnen : A. daß die Konsistorien zu Osnabrück (A. C.), Stade und Otterndorf, der evangelishe Magistrat zu Osna- brück und das Kloster Loccum aujhóren, als Konsistorial: behörden für die evangelisch - lutherische Kirhe zu fun- giren, B. daß die kirhlihen Zuständigkeiten dieser Behör-

den betreffs der evangelisch - lutherishen Kirche künftig wahr- genommen werden: 1) bezüglih des Bezirks des Klosters Loccums durch das Konsistorium zu Hannover, 2) bezüglich des das Herzogthum Arenberg - Meppen und die Niedergraf- schaft Lingen umfassenden Theils des Konsistorialbezirks Osnabrück dur das Konsistorium zu Aurich, 3) bezüglich des übrigen Theiles des Konsistorialbezirks Osnabrück, sowie bezüglich des Bezirks des evangelishen Magistrats zu Osnabrück und der Konsistorien zu Stade und Otterndorf durch cin neu zu errihtendes Konsistorium, als dessen Siz Verden in Vorschlag gekommen ist, C. daß auf das leßtzedachte Konsistorium au die kirhlihen Zuständigkeiten übergehen, welche das Konsi- storium zu Hannover gegenwärtig in den General-Diözesen Lüneburg-Harburg und Hoya- Diepholz ausübt.

Sefterreich-Ungarn. Wien, 2, Dezember. (Presse.) Die österreichish-unga rische Zollkonferenz hatte heute Mittags unter dem Vorsig des Sektionschefs Szögyenyi eine mehrstündige Berathung, in welcher die Feststellung eines Entwurfs der Instruktionen für die demnächst beginnenden Vertrag sverhandlungen mit der Regierung Griechenlands in Angriff genommen wurde. Jn den morgen fortzusezenden Berathungen dürfte eventuell auch die Frage erörtert ‘werden, welche Maßnahmen Angesichts der geplanten Zollerhöhungen in Frankreich nothwendig erscheinen würden, nachdem die von der gemeinsamen Regierung im Namen der beiderseitigen, in dieser Frage völlig einmüthig vorgehenden Handels-Ministerien {on vor einigen Monaten in Paris gemachten Vorstellungen nur die Wirkung hatten, daß die französische Regierung die shon damals geplanten Zollerhöhungen auf Mehl, Getreide und Hornvieh blos ver- tagte, nunmehr aber dennoch durchführen will, und jeßt neuer- liche diplomatishe Schritte kaum irgend cinen Erfolg haben

würden. HDermannstadt, 2. Dezember, (Wien. Ztg.) Das Landes- Konsistorium hat heute

hiesige evangelische

den Beschluß gefaßt, eine Petition an das Abgeord- netenhaus zu richten: dasselbe möge im Sinne der allg e- meinen, den siebenbürgishen Landeskirchen geseb- li gewährleisteten Gleichberehtigung anläßlih der Beschlußfassung über den Gesetzentwurf, betreffend die Organisation der Magnatentafel als Oberhaus die evangelische Landeskirche, nah den gleichen Grund- säßen wie die römisch-katholishe Kirche des lateinishen und griehischen Ritus, die orientalishe und unitarishe Kirche dieses Landes behandeln und dieselbe, was das Vertretungs- reht im Oberhause anbelangt, nicht hinter die anderen Kirchen Siebenbürgens stellen.

: Pest, 2. Dezember. (Wien. Ztg.) Bei Fortseßung der Budgetdebatte im Abgeordnetenhause entwarf der Abg. Wolf (Hermannstadt) ein düsteres Bild der finanziellen und wirthschastlihen Zustände Ungarns und sagte: der Unterrichts-Minister habe selbst die Ueberzeugung ausgedrückt, daß Ungarn zu Grunde gehe, wenn es nicht zu einem industriellen Staate werde. Troßdem werde das Kleingewerbe dur die österreichische Fabriksindustrie zu Grunde gerichtet. Ungarn sei das ärmste und nach dier Türkei meist beskeuerte Land. Redner klagte über die Unterdrückung der Nationali- täten und die Außerachtlassung der Bestimmungen dieses Ge- seßes. Er acceptire das Budget, ohne jedoch hierdurch eine Vertrauenskundgebung sür die Regierung zu beabsichtigen. Béla Grünwald plaidirte für die Verwirklichung der Jdee des ungarisch:nationalen Staates, wofür sih aber der Minister-Präsident nicht begeistere. Er werde zwar nicht gegen die Spezialberathung des Budgets stimmen,

dieser Regierung aber vermöge er dasselbe nicht zu votiren. Jul. Lufkács plaidirte sür den Beschlußantrag der äußersten Linken, Eugen Gaál unterzog die Finanz- politik der Regierung einer abfälligen Kritik und {loß mit ciner ähnlichen Erklärung wie Grünwald. Hierauf nahm Minister-Präfident von Tisza das Wort, wies in glän- zender polemisher Rede auf die Seitens der Regierung zur Hebung der Landwirthschaft bereits getroffenen Maßnahmen hin und erklärte, daß die Regierung seit Fahren mit dem Gedanken der Ablösung des Schankregals beschäftigt sei, sih aber den geeigneten Moment vorbehalten müsse. Der Minister-Präsident trat entschieden für das gemeinsame Zollgebiet ein, nahdem ein abgesondertes Zollgebiet ebenso der ungarischen Landwirthschast wie der «Fndustrie abträglich wäre, und wies endlich in wirksamer Weise die Behauptungen zurü, daß er jemals in dunfkelen Kammern Politik gemacht habe, ferner, daß er im Jnteresse des ungarishen Staates und der ungarischen Nation mit rüdsichtsloser Tyrannei vorgehe und sich über Alles hinaus- seße. Der Minister-Präsident erklärte Grünwald gegenüber, er wolle auh jeßt keine Gewaltpolitik befolgen und stimme der Ansicht zu, man müsse das Uebel im Keime ersticken. Er verwahrte sich aber dagegen, daß, wenn er vom Hause die nöthigen Vollmachten verlange, um die sihtbaren Keime des Hasses zwischen den Rassen und Nationalitäten zu ersticken, die Opposition behaupte, daß dies ein grundloses Verlangen und nur der Vorwand sei, um Ausnahmemaßregeln zu erpressen. Der Minister bat das Haus, nicht abzuwarten, bis die Hora- Kloska oder eine anderartige Feier in Flammen die Gegen- wart des Uebels anzeige, sondern ihm die Mittel zu ge: währen, dasselbe im Keime zu erstiden. Er sei sich bewußt, stets ein Ziel vor Augen gehabt und mit allen Bemühungen angestrebt zu haben: die Verwirklihung und Konso- lidirung der ungarishen Staatsidee. Lebhaster, langanhaltender Beifall folgte der Rede des Ministers.

Schweiz. Bern, 2. Dezember. (Bund.) Der BeschGluß des Bundesraths in der Tess iner Angelegenheit lautet :

In Betracht, daß die Regierung des Kantons Tessin den Auf- forderungen des Bundesrathes {ließli dadurch nachgekommen ift, daß dieselbe die Fortsezung der ungültig erklärten Vollstreckung cin- stellte, daß sie ferner dem Herrn Enderlin die Steigerungssumme von 3100 Fr. anbot, mittels welcher derselbe dur das tessinishe Gesetz in den Stand geseßt war, das Grundstück zurück;ukaufen, und endlich daß die Regierung sich gegenüber dem Bundesrathe fogar anheishig machte, den Hrn. Enderlin, wenn nöthig, mit Gewalt wieder in den Besiß seines Eigenthums zu setzen. In Betracht, daß die Anerbietungen des Staatsrathes bei denen derselbe behaftet bleibt bis jetzt darum erfolglos geblieben sind, weil einerseits der Käufer des Grundstückes unterdessen Klage bei dem Bundesgerichte erhob und anderseits Hr. Enderlin die Annahme der Kaufsumme verweigerte, wenn thm nicht vorber cine Catschädigung für die Besitstörung bezahlt werde. Fn Betracht, daß dieses Entschädigungsbegehren bei dem Bundesrathe nicht gestellt und von ihm nicht zu erledigen is. In Betracht, daß unter diesen Um- ständen jedes weitere Verfahren, soweit es sich auf die Restitution des Grundstückes bezieht, von Seite der politisWhen Behörden einge- stet werden muß. Jn Betracht, daß der Staatsrath des Kantons Tessin für alle Folgen verantwortlich bleibt, welche aus seiner Weige- rung, die wiederholten Suspensionsbeschlüsse des Bundesrathes recht- zeitig zu vollziehen, entstanden sind, beschließt der Bundesrath ; 1) Der Staatsrath des Kantons Tessin bleibt für alle Folgen \cines Verhaltens, gemäß den in dieser Angelegenheit ergangenen Beschlüssen des Bundesrathes, verantwortlih. 2) Die von dem Staats- rath auf Anordnung des Bundesrathes verfügte Einstellung des Vollstreckungsverfähtens egen tie Munizipalität von Lugano wird aufrecht erhalten und es tebt dér in Händen des Staatsrathes liegende Kaufpreis zur Verfügung der Be- theiligten. 3) Der Bundesrath behält #ch den Entscheid in der Hauptsache vor, sobald der Nationalrath über die Gültigkeit der Wahl entschieden haben wird. 4) Der vorliegende Bescbluß wird dem Staatsrathe von Tessin, sowie der Munizipalität von Lugano durch den eidgenössischen Kommissär eröffnet. Hr. Kommissär Karrer wird ermäcbtigt, nah stattgefundener Notifikation des vorstehenden Be- \{lusses an den Staatsrath des Kantons Tessin und an die Munizi- palität von Lugano für einmal aus dem Tessin zurückzukehren. Gleichzeitig erhält das Militär-Departement den Auftrag, die ange- ordnete Piketstelung wieder aufzuheben.

Großbritannien und Jrland. London, 2. Dezember. (Allg. Corr.) Die Königin enthülite gestern in der St. Georgsfapelle des Schlosses Windsor das Grabmal des verstorbenen Dechanten von Windsor, Dr. Wellesley.

In der gestrigen Sißung des Unterhauses unter- breitete der Premier Gladstone dem Hause die Vorlage für die Neueintheilung der Wahlkreise. «Fn seiner einleitenden Nede erklärte der Premier: Das Haus werde sih erinnern, daß er vor 14 Tagen andeutete, daß wenn die Regierung es möglih fände, hinreichende Versicherungen zu zu erhalten, daß die Wahlreformvorlage unverzüglich erlediat werden würde, die Regierung nicht abgeneigt sein würde, eine Bill für die Neueintheilung der Wahlbezirke einzubringen und dieselbe so rasch als möglich zu erledigen, Er freue sich, mittheilen zu können, daß die Negierung hin- reichende Versicherungen, daß das Oberhaus die Wahl- reforinvorlage erledigen werde, empfangen habe, und indem er jeßt dem Hause die versprochene Bill für die Neueintheilung der Wahlbezirke unterbreite, freue er si, daß ein Streit, der das Land erregt und gespalten hate, in befriedigender Weise beigelegt worden sei. Der Premier erläuterte sodann die Details der Vorlage: Städte und Wahlflecken, deren Ein- wohnerzahl nit 15000 übersteigt, sollen in den Landbezirken aufgehen. Städte mit 15 000—50 000 erhalten einen, Städte mit 50 000—165 000 erhalten zwei Vertreter. Die Ver- tretung von London erfährt eine dur{greifende Veränderung: n der Nachbarschaft der Metropole werden sieben neue Wahl- flecken geschaffen, welhe unter sich aht Mitglieder wählen, wodur London 37 Vertreter im Unterhause echält. Liver: pool erhâlt 6 neue Mitglieder, Glasgow und Birmingham je 4, Manchester 3, Leeds und Sheffield je 2. Die City von London wählt, da ihre Bevölkerung des Nachts nicht 165 000 Seelen übersteigl, nur zwei Vertreter. Das Gesammtresultat der Neueintheilung erhöht die Zahl der Mitglieder des Hauses der Gemeinen um 12, giebt England 6, Schottland 12 neue Sitze und läßt die Vertretung von Jrland und Wales beim Alten. Jm Weiteren kündigte der Premier an, daß eine Kommission zur Eintheilung der Wahlflecken und Feststellung der Land- bezirke bereits ernannt sei. Die Arbeiten der Kommission würden wahrscheinlih zwei Monate in Anspruh nehmen und rechtzeitig zum Abschluß gedeihen, um ihre Ergebnisse nach den Weihnachtsferien des Parlaments der Bill einzuverleiben. Nach kurzer Debatte über gewisse Details der Vorlage

wurde dieselbe zum ersten Male gelcsen und die zweite Lesung auf nächsten Donnerstag anberaumt.

Die „Times“. sagt über die Bill: „Der in der gierungêmaßregel verkörperte Plan is einigermaßen verwidele obwohl die leitenden Prinzipien klar genug sind. Der Ein: druck, welchen Mr. Gladstone durh seine Analyse der Ye. stimmungen der Bill erzeugte, kann nicht in einige überstürzte Phrasen zusammengefaßt werden. Mit sehr wenigen Ays. nahmen sind die tonangebenden Männer beider Parteien vor- bereitet, den Plan im Geiste der Einführungsbemerkungen des Premier: Ministers aufzunehmen, und es wird sih zweifel. los finden, daß weder unter den vordersten Reiben der Opposition, noch auf den Ministerbänken die Neigun vorhanden ist, auch nur ein einziges Wort zu äußern, weldhes Parteigefühle oder Befürchtungen anregen, oder auf irgend eine Weise die Erinnerung an frühere Kämpfe zurückrusen könnte. Aber während derartige Erwägungen wahrscheinli die. Debatten des Parlaments begleiten werden , dürfte die Wirkung der Bill von unabhängigen Politikern mit L: mischten Gefühlen betrachtet werden, und über ihre Wirkung im Detail muß das öffentliche Urtheil vorläufig ausgeseßt bleiben.“

Der Finanz-Sekretär des Shaßzamts, Courtney hat sein Amt niedergelegt, weil das in der Bill für die Neueintheilung der Wahlkreise vorgeschlagene Sysiem, der Mehrzahl der Wahlbezirke nur einen Vertreter zu geben, nid gehörige Sicherheit für die Vertretung der Minoritäten biete,

Frankreih. Paris, 3. Dezember, Nachmittags. (W, T. B.) Jn parlamentarishen Kreisen glaubt man daß die Dringlichkeit für die Senats-Wahlreformvox: lage zurückgezogen werden wird. Der Gescßentwurf würde alsdann in fünf Tagen zur zweiten Lesung gelangen. Falls dabei das Kabinet die Vertrauensfrage stellen sollte, wäre die Verwerfung des Amendements Floquet wahrscheinli, Zwischen den Ministern und den Parteiführern finden gegenwärtig Besprechungen statt. Die Kom: mission für die Senats:Wahlreform und die Gruppe der republifanishen Union traten heute zu einer gemein: samen Berathung zusammen. Die Lage ist bis jeßt unver- ändert; eine Verständigung erscheint wahrscheinlich.

3, Dezember, Abends. (W. T. B.) Aus der heutigen Berathung der Kommission für die Senatswahl- reform geht hervor, daß die Kommission das A mendement Floguet als eine Erklärung von lediglich prinzipieller Natur, ohne wirklich prafktishe Bedeutung ansieht. Die Mehrheit in der Kommission ist den Ansi@zten der Regierung cünstig, Die republikanische Union erkannte einstimmig an, daß das Votum über das Amendement Floquet durchaus feine Kabinetsfrage involvire. Der Ministerrath hält heute Abend noch eine weitere Berathung.

Der „Temps“ sagt in einer Besprehung der engli- schen Anträge in der egyptischen Angelegenheit: dieselben kämen in der That der Errichtung des englischen Protektorats über Egypten gleich. Dasselbe Blatt demen- tirt die Nachricht von dem Austreten der Cholera unter den französishen Truppen auf Formosa, Das Jour- nal „Paris“ sagt: der Marine-Minister habe heute Vormittag ein Telegramm des Admirals Courbet erhalten, welches melde, daß der Gesundheitszustand auf allen Schiffen ein befriedigender sei.

4 Doezemver, fruh, (W. D. B) Dex Minister- rath trat gestern Abend 9 Uhr im Palais Elysée zusammen, um übér die Lage zu berathen, Die Berathung dauerte bis gegen Mitternacht. Auf dringendes Ansuchen des Prä- sidenten Grévy und der Minister erklärte sih der Minister des Fnnern bereit, auf seinem Posten zu bleiben. Der Ministerrath entschied \ic gleichzeitig dafür, die Wahlreformvorlage im Senat einzubringen und von Leßtterem die Annahme des von der Kommission der Deputirtenkammer acceptirten Systems zu verlangen. Der Minister-Präsident und der Minister des Jnnern werden heute in der Kommission der Kammer erscheinen.

Italien. Rom, 3. Dezember. (W,. T. D). Det „Dsservatore Romano“ schreibt: Die Einleitung der Note des spanischen Ministers des Auswärtigen, vom 22. Juli d. J., an die italienische Regierung, anläßlich der Pidal- Affaire, veranlaßte den Nuntius in Madrid, von dem Minister des Auswärtigen Aufklärungen zu verlangen, da die offizielle italienische Presse diese Note dahin interpretire, daß Niemand unter den spanischen Katho- liken die weltliche Macht des Papstes vertheidige oder felbst nur besprehe. Der spanische Minister des Auswärtigen richtete daraufhin eine Note an den Nuntius, worin er den wahren Sinn seiner Note vom 22. Zuli näher präzisiite und jede andere Jnterpretation zurückwies. In dieser Note erklärte der Minister, wie der „Osservatore“ weiter meldet: die gegenwärtige Regierung werde immer wie ihre Vor- gängerinnen handeln und auch das geringste Recht des Vatikans ahten. Die Regierung erkenne selbst an, daß ein beträhtliher Theil der politishen Elemente Spaniens nie aufgehört habe, einer weltlihen Macht des Papstes günstig gesinnt zu sein. Die Regierung des Königs Alphons fei fest entschlossen, die gegenwärtig bestehenden guten Beziehungen zu den Mächten aufreht zu erhalten; sie werde aber au, wenn dies noch mözlich sei, die Bande kindlicher Anhänglichkeit des Königs und seiner katholischen Unterthanen an den Papst noch mehr zu befestigen trahten. Die Note gab shließlich den Gefühlen des Ministers für die der ganzen Welt nothwendige Unabhängigkeit des Papstes Ausdruck. Nach diesen Auf: klärungen erklärte sich der Vatikan vollständig befriedigt.

Türkei. Konstantinopel, 4. Dezember. (W. T. B.) Der englische Geschäftsträger Windham hat gestern der Pforte eine Cirkularnote überreiht, welche die von England in Folge der Mission Northbrooks bezüglich Egyptens formulirten Vorschläge enthält.

Salonichi, 30. November. (A. C.) Neun bulga- rishe Protestanten aus dem Distrikt Strumnita in Macedonien, die von einigen orthodoxen Bulgaren beshuldigt worden waren, gewisse Briganten be- herbergt zu haben, wurden hier vor fünf Wochen ein- geliefert, und jeßt i} ihnen vor einem Kriegsgericht unter dem Vorsiß des Commandeurs en chef Hassan Pascha der Prozeß gemacht worden. Das Verfahren endete mit der Freisprehung der Angeklagten, da der Gerichtshof ermittelte, daß die gegen sie erhobene Anklage falsh und bös- willig war, und nur deshalb erhoben wurde, um Andere vom Uebergang zum protestantishen Glauben durch Einschüchterung abzuhalten.

ANmrerika.

Wäáshinaton, 1. Dezember, (Allg. Corr.) Dem Kongreß

ist die Botschaft des Präsidenten

Arthur übermittelt worden. Jn ihrem Eingange lenkt die- elbe im Hinblick auf den Ernst der jüngsten Präsidentenwahl die Aufmerksamkeit des Kongresses auf die Nothwendigkeit genauerer und definitiver Regulative _für die Zählung der Mahlstimmen. Dann fährt die Botschaft fort : „Die Beziehun- gen der Vereinigten Staaten mit fremden Ländern sind freundschaftlicher Natur. Die Feindseligkeiten zwischen Frank- reich Und. China bilden fortgeseßt eine Verlegen- heiten vereitende Phase unserer östlihen Beziehungen. Die jüngste Erwerbung der großen chinesischen Handelsflotte Sei- tens der Vereinigten Staaten hat unseren kommerziellen Ein- fluß im Osten wesentlich erhöht. : Jm Weiteren empfiehlt die Botschaft die Wiederherstellung eines General: Konsulats der Vereinigten Staaten in Cairo auf der früheren Basis und ladet den Kongreß ein, Schritte zur Vollendung bes Sockels von Bartholdi's Statue der Freiheit zu thun. Ferner schlägt sie die Anknüpfung von Unterhanolungen : für einen ganz Deutschland umfassenden einzigen Aus- lieferungsvertrag vor. , Den Zwischenverkehr mit Grofß- hritannien bezeichnet die Botschaft als höchst freund- lich. Sie begünstigt die Fortdauer des mit Hamwaii be- stehenden Gegenseitigkeitsvertrages für weitere 7 Jahre. Die Botschaft sagt: es würde angezeigt sein, zu erwägen, ob der Unterschied, der gegenwärtig zu Gunsten der Erzeugnisse amerikanisher Künstler im Auélande gemacht werde, nicht die thatsächliche Ausschließung amerikanischer Maler und Bild- hauer von den Vortheilen, die sie bislang im Auslande ge- nossen, zur Folge haben dü: fte. Mit Nicaragua sei ein Ver- trag ges{chlossen worden, welcher die Anlegung eines Kanals, einer Eisenbahn und eines Telegraphen querüber Nicaragua Seitens der Vereinigten Staaten autorisirt. Der Nicaragua- See und 69 Meilen des Flussés San Juan werden einen Theil des projektirten Unternehmens bilden, wödurch für die An- legung des Kanals nur 17 Meilen am Ufer des Stillen Ozeans und 36 Meilen ain Ufer des UAtlantishen Ozeans verbleiben. Die Botschast sagt ferner, daß die Beamten der Regierung angewiesen worden sind, Verleßungen der Neutralitätsgeseße gegen Kuba in Key-West und anderwärts in der Náhe der kubanischen Küste zu verhindern. Der spa- nisch-amerikanische Handelsvertrag werde dem Kongreß bal- digst unterbreitet werden, und die Unterhandlungen für den Abschluß eines kommerziellen Gegenseitigkeitsvertrages mit Dominica seien zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht worden. Gewisse Fragen mit der Türkei harrten noch der Lösung, und den Beschwerden amerikanischer Bürger fei kein befriedigender Redreß ‘von der Pforte zu Theil geworden, die dem amerikanischen Handel das Recht der Behandlung der meist begünstigten Nation vorenthalte. Mit Bezug auf die an Amerika erlassenen Einladungen, an internationalen Aussiel- lungen sich zu betheiligen, namentlih an der, welche im Mai 1885 in London abgehalten werden soll, empfiehlt die Bot- haft, dem Präsidenten allgemeine discretionäre Gewalten zu verleihen, dieselben anzunehmen und CEhren-Komniissare zu ernennen. Die Botschast befürwortet die Einführung revidirter internationaler Bestimmungen für die Verhinderung von Schiffszusammenstößen auf offenem Meere und eines inter- nationalen Verlagsrehtes. Ferner empfiehlt sie eine Erweit-- rung des Spielraumes der Neutralitätsgesete, um alle in Amerika verübten offenen Akte der Feindseligkeit, die gegen befreundete Nationen gerichtet sind, zu decken. Der moderne Erfindungsgeist liefere die Mittel , Feindselig- keiten ohne offenen Rekurs zu armirten Schiffen oder Kreuzern zu ouganisiren ; allein es sei kein Grund vor- handen, warum offene Vorbereitungen in Amerika für die Verübung verbrecherisher Handlungen nicht strafbar sein sollten, gleichviel ob dieselben in Amerika oder in einem fremden Lande, mit welchem die Vereinigten Staaten in Frieden leben, verübt werden sollen. Die Botschaft fügt hinzu, daß die prompte und gründliche Behanv!lung dieser Frage die nationale Ehre eng berühre, und daß die Naturali- sationsgeseße einer Revision bedürfen, Sie stimmt überein mit dem Vorschlage des Schaßzsekretärs McCulloch auf eine unverzügliche Suspendirung der Prägung von Silberdollars und Ausgabe von Silbercertifikaten und theilt auch dessen Anschauungen über die Silberfrage. Die Botschaft sagt: Sollte Silber die Metauüwährung werden, so kann die Handelsstörung und die Gefährdung des nationalen Kredits, die dadur veranlaßt werden würde, kaum geschäßt werden. Während Handelsdollars aufgehört haben, ein Element thätiger Störung in unserem Geldumlaufssystenm zu sein, sollte irgend welche Fürsorge für deren Uebergabe an die Regierung ge- troffen werden, Die Botschaft befürwortet wiederholt die Ab- shaffung der Accisesteuer, ausgenommen auf destillirte Spirituosen und hebt hervor, daß die Einkünfte nicht allein hinreihen würden, vernünftige Ausgaben zu bestreiten, sondern auch einen genügenden Ueberschuß zu gewähren, um eine räthliche Tarifreduktion zu gestatten. Die Botschaft stimmt mit Mr. Mc Culloh überein betreffs der Schiffahrts: frage und der Ernennung einer Kommission zur Erwägung der Mittel zur Hebung des ausländischen Handels, Sie be- lont die Wiederherstellung der Viarine und die Ergreifung von Maßregeln zur Abschaffung der Vielweiberei in Utah, Sie deutet die allgemeinen Prinzipien an, welche den An- strengungen zur Ausbreitung des ausländischen Handels zu Grunde gelegt werden sollten. Die Botschaft dringt auf die Ergreifung von Maßregeln gegen die Einschleppung der Cholera und empfiehlt {ließlich, dem General Grant eine Pension auszusetzen.

3, Dezember. (W. D. B.) Dem Senat ist eine Vorlage, betreffend die Suspendirung der Prägung von Silberdollars, zugegangen.

Afrika. Egypten. Kairo, 1. Dezember. (Allg. Corr.) Lord Wolseley hat den nachstehenden Tagesbefehl an die Front gesandt, mit der Weisung, denselben an der Spiße jedes Regiments und Bataillons, vor jeder Batterie und jedem abgesonderten Truppenkörper an drei hintereinander folgenden

agen zu verlesen:

„An die Soldaten und ‘/tatrosen der Nil-Expedition!

_ Der Entsat General Gordons und feiner Garnison, die so lange in Khartum belagert sind, ist die rühmliche Aufgabe, mit der die Königin uns betraut hat. Es ift ein Unternehmen, welches das H rz jedes Soldaten und Matrosen, der glücklich gezug ist, sich daran betheiligen zu dürfen, stärker klopfen macht. Ja, die Größe der vor uns liegenden Schwicrigkciten spornt urs nur zu er- öhten Anstrengungen an. i

Wir Alle sind stolz auf General Gordons tayfere, selbst auf- opfernde Vertheidigung von Khartum, welche, wenn dies möglich UE, seinen bereits großen Ruf noch erhöht hat. Er kann sich nicht viele

onate länger balten, und verlangt von uns die Rettung seiner Garnison. etn Heldenmuth und Patriotismus sind \sprihwörtlich, wo immer unsere prache gehört wird, und seine Sicherheit ist nicht nur eine Sache

von nationaler Bedeutung geworden, fondern die Kenntniß, daß ein tapferer Kamerad hülfsbedürftig ist, drängt uns au dazu, mit doppelter Energie vorzudringen. Weder er noch seine Garnison dürfen dem traurigen Gescick überlassen bleiben, welches seinen tapferen Waffengefährten, Oberst Stewart, ereilte, der bei der Ausführung eines mit ungewöhnliher Gefahr verknüpften Unternehmens graufam und verrätherisch hingemordet wurde. Wir können, und mit Gottes Hülfe werden wir General Gordon vor einem solchen Tode retten.

Unsere Bewegung diesen Fluß aufwärts erfordert unge- heuere Anstrengungen, und dieselben ohne Murren zu tragen, erfordert die höchsten soldatishen Eigenschaften jene Berachtung der Gefahr, und jene Entschlofienheit, Schwierigkeiten zu überwinden, welche in früheren Feldzügen sämmtliche Rangstufen in Ihrer Majestät Armee und Marine in fo hohem Grade ausgezeichnet haben. Die phy- sischen Hindernisse, welche unser rasches Vorrücken beeinträchtigen, find beträchtlih ; doch wer legt darauf allzu großes Gewicht, wenn wir daran denken, daß General Gordon und seine Garnison in Gefahr sind? Nächst Gott liegt deren Sicherheit jeßt in Euecen Händen und, fromme was da wolle, wir müssen sie retten. Es ist unnöthig, bri- tishen Soldaten und Matrosen mehr zu sagen.“

(W. T. B.) Das „Reuter\sche Bureau“ meldet in Be- zug auf die von ihm über den Tod des Mahdi gebrachte Nachricht, Daß, nach einer Depesche aus Kairo vom 3., bis jeßt weder dem Khedive n och dem General-Konsul Baring von Wolseley oder von dem Mudir von Dongola eine Nachriht über den Tod des Mahdi zugegangen sei.

Zeitungsftimmen.

n der „Berliner Börsen-Zeitung“ lesen wir:

Folgendes wird aus Friedberg gemeldet: Am 28. November rwoar eine größere Anzahl nationalliberaler Gesfinnungsgenossen in der Wirthschaft des Hrn. Franz Steinhäußec, dem alten Stammquartier unserer Partei am hiesigen Playe, am „runden Tisch“ zum Abend- {{oppen vereinigt. Das Gespräch bildete Bismarcks leßte Rede, und machte sich der Wunsch geltend, an den Reichskanzler, der mit alt- bewährter Meisterschaft die Gegner so glänzend abgefertigt hatte, ein Beglückwünschungstelegramm zu entsenden. Dieser Vorschlag fand all- scitigen Anklang und wurde ein folches Telegramm unter Bezugnahme auf den Pyrrhusfieg, den die Deutsch-Freisinnigen und ihr Kandidat der Bereinigung der heterogenstcn Elemente zu danken haben, alsbald ab- gesandt. Der Reichskanzler beantwortete dieses Telegramnt alsbald mit folgendem Schreiben: '

„Hrn. Franz Steinhäußer, Wohlgeboren ¿u Friedberg. Für die freundliche Begrüßung durch Ihr Telegramm danke ih verbindlichft, und hoffe, daß die Herren vom runden Tische ih durch die erlittene Niederlage nicht den Muth nehmea lassen, für die wirthschaftliche und politische Kräftigung des Reiches mit Erfolg fortzuwirken.

Berlin, 30. November 1884, von Bismark.“

Die „National- Zeitung“ sagt in einer Be- sprehung der gestrigen Reichstagssißung in Betreff des An- trages des Centrums auf Aushebung des Neichsgeseß28 über die Juternirung und Ausweisung von Geistlichen:

. ._. Ueber den mit 217 gegen 93 Stimmen angenomznen en Antrag selbst braucht kaum noch ctwas gesagt zu werden. Wir haben ihn, seit er zuerst vor drei Jahren gestellt wurde, immer als die bloße Demonstration zu Gunsten des Cen- trums betrawtet und bekämpft, als die Fürst Bismarck ihn heute er spra drastish von einem aufgesteckten Geßlerhut, der begrüßt werden solle fennzeihnete. Das Geseß ist seit Jah- ren nicht angewendet worden, und die ganze Situation spricht gegen die Vermuthung, daß scine Wiederanwendung bevorstehen könnte. Alle davon betroffenen Personen sind -amnestirt worden bis auf 27, die, wie der Kanzler heute sagte, verschollen sind, betreffs deren die Aufhebung der Folgen des Geseßes weder von ihnen felbst, noch von einem Bischof beantragt worden. Die formelle Abschaffung ge- rade ’diescs Gesetzes ift also sicher nit eilig. Dazu kommt, daß die verscbicdenen Bestimmungen desselben keineswegs gleihmäßig zu beurtheilen find; manche gehen unbedingt zu weit, andere dagegen find für den Fall erncuter, konsequenter Gesetzverahtung Seitens des Klerus durchaus der Beibehaltung werth. Ünd endlich ist es doch cine höchst seltsame Prozedur, das zum Vollzug der preus- ßishen kircenpolitischen Geseße bestimmte Mittel ohne Rücksicht darauf zu beseitigen, wie weit diese selb noch in Kraft bleiben. Wenn Angesichts dieses Standes der Dinge der Antrag Windthorst uns immer als die Demonstration zur Erhöhung des klerikalen An- schens und zur Verstärkung der vatikanishen Prätentionen erschien, als die der Reichskanzler ihn heute darstellte, so haben wir es immer bedauert, daß zuerst cin Theil der Linksliberalen, dann sie allesammt dem Antrag ihre Unterstüßung lichen. JInmitten - der Wirren einer solchen Lage müssen unseres Erachtens blos taktische Erwägungen, wie sie die Opposition wohl zur Zustimmung zu dem Antrage führen Tönnen, in den Hintcrgrund gedrängt werden durch die Ueberzeugung von der Scbädlichkeit des Dominirens der klerikalen Partei in unserm öffentlihen Leben und demgemäß von der Notbwendigkeit, die Re- gierung zu unkerftüten bei jedem Versuche, den sie macht, auf der Bahn der Zugeständnisse an den Klerikalismus einzuhalten. Man brau, um folche Unterstüßung zu leisten, sich durcbaus keiner Selbsttäuschung über die Unsicherheit derartigen Haltmachens hinzu- geben: aber ebenso mißiih, wie solche Jlusionen, dünkt es uns, durch die Betheiligung an Demonstrationen für die klerikalen Ansprüche irgend A Verantwortlichkeit für weitere Befriedigung derselben zu übernehmen. .

Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“

{reibt : Die „Neue Freie Presse“

in Wien is ein unverdäwtig- freihändlerisces Organ; diesem Blatte erstattete sein Londoner Cor- respondent kürzlich folgenden Citybericht, betreffend die deutsche Kon- kurrenz auf dem Weltmarkte, der den in Pessimismus s{welgenden Organen der deutschen Freihandels\{hule zur Beachtung empfohlen zu werden verdtent :

„Cin ganz eigenthümlihes Gefühl der Unbehaglichkeit macht ih in allen Citykreisen, ober, wenn ih mich ribtiger ausdrücken will, in allen Gescbäftskreisen und Mittelpunkten des Handels, sowie der Industrie Großbritanniens bemerkbar. Dieses Gefühl kann nicht nur als eine vorübergehende Aufwallung, als eine Erregung „von gestern auf heute“ bezeichnet werden, welche wieder ebenso {nell vecs{winden fönnte, sondern als eine weit tiefer sitzende Empfindung der Unsither- heit. der Besorgniß bezüglih der leitenden St-Uung Englands, welche dasselbe bis heute auf den Märkten der Welt eingenommen hat. Die Befürchtung, daß Großbritannien diese Position - ver- lieren könne, ergrcift immer größere Kreise, und Hunderte von Anzeichen kommen zum Vorschein, daß die Besorgniß keine ganz grundloje ist. Die kommerzielle Welthercsbaft Großbritanniens ift ernstlich bedroht, und der große Rivale, der England in den Schatten zu ftellen, zu verdunkeln sich anscbickt, ist Deutschland Der britishe Kaufmann kann in den leßten Jahren keinen Bericht irgend eines englischen Konsuls aus irgend welchem Theile ter Welt in die Hand nehmen, ohne darin die ominösen Klagen zu lesen, daß der deutsche Handel dem englischen daseibst die gefährlichste Konkurrenz bereite. Aus China und Japan wie von Australien nnd dem Kap lauten diese Berichte immer gleich in demselben Sinne, und heute zufällig finde ich in der offiziellen „Gazette“ wieder Konsularklagen des nämlichen Inhalts aus Tanger in Marokko, aus Guatemala und Brasilien. Ueberall ist der Deutsche auf dem besten Wege, dem Engländer den Rang abzu- laufen, wenn nit gar den Letzteren von dem Markte zu verdrängen. Die Berliner Börse beginnt die Führung auf einem Gebiete des Geldweltmarktes, nämlich dem der auswärtigen Staatsanlechen, zu übernehmen, welches bisher fast das ausschließliche Monopol des Londoner Geldmarktcs war, und die Thatsache, daß gerade jeßt in Berlin die Kongo-Konferenz eröffnet wurde, muß dem britischen Kauf «

manne gac deutlich den Beweis vor die Augen führen, daf au auf einem Felde, auf dem noch bis vor ganz kurzer Zeit der englische Ein- fluß allein und aus\{ließlich entsheidend war, eine andere Mat die Führerrolle übernommen hat. Aus allen diesen Sründen, zu welchen noch das Bewußtsein der Juferiorität der englishcn Kriegéflotte sich gesellt, mawen heutzutage die Berichte von dem Mangel an Be- schäftigung der Arbeiter sämmtlicher Schiffêwerften Englands und Schottlands, die Meldungen des \{leckten Geschäftes von Bristol bis Dundee einen viel tieferen Eindruck auf die City, auf die Ge- \{äftswelt Englands überhaupt, als in früheren Zeiten. Man er- blickt in diesen Berichten nur weitere Symptome eines Zurügehens des englischen Handelsprefstizes überhaupt, und der britishe Löwe wird alle seine Kräfte anstrengen müssen, um nicht von seinen Ri- valen, die ihm gar {arf auf den Fersen sitzen, ganz aus dem Felde geschlagen zu werden.“

_ Dazu bemerkt die „Deutsche volkswirthschaftlihe Cor- re]pondenz“:

„Wir sind begierig, ob unsere Freihändler es auch fernerhin noch wagen werden, die Wirthschaftspolitik des Reichskanzlers als eine ver- fehlte binzustellen, und uns in allen Dingen das Vorbild Englands zur Nachahmung zu empfehlen. Daß übrigens die oben citirten Be- rihte der englishen Konsuln Aufnahme in die freihändlerische „N. F. Pr.* gefunden haben, beweist, daß dieses Blatt sich trotz aller seiner sonstigen Sünden ein größeres Maß von Objektivität und Unparteilichkeit bewahrt hat, als jene Zahl freihändleri1cher deutscher Blätter, welche ihre Spalten am liebsten mit solchen Nachrichten und Betrachtungen füllen, welche in grober Fälschung der Thatsachen ein Zeugniß gegen die Richtigkeit der Politik des Reichskanzlers enthalten.“

Nr. 48. Inhalt : Bahnhofes Limburg

Centralblatt der Bauverwaltung Nichtamtliches: Die Wasserversorgung des a. d. Lahn. Die Seine-Speicher in Paris.

Statiftische Nachrichten.

Die überseeishe Auswanderung Deutscher über deutsche Häfen und Antwerpen betrug in der Zeit von Anfang Januar bis Ende Okkober 1884 135 (90 Personen, d. i. 18 3/4 Personen weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, während dessen 153 394 folche Aus- wanderer gezählt wurden, während deren Anzahl sich in den ersten 10 Monaten des Jahres 1882 auf 179 443 und des Jahres 1881 auf 174 801 belief.

Den „Nachrichten üter Industrie, Handel und Verkehr“, wel{e von dem stalistischen Departement des österreihishen Handels- Ministeriums herausgegeben werden, entnehmen wir folgendes aus der Statiitik des österreichischen Telegraphen tm Jahre 1883. Die Gesammtlänge der Staats-, Eisenbahn- und Privat-Telegraphen- linien des öôsterreihishen Staatsgebiets betrug Ende 1883 26 464,89, jene der Drähte 95 965,46 km, davon entfielen auf die Staatsver- waltung 23 769,47 km Linien (4 224,77 km) resp. 64 509,80 km Drähte (4 984,61 km), auf die Eisenbahngesell{chaften 12 428,62 km Linien (4+ 194,72 km) resp. 30502,69 km Drähte (+ 592,87 km), auf die Privat-Telegraphengesellscaft 266,89 km Linien (+ 1,60 km) resp. 552,97 km Drähte (— 5,63 km). Von den Staatélinten waren 41,86% mit 1 Drabt, 22,88% mit 2 Oräbten, 120297, mt 3 00% mt 4 00% mt 5 U m G 2,08% mit 7, 2,03% mit 8,- 0,88% mit 9 10 mie 10, 0.65 %/0 mit 11, 0.20% mit 12 und 0,46%/9 mit mehr als 12 Drähten versehen. Es waren in 1883 1282 Staats-, 1406 Eisen- bahn- und 96 Privat-, also im Ganzen 2784 Telegraphenstationen im Betriebe. Bei den Staats-Telegraphenstationen standen in 1883 1988 Morse-, 75 Hughes-, 5 Multipler-Apparate von Meyer und 2 d’Arlincourtshe Tranélatoren im Betriebe; gegen 1882 bedeutet das eine Vermehrung um 67 Morse- und 2 Hughes-Apparaten. Die Telegraphenstationen der Eisenbahnen arbeiten im Korrespondenzver- kehr mit ca. 1700, jene des Privattelegraphen in Nieder- Oesterreich mit 140 Morse-Apparaten. Jm Korrespondenzverkehr wurden auf den Staatslinien an gebührenpflichtigen Telegrammen aufgegeben 3 700 241 interne und 863 777 internationale, zusammen 4 564018 Telegramme; die Zahl der angekommenen internationalen Telegramme betrug 940570, also die Gesammtzahl der gebührenpflichtigen 9 904 588, Mit der internationalen Transit-Korrespondenz (525 572 Stück) und den 36 795 auf Eisenbahn-Telegraphenlinien ohne Ver- mittelung von Staatsstationen gewe{selten Telegrammen beträgt die Gesammtsumme der gebührenpflihtigen Telegramme 6 066 955 Stud; Hiervon zählt der inländisWe Verkehr 3137036 und der Verkehr -mit dem Auslande 2329919 Tele- gramme. Der Vergleich der aufgegebenen, angetommen und transiti- renden Telegramme zeigt gegen 1882 (6 136 286 Stück) cine Abnahme von 69 331 Stück oder 1,14 9%. Die aufgegebenen Telegramme haben um 44 824, die angekommenen internationalen um 61 554 Stück abgenommen, der internationale Transitverkehr hat sich um 37 047 Telegramme vermehrt. Im Ganzen sind auf den öfter- reichischen Telegraphenstationen in 1883 19 407428 (1882 19 607 189) Telegramme oder um 1/2 9% weniger als im Vorjahre bearbeitet worden. Von den aufgegebenen Telegrammen entfallen auf 1000 Bewohner 1883 206, 1882 209, 1881 198, 1880 184, 1879 178 Telegramme. Die Gesammteinnahme des Staats- Telegraphen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder belief sich in 1883 auf 4030 866 Fl. (1882 4191 650 Fl.), hat also gegen das Vorjahr um 3,83 ‘/9 abgenommen. Es entfallen hiervon 3 800572 Fl. oder 94,28% auf die Staats- und Privat-Correspondenz “und 230 294 Fl. oder 5,729%/o auf die übrigen Einnahmen. Die Bettriebs- einnahmen (Gebührenanotheile) des Eisenbahn-Telegraphen betrugen 1883 112993 Fl. (— 2387 Fl). Die Brutto - Einnahme bei den Stationen der Privat-Telegraphen-Gesellshaft in Wien be- trug in 1883 532 979 Fl., davon entfielen auf die Betriebseinnahme der Gesellschaft 130 060 Fl. (—— 3897 Fl). Die Gesammtausgaben des Staats-Telegraphen betrugen 1883 3623907 Fl,, darunter 286 115 Fl. außerordentlihe (1882 3 531 372 Fl., davon 223 320 Fl. außerordentliche), die Ausgaben haben daher gegen das Vorjahr um 2,62 9/0 zugenommen, Von den ordentlichen Gesammtausgaben ent- fielen 2164956 Fl. oder 64,86 %/% auf die persönlihen und 1172836 Fl. oder 35,14 °%/9 auf die sächlihen Ausgaben.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Das Dezemberheft der „Deutschen Rundschau“ (Verlag yon Gebr. Pätel in Berlin) mit seinem ges{chmackvollen, doppelfarbigen Weihnachtsanzeiger und seinen zahlreichen literarischen Beilagen aleicht fost einem Buch, in welbem man mit Vergnügen blättern wird, ehe man an den eigentlichen Text gelangt. Der leßtere wird durch den Schluß der spannenden Novelle von Wilhelm Berger: «Das Kind aus Asien“ cröffnet. Der Erzählung {ließt sib die zweite Hälfte des Aufsaßes: „Raphaels Ruhm in vier Jahrhundecten“ _von Hermann Grimm an, der die Entwickelung des Naphaelschen Ruhmes in unserem Jahrhundert scildert und zetgt, wie bedeutend und einschneidend hier die deutsche Forschung, an ihrer Spitze Goethe, ctngegriffen hat. Ja Oito Benndorfs, des hervorragenden öfter- reichischen Archäologen, Skizze Über das „Erdbeben von Scio®" erhalten wir ein in lebhaften Farben ausgeführtes Gemälde der graueavollen Schreckenstage, welche das fonst so glückliche Ciland vor drei Jahren betroffen hat. Professor G. M. Asher giebt in dem Aufsatz „Die Stätten des Elends in London“ den getreuen Revers der glänzenden Medaille cincr Millionenstadt, ein tief ergreifendes Abbild des die innersten menshlihen Saiten bewegenden sozialen Elends, wie cs fih in London zeigt. Einem Lebensbilde Wilhelm von Hum- boldts, ron R Bruchmann, folgt ein äußerst anregender Essay aus der Feder des Professors F. Max Müller: „Damals und jetzt“, in welchem der hochverdienstvolle Gelehrte eine geistvolle Parallele zwischen dem Damals“ seiner, der orientaliftishen Wissenschaft, d. h. jener Zeit Dor fünfzig Jahren, als er noch ein Schüler Schellings war, und