1884 / 286 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

Sozialdemokraten für die arbeitenden Klassen zu bekämpfen, davon fei er weit entfernt; er bekämpfe die Sozialdemokratie nur, wo sie die ganze Gesellshaft, den ganzen Staat auf eine andere Basis stellen und die bisherige Weltordnung zer- stören wollten. Also die Centrumspartei könne für die Regie- rung durchaus dieselbe Stüße sein, wie jede andere Partei. Sie stehe ganz und gar auf verfafsungsmäßigem Boden, sie werde höchstens etwas unabhängiger sein als die anderen, und diese Unabhängigkeit sollte der Regierung nur erwünscht sein. Denn sie sei in der heutigen {weren Zeit gar nicht im Stande, ihre Autorität aufrecht zu erhalten lediglih mit solchen Parteien, die stets nur dem augenblicklihen Willen des augenblicklihen Ministers dienten. Er perfönlih glaube aber, daß es kaum je eine Zeit gegeben habe, wo die Regie- runa so nothwendig kräftig und stark hätte sein müssen, als jeßt. Gleihwohl müsse das Centrum auch ferner dahin streben, daß der kirhlihe Kampf endlich beseitigt werde. Erst nah Beendi- gung des Kulturkampfes könne man zu gesunden Verhält- nissen im Parlament kommen. Die Herstellung des kirhlihen Friedens sei ein Akt der Gerechtigkeit und der Klugheit. Täusche si do der Reichskanzler darüber nicht, es sehe vielfah bös aus im Deutschen Reich. Der Kanzler habe gestern gemeint, Deutschland habe kein Desizit, das würde ja immer durchdie Matri- fularbeiträge gedeckt. Wer zahle denn aber dieselben? Die zahle der Einzelstaat vnd in diesen die Steuerzahler. Diese aber sagten von allen Een und Enden Deutschlands : „Man könne keine neue Steuern mehr zahlen, es müsse unter allen Umständen gespart werden, es dürsten keine Experimente mehr gemacht werden, die viel Geld kosteten.“ Die Regierung unter- shâte, was es bedeute, daß das Volk zufrieden sei; sie verlasse si eben in leßter Linie auf die Bayonette. Aber dabei ver- gesse sie, daß die Bayonette von Männern getragen würden, die zum Volk gehörten. Lasse die Regierung si also nit aus angeblicher Furcht vor der Hierarchie bewegen, ein Geseh aufrechtzuerhalten, welches so exorbitant die ersten Grundlagen und Vorausseßungen der kirhlihen Freiheit und der Gereh- tigkeit verleze. Er wolle mit seinem Antrag nur das Beste des Landes. Hrn. Hobrecht habe er vorhin nicht wehe thun wollen ; er meine übrigens, auch die heutige Rede des Abg. Meyer werde unvergessen bleiben. Diejenigen, welche heute gegen seinen Antrag votiren würden, hätten von Religions- freiheit au niht einen Schatten von Ahnung!

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst von Bismarck wiederum das Wort:

Der Herr Vorredner hat damit begonnen, mi zu loben wegen des ruhigen Tones, in dem ih heute gesprochen hâtte ; ih kann ihm dieses Lob nicht zurückgeben; es mate mir namentlich der Anfang seiner Rede den Eindruck, als ob er innerlich dâchte: „Jh bin des trockenen Tones satt“ u. \. w., und daß er in eine andere Tonart hinüberspielen wollte, daß er das Bedürfniß gehabt habe, mit großen, unterstrihenen Worten zu sprechen, die er mit zorniger Stimme vor- gebracht hat. Er spra von der „Möglichkeit des önterdikts*, von „Tyrannen, die die Religionsfreiheit vernihten“, und zum Beleg für das Alles hat er ausgeführt, daß diese Tyrannei si so weit vergißt, unter Umständen einer persona winns grata im Erzbisthum Posen das Königliche „placet“ zu verweigern, was ein vollkommen vertrags- mäßiges Recht ist, das unbestrittene Ret des Königs von Preußen, nicht jeden ihm verdächtigen polniscben Geistlihen zum Bischof ein- seten zu lassen. Das hat der Herr Abgeordnete wie es scheint unter der Rubrik „Tyrannei®" und „Unterdrückung der Religtons- freiheit“ verstanden, was er mit dem wenn er will ihm eigenen Pathos hier vorgetragen hat. Er hat es gewissermaßen als eine öffentlice Anklage erhoben, Es sind uns allerdings einige polnische Prälaten von Rom vorgeschlagen worden, darunter aber auch foldhe, die, nachdem wir die uns bckannt gewordenen, in Nom aber nit bekannten Antezedentien zur Kenntniß gebracht hatten, sofort zurü-

gezogen worden sind. und ih habe nie daran zu erinnern für nützlic ge- -

halten, daß sie uns überhaupt jemals vorges{lagen worden sind. Ich fann nur wiederholen: den Erzbishof von Posen, der unter Umständen seinen Segen zur Losreißung Posens von der Krone Preußen giebt, diese persona minus grata auszusheiden, bat man das Recht, urd die Ausübung desselben is keine „Tyrannei“ und feine „Bedrückung der RMeligionéfreiheit“. Da über- treibt der Herr Redner. Er hat von mir gesagt, daß ih im preußi- hen Landtage früher mit großer Lebhaftigkeit diese Dinge vertheidigt hätte. Meine Herren, die „Lebhaftigkeit“ mit anderen Worten: die Erregung im Sprechen steckt einigermaßer an, Wir sind damals von den Herren Rednern, die noch heute mitunter im Namen der Fraktion sprechen, mit so beleidigenden, beshimpfenden Worten und Wendungen angegriffen worden ih kann mich auf die stenographi- schen Berichte von damals berufen —, es sind uns „Lügen“ ins Gesicht geworfen worden und andere Autdrücke, daß es nicht zu verwundern ist, wenn es aus dem Walde herausschallt, wie man in den Wald hineinscreit, und wenn ich einmal lebhaft werde, so fann ich Ihnen versichern, es ist mir wirklid so zu Muthe, die Sache bewegt mich. Ich kann es von Denjenigen, die mir gegenüber lebhaft werden, nit immer glauben.

j Fh glaube es richt cs is} cin Pathos, der vielleiht zum Eindruck der Sache erforderlich ist, dem aber die innere Ueberzeugung des Redners anscheinend wenigstens nit zur Seite steht. Es mag nüßlich sein; noch nüßlicher aber, wenn man den Ton so drucken fönnte, wie er gesprochen wird.

Der Herr Abgeordnete hat von „Annahme dieses Antrags" ge- \sprochen ih kann mir nicht denken, daß er darauf würde rechnen können, daß es möglich sei, daß der Bundesrath nun gleich das Gegentheil von dem beschließt, was er vor 3 Wochen beschlossen hat und hat gesagt, wir hätten uns damals die Sache nicht recht überlegt, wir wären eben leictfertig vorgegangen. Der Hr. Abg. Windthorst, seine Fraktion und alle, die verpflibtet sind, ihm Heeresfolge zu leisten, bleiben immer bei dem Gedanken 3 Wochen lang, da freilich bitte ich um Entschuldigung wir würden jeßt pater peccavi sagen und würden die Sache anerkennen. Glauben Sie wirkli, daß dem Bundesrath das möglich ist? Die Herren fönnen sich das nicht sagen, und wenn Sie wirklich daran aläubten, warum wollen Sie ni@l, wo iept,. wie 1 voraussehe, die Ablehnung sich wiederholt, nach 8 Tagen nochmals diesen Antrag bringen, und so in infinitum? Wir fönnen uns do lieber mit der Ruhe, in der ih vorhin gesprochen habe, als in der Erregthcit, in der dex Herr Vorredner spra, immer de rebus omnibus et quibusdam aliis unterhalten, wir haben ja Zeit, wir haben ja die ganze nächste Zeit vor uns. Geniren Sie sich nicht, \{chweigen Sie nicht und besorg-n Sie nicht, daß der Bundes- rath sich blamiren wird,

__ Dann hat d-r Herr Abgeordnete daran erinnert, daß, wenn wir ein Defizit im Reiche hätten, in ten einzelnen Bundesstaaten höhere Steuern erhoben werden müßten, und daß wir uns docb darüber nicht täuschen möhten, daß zuleßt der Steuerzahler verdrießlich wird, wenn er mehr Steuern zahlen muß. Steuerzahler ist ja der Wähler, er hat es in der Hand, wieviel Steuern er zahlen will. Wenn er soviel nit zahlen will, wie es für den Geschäftsbetrieb des Reiches ge- braut wird, fo muß das Reich seinen Betrieb einschränken.

___ Zch will nicht übergreifen in Themata, die uns heute nicht vor- liegen; aber wenn Sie uns die Ausgaben des Reiches verkürzen und zu weiteren nöthigen Ausgaben die Mittel niht gewähr2n, dann wer- den natürli diese Ausgaben unterbleiben und die verkürzten Etaté- positionen werden die Folge haben, daß die Arbeit derjenigen Be- amten, decen Arbeitskräfte damit bezahlt werden sollen, nit geleistet wird. Es wird dann weniger geshehen. Wir können uns nicht ver- doppeln; wir können es aushalten, wenn das Land will, daß die

Ges{äfte s{lechter betrieben werden, daß die Personen, die dazu nöthig sind nah dem Urtheil sachverständiger und ibr Geschäft gut verstebender Leute, niht angestellt werden sollen. Meine Herren ! Damit geniren Sie Uns gar niht. Streichen Sie uns die Hälfte des ganzen Personals, dann werden wir sie nit besolden, wir wer- den dann nur die Hälfte der Arbeit thun und die Sachen, die wir nit arbeiten können, nicht besorgen. Damit imponiren Sie mir gar niht, Sie beschränken mi auch niht. Je weniger Personen , desto

weniger Arbeit haben wir. i Dann muß i darauf kommen, der Herr Abgeeordnete spielte Das is immer ein Mittel,

immer wieder auf die Auflösung an. l eine gewisse Unrube und Aufregung im Lande zu erhalten, und ih will deshalb die Gelegenheit benußen, zu erklären, daß davon gar nit die Rede ist. Nach dem, was ih eben sagte, können Sie ohne jede Hoffnung auf «Auflösung Ihren Geschäften ruhig nachgehen. Wenn der Bestand des Deutschen Reiches und der Regierung davon abhängig wäre, ob einmal in einer Session mit weniger Wohlwollen das Budget behandelt wird, ob die Geseßze abgeändert werden, dann wäre das Deutsche Reich überhaupt nit auf die Dauer zu halten. Dergleichen Perioden werden in jeder Session vorkommen. Zum*Bei- spiel glaubte man zu Anfang der vorigen Session allgemein, es würde in den 3 Jahren gar kein Gese) weiter zu Stande fommen. Das war der Eindruck nah den Wahlen, die unter dem Eindruck einer ge- \{ickten techniscen Agitation zu einer großen fortschrittlihen Majo- rität geführt hatten. Nachher sind auch eine Menge ganz hübscer Gesetze zu Stande gekommen, recht nüßlicer Belee, und so ift es vielleicht auch diesmal. Es knüpften sich an diese Wahlen große Hoffnungen, viel größere, als i sie getheilt habe, und da ist viel- leiht gerade das umgekehrte mögli, daß wir einmal cin Jahr er- leben, wo fein einziges Gesep zu Stande kommt, dann plectuntur Achivi, die Acäer thun mir leid, aber ih kann es nicht ändern; wîr in der Regierung, wir können mit den bestehenden Geseßen gerade so leben und fortwirthschaften, wie jeßt, nur Manches muß unterbleiben und Manches darunter leiden.

Fch will auf das nicht zurückommen, was ich {on vollständig durch meine erste, ohnehin längere Le widerlegt habe, und was der Herr Vorredner von Neuem ausgestellt hat, als ob ich es nidt widerlegt hätte. Ich überlasse es den Lesern, es richtig zu stellen. Nur ein paar irrthümlihe Behauptungen möchte ih do noch widerlegen.

Er hat vorhin gesagt, es würde, wenn nur die Regierung nh dazu verstehen wollte zu dem status quo ante, wie er unter Friedri Wilhelm 1V. gewesen, zurüczukehren, alles gut und vortrefflich werden. Nun, meine Herren, ich appellire an Sie Alle, die damals in der ganzen parlamentarisben Zeit jenes Königs mit mir in der preußishen Kammer gesessen haben: hat nicht das damalige Centrum, bekannt unter dem Namen „Fraktion Reichensperger“, ganz ebenso wie heute das Centrum, in allen prin- zipiellen Fragen, die geeignet waren, der preußischen Regierung Ver- legenheiten zu bereiten, ihr Zugeständnisse abzuringen, ganz genau so gestimmt, ja viel shlimmer als das heutige Centrum? Das heutige ist mir in seiner Gesammtheit viel \sympathischer, als die Fraktion Reichensperger. vielleicht wegen der Personen, vielleicht au, weil sie weniger zahlrei war, es waren nur 40 und heute sind es über 100, es wäst ja der Mens mit seinen größeren Zwecken und auch mit der größeren Zahl wachsen die Zwecke. Die Fraktion Reichen- sperger ist mir in der Erinnerung als die Fraktion, die immer ganz sicher als Opposition in Ansatz gebraht wurde, und damals lebten wir unter König Friedrich Wilhelm 1V., unter einem Zustand, den der damalige Papst als einen solchen bezeichnete, wie ganz Europa nur wünschte; seine Beziehungen wären mit feiner Macht so gut wie mit Preußen. Nichtsdestoweniger hat die Regierung an den 409 spe- zifish katholishen Abgeordneten der damaligen Fraktion Reichensperger viel weniger Unterstüßung gefunden, als wie die jeßige Regierung vom Centrum ; sie war ein konstanter Faktor der Dpposition. Also darin liegt \chon der Beweis, daß uns mit der Rückkehr zu dem status quo ante noch nicht geholfen ift.

Der Herr Abgeordnete hatte heute wieder sein kampflustiger Sinn hat ihm keine Ruhe gelassen das Bedürfniß, ofen zu be- kennen, daß Kämpfe bevorstünden, vielleicht im Hinblick auf die seiner Meinung nah nahe bevorstehenden Wahlen. Ich lege Werth darauf, ihn zu beruhigen, er braucht diese Meinung nicht zu haben, es stehen feine Wahlen meines Wissens bevor, keine Auflösung. Wir werden, soviel ich voraussche, mit Ihnen heute ber zwei Jahren wieder an dieser Stelle sein. Eine Auflösung ift immer ein Eingeständniß der Regierung, daß sie ohne die Hülfe dieser Majorität überhaupt niht weiter wirthschaften könne. Wenn der Regierung die Möglichkeit gegeben wäre, ruhig zurückzutreten und der Majorität mit ummer Verbeugung zu sagen: seien Sie so gut und führen es weiter, dann wäre es ganz {ön und leiht zu machen, und dann möchte ich die jeßige Majorität, die für diesen Antrag stimmen wird, zusammengeseßt aus Centrum, Konservativen, Fort- schritt und Sozialdemokraten, bitten, ein Koalitions-Ministerium zu machen, dessen Bau an Künstlichkeit doch mindestens das Ministe- rium Gladstone, wie es früher war, nochþ bei Weitem über- ragen würde. Was das für Folgen haben wird, können Sie leiht einsehen. Es gehört eben zu den Unmöglichkeiten. So liegt denn auch für uns die Auflöfungsversuhung gar nicht aahe; eine Auflösung hat doch nur den Sinn für die Regierung : ich will sehen, ob das Land diese Opposition, die mich nichts zu Stande bringen läßt, hält und bestätigt, dann will ih zurücktreten. Wenn ih aber nach einer Auflösung meinerseits zurücktrete, dann wird es blos ein Bundesrathsmitglied weniger geben und dann würde der Herr Vorredner schen, daß der Reichskanzler niht der Bundesrath ist, sondern ‘daß immer noch, ih weiß nicht, nahezu 16 Mitglieder im Bundesratke bleiben, wenn der Reichskanzler draußen ist. Diese Möglichkeit is mir leider durch Umstände, die i nicht berühren will, niht geboten; ih bin dur meine persönliche Anhänglichkeit an die Person meines Herrn, an den Posten gegen meinen Willen geschmiedet ; ih weiß, daß ih in Güte und Gnade ‘nicht davon loskomme, ich weiß, ih muß bleiben.

Also mit dem status quo ante unterschäßt der Herr Vorredner seine eigenen Ansprüche oder seine Bescheidenheit und Zufriedenheit. Damit würden die Herren nicht zufrieden sein, dann würde erst noch ein neuer Anlaß vorhanden sein für weitere Kämpfe, die der Herr 3 noch in petto hat, also damit kommen wir nicht darüber inweg.

Nun hat der Herr Vorredner es seinerseits für nothwendig ge- halten, das Centrum zu loben und von der Regierung eine An- erkennung des Centrums zu erwarten. Ich habe nicht geglaubt, daß er nach ‘den ersten Anerkennungen, die ih für das Centrum aus- spra, das Bedürfniß danach empfinden würde, id glaubte, das würde genügen und er sei befriedigt; nachdem dies aber nicht der Fall t, will ich noch hinzufügen, daß ih nicht blos die Disziplin, die Stärke, die Gescbicklichkeit, die Zu- verlässigkeit, das Worthalten des Centrums, furz und gut eine Menge Vorzüge anerkenne, sondern daß ih es im höchsten Maße beklagen würde, wenn sich dies Centrum auflösen würde; es würde das die übelsten Folgen haben für die jetzige Parteikonstellation, es würde ein erheblicher Prozentsaß von Jhnen die fortschrittlihen Reihen ver- stärken, von dem anderen würden, wenn die geistlie Unterstützung wegfällt, wahrscheinli gerade die Herren, deren historishe Namen heut zu Tage eine Zierde der Fraktion sind, niht wieder unter uns erscbeinen, wir würden die Freude, Sie zu sehen, entbehren müssen, und es würde si die größte Verkbeerung in unserer Parteikonstellation einstellen. Deshalb wünsche ih dringend, das Centrum zu erhalten in feinem Bestande; ich halte es für nüßlich, so wie die Dinge ein- mal liegen. : j

Nun frage ih die Herren, ist dazu niht ein kleines residuum von Kulturkampf unentbehrlic? Würden Sie nicht befürchten, daß das starke Band, welches diese Partei zusammenhält, {la und \{wach werden würde, wenn die Vertheidigung gegen Tyrannei und Unterdrückung der Religion einmal überflüssig erschiene ? Ih glaube, es würde eine gewisse Verlegenheit eintreten über das, was man nun ergreifen soll, Jch möchte aiso die Flamme des Kulturkampfes nicht

ganz ausblasen im Interesse des Centrums, und weil ich wünsche das Centrum zu erhalten, und ich habe, wenn ich mi besinne, wahr- \{einlich noch Vieles, was ih zum Lobe des Centrums sagen könnte Wenn das, was ih gesagt habe, den Herrn Vorredner noch nit be, friediat, so will ich es zu Hause \{riftlich aufseßzen, um zu feinem Lobe in der Oeffentlichkeit beizutragen.

Dann hat der Herr Vorredner meine angedeutete Stellung zu den Maaigeseßen bestritten und behauptet, daß ih doch nit so unbethei- ligt dabei gewesen. Ich glaube, der Herr Vorredner hat Wichtigerez zu thun gehabt in der Zeit, als sich um meine persönlichen Verhält- nisse zu kümmern. Ich war, als die Maigeseße entstanden, gar nit in Berlin anwesend, ich war nicht Minister-Präsident, Sie werden finden, daß unter den Geseßen meine Unterschrift ex post folgte, se steht hinter der des Minifter-Präsidenten Grafen Roon, er steht als Minister-Präsident unterscrieden, und meine Unterschrift wurde von mir zum Theil unter dem Druck der Kabinetsfrage verlangt. Es gilt dies au von dem Civilstandsgesetze, welches mir am meisten gegen den Strich ging, das ich notbgedrungen untershreiben mußte; ih selb war krank, mehrere Minister waren beteit abzugehen, und ih war nitt im Stande, sie zu erseßen. JIch war au nit geneigt, den Kampf überhaupt aufzugeben. Ich kann nicht leugnen, daß ih über die De- tails, über die juristische Ausführung der Geseße verwundert und nicht angenehm überrascht war; aber ib mußte die Geseße nachher nehmen, wie ih sie fand. Etwas anders sind die Junigesetze von 1875, die ein paar Jahre später erlassen wurden. Bei diesen bin ih vollständig betheiligt gewesen und Ükernehme die volle Verantwortung für die Verfassungsänderung, zu der ih meine damaligen Kollegen, die vor dem Worte „Verfassung“ eine Scheu empfanden, die über meine damalige Empfindung hinausging, nur {wer bewegen konnte; namentli mein damaliger Kollege Dr. Falk machte am längsten Opposition gegen Alles, was Verfassungsänderung hieß. Also da übernehme ih die Verantwortlichkeit; und selbstverständlih au für dieses Gesetz, welches jeßt vorliegt, und das unter meiner Betheiligung gemat worden ist. Wenn der Herr Vorredner sagte, ih hätte dieses Gesetz gering geachtet, als von wenig Bedeutung bezeichnet, und deshalb wäre es besser, daß ich dieses Opfer für die Religionsfreiheit bringen sollte, so mag dies in Bezug auf dieses einzelne Gese zutreffen; aber das Gesammtprinzip, keine Konzession mehr ohne Aequivalent zu machen, halte ih nit für so unbedeutend. Ich habe auch nit gesagt, daß die Rechte, die entzogen werden, das Heimathreht, das Recht Messen zu lesen in der Heimath, gering wären. Jb habe nur gesagt, daß die Zahl derjenigen Personen eine geringe ift, die noch nit begnadigt sind. Ich glaube, daß außer den 27 Verscholle- nen Niemand mehr da ift, der keine Begnadigung erfahren hat. Jch wäre sehr dankbar, wenn mir Jemand solche Personen namhaft machen würde; aber so lange mir das niht nachgewiesen wird mit Namen, unter welchen Bedingungen und warum solche existiren, be- streite ih, daß irgend ein Mensch in der Welt existirt, der darunter leidet. (Abg. Dr. Windthorst: Hr. von Goßler hat das ganze Nerzeichniß!) Dessen Nachrihten habe ic, das find 27, er weiß sonst keinen mehr. (Abg. Dr. Windthorst: Hr. Vehn!) Das muß i bestreiten, die Personen, für die der Herr Vorredner unser Mitleid mit so bewegter Stimme angerufen hat, existiren nicht, es giebt keine solchen mehr. Jh habe, troß der an- gestrengten Forschungen, keinen ermitteln können, der augenblicklih noch betroffen wäre! Das mindert die Wichtigkeit und Bedeutung der Demonstration, die mit so großer Majorität im Juni gemadt worden ift gegenüber dem Bundeêrath. Es handelt sib auch nicht um das Mefsselesen für die Frage, ob wir etwa wider Wunsch und Erwarten in Polen in die Lage kämen, von dem Geseß Gebrauch zu machen. Es ift nicht das Messelesen, was wir verbieten wollen, son- dern die politische Agitation, und die kann gerade von der Kanzel herab erfolgen, wie es in Polen bekanntlich gerne geschieht, wo das Nationale mit dem Religiösen vermischt wird. Da kann das Reich im Interesse der Erhaltung der öffentlichen Ruhe und des inneren Friedens nicht anders als einen polnischen Nationalfanatiker, der den geiftlihen Rod trägt, aus dem Kreise, in dem er seine Wurzel hat und in den seine Thâtigkeit gestellt ist, zu entfernen und irgendwo zu interniren. Er fann dann Messe lesen, so viel er will, aber nicht politis agitiren. Daß die Polen im Kriege und im Steuerzahlen und sonst ihre Pflicht erfüllt haben, das bestreite ih garnicht, aber wir wünschen eben, daß sie das auch ferner und ohne Unterbrehung thun. Der Herr Vor- redner wird mir aber doch wohl nicht bestreiten können, daß wenig- stens ein Theil unter ihnen außer dem Militärdienst und dem Steuer- zahlen do auch ein erhebliches Maß von JInsurrektionen zu unserer Lebenszeit geleistet hat, die für das Land sehr kostspielig und nah einem unglücklichen Kriege auch gefährlich hätten werden können. Diese Insurrektionen müssen wir verhindern; daran ift in Polen der Bauer und der kleine Mann auch außerordentli wenig betheiligt. Nur insoweit, als er im Dienst der Edelleute ist, wird er, wenn er seine Stelle nicht verlieren will, genöthigt, mitzugehen, und nur als Hausdiener geht er vielleicht mit Vergnügen mit, aber den polnischen Bauer und Arbeiter halte ih nicht für gesährlih. Die ganze Gefahr beruht allein in dem in- telligenten und thätigen Theil der polnischen Bevölkerung, in dem polnischen Adel, unterstüßt von den nationalpolnischen Geiftlichen, und daß wir nit die Hand dazu bieten, diese Unterstützung der höheren Stände durch das Prälatenthum zu fördern, daß wir von den Mitteln, die wir haken, sie zu verhindern, sorgfältig Gebrauch maden, das sind wir der Ruhe und dem Frieden des Landes \{chuldig, davon werden Sie uns mit allen Deduktionen nicht abbringen. Die ganze Wiederholung des Antrags wird ein Schlag ins Wasser bleiben, denn ih kann mir nicht denken, daß sich im Bundesrath heute eine andere Majorität finden sollte wie vor drei Wochen. Aber wenn Sie den Antrag nachher nohmal stellen, dann können wir ja den Puls des Bundesraths in jedem Monat einmal fühlen, dann bitte ich aber, mich davon zu dispensiren, daß ih mich dagegen wehre, und ein für alle Mal anzunehmen, daß ih oder die Regierung dem Antrage wider- sprechen. Früher war ih au gar nicht so sehr dagegen. Es kommt bei solhen Angelegenheiten sehr darauf an, welhes Maß von politi- {em Vertrauen man zu den Antragstellern hat und welche Hoffnung man daran knüpft, und dieses Maß von Vertrauen zu den Antrag- stellern, was bei mir erheblich gewachsen war, das kann ih nicht leugnen, hat während der Wahlen, bis zur Verkündi- gung, niht gerade zugenommen, im Gegentheil. Jch bedauere das, aber ich kann nicht mehr mit demselben Vertrauen der Fraftion entgegenkommen wie vorher, nachdem sie diese kleine Pan- dorabüchse in der Hand hat und aus derselben na rets und links hin alle möglichen Uebel, unter Umständen auh nah anderen Rich“ tungen als konfessionellen, los8zulassen im Stande ist. Leute, die diese Wirksamkeit fennen, könnten für rihtig halten, was der Nuntius Megli gesagt haben soll, nämlich daß „uns nur die Revolution helfen könne“ und taß die Unterstützung jener rein politishen und weltlichen Oppositionspartei der erste Anfang dieses Pro- gramms sei. (Unruhe im Centrum.) Sie brauchen nit zu widersprechen, ih führe es nur an, welchem Ver- dacht Sie sih aus\seßen und wie sehr ich wünschte, daß Sie diesen Berdacht vermieden, sich rein an den ihnen angeborenen konfessionellen und sonfligen Standpunkt des Centrums hielten und auf die Unter- stützung lehnbarer Nebenfraktionen verzichteten; Sie würden ihr ganzes Verhältniß zu der Regierung reiner erhalten, wenn Sie ihr nur mit eigenen Wünschen und nicht verquickt mit anderen Fraktionen gegenüber ständen.

Scchluß in der Zweiten Beilage.)

| rihtet habe,

Î die Polen am s{wersten treffe,

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

¿ 28G,

g ——

(S&luß aus der Ersten Beilage.)

Der Abg. von Graeve (Pole) erklärte, die Herausforderung, welhe der Reichskanzler unerwarteterweise an die Polen ge- nöthige ihn gebieterisch zu einer Erwiderung. Als voriges Jahr der Antrag Windthorst angenommen fei, habe seine Partei diese Thatsache mit Freuden begrüßt, denn sie habe geglaubt, die Ailgewalt der Polizei wäre nun ge- hrochen; und es habe die Polen tief geshmerzt, als der Bundesrath den Antrag abgelehnt habe. Der Reichskanzler spreche heute fein Befremden darüber aus, daß das Centrum so bald shon den Geseßentwurf wieder einbringe und. gebe dieser Partei den Nath, sih von den Bundesgenofsen, die sich ihr angeschlossen hätten, zu trennen, dann würde die Hossnung auf Ersüllung ihrer Wünsche ausjsichtsvoller sein. Er (Redner) habe die feste Ueberzeugung, daß das Centrum, ebenso wie es jet mit den Polen zusammenkämpfe, auch mit ihnen zu- sammen Frieden {ließen werde; es würde, wenn es anders handeln würde, nicht vom katholischen Standpunfte handeln. Als Motiv zu den Fnvektiven gegen die polnishe Nationalität

es sei beiläufig sehr \hmeicelhaft sür seine Partei, daß der

| Kanzler sih mit den 2 Millionen Polen fo lange beschäftige,

während demselben doch der ganze Reichstag nicht imponire habe der Reichskanzler die politischen Umtriebe der polnischen Geistlichen bezeichnet, Aber es lasse sih doch von einzelnen Persönlilhkeiten fein Schluß auf das Ganze ziehen. Die Po- len wollten nur ihr Recht; wenn ihnen dies werde, wenn

N Gerechtigkeit auch den Polen gegenüber gehandhabt werde, Ï wenn der Grundsay suum cuique au seiner Partei zu Gute | fomme, dann seien dieselben keine Staatsfeinde, wie sie der | Reichskanzler zu nennen beliebe. Es komme ihm fast vor,

als ob der Reichskanzler die Tagesordnung verw:csele und

| den Reichstag shon beim dritten Gegenstande, dem spezifish

polnishen Antrag, geglaubt habe, weil derselbe so weitläufig

E sch über die Polen ausgelassen habe. Ï von

} Sache

Ï ale möglichen

Wenn man hier werde man zur Reichskanzler Über dann müsse man

abschweife , aber der spreche ,

thema probandum verwiesen; wenn Themata

| zuhören und habe ein Mittel dagegen niht in der Gewalt.

Er müsse nun leider konstatiren, daß jedes Polizeiyeseß gerade weil die Behörden den Polen gegenüber Alles für erlaubt hielten. Und welces seien die Gründe der Gegner des Antrages Windthorst? Einfach, daß der Reichskanzler nicht gewollt habe. Hätte der Reichskanzler den Antrag cingebracht, sie hätten gewiß dafür gestimmt, auch den Moment sür ungeheuer geeignet erklärt. Noch immer entbehrten die Polen ihres Erzbischofs, des Kardinals Le- dochowéki, an dem das ganze polnishe Volk mit Verehrung hänge, noi) immer seufzten die Polen unter den Maigeseßen, die denselben übrigens niht geschadet hütten die Polen könnten indeß ruhig zusehen : eine gerehte Sache siege immer ! Der Abg. von Helldorff bemerkte, der größte Theil der Deutschkonservativen sei in der leßten Session für den Anirag eingetreten; ex hätte für den Antrag im Frühjahr wohl au gestimmt, wenn er hier gewesen wäre. Jndeß liege heute die Sache anders, als damals, ganz anders, und Niemand habe diese Ver- änderung besser gezeihnet als der Reichskanzler selbst, indem derselbe in niht mißzuverstehender Weise die Entwickelung des Kulturkampfes dargelegt und gezeigt habe, daß es sich hier um Jnteressen handele, bei denen hauptsächlih auswär- tige Faktoren interessirt feien, Er würde nach seiner persön- lihen Ueberzeugung für die Aufhebung des Gesetzes von 1874 stimmen urd gestimmt haben, wenn er im Frühjahr hier im Reichstage gewesen wäre; nach den heutigen Erklärungen des Reichskanzlers könne er es ‘nicht und ebensowenig ein großer Theil seiner Fraktion. Und mit diejer Stellungnahme bringe er kein Opfer sciner Ueberzeugung, sondern ein Opfer eines großen bestehenden Staats- und Reichsinteresses. Er wolle sich heute niht weiter an einem einseitigen geseßgeberischen Monolog betheiligen; er erkläre nur noch im Namen der Fraktion, auch Namens derjenigen von seiner Partei, welche troßdem für den Antrag stimmen würden, daß seine ganze Partei aufs Lebhasteste die Beendigung des leidigen Kulturkampfes wünsche, daß man zu einem Friedenszustande auf dem Wege einer autonomen Geseßgebung kommen möchte, welche der Kirche überlasse, was ihr gehöre, damit die Kon- fessionen ruhig und einträchhtig neben einander in Deutschland wohnen könnten. Der Abg. Windthorst habe durch seine heu- tigen Reden seinem Standpunkt nicht genüßt, sondern manches übertrieven. Wenn derselbe außerdem von Parteien ge- sprohen habe, denen nur der augenblicklihe Wille des augen- blicklichen Ministers Richtschnur sei, so sei seine Partei vollauf bewußt, daß sie die katholishen Mitbürger in den Anforde- rungen, welche ihre Vertreter hier als berechtigte zu stellen sih verpflichtet glaubten, nah Kräften zu unterstüßen, aber die großen und dauernden Interessen des Reiches nicht zurück- zustellen hätten. Er wolle keine Anklagen gegen das Centrum s{hleudern, wie dieses gegen seine Partei gethan habe, denn er sei überzeugt, es thue noth, daß alle Parteien zusammen- gehen und zusammen den großen Jnteressen des Reiches Nech- nung tragen müßten. i Der Abg. Dr. Frhr. von Schorlemer-Alst bemerkte, der Abg. von Helldorf} behaupte, die Situation sei eine andere geworden, als früher. Er behaupte, die Situation sei dieselbe geblieben, und es sei eine Jnkonsequenz, wenn die Rechte heute anders stimme. Von dem Einen könne die Rechte sih überzeugt halten, daß, wenn das Centrum das Votum der Rechten auch bedauere, dies nur im Interesse der Rechten geschehe. Dem Centrum schade dasselbe niht, aver sür die Rechte könnte es doch bedenklih werden, wenn sie jeßt dem höheren rucke weichend, gegen den Antrag stimmen würde. Besser habe ihm die Erklärung des Grafen Behr gefallen. Derselbe stimme zur Zeit gegen den Antrag, auf eine sachliche Prü- sung desselben lasse derselbe nicht ein, es sih genüge ihm, daß der undesrath gegen denselben sei. Das sei, was man so jage, seine Sache. Dagegen lasse sih nihts einwenden, Wenn die eren auch nit gesagt hätten, wann sie dafür stimmen wollten, G hätten sie das doch angedeutet: das werde geschehen, wenn er Bundesrath dasür sei. Der Abg. Blos habe bemerkt, daß es ihm und seinen Freunden sauer werde, dem vorliegenden

Berlin, Donnerstag, den 4. Dezember

*

Antrage zuzustimmen. Wenn es den Sozialdemokraten sauer werde, so mögen sie es sein lassen, dem Centrum sei nihts an ihren Stimmen gelegen. Er habe gegen das Sozialistengescß ge- stimmt, aber aus ganz anderen Gründen, als um den Sozial- demokraten zu gefallen. Er sei immer ihr Gegner gewesen, allerdings ein ehrlicher; wenn die Sozialdemokraten also jeßt an die Dankbarkeit des Centrums appellirten, so sage er, sie hätten keinen Grund dazu. Sollte übrigens die Sozialdemo- fratie einmal ans Ruder kommen, so werde man noch ganz andere Gesetze bekommen, als das, gegen welches man sich jeßt wende. Das Centrum solle auf sozialpolitischhem Gebiete nichts geleistet haben, seine Vorschläge nur Wechsel auf die Sterne sein. Auf das \{öne Bild, das wohl eine Anspielung auf den katholishen Glauben enthalten solle, wolle er nicht eingehen, da die Sozialdemokraten doch keinen Respekt vor seiner Erwiderung darauf haben würden. Aber was hätten die Sozialdemokraten und ihre Freunde geleistet? Bei der lezten Wahl hätten sie vieles aus dem Programm des Centrums entlehnt, und was die Sozialdemokraten sonst gegeben hätten, sei nichts Positives. Er bedauere, daß der Reichskanzler nicht mehr anwesend sei, das solle ihn indessen nicht abhalten, dessen Rede zu erwidecn, soweit das in seiner Kraft sci. Der Kanzler habe die wieder- holte Einbringung des Antrazs eine Mißachtung des Bundes- raths genannt. Aber auch er glaube, daß unter dem Bundes- rath nur der Reichskanzler zu verstehen sei. Hätte derselbe die Annahme des vorliegenden Antrags gewünscht, so wäre gewiß der garze Bundesrath für denselben gewesen. Die meisten von den vom Gesch Betroffenen seien begnadigt worden. Wenn wirklich das Gese nicht mehr angewendet werde, wozu es noch aufrecht erhalten? Dann sei es ganz überflüssig geworden. Wenn der Reichskanzler gesagt habe, er würde den Reichtag nicht auflösen, so sei ihm das sehr lieb, dann habe man mit der Wahlagitation nichts zu thun, die sehr unbequem sei. Das wäre indeß auch kein Unglüd, wenn keine Geseße gemacht würden. Er bedauere nur eines, daß dieser Gedanke des Reichskanzlers, daß es drei Jahre dauern könne, ehe neue Geseße gemacht würden, dem Reichskanzler nicht in den siebenziger Jahren gekommen sei. Wenn er so Rom und das Centrum zu)ammen nennen höre, dann wisse er auch shon immer was die Absicht sei; das Wort Rom werfe einen so dunklen Schatten oder ein so so helles Licht auf das Centrum. Man müßte doch wissen, daß der Reichskanzler selber die Erfahrung gemacht habe, daß das Centrum von Nom nicht beeinflußt sei. Man habe in Rom gesagt, das Centrum könne thun, was es wolle, die Kurie wolle es nicht beeinflussen. Auf die monarchishe Einrichtung seiner Partei sei er stolz und das sei um so besser, wenn man höre, und lese, wie die Gesetze dev Legitimität seit einiger Zeit in unerhörter Weise unter die Füße getreten würden. Das Centrum seinerseits verlange nicht, daß der Reichskanzler sich ihm zu eigen gebe, das Centrum habe noch niht ein dahin gehendes Bedürfniß empfunden. Er warne den Reichskanzler davor, den Kampf zwishen den Konfessionen gzu ercegéèn! Vaterlands- liebe habe das Centrum ebenso gut wie der Reichskanzler. Aber Alles, was bewilligt worden, sei nur provisorisch, die Maigesetze seien stehen geblieben und was geschehen sei, sei im Jnteresse des Staates geschehen, Also auch diese Behaup: tung sei ungewiß. Wenn es heiße, die Regierung gebe nicht mehr nach, bis Rom nachgegeben habe, so sei ihm das unver- ständlih. Der Kulturkampf solle fortdauern in Der Vere sumpfung. Die Katholiken soliten weiter leiden, weiter kämpfen, Nun gut denn, es werde weiter gekämpst und ge- litten. Der Grundsaß do ut des rühre niht vom Centrum her, er weise die Behauptung zurück, daß das Centrum sich je auf einen Handel eingelassen habe. Seine Partei habe ihre Rechte gefordert, und das Centrum werde dieselben fordern, bis sie sie ganz habe. Die jeßige Centrumspartei solle besser sein als die frühere Reichenspergershe, cs solle eine respektablere Ge- sellschaft sein. Dex Abg. Reichensperger werde auf diese Be- merkung zu antworten wissen, er (Redner) sage nur, daß der Reichskanzler sich mit dieser Behauptung mit si felbst in Widerspruch seße. Das Ccutrum werde heute hier gelobt, aber wie werde es in der „Nordd. Allg. Ztg.“ lauten, die der Neichskanzler regelmäßig und mit Nußen lese. Schlimmer könne seine Partei niht herabgesezt werden, als es da geschehe. Den Vorsthlag eines Koalitionsministeriums könne er nicht acceptiren, \hon mit Nücksicht auf die Sozialdemokraten nicht, die der Partei des Fürsten Bismarck näher ständen, als dem Centrum. Der Kanzler habe seine Partei gewarnt, sich durch das Bünd- niß mit anderen Parteien niht in den Verdacht revolutionärer Bestrebungen zu bringen. Der Verdacht müsse wohl auf die Deutschfreisinnigen ruhen; da könne er nur sagen, daß das Centrum ein Bündniß mit denselben niemals gehabt habe. Er fkonstatire zum Schluß, daß das Centrum sich durch Schmeicheleien nicht irre mahen und durch Drohungen nicht \{recken lassen werde. Er bitte, den Antrag Windthorst anzunehmen, damit die Kontinuität des Nechtsgefühls, das in der bisherigen Annahme des Antrages zum Ausdru gekommen sei, gewahrt bliebe.

Der Abg. Stöcker erklärte Namens eines Theiles seiner Pariei, für den Antrag Windtborst stimmen zu wollen, er ver- wahre sich aber dagegen, als solle derselbe eine Mißachtung des Votums des Bundesraths sein. Wenn das Gese wirk: ih so unbedeutend, ja gegenstandslos sei, so sei es auch nit einmal als diplomatishes Tauscyobjekt zu verwerthen. Wolle man gegen die Polen wirksame Geseße, fo thue man dies auf politishem Gebiete. Die Annahme des An- trages solle ein weiterer Schritt zum Frieden sein, solche Reden, wie die des Abg. Windthorst, sollten in Zukunst nicht mehr gehalten werden fönnen, Das Volk bedürfe der Ruhe, dazu müßten aber die be- rechtigten Beshwerdepunkte beseitigt werden, dazu diene der Antrag. Der Reichskanzler stelle sich mehr auf den diploma- tischen Standpunkt, seine Partei mehr auf den populären. Der Reichskanzler mache seine Ansicht von den Verhandlungen mit der Kurie abhängig, seine Partei die ihrige von den Zu- ständen im Volk. Könnte der Herr Reichskanzler seiner Partei die

Versicherung geben, daß man die Maigeseße dur eine auto-

nome Gesetzgebung in Preußen regeln werde, so würden er und seine politishen Freunde vielleiht von ihrem Votum ab- gehen. Dies sei nit geschehen und werde nicht geschehen ! Wenn der Abg. von Schorlemer bedauere, daß seine Partei nur theilweise für den Antrag stimmen werde, fo habe doch die Centrumspartei gerade die Konservativen bei den Wahlen vielfa in Sti gelassen. Wenn der Abg. Windthorst die Ernennung der Bischöfe eine Konzession der Kurie nenne, #o sei das eine kfanonishe Anschauung. Der Ausdruck „Jnterdikt“ sollte in einem Deutschen Reichstage überhaupt nicht erwähnt werden dürfen! Hier, wo es fich um das innerste Religions- leben handele, könne man nicht von Handelsobjekten sprechen. In Bezug auf die Bestrebungen auf dem Gebiete der Schule folge er dem Abg. Windthorst niht. Er stimme für den An- trag nur, um einen weiteren Schritt auf dem Wege des Frie- dens zu thun!

Der Abg. Magdzinski erklärte, die Stellung, die sein Partei dem Reiche gegenüber einnehme, habe sie im Jahre 1867 und 1870 dargelegt. Die Polen hätten früher gegen die Einverleibung Polens protestirt und dann nur gefordert, was den Polen in den damals geschlossenen Verträgen ver- \prochen sei. Der Vorwurf, daß die Polen Ost- und West- preußen, Oberschlesien und Posen zu polonisiren trachieten, treffe nicht zu, sie hätten nur mit Mühe ihre berechtigten polnischen Eigenthümlichkeiten vertheidigt; und fo lange sie lebten,. würden sie für ihre garantirten nationalen Rechte eintreten.

Der Abg. Nichter (Hagen) bemerkte, der kirhenpolitische Standpunkt seiner Partci decke sich nicht mit demjenigen der Centrumspartei. Gleihwohl werde seine Partei, wie er hoffe, einstimmig ebenso jeßt für den Antrag Windthorst stimmen, wie sie im Juni d. J. es gethan habe. Ein folhes Aus- nahmegesch könne man mit der Hiße des Kampfes erklären, aber Fürst Bismarck selbst habe in einer Nede vom 30, No- vember 1881 hervorgehoben, daß diese Hiße des Kampfes nicht mehr vorhanden sei, daß nur der politishe Raufbold kämpfe, um zu kämpfen. Gerade weil das Gese keine praktische An- wendung mehr finde, liege um so mehr Grund vor, es aufzuheben, da es zur Zierde der deutschen Geseßgebung wahr- lih nit gereihe. Schon 1881 habe sih die Mehrheit seiner Freunde für die Aufhebung erklärt. Die seitdem aus der Initiative der Regierung erlassenen kirhenpolitischen Gescße in Preußen hätten die Gründe für die Aufhebung des Geseßes nur noch verstärkt. Jm Jnteresse der historishen Wahrheit müsse er eine Bemerkung einflechten über die Theilnahme des Reichskanzlers an der Maigeseßgebung von 1873, Der Reichs- kanzler spreche von cinem Ministerium Falk, Puttkamer, Goßler, man habe immer nur ein Ministerium Bismarck ge- habt mit verschiedenen Kultus:Ministern. Derselbe Faden, nur eine andere Nummer. Der Reichskanzler sage, daß er an der Maigeseßgebung von 1873 nicht betheiligt gewesen sei, sie habe si in seiner Abwesenheit von Berlin und während seiner Krankheit vollzogen. Wie vergeßlih sei doch mitunter der Reichskanzler! Aber es gebe stenographische Berichte, Ge- \hichtskalender und Bibliotheken; er habe hier vor si die Nede des Reichskanzlers vom 10. März 1873, welche er im preußishen Herrenhause für die Verfassungsänderung gehalten habe, welhe die Maigeseßgebung eingeführt habe. Diese Rede enthalte ein Bild von der Höhe des damaligen Kampfes. Als die Konservativen dann den Reichskanzler nicht unterstüßt hätten, habe dev Kanzler bei den folgenden Landtagswahlen die konservative Partei fallen lassen ; die große altkonservative Partei von über 100 Mitgliedern sei nahezu aus dem Abgeordnetenhause ver- s{wunden. Damals sei es der konservativen Partei zum Be- wußtsein geführt, daß sie ohne des Kanzlers Unterstüzung nihts bedeute. Er könne es den Herren deshalb nach den damaligen Erfahrungen nicht verübeln, wenn sie heute in ihrer großen Mehrheit einshwenkten; es sei ja {hon bei Beginn der Sitzung bekannt gewordeit, daß die konservativen Parteien gestern die Parole empfangen hätten, heute gegen Windthorst zu stimmen. Jhn interefsire nur noch, ob sie für ihre ver- änderte Haltung auch Gründe anführen oder stumm ein- \{hwenken würden. Die Rede des Abg. von Helldorff habe freilich keinerlei zutreffende Gründe enthalten. Der Reichs- kanzler weise auf Gefahren hin, welche in der Zukunft in Polen nah unglücklihen Kriegen vielleicht entstehen könnten. Füx außerordentliche Gefahren habe man schärfere Geseße als das in Frage stehende; auch das Gescß über den Belager1.ngszustand gestatte Ausweisungen. Es sei ein Gesey für Ausnahmeverhältnisse, nicht aber ein Gese, welches sich ausnahriusweise gegen einen ein- zelnen Stand kehre, wie das Geseß von 1874, Der Reichs- kanzler weise auf die Gefahr hin, welche die Centrumspartei für die Entwidckelung des Schulwesens haben könne. Er wundere si, daß dem gegenüber das Ministerium Bismard in der leßten Zeit das Simultanschulwefen wieder zu Gunsten. der konfessionellen Schulen beschränkt habe. Mit der Accen- tuirung der konfessionellen Schulen stärke die Regierung den Einfluß der Geistlichkeit auf das Schulwesen. Seine Parkeiï habe den Reichskanzler in seiner Schulgeseßzgebung unterstüßt und würde dies auch heute thun. Die Centrumspartei für sich allein könne dem Schulwesen nicht gefährlich werden, Sis könne nur in Verbindung mit der konservativen Partei Ge- fahr bringen. Letztere habe aber nur so lange Bedeutung, wie der Reichskanzler sie etwas bedeuten lassen wolle. Man verweise gegen den Antrag auf die s{hwebenden Verhandlungen mit Rom. Seine Partei habe die kirchenpolitischen Fragen stets nicht auf diplomatishem Wege, sondern durch die Verhandlungen in den Parlamenten mit den Vertretern der kfatholishen Bezirke gelöst wissen wollen. Daß man mit Rom nicht weiter gekommen, sei, beweise, daß die Anschauung seiner Partei von Anfang an die richtige gewesen sei, Er habe auch keine Ursache, die diplomatischen Verhandlungen zu erleichtern, weil der Reichs- kanzler versucht habe, den Grundsaß do ut des nit blos auf firhenpolitishem Gebiet, sondern auch zur Erlangung allge- mein politisher Konzessionen Seitens der Centrumspartei zur Anwendung zu bringen. Die Note des Fürsten Hohenlohe nah Rom über die fortshrittlihen Republikaner sei ihm noch in gutem Gedächtniß. Seine Partei habe keine Veranlassung, das