1884 / 295 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 15 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

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ist auch von den Herren Vorrednern angelegt. Es wird in den Beurtheilungen ferner aub der Umstand nit genügend gewürdigt, daß die Aufsichtsbehörde bei vielen ihrer Maßnahmen fachgemäß und zwar nicht etwa allcin dem preußishen Herrn Eifenbahn- Minister, sondern gleidmäßig allen Landeêregierungen gegenüber auf deren Mitwirkuna angew sen ist, und daß bei deren tereitwilligem Eingehen auf tie Auéführung die Junitiative des Amtes zurück- zutreten hat. / E : E

Meine Herren, ih kann mich mit diesen allgemeinen Be- merkungen nicht begnügen, sondern muß au6 noch auf einzelne Zweige der Geschäftstkätigkcit im Intercsse des Amtes näher eingehen, wern auc nur in den weitesten Umrissen und ohne damit ein irgendwie ershöpfcendes Bild geben zu wollen. Das Tarif- gebiet könnte ih zuerst nennen. Ich übergehe dafselte, weil ib mir vorher schon erlaubt babe, dic Stellung des Amtes auf demsc!ben darzulegen. JIch will nur kinzufügen, daß auc bier die Thâtigteit des Amtes keine nußlose, nicht etwa auf lediglih theoretisbe, son- dern auf praktische Ziele hin gerihtci und von praktishen Erfolgen begleitet ift. ; i S

Dem Amte sind von den Verwaltungen monatlihe Nahweisungen über die im Lokal- wie in den direkten Verkehren aeltenden Tarife einzureichen ; es sind Anzeigen zu machen über jede Aufhebung eines bestehenden, über die Einführung eines neuen Tarifes. Die Tarife sind vorzulegen, über die Einführung von Ausnahmetarifen und über die beabsichtigte Aufhebung direkter Expeditionen ist unter Motivirung der Maßregel zu berichten. E

Meine Herren, können Sie denn annchmen, daß all dieses Material nur dazu bestimmt if, um die Nepositorien zu füllen, oder

müssen Sie nicht glauben, daß diese Vorlagen einer eingehenden Prü- fung unterzogen werden? Dies ist der Fall; die Prüfung ift auf praktische Ziele gerichtet; sie erstreckt sih insbesondere au darauf, ob den Direktiven der Reichsverfassung entsprochen ift, ob die zur An- wendung kommenden Tarife rite publizirt sind, ob für die Einführung der erhöhten Frachtsäße die vorgeschriebenen Fristen gewährt sind, ob die in die Tarife aufgenomme- nen zusäßlihen Bestimmungen zum Beitriebsreglement nichk unzulässige Abweichungen von demselben, ob die Tarife nicht die Ucbersichtlichkeit beeinträctigende Verweisungen auf andere Tarife enthalten, ob die vom Bundesrath für die Einführung von Aus- nahmetarifen beschlossenen Bestimmungen Beachtung gefunden haben n. \. w. Nach diesen Richtungen bin führt die Prüfung zu mannig- fachen Verhandlungen mit den Bahnverwaltungen, den Landes- regierungen und mit den Organen der Verkehrékreise und hat oft Remeduren zur Folge gehabt. Die Theilnahme von Kommissaren des Amts an den Sitzungen der ständigen Tarifkommission wie an den Generalkonferenzen der deutschen Eisenkahnverwaltunrgen kat, wenn sie aub zunächst nur informatorisGen Zwecken dient, doch auch praktischen Wertb. S /

Fch muß noch weiter gehen; ih erinnere daran, wie die Reichs- verfassung bestimmt, daß das Reicb dafür Sorge zu tragen hat, daß die Bahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden baulichen Zustand erhalten und daß fie die- selben mit Betriebsmittel fo ausrüsien, wie es das Verkehrs- bedürfniß erheischt. Nach beiden Richtungen hin erstreckt sich die Thätigkeit des Amts in ausgiebiger Weise, nicht blos theoretisch, sondern praltisch und mit praktischem Erfolge, und dienen die Vorlagen, dic dazu dem Amte über den Bestand von Betriebsmitteln gemacht werden, ins- besondere auth wichtigen militärishea Interessen.

Was den baulichen Zustand betrifft, so gehen dem Amte stete Mittheilungen über die von den Landesregierungen periodisch abzu- haltenden Revisionen zu; von Zeit zu Zeit werden auch Kommissare entsendet, um sich im Allgemeinen über den baulichen Zustand der Bahnen und über die Betricbseinrihtungen zu informiren.

Ich komme dann zu dem Fahrplanwesen. Auf Grund des Art. 44 der Verfassung untersteht das Fahrplanwesen der Kognition des Amtes. Meine Herren, die Thätigkeit ift auch hier auf praktische Ziele gerichtet, und von praktishen Folgen begleitet. Bekanntlich werden die Fahrpläne getrennt nah der Winter- und Sommerperiode aufgestellt. Dieselben werden auf einer internationalen Konferenz berathen, an denen das Amt Theil nimmt; fie werden in geeigneten Fällen durch Spezialkonferenzen vorbereitet, die das Amt veranlaßt ; dafselle nimmt auch sonst Anlaß, Fahrplanangelegenheiten zum Ge- genstand kommissarisher Verhandlungen zu machcn und ist das Eraebniß \chon oft zum Nugen des Verkehrs ge- wesen. Daß fich ni@t alle Wünshe nach dieser Richtung bin erfüllen lassen, kann nit auffallen; sie sind oft eigenthümlih genug : es wird nit berücksichtigt, wie cine ganz geringfügige Ver- \chiebung in dem einen Fahrplan leiht weittragende Folgen für an- dere Fahrpläne na fich zieht. Das Amt nimmt die Gelegenheit wahr, sih aus den Protokollen über die Verhandlungen der Bahn- verwaltungen mit den Vertretern der wirthschaftlihßen Kreise Über Wünsche und Anträge in Bezug auf das Fahrplanwesen zu unter- richten, und bieten dieselben auch nach anderen Richtungen hin sehr erwünschte Grundlagen für Erwägungen und Maßnahmen.

Was das Beschwerdewesen betrifft, so ist das Reich8-Eisenbahn- wesen zwar nicht berufen, endgültig Über vermögensrechtliche Streitigkeiten zwishen dem Publikum und den Bahnverwaltungen zu befinden, indeß könnte ih Ihnen doch eine große Zahl von Fällen aufführen, in denen seine Vermittelung zur Befriedigung erhobener Ansprüche geführt hat. Ebenso is es häufig in der Lage gewesen, die bahnseitigen Untersuchungen zum Nutzen der Reklamanten vervoll- ständigen zn lassen, und dadurch die Klarstelung des Saéhverhalts herbeizuführen, Auf prompte und “ordnungsmäößige Erledigquúig der Reklamationen wird hingewirkt. Die auf den Stationen auszu- legenden Beschwerdebücher werden von Zeit zu Zeit einge- fordert, de8gleihen auch Akten über erledigte Reklamationsfälle, auch werden auf Grund der von den Verwaltungen periodisch ein- zureihenden Nachweisungen über geführte wichtigere Prozesse aus dem Berkehr8wesen in geeigneten Fällen die Akten eingeholt, um sich über die Sache und Rechtslage zu unterrichten, und das Ergebniß nah Umständen zu verwerthen wie denn auch das Präsidium des Reichs- aerihts dem Ansuchen des Amts auf jedesmalige abschriftliche Mittheilung der das Eisenbahnwesen berührenden Entscheidungen im Straf- wie in Civilsachen in dankenswerthester Weise entgegen- kommt.

Nun, meine Herren, sind denn das alles nur theoretische nihts- sagende Erwägungen, oder sind cs nicht praktishe Bemühungen des Amtes, die Aufgaben zu erfüllen, die in dem eben verlesenen §. 4 dem Amte gestellt sind ?

Bekanntlih werden im Amte monatliche Nachweisungen über die Betriebsergebnisse, Über die Zahl der beförderten Züge und deren VBerspätungen, wie über Unfälle aufgestellt und veröffentlicht, Nach- weisungen, welche für die Zwecke der Aufsicht für die Bahnverwal- tungen selbst und für weitere Verkehrsweise praktishen Werth haben. Meine Herren, bei wichtigeren Eisenbahnunfällen erfolgt je na der Lage des tonkceten Falles die Entsendung eines Kommissars, um sih an dec Feststellung des Thatbestandes zu betheiligen und über die örtlichen Ver- hältnisse zu tnformiren oder es erfolgt, wenn das nicht angezeigt erscheint, die Einforderung der bahnseitigen und gerichtlihen Aftten. Aus dem Ergebniß der desfallsigen Erhebungen is oft zu wichtigen Anord- nungen im Interesse der Sicherheit und Ordnung des Betriebes An- laß genommen.

Meine Herren, den Neuerungen auf dem Gebiete des Eisenbahn- wesens, insbesondere den technischen Neuerungen, widmet das Reichs- eisenbahnamt vollste Aufmerksamkeit. Es ift darauf bedacht, an Probeversuchen der Bahnverwaltungen sich zu betheiligen und sich über die Erfahrungen zu unterrichten, die mit technischen und Betriebseinrich- tungen bei den cinzelnen Bahnen gemacht sind. Die Erfahrungen werden aus den einzelnen Berichten zusammengestellt und den Verwaltungen kund- gegeben. Das sind nit Zusammenstellungen wie der Hr. Abg. Richter sie mit geringshäßendem Tone bezeichnet hat, sondern Zusammen- stellungen, die praftishen Werth haben und die bei den Eisenbahn- verwaltungen und in anderen fachmännischen Kreisen mit Anerkennung ihres Wer1hs aufgenommen sind. Die Erßebungen werden von Zeit zu Zeit fortgeseßt. Jch Tönnte Ihnen cine lange Liste dahiN ge-

höriger Gegenstände aufzählen, will aber nur erwäknecn, daß sie sich über Aendcrung auf die Spezialcirribtunger, die Weichenir struktion, auf Intierkommunikationémittel, die Bremêverrihtungen 2c. erstrecken, alles Punkte, die für die Einheitlihkeit auf deu deutschen Eisen- bahnen den allergrößten Werth haben.

Meire Herren, cine schr autgedchnie Thätigkeit bat das Amt auch zu entwickeln auf dem Geliete der reglcmentarishen Borschriften, die auf Grund der Verfassung vom Bundesrath besclofsen wurden. Fb nenne das Betriebéreglement, das Bahnpolizei-Reglement mit den Oualifikationsvorshriften für die Vahnpolizei-Beamten 2c.; ferner die Spezialordnung und die Bahnordnung für Bahnen untergeordne- ter Beteutung, die wichtigen Normen für Konstruktionea und Aus- tüstungen der Eisenbehnen. Meine Herren, das sind alles Ordnungen und Vorschrifteo, die sih nicht ein- für allemal f: stlegen lassen, son- dern einer F#eren Wandlung in Rücksiht auf die Interessen des Ver- febrs und der Sicherhcit dc8s Betriebes, insbefcndere je nah tem Fort- schreiten der Technik unterworfen sind und häufiger Revisionen bedürfen, Nerisionen, denen meist kommissarische Verhandlungen unter Zuziehung von Satwverständigen, in geeigneten Fällen auch von Vertretern von Handel und Industrie im Amte vorhergehen. JIch will nit unter- lassen bierbei zu erwäknen, daß das Amt auch an der Vorbereitung und Aufstellung des Entwurfs eines internationalen Uebereinkommens über das Eisenbahn-Frachtrecht sehr wesentlich betbeiligt gewesen ift und daß Mitglieder des Amtes auf den hierauf bezüglihen Berner Konferenzen, wie aub auf einer andern internationalen Konferenz da- selbst betreffend die technisbe Einheit im Eisenbahnwesen als Dele- girte des Reiches fungirt haben.

áIFch bedauere, daß ih Ihre Geduld in Anspruch nehmen muß, aber wenn solche Angriffe erhoben werden, wenn beantragt wird, daß von den Beamten, deren das Amt dringend bedarf, eine große Zahl in Wegfall kommen soll, dann halte ich mi verpflichtet, ausführ- lier zu werden, als mir selbs erwünscht ist; denn es is keine an- genehme Aufgabe, gewissermaßín die Pensa hier aufzusagen, denen das Amt sich unterzogen hat.

ch muß dann noch anderer wichtiger Geseße gedenken, an deren Ausführung das Amt mit betheiligt ist. Jh nenne das Gesetz, be- treffend die Naturallcistung für die bewaffnete Macht im Frieden und das Kriegsleistungsgesceß. Aus diesen Gescßen erwachsen dem Amte wichtige und höchst bedeutungsvolle, sich auch auf den Fall der Mobilmachung erstreckende Aufcaben. Es würde zu weit führen, sie alle einzeln aufzuzählen und ih müßte auch aus andern Gründen Abstand davon nehmen; daß sie aber wichtig und von praktisher Bedeutung sind, darüber brauche ich wohl kein Wort zu verlieren.

áúIch nenne ferner das Reichégeseß vom Dezember 1875, welces die Thätigkeit des Amtes, insbesondere bezüglich der Bestimmungen über die Verpflihturg der Bahnen untergeordneter Bedeutung gegen- über der Neichtpostverwaltung und bezüglich der Vollzugsbestimmungen in Anspruch nimmt, und nenne au noch das Gesetz vom Jahre 1876, betreffend die Beseitigung der Ansteckungsstoffe bet der Viehbeförde- rung auf Eisenbahnen. Meine Herren, das Amt hat die korrekte Aus- führung dieses wichtigen Gesetzes zu Überroachen und thut es mit Er- folg ; die Bahnverwaltungen haben über die bei der Uebernahme der Wagen wahrgenommenen Verstöße gegen die Bestimmungen über die Desinfektion und Reinigung der zum Viehtransport benußten Wagen viertcljährlihe Nachweisungen einzureichen, welhe im Amte geprüft werden. Dir Zahl der Kontraventionsfälle ist oft eine sehr bedeu- teidez die darüber aufgenommenen Thatbestands8protokolle werden ciner Durchsicbt unterzogen und über die Ergebnisse Mittheilungen an den Herrn Staatssekretär des Innern zur weiteren Verwerthung gemacbt.

Sind denn das ÄÂlles unbedeutende und Beschäftigungen ohne praktischen Werth, denen sich das Amt unterzieht? Erwähnen muß ih nachträglich noch% die Betheiligung des Amtes an ‘der Aufstellung und Ausführung des Reglements, betreffend die Viehbeförderungen auf den Eisenbahnen. Dafselbe hat einem dringenden Bedürfniß Ab- hülfe geschaffen und das Amt in den Stand gesetzt, die Beseitigung von Mißständen im Sinne des von mir verlesenen S. 4 des Geseßes vom 27. Juni 1873 herbeizuführen, insbesondere dur Fürsorge für eine {nellere und bessere Biehbeförderung. Auch ist ihnen darin die Funktion übertragen worden, die Stationen zu be- stimmen, die für die Viehzüge mit Tränkevorrichtungen auszurüsten find. Ich frage auch hier, ob dies eine Beschäftigung ohne praktischen Werth ist ?

Ich würde zu weit in das Detail kommen, wenn ich alle die anderen nach verschiedenen Richtungen an das Amt herantretenden Arbeiten und Aufgaben aufführen wollte, und will nur noch all- gemein bemerken, daß dem Amte auch die Prüfung der Projekte für alle neuen Bahnanlagen und für wichtige Aenderungen auf den bestehenden Bahnen, ferner tie Prüfung der Konzessionen und der sih auf Bahnanlagen beziehenden Staatsverträge, desgleichen die der Projekte für die Be- tricb8mittel obliegt, und daß es Fch ferner der Durchsicht der von den Bahnverwaltungen erlassenen Auéführungsbestimmungen, ins- besondere au zur Signalordnung, sowie der Dienstinstrukiüionen für die Beamten des äußeren Betriebes unterzieht, und daß auch da mannigfache Gelegenheit gegeben ist, praktisch einzugreifen.

Ich gedenke dann neben der Erwähnung der im Amte jährli zur Bearbeitung kommenden Eisenbahnkarte, die mit Beifall im Publikum und in weiteren Kreisen aufgenommen worden ift, noch der statistischen Werke dcs Amte3, Bei aller Anerkennung der Unterftüßung, welche das Amt für dieselben in den Vorlagen der Eisenbahnverwaltungen erhält, bleibt doch die Aufstellung der Eisenbahnstatiftik keine ein- abe Uno lele e orde eine er denale Und eingehende Durchsiht, Durcharbeitung und Sichtung des Materials und mannigfahe wichtige Vergleihungen. Das Amt hat die Genugthuung, daß seiner statistishen Werke überall mit den günstigsten Urtheilen gedaht wird, und daß sie insbesondere von Fach- männern als mustergültige und für die vielseitigstea Interessen höchst werthvolle bezeihnet worden sind. Für die Aufsicht selbst macht sich der Werth der Statistik täglich fühlbar.

Meine Herren, ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, obgleih ih noch mannigfache Aufgaben des Amtes auf- führen Tönnte, um das von mir Behauptete zu begründen Ich meine, daß bei rihtiger Würdigung auch nur der von mir geschilder- ten, auf Grund des §8. 4 des Gesetzes von 1873 dem Amte obliegen- den Aufgaben es nicht zweifelhast sein kann, wie höchst bedenklich es wäre, ein mit solchen Funktionen betrautes Amt aus dem Ganzen loszulôösen, man würde sih dadur in der That nur in die Noth- wendigkeit verseßen, ein anderes Substrat für diese wichtigen Funk- tionen zu s{hafen, denn ganz wegfallen können sie nicht.

Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine Darlegungen dazu beitragen werden, die ungünstige Meinung, die über das Amt {hon so oft hetvorgetreten ift, umzuwandeln, und ih möchte daran die Bitte kuüpfen, dem Amte doch in Zukunft die Wiederholung von Beurtheilungen zu ersparen, die nicht geeignet erscheinen können, das M der bestehenden Reichs-Céntralbehörde nah Außen hin zu ördern. j

Der Abg. Dr. Lingens rügte die Ueberlastung der Eisen- bahnbeamten, die selbst am Sonntage nicht dienstfrei seien. Freilih habe erst neulih der Reichskanzler hier erklärt, daß au die Beamten der Neichskanzlei am Sonntag Dienst hätten. Es scheine also bis in die höchsten Regierungskreise eine Ab- neigung gegen die Sonntagsruhe der Beamten zu bestehen. Die höchsten Regierungsstellen müßten doch in erster Reihe das kirhlihe Geseß der Sonntagsfeier, das zugleih ein Geseh allgemeiner Wohlfahrt sei, befolgen. Was in England und Amerika möglich sei, werde auch in Deutschland möglih sein. Ec wolle den berechtigten Verkehr nicht beschränken, glaube aber, daß troßdem eine Verminderung des Sonntagsdienstes eintreten könnte.

Der Abg. Kayser erklärte, was der Abg. Nichter hier be- antragt habe, sei die nothwendige Konsequenz der Antwort, die der Geheime Ober-Regierungs-Rath Körte ihm gegeben habe. Wenn alles das, was er angeregt habe, nicht in das Ressort

des Neichs-Eisenbahnamtes falle, dann wisse er wirklih nid wozu das Amt da sei. Die Klagen, daß immer nur leere Worte, aber niht Thaten von der Regierung erfolgten würden fortdauern, wenn der Chef des Neichs-Eisenbahnamtez nickts zu sagen wisse, als daß die Schaffner an ihren Un- fällen felt {huld seien. Falls der Geheime Rath Körte sih seinen Anfragen nicht geneigter zeige, so müßten seine Freunde für den Antrag Richter stimmen.

Demnächst nahm der Geheime Ober-Regierungs-Rath Körte das Wort:

Meine Herren! J glaube keinem Widerspru ausgesetzt zy sein, wenu ih behaupte, daß der Herr Vzrredner die Frage an mi geribtet hat, ob Seitens des Reihs-Cisenbahnamts eine von ihm näher bezeichnete Verfügung erlassen fei. Jch habe dies verneint und nichts anderes.

Zet \pri@t der Herr Vorredner von einem Erlaß des Herrn Handels-Minisfters. Wahrscheinlich liegt wieder eine Verwecselung vor, und es ist der Herr Minister dex öffentlichen Arbeiten gemeint; da kann ich dann allerdings aus einer öffentliden Kundgebung mittheilen, daß der Herr Minister anshei- nend im Anscblusse an die Unfälle neuerer Zeit einen Erlaß heraus- gegeben hat, betreffend die Sicherstellung der genauen Beachtung der für die Sicherbeit des Betriebsdienstes erlassenen Vorschriften Seitens dex mit der Handhabung betrauten Beamten. Das ift, soviel ih übersehen kann, der Erlaß, den der Herr Vorredner im Auge gehabt bat, Er hat wiederholt dem Amte den Vorwurf gemacht, daß es \sih um die niederen Beamten im Eisenbahndienste nicht bekümmere. Jh widersprech2 dem auf das Alerbestimmteste. Ich betone aber, daß das Amt nach dem von mir verlesenen Art. 4 der Neichsverfassung und nach dem §8. 4 des Gesetzes von 1873 diese Fürsorge nur inner- halb bestimmter Grenzen, die durch feine Zuständigkeit gezogen sind aufwenden kann. Innerhalb dieser Grenzen ist es geschehen ; dafür ift die Verfügung ein Beweis, die ih {hon mehrfach erwähnt habe. Diese hat es den Babnverwaltungen zur Pflicht gemacbt, die Beamten desg äußeren Betriebsdienstes nicht zu Überbürden, sie nicht über ein he- stimmtes Marximalmaß der täglihen Dienstdauer heranzuziehen und darauf bedacht zu sein, daß den Beamten ausreibende Gelegenheit zum Besuche des Gottesdienstes gegeben werde. Das ift doch eine Fürsorge für die Beamten, wie sie der Herr Vorredner selbs Hut gewinsdt hal; das Um! if fortgeseßt daraus bedabt, die Aufmerksamkeit der Bahnverwaltungen nah dieser Richtung hin anzuregen. Die Erhebungen auch darauf zu richten und darauf eine Einwirkung auszuüben, wie diese Beamten des äußeren Betricb8dienftes bezahlt werden, hat das Amt keinen Anlaß, das liegt nit in seiner Zusländigkeit, das greift in Verhältnisse ein, in denen allein die Landeëregierungen zu entscheiden haben. Daß das Amt, soviel es vermag, auf die Fürsorge für die unteren Beamten bera 0, Wi (0 n aus einem - andéren Beù spiele belegen und ih danke dem Herrn Vorredner, daß er mir Ge- legenheit gegeben hat, das noch nachzuholen. Es betrifft dies das RMevidiren und Coupiren der Billets während der Fahrt von den Trittbrettern aus. Das Reicbs-Eisenbahnamt ift wiederholt und ich bectone das mit praktischem Erfolge dafür eingetreten, daß Anordnungen getroffen werden, die dieses allerdings gefahrvolle Verfahren beseitigen, wenigstens auf das äußerste Bedürfniß beschränken, wenn es sih durchaus nicht um- gehen läßt. Das Amt hat hierin au die bereitwilligste Unterftüßung Seitens der zuständigen Behörden gefunden.

Ich sollte meinen, auch dies ist ein Beweis, daß sich das Amt nicht blos mit höheren Fragen beschäftigt, wie der Herr Abgeordnete hervorhob, sondern daß es dem praktischen Dienst seine Aufmerksam- keit zuwendet, soweit es nur irgend seine Zuständigkeit ermöglicht.

Daß ich dem Herrn Vorredrer, der über das Tarifwesen sprach, keine Auskunft gegeben hätte, kann, glaube ih, Niemand bestätigen. Ich habe thatsächlihe Auskunft gegeben, wie die Verhältnisse in den einzelnen Beziehungen liegen, auch Auskunft darüber, wieweit das Amt überhaupt in der Lage ist, nach den von dem geehrten Herrn ai Richtungen hin- einzuwirken und Maßnahmen herbeizu- uUÿren.

Der Abg. Richter bemerkte, für eine große Klasse von Arbeitern sei der Sonntag der einzige Tag der Erholung und die Eisenbahnzüge böten ihnen allein die Möglichkeit, sich in frisher Luft zu erholen, nachdem sie in der Woche in dumpfer Werkstätte gearbeitet hätten. Solcher Züge würden eher zu wenig als zu viel eingestellt. Die Frage der Sonntagsruhe der Be- amten allein sei niht zu trennen von der Frage der Ruhe der Beamten überhaupt ;, daß ein großer Theil der Beamten am Sonntag beschäftigt werden müsse, werde von keiner Seite bestritten. So zweckmäßig Untersuhungen über solche Fragen auf dem Gebiete der Post und des Telegraphen- Wes angel Wre, P Va Ton O etwas heraus, da die Vertreter des Reichs-Eisenbahn- amts keine Kompetenz besäßen. Fn Bezug auf die besprochene Versügung habe der Geheimrath Körte nux sagen können : der preußische Minister habe eine folhe Verfügung erlassen und anscheinend das und das beabsihtigt. Gegenüber den vorge- tragenen materiellen Beschwerden erfolge die Antwort: darüber sei das Reichs-Eisenbahnamt nicht kompetent, darüber müsse es mit den Landesbehörden sprehen. Dazu verlese der Ver- treter des RNeichs:Eisenbahnamts Artikel der Verfassung, in denen dies begründet sei. Komme er dann und sage: das Neichs-Eisenbahnamt habe mehr Stellen als nöthig, so thue der Vertreter des Reichs-Eisenbahnamts so, als ob dasselbe eine der größten Machtvollkommenheiten hätte, und lese wiederum die Verfassung vor, mit der derselbe begründe, daß daß Reichs:Eisenbahnamt einen bedeutenden Einfluß besitze. Wenn man die leßte Darstellung des Geh. Raths Körte ver- folge, müßte man glauben, der Beamten seien noch viel zu wenig. Da entstehe nunmehr die Frage, warum das Reichs- Eisenbahnamt keinen Kopf, keinen Präsidenten besiße ? offenbar deswegen nit, weil man au von oben eine sehr bescheidene Vorstellung von der Machtsphäre des Amtes habe, weil die Beseßung der Präsidentensielle dem Minister Maybah gegen- über Schwierigkeiten hätte, und weil man vielleicht auch keinen Mann finden würde der den Präsidentenposten übernehmen würde, bei dem derselbe nichts zu sagen habe. Was der Geh. Rath Körte dem Hause über die Befugnisse des Reichs-Eisenbahn- amtes mitgetheilt habe, sei nur eine Aufzählung der verschie- denen Titel der Aktenstücke, der verschiedenen Fächer der Registratur des Reichs - Eisenbahnamts. Daß die Be- hörde statistish etwas leiste, sei von ihm nicht bestritten worden. Dazu brauche man aber keine besondere Behörde; die verschiedensten statistishen Erhebungen würden ja von dem Statistishen Amt gemacht. Dann sage der Geh. Rath Körte, er (Redner) hättesich nur inallgemeinen Redensarten bewegt. Er habe vielmehr zwei wichtige Momente gegen das Reichs-Eisenbahn- amt hervorgehoben, die gar nicht zu übersehen seien. Erstens: es gebe keine Privatbahnen mehr, so daß die direkten Befug- nisse des Amtes diesen gegenüber in der Hauptsache inhalllos geworden seien ; und das zweite Moment, die veränderte Stel- lung der Landésbehörden, habe der Geh. Rath Körte selbst anerkannt, indem derselbe von dem Bestreben der Einzelstaaten, si selbständig zu machen, gesprochen habe. Was sodann Ds Herren in Bezug auf die einheitliche Gestaltung des Bahn? wesens leiste, sei vershwindend gegenüber Dem, was durh die freien Verbände, die Konkurrenz u. |. w. g

ehe. Wenn der Geh, Rath Körte für die Beamten der gehórde eintrete, fo bemerke er, daß es die Schuld der Beauiten nicht sei, sondern die der Verhältnisse, daß es ‘niht möglich (i, eine größere Wirksamkeit zu entfalten. Ein Vorurtheil estehe gegen das Reichs-Eisenbahnamt nitt; es habe vielmehr ne Zeit lang ein Vorurtheil für dasselbe bestanden. Das Fichs-Eisenbahnamt halte er als dauernde Fnstitution für twas Nothwendiges. Nach den gegenwärtigen Verhältnissen fónne es aber nit die Wirkung ausüben, die seiner Beamten- ahl entsprähe, und man müsse deshalb die Beamten auf die der Thätigkeit der Behörde entsprechende Zahl zurückführen. (r wolle das Amt gar nicht abschaffen, das ja in gewissen Grenzen auf Geseß beruhe, sondern nur so weit beshränken, als es über das Gescb hinausgehe. Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, die Worte des Abg. Ficter erfüllten ihn mit einer gewissen Befriedigung. Zur zit, als man das Reichs-Eisenbahnamt geschaffen habe, seien x und seine Freunde dagegen gewesen und er glaube au iebt, das Amt sei eigentlich nit nöthig gewesen, er meine qgar, daß es überhaupt aufszuhören habe. Es ließe sih durch Aufhebung des betreffenden Geseßes leiht auf verfassungs- mäßigem Wege beseitigen. Das Hauptmotiv, weshalb es ge- hafen sei und noch aufre{t erhalten werde, sei die Jdee, alle Eisenbahnen Deutschlands zu Reichseisenbahnen zu machen. Fer Gedanke habe aufgegeben werden müssen wegen des Piderstrebens der Einzelstaaten, und er hoffe, daß dieselben uh die Kraft behalten würden, die Durchführung dieses Gedankens zu verhindern. Er glaube, daß derselbe sich im Widerspruch mit den Grundlagen des Deutschen Reiches WelWes “ein Föderativstaat i befinde. Er hätte bei der sonstigen Entschiedenheit des Abg. Richter von demselben erwartet, daß er die Auf- hebung des Reichs: Eisenbahnamts beantragen würde. Wenn es noch niht geschehen sei, so stelle er ven Antrag, den vorliegen- den Titel an die Budgetkommission zu verweisen, damit Gelegenheit sei, sih über die etwaigen Vorschläge nah jener Jihtung zu unterhalten. Seitdem das Reiche-Eisenbahnamt jie meisten seiner Befugnisse an Preußen abgegeben habe, sei 6 überflüssig geworden.

Der Geheime Ober-Negierungs-Nath Körte bemerkte dem

Yhg. Richter gegenüber, daß das Neichs-Eisenbahnamt nicht blos der Privatbahnen wegen geschaffen sei, sondern aller Fahnen wegen, Staats- wie Privatbahnen. Sein Zweck sei, auf Herstellung einheitliher Grundsäße in dem gesammten deutschen Reichs:Eisenbahnwesen hinzuwirken. Wenn hier die Frage aufgeworfen sei, warum die Verwaltung der NReichs- ahnen in Elsaß-Lothringen nit dem Neichs-Eisenbahnamt übertragen worden sei, so bemerke er, daß ein solhes Ver- fahren gegen den §. 2 des: Gcseßes von 1873 verstoße, also gesezwidrig sein würde. Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, es bedürfe der Aus- führungen des Geheimen Rath Körte nicht um ihm klar zu machen, daß das Reichs-Eisenbahnamt nicht blos für die Privatbahnen errichtet sei. Aber das werde er nicht bestreiten wollen, daß demselben gegenüber den Privatbahnen weiter- gehende Befugnisse eingeräumt seien als gegenüber den Staatsbahnen. Der Abg. Windthorst dürfe sich nicht wundern, daß er niht das ganze Reichs: Eisenbahnamt auflösen wolle. Er halte dasselbe für eine normale Einrichtung, nur wolle er Angesichts der jeßigen Finanzlage und seiner geringen Kompetenz die Zahl der Arbeiter in denselben einschränken, \0veit das zulässig fei.

Der Abg. Dr. Windthorst freute sich, daß der Verlauf der Debatte seine Auffassung vom Reichs:Eisenbaynamt be- stigt habe. Man könnte dasselbe ganz entbehren, indem man die Funktionen desselben auf ein paar Geheime Räthe in Reichsamt des Jnnern übertrage. Das Justitut sei ge- hafen zu dem Zwecke, die Reichs-Eisenbahnidee zu verwirk- lihen. Dieses Projekt fei als gescheitert anzusehen. Was die Verfügungen des preußischen Ministers betreffe, so wünsche uh er, daß dieselben von den Landesregierungen im Ein- xrsiändniß mit dem Reichs-Eisenbahnamt erlassen werden mnöhten. Er müsse dann noch die Behauptung zurückCweisen, als ob die Fnteressen der unteren Beamten anderwärts gar nht wahrgenommen würden. Einer der früheren Redner nüsse die Verhandlungen des preußishen Landtages nicht ge- len haben, sonst würde er wissen, daß man si dort Jahr sir Jahr auf das Eingehendste mit der Lage der unteren Vamten beschäftigt habe. Es sei erfreulig, wenn n denselben auch hier zu Hülfe kommen wolle, aber die Eozialdemokraten, von welchen jene Behauptung aufgestellt i, seien nicht in der Lage, zu behaupten, daß ihre Partei (lein es sei, welche für die kleinen Beamten eintrete. Alles n werde auf allen Seiten und von allen Parteien ver- ieten,

Der Geheime Ober-Regierungs-Rath Körte bestritt, daß 0 Reichs-Eisenbahnamt zur Verwirtlichung des Reichs-Eisen- bahnprojektes errichtet sei.

Der Abg. Richter erklärte, der leßten Bemerkung des Ag, Windthorst über die Fürsorge für die unteren Beamten ôme er nur beipflichten. Im Uebrigen könne er nur fagen, er von Anfang an hervorgehoben habe, das Reichs-Eisen- lhnamt sei nicht aufzuheben. Ob die Funktionen des Reichs- Cisenbahnamtes auf ein paar Geheimrälthe im Staatssekretariat t Junern übertragen würden oder ob das Amt als solches halten bleibe, sei wohl gleihgültig. Sei aber der Abg. Lindthorst überhaupt gegen solhe Aemter, warum habe der- lbe denn für das Reichs-Bersicherungsamt gestimmt? Er ibe damals denselben darauf hingewiesen, daß man im Mieresse der jeßigen Finanzlage die große Summe, welche \selbe erfordere, wohl ersparen könnte.

Der Abg. von Vollmar bemerkte, daß die Juteressen der interen Beamten in {chönen Worten vertreten würden, sei ja „nweifelhaft, aber wo blieben die Thaten? Jn Bezug auf whsen könne er konstatiren er sei Mitglied der sächsischen nmer daß für Abstellung von derartigen Mißständen lur noch 3 Stimmen außer ihm si bereit gefunden hätten. l sei damit einverstanden, daß, wenn das Reichs-Eisenbahn- imt überhaupt eine Bedeutung haben solle, Verfügungen der inzelstaaten demselben zur Genehmigung vorgelegt werden nüßten, Auch darauf weise er noh hin, daß in Sachsen die «emser auf offenen Sißen im Sommer wie im Winter Hen müßten. Das Neichs-Eisenbahnamt habe au auf solche nile zu ahten und müsse die Einzelstaaten anhalten, der- tige Uebelstände abzustellen.

t Der Abg. Körber erklärte, er wisse schr wohl, wie die D tifreformen zu Stande gebracht würden, und habe die be- (fenden Verhandlungen genau verfolgt. Die Eisenbahn-

tetwaltungen rihteten ihre Aufmerksamkeit viel zu sehr auf

Fracttarife. Gestern habe der Staatssekretär Stephan in der Dampfersubventions-Kommi/sion gesagt, daß viel wichtiger als die Zölle die Frahten seien. Schaffe man billige Frachten für inländische Produkte, so werde man keine Kornzölle ge- brauchen !

Der Abg. Rae betonte, er wisse nicht, warum si ge-

rade immer die Sozialdemokraten als Vertreter der niederen Beamten gerirten. Sie hätten doch hier noch nichts für die- selben gethan. Wir wären mit den Sozialreformen weiter, wenn die Sozialdemokraten niht im Hause gewesen wären! _ Der Abg. Ackermann wies den Vorwurf, als hätte der \ächsische Landtag in seinen diesbezüglihen Verhandlungen kein Herz für die niederen Eisenbahnbeamten gezeigt, zurück. Es sei seinerzeit ausgeführt, daß die Sitze der Bremser, wie sie jeßt beschaffen seien, es ermöglihten, den ganzen Zug zu übersehen, und daß dies im Jnteresse der Sicherheit des Ver- kehrs nöthig sei. Von dieser Rücsicht sei dann au das Votum ausgegangen und es sei eine arge Uebertreibung und eine Ungehörigkeit, daraus zu folgern, daß der sächsische Land- tag kein Herz sür die Beamten habe, sondern daß nur die Sozialdemokraten die Jnteressen der Leute wahrnähmen !

__ Der Abg. von Vollmar entgegnete, wenn der Abg. Nate seiner Partei vorwerfe, sie habe nichts für die Sozialreform gethan, so hätte das Centrum nur den diesbezüglihen An- trägen zustimmen sollen, seine Partei ollein habe sie nit durcseßen können. Der Abg. Rake befinde sih übrigens im Widerspruch mit dem Reichskanzler, der gesagt habe, man hätte hier keine Sozialreformen ohne die Sozialdemokratie.

Der Abg. Dr. Rake bemerkte, das Centrum habe sozial- reformerische Gesegze bereits eingebracht, ehe an die Sozialdemo- kraten hier im Hause zu denken gewesen sei. (Abg. Frohme rief wiederholt dazwischen: Lassalle, und wird durch das Glockenzeihen des Präsidenten zur Ruhe ermahnt.)

Der Abg. Hartwig hob hervor, der Abg. Körber habe darauf hingewiesen, daß das Reichs-Eisenbahnamt für eine Vermittelung der Frachtsäße im internen Verkehr besorgt sein müsse, dann würde man die Zölle niht mehr brauchen. Er müsse dem entschieden widersprehen. Die Festseßung der Frachten müsse den Einzelstaaten überlassen bleiben. Wo kame man in Sahsen hin, wenn das vorgeschrieben werden sollte?! Die sähsischen Bahnen kosteten durchschnittlih mehr, als andere in deutschen Landen, Man müsse in Sahsen am besten wissen, wie viel Fracht zu fordern sei, damit die Bahnen bestehen könnten. Dem Abg. Körber gegenüber er- kenne er in der Vermittelung der Frachtsäße durch das Neichs- Eisenbahnamt einen bedenklichen Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten. Sachsen wolle mit seinen Eisenbahnen selbst- ständia bleiben zum Heile des Ganzen!

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, wenn man hier be- hauptet habe, das Centrum hätte die Anträge auf Besserung der sozialen Lage zurücgewiesen, so bitte ex um den Beweis. Die verständigen Arbeiter hätten auch längzt eingesehen, daß das Centum ihre nteressen vertrete. (Lebhafte Unterbrehun- gen links. Zurufe: Zwangskassen, Arbeiteraus\hüsse !) Der Vize-Präsident von Frankenstein rief den Abg. Frohme wegen der steten Zwischenrufe zur Ordnung. Der Abg. Frohme protestirte dagegen, daß der Zwischenruf von ihm ausgegangen sei. Solche Angriffe gegen das Centrum hier und anderswo bewiesen ihm, daß es nüßlih erscheine, sich mit dem Centrum zu beschäftigen. Das Centrum werde nah wie vor für die Arbeiter eintreten, wenn auch nicht im Sinne der Sozialisten. Er erwarte dies auch von allen Parteien.

Der Abg, Grillenberger erwiderte, das Centrum sei es gewesen, das den Regierungzantrag auf Arbeiterausshüsse zu ¿alle gebracht habe. Wenn das keine soziale Verschlehterung des Gesetzes sei, so gebe es keine. Er verweise den Abg. Windthorst auf seine Genossen in der bayerishen Kammer, die die Eheschließung ershweren wollten. (Rufe: - Zur Sache!)

Der Aba. Pr, Windthorst hob hervor, er sei entschieden gegen die Arbeiteraus\{hüsse gewesen, und daß die Sozial- demokraten das so übel genommen hätten, beweise nur, wie Necht er gehabt habe. Man habe diesen Ausshuß zum Aus- gangspunfkte einer fozialdemoïtratishen Organisation machen wollen. (Widerspruch links.) Er wolle, die Arbeiter sollten in gutem Vernehmen mit den Arbeitnehmern bleiben er halte den Wegfall des Arbeiteraus\{usses für ein Glück. Er halte es für ein Verdienst seiner Partei, daß das nügzliche Geseß ohne diesen Ausschuß zu Stande gekommen sei.

Die Diskussion wurde ges{lossen und der Antrag Nichter mit dem Etat an die Budgetkommission verwiesen.

Der Etat des Rehnungshofes wurde ohne Debatte genehmigt.

Beim Etat des Reihs-Fnvalidenfonds richtete der Abg. Dr. Bürklin an den Kriegs-Minister die Anfrage, welche Folgen sich bis jeßt an den Kaiserlihen Erlaß vom 22. Juli d. J. geknüpft hätten. Durch diésen Erlaß sollte denjenigen ehemaligen Militärpersonen, bei welchen eine während des Krieges erlittene innere Dienstbeshädigung ers nach dem Ein- tritt des Präklusivtermins hervorgetreten gewesen sei, das Recht zur Einreichung von Pensionsgesuchen gegeben und diesen Gesuchen sollte dann nah wohlwollender Prü- fung im Wege der Gnavenbewilligung aus dem Aller- höchsten Dispositionsfonds bei der Neichs-Hauptkasse ent- sprochen werden. Die wohlwollende Tendenz des Erlasses sei von allen Seiten mit großer Freude begrüßt worden ; aber die Hauptsrage, ob auf diesem Wege überhaupt den berech- tigten Wünschen entsprohen werden könne, sei damit nicht beantwortet. Er kenne ja weder die Anzahl der Gesuche, noch die Höhe der aus dem Dispositionsfonds angewiesenen Summen; und man würde eventuell auf einen weiteren Aus- weg zur Befriedigung dicsexr Ansprüche sinnen müssen, den zu finden auch oie augenblicklich etwas gespannte Finanzlage niht verhindern dürfe.

Hierauf ergriff der Staats-Minister Bronsart von Sqchellendorff das Wort:

Meine Herren! Unmittelbar nach Bekanntwerden des Aller- bösten Erlasses vom 22. Juli 1884 ift das preußische Kriegs- Ministerium mit dem Herrn Reichskanzler in Verbindung getreten, um die Bedingungen festzustellen, unter welhen ermittelt werden sollte, inwieweit und wo an den einzelnen Stellen dem Allerhöchsten Erlasse Folge zu geben sei. Nacbdem ein Einverständniß erzielt war, sind dann au die Kriegs- Ministerien mit selbständiger Verwoltung darüber verständigt worden, und ih habe die Ueberzeugung, daß dort nach denselben Grundsäßen verfahren wird, wie innerhalb des Gebietes des preußischen Kriegs-Ministeriums, also im Gebict des ganzen Deutschen Reiches gleichartig. Wir sind dabei vor allem davon aus- gegangen, daß cs nicht mögli sein würde, einen positiven Nach- weis nah so langer Zeit darüber zu führen und vom ärztlichen Standpunkt aus zu begründen, ob eine Krankheit oder verminderte

! Tarife mit dem Auslande, statt auf die inländishen 1 Erwerbsfähigkeit wirklich in Zusammenhang zu bringen sei mit einer

im Kriege erlittenen, abcr damals unbemerkien und au bis jetzt unbemerkt gebliebenen inneren Dienstbeshädigung. Diese Frage, meine Herren, hatte den Reichstag auch frfher hon beschâftigt. Ich erinnere nur daran, daß die Prâklusivfrift für Anmeldungen von Pensionsansprüchen auf Grund innerer Dienstbeshädigungen auf 3 Jahre und dann dur cine Novelle zum Invalidengeseß auf 4 Vahre festgeseßt worden ist.

Nun, meine Herren, jeßt sind also seit dem Kriege über 13 Jahre verflossen, und es ist mir nit nur von den Sachverständigen, die ih im Kriegs-Ministerium habe, sondern auch von anderen Aerzten stets erklärt worden, es wäre für einen Arzt in der weit- Überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht mögli, nur aus- nahmêweise mögli, jeßt noch die Sache in der Weise zu konstatiren, daß darauf ein geseßliher Anspruch begründet werden könnte. Es bietet also dieses Moment ein wesentlices Hinderniß, daß wir ein Punkt, auf den der Herr Abgeordnete auch angespielt hat die Sache im Wege des Gesetzes ordnen und auf diese Weise den einzelnen geseylichen Anspruch feststellen möhten. Da- gegen, meine Herren, haben wir aus dem Allerhöchsten Erlaß, welcher insbesondere eine wohlwollende Betrahtung der einzelnen Fälle anordnet, glaube ich, eine Garantie dafür zu ent- nehmen, daß wirklich in wohlwollender Weise die einzelnen Fâlle geprüft werden, und daß man fih begnügen wird, wenn nur in dem ärztlihen Befunde und in den sonstigen Angaben, die gemacht werden können, mit einem gewissen Grade von Wahr- scheinlibkeit angenommen werden kann, daß zwischen verminderter Er- werbsfähigkeit und Krieg ein Zusammenhang besteht, wenn er au nit so bestimmt nachgewiesen werden kann, wie dies erforderlich sein würde für gefeßlihe Bestimmungen. Jn diesem Sinne, meine Herren, ist verfahren worden.

I werde Ihnen nun noch einige Zahlen nennen, die aber nur die unter preußisher Verwaltung stehenden Kontingente betreffen. Beim preußischen Kriegs-Ministerium sind bis jeßt eingegangen 732 Ge- suche, welche eine Vorpcüfung in den unteren Instanzen erfahren hatten. Davon sind bereits 287 als berücksihtigungswerth an das Reichs\{atamt überwiesen, und, wie ih annehme, sind darauf au die Unterstützungsbeträge angewiesen. Abgelchnt vom preußischen Kriegs-Ministerium sind zunächst 220 Gesuhe und 225 Gesuche be- finden sich noch im Stadium der Erörterung. Jch bemerke noch, meine Herren, daß diese Zahlen, die ja ziemli gering erscheinen, do keinen Maßstab geben können für das, was summarisch {ließlich auf diesem Gebiete geshehen wird. Denn die Anmeldungen, die sih noch in den unteren Instanzen befinden, und bei denen gerade die unteren Instanzen angewiesen sind, eine möglichste Vervollständigung des Materials herbeizuführen, sind ja sehr viel zahlreicher.

Wir haben uns nun auch die Frage vorgelegt, die der Herr Ab- geordnete berührt hat, nämlich die Frage nach der finanziellen Deckung. Es war wirklich unmöglich, irgend eine Uebersicht zu gewinnen, wie ho si die erforderlihen Summen belaufen können, weil ja nit nur die Zahl der wirklich berechtigten Anmeldungen zu ermittein, aber auch die Verhältnisse in jedem einzelnen Fall zu prüfen waren. Denn wir sind der Meinung, daß wir bei Abmessung der zu gewährenden Unterstüßung nit blos darauf Rücksicht zu nehmen haben: hat der Mann den Feldzug mitgemacht, ist anzunehmen, daß er durch den Feldzug eine innere Dienstbeshädigung erlitten hat, die sich zur Zeit bemerkbar mat? sondern wir müssen auch die gesammten Verhält- nisse des Mannes, nämli in Bezug auf den Grad seiner Erwerbs9- fähigkeit und besonders in Bezug auf die Zahl der Familienglieder, deren Ernährung einem folchen Manne obliegt, in jedem einzelnen Fall, Rücksicht nehmen. Es fehlte also wirêlich an jedem Anhalt für sahgemäße Schäßung der erforderlichen Mittel.

Nun, meine Herren, fand sih glücklicherweise aus dem Etatsjahr 1883/4 in dem Allerhöcbsten Dispositionsfonds eine Ersparniß von 400 000 46 Diese Ersparnisse sind mit den Mitteln, welche der laufende Allerhöchste Dispositionsfonds, also der Etat für 1884/5, bietet, in Aussicht genommen und wir haben die Hoffnung, daß er ausreichen wird vorläufig, weil die Erspacnisse aus dem Vorjahre mit zur Verfügung stehen, um den auftretenden Bedürfnissen zu ent- sprewen. Jedenfalls werden wir im Laufe des Etatsjahres 1885/86 in der Lage sein, mit einer gewissen Genauigkeit zu übersehen, wie hoch der Bedarf in wohlwollender Berücksichtigung der einzelnen an- gemeldeten Fälle sich im Ganzen stellen wird, und es wird die Auf- gabe der Reichs-Finanzverwaltung sein, diese jedenfalls ja auf die Dauer erwacbsende, {hließliÞ im Laufe der Jahre wieder abnehmende Mehrausgabe in irgend einer Weise flüssig zu machen.

Der Abg. Dr. Hoffmann erklärte, nah den Ausführungen des Kriegs-Ministers scheine die Absicht dahin zu gehen, die ganze ¿Frage als durch den Erlaß der Allerhöchsten Ordre er- ledigt zu betrachten, eine geseßlihe Regelung mithin nicht ins Auge zu fassen. Das werde mit den früheren Wünschen des ganzen Reichstages nicht leiht in Einklang zu bringen sein. Die Schwierigkeiten seien groß, aber niht unüberwindli. Er enthalte sih übrigens heute des Eintritts in das Detail, weil die Angelegenheit demnächst im Schooße der Petitions- kommission an der Hand einer großen Zahl von Petitionen generell und unter Zuziehung eines Kommissars der verbündeten Regierungen erörtert werden werde.

Der Etat des Reichs: Fnvalidenfonds wurde darauf ge- nehmigt, desgleichen die Einnahmen aus den Reichsstempel- abgaben, aus der Neichsdruckerei, aus dem Bank- wesen, sowie verschiedene andere Cinnahmeposten.

Damit war die Tagesordnung erledigt.

Der Präsident {lug vor, die nähste Sißzung Montag 1 Uhr abzuhalten mit der Tagesordnung: Etat für den Reichs- kanzler und die Reichskanzlei, Etat des Auswärtigen Amtes, und Nachtragsetat (Dampfbarkasse für den Gouverneur von Kamerun),

__ Auf eine Anfrage des Abg. Nickert erklärte der Präsident, seine Absicht sei, die leßte Sizung des Reichstagès auf Freitag, den 19. d. M. anzusetzen, einerseits mit Rücksicht auf das umfangreiche noch unerledigte Arbeitspensum, andererseits weil an diesem Tage das Mandat des gegenwärtigen Präfi- diums zu Ende gehe, damit die definitive Wahl noch vor Weihnachten erfolgen könne.

Der Abg. von Benda hat im Einverständniß mit vielen Kollegen aus dem Hause, einen Tag früher zu \{ließen.

__ Der Präsident verwies darauf, daß das Haus bei Fest- seßung der Tagesordnung am Mittwoch die Entscheidung zu treffen haben werde,

Der Abg. Frohme (persönlih) beshwerte sich darüber, daß der Vize-Präsident von Franckenstein ihn zur Ordnung gerufen habe, obglei er gar nicht der Unterbrecher der Windt= horstshen Ausführungen gewesen sei, er verlange daher die Zurücknahme des Ordnungsrufs. :

Der Präsident erklärte, daß ein Einspruch gegen den Ordnungsruf nur schriftlih beim Präsidium eingebracht werden dürfe.

; S ian vertagte sih das Haus um 4?/, Uhr auf Montag

hr.