1884 / 293 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

Waaren- und Bankges(häft entsprechend reduzirt werden. Na dem Einlangen der Erklärungen der bekannten Gläubiger, wofür eine acbt- tägige Frist in Aussicht acrommen wird, sollen die momentan ihren Namen nah nit bekannten Kafsenschein-Inhaber mittelst Bekannt- machung zur Abgabe einer gleichen Erklärung aufgefordert werden.

Bradford, 11. Dezember. (W. T. B.) Wolle rubig, stetig, feine Bright haired fest, für Garne ungefähr leßte Preise; in Stoffen für das Inland etwas Bedarf.

Verkehrs-Anstalten.

Der hier {on angezogenen „Statistik der deutschen Reicws8-Post- und Telegraphenverwaltung für das Kalenderjahr 1883* sind folgende Daten über das Telegraphen- wesen entnommen. Die Länge der Telegraphenlinien betrug Ende 1883 65 099,90 km, Ende 1882 63 284,16 km; und zwar die ober- irdishen Linien (eins{chließlid der Kabellinien in Städten, dur Tunnel, Flüsse und dur die Sce) 59 442,05 km (1882 57 771 20 km), die unterirdisben Linien 5615,94 km (1882 5471,05 km), die unter- secisden Kabel 41,91 km (1882 41,91 km). Außerdem sind als Be- standthcile des Reichs-Telegraphennetzes anzusehen die unterseeischen Kabel von Hoyer über Sylt noch Aremdal in Norwegen, von Emden über Borkum nach Lowestoft, von Emden über Norden nach Lowestoft und von Emden über Greetsiel nach Valentia (Irland), welche zusammen eine Länge von 2965,71 km besißen. Die Vermehrung der Reichs-Telegraphenlinien gegen das Vorjahr beträgt 1815,74 km oder 2,9% (1882 1628,20 km oder 2,69/,). Die Länge der Drahtleitungen beziffert sib auf 229 679,74 km (1882 222 101,37 km), daven waren oberirdishe Leitungen 191 621,61 km (1882 184553,79 km), untetrirdische Leitungen 37 932,39 km (1882 57 421,84 km), unterfeeishe Kabelleitungen 125,74 km (1882 125,74 km). Außerdem betrug die Länge der Drahtleitungen na Norwegen, Lowesto!ït und Valentia zusammen 6435,05 km. Die Vermehrung der Drahtleitungen gegen das Vorjahr stellt \ich auf 7578,37 km eder 3,4%/9 (1882 4012,55 km oder 1,89%. Die Gesammtzahl der Tilegraphenanstalten - belief sich Ende 1883 auf 9792 (1882 9235), davon waren Reihs-Telegraphenanstalten 6608 (1882 6167), Eisenbahn - Telegraphenanstalten, welche zur Annahme und Betförderung von Privattelegrammen ermächtigt find, 3016 (1882 2964), im Besiße von Privaten befindlibe Tele- araphenanslalten 168 (1882 104). Reichs-Telegraphenanstalten mit Fernsprechbetrieb waren vorhanden 1800 (1882 1462). Von den Zelegraphenarftalten in Berlin und Charlottenburg sind mit Rohr- posteinrihtung versehen 29 (1882 26). Vor der Gesammtzahl der ZTelegraphenanstalten entfällt in 1883 eine auf 45,5 qkm resp. auf 3878 Cinwohner. 1882 eine auf 48,1 qkm resp. auf 4112 Einwohner ; von den Reichs-Telegraphenanstaltex allein entfällt in 1883 eine auf 67,4 qkm resp. auf 5747 Einwohner, 1882 eine auf 72,1 gkm resp. auf 6158 Cirwohner,. Das Gefammtpersonal bei den selbst- ständigen (nicht mit Postanstalten vereinigten) Telegraphen- âmtern belief sich auf 3303 Personen (1882 3178 Pers.), davon waren 2610 (1882 2489) Beamte und 693 (1882 689) Ünter- beamte. Die Gesammtzahl der bei den Reiché-Telegraphenanstalten im Betriebe befindlihen Apparate belief sih Ende 1883 auf 12 243, 1882 auf 11518, und zwar System Morse 8770 (1882 8547), Hughes 198 (1882 186), Fernsprech\ystem 3096 (1882 2613), andere Systeme 168 (1882 172). Die Gesammtzahl der beförderten Tele- gramme betrug in 1883 16 790032 (1882 16 347 058), davon inner- halb des deutshen Neichs-Telegraphengebiets 10 803 401 (1882 10 441 983), nah anderen Ländern 2 550 252 (1882 2 521 532), aus anderen Ländern 2 644 505 (1882 2 627 389), im Durchgang durch das deutsche Telegraphengebiet 791874 (1882 756 145). Die Ver- wehrung der Telegramme gegen das Vorjahr beträgt 442 974 oder 2,71 9/0 (1882 811 175 oder 5,22%). Von den in 1883 im deutschen Reichs: Telegrophengebiet aufgegebenen Telegrammen waren gebühren- pflichtig 12 946 400 Stück oder 96,96 %. Von den in 1883 im Deutsben Reichs-Telegraphengebiet aufgegebenen Telegrammen hatten bis 5 Worte 10%, 6—10 Worte 44,3%, 11—15 Worte 26,3 9%, 16—20 Worte 10,6 9%, 21—25 Worte 4,1 9%, 26—30 Worte 1,8 °%, über 30 Worte 2,9 %/%. Im Durcbscbnitt hatte jedes gebührenpflic;- tige Telegramm im inneren Deutscben Reichs: Telegraphenverkehr 1883 wie 1882 11,60 Worte. Die Länge des Röhrennetzes der Rohrpost in Berlin und Charlottenburg bctrug Ende 1883 52,42 (1882 46,04) km, die Zahl der Rohrpostämter 29 (1882 26); befördert

wurden mittelst Rohrpost in 1883 1576 383 (1882 1 608 473) Telegramme und 686890 (1882 611176) Briefe und Karten, in Summa 2263273 (1882 2219 649) Gegenstände. Die Vermehrung beträgt 43 624 oder 1,97% (1882 80756 oder 3,78 9%). Die Zahl der Städte mit allgemeinen Stadtfernsprech- verbindungen belief si Ende 1883 auf 37, die Länge der Leitungen 10 431 km, die Zahl der Theilnehmer 4880; 6 Städte hatten öffent- liche Stadtfernsprestellen, im Ganzen gab es 14 öffentliche Stadt- fernsvrechstellen. Die aesammte Telegraphengebühren-Einnahme be- Tief fih in 1883 auf 18 810011 A (1882 17 359 828 M); die Mehr- einnahme beträgt also 1450183 4 oder 8,35%. Die Finanz? ergebnisse der Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung kennzeichnen folgende Angaben: Im Etatsjahre 1883/84 betrug die Gesammt- einnahme 158 190404 k (1882/83 151 453 853 46), die Gesammt- auéaabe 133 822 680 6 (1882/83 127 112 902 \6), der Ueberschuß 24 367724 M. (1882/83 24340953 «) Der Gesammtauégabe treten hinzu die einmaligen Aucgaben mit 3195 318 (1882/83 3 003751) M, wodurch der Uebers{huß zu stehen kommt auf 21 172406 M (1882/83 21 337 202 Æ).

Bremen, 12. Dezember. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Elbe“ is gestern Abend 9 Uhr in Southampton eingetroffen.

Sanitätswefenu und Quarantänewesen.

Frankreich.

Laut amtlicher Bekanntmachung der Sanitätsbehörde zu Nantes ift seit dem 22. November d. J. cin neuer Cholerafall ia Nantes und Umgebung nit beobachtet worden und somit die Epidemie in jener Stadt als erloschen zu betrachten.

Vis zum 11. Dezember unterliegen jedo alle auslaufenden Schiffe ciner gesundheitspolizeiliben Kontrole und anf den Patenten wird das Datum des Erlöschens der Cholera (22. November) vermerkt.

Vereinigte Staaten von Amerika. Cirkular des Schatzamts zu Washington vom 15. November 1884. , Die Einfuhr von alten Lumpen aus fremden, durch ansteckende oder epidemische Krankheiten verseubten Häfen oder Ländern nach den Vereiniaten Staaten von Amerika ist vom 20. d, M. ab verboten. Frankrei, Italien und alle Häfen des Mittelmeeres und Frankreichs werden als im Sinne dieses Erlasses verseucht erklärt. Solche alte Lumpen, welche aus verseuchten Häfen oder Ländern stammen, jedo demnächst von anderen unverdäcbtigen Häfen 2c. aus zum Ver- sandt gelangen, sollen glei{falls von der Einfuhr ausgeschlossen fein. Im Uebrigen wird die Zulassung von alten Lumpen nab den Ver- einigten Staaten von Amerika nur auf Grund beglaubigter Atteste gestattet, welche von dem amerikanischen Konsul des Abgangsplaßzes ausgestellt sein und die Bescheinigung enthalten müssen, daß die ein-

zuführenden Lumpen keiner infizirten Gegend entstammen.

(Vergl. au „R. A.“ Nr. 268 vom 13. November.)

Berlin, 12. Dezember 1884.

Nach nunmehr vollendetem Umbau is die Gemäldegalerie der Königlihen Museen den Besuchern seit dem Mittwoch dieser Woche wieder in ihrer vollen Ausdehnung zugänglich, nahdem

die Galerie während der leßten zwölf Jahre erfahren hat, der Ankauf der Suermondts{en Sammlung und zahlreiche weitere Erwerbungen, die ihre frühere Bedeutung erheblib s\teigerten, ließen eine völlige Umgestaltung der ursprüngliben Auéstellungsräume längst {on als ein dringendes Erforderniß erscheinen, sondern es wurde der Ersaß der von Schinkel in der oberen Etage des alten Museums eingeribteten Räume dur eine Anlage von wesentlich abweichendem Gepräge nicht minder auch dur die gänzli veränderten Ansbauungen bedingt, die in Bezug auf die praktishen und ästhetishen Erforder- nisse einer derartigen Galerie im Verlauf der Zeit zu unbestrittener Geltung gekommen sind. Machte abgesehen von geringeren Uebel- ständen auf der cinen Seite die mangelhafte Beleuchtung einer ganzen Reibe von Räumen, die theils von Anfang an vorhanden, theils dur den Anbau des neuen Museums an die Nordfront des älteren herbei- geführt war, cine Abhülfe dringend nothwendig, so galt es anderer- seits, den Eindruck einer nüchternen Magozinirung der Bilder in einer ermüdend langen Reihe gleichartiger und glei großer Kom- partimente zu beseitigen, dafür durch einen angemessenen W. ch“el größerer und kleinerer Säle und Kabinete eine glücklich gegliederte und belebte Anlage zu gewinnen und in ihr zugleich das für eine richtige Würdigung des Kunstwerks unerläßliche, der Art und Größe des Bildes entsprechende Verhältniß zwischen ibm selber und dem Raum, in welchem es Play findet, herzustellen. Den einzelnen Sälen und Kabineten aber war endlich au{ in der Anordnung der Gemälde sowohl wie in der gesammten dekorativen Ausftattung eine Erschei- nung zu geben, die den Eindruck einer todten Aufspeicherung von Malereien nah Mösögli&keit durch den einer Reihe kunstgeschmüdckter und zu gesammeltem Kunstgenuß einladender Räume erseßt. Nach jedem dieser Gesicbtspunkte darf das jeßt glücklich durchgeführte Werk des Umbauecs und der neuen Aufstellung der Galerie ebenso der leb- haftesten Anerkennung gewiß sein wie die Umsicht, mit welcher diese \{wierige Aufgabe während eines Zeitraums von etwa sechs Jahren derart bewäitigt wurde, daß während dessen der wesentlihste Bestand der Sammlung doch niemals der Betrachtung und dem Studium entzogen blieb.

Von dem gesammten, der Gemäldesammlung zur Verfügung stehenden oberen Geschoß des alten Museums is nunmehr die toest- liche Hälfte den Bildern der italienischen, spanischen und französischen, die ôstlihe denen der deutschen und niederländishen Schulen zu- gewiesen. Den Zugang zu der Galerie vermittelt nach wie vor sowohl die inmitten der Südfront des Gebäudes emporsührende Freitreppe, von der aus man über den Umgang der Rotunde in den mittleren Raum der Nordfront eintritt, wie der von der anderen Seite ber auf denselben Raum mündende Verbindungsgang zwischen dem alten und dem neuen Museum. Der so von Norden wie von Süden ber zugänglice kleine Oberlichtsaal hat seine ursprüngliche, den früheren Kompartimenten der Galerie entsprehende Breite beibehalten und dient nunmehr, mit dem vor einiger Zeit erworbenen prächtigen italienis&en ChorgestüÜhl und mit darüber aufgehängten flandrischen Gobelins ges{chmüdckt, als ein inmitten der beiden großen Abtheilungen der Galerie angeordnetes Vestibül. Leicht bewegliche Glasthüren führen von ibmaus na rechts und links in die längs der Nordfront hergerichteten vier Oberlichtsäle, von denen die beiden zunächst anstoßenden, aus je zweien, die beiden folgenden aus je dreien der früheren Komparti- mente gebildet wurden. Von den beiderseits an den größeren dieser Säle sih anschließenden Seitenflügeln der Galerie ist dec westliche in zwei weitere Oberlichtsäle und in drei zwischen dieselben sich einschiebende Kabinete mit Seitenlicht, der östliche dagegen mit Rücksicht auf die große Anzahl der nicderländischen Kabinetbilder in sieben Kabinete getheilt. Aus den chemals von den inneren Höfen des Gebäudes her nur un- genügend beleubteten Kompartimenten der Südfront ist sodann beiderseits noch je ein großer, an die Seitenflügel anstoßender Ober- lihtsaal, aus den ihnen entsprechenden an der Rückseite der Nordfront für die westliche Hälfte der Galerie ebenfalls ein Oberlichtsaal, sür die westliche eine Reihe von drei Kabineten hergerihtet worden, von denen zur Zeit indeß nur das mittlere, am besten beleuchtete zur Auéëstellung von Gemälden herangezogen wurde. Im Ganzen sind somit dem Publikum gegenwärtig neun Oberlichtsäle und eilf Kabinete geöffnet, zu denen endlich in jedem der beiden Seiterflügel je ein längs ‘der Rückwand der Kabinete entlang führender, von den inneren Höfen her beleucteter, Korridor hinzutritt, der hier wie dort zur Aufsteluna minder bedeutender Bilder erwünschten Play bietet. Die geringere Höhe aber, die für die Kabinete und Korridore sowie für die an die beiden Ecken der Nordfront verlegten Verwaltungsräume erforderlih war, aestattete überdies noch oberhalb derselben die Anlage cines dur Oberlicht erhellten Halbgescosses zur Aufflellung derjenigen Bilder von geringerem künstlerishen Werth, deren Aufnahme in die eigentliche Galerie sih nit cmpfahl und die deshalb aus letzterer ausgesondert en, für Studienzwecke aber nun doch jederzeit bequem zugänglich

eiben.

Wie die Räume, aus denen die Galerie nun besteht, in den an- sprechend webselnden Abmessungen und in der durchweg guten, in sämmtlichen Oberlichtsälen und in den Kabineten der beiden Seiten- flügel vorzüglihen Beleuhtung ihrem Zweck bestens entsprechen, so präsentiren sie sich zugleich in einer derartigen Aus- stattung, die ihrem kostbaren Inhalt in jeder Hinsiht an- gemessen und mit sicherem Geshmack darauf berechnet ist, der rihtigen Wirkung der ausgestellten Gemälde als wirksamer Fond zu dienen. Den Thüreinfassungen aus s{chwarzgebciztem Holz gesellen fich ringêumlaufende, in einzelnen Räumen mit graugemaferten Fül- lungen verschene Wandsockel aus gleichem Material, während die oberen Wandflächen mit tieffarbigen Stoffen in vorherrs{chend braun- rothen Tönen bekleidet und die in der Höhe der Sockel hinlaufenden Schubstangen in echter Bronze gearbeitet sind. Entsprechend behan- delte Plafonds, Vorhangdrapitungen aus moosgrünem Seidenplüsc, welche die größeren Säle und die Fluchten der Kabinete gegeneinander abgrenzen , und bequeme, inmitten eines jeden der Oberlichtsäle aufgestellten, mit braunem Leder bezogenen Rundsiße tragen des Weiteren dazu bei, durchweg den Ein- | druck einer vornehmen, von aller Aufdringlihkeit freien Eleganz und einer ruhig ges{lossenen, zum Verweilen einladenden Stimmung her- vorzurufen. Was aber die Vertheilung der Gemälde selber betrifft, so ist neben dem Gesichtspunkte einer historishen Anordnung überall zugleich ein von künstlerishem Empfinden geleitetes Arrangement der verschiedenen Gruppen im Auge gehalten und nah Möglichkeit dahin gestrebt worden, jede störende Ueberfüllung der einzelnen Räume und Wandflächen zu vermeiden.

Wie bereits bemerkt, hat die östlihe Hälfte der Galerie die deutschen und niederländischen, die westlihe die romanishen Schulen aufgenommen. Dabei ist die Anordnung derartig getroffen, daß die Reihenfolge der nah beiden Seiten hin von dem Vestibül ausgehenden Räume möglich dem Gange der historisben Entroickelung entspricht und demnach auf jeder Seite der große Oberlichtsaal an der Südfront des Gebäudes nit blos räumlih, sondern auch bistorisch den Abschluß der betreffenden Abtheilung darstellt. Doch ließ diese Anordnung, wenn man nit dem wissenschaftlichen Prinzip die gebotene Rücksicht auf ästhetishe Wirkung opfern wollte, ih keines- wegs auch im Einzelnen mit voller Strenge durchführen. So sind denn im westlichen Flügel den besonders trefffflih vertretenen italient- {hen Schulen ves 15. Jahrhunderts der erste und zweite Oberlicht- saal zugewiesen, während der an die Südwand des leßteren anstoßende Saal von etwas geringerer Tiefe die weiter zurückliegenden Werke darunter als neueste Erwerbung das „Jüngste Gericht“ des Fiesole aufgenommen hat. In den Oberlichtsälen des Seitenflügels seßt fih die Entwickelung mit den Werken aus der großen Blüthe- periode der italienischen Malerei fort, um in dem- südlichen Ober- lihtfaal mit den italienischen, \panishen und französisben Schulen des 16.—18. Jahrhunderts ihren Abschluß zu finden. - In den drei Kabineten diesec Westhälfte aber bilden die „Beweinung Christi? von Giovanni Bellini und die neuerdings aus den Magazinen für die Galerie gewonnene „Auferstehung*“ von Lionardo da Vinci, die beiden Hauptbilder Raffaels und endlih die beiden vor-

in denen sich noch einmal die Entwickelung vom 15. bis 18. Jabr hundert widerspiegellt. In ähnlicher Weie ist in der “Ds, hâlfte der Galerie die Vertheilung derart erfolgt, daß die beiden ersten Oberlichtssäle und das an die Rückseite des größeren derselben anstoßende Kabinet die deutshe und altniederländishe Malerei vom 13. bis 16. Jahrhundert verfolgen lassen, der zweite Sag[ aber diese Entwidckelung überdies bis in das hier vornehmlich dur Rubens und van Dyck mit mehreren ihrer Hauptwerke wr, tretere 17. Jahrhundert weiterführt. Die übrigen dieser Gruppe zugehörigen großen Bilder der vlämischen und holländishen Schule des 17. Jahrhunderts sind sodann in den südlichen Oberli(t, faal verwiesen; von den zwischen die Nord- und Südfront sich ejn, schiebenden sieben Kabineten aber leiten die beiden ersten wieder ¡u der Blütheperiode der altniederländishen und deutschen Malerei zurü, die hier in erster Linie durch den in die Zwischenwand einge lassenen van Eyckschen Genter Altar sowie durch Rogier van der Weyden und Lucas von Leyden, dur die Meisterwerke Holbeins und durch die beiden Dürerschen Porträts repräsentirt wird, zu denen als Drittes nunmehr das neuerdings erworbene unvergleihlihe Bildniß dz Hieronywus Holzsbuher hinzugekommen ist. Die fünf folgenden Kabinete endlich gehören dann wieder der vlämishen und der bole ländishen Schule dcs 17. Jahrbunderts, und es gruppirt \ih iy ihnen um die köstlihen Hauptwerke des Rembrandt, des Pieter de Hooch, des Frans Hals u. st. w. die anfehnliche Reihe erlesener Ar- beiten aus der Blüthezeit der niederländischen Genre- und Land, schaftêmalerci, die in diesen Räumen ebenso ausgezeichnet zur Gel tung gelangen, wie der gesammte Jnhalt der übrigen Säle und Kge binete, der jeßt auch in ihrer äußeren Erscheinung fi ihrem fort- SUEO gewachfenen inneren Werth entsprechend darstellenden alerie.

Leipzig, 11. Dezember, Abends. (W. T. B.) heit Jhrer Majestäten des Königs und der Königin von Sachsen, Allerhöcbstwelche von der sehr zahlreichen Festversammlung enthusiastisch begrüßt wurden, hat heute Abend die Einweihung dez neuen Gewandhauses stattgefunden. Nah der Beethovenschen Duverture „Zur Weihe des Hauses“ sprach Fr. Olga Lewinsfy- Precheisen den von Rudolf von Gottshall gedichteten Prolog, Das musikalishe Programm wurde unter Leitung des Kapellmeisters MReinecke, welcher heute zum Ehrendoktor ernannt worten ift, musterhaft ausgeführt. Zur Aufführung gelangten Toccata und Fuge für Orgel (Bach), der 114. Psalm (Mendelssohn) und die neunte Sinfonie mit dem Schlußchor über Schillers Ode an die Freude. Im Foyersaal des neuen Gewandhauses wurden die Marmorbüsten Bachs, Schumanns und Reinecke's aufgestellt. Kom- merzien-Nath Blüthner hat dem Gewandhause einen prachtvollen Concertflügel geschenkt. Die Ausstattung des Juneren des Hauses if prachtvoll, die Akustik des Saales vortrefflich.

Im Residenz-Theater begann gestern Sgr. Ernesto Rossi sein Gastspiel und wurde bei seinem Erscheinen von dem Publikum, welches äußerst zahlreich erschienen war, um den gefeierten Künstler zu begrüßen, mit lebhaftem Applaus empfangen. Der berühmte Gast hatte als Antrittsrolle den „Kean“ in Dumas? gleihnamigem Schay- spiel gewählt und gewann auc in diesem, unserm Geschmack wenig zusagenden Stück gleich mit den ersten Worten die alte, ihm in Berlin f\tets bewahrte Sympathie von Neuem wieder. Die Rolle des Kean, welche lediglih darauf berechnet zu sein scheint, cinem routinirten Scauspieler die Möglichkeit zu geben, alle nur denkbaren Nuancen und Finessen der Schauspielkunst dem Publikum vor Augen zu führen, bot denn aub dem Gast hinreichend Gelegenheit, seine Meisterschaft in der darstellenden Kunst zu zeigen, Daß Hr. Rossi dabei nicht der naheliegenden Gefahr entging, zu- weilen hart an das Virtuosenthum zu streifen, kann nicht vershwiegen werden; in den Glanzstellen des Stückes jedoch wußte er stets das richtige künftlerishe Maß inne zu halten, und \o zählte die Unter- haltung mit Anna Danby, die Wirthshaus- und die Wahnsinns\cene zu den besten Leiftungen des Künstlers, welher stürmischen Beifall erntete und durch prächtige Kranzspenden ausgezeichnet wurde. Daß die Hauptrolle italienisb gesprochen wird, wirkt allerdings befremdlid), das tüchtige Ensemble mildert jedo diesen Eindruck ctwas, auch war das Zusammenspiel des Kean mit dem Sousfleur Salomon (Hr. Pansa), der Anna Danby (Frl. Wismar) und dem Seiltänzer Pistol (Beck) ein recht tühtiges. Die drei leßtgenannten Rollen wurden alle gleich gut dargestellt, während die Herren Reiber als Minister, Mügge als

namentlich die leßtgenannte Dame wußte ihre glühende Liebe zu Kean uns nicht recht glaubhaft zu machen, Das Publikum wohnte der Vorstellung mit sichtbarem Vergnügen bei und ließ es an Beifallsbezeugungen nicht fehlen.

Der Pianist Hr. Josef Weiß gab gestern im Saale der Sing-Akademie ein Concert, in welhem er Kompositionen klassischen und modernen Stils zu Gehör brachte. Eine für das jugendliche Alter des Concertgebers schr vorgeschrittene Technik be- währte sich in allen Klaviervorträgen ; nur ift zu wünschen, daß er noch die nöthige Ruhe und die maßvollere Verwendung des Fortes sih aneignen möge. Der Vortrag des Orgelconcerts von Friedemann Bach, sowie der Sonate von Scbumann ließ Beides vermissen, wäh rend Kompositionen freieren Stils, wie die Fantasie von Chopin, „Gnomenreigen“ von Liszt und „Nachtfalter“ von Strauß-Tausig besser gelangen. Auch als recht begabter Komponist bewährte si Hr. Weiß in vier Liedern nah Texten von Heine und Hans Hopfen. Obwohl von poetischer Erfindung, dürfte ihre Verbreitung doch durch das Vor- herrschen einer oft fomplizirten Klavierbegleitung erschwert werden, Der Königliche Hof-Opernsänger Hr. Paul Kalisch trug diese Lieder, sowie Kompositionen von Jensen und Dregert sehr innig und aus drucksvoll vor. Mit voller und umfangreicher Stimme begabt, müßte er nur die theatralishen Effekte beim Abschluß von Liedern idyllischen Inhalts zu meiden suchen. Das Publikum war zahlreich erschienen und begleitete die Vorträge beider Künstler mit lebhaftem Beifall.

Zum Besten des „Berliner ScGulvereins für Fort bildung von Mädchen der arbeitenden Klassen“ wird Pro- fessor Strakoscch am 5. Januar, Abends 74 Uhr, in der Sing Akademie cinen dramatischen Vortrag ‘halten, und zwar mit folgendem Programm: 1) Der polnische Reichstag aus „Deme- trius“ von Stiller. 2) „Der reiche Mann zu Cöln“ von E. Geibel, 3) „Strandgut“ von Coppée. Eintrittskarten zu 3 und 2 1 sind {on jeßt beim Hauswart der Sing-Akademie zu hahen.

Im C ircus Renz ersien in der vorgestrigen Vorstellung Frl. Clotilde Hager, die Tochter des ausgezeihneten, beliebten Sthulreites I. W. Hager und Enkelin des Altmeisters Renz, zum ersten Male auf einem neuen Springpferde, der englischen Vollblut- Fucbsstute „Cobham“, welche zu den werthvollsten Thieren des Renzschen Stalles gerechnet werden kann. Ohne Anlauf nahm die junge grazióse Dame die in dihten Zwischenräumen aufgestellten, etwa 6 Fuß hohen Hees und zum Schluß die doppelt übereinander gehaltenen ca. 9 Lu hohen Barrièren und zeigte dabei eine Sicherheit und Eleganz i Siß und eine Leichtigkeit in der Zügelführung, welhe Fachmänner" und Laten die lebhafteste Anerkennung abnöthigte.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (S ch{ olz). Druck: W. Elsnek- Fünf Beilagen (eins{hließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

sie bereits am Dienstag einem geladenen Publikum zu einer ersten Besichtigung geöffnet war. Nicht blos der ansehnlihe Zuwachs, den

züglihen Landschaften des Poussin und des Claude Lorrain die Mittelpunkte der in ihnen vereinigten Bildergruppen,

In Anwesen: |

Confeld und Frl. Hagen als Gräfin Confeld nicht fo ganz befriedigten;

293.

Erste Beilage Z ' zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Freitag, den 12. Dezember

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Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 12. Dezember. Jm weiteren Ver- laufe der gestrigen (12.) Sißung des Reichstages wurde die erste Berathung des von dem Abg. Munckel eingebrachten Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung des Gerihtsverfassungsgeseßes und der Strafprozeß- ordnung in Verbindung mit der ersten Berathung des von dem Äbg. Dr. Reichensperger eingebrachten Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung des Gerichtsver- fassungsgeseßes und der Strafprozeßordnung,

eseßt. e Z Pra Abg. Dr. von Gräveniß erklärte si gleichfalls sür Wiedereinsührung der Berufung, mit der das Prinzip der Mündlichkeit keineswegs kontrastire. Bei der Unvollkommen- heit des ersten Verfahrens komme aber gerade das Prinzip der Mündlichkeit gar nicht zu voller „Geltung, und eben die Unvollkommenheit des mündlichen Verfahrens mache die Berufung nothwendig. Die Klage über unzu- reihende Berücksichtigung der Beweisanträge sei eine ganz allgemeine, und daß sie begründet sei, habe man in der Thätigkeit am Reichsgericht voll erkannt. Redner ging dann zu ciner Besprehung der gegenwärtigen Praxis über, die ernste Bedenken hervorrufen müsse. Das Vertrauen nicht in die Richter, aber in die objektive Zuverlässigkeit der Entschei- dung sei gefährdet und das sei eine traurige Konsequenz Der gegenwärtigen Praxis. Die Anträge Munckel und Jeichen- sperger ständen also auf dem guten, fesien Boden der historischen Rechtsentwickelung und einer hundertjährigen Praxis. Die Beru- fung sei eine wesentliche Garantie der Güter, die im Strafver- fahren auf dem Spiele ständen ; und diese Garatie werde nicht allein in den Kreisen der Praktiker verlangt, sondern in den weitejtien Kreisen des Volkes. Auch der Reichskanzler, dessen weiten Blick sür die Bedürsnisse des Volkes man ja kenne, . habe das anerkannt. Der Abg. Rintelen {lage mit Reichensperger für die Berufung die Landgerichte vor, er (Redner) möchte sie mit Munckel

den Ober-Landesgerichten übergeben, weil, wenn der Berufungs- richter verpflichtet sei, mit Freiheit und Unbefangenheit von neuen Gesichtépunkten aus die Sache zu beurtheilen, ihm dann auch in formeller Beziehung eine völlig unabhängige Und selbständige, auh eine höhere autoritative Stellung, wenn es möglih sei, gewährt werden möge, Der _Kostenpunkt sei dabei nicht von Erheblichkeit. Daß bei Einführung der Berufung dieselbe auh gleihmäßig der Staatsanwaltschaft gegeben werden müsse, erfordere die gleihmäßige Gerechtigkeit zumal in der jeßigen Zeit, wo bei einer aufs Höchste gestei- gerten Kultur auch das Verbrechen an den Vortheilen diejer Kultur Theil nehme und seine volle Kraft gegenüber der menshlihen Geselishast entwickele, Der Zweck der Anträge werde aber durch eine Novelle bezüglih der mit der Berufung unmittelbar zusamuienhängenden Bestimmungen na seiner An- sicht nicht zu erreichen sein. Ein aus der Kette herausgerissenes Glied lockere das Ganze und bringe es zum Wanken; zahlreiche andere Bestimmungen ver Strafprozeßordnung würden in Mitleidenschaft gezogen werden, betreffend die Rechtsmittel, das Vorverfahren, die Stellung des Schwurgerichts und der Laien im Prozeß. Das führe, wenn nicht zur vollständigen, jo Doc zur umfassenden Revision der Strafprozeßordnung. Das hohverdiente frühere Mitglied des Reichstages, dessen An- wesenheit von seinen Freunden und auch in weiteren Kretjen vermißt werde, Hr. von Schwarze, führe in einer Abhand- lung aus, daß die Berufung die Fundamente der Straf: prozeßordnung berühre und sih wie ein rother Faden durch den ganzen Strafprozeß ziehe. Gleichwohl nehme er an, daß die Kommission, an die die Anträge verwiesen würden, ihre Ausgabe erledigen werde. i

Hierauf nahm der Bevollmächtigie zum Bundesrath, Staassekretär des Reichs-Justizamts, Dr, von Schelling das Wort: S N S

Meine Herrea! Meine gestrigen Mittheilungen über die Ab- sihten des Herrn Reichskanzlers, auf welche der Herr Vorredner gegen den SHluß seines Vortrages hinwies, haben auch gestern {on den Gegenstand der Besprehung gebildet und dabei is von einem der Herren Redner ich glaube, cs war Hr. Dr. Marquardsen be- merkt worden, das Vorgehen des Herrn Reichskanzlers {heine sich do auf einer ctwas {malen Grundlage zu bewegen. Wenn meine Mit- theilungen den Eindruck hervorgerufen haben sollten, der sich a dieser Bemerkung wiederspiegelt, dann glaube ich, wird dieser Ein- druck doh verwisht werden, wenn ih etwas Näheres über die Vorgesbichte mittheile. Die Wirksamkeit der Reichs-Justizgeseßze wird \{hon seit einer Reihe von Jahren im Reichs-Justizamte einer aufmerksamen Beobachtung unterworfen. Was den Herrn Reichskanzler persönlich aulangt, so hat derselbe s{on vor zwei Jahren der Frage der Berufung sein Interesse „zugewendet. M Sommer dieses Jahrcs nahmen die Erwägungen cine konkretere Ge- stalt an, im Reichs-Justizamt wurde eine Zusammenstellung der reformbedürftigen Punkte in unserm Serichtswefen ausgearbeitet und auf Grund dieser umfänglihen Vorarbeiten hat der Herr Reichs- kanzler bei Sr. Majestät dem Kaiser die Ermächtigung nachgesucht und erhalten, über eine Reihe von Punkten zunächst mit der Königlich preußischen Regierung und den Regierungen der anderen größeren

undesftaaten in Berathung zu treten :

Ich babe gestern dem Gegenstand unserer Verhandlung gemäß mich darauf beschränken müssen, die auf den Strafprozeß bezügliben Punkte hervorzuheben und habe mich auch hierbei auf die Hauptpunkte mit Uebergehung blos nebensächliher Fragen bes{chränkt. Da ich nun aber dur die gefallene Acußerung provozirt bin, meine Mittheilungen zu erweitern, so nehme ih gar keinen Anstand, zu erklären, daß auch Fragen der Civilgerichtsordnung der Erwägung der Regierungen werden unterstellt werden. Ih habe keinen Grund, mit der Mit- and der wichtigeren der in Betracht kommenden Punkte zurück- zuhalten.

Meine Herren! Es handelt sich zunächst um die Frage, ob der

nwaltszwang in seiner gegenwärtigen Ausdehnung unserem gegen- wärtigen Bildungsftande entspriht. Des ferneren werden zur Dis- kussion gestellt werden verschiedene Punkte, welche das Gerichts- vollzieherwesen betreffen; es wird namentliÞh in Frage ge- zogen werden, ob die große Selbständigkeit unserer Gerichtsvollzieher sie niht manchmal zu einer eigenmächtigen Ausbeutung ihrer Stellung veranlaßt, ob nit insbesondere dur die Freiheit, welhe ihnen in ezug auf die Aufbewahrung und den Verkauf der Pfandstücke ein- Beil, le häufig der Schuldner in unberechtigter Weise benach- tgî wird.

Es handelt sch aber dabei no% nicht um definitiv gefaßte Ent-

ont8 uud

preußis{en Regierung, einer näheren Erwägung unterzogen werden follen, um die Möglickeit einer Reform und das Ziel und den Umfarg derselben festzuitellen. Es ist leiht mögli, daß andere Punkie unseres Prozeßrech!8s in den Bereih der Er- örterung gezogen werden und daß in , Folge dessen die Revision si in weiteren Grenzen als den zunächst in Ausficht ge- nommenen bewegen wird. Im Allgemeinen möchte ih es aber doch im Anschluß an das, was der Hr. Abg. Rintelen heute hervorgehoben hat, für räthlich erachten, den Bereih der vorzunchmenden Revision nicht zu weit zu \tecken, denn, meine Herren, Prozeßgeseße haben noch mehr wie andere Gesetze eine organishe Natur, „wo ein Schlag tau- send Verbindungen regt“. Wenn man zu viel Tasten ans{chlägt, dann verscht man noch viel mehr Töne ins Mitklingen und es ift dann zu fürchten, daß wir zwar in schr nüßliche, sehr interessante Erörte- rungen uns verlieren, daß aber darüber das eigentliche praktische Ziel der Reform aus den Augen oder doch in die Ferne gerückt wird. Die Diskussion wurde geschlossen. Jm Schlußwort sührte der Abg. Munckel aus, daß gerade das Motiv, die Kreise der Revision nicht zu weit zu ziehen, ihn und den Abg. Reichensperger zur Stellung der Anträge, die bestimmte Punkte beträfen, veranlaßt habe. Das Vorgehen der Regierung begrüße er mit Freuden, denn alle die vom Staats- sekretär angeführten Punkte seien revisionsbedürftig. Für die Kommission gelte es, die Berufung in den Rahmen der Straf- gesehgebung einzusfügen, der Weg, wie das geschehen solle, sei Sache der Kommission. Die Menge von Wünschen, die von allen Seiten des Hauses wah geworden seien, würden sih nit erfüllen lassen ohne das Rechtsmittel der Berufung. Wenn man sage, die Thatsachen würden in zweiter Fnstanz nicht so lebhaft dargestellt, so sei es auch wahr, daß die zweite Verhandlung leidenschastsloser sei. Weil die zweite Verhand- lung später sei, brauche sie niht schlechter zu sein. Niemand sei es eingefallen, die Revisionsinstanz abzuschaffen, weil jeder Richter sih bewußt sei, daß er über Rechtsfehler nit erhaben sei, daß bei der ersten Verhandlung in Bezug auf Prüfung der Thatsachen, oft der feinsten seelishen Vorgänge, Jrrthü- mer mögli seien. Jemand werde, obgleih unbescholten, von einem Diebe der Hehlerei beschuldigt. Der Richter glaube dem Diebe, denn was solle derselbe für einen Grund haben, den Mann fälshlich zu bezihtigen? Der Uns- besholtene werde verurtheilt, und wenn es niht ge- linge, irgend einen kleinen Rechtsirrthum _nachzu- weisen, so bleibe es bei dem Urtheil. Es würden in erster Jnstanz Verdikte gefällt, die physikalishe Grundsäße beträfen. So sei in einem Urtheil ausgesprochen, daß, wenn ein Gefäß eine Treppe herunterfalle, es nur die Beine, nicht den Kopf des Untenstehenden treffen könne. Gegen folche Urtheile habe selbst das Reich8geriht kein Mittel. Der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit sollten die vorliegenden Anträge zuwider sein! Wenn dies au der Fall wäre, so würde er sie doch annehmen, wenn die Praxis cs erfordertn sollte. Wie jeßt das Revisions- verfahren gehandhabt werde, gehe aus folgendem Falle hervor : Ein Mann werde vom Landgericht zu Hannover wegen Betruges angeklagt und freigesprohen, das Neichs- geriht vernihte das Urtheil und weise die Sache an das Landgericht zurück. Nun werde der Angeklagte in einem lichtvollen Erkenntniß verurtheilt. Das RNeich8gericht vernihte auch dieses Urtheil, und dann spreche das Landgericht » den Angeklagten wiederum frei. Wer hâtte niht gewünscht, daß in dem vielbesprochenen Runge'schen ¿Falle das zweite Mal ein anderes Gericht geurtheilt hätte? Auch das Reichsgericht habe ja die Befugniß, die zweite Entschei- dung an ein anderes Gericht zu verweisen, falls der betreffende Bundesstaat groß genug sei, mehr als ein Landgericht zu haben. Auch der Vertheidigungs8zwang könne die Berufung nidt entbehrlißh machen. Wie werde dieser Zwang gehand- habt? Beim Schwurgeriht in Hannover verwende man rein aus fiskalishen Gründen statt der in genügender Anzahl vor- handenen Rechtsanwälte junge Referendarien, nur weil sie billiger seien, Diese jungen Leute könnten unmöglih ihre Aufgaben gegenüber der Autorität des Staatsanwalts erfüllen. Nicht um eine Umwälzung der Rechtsverhältnisse herbeizu- führen, sondern um die Wohlthaten der Neichs-Justizgeseße dem Volke zu Gute fommen zu lassen, seien diese Anträge eingebracht worden. i : Der Aba. Kayser erklärte, daß es seiner Partei durch den

Schluß der Diskussion unmöglih gemacht worden sei, sih an der Debatte zu betheiligen. S E e

Beide Anträge wurden an cine Kommission von 14 Mit- gliedern verwiesen. S

Es folgte die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststelung des Reichshau shalts- Etats für das Etatsjahr 1885/86, mit der Diskussion des Etats der Verwaltung des Reichsheeres (fortdauernde Ausgaben Kap. 21 Tit. 1). | :

‘Die L in Tit. 1 und 2 für die Adjutanten Sr. Majestät, 12 Stellen für Offiziere in der Charge vom Haupt- mann bis zum General der Fnfanterie resp. Kavallerie 88 500 und für die 76 Adjutanten bei deutshen Fürsten und höheren Militärbehörden, ‘312 912 /( wurden ohne De- atte genehmigt. S : E : n Tit 3 werden für Offiziere bei den Stäben der Armee-Jnspektionen, sür Militärbevollmächhtigte bei auswär- tigen Gesandtschasten und für 94 Offiziere in sonstigen be- sonderen Dienststellungen 450 000 /6 gefordert. :

Der Abg. Frhr. von E beantragte, diesen Titel an die Budgetkommission zu verweijen. j j Der Abg. iee ‘(gagen) {lug vor, den Titel um 100 000 M zu ermäßigen. Es handele sich in demselben nicht um Stellen mit bestimmten Funktionen, sondern die Fonds des Titels schienen zur Unterhaltung der nichtetatsmäßigen Offiziere bestimmt zu sein. Ein Nachweis über die Verwen- dung der geforderten 450 000 sei niht vorhanden. Aus der Rang- und Quartierliste könne man entnehmen, daß aus diesem Fonds 2 General-Lieutenants, 1 Oberst und 1 Oberst- Lieutenant besoldet würden; der größere Theil desselben müsse also für die nihtetatsmäßigen Majors in Verwendung fom- men, deren Zahl besonders groß bei der Fnfanterie fei. Wahr- \cheinlih hänge das damit zusammen, daß ältere Hauptleute den Majorstitel erhielten, während sie nah wie vor

bindung mit den bezeihneten Regierungen, insbesondere mit? der [ Thatsache Avancement beschleunigt werde. nung nichtetatsmäßiger ) Artillerie und dem FFngenieur-Corps gar niht. Jm FJnteresse

würde darauf hinauslaufen, daß das vom Premier - Lieutenant zum Hauptmann Bei der Kavallerie mache sih die Erschei- Majors kaum bemerkbar, bei der

der Finanzlage werde eine Herabminderung des Titels auf 350 000 M geboten erscheinen.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats-Minister Bronsart von Schellendorff das Wort: Meine Herren! Ich habe nit ganz genau verstanden, in welcher Höhe der Hr. Abg. Ribter diesen Titel zu ermäßigen wünsht. Das würde dann auch Gegenstand der Erörterung in der Budgetkommission sein, wenn dem Antrage des Hru. Abg. von Huene entsprochen wird, diesen Titel in die Budgetkommission zu verweisen. Ih möchte mich nur gegen ein paar Worte des Herrn Abgeordneten hier richten. Dieser Titel dient ausgesprobenermaßen, wie der Herr Abgeordnete auch selbst angeführt hat, dazu, um vorübergehenden Bedürfnissen in der Militärverwaltung genügen zu können, und er hatte au hervorgehoben, daß der Reichstag dieses Bedürfniß durch die bisherige Bewilligung der Summe gewissermaßen anerkannt hatte. Es ist wirklich kaum erforderli, darüber noch viel zu spreh¿n. Bei einer großen Armee, wie die preußische es ist, machen sich derartige Bedürfnisse ja gel- tend. Ich bin nit im Stande, sogleich die Zahlen zu kontroliren, welche der Herr Abgeordnete in Bezug auf Einzelheiten hier ange- geben hat, wie viel Generäle u. \. w. aus diesem Titel eine Besol- dung empfangen, ih möchte nur bemerken, daß wenn etwa in den Mehrforderungen an etatsmäßigen Stellen, die wir în diesem Etat beanspruben werden, der dadurch bedingten Mehrforderung ein gleichartiger oder gar noch weiter gehender Abstrich in dem Titel 3 Kapitel 21 gegenüber gestellt würde, daß uns damit aufrichtig nicht geholfen werde, denn wir würden ja sonst im Stande gewejen sein, auf diesen Titel diejenigen Stillen zu „übernehmen, die wir jeßt etatmäßig fordern. Wir sind aber der Meinung, daß Stellen, welche fich als dauerndes Bedürfniß der Militärverwaltung unter bestimmten Gesichtspunkten herausstellen, auch da in dem Etat zu erscheinen haben, und nit auf diesen Titel kommen, und möchte alauben, daß, wenn sich also einzelne neue Stellen als dauernd im Etat ergeben, daß die an und für sich ohne Einfluß bleiben dürsten, auf die bis- herige Dotation dieses Titels, da kein rationeller Grund meiner Meinung abzusehen ist, dafür, daß, weil wir einzelne etatmäßige Stellen dauernd mehr bedürfen, daß darum ein vorübergehendes Be- dürfniß sich weniger geltend machen könnte. Nun ift der Herr Abgeordnete speziell eingegangen auf einen sehr bedeutenden Theil dieses Titels, nämlich auf die aggregirten Stabs- offiziere von der Infanterie, und da glaube ih, daß es ja auch für das Plenum, vorbehaltliß der Berathung in der Kommission, von Interesse sein wird, wenn ich diesen Punkt etwas näher erörtere. Es ist bekannt, meine Herren, daß das Avencement der Armee in den höheren Stellen seinen Ausgang nimmt von der Beförderung zum Stabsoffizier. Wir haben nun ein Interesse daran, daß wir doch das Avencement in den einzelnen Re- gimentern, welches grundsäßlih bis zum Stabsoffizier im Regiment geht, nicht allzu ungleihartig werden zu lassen, weil das ja eben die Grundlage bildet für die weitere Beförderung in der Armee. Es fommt weniger darauf an, ob Jemand in einem Regiment etwas früher Premier-Lieutenant oder Hauptmann wird; es find das Unan- nehmlihkeiten für Denjenigen, den es ungünstig : trifft, die 0 Ar O N U V Q militärische Zus kunft übertragen. Wird aber Jemand erst später Stabsoffizier, dann überträgt sich das für ihn für seine ganze spâtere militärische Zukunft; also es liegt ein Interesse der Ausgleihunz des Avance- ments an dieser Stelle, wo das Regimentt-Avancement in das allge- meine Armee-Avancement übergeht, vor. Nun würden wir, wenn wir etwa zur Beförderung zum Stabsoffizier diese Verhältnisse dadur berüsichtigten, daß wir jede Stabsosfiziervakanz, die irgendwo eîn- tritt, beseßten dur® den ältesten Hauptmann aus irgend einem anderen Infanterie-Regiment der Armee, niht nur einen höheren Grad von Unstetigkeit in das Offizier-Corps hineintragen, sondern es würde auch ein erheblich höherer Betrag von Umzugs- und Ver- seßungskosten erforderlih werden. Das ift {on ein Grund, weshalb wir einen Offizier, welher in feiner Anciennetät heransteht zum Major, unter Umständen, obgleih im Augenblick eine Vakanz im eigenen Regiment nicht vorhanden ist, diesem aggregtiren und ihn zum Major befördern, und wenn nah furzer Zeit dann eine Vakanz in diesem Regiment eintritt, ihn in das Regiment einrangiren. Der Herr Abgeordnete wird, wenn er diese Frage weiter ver- folgt, meine Angaben bestätigt finden, daß wir nicht etwa dieselbe Persönlichkeit als aggregirt längere Zeit durch cinen Truppentheil durchs{leppen, es müßte denn besondere Gründe haben, also eine vorübergehende, aber doch längere Zeit in Anspru nehmende Erkrankung, wo wir den Offizier nit penfioniren wollen, weil wir uns noch weitere Vortheile von scinem Dienste ver- \prechen. N Wenn der Herr Abgeordnete ganz richtig hervorgehoben hat, daß ih das bei der Infanterie ganz besonders geltend macht, so fommt hier noch zur Sprache, daß die Infanterie bei der Beförderung zum Stabsoffizier augenblicklich die allerungünstigsten Verhältnisse aufzuweisen hat und daß auch ein ganz erhebliches Interefje der Militärverwaltung vorliegt, die Offiziere nicht allzulange in der verantwortlichen und im höchsten Grade aufreibenden, ih möhte beinahe sagen abstumpfenden Stellung des Compagnie- chefs zu lafsen. Die Herren bleiben jet, wte Sie fich aus jeder Anciennetäts-Liste überzeugen wollen, etwa zwölf Zahre in der Stellung eines Compagniechefs und das is wirklih sehr viel, und da finden Sie, während das Avancement bei der Artillerie und dem Ingenieurcorps si zur Zeit viel günstiger gestaltet, als bei der Infanterie, dieses Verhältniß bei der Infanterie besonders ausgeprägt. Bei der Kavallerie ist man wenigstens im Stand-, den Avancements8- verhältnissen insoweit nachzuhelfen, als man Stabsoffiziere auch als Escadronscefs belassen kann und sie als solhe Majore mit Patent werden können. Wir gehen aber von der Anficht aus, daß im großen Dienst ein Stabsoffizier niht zu Fuß erscheint , daß, es also der allgemeinen Auffassung widersprehen würde, einen Major zu Fuß in seiner E pagnie als Compagniecbef zu sehen, weil die Compagniechefs einen großen Theil ihres Dienstes ¿zu Fuß thun. Das nd also die nd D Uebrigen habe ih garnichts dagegen, daß dieses ganze Kapitel oder der Titel in die Budgetkommission Überwiesen wird, und ich bin gerne bereit, dort noch weitere Aufklärungen zur Begründung des thatsächlich bestehenden Zustandes und zur Begründung des hier au wieder eingestellten Etatans{lags zu geben.

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, die Erläuterungen des Kriegs-Ministers seien dankenswerth und neu, sie stellten diesen Titel in ein ganz besonderes Liht. Die Fonds desselben hätten nur zum kleinsten Theil die Bestimmung, vor- übergehenden Bedürfnissen zu genügen, sie hätten vielmehr die Be- stimmung, das Avancement auszugleichen und eine künstliche Be- \hleunigung desselden herbeizuführen. Der leßtere Gesichts- punkt werde der maßgebende sein, denn wenn es sich in erster Linie um eine Ausgleihung handelte, würde auch die

\{ließungen, sondern es handelt sich nur um Punkte, die in Ver-

das Gehalt eines Hauptmanns bezögen, und die

Kavallerie an diesen Fonds mehr betheiligt sein. Jndessen