1884 / 295 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 15 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

und kostbaren Ausftattung tob wobl einem Gefühl der Anerken- rup und Danfkkarkeit weihen, „Die Weltfahrt des Centurion® betitelt fic der cine Band, iín welchem uns von Br. Hoffmann ein Bild aus dem Seemannsleben ge- boten wird. Der Centurion war cine Fregatte, welhe im Jahre 1741 aus einem englischen Hafen auslief, um eine Reise in die weite Welt zu unternehmen. Er war im Verein mit mebreren anderen Schiffen bestimmt, in den zwischen England und Spanien aus- gebiochenen Krieg thätig mit cinzugreifen. Nicht aber in Spanien eiwa, überhaupt rit in Eurovya und der alten Welt sollten die Schiffe in Aftion treten, ihre Bestimmung beorderte sie vielmehr auf die andere Erdhälfie. Den atlantischen Ozean sollten sie durkreuzen, die Südspiße von Amerika umschiffen, in den stillen Ozean einlaufen und bier dén sponishen Kolonien auf der Westküste der reuen Welt fo viel Abbruch thun, als mögti sein würde. Dort glaubte England feinen Gegner weit empfindlicher treffen zu können als fin Spanien selbs, und da Spaniens Bedeutung überhaupt nur in seinen amerikanischen Kolonien lag, aus denen es uncrmeßliche Schätze an edlen Metallen bezog, so wog jener Scbaden hundertmal \{chwerer, cls wenn er irgend eine Stadt des Mutterlandes betroffen bätte. Aus d.m hier kurz Zusammengefaßten geht hervor, daß der hübsch und anziehend geschriebene Inhalt cin spannender ift, und hat es der Berfasser denn auch verstanden, die jungen, abenteuerlustigen Gimüther seiner Leser unterhaltend und anregend zu beschäftigen. Sechs sauber in Holzschnitt ausgeführte Bilder geben eine hübsche JIlluftration zum Jnhalt. Gleich interessant wie das oben besprochene Buch sind die „Wilden Scenen,“ Erzählungen für die reifere Jugend, von W. Lackowitz. In der ersten Geschichte: „Die Franctireurs“ giebt uns der Verfasser ein auscaulices Bild aus der Zeit des deutsch- französischen Krieges von 1870/71. Das gefährlihe Treiben dieser Freischärler kat er in einer anzichenden Geschichte fris und aecfällig zu zeichnen verstanden. Die zweite Scene betitelt sid: „Fn der Sturmfluth", und verseßt uns mitten in die Schrecken der großen Wassersnoth, welche im Jahre 1872 die Küsten unseres deutschen Vaterlandes so fürchterlih heimsuchte. Der „Prairi-brand“ führt uns all’ die Schrecknisse, welche folch ein grausiges Naturereigniß mit sih bringt, vor Augen. „Jn Schnee und Eis“ heißt die nächste Scene, die uns in das Gebiet der ehemaligen Hudsons- Compagnie führt, jener Geselischaft, welhe von der englis{en Regierung, der dies Land gehört, das Privilegium erhalten hatte, durch eine große Anzahl von Jägern und Falkenstellern die hier so zahlreien Pelzthiere jagen urd fangen zu lassen. Die nächste kurze Geschichte: „Auge um Auge“ verseßt uns unter die Jndianer, während die darauf folgende von einer Jagd auf s{warze Bären erzählt, und uns lebendig die Gefahren, welchbe mit einem solchen Unternehmen verbunden sind, s{ildert, Eine Jagd auf Elephanten bildet den Inhalt der nächsten: „die Aggadschi1s* betitelten Geschichte, die uns auf den Boden des geheimnißvoVen Landcs Afrika versetzt und ebenso spannend ift, wie die vorige. Den Beschluß des Buches macht eine Indianergeschicbte, wie sie ja von den Knaben noch immer so gern gelesen werden. Die Widerwärtigkeiten, welche einer Aus- wandererfamilie in dem uncivilisirten Westen drohen, sind hier packend geschildert, u.d der Leser erhält einen Einblick in das fremdartige, wildvewegte Leken, wie es sih in jenen Gegenden, wo die Kultur den Wilden lanasam den Boden Stück für Stück abringt, noch immer vo: findet. So bietet aub der eben besprochene Band eine Fülle von Anregung und Belehrung und wird der Jugend ebenso willkommen sein wie der oben ktehandelte. Der Preis jedes elegant in Leinwand gebundenen, geschmackvoll verzierten Bandes, welcher mit fes Tünftlerish ausgeführten Bildern ges{chmückt ist, beträgt Mk. 3 59.

Reallexikon der Deutschen Alterthümer. Ein Hand- und Nachschlagebuh der Kulturgeschichte des deutschen Volkes, be- arbeitet von Dr, E. Gößinger. Zweite vollständig umgearbeitete, vermehrte und illustrirte Auflage. Leipzig, Verlag von Woldemar Urban. 1885. Lieferungen 16 bis 24. (Schluß.) Mit diesen Liefe- rungen gelangt die 2. Auflage des trefflichen Lerikons zum Ab- \{luß. Die leßten Hefte enthalten die Artikel „Novelle“ bis „Zwerg.“ Besonders eingehend behandelt und umfangreich {ind die Abschnitte Opfer, Ortnamen (mit instruktiven Angaben zu ihrer etymologischen Erklärung), Parzival, Perfonen- und Familiennamen, Pferd, Plastik (mit vielen vortreffliten Abbildungen), Rechtssymbole, Reliquien, Renaissancestyl (mit einer Reihe sorgfältiger Illustrationen), Ritterorden und Ritterthum, Romanische Baukunst (mit Abbildungen), Schild, Swolastik, Schreibkunst und Schrift, Schulwesen, Seewesen, Spiele, Stadtbefestigung, Städte, Strafen und Strafverfahren (fulturdistorisch besonders interessante Abschnitte), Tanz, Teufel, Thierfage, Tortur, Todtentanz, Tracht (ein besonders umfänglicher nnd anziehender Artikel), Tristan, Tournier, Unehrliche Leute, Universitäten, Bolksbücher, Volkskrankheiten (sehr ausführlich), Vocolkslied, Wal- tharilicd, Wappen, Wartburgkrieg, Wein, Wodan, Zablen, Zimmer- auéstattung (ein umsänglid:er Abschnitt), Zunft- und Gildewesen, Zwerge. Die neue Auflage des Götingerschen Reallexikons zeichnet i vor der erften zunächst im Ganzen durch Vermehrung des Stoffes aus : nit nur sind die älteren Artike! zum Theil sehr erheblich erweitert, sondern es ist auc eine beträchtliche Anzahl ganz neuer hinzuge- tommen, womit das Werk entschieden an Volifländigkeit und um die Hälfte an Umfang gewonnen hat. Daß dagegen die Uebersetzung der „Germania“ von Tacitus in der neuen Auflage fortgeblieben, ist zu bellagen: sind doch die, wenn auch \pärlihen Angaben des römischen Historikers in ihrer lapidarishen Knappheit so rect eigentlich die Basis des Gebäudes der deutschen Alterthumswissenschaft, auf welche man aus Mangel an anderen Quellen dieser Frühzeit immer wieder zurückgehen muß. Wenn der Abschnitt wirkli nur aus Mangel an Raum fortgeblieben ist, hoffen wir ihn in der nächsten Auflage wiederzufinden, zumal es, wie der Verfasser selbst eingesteht, au noch mancher anderen, bis jeßt niht zu ermöglihenden Erweiterung (z. B. der kirchlihen Artikel, Sakramentalien 2c.) und einver glcichartigeren Behandlung des Stoffs bedarf, wie es ja bei einem ganz neuen lexikalishen Unter- ehmen erklärliher Weise niht im ersten Anlauf zu erreichen war. Einige Druckfehler, wie z. B. in dem Artikel Plastik: Syalin statt Syrlin, Schlütter statt Schlüter, werden leiht zu verbessern sein. Die zahblreiwen und sforgfälticen Jllustrationen befördern die An- s\chauuñg und tragen zum leichteren Verständniß in sehr angenehmer Weise bei. Die Artikel sind sehr anregend geschrieben und geben in ihrer Gesammtheit ein fast vollständiges Bild der altdeutsck;en Kultur. Die neue Auflage des Lexikons ist noch redtzeitig vor dem Feste zum Abscbluß gekommen und wird si wie die erfte in der reichillustrirten Ausftatiung viele Freunde erwerben.

Gewerbe und Handel.

Nürnberg, 13. Dezember. (Hopfenmarktberict von Leopoid Held.) Am Hopfenmarîte herrs{t gegenwärtig außerordent- lihe Stille und betrug der Umsaß gestern rur 100 Ballen, heute etwa 140 Säcke. Preise sind durchgehends einige Mark billiger und Cigner drängen zum Verkauf. Die Lagerbestände sind belangreih und bestehen zum großen Theil aus Mittel- und geringer Waare, während wirkliche Prima-Sorten rar und gesucht find. Die Tendenz des Marktes ift eine sehr ruhige und gedrückte. Die Preise, welche in den leßten Tagen bei Verkäufen bezahlt wurden, sind sehr ve: bieden. Markthopfen 55—75 #Æ; Hallertauer 70— 8 Æ; Württ: inberger 66—98 M. ; Gebirg8hopfen 75—88 M ; Elsäfser 60— 80 M; Vojener 85—110 #; Wolnznacher und Auer S. 85—110 X

Glasgow, 13. Dezember. (W. T. B.) Die Vorrät 5e von Roheifen in den Stores belaufen fich auf 579 400 Tons, gegen 582 900 Tons im vorigen Jahre. Zahl der im Betriebe be}. adlichen Hocböfen 93 gegen 102 im vorigen Jahre.

New-York, 14. Dezember. (W. T. B.) Der Werth der Waarenetnfuhr in leßter Woce betrug 8 100 000 Dollars, davon entfallen 1700 000 Dollars auf Manufakturwaaren.

Verkehr&-Anuftalten.

Bremen, 15. Dezember, (W. T. B,) Der Damvfer des Norddeutschen Lloyd „Ems“ ist gestern n C Ub Ut New-Yoik eingetroffen.

Hamburg, 13. Dezember. (W. T. B.) Der Postdampfer Rhaetia“ der Hamburg-Amerikanishen Packetfahrt- Aktiengesellschaft ist, von Hamburg kommend, heute Morgen

in New-York eingetroffen, und der Postdampfer „Wieland“ derselben Gesellschaft hat, von New-York kommend, heute Vormittag Kap Lizard passirt.

Sanitätswesen und Quarantänewesen.

Egypten.

Durch Beschluß des Conseil sanitaire, maritime et quarante- naire à’Egypte vom 24. November d. J. ift die Quarantäne für Ankünfte aus italienischen Häfen (R. A. Nr. 214 vom 11. Sep- tember) mit Ausnahme Neapels auf eine 24 stündige Beob- atung und diejenige für Ankünfte aus französishen Häfen (R. A. Nr. 181 vom 4. August) mit Ausnahme Algiers auf 48 Stunden (mit Ausschiffung der Pafsagiere ins Lazareth und Desëinfektion) herabgeseßt worden.

Berlin, 15. Dezember 1884.

Bei der am Sonnabend im Grunewald abgehaltenen leßten Hohwildjagd heuriger Saison sind in einem un- weit des Sterns mit dunkelem Zeuge eingestellten «Jagen 22 Schaufler und 217 Stück Damwild erlegt.

Hiervon streckten Se. Majestät der Kaiser und König 11 Shausfler und 29 Stück Damwild, Se. Ma- jestät der König von Sachsen 4 Schausler und 6 Stü( Damwild, Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kron - prinz 1 Schaufler, Se. Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen - Weimar 10, Jhre Königlichen Hoheiten die Prinzen Wilhelm und Friedrich Carl von Preußen 36 und bez. 23, die Erbgroßherzöge von Sachsen Weimar und Baden 3 und bez. 1, Prinz August von Württemberg 2, Jhre Hoheiten Herzog Johann Älbrecht von Mecklenburg 15 Stück Damwild und der Prinz Ludwig von Baden 1 Schaufler und 3 Stück Damwild. Morgen, Dienstag, findet Königliche Parforce-Jagd statt. Rendez-vous: Vuillaas 1 Uhr zu Jagds{loß Grunewald.

Wie in dem Bericht über den Umbau der Gemäldegalerie der Königlihen Museen in Nr. 293 des „NReichs-Anz." kurz erwähnt wurde, haben in den jeßt wiedereröffneten Räumen bereits auch die neuesten bedeutenden Bereicherungen der Sammlung ihren Plaß gefunden. Von denselben ist das im letzten Heft des Jahrbuchs der Königlich preußischen Kunstsammlungen publizirte, in der Wirkung allerdings weit über die durh die Photographie er- weckte Vorstellung hinausgehende Gemälde ber „Auferstehung Christi * voa Lionardo da Vinci; das erst neuerdings aus den Magazinen wieder ans Licht gezogen und in seinem Werth erkannt wurde, vor Kurzem an dieser Stelle eingehend besprochen worden. Ihm gesell A als ein Hauptwerk eines an- deren hervorragenden Meisters der italienischen Malerei die von dem Lord Dudley erworbene Darstellung des «„Jüngsten Gerichts“ von Fra Giovanni Angelico da Fiesole. Bei vor- züglicer Crhaltung ift das in Tempera gemalte figurenreiche Bild eine in jeder Hinsicht in hohem Grade carakteristische Probe der Kunst des eigenartigen Meifters, der, mit seinen Anschauungen noch völlig in der Tradition des Mittelalters wurzelnd, mit der gesteigerten Aus- drucksfähigkeit und den entwickelteren Darftellungsmitteln sciner Zeit den geistigen Jnhalt jcner rückwäris liegenden Periode im Beginn des 15. Jahrhunderts noch eiamakl in künstlerisch abgeklärten Formen ausgestaltet. Ein Tripiychon, über dessen \{malere Flügel die von der mittleren Tafel ausgehende Komposition nach beiden Seiten bin sich fortseßt, sch{ildert das Bild den Vorgang im Rahmen der altüberlieferten Anordnung. In der Glorie thront oben in der mittleren Tafel mit erhobener Rechten Christus als Weltrichter in der würdevolisten Auffassung, die dem Künstler ge- lang. Um ihn sind, während zu seinen Füßen der Engel mit dem Kreuz von einer Wolke getragen wird, zu beiden Seiten die Schaaren der Heiligen, der Apostel und Kircbenväter versammelt und mit ihnen die Reihen der Engel, unter denen Gestalten von lieblichster Jugendschönheit und edelster Grazie das Lude feln Sn der Tiefe aber vollzieht si in dem Gewühl der Auferstehenden das Gericht. Von fratzenhafsten Dämonen werden die Verworfenen gepackt und nach rechtshin in den dort sih öffnenden Schlund der Hölle gerissen und ihren Qualen überliefert, während die Sceligen von beflügelten Engeln nach linkshin zu den blumigen Gründen des Paradieses geleitet werden und weiter aufwärts der Reigen der Engel und der Auserwählten den in der Höhe Versammelten zustrebt. Ist in den nach rechts fich entwick.lnden, zusammengedrängten Grupven bei unbefangener Naivetät der Darstellung die dem Können des Künstlers gezogene Grenze in Bezug auf die Veranschaulihung frei entfesselter Gnergie der Bewegung nicht zu verker.nen, so zeigt er sich in der linken Hälfte und in den oberen Partieen der Komposition dafür umsomehr in vollstem Umfange als Meister in der Schilderung feierlich ruhevoller Stimmung und einer zart und innig beseelten, die lauterste Reinheit dcs Empfindens widerspiegelnden Anmuth der Erscheinung. In diesen Partien erreiht denn auch die unvergleichlich fein durch- bildende Malerei ihre höchste Vollendung, bei größter Zartheit der Modellirung die ungetrübteste Schönheit der Farbe Und in dem blumigen Wiesengrunde eine in feltenem Grade satte und klare Tiefe des Tons. Einen noch kostbareren Besiß hat die Galerie endlich in dem Dürerschen Porträt des Hieronymus Holz- \chuher gewonnen, dessen Ankauf nit blos im Hinblick auf den hohen fkünstlerishen Werth des Gemälde3, sondern ebenso auch um der Bedeutung willen, die es als eine der imposantesten Leistungen nationaler Kunst gerade für uns besitzt, mit allgemeinstem Beifall begrüßt worden ist. Aus dem Jahre 1526 stammend, in welchem Dürer das 1883 für die Galerie erworbene Porträt des Nürnberger Patriziers Jacob Muffel malte und die bei- den großartigen Müncener Tafeln mit den Figucen der vier Apostel vollendete, ist das Bild, von welchem der Stich von Friedri Wagner vom Jahre 1843 zwar cine gewissenbafte Reproduktion, aber keines- wegs eine erschöpfende Vorstellung giebt, als das vollendetste Porträt von der Hand des Meisters anerkannt. Den Dargestellten, der, 1469 ge- boren und 1529 gestorben, als Bürgermeister und Septemvir der freien Reichsstadt in angesehener Stellung lebte, dem engeren Freundeskreise Dürers zugehörte und mit ihm zu der in Nürnberg vereinigten Ge- meinde begeisterter Anhänger der Luthershen Reformation zählte, schildert es mit ciner Unmittelbärkeit packenden Lebens, die so wenig übertroffen werden kann wie die bis zum Acußersten getriebene und doch zugleich durch das volle Gepräge großer und vornehmer Behand- lung ausgezeihaete Durbführung der gesammten Malerei. Der leicht nach rech1s gewandte Kopf von außerordentli individueller Bildung, dessen leucbtend klare Augen nach linkêhin aus der Tafel herausblidcken, verräth in jedem Zuge den eigenartigen, fkraftvoll gesunden und in fich geschlossenen Menschen von hellem Verstand und erfahrenem, {nell auffassendem und lebendig und wohlwollend theilnehmendem Wesen. Fast noch gesteigert abcr wird die Frische der ganzen Gr- scheinung dur den eigenthümlichen Kontrast des warmen, blühenden Fleishtons und des gewellten weißen Haupt- und Barthaars, das in reihliwer Fülle den Kopf umrahmt. Wie die vollen und dabei energisch bestimmten Formen des letzteren in uteister- hafter Modellirung bis auf das feinste Detail plaftish herauëgearbeitet sind, so ist das luftige Gekräusel des Haars, das braune Pelzwerk und der darunter sictbare Damasft des Gewandes mit dem ganzen, hingebenden Fleiß Dürerscher Kunst getreulich der Natur nahgebildet, die so mit sichtbarer Liebe bis ins Kleinste vollendete Arbeit aber glücklicher Weise auch fast unberührt: erhalten geblieben. Nur am äußersten Rande des Haars und des Pelzkragens erkennt man in einigen von fremder Hand nachgezogenen Strichen

die leßten sihtbaren Refte der Entstellung, die das Bild im Anfang

dieses Jahrhunderts dur eine jetzt in Berlin gescbickt entfernte durt, UVebermalung des in annähernd ursprünglihem Ton wieder bai gekommenen hellen grünlichen Fonds erfuhr. In dem alten einfachen Rahmen, in welchem das Portrait seit seiner Entstehung \i bis auf unsere Tage im Besiß der Holzshubershen Familie vererbt hatt, hat das seltene Werk nun als eine der auserlesensten Zierden Ie Galerie seinen Plaß in dem zweiten Kabinet des östlichen Flügels neben dem Bildniß des Jacob Muffel an der Stelle gefunden, j, vorher der jeßt in dem Kabinet an der Rückseite des nördlichen Flügels aufzu)uchende Jan van Eyckshe „Mann mit der Nelf,!

einnahm.

Die Ausstellung der Neu-Erwerbungen im Lichthof d, Kunstgewerbe-Museums ift seit der Eröffnung fortdauernd E werthvolle Stücke vermehrt worden. Se. Kaiserliche und Königliche do, heit der Kronprinz hat Seine besondere Theilnahme für die Aus ftellunz durch Einsendung zweier hervorragend interessanter Stücke aus seines Besiß bekundet. Es sind dies: eine gußeiserne Ofenplatte aus de Mitte des 1E. Jahrbunderts mit vier Halbfiguren, von denen die S unzweifelhaft als Kaifer Marimilian zu erkennen ist, und ferner de Nawbildung des kostbaren Kleinods der Meiftersinger von Nördling cine Arbeit des 16. Jahrhunderts, welhe König David zeigt, der mit seiner Harfe huldigend vor dem Krucifir kniet, während oben Maria im Strahlenkranze erscheint.

Vor dem Reichsgeriht in Leipzig begannen heute die Ver, handlungen über das Dynamit - Attentat gegen daz Leben Sr. Majestät des Kaisers, des Kronprinzen und der versammelten deutshen Bundesfürsten bei der Feier der Ent, hüllung des Niederwald-Denkmals. /

Der Anklagebeschluß lautet: „Im Namen des Reiches werden angeklagt: Gef bar i

I. Reinsdorf zu Elberfeld. im Jahre 1883 den Angeklagte» Bachmann zu den ron demselben begangenen nabbezeicneten “a baren Handlungen durch Ueberredung und andere Mittel vorsäßlid bestimmt zu haben. 25

II. Bachmann, zu Elberfeld am 4. September 1883 dur ein und dieselbe Handlung 1) den Entschluß, eine grbßere Menschen zu tödten, durch vorsäßlich und mit Ueberlegung verübt, Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbreens enthielten, bethätigt ¿u haben; 2) dur Gebrauch von erplodirenden Stoffen ein dem Gastmirth Willemsen gehöriges Gebäude, weldes zur Wohnung von Menscben dient, vorsätlich zerstört zu haben Berbrechen, flrafbar na §8. 48, 211, 43, 305, 306, 308, 311 49 73, 74 des Strafgeseßbuches. e

I1I. Ferner Reinsdorf zu Elberfeld im Jahre 1883 die Ange Élagten Nupsch und Küchler zu den von denselben begangenen nag bezeichneten strafbaren Handlungen durch Veberredung und andere Mittel vorsäßlich bestimmt zu haben.

IV. Rupscch und Küchler, 1) auf dem Niederwald bei Rüdesheim am 27. und 28. September 1883 gemeinschaftlib: a. Se, Majestät den Deutschen Kaiser und König von Preußen, ihren Landesherrn, und Se. Majestät den König von Sacbsen, den Landesherrn des Mit- angeflagten Reinsdorf, zu ermorden versu&t und Handlungen verübt haben, dur welche das Vorhaben, Ihre Majestäten und andere Bundet- fürsten zu tödten, unmittelbar zur Ausführung gebracht werden sollte: b. den Entschluß, eine arößere Anzahl Menschen zu tödten, durch vorsäßlib und mit Ueberlegung verübte Handlungen, welche einen Arfang der Ausführung dieses Verbrechens ente hielten, bethätigt zU baben; 2) (m Ziland im Iahre 1883 Handlungen verübt zu haben, welche das gedahte hocbverrätherise Unternehmen vorbereiteten. 3) zu Rüdesheim am 28. September 1883 dur ein und dieselbe Handlung a. den Entschluß, eine größere Anzahl Menschen zu tödten, dur vorsäßlich und mit Ueberlegung verübte Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Ver- brechens enthielten, bethätigt zu haben. ; b. durch Gebrau von explo- direnden Stoffen eine Festhalle, ein Gebäude, welches zur Wohnung von Menschen oder zeitweise zum Aufenthalt von Menschen diente x, und fremdes Eigenthum war, zu einer Zeit, während Menstwen in demselben si aufzuhalten pflegen, vorsäßlich und rechtswidrig theil- weise zerstört zu haben.

V. Holzhauer, Söhngen, Rheinbach, Töllner, zu Elberfeld und Barmen Handlungen verübt zu haben, welche ein hochverrätherisches Unternehmen vorbereiteten, den Angeklagten Rupsch und Küchler zu den von denselben begangenen strafbaren Handlungen dur Rath und That wissentlih Hülfe geleistet zu haben. Verbrechen und Vergehen, strafbar na §8. 47, 48, 50, 81 Alin. 1, 82, 86, 211, 43, 305, 306, 308, 311, 49, 73, 74 des Strafgeseßbuches.

Den Gerichtshof bilden: Senats-Präsident Drenkmann (Präsi- dent) und die Reichsgerichts-Räthe Thewalt, Schwarz, Kirchhoff, Krüger, Stechow, Pebsh, Dr. Spies, Kienitz, Dr, Freisleben, Dr,

Mittelstaedt, Schaper, von Bezold und Calame (Beisitßende). Die Ober- F

Reichs8anwaltschaft vertritt : Ober-Reichsanwalt Dr. Frhr. von Seck:n- dorf} und der Erste Staatsanwalt bei der Oter-Reichsanwalt- \caft, Treplin. Das Protokoll führt: der Ober-Sekretär am Reiht- geriht, Kanzlei-Rath Sleiger. Als Vertheidiger fungiren und zwar \ámmtlich als Offizial-Vertheidiger : Justiz-Rath Fenner für Reins- dorf, Justiz-Rath Bussenius für Küchler, Rechtsanwalt Dr. Thomsen für Rupsh und Rechtsanwalt Dr. Seelig für Bachmann, Holzhaue, Söhngen, Rheinbach und Töllner.

Linz, 15. Dezember. (W. D. B.) Gestern wurden in Urfahr

durh einen höheren Wiener Polizeibeamten vier Anarchisten

verhaftet und die vorgefundenen Bestandtheile einer Buchdruter- |

presse sowte Projektile und Flugschriften in Beschlag genommen.

Das Belle - Alliance - Theater erlebte mit seiner am Sonnabend zum erften Male aufgeführten Novität: „Das Stadt- J Mißerfolg. Die Absicht |

gespenft* von Lucius einen vollständigen des Verfassers, die Presse einmal als das, was sie sein sollte, als eine Erzieherin und Lehrerin der Gesellsbaft auf der Bühne ershei- nen zu lassen, welwe zue Besserung tadelnswerther und häßlicher Verhältnisse und Strömungen in der Gesellschaft thatsächlich bei- trägt, läßt si wohl vertheidigen; aber das Können desselben ist folher Aufgabe bei Weitem nit gewacsen. Die Art und Weise wie das „Stadtgespenst" genannte Blatt zur Vervollkommnung der öffent- lien und privaten Sittlichkeit beitragen will, liegt vollkommen unter dem Bann des Lächerlihen. Die Moralpredigten i [eiters verwandeln im Handumdrehen einen leichtlebigen Erbprinzen

in einen aufopfernden Staatsmann, eine Schauspielerin, welche zwcifel- F in eine ehrbare Hausfrau und ähnlide wunderbare Dinge kommen in dem Stücke noch recht viele vor; 0 |

hafte Beziehungen unterhält,

wirkt es auch recht unangenchm, wenn der liebe Nächste dadur gebessert werden foll, daß sein Privatleben in Zeitungsartikeln an die Deffentlichkeit gezogen wird. Solche Vorgänge bringen natürlichau! der Bühne unbeabsihtigt komisce Wirkungen hervor. Den Gipfelpunkt der Verirrung des Autors bezeichnet die Charakterisirung des u finnigen Fürsten in seinem Verhalten zu jenem Zeitungsschreiber un zu seinen Beamten. Diese Srwähnungen genügen, um den ganzen Unwerth des Machwerkes nachzuweisen. Zu alledem bedient nw e Verfasser ciner häufig ins Vulgäre ums{lagenden Sprache. A Darsteller fanden für ihr redlides Bemühen Anerkennung, e ten aber nicht das kleinste Theilen derselben für die dramati|dt Leistung des Verfassers retten.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Grpedition (S ch olz). Druck: W,. Els nek.

Sechs Beilagen (einschließli Börsen-Beilage).

Berlin:

(1489)

Anzahl |

eines Zeitungs- F

M 295.

Erste Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Slaals- Anzeiger.

Berlin, Montag, den 15. Dezember

S4,

.* s Nichtamfklicßes.

Preußen. Berlin, 15. Dezember. Jm weiteren Ver- laufe der vorgestrigen (14.)Sibung des Reichsta ges wurde die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betr. die Feststellung des Reihshaus halts-Etats für das Etats- jahr 1885/86 mit dem Etat des Reichs-Eisenbahnamts (fortdauernde Ausgaben Kap. 70 Tit. 1) fortgeseßt. y

Bei Kap. 70 Tit. 1 fragte der Abg. Dr. Lingens bei der Reichsregierung an, ob seiner vorjährigen Anregung Folge gegeben sei, den Reihs-Eifenbahnbeamten möglichste Gelegen- heit zum Besuche des sonntäglichen Gotteédienstes zu ver- schaffen, ob die Beförderung gewöhnlicher Güter an Sonn- und Festtagen nicht ganz eingestellt werden könne, und weshalb die Viehbejörderung nicht unterbleibe.

Hierauf ergriff der Bevollmäctigte zum Bundesrath, Geheime Ober-Regierungs-Rath Körte das Wort:

Meine Herren! Die soeben zur Sprache gebrachte Angelegen- heit ist {on früher Gegenstand der Erörterung in dem hohen Hause gewesen ; ih habe damals Gelegenheit gehabt, mi darüber zu äußern. Jh kann im Wesentlihen nur auf das «Bezug nehmen, was TamaiS deaat L, bn aber n be Lâäge hinzufügen zu föônnen, daß in Folge der damaligen Anregung wieder- um Erhebungen nach der Richtung hin stattgefunden haben, welche Bestimmungen Seitens der Bahnverwaltungen in Betreff der Dauer des tägliden Dienstes der Betriebsbeamten unter Berücksichtigung der Sonn- und Festtage getroffen sind. Die Erhebungen haben bestätigt, daß die Bahnverwaltungen nicht allein im Allgemeinen Ueberbürdungen der im äußeren Betriebédienst be- sbâftigten Beamten fern zu halten bemüht, sondern daß sie auch cifrigst darauf bedacht sind, ihnen ausreichende Gelegenheit zum Ve- de des WolleSdienites. zu Ceben Cs ist dies theils in dem Turnus, nach welchem der Dienst der im äußern Betrieb beschäftigten Beamten geregelt ist, berücksichtigt, theils haben die Verwaltungen ausdrückiich bestätigt, wie sie jederzeit bereit sind, darauf bezüglichen Anträgen der einzelnen Beamten, soweit es nur irgend die Betriebéverhältnisse gestatten, stattzugeben. Jch kann kon- statiren, daß in dieser Angelegenheit Besckwerden an tas Awt nicht herangetreten sind. : S

Wenn ih sfogleich auf die weiteren Fragen eingehen darf, so ist die, ob die Beförderung der gewöhnlichen Güterzüge an Sonn- und hoben Festtagen ganz unterbleiben oder wesentlich beschränkt wer- den kann, gleibfalls {on früher besprohen worden. Ganz abge- schen davon, ob das Reich in der Lage sein würde, gegenüber allen deutschen Bahnen dispositive Bestimmungen nach dieser Nichtung hin zu treffen, möchte ih doch persönlich meine Anschauung dahin kund- geben, daß der vollständige Stillstand des Güterverkehrs an den Sonn- und Festtagen der allergrößten Schwierig- keiten unterworfen sein und den erheblihsten Bedenken unterliegen würde, und zwar nach den verschiedensten Richtungen hin, theils im Interesse des Verkehrs, theils im Interesse der Bahnen selbst, theils auch im Interesse der Sicherheit des Betriebes; denn, meine Herren, durch die Ausführung würde unauskleiblih an cin- zelnen Stellen eine außergewöhnlihe Häufung der Güterwagen statt- finden, welche die bedenklihsten Folgen nab sich zu ziehen geeignet sein würde. Jch habe schon damals dem Herrn Redner, der dies Angelegenheit zur Sprache brachte, anheim geben müssen, bezüg- lihe Anträne bei den Landesregierungen, die doch jedenfalls in erster Reihe über die Frage zu befinden haben würden, zu stellen. Jch weiß nicht, ob dies gesehen ift. Daß die Frage auch bei den Landesregierungen nicht unberüctsichtigt geblieben, wenigstens in Erwägung gezogen ist, wie weit eine Beschränkung des Güter- verkehrs an Sonn- und Festtagen durchführbar sein möchte, kann ih konstatiren. Soweit reichsseitig Bestimmungen über diese Frage bestehen, sind sie im Betriebsreglement enthalten und zwar im §. 56, wo cs heißt, daß an Sonr- und Festtagen gewöhnliches éFrachtgut ni&t angenommen und am Bestimmungasorte dem Adressaten nit verabfolgt wird, daß Eilgut aber an Sonn- und Festtagen nur in den ein für allemal bestimmten Expeditionslokalen und den in den Lokalblättern bekannt gemachten Tageszeiten angenommen und aus- geliefert wird. Das sind doch Bestimmungen, die dem vom Herrn Vorredner verfolgten Zweck entgegenkommen. /

Ob das möthte ih mir noch gestatten nachzuholen dur die vollständige Einstellung oder wesentliche Beschränkung des Güter- verkehrs an Sonn- und Festtagen erreiht werden würde, daß die be- theiligten Beamten den Gottesdienst besuchen, möchte doch sehr in Frage kommen, auch in Rücksiht auf örtliche Verbältnisse, da doch für das Stillliegen der Güterzüge vur bestimmte Bahnhöfe in Frage kommen könnten, die groß genug sind, um für cine längere Dauer die Aufnahme fo zablreiher Wagen zu ermöglichen.

Meine Erklärungen entbalten gleichzeitig die Beantwortung der ferneren Frage: warum nicht die Vicehbeförderung an Sonntagen unterbleibt? Jch möchte nur noch hinzufügen, daß diese Frage auch hinüberspielt auf ein anderes Gebiet, nämlich auf die Festseßung der Viehmärkte, über die im Eisenbahnwesen doch füglich nicht Anordnung getroffen werden kann. Ich will nur erwähnen, daß der aroße Berliner Vieh- markt am Montag stattfindet, und daß es doch nit wohl ausführbar werden würde, den Sonntag vorher den gesammten Viehverkehr zu sistiren, Ich bitte zu erwägen, daß diese Viehsendungen sih an die großen Viehzüge, die auf den Hauptlinien gehen, von den Seitenlinien her anschließen, und daß, wenn am Sonntag das Vieh liegen bleiben müßte, es niht allein erheblihen Schaden erleiden würde, sondern daß auch an den verschiedenen Stellen, die sih dazu eignen könnten, sehr weitläufige Einrichtungen zur Unterstellung, zur Fütterung, Tränkung und überhaupt zur Uyterhaltung des Viehes getroffen werden müßten. Ib glaube also, au nah dieser Richtung hin is die Sache nicht 10 leiht abgethan, es müßten da Erwägungen eintreten, die auf sehr weite Gebiete sich zu erftrecken haben würden. / ;

Der Abg. Kayser knüpfte an eine durch die Zeitungen gehende Notiz an, daß das Präsidium des Reichs - Eisenbahn- amts im Hinblick auf die jüngsten Eisenbahnunfälle eine Ver- fügung erlassen habe, in welcher zu besonderer Strenge gegen die Unterbeamten aufgefordert werde. Warum seien es gerade die unteren Beamten, welche unter besondere Strenge ge- stellt werden sollten? Die \ch{lechte Bezahlung und die Art des Dienstes seien es, welche die Unglücksfälle herbeiführten. Er wünsche, daß dem unteren Veamtenpersonal eine größere

ürsorge zur Abwendung von Verunglückung zugewendet werde. Auch müsse den Eisenbahnbeamten cine größere Sonntagsruhe gegönnt werden, was sih durh Vermehrung des eamtenpersonals ermöglichen ließe. Der Verkehr dürfe da- ur niht gehemmt werden. Er bitte um eine Antwort, welhe Fürsorge den unteren Beamten zugewendet werde? Demnächst nahm der Geheime Ober-Regierungs-Rath Körte das Wort: s eine Herren! Die Voraussetzuns, von der der Herr Vorredner A8gegangen ift, ift eine irrige. Das Amt kat nach der im Eingang seiner Néde erwähnten Richtung keine Verfügung erlassen ; es hatte 9zu auch keine Veranlassung. Damit könnte ih eigentlih meine Er-

widerung \{ließen, denn alles das, was naher erwähnt wurde, knüpft sid an diese Vorausseßung an. Am wenigsten aber habe i Anlaß, dem Herrn Vorredner auf das Gebiet der Fürsorge für die Armen zu folgen. Jch meine, diese Stellung, die dabei eingenommen ift, ist hon gestern genügend gewürdigt, als daß ih beute noch einmal darauf zurückzukommen brauchte. Daß das Reichs-Eisenbahnamt sich auc angelegen sein läßt, für die unteren Beamten, für die Schaffner, Weicbensteller zu sorgen, dessen dürfen Sie \ic, meine Herren, soweit das Amt überhaupt dazu in der Lage ift, versichert halten. Ich habe {on vorber erwähnt, daß nicht erft jeßt, sondern {on vor vielen Jahren eine Verfügung des Amts ergangen ist, worin gewisse Normen für die Dienstdauer der im äußeren Betriebsdienst beschäftigten Be- amten aufgestellt und zur Nachachtung den Bahnverwaltungen kundgegeben sind. Das sind eben die Vorschriften, von denen ih vorher erwähnte, daß die Bahnverwaltungen darauf bedacht sind, streng darnach zu verfahren. Soweit in einzel- nen Fâllen aus den bezüglichen Berichten das Amt hat Anlaß nehmen müssen, Aufklärungen und Aenderungen herbeizuführen, ist dies ge- schehen und sind dergleichen Verhandlungen auch jeßt noch im Gange.

Was die Schaffnersitze betrifft, meine Herren, fo hat das Amt allerdings nit jeden einzelnen Schaffnersitz auf die Frage hin unter- sucht, ob der Mana nicht einmal herunterfallen könnte. Meine Herren, das liegt niht auf dem Gebiete der Thätigkeit des Amtes, dazu würden andere Kräfte nöthig sein, als sie dem Amte zur Verfügung stehen, das muß und kann füglich den Bahn- verwaltungen selbft überlassen werden, denen Sie doch wohl das Vertrauen schenken können, daß aub nach diefer Richtung hin Vorsihtsmaßregeln getroffen worden. Ich kann uur aus den Unfall- rapporten, in die ja auch dergleihen Fälle aufgenommen werden,! kon- statiren, wie aus diesen hervorgeht, daß, wenn einmal cin Schaffner, ohne besondere äußere Einwirkung von seinem Sitze heruntergefallen, dies do auch auf seine eigene Schuld zurückgeführt gewesen ist. Er hat ges{lafen oder sonst irgend etwas Anderes getrieben, was ibn verhinderte, seine Aufmerksamkeit auch auf #{ch{ felbst genügend zu richten. Das Amt hat keinen Anlaß gehabt, bezüglich der Schaffner- siße neben der allgemeinen Prüfung der Konstruktion der Betriebs- mittel besondere Erhebungen anzustellen. : 5

Der Abg. Kroeber fragte an, ob die Tarifreform als ak- ges{hlossen zu betrachten sei. Keinem Amt sei mehr Sympathie entgegengebracht als eben dem Reihhs-Eisenbahnamt, aber diese Sympathie gehe verloren, wenn die so glücklih angebahnte Reform nicht durhgeführt werde. Es habe sih gezeigt, daß der Stückgutssaß viel zu hoh gegriffen sei und daß das Sammelsystem nur für größere Pläße mit lebhaftem Verkehr einige Abhülfe schaffen könne. Für den Transport landwir:bschaftliher Produkte und minderwerthiger Produkte des Gewerbefleißes sei €s dagegen geradezu unmög- lih, die Eisenbahn für größere Strecken zu benußen, es sei denn in vollen Wagenladungen. Er könne an ver- schiedenen Beispielen beweisen, daß der Landwirth, der nicht mindestens 100, in Süddeutschland . 200 Centner zu ver- frachten habe, nur so weit seinen Markt finde, als derselbe mit seinem Zugvieh fahren könne, Die Einsührung einer zweiten Stückgutklasse mit einem Satze, der etwas höher sei als die Wagenladungsgebühr sei eine Nothwendigkeit. Die Bahnverwaltungen seien ‘in der Lage, selbst die Güter zu sammeln, um die Tragsähigkeit der Wagen auszunuzten, sie möchten sih ja längere Lieferzeit nehmen. Auch die Strecken- säße für die Spezialtarife seien nur nominell, Nußzholz z. B., ein ihm geläufiger Artikel, sei im Spezialtarif 11. ausgenommen zu einem Saß von 3,4 6 per Tonne und Kilometer, werde jedoh in Bayern zum Sag von 3 0 [Uv Bretter Und 2,7 & Z für Rundholy gefahren, und außerdem existire ein Transittarif und ein Exporttarif mit Säßen von 24.S. Doch nicht allein in Bayern komme derartiges vor, auch in Preu- ßen auf der preukishen Ostbahn, ‘also Staatsbahn, bestehe für Nugßholz ein Staffeltarif, der sich in Säßen von 2,2— 34 H bewege. Es sei nothwendig, den Bahnverwaltungen Schranken zu ziehen, damit sie die vereinbarten Säge mt willkürlih ändern könnten. Einheitliche billige Tarife, sowie die zweite Stückgutklasse seien berechtigte FForderungen, welche immer wiederkehren werden. Das Reichs-Cisenbahnamt könnte auf dem Wege der Vereinbarung der verbündeten NRegierun- gen diese Forderungen fördern und so die Sympathie des Publikums sih wieder zuwenden.

Darauf ergriff der Geheime Körte das Wort:

Ich glaube, der Herr Vorredner i} bei seinen Ausführungen und Anfragen doch von unriwtigen Vorausseßungen über die Stellung des Reiches und des Reiche-Cisenbahnamtes auf dem Gebiete des Tarifwesens ausgegangen. Die Grundlage für die Thätigkeit des Amtes auf diesem Gebiet liegt in dem bekannten Art. 45 der Reichsverfassung. der sich im Wesentlichen auf allgemeine Dircktiven beshränkt. Danach ist dem Amte eine cingreifende Einwirkung auf die Normirung der allgemeinen Tarifvorschriften wie auf die Normirung der zur Hebung kommenden Tarifsäße entzogen und glaube ic, daß es dem Herrn Vorredner wohl bekannt ist, daß das jetzt in Geltung befindliche Tarifsystem auf einer freien Vereinbarung der sämmtlichen deutschen Eisenbahnverwaltungen, einschließlich der des bayerischen Gebietes, beruht. i / y

Es ift zur Fortbildung dcs bestehenden Tarifs\ystems eine \tän- dige Tarifkommission und zwar ebenfalls auf Grund freier Ver- einbarungen eingeseßt, welche von Zeit zu Zeit und zwar meist unter Zuziehung des Verkehr8auss{u}scs in Berathung tritt. Ueber die von ihm unterbreiteten Vorlagen wird demnähst in der Generalkonferenz der deutschen Eisenbahnen Beschluß gefaßt. E

Was die einzelnen vom Herrn Vorredner berührten Punkte betrifft, so verhält es sich im Wesentlichen damit so: i

Die Frage der Einführung einer zweiten Stückgutklasse ist von der ständigen Tarifklommission auf das eingehendfte erörtert, und ist au anderweit sehr viel darüber geschrieben. Ein endgültiger Beschluß ist in dieser Frage noch nicht gefaßt, die Erörterungen {weben noch, das Reihs-Cisenbahnamt hat auf die Beantwortung der Frage nach der einen oder andern Richtung hin keine Einwirkung. S

Der Herr Vorredner hat auch der Holztarife, wenn ih nit irre, speziell gedacht. Jch kann dem Herrn Vorredner mittheilen, daß die Frage der Normirung der Holztarife noch unlängst Gegenstand einer eingehenden Berathung in der Tarifkfommission gewesen ist, daß die von der Tarifkommission unter Zuziehung des Verkehrsausschusses gefaßten Besch{lüsse der von mir vorhin erwähnten Generalkonferenz der deut- {en Eisenbahnen vom 5s. dieses Monats unterbreitet worden sind, und daß dieselbe darüber {lüssig geworden ist. Ob das Beschlossene perfekt wird, kann ih in diesem Augenblick nit übersehen.

Was die Ausnahmetarife betrifft, so entscheiden über dieselben lediglich die Bahnverwaltungen beziehungsweise Landesregierungen. Auf die Einführung oder Versagung hat das Reichs-Eisenbahnamt nur insoweit cinen Einfluß, als es zu überwachen hat, daß die von dem Bundesrath in dieser Beziehung beschlossenen Bestimmungen Be-

Ober-Regierungs-Rath

atung finden, Bestimmungen, die ich \ckon früber von dieser Stelle aus ausführliber zu erwähnen mir erlaubt babe.

Die Wünsche, mit denen der Herr Vorredner hervorgetreten ist, muß i bitter, an eine andere, an die zuständige Stelle zu richten; vom Standpunkt des Neis-Eisenbahnamts läßt sich diépositiv nicht eingreifen.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, bei dem Kapitel der Verunglückungen möchte er hier auch diejenigen Fälle an- führen, wo Schaffner beim Coupiren der Billets während der Fahrt verleßt oder getödtet seien, au die Tarife einer zweiten Stückgutklasse möchte er befürworten, doch was helfe das aber an dieser Stelle? Ein so stolzer Titel der des Reichs- Eisenbahnamtes auch sei, habe do keine Behörde weniger zu bedeuten und spiele eine geringere Rolle als diese Behörde. Die Herren mach‘en mitunter thatsächlice Erhebungen, sam- melten eine Statistik, theilten Ergebnisse derselben mit, vamit sei aber ihre Thätigkeit abgeschlossen. Die fahlihen Aeuße- rungen des Vertreters dieses Amtes hätten nur so viel cFn- teresse, wie die Aeußerungen eines so sahverständigen Mannes auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens haben müßten. Die Be- deutung des Amtes sei noch geringer, als seine Kompetenz. Darum meine er mit seinen politischen Freunden, daß die Zahl von 44 Beamten nicht mehr zu rechtfertigen sei, zumal bei der gegenwärtigen Finanzlage. Diese 44 Stellen seien unter ganz anderen Vorausfeßungen bewilligt worden, als heute vorhanden seien. Um Statistik zu sammeln, habe man ein statistishes Amt. Er wolle gegen die Mitglieder des Amtes keinen Vorwurf erheben ; sie bedauerten gewiß ebenso sehr, daß sie in diesen Stellen seien, als man es hier thue. Ein Theil der Befugnisse, welhe dem Amt dur Geseß von 1873 übertragen seien, so namentlich die Aufsicht über die Privatbahnen, sei jegt gegenstandslos geworden, nachdem bis auf wenige 1000 km sämmtliche Privatbahnen verstaatlicht worden seien. Es bleibe dem Reichs-Eisenbahnamte fast nihts als eine Correspondenz mit dem Minister Maybah. Dieser mächtige, über 20 000 km Eisenbahnen verfügende Minister werde sich aber vom Geheimen Nath Körte nihts einreden lassen. Daher beantrage er, von den 7 vortragenden Näthen 5 zu streichen ; ebenso die beiden ständigen Hülfsarbeiter; von den 14 Sekretären 10; von den einzelnen Kategorien der Bureau- und Unterbeamten je drei zu streihen. Das übrig bleibende Personal werde noch doppelt ausreichen, um die Geschäfte des Reichs:-Eisenbahnamts wahrzunehmen. Er wolle ja das Gesetz von 1873 aufrecht erhalten, vielleitt lasse es sich in Zukunst wieder fortbilden; aber für die heutigen Verhältnisse sei das Personal des Reichs-Eisenbahnamts zu zahlreih im Vergleich mit der thatsählihen Bedeutung dieser Behörde.

Hierauf ergriff der Geheime Ober - Regierungs - Rath Kört1e das Wort:

Meine Herren! Es ift gewiß keine angenehme Lage, immer wieder vernehmen zu müssen, wie geringe Sympathiea für das Reichs-Cifenbahramt bestehcn und wie heute au scine ganze Lebenéwürdigkeit in Frage gestellt wird, denn, meine Herren, darauf kommt der Antrag, der eben gestellt worden ift, hinaus, Die Beurtheilungen über das Amt bewegen si größten- theils in den allgemeinsten Redewendungen, fo au heute; das Reich8- Eisenbahnamt bedeute nichts, es werde nicht beachtet, es würde speziell von dem preußischen Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten für -niht existent anges:hen u. | w. Wenn nun auc der- glciwen ganz allgemeine Betrachtungen der Widerlegung \{chwercr zugänglich find, so sehe ih mich doch zu einer eingehenden Entgegnung auf das, was cben vorgetragen ist, im Jn- teresse des Amtes wie der Beamten, die ihm angehören, und zwar um so mehr genöthigt, als aus den im hohen Hause und au außer- halb desselben anderweit hervorgetretenen Beurtheilungen über die Lhâätigkeit des Amtes hervorgeht und die Erfahrung es bestätigt, daß bei Beurtheilung dieser Thätigkeit oft von dur®aus unrihltigen Voraussetzungen und Überhaupt von Ansihten ausgegangen wird, die mit den bestehenden Bestimmungen nicht im Einklange stehen. Es macht den Eindruck, meine Herren, als ob sih gegen das Amt ein Vorurtheil festgesetzt hat, welches überhaupt eine unbefangene Würdigung der Verhältniffe nicht mehr aufkommen läßt.

Es ist bereits erwähnt, daß das Amt errichtet ist durch das Gese vom 27. Juni 1873; und ih muß zur Klarstelung der Verhältnisse daraus mittheilen, daß im Anschluß an den Art. 4 der Reichsverfassung, nad welchem das Eisenbahnwesen der Beauf- sichtigung Seitens des Reichs im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs unterliegt, der Art. 4 des Gesetzes von 1873 dem Amte folgende Aufgaben tberweist :

Das Reichs-Cisenbahnamt hat innerhalb der dur die Ver- fassung bestimmten Zuständigkeit des Reichs: 1) das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen, 2) für die Ausführung der in der Reichsverfassung enthaltenen Bestimmungen, sowie der fonstigen auf das Eisenbahnwesen be- züglichen geseß- und verfassungsmäßigen Vorschriften Sorge zu tragen, j S3 auf AbsteDung der in Hinsiht auf das Eisenbahnwesen hervortretenden Mängel und Mißstände hinzuwirken. S

Das Reichs-Cisenbahnamt hat allerdings si nicht in der Weise entwickelt, wie es seiner Zeit bei Errichtung der Behörde erwartet worden ist. Es ift dies zurückzuführen auf das Bestreben der Einzel- staaten, sih auf dem Gebiete der Eisenbahnverwaltung volle Selbst- ständigkeit zu bewahren. Indessen, meine Herren, weit entfernt davon, damit anzuerkennen, daß die Thätigkeit des Reibs-Eijenbahnamts auf dem Boden der bestehenden Geseßgebung jeden Nutzens und Erfolgs ermangle, stelle ich den negirenden Behauptungen des Herrn Vor- redners vielmehr die entgegen, daß durch das Bestehen und Wirken des Amtes die vom Reiche im Eiscnbahnwesen zu wahrenden Intere essen gefördert sind und werden, daß ihm auf den versciedenen Ge- bieten wichtige und bedeutung8volle Funktionen obliegen, Funktionen, die nicht entbehrt werden können, und denen sich das Amt au bisher mit Erfolg unterzogen hat und daß insbesondere, foweit die Einheitlichkeit auf den deutsden Eisenbahnen erreicht ist, dies wesentlih mit der Thätig- keit des Amts zuzurechnen ift. : T

Meine Herren, ih bedaure, wenn ih Ihre Zeit länger in An- spruch nehme, aber die Pflicht der Nothwehr gebietet es. Bei den Beurtheilungen, die das Amt erfahren hat, und bei den Anforde- rungen, die hier und da an dasselbe gestellt werden, wird meistens übersehen, daß das Reichs-Eisenbahnamt eben nur Aufsihtsbehör de ist. Es liegt doch in der Natur der Sathe, daß die mannigfachen Mittel und Wege, welche es den Eisenbahnverwaltungéressor1s ermög- lien, dem Verkehr mit Maßnahmen von unmittelbarer Wirkung entgegenzukommen, der Aufsichtsbehörde niht in gleicher Weise zur Seite stehen können, daß aber auc andererseits für die Bemessung des Umfangs und Nutens der Arbeiten einer Aufsihtsbebörde do nicht allein das den Maßstab geben kann, was davon na Außen hin zur Erscheinung kommt. Dieser Maßstab wird aber gewöhnlich, und