1905 / 154 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 03 Jul 1905 18:00:01 GMT) scan diff

zu ert ohen, wofür aber, wie gesagt, kein Schnellzugzushlag erhoben wird. Das Endergebnis ist, daß das Rundreisebeft III. Klasse immer ncch billiger sein wird, als jeßt; für die I. und II. Klasse tritt eine ganz minimale Verteuerung ein, dafür aber die Bequemlickeit, daß kein Sénellzugzuschlag erhoben wird.

Durch die beiden Konzessionen: die Aufhebung des Freigepädcks in Norddeutshlar.d und die Einführung eines festen betrieblihen und rerkebrliden Schnellzugzuschlages statt des kilometrisWen Schnellzug» zushlages, ist ein großes Ziel erreiht worden, das bisher noch nickt erreibt werden fonnte, troßdem die Minister von Maybach, von Thielen und au tas NReictseisenbahnamt cs ver'ucht hcben, r.ämlih sämtliche deutsheStaatseisenbahnverwaltungen zueinemetinhbeit- lichen Tarif zu bekommen. Daß dies gelungen ift, liegt nit allein an den Tarifsäßtzen, sondern au daran, daß augenblicklich Verhandlungen {weten über die Schaffung einer Betriebsmittelgemeinshaft. Die süddeutschen Verwaltungen, die, wie ich {hon erwähnt habe, einen viel böberen Ausfall haben als Preußen - Hessen und namentlih Sachsen, das überhaupt keinen Autfall hat, weil. es die IV. Klasse {on besaß, Freicepäck batte und seine Normalsäße etwas erböbt werden, bhcffen aus den Ersparnissen, die ihnen die Betriebêmittel- gemeinschaft bringen würde, die erheblihen Ausfälle, die sie haben werten, zum teil decken zu kêrnen. Es ist aber noch niht mit Sicher- beit zu überseben, ob die Betriebemittelgemeinschaft begründet werden kann: denn die Schwierigkeiten, die h sowohl in politischer, organi- satoriscer, wie in finanzieller Hinsicht ergeben, find doch sehr groß. I kann mi beute nur auf die allgemeine Bemerkung beschränken, daß die Verhandlungen bis jeßt guten Fortshritt genommen haben, daß aber das Erde der Verhandlungen scwobl wie die Gestaltung einer Betriebéämittelgemeins{aft heute noch nicht abzusehen ist. Dagegen möchte ih meine Ansicht Ihnen heute dahin darlegen, daß i cine Vetriebêmittelgemeinshaft, wie fie geplant ist ohne eire gleidzcitige Personentarifreform, überhaupt nit für denkbar halte. Andererscits aber kalte ih eine Personentarifreform obne Betriebs- mittelgemeinshaft wohl für denkbar und dturchführbar, und das möchte ih Ihren \@&on dadur bewcisen, daß man von einer Personentarif- reform s{chcn scit über einem Jahrzehnt gesprcchen hat, als man an eine Betriebsmittelgemeinshaft noch nicht dachte. Jedenfalls möchte ih erklären, daß der Beschluß, eine Perfonentarifreform anzunehmen, in keiner Weise einer Betriebémittelgemeinschaft vpräjudizieren kann. Ich boffe, daß, wie es au birsihtlih der Betriebsmittelgemeinschaft si später gestalten wird, es sicher zu einem einheitlihen deutschen Personen- und Gepäcktarif kommt. Ich hoffe, daß der nationale Sinn der deuts{en Eisenbahnverwaltungen sie in diesem Bestreben zusammenbält, wenn auch der Wunsh nach einer Betriebsmittel- gemeinschaft wegen der großen Schwierigkeiten niht erfüllt werden sollte,

Was i Ihnen bis jeßt mitgeteilt habe, fasse ich noGmals dabin zusammen, daß Preußen-Hessen 15,5 Millionen Ausfall haben würde, die in irgend einer Weise Deckung finden müssen. Nun ift, wie Sie mir zugestehen werden, die DeckEung dcch in der mildesten und ge- rehtesten Weise dadurch gefunden worden, daß man sie von denjenigen Reisenden nimmt, denen besondere Vorzüge seitens der Eisenbahnen gewährt werden, die nicht alle anderen Reisenden haben können. Die Reisenden also, tie besonders ausgestattete Schnellzüge benutzen, die niht gezwungen find, auf einer Nebenbahn mit großem Zeitverlust, in den einfaheren Wagen zu fahren, sollen einen mäßigen festen Schnellzugzushlag zablen. (Sehr richtig! links.) Ferner die Reisenden, die Eepäck aufgeben, also von der Eisenbahnverwaltung eine besondere Leistung terlangen, sollen ein kleines Entgelt dafür zablen. Ih habe keine mildere und keine gerehtere Verschiebung, feinen gerechteren Ausgleih finden tönnen als diese Art. Jch lafse mich von diefer Stelle aus auf theoretishe Erörterungen, ob Frei- gepäd berechtigt ist oder nit, ob Schnellzugzushläge berechtigt sind oder nit, nicht ein. Ich trage Ihnen nur rein praktishe Fragen vom Standpunkte deé Verkehrêminifters vor, der bistrebt ist, den Verkebr zu fördern, ibm zu dienen und nach Möglichkeit Gerechtigkeit walten zu lafsen. (Bravo! links.)

Was hat aber nun die Kritik aus diefem Plane gemaht? Eine allgemeine Verteuerung des Reisens; da 809%/6 der Perfonenkilometer auf Nüdfabikarten zurüdgelegt werden, fo wzrden angeblich 80 9/9 der Neisenden verteuert; es ift eine fiskalis&e Plusmacherei ; es ist selbstverständlih viel Bureaukratie dabei, und was dergleichen noch mebr gesagt worden ift. Ich nehme an, daß alle die verantwortlichen Retakteure, die das geschrieben baben, aus guter Aksiht (Abg. Dr. von Dziembowéki: Die haben es nit geschrieben!) und aus guter Ueberzcucung €s getan haben, und wenn fie es nit geschrieben baben, dann baben sie es dcch unterzeihnet. Jh nehme das als selbst- v:rständ!ich an, ih darf das um so mehr annehmen, als ja die Einzel- beiten dcr Reformen noch nit genügend bikannt waren. Aber Sie sollen run selbst prüfen, inwiefern die Kritik berechtigt ift. Wie viel Reisende werden billiger fahren, wie viel zu gleichem Preise, wie viel theurer ?

Mathematish bestimmte Zahlen laffen fich na:ürlih nicht an- geben; ich versichere Ihnen aber und den Herren, die \ih dafür näher interessieren, steht mein gefamtes Material zur Verfügung, um mich nachzukontrollieren —, daß wir sorgfältige Be- rednungen nah verschiedenen Richtungen hin haben anstellen lassen, und daß sih als S(lußzahlen, wenn man sämtliche 16 Milliarden Perscnenkilometer zu Grunde legt, folgende Zahlen ergeben. Es würden zu gleichem Fahrpreis wie bisher zurückgelcgt werden 80 9/9 aller Persor enkilometer, zu ermäßigtem Preise 12/6, unter Um- ständen teurer 89/6 aller Personenkilometer. Da3 ist die gewaltige Pluématherei, das ist die Verteuerung, die in der Reform liegt, und die mit fol{%:r Verve in die Welt pofaunt wird.

Aber, meine Herren, dieser Berechnung kann man vorwerfen, daß ja die 16 Millarden Perfonenkilometer eigentlich nicht das Aués{laggebende find, weil in ihnen die vierte Klasse ent- halten is, die Militärbefäuderung, die Arbeiterkarten und deraleiden. Deshalb haben wir eine zweite Berehnung aufstellen [lafsen, in der wir nur untersuht haben: wie wird sich der Fernverkehr in der ersten bis driiten Klasse für die Reisekasse der Reisenden gestalten. Jn Zukunft werden zu gleihen Preisen fahren wie seitker auf Rüdlfabrkarten alle Reisenden auf Nebentahnstrecken, wo Sch&nellzüge übertaupt nit verkehren, die Reisenden der vielen Haupt- bahnlinien, wo gleihfalls Schnellzüge nicht laufen, alle Reisenden, die aus irgend welhen anderen Gründen, z. B. weil der Zug auf ihrer Zielftation nit anhôlt; gezwungen find, mit einem Personenzug zu fabren. Fernerbin fahren von den. Schnellzugreisenden nicht teurer bis 75 km**fogar etwas billiger alle Reisenden, die bis jeyt

D-Züge benußt haben, und endlich alle Reisenden, die die seitherigen Schnellzüge benutzen, die au später niht mit einem Schnellzugzuschlag belegt fein werden.

Setzen wir dies in Zahlen um, so ergibt sih folgendes: Die Gesamtzakl der hier in Betracht kommenden Personenkilometer erster bis driiter Klafse beträgt 54 Milliarten. Davon sind seither auf Rüdckfahrkarten gefahren 44 Milliarden. Teurer werden aber nur fahren 930 Millionen, d. h. 20,6 9/9 oder etwa der vierte Teil jener 80 9/6 Personenkilometer, die auf Rückfahrkarten seither gefahren find. Wenn man die sämtlichen 54 Milliarden Perfonenkilometer zu Grunde legt, dann sind es nur 16,8 9%/ aller in Betraht kommenden Personen- filometer 1. bis 3. Klasse. Billiger aber, und zwar erheblich billiger werden fahren 20 9/6 der Personenkilometer, die bisher einfahe Fahr- karte benußt haben, später aber nur die halbe Rückfahrkarte bezahlen.

Meine Herren, ich werde Ihnen nochmals die Zahlen wiederholen: 20 9/6 billiger, 16,8 9/6 unter Umständen teurer; die übrigen fahren zu gleichem Preise. Dabei ist nun noch zu bemerken, meine Herren, daß fehlerbafterweise in allen Ausführungen, die ih bis jeßt gelefen habe, das Personenkilometer mit der Zahl der Reisenden verwechselt wird. Es fahren durchaus nit 80 %% der Reisenden auf Nück- fahrkarten, sondern 80% Personenkilometer, und das liegt daran, weil die meisten Personenkilometer auf nabe Ent- fernungen mit Rückfahrkarten gefahren werden. Dcr kleine Verkehr zwishen den Städten auf Perfonenzügen bringt die große Verkältniszahl von 80 9%. Darüber is aber bisher noch keine Statistik aufgemaht gewesen, wieviel Reisende heute noch einfahe Fahrkarten [lösen und lösen müssen. Sie werten dies aus einigen Zaßlen, die ih beliebig bherauêëgegriffen babe, erfahren. Es sind z. B. im Rechrungsjahr 1904 von Frankfurt a. M. nah Berlin (Anhalter Bahnhof) gelöst an einfahen Fahrkarten 1. Klafse 1170, an Rückfahrkarten 1314 also vom Verhältnis 80 zu 20 9/6 ist gar keine Rede! In 2. Klasse sind gelöst 3903 einfahe und 5606 Nücfabrkarien. Nun akber die 3. Klasse, meire Herren! 3324 ein- fade Fahrkarten und 3687 Rückfahrkarten also fast dieselbe Zahl. Wenn Sie andere Relationen nehmen ich bin in der Lage, Ihnen durch meine Herren Kommissare eine ganze Anzabl zeigen zu lassen —, so stellt si daëselbe beraus. JIch will nur noch charakteristish die 3. Klasse bervorheben: Breslau—Dretden 1131 einfahe Fahrkarten und nur 220 NRückfahrkarten. (Hört, hört! rechts.) Hirshberg— Görliß 1997 einfahe Fahrkarten und 2201 Nückfahrkarten. Cassel— Göttingen 2212 einfahe Fahrkarten und 2284 Rückfabrkarten also wieder ungefähr die gleihe Anzahl.

Dann haben wir sogar Relationen, meine Herren, in der 1. Klasse namentlih, wo z. B. bei Coburg-Eisencch 11 cinfache Fahrkarten und nur 3 Rückfahrkarten gelöst worden sind. ?

I will Siz aber mit weiteren Zablen nicht belästigen, sondern Ihren nur das Resultat aus ter Statistik mitteilen, und das ift dies : §0 9/5 Personenkilometer decken sih nicht mit 80 9/5 Reisenden: Der Geschäftsreisende, der ErwerbEreisende, dessen Erwerbtleben durch die Eisenktabnverwaltung belastet wird, nimmt sich vielfach einfache Fahrkarten, weil er feire Reisen niht festlegen kann wie der Ver- cnügurgéreisende; und ih sollte meinen: wenn wir eine Personen- tarifreform maten, müssen wir eine solle machen, die namentlih auf das Ges&äftsleben aller Stände Rüöccksickt nimmt. (Sehr richtig ! links.) Das Ledingt die Aushebung der Nückfahrkarte; denn tat- \ächlich fênnen sehr viele Geschäftsreisende ihre Reisen nicht festlegen und sind, wie ih Ihnen nachgewiesen kabe, gezwungen, sich auch beute noch tie wesentlih teuerere einfahe Fahbzkarte zu lösen.

Wie groß die Ersparnis sein kann, die durch Aufhebung der NRücffahzkarten entstekt, mögen sie daraus ermessen, daß der Neisente von Frankfurt nach Berlin (Anhalter Bahnhof) mit ein- fahher Fahrkarte in Zukunft in der ersten Klasse 18,3 9%, in der zweiten Klasse 26,9 9/6, in der dritten Klasse 31,7 2/6 Ersparnis haben würde. Zusammen würde dies für die eben angeführte Zahl der Reisenden 75 090 Æ auësmaden. Das ift die Plusmatherei der Eisenktahn- verwaltung. Wern ih ferner annehme, daß 50 9/6 der Reisenden, die bisher Nückfabrkarten gelöst haben, späterhin mit dem Schnellzugs- zushlag von 2 F oder 1 Æ belastet werden die anderen 50 9/6 oder mehr sird seither bereits mit D-Zügen gefahren —, \o ergibt das eine Mehrausagabe für die Reisenden von 8756 #4: dem steht geger- über eine Minderausgabe von 75 000 A Ich bin also der Ansicht, daß das firanzielle Ergebnis für die Tashe der Reisenden in weiten Kreisen ganz falsch beurteilt wird, weil eben die nötige Statislik fehlte.

Fh komme nun zu dem Gepädcktarif. Ich habe mich {hon darüber ausgesprochen und möchte nur noch binzufügen, daß ich mich nur sehr {weren Herzens dazu habe entschließen können, für eine Aufkeburg des Freigepäcks zu stimmen, weil es immer mißlich ift, bestehende Rechte aufzuheben und liebgewordene Gewohnheiten aufzu- geben ; aber ih babe Ihnen hon die Gründe vorgeführt, die mih in die Zwangslage gebracht haben: einerseits der Landtag, zweitens der deutshe Handelstag, die das gefordert haben, und drittens die Ferderung, daß die 154 Millionen Ausfälle wieder gedeckt werden sollen. Hieraus ergab si selbstverständlih# daß man von dem Reisenden, der eine Mehrforderung an die Eisenbahnverwaltung stellt, auch etwas mehr einzieht. (Zuruf des Abg. Grafen von Strahwißz-Bertelsdorf: Das Gepäck gebört auch zum Reisenden!)

Ich glaube, der vorlicrgente Tarif entsprißt nun dem Gesihts- punkt, der gefordert ist, der Einfachheit und der wesentlihen Ver- billigung und berukt auf dem Getanken, daß für je 25 Kg und je 59 km cin Betrag von 25 & H zu zahlen ift. Hierzu fommt noch cine billigere Nahzone für Entfernungen bis 25 km mit einem Einhbeits\say von 29 «. Außerdem werden von 50l km an die Zonen und die Einhbeitssäße verdoppelt, um über 800 km hinaus nit mehr weiter zu steigen. Ih werde mir erlauben, auf den Tisch des hoben Hauses eine Anzahl von Ab- drücken niederlegen zu lasser, die den Gepäcktarif im einzelnen dar- stellen, für diejenigen Herren, die sich näher für die einzelnen Zahlen interessieren. Nach diesem Tarif kann der Reisende sich die Gepäck- fraht berechnen, die in Auésiht genommen ist. Dadurch, daß die Gepäckzohne auf ter Fahrkarte vermerkt ist, wird eine einfa: Be“ rechnurg erleihtert und die Abfertigung besch{leunigt. Es wird in Zukunft das nervôöse Drängen der Reisenden am Gepäckschalter auf- böôren, sih mindestens erbeblich vermindern. Untersuhungen über eine Vereinfachung der Abfertigung des Gepäcks sind einzeleitet.

Daß der Tarif allen Reisenden, die bisher Freigeväck gehabt haben, innerhalb der Grenzen des Freigepäcks, eine Verteuerung bringt, liegt natürlih auf der Hand; indessen ist auch wieder zu berüdcksihhtigen, wie der Tarif nun wirklih auf die Gesamtheit der Reisenden wirkt.

| 80% aller Reisenden fahren obne bleiben also rur 20% übrig, für die dieser Gepäcktarif wirklih eine Bedeutung hat. Von dem seitherigen Freigepäck von 1—25 kg werden 53,3 9/9, also mehr als die Hälfte, auf Entfernungen bis zu 50 km aufgegeben. Für diese 53,3 9% werden künftig nur 20 oder 25 S4 gegenüber der jezigen Gepäckfreiheit zu zahlen sein, was

aufgegebenes GepäckX. Es

für den einzelnen Reisenden gewiß nicht unerträgliß ift. Der Tarif wird aber billiger für fast alle Reisenden, die mehr als 40 kg Gepäd aufgeben, und weiter schr viel billiger auf weitere Entfernungen. Mit Nücksiht auf den Vau des Tarifs rah Gewichts- stufen und Entfernungssägzen ist es natürli sehr s{chwer, alle die ver- schiedenen Säße zu vergleihen, und ebenso, wie wahrseinlih heute abend und morgen in den Blättern eine ganz: Anzabl von Beispielen einer Verteuerung des Reisens mit Gepäck aufgestellt werden, könnte ih Iknen ebenso viele Beispiele anführen von Verbilligungen. Zum Beispiel, eine Sendung ven 46 kg auf 100 km fkoftet jeßt 1,590 #, später 1 Æ; eine Sendung von 50 kg auf 200 km fostet jeßt 2,70, später 2 X; eine Sendung von 75 kg auf 300 km jeßt 6,90 Æ, in Zukurft 4,50 4: eine Senturg von 150 kg auf dieselbe Entferrung jeßt 17,95 Æ, später 9 K; eine Sendung von 50 kg auf 600 km jeßt 8,25 Æ später 6 M, und dergleihen Beisviele mehr.

Meine Herren, ich will Sie mit weiteren Zablen au hierüber nicht belästigen; aber die Klage der Reisenden, daß nah dem heutigen Tarif auf weite Entfernungen die G:päckfrat vielfach teurer ift als die Fraht für lebendes Menschenfleisch (Heiterkeit), wird jedenfalls turch ten ncuen Gepäcktarif keseitigt. (Sehr rihtig!)) Ich möchte annekbmen, daß der Eninmurf des Gepäcktarifs also cine verbältni€- mäßig geringe Belastung für einen kleinen Teil der Neisenten bringt, daß dagegen durch andere Ermäßigungen dicse geringe Velastung reihlich anfgewogen wird.

Im übrigen, meine Herren, is die Frage der Mitnahme des Gepädcks auch eine Frage der Kofferindustrie. (Sebr richtig!) Alle theoretischen Erörterurgen über Freigeväck und Nichtfreigeväck werden in der Praxis dadur beantwortet, daß es Länder gibt mit Freigepäck, in denen man bequem reist, und taß es Länder gibt ohne Freigepäck, in denen man auch srarsam und bcquem reisen kann. Die Frage wird tat- \ächlich dur die Kofferindusirie im wesentlihen gele und neuerdings namentlih auch dadur, daß die Ausftattung der Wagen in den leßten Jahren eine derartige geworden ift, daß jeder erhebliÞ mehr Hand- gepäck mitnehmen kann, obne die Mitceisenden zu beläftigen. Und wenn von der berühmten Familie zu vier bis fünf Personen, die eins mal. im Jahre die Eisenbahn mit ihrem Besuche beebrt, vielfa gesrieben wird, daß fie niht mehr oder nur mit großen Mehbrkosten reisen könne, weil ‘das Freigeräd fortfallen solle, so sage ih: wer so verständig rehnet, daß er der Eisenbahnverwaltung riht mebr zu ver- dienen geben will, als unbedingt nötig ift, findet über der ganzen Sitbank, die seine 4— 5 Personen einnehmen, kei den reuen Wagen einen fo erbeblihen Naum, daß er unter geschickter Bemessung der Stüdcke das, was er für scine Sommerfrise nötig hat, wie seither in Süddeutshland und anderen Nachbarländern mitnebmen kann, obne der Eisenbabnterwaltung überhaupt nur einen Pfennig ¿u verdienen zu geben. (Zuruf des Abg. Grafen v. Strahwißz-Bertelsdorf: Der Streit mit dem Schaffner! Das gibt beinahe Prügelei ?)

Ich glaube, um dem Herrn Grafen Stra&wiß zu antworten, daß der Streit mit dem Schaffner geringer sein wird als der Streit mit den lieben Mitreisenden. (Heiterkeit. Sehr richtig!) Aber je mehr man ih daran gewöhnt, daß man seine Mitreisenden, wie ih das {hon früber gelegentlich ausgeführt babe, mit christliher Liebe (Heiterkeit) und mit einigem Woblwollen behandelt, desto mehr wird man auch sparfam und doch durchaus praktrisch reisen können, wie es ja au in Süddeutschland urd in anderen Ländern geschießt.

Meine Herren, das sind im wesentlichen die Grundzüge der neuen Personentarifreferm, wobei ich bemerke, daß, wenn einzelne Herren noch andere Einzelheiten wissen möchten, ich natürlich gern bereit bin, ihnen auch diese noch zu geben.

Wie stebt cs aber überhaupt mit der kteflagten Pluêmagtherei der preußishen Staatteisenbahnverœaltung im Personenverkehr? Die deutschen Eisenbahnen baben durchs{nittlich eine Bruttoeinnahme von dem Personenkilometer von 2,62 4; in Bayern wird cingenommen für das Personenkilometer 3,12 4, in Baden 2,95, bei den deutschen Privatbahnen 2,89, bei den Reichsbahnen 2,82, bei den sächGsishen Bahnen 2,78, in Württemberg 2,71 und bei den berühmten fiéfalishen preußischen Eisenbahnen mit ihrer berühmten Plusmacherei 2,51 4. Das ift also der billigste Saß, der überhaupt in ganz Deutschland vor- banden ist. Bemerken will ih dabei, daß diz Nbeinishe Privatbahn im Jahre 1879 4 4 vom Perfonenkilometer und die Berlin-Anhalter Privatbzhn 3,9 eingenommen hat. Seit dem Jahre 1879 ift die Einnabme auf das Perfonenkilometer bei den Preußischen Staats- babnen stetig zurückgegangen, und zwar von 3,55 4 bis zu 2,51 S, also um 1,04 4, also in 25 Jahren um 29,3 0/6, und das matt aus eine Mindereinnahme von 41,5 %/. Wenn wir im Jahre 1903, noch zu den Säßen von 1879 gefahren wären, dann würden die preußi- {hen Staatteisenbabnen im Personenverkehr eine Mehreinnahme von fast 168 Millionen Mark erzielt baben. (Hört, bört! Zuruf.) Sie würden niht gefahren sein? Meine Herren, bei dem zu- nehmenden Wohlstand und bei dem großen Reisebedürfnis glaube i das im wesentlihe-n dcch; ich bake aber nichts dagegen. Wenn Sie ein paar Milliönchen von den 168 Millicnen abstreihen, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß wir unsere. Einnahmen aus dem Perfonen- verkehr stetig vermindert baben. (Sehr richtig!)

Die Verminderung ist nun nit lediglich dadurch geschehen, daß wir Ausnahmetarife, Rückfahrtkarten u. dergl. eingeführt haben, sondern durch eine verständige soziale Neform des Verkehrewesens, dadurch, daß wir die Klafsen im einzelnen fo gut durhgebildet, so gut auëgebildet, so bequem ausgestaltet haben, daß es eben in Nord- deutshland vielen Reisenden möglich iff, in der dritten Klasse zu fahren, die in anderen Ländern in der zweiten Klasse fahren. Das if die große Hauptsacke, die wir bet der Personentarifreform zu beachten baben.

(S@&luß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

2 154.

Berlin, Montag, den 3. Juli

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Dann aber ist noch zu bemerken, daß der Wert des Geldes seit 25 Sabhren fich erheblich vermindert hat, daß alle Einkäufe, die ih mache, an Lokomotiven, an Wagen, an allen Bedürfnissen der Eisen- bahnverwaltung teurer geworden sind, daß die Unterhaltung des Personals teurer geworden ift, während wir defsenungeahtet billiger fabren. Uns wird immer vorgehalten, wir sollten die Eisenbahn kaufmännisher verwalten, das beißt do, daß die Leistung der Gegen- [leistung entsprechend sein soll; wir hätten also eigentlih teurer werden müssen, da es keinem Zweifel unterliegt, daß die Reisenden gegenüber der Zeit von vor 25 Jahren \sckneller, bequemer und sicherer, also im ganzen befser fahren. Wenn diese Mehrleistung unter einer Vers minderung der Einnahmen ftattfindet, so kann man dot ehrlich der Staatseisenbahnverwaltung keine fiskalishe Plusmagherei vor- werfen.

Gewiß ift das Reisen in den leßten 25 Jahren im ganzen teurer geworden, aber nicht dur erhöhte Eisenbahntarife, diese mahen in der Negel nur einen jehr geringen Teil der Reisekosten aus, und deshalb stehe ih auch niht an, wie ich das gelegentlich von Anfragen {on \chriftlich gesagt babe, zu erklären, daß kein Gast si von dem Besuch eines gastfreundlihen Bade- oder Kurortes durch die neuen Personentarife abhalten lassen wird, besonders nicht, wenn diese Kurorte in der Lage sind, eine ebensolhe Statistik aufzumachen wie ih, daß nämli troß böberer Leistungen bei ihnen in den leßten 25 Jahren die Preise au ver- billigt worden sind. (Heiterkeit.)

Ich will jezt das finanzielle Gebiet verlassen und nur noch ein paar Worte sagen über die allgemeinen Vorteile der Reform, die si ergeben follen. Wir find der Meinung, daß gegenüber dem jeßigen Zustand der Buntscheckigkeit entshieden der Einheitstarif vor- zuziehen ist; der bisberige Zustand entspriht weder dem Bedürfnis, noch der politishen Einheit des Deutschen Reiches, wo wir doch sonst so manhes zur Einheit gebracht haben. Er entspriht besonders nit unserer Stellung dem Auslande gegenüber, denn wenn unsere Landes- grenzen im Innern von Deut\chland noch Verkehrsgrenzen sind, so ift der Artikel 42 der deutshen Reichsverfassung seinem Geiste nach noch nit zur Durchführung gelangt. (Sehr richtig !) Fernerhin \oll die Reform die Aufgabe einer großen Anzabl von Bestimmungen herbeiführen, die den Reiseverkehr beengen, be- lästigen und unter Umständen verteuern. Eine Verteuerung tritt ¿. B. ein, wenn, wie es nicht selten vorkommt, ein Reisender eine NRückfahrkarte II. Klafse löft, weil er bei der Hinfahrt einen be- stimmten Zug, der keine III. Klafse führt, benußen muß. Auf der Rüdckreise hat er cinen ihm pafsenden Zug mit I[1. Klafse, und er würde gern in diesem Zuge nur die Il1. Klasse zahlen. Er mußte fih aber eine Fahrkarte II. Klasse für diesen Zug nehmen, weil er den Vorteil der Rückfahrkarte haben wollte. Derartige Verhältnisse kommen vielfach vor, und die sollen beseitigt werden.

Nun wird über bureaukratishe Verwaltungsvor- schriften geklagt. Wenn wir das Gêkundübel aller dieser Ver- waltungsvorschriften aufheben, die Rükfahrfarten, dann werden Sie keinen Bureaukratismus mehr sehen, dann werden Sie nit die Reibungen sehen, die tagtäglißh vorkommen. Meine Herren, über 128 000 Reklamationen sind in einem einzigen Jahre bei der Verwaltung eingelaufen, bei der Direktion Berlin allein 25 000, Dann wird die berühmte Schreibgebühr aufgehoben, die jeßt erhoben werden muß, damit der Reklamationen nit noch mehr werden. Ih schenke Ihnen gern die ganze Schreibgebühr; ih ver- zihte auf die Reklamationen. (Große Heiterkeit.) Ich gebe dies alles auf, wenn wir die gewünshte Verkehrsfreiheit für den Reisenden bekommen. (Sehr rihtig! und Heiterkeit.) Endlich erbhoffen wir eine Beseitigung einer großen Anzahl von Ungerechtigkeiten! Denn es ist doch nicht zu verstehen, daß der Reisende, der von Berlin nach Frankfurt a. M. fährt, für die gleiche Leistung mehr bezablt bei der einfahen Karte als der, der sich gleich eine Rückfahrkarte [ôft. Ih will übrigens gleichzeitig bemerken, daß selbstverständlih in Aussicht genommen ift, daß ih ein Reisender bei großen Verkehr8- beziehungen gleih die Fahrkarte zurück nehmen kann, daß ferner die vershiedenen Fahrtwege nicht auëges{lofsen sind fkurz, alle Bequemlihkeiten, die verständig sind, sollen beibehalten, Un- bequemlihkeiten sollen beseitigt werden. Der Fortfall einer großen Zahl von Fahrtunterbrechungen ist ferner von großer Bedeutung. Die späteren Karten werden nur 48 Stunden Gültigkeit haben, weil es mögli ift, in 48 Stunden durch Deutshland vom Anfang der Reise bis zum Ziel zu kommen. Es werden viele Fahrtunterbrehungen dann fortfallen und damit die lästigen Bescheinigungen, die wir jegt nötig baben, um die Be- trügereien nicht überhand nehmen zu lassen. Die Bescheinigungen sind lästig für die Reisenden wie für die Beamten. Die Ueber- sihtlihkeit des Personen- und Gepäverkehrs ift gar nicht zu untershäßen. Denn es ist jet \chwer, namentli§ im voraus die Gepäckfracht zu berechnen. Die \chnellere Berechnung in vielen Fällen und die Verbilligung der Gepäckbeförderung ist auch niht zu untershäßen. Die schnellere Abfertigung an der Bahnsteigsperre wird siher erreiht werden, wenn der Bahnsteigs shaffner nihts anderes kennt, als daß in der Regel jeder Ausweis, der vorgezeigt wird, abzunehmen iff. Jeßt studiert der Mann bei jedem verschiedenen Ausweis, was noch gültig ift und was niht, was er herausreißken muß aus den ver- schiedenen Billettheften. Jeder von ungs wird sagen müssen, daß das eine Belästigung des reisenden Publikums ist. (Sehr richtig !) Vor allem untershäßzen Sie nit die Freibeit in der Dispo- nierung der Reisen, die niht nur von Vorteil ist für den Ge- \chäftsreisenden, sondern auch für den Vergnügungsreisenden, der ih vielfa nicht binden, sondern auch frei sein möchte im Hinblick auf Witterung und alle möglihen Verhältnisse, die ihn auf der Reise überraschen können. Also, meine Herren, die Freiheit des Rei-

senden ist doh die große Hauptsahe. Daß für die Verwaltung aus diesen Sachen au Vorteile entstehen, das liegt auf der Hand.

Ih meine also, wenn die Personentarifreform an den kleinlihen Bedenken, an den kleinen Vershiebungen, die im Preise stattfinden, scheitern sollte, dann frage ih, wo sigen die Bureaukraten und wo sigen die Plusmaher, nämli für die eigene Tashe des Reisenden ? Im Ministerium sizen sie nit, in den Verwaltungen au nit; denn wir haben dem reisenden Publikum die Hand gereicht, um alles abzushaffen, was als bureaukratishe Vorschrift bezeihnet werden fönnte, und Plusmaqherei, habe ih gezeigt, liegt au nit vor.

Meine Herren, daß sind im wesentlichen die großen Vorteile, die die Reform mit si bringt, und ih muß es Ihnen und dem Lande überlassen, ob es von manchen Preßorganen und in Versammlungen rihtig war, der Eisenbahnverwaltung die {weren Vorwürfe zu maten, die Beunrubigung in weite Kreise gebracht baben.

Der Plan unterliegt übrigens noch in Preußen-Hefsen der Begut- atung dur den Landeseisenbahnrat, einer Korporation, die ih zu- sammenseßt aus allen Berufsständen, aus Vertretern aller Klafsen, und diese Korporation wird im Herbst d. J. ihr Gutachten abgeben. Aus diesem Grunde hat auch das Königlihe Staatsministerium noch feine endgültige Stellung ju dem Reformplan genommen, sondern auf meinen Antrag die Entsheidung hinau®geshoben, bis der Landes- eisenbahnrat sein Gutachten abgegeben hat. Ebenso werden in anderen Ländern entsprechende Korporationen oder die zuständigen Landtage noch über die Personentarifreform befinden müssen.

Ich babe geglaubt, die Resolution, die Sie unter dem 8. März d. I. gefaßt haben, in allen ihren Einzelheiten ernst nehmen zu sollen, um bald eine Reform zustande zu bringen, die Ihren Beschlüssen und Aeußerung entspriht. Meine Herren, schneller ging es nit, als es gegangen it; in wenigen Monaten haben \ch die deutshen Verwaltungen auf eine Reform g-einigt, die im wesentlihen den von Ihnen bei mehrfachen Gelegenheiten ausgesprohenen Grund- säßen entspricht.

Sollte die Reform die grundsäßglihe Billigung des Landeseisen- bahnrats nicht finden, dann werde ich meine Entschließung vielleicht dabin fassen, daß ih ebenso auf die Durhführung einer Personentarif- reform verzichte, wie dies meine beiden Herren Amts8vorgänger {ließlich getan baben. Ich könnte sie nur zustande bringen, wenn ein Rechenmeister erstände, der mir sagt, wie man einen Ausfall von 157 Millionen deckt, ohne daß irgend einer mehr bezahlt.

Meine Herren, die leitenden Gesichtspunkte, die mir und allen deutsben Eisenbahnverwaltungen vorgeshwebt baben, sind rein nationale Gesichtspunkte gewesen und Gesichtspunkte für die praktische Weiterentwicklung und Durchbildung des Neiseverkehrs. Ich nehme das für alle deuts%e Staatsbahnverwaltungen in Anspruch und würde es sehr bedauern, wenn kleine perfönlih unbequeme Vershiebungen im Volke \chwerer emvfunden und höber bewertet werden sollten, als die beabsihtigten großen Vorteile, vor allem die Freiheit des Reisenden und ein deutsher Einhbeitstarif. Der Zweck der Neform ift eine weitere Ausgestaltung der Einheit Deutschlands in seinem Verkehrswesen, die {hon so lange vom ganzen deutschen Volke ersehnt wird. (Lebhaftes Bravo!)

Der Abg. Friedberg (nl.) beantragt die Besprehung der Jnterpellation. Der Antrag wird genügend unterstüßt.

Abg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.) : Die Oeffentlichkeit wird dank- bar anerkennen können, daß der Minister bier noch kurz vor Tores- {luß so ausführlihe Mitteilungen über die in Ausficht genommene Reform gemaht hat. Da der Landtag bei den Tariffestsezungen nicht mitwirkt, sondern nur Kenntnis nehmen kann von den erfolgten Feft- seßungen, ist die Besprehung um \o erwünshter, als noch Ver- besserungévorshläge gemacht und Aenderungen angeregt werden können. Ich kann nit finden, daß die Erklärungen des Ministers jeden Grund zur Besorgnis beseitigen. Wir halten unsererseits eine Reform des Tarifwesens für dringend geboten, sowobl im Interesse der Verwaltung wie des Publikums; aber wir weihen vom Minister und von der Mehrheit dieses Hauses darin ab, daß wir meinen, es komme nit allein auf die gewiß auch sehr dringend gewünschte Ver- einfahung des Tarifs an. Diese liegt wesentlich im Interesse der Verwaltung, des Rechnungswesens, weniger im Interesse des die Eisenbahn benußenden Publikums. Für dieses ift die Hauptsache die Wohlfahrt des Verkehrs. Uns scheinen die Fahrpreise heute im allgemeinen zu teuer, eine Ermäßigung der Fahrpreise wird ja freilich zunähst niht durhzusezen sein. Wir werden uns für jegt zufrieden geben müssen, wenn die Grundzüge der Reform, die eben entwidelt wurden, zur Durchführung gelangen. Aber keinesfalls darf eine Verteuerung stattfinden ; und eine solhe würde nah den Mitteilungen des Ministers nah verschiedenen Richtungen eintreten. Die Forderung der Zuschläge für Schnellzüge bat in diesem Hause keinerlei Unterstüßung gefunden, sie ist nicht einmal zur Abstimmung gekommen. Um #o mehr sind wir überrascht, daß jeßt die Regierung doch auf diesen Gedanken zurückgekommen ift, indem für bestimmte Schnellzüge Zuschläge eingeführt werden sollen. Hier zeigt sh unverkennbar der fiskalishe Charakter der Reform. Herr v. Budde macht auch kein Hehl daraus, daß in der Hauptsache fiskalishe Gründe für diese Zuschläge den Aussthlag gegeben haben ; er will einen Ausfall von 15} Millionen damit wett- machen. Ich halte die Vorauéfeßzung des unbedingten Ausfalls von 154 Millionen für unzutreffend. Dasselbe Lied ist uns gesungen worden, als die Nückfahrkartenverlängerung CHgelebre wurde; es ift erwiesen, daß mit folhen Verbilligungen Ausfälle in solhem Umfange niht verbunden sind, sondern die Vermehrung des Verkehrs durch geshickt durchgeführte Verkehrêverbilligungen auch eine Vermehrung der Einnahmen zur Folge bat. Daß es so kommen würde, habe ih schon bei den Verhandlungen der Budgetkommission kommen sehen; da seßte es der Finanzminister dur, daß in den Kommissionsbeschluß jene fiskalishe Vershnörkelung bineinkam. In Verkebrsfragen soll man niht eine derartige leidige Fiskalität treiben. Der eine Vorteil der Rückfahrkarten allein soll auch in Zu- kunft bleiben, daß man sich hon bei Antritt der Reise die Karte au für die Rückfahrt lösen kann. Was die Säge anlangt, so wird man damit einverstanden sein können ; es läßt sih aber zur Zeit noch niht übersehen, ob niht bei der Abrundung doch noch hier und da eine Verteuerung herauskommt. Im großen und ganzen tritt für Norddeutschland nur für die I. Klafse eine Verteuerung ein von 6 auf 7, für Süddeutschland dagegen eine Verbilligung von 7,75 auf

7 4. Meiner Eng nas könnte die I. Klafse mehr und mehr ein- ges{hränkt werden; die Verwaltung war ja au hon auf dem besten

1905.

Wege dazu, als ihr das Herrenhaus hindernd in den Weg trat. Im ganzen kommt Süddeutschland bei den einzelnen Säßen über- haupt besser fort. Jn der IV. Klasse, die bestehen bleiben soll, ver- kehrt die größte Zahl der Reisenden; um so mehr würde es gereht- fertigt gewesen sein, zu erwägen, ob nicht auch hier Ermäßigungen ein- treten können; die Ignorierung der 1V. Klasse gibt der ganzen Re- form etwas Unsoziales, was gerade in der heutigen Zeit hätte ver- mieden werden sollen. Den Widerstand, der von Süddeutschland gegen die Einführung der IV. Klasse geleistet wird, begreife ih voll- kommen; ih würde auch heute noch die Beseitigung der Iv. Klafse niht für einen Rückschritt, sondern für einen Fortschritt halten. Am bedauerlihsten an der Reform ist die Absicht, für Schnellzüge Zushläze einzuführen. Der Minister sucht die Befürchtung zu zer- treuen, daß für alle Schnellzüge der Zuschlag erhoben werde, aber er ist doch mit allgemeinen Redewendungen darüber binweggegangen, welhe Schnellzüge damit belegt werden sollen. Die Schnellzüge kosten der Verwaltung durhaus niht mehr, sondern weniger als die übrigen. Es liegt nicht im Interesse des Verkehrs, wenn \chnellere Züge mit größeren Kosten belegt werden. Es sind viele Wünsche nah ciner Vermehrung der Schnellzüge laut geworden, es ist aber nicht angebraht, das Reisen zu verteuern durch einen solhen Zuschlag. Der Minister ist gegen den kilometrishen Zuschlag, aber er will den örtlichen Verkehr von dem Durhgangsverkebr trennen. Das läßt si vielleiht durch andere Maßnahmen der Verwaltung erreihen. Für die Reisenden ist der Name des Zuschlags gleih- gültig, ob er filometrisher Zuschlag oder Schnellzugszushlag genannt wird. Dieser Zuschlag entspriht au niht dem Prinzip der Ver- einfahung, dem Grundgedanken der Reform. Es werden dadur wieder neue Fahrkarten notwendig. Was die Plaßkarten anlangt, so glaube ih, daß niemand der Platzkarte eine Träne nahweinen wird. Sie war wirtshaftlih nicht berechtigt. Es fann aber das Reht der Reisenden beibehalten werden, ih für längere Strecken einen bestimmten Play zu sichern. Wie weit nah Prozentsäßen eine Verteuerung oder Verbilligung des Verkehrs eintritt, läßt ih erst übersehen, wenn die vom Minifter angeführte Statistik vorliegt. Es werden sich siherlih zahlreiche Falle anfübren laffen, in denen eine Verteuerung eintritt. Ich freue mi, daß der Minister die Beibehaltung der Sonntagtkarten in Aussicht gestellt hat. Das liegt im Interesse der Vielen, die nur des Sonn- tags sich im Freien erholen können. Es würde aber wünschenswert gewesen fein, wenn uns gesagt würde, zu welhen Preisen die Sonntagskarten berechnet werden sollen. Jett find 3,7 Millionen aus den Sonntagékarten erzielt worden, darunter über 3 Millionen aus der III. Klasse, ein Beweis, daß es sich namentlich um die minder wohlhabenden Kreise handelt. Für die Woblfahrtszwecke müfsen auch die Ermäßigungen aufrecht erhalten werden im Interesse der Gesunderhaltung der Bevölkerung. Iede Abänderung darin würde ein fozialer Rückschritt sein. In bezug auf den Gepäcktarif kann ih dem Minister niht zustimmen. Es ift hier kein Beschluß gefaßt worden für die Aufhebung des freien Geväks. Diese Aufhebung bringt für Norddeutschland eine erbeblihe Vershlehterung. Aber der Minister ist genötigt, wenn die Reform zustande kommen soll, ihr zuzustimmen. Von meinem Standpunkt bedauere ih die Aufhebung des Freigeväcks und die dadurch bervorgerufene Verteuerung. Ich meine, das Geyäck gehört zum Reisenden. Der Minister meint, das sei nicht so s{limm, die Kofferindustrie werde hier Abhilfe hafen, und in den Wagen- abteilen lasse sich au eine ganze Menge Gepäck unterbringen. Es wird aber dann in den Wagenabteilen ein Gedränge entstehen, das für den Reisenden niht angenehm ist. Das besteht {on beute und wird dann in noch ftärkerem Maße auftreten. In der Praxis kommt man darüber auch nicht mit der hristlihen Liebe hinweg. Für shwere Gepädstüde tritt allerdings eine Ermäßigung ein, beute ist ibre Be- förderung zu teuer. Aker die Verwaltung jollte sich wobl überlegen, ob nit die 25 kg Freigepäd bestehen bleiben können. Der Minifter beruft ih wiederholt auf die Beschlußfaffung des Handelstages. In einzelnen Punkten kann ih dieser nit zustimmen, aber ich wünschte, daß die Regierung auch bei anderen Fragen der Meinung der Handels- vertretung ein solches Gewiht beilegt wie heute der Minifter. Im ganzen erscheint die Reform nicht als eine Ver- besserung. Ich bitte die Verwaltung, nochmals zu prüfen, ob niht von den bisherigen Vorschlägen noch abgewichen werden kann. So dringend die Reform ist, so wenig ist eine Berteuerung angebracht. Ich hoffe immer noch, daß eine Reform möglich ist ohne Verteuerung. Der Minister deutete die Neigung an, zurückzutreten, wenn die Re- form Mars ih bitte ihn aber, das Vertrauen, das er sich bisber erworben hat; niht zu versherzen durch eine Reform, die diesen Namen nicht verdient. . i

Abg. Gamv (fr. kons.): Im Gegensaß zu dem Vorredner kann ih namens meiner politishen Freunde erklären, daß wir mit den Aus- führungen des Ministers im großen und ganzen einverstanden und der Ansicht sind, daß sih der Reformplan in dem Rahmen hält, der wieder- holt hier im Haufe die Billigung der großen Mebrbeit gefunden hat. Ih habe auch die Aeußerungen des Ministers -niht so verstanden, ta

er zurücktreten wolle, wenn die Reform scheitern sollte, sondern, da er sie gleich seinen beiden Vorgängern ad acta legen und fi

ohne sie bebelfen würde. Die beiden Maßnahmen, die der Minister zum Ausgleih der Ausfälle in Aussiht genommen hat, scheinen mir ¡weckmäßig zu sein. Es ist rihtig: dem Publikum kann es ganz glei sein, in welher Form die Zuschläge erhoben werden, aber nidht in welher Höhe. Die kilometrishen Zuschläge stellen sih viel höher als die Zonenzuschläge. Die Beseitigung des Freigepäcks kann ich gut- beißen, aber es ift eine große Ungerechtigkeit, daß man den Gepäd- tarif von 25 zu 25 Kg einteilt, sodaß man um eines einzigen Kilogramms Uebergewicht willen den höheren Say bezablen muß. Es sollte, wenn niht die Hälfte des Gewichts über 25 kg er- reiht wird, der niedrigere Saß berechnet werden, dann würde das Publikum in der einen Hälfte der Fälle weniger zu zahlen baben, und nur in der anderen Hälfte der Fälle den höheren Saß. Das wäre ein Ausweg, mit dem das Publikum sich gerne einverstanden erklären würde. Hinsihtlih der Sonntagsfahrkarten stimme ich Herrn Dr. Wiemer zu und gehe noch einen Schritt weiter. Die Sonntags8- karten müfsen den Charafter einer Au8nahmemaßregel verlieren und all- gemein eingeführt werden und für Vergnügung8züge niht bloß zwischen Berlin und Potsdam, sondern beispiel8weise auch in Hinterpommern, ¡wishen Danzig und Zoppot usw. und ebenso auch für unsere Land- bevölkerung, die Sonntags nach der Stadt fahren will, gelten. Meines Grachtens liegen diese Fälle alle ganz gleihartig. Das platte Land verlangt unbedingt, daß auch ihm die Vergünstigung der Sonn- tagsfahrten zugute kommt. Es müßten allgemein Sonntags die Nükfahrkarten für den Preis der einfahen Fahrt verkauft werden. Für die Bäderzüge könnte man das Freigewiht, da es keine Um- tände bereitet durch Umladen usw., vielleiht beibehalten. Die Selbsts kosten verringern si für die Verwaltung mit der zunehmenden Ent- fernung, deshalb sollte mindestens eine fallende Skala eingeführt werden. Durch die Beseitigung der IV. Klasse würden viele Leute von der L M De L Klasse gedrängt werden, ihnen also das Reisen wesentlich verteuert werden. Die Aufhebung der 1V. Klafse würde eine unsoziale Maßregel sein. Auf die Stimme des Abgeordneten- hauses lege ich größeren Wert als auf die des Handelstages, und das Abgeordnetenhaus hat nur verlangt, daß keine Verteuerung eintritt. Die Kilometerbefte sind empfehlenswert, man könnte die Bedenken gegen fie wobl dadur beseitigen, daß man sie nur den Reisenden für:

größere Strecken gewährt.