1885 / 7 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Jan 1885 18:00:01 GMT) scan diff

bestreite die Thatsache, daß die Auswanderung in den leßten «zahren wesentlih unter den Tabackbauern stattgefunden habe. (Fürst von Bismarck: Nein!) Jeder Berit werde dies aber bestätigen. Cr wundere si, daß die Auswanderer nah Amerika gegangen seien, wo der höchste Tabackzoll sei. Fa, bei ciner gewissen Wohlhabenheit könne man au den Taback theurer bezahlen, die sei aber in anderen Ländern mehr vor- handen, als in Deutschland. Sie trete au nit plößlich ein. Je höher der Tabackzoll, um so geringer der Konsum. Jn Frank- rei und Amerika sei der Tabackonsum viel geringer als in Deutschland, und in Frankreich besonders werde viel mehr Tabak gebrauht als Cigarren. Daher habe dort die Taba€- industrie sehr viel weniger Arbeitskräfte. Wenn aber die deutshe Tabackindustrie auf einen starken Konsum eingerichtet sei, so müsse jede Erhöhung der Steuer, jede Erschütterung der Grundlage z. B. dur das Monopolprojekt in die Tabackindustrie Unruhe hineinbringen. Dann würden auch die Löhne sinken, und der aeringe Lohn in der Tabadtindustrie treibe dann die Leute aus Deutschland fort, wie das in den leßten Jahren der Fall gewesen sei. Wenn der Reichs- kanzler gewissermaßen die Einwanderung in Amerika mit der Schußzollinduslrie in Verbindung stelle, wie dürfe derselbe dann im Kongçogebiet das Freihandelssystem proklamiren; dann wäre es doch sehr wenig verlockend, umdorthin die Einwanderung zu ziehen. Er achte das als das Verdienst des Reichskanzlers in Bezug auf diese Fragen, die in der Kongokonferenz verhan- delt würdcn. Bekanntlich sei die Auswanderung auch vor der Schußzollpolitik eben so stark als jeßt gewesen und habe eben so viel Deutsche hingezogen. Der Reichskanzler habe Amerika für den Getreidezoll angeführt. Aber Niemand werde leugnen, daß für Nordamerika als Getreide exportirendes Land der allgemeine Weltmarkt, die Exportpceise maßgebend seien und nicht der inländische Schußzoll für das, was die Landwirthschaft in Amerika mit ihren Artikeln verdiene. Der Reichskanzler glaube wirklich, daß die Besißer auswanderten. Jm Gegentheil, vorzüglih wanderten die aus, welche nicht Besißer seien, aber es gern werden möchten. Früher habe der Reichskanzler selbst anerkannt, wie in Pommern und Lauenburg Bestim- mungen beständen, welhe den Erwerb von Grundeigenthum ershwerten. Diese Hemmnifse sollten vor Allem beseitigt werden. Der Reichskanzler habe die Lasten geschildert, die auf dem ländlichen Besiß ruhten. Er (Redner) wolle diese Ver- hältnisse nicht rosig darstellen, aber er frage den Reichskanzler, was babe derselbe für Mittel, diese Uebelstände abzustellen. Der Kanzler werde dem Hause mehr indirekte Steuernt und Zôlle vorschlagen, mehr Steuern auf den Verbrau nothwendiger Lebensmittel. Denn der Kern seiner ganzen Politik sei die Belastung der Besißlosen zu Gunsten der Besißenden. Zulett hätten übrigens auch die Besißer keinen Vortheil aus dieser Politik. Denn was folge daraus? Man könne wohl verhin- dern, daß billiger Weizen aus Amerika komme, aber man könne nicht verhindern, daß \chließlich die Leute dahin gingen, wo der billige Weizen wachse, und das führe auch zum Nach- theil des Grundbesißers, der in Bezug auf die Rentabilität seiner Wirthschaft doch in erster Reihe auf den inländischen Konsum angewiesen sei.

Darauf erguifff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort,

Der Herr Vorredner hat damit ges{lo\}sen, daß er die Regierung besuldigte, bei ihren Steuervorlagen die Absicht zu haben, den Besitlosen zu belasten zum Vortheil des Besitzenden. Es ist dies eine der großen Unwahrheiten, die im Interesse der Fraktionspolitik und der Bekämpfung der Regierung durch das Land gehen, und deren häufige Behauptung und Wiederholung mit dem emphatischen Ton ter Ueberzeugung den Behauptenden von jeder Beweislaft dispensiren, Wenn man das in einer öffentlichen Versammlung recht fest mit der nöthigen Stimme ausruft und das täglih mehrmals wiederholt, so semper aliquid haeret. Es ift aber gerade das Gegen- theil wahr; die Bemühungen der Regierung sind nicht darauf ge- richtet, den Besißlosen zu belasten, sondern darauf, den Besißlosen mitsammt dem Besißenden vor dem Ruin zu {üten.

Der Ruin zu Gunsten des Auslandes tritt bei uns dann ein, wenn wir die Majorität der Bevölkerung, die von der Landwirthschaft lebt wie die statistishen Nachrichten das zeigen —, in die Lage seßen, die Landwirthschaft niht mehr betreiben zu können, dann ver- liert diese Majorität die Kauffkraft gegenüber der städtischen Minorität, und die städtische Minorität geht auc zu Grunde; der Arbeiter mit seinem wohlfeilen Brot verhungert, während wir ihn dur Lohn- erhöhung und durh Hebung der Wohlhabenheit des Gesammtstaates in die Lage seßen wollen, zu leben, und wohl zu leben. Das ift die Kehrseite von der Unwahrheit, die aus palitishem Agitationsbedürfniß unter den urtheilslofen Leuten verbreitet wird, und ih bedauere, daß der Herr Vorredner dieser Ansicht wieder Ausdruck giebt; es ift mir aker lieb, weil es mir Gelegenheit giebt, auch die Kehrseite dem ent- gegenzustellen.

Wenn der «Herr Abgeordnete sagt, womit wir denn dem Land- wirth, der wegen Ueberlastung durch Abgaben aufwandert, helfen wollen, so antworte ih tarauf ganz cinfah: dur Verminderung dieser Lasten und dur Erleichterung des Absatzes seiner Produkte, also mit einem Wort: durch Getreidezölle, und ich weiß, was ich damit ausspreche, und ih weiß, daß ih damit den Handschuh auf- nehme, den der Herr Vorredner mit sciner Andeutung hinwirft; wir werden Ihnen weitere Vorlagen in Bezug auf die Erhöhung der Ge- treidezölle bringen und sind uns vollständig bewußt. daß wir damit uns um das deutsche Land uxrd um seine Majorität, die aus Land- wirthen und bei der Landwirthschaft Interessirten besteht, wohl ver- dient machen.

Der Herr Vorredner sagte, die Besißenden wanderten nicht aus, sondern nur die Arbeiter wanderten aus. Die Mehrzahl der Aus- wanderer sind Arbeiter, solche Arbeiter, die sparsam und fleißig ge- wesen sind, die etwas verdient haben, die die Veberfahrt bezahlen können und den Kaufshilling für drüben übrig behalten. Wenn er aber sagt, die Besißenden wanderten nit aus, so zeigt er eben, daß er im Lande niht um sich weiß, er kennt eben nur die großen Städte. Ich weiß z. B. im Kreise, dem ib ja schr nahe stehe als i nah Varzin kam, waren dort, ih weiß nicht ob 11 oder 12 Bauern- höôfe, jeßt sind es noch 2 Vollbauernhöfe und etwa 4 Halbbauern; die Übrigen haben verkauft und parzellirt, um auszuwandern, weil sie drüben glaubten, bessere Geschäfte zu machen, und find sehr froh gewesen, daß ich ihnen zum Theil thre Höôfe zu einem höheren Preise, als sie von der Parzellirung erwarten konnten, ab- gekauft habe, nachdem sie zur Auswanderung ents{chlosen waren. Mit mir grenzt das Kirchdorf Wussow; das hatte 7 Bauern, als ih hinkam; cs hat jeßt noch 2; 5 davon haben parzellirt und sind ausgewandert, Es mag vielkleiht in diesem Winkel der Erde allein fo aussehen; aber der Hr. Abg. Richter wird es ja besser wissen ;

er sagt, der Besißer wandere niht aus. Nun ist es wunderbar, daß bei mir von 19 Besitzern gerade 9 in der kurzen Zeit von 18 Jahren auêgewandert sind. Den Herrn Vorredner wird ja das nicht ab- halten, seine Behauptung aufrecht zu erhalten.

Der Herr Vorredner hat sch wiederum darüber beschwert, daß ih Persönlichkeiten sagen wir: Spitzen in die Diskussion mische. Ja, er versteht unter Persönlichkeiten immer, wenn man ihn widerlegt, ihm (widerspricht. Der Herr Vorredner ist das gar nicht gewöhnt, daß ihm widersprochen wird in den Kreisen, in denen er sih bewegt; fowie Einer anderer Meinung ist, so nimmt er das für eine verletßzende Persönlichkeit.

Wenn der Herr Vorredner mir Aeußerungen und Meinungen unterschiebt, die ih gar nit gesagt habe, wie die z. B., daß nur die Besißer verkauften, und noch einige andere, auf die ih kommen werde, wie sell ih das anders widerlegen als damit, daß ih dem Herrn Vorredner fage: er hat meine Aeußerungen eniweder nit verstanden oder ni&t verstehen wollen, oder sie fo zurechtaelegt, wie er sie für sein Auditorium brauen fkanr.; für das hiesige Auditorium nicht denn Sie wissen ja ebenso gut, was ih sage, wie der Herr Vorredner —, aber für die Presse Der Herr Vorredner steht ja an der Spiße sehr bedeutender Preßunternehmungen; darin wird er natürlich seine Aeußerungen \o, wie er se hier gesagt hat, wiedergeben und mit großer Scnelligkeit- verbreiten; die meinigen werden darin wahrs{einlih nicht zu finden fein.

Der Herr Vorredner hat z. B. mir in den Mund gelegt, i ätte von Getreidezöllen in Amerika gesprochen. Die habe ich mit einbegriffen; aber ich habe und i berufe mich auf den fteno- graphisben Bericht und mein Gedäbtniß von Schußzzöllen im Allgemeinen gesprochen. Ich habe gesagt: die Auêwanpoerer flüchten sid unter das Dach der Zölle, die die inländische Arbeit hüten, in Amerika. Das Wort „Getreidezölle* habe ih in Bezug auf Amerika gar nit gefagt, obwohl ih mi in dem Augenblick, wo i sprach, schr wohl erinnerte, daß ich bei einer früheren G?:legenheit in der Lage war, dem Herrn Vorredner etwas Neucs zu fagen, was ihm gewiß selten im Leben passirt ist, daß es nämlich in Amerika wirklich Getreidezölle gäbe. Ich glaube, es war der Herr Vorredner, der das bestritt, oder einer seiner Freunde; das thut nibts zur Sache, denn ih glaube nicht, daß seine Freunde das Recht haben, Meinungen zu äußern, die er nit billigt.

Der Herr Vorredner hat mir ferner die Insinuation des Hrn. Abg. Dirichlet wiederholt, als hätte ih behauptet, d ß alle Wohl- habenden auswandern müßten. Meine Herren, ih habe nit be: hauptet, daß Größen, wie Hansemann und Bleichröder, durch Wohl- habenheit zur Auswanderung gezwungen werden würden; im Gegen- theil, ih habe das {on vorhin berichtigt; ich habe nur gesagt: der Arbeiter wandert niht aus, wenn er niht zu den Wohlhabenden ge- hört; er wandert nur aus, wenn er so viel erworben hat, und die Zeiten, wo es uns in Deutschland gut geht, sind solche, wo die Arbeiter so viel erwerben, daß sie auswandern können. Und deshalb rechne i das, was der Abg. Richter positiv bestritt, und wovon er sagte, es würte allgemein mit Kopfshütteln beantwortet werden, in dieselbe Rubrik, als wenn der Herr Vorredner Deutschland und den Kongo in Bezug auf Handelsfreiheit vergleicht. In den Zuständen dieser beiden Länder sind wirklih noch einige Unterschiede, und da die Kongokommission gerade hier ift, fo bin ih in der Lage, etwas genauere Kenntniß zu haben, als dem Herrn Vorredner vielleiht zu Gebote teht. Aber das Kongogebiet is doch etwas anders bevölkert und organisirt, als Deutschland; das wird der Herr Vorredner vielleicht zugeben; und wenn der Herr Vorredner sagt, meine Meinung, daß die Auswan- derung ein Wohlhabenheitsmesser für Deutschland sei, würde im Lande überall Kopfschütteln erregen, so sage ic ihm, seine gegen- theilige Behauptung wird einfa die Ueberzeugung erregen, daß er sein Land und seine Zeit nit versleht.

Der Abg. Heine erklärte, vom Reichskanzler sei auf die Schußzölle hingewiesen ; wenn man frage, ob fich die Lage der ländlichen Arbeiter dadur gebessert habe, so müsse man sagen nein. Jn Wernigerode habe man es so weit ge- be daß die Waldarbeiter nur noch 1 4 pro Tag ver-

ienten.

Der Abg. Junggreen konstatirte (soweit derselbe verständlich wurde), daß auch aus seiner Heimath Nord - Schleswig eine starke Auswanderung stattfinde, und daß dies hauptsächlich an den dortigen politishen Verhältnissen liege.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, die Behauptungen des Reichskanzlers über seine Verbindungen mit der Presse zeigten, daß derselbe fals unterrichtet sei. Er möchte den Kanzler doch übrigens lieber an den Balken im eigenen Auge erinnern ; an die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, welche die großen Reden des Kanzlers vollständig wiedergebe, daneben aber die oppositionellen Reden auf eben so viel Zeilen zusammendränge, wie die Reden des Reichskanzlers Seiten einnähmen. Die Rechte finde das natürlich; ein dem Reichskanzler sehr ergebenes Blatt, welches jeden Morgen auf den Pläßen hier im Hause ausgelegt werde, sei ja sogar fo weit gegangen, daß es bei einer großen Debatte die Rede des Reichskanzlers wörtlih wiedergegeben habe, darauf aber, an- statt auch seine (des Redners) Erwiderung abzudrudken, einfach bemerkt habe, was er (Redner) gesagt habe, könne man aus der nachfolgenden Rede des Reichskanzlers entnehmen.

Der Präsident erinnerte den Redner an den sehr losen Zusammenhang, in welchem diese seine Ausführungen mit dem eigentlichen Gegenstand der Debatte ständen.

Der Abg. Richter (fortfahrend): Genau in demselben losen Zusammenhang, wie die Ausführungen des Reichs- fanzlers, auf welche zu antworten ihm sogar in einer persön- lihen Bemerkung freistehen würde. Was dann das Verhältniß von ihm zu seinen Fraktionsgenossen betreffe, so möge do der Reichskanzler seiner Partei das wenigstens gütigst selbst überlassen. Ein solches Verhältniß der Unterordnung, wie zwischen dem Reichskanzler und seinen Ministern, bestehe jedenfalls in seiner Fraktion niht. Der Kanzler habe dann wieder von angeblicher „Fraktionspolitik“ gesprochen, die seine Partei treibe. Diese Politik, die er vertrete, sei lediglich die- selbe, die der Reichskanzler bis zum Jahre 1876 vertreten habe. Seine Partei seße nur diese Politik fort, eine Politik, die damals au vorzugsweise von der reten Seite gestüßt worden sei; jene Politik, auf Grund deren einst der Minister Frieden- thal sagte: „Die Landwirthschaft habe kein anderes Interesse, als das der vollkommen guten Ernährung des Volkes“; die: selbe Politik, in deren Vertretung der Abg. Flügge (Speck) gesagt habe, daß die Landwirthschaft selbst am meisten dur die höheren Kornzölle Schaden leide. Seine Partei mache ein- fa nicht die Schwenkung mit, die der Reichskanzler gemacht habe, und stehe auf dem alten Standpunkt des Reichskanzlers fest, einem Standpunkt, den man ihm einstens mehr zum Verdienst anrehnen werde, als die neueste Phase seiner Wirthschaftspolitik. Dann habe der Reichskanzler gesagt, die Kornzölle gereichten den Besizern allerdings zuerst zum Vor- theil, dadurch aber dem ganzen Lande. Das sei die National- ökonomie der französischen Könige aus früheren Jahrhunderten. Da habe der Hof in Paris großen Luxus getrieben, weil man gemeint habe, dadurch dem ganzen Lande zu nügen. Es sei aber einfah darauf zu erwidern: wenn man das Geld, das man dem Volke zu viel abnehm, ihm lieber lasse, so steigere man die Kausfkraft des Volkes dadurch mehx, als wenn man allein den Besißenden direkten Verdienst ZU- wende. Die Kornzölle seien einfah ein Geschenk für die Großgrundbesißer auf Kosten der Armen. Er habe vorhin die heutigen akademischen Erörterungen bedauert, er bedauere sie jeßt niht mehr. Nun sei es herausgekommen, und die Rechte habe es mit Hurrah begrüßt, was eigentlich das Biel und die Richtung der jeßigen Politik des Reichskanzlers sei, und was bei einer etwaigen Auflösung des Reichstages der Preis der Neuwahlen sein werde. Vertheuerung der noth- wendigen Lebensbedürfnisse der Armen und Entlastung der Besißenden! Den Handshuh nehme er auf. Das sei die Frage, die seine Partei vom Reichskanzler immer geschieden

habe, und er danke es dieser Debatte, daß nun im Lande die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet werden würde auf das, was wahrhaft verdiene, der Hauptgegenstand der politischen Kämpfe zu sein.

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort :

Ich mötte zuerst den Hrn. Abg. Richter bitten, mich nit hier mit „Herr Reichskanzler“ anzureden. Das ift eine Sitte, die manche seiner ich will Namen nicht nennen seiner heutigen Fraktions- genossen eingeführt haben, die ih aber nit für parlamentaris halte, ohne deshalb dem Herrn Präsiderten ins Ressort greifen zu wollen, Ich verwahre mich nur persönli dagegen, ich werde nie sagen: „Hr. Richter, Sie haben“, sondern „der Hr. Abg. Richter hat“, ih glaube, daß man hier zur Versammlung s\pricht oder zum Präsidenten, aber mit „Herr Neicbskanzler“ redet man mi nit an, das ift nur eine rhetorishe Form, um einem Ausdruckd mehr Nach- druck, und wenn der Inhalt darin ist, mehr persönliche Beleidigungskraft zu geben Deshalb \ch{chlane ib vor, diese Ausdruckéweise zu unterlassen. Wenn Sie sagen: „Herr Graf fo und so, Sie haben u. \#. w.“, so wird das der Herr Prâsi- dent sogleih releviren. Jch begreife es, daß der Herr Präsident si in meine Beziehungen zu dem Hrn. Abg. Richter niht einmis{bt, und es würde mir auc nit lieb sein, wenn er es thun wollte. Icb bin nach den Privilegien, die mir die Verfassung giebt, in der Lage, meine Rechte dem Hrn. Abg. Richter gegenüber selbst wahrzunehmen, und der: Hr. Abg. Richter wird mich darin auf dem Platze finden. Ich verzichte darauf meinerseits, ihn wit dem „Herr Abgeordneter Richter“ zu ayoftrophiren; aber ih würde auch glauben, daß er sich mehr in den Traditionen der guten Gesellshaft und des Parlaments bewegte, wenn er mi nicht mit „Herr Reichskanzler, Sie haben“, und mit erhobener Stimme anrufen würde. Das gehört in andere Versammlungen, wie in diese, hinein. Der Herr Abgeordnete sprach im Anfang so laut, daß ich mit dem besten Willen nicht verstanden habe, was er sagte, er machte niht den vollen Gebrauch von dem Organ, was ihm sonst zu Gebote steht. Jch weiß nit, ob er in Abrede stellte, daß er in irgend einem Verhältniß zur Presse stand. J kann mir das indessen kaum denken und nehme auch an, daß er das niht gethan hat. I habe nur von da ab verstanden, wo er sagte, er mache Gebrauch davon, auc) nur seine Reden reproduziren ut lassen, da gouvernementale Zeitungen dasselbe in Bezug auf mich thäten. Ich habe ihn deshalb nit getadelt; ih habe blos afsertorisch{ zur Unter- stüßung der Thatsache, daß ich überhaupt auf dergleichen eingehe, gesagt, daß ih in den Zeitungen des Hrn. Abg. Nichter auf keine Vertretung meiner Ansichten zu rechnen hätte. Ich neide ihm ja seine Herrlichkeit gar nicht.

Dann habe ich nur noch eins zu beri{tigen, was auch mehr um das Land, als hier den Reichstag zu überzeugen, gesprochen 0 Dee Herr Abgeordnete sagt, es handele sih bei den Kornzöllen nur um den Großgrundbesißer. Wenn irgend etwas mir die \{chlagende Unwissen- heit der Großstädter in Bezug auf landwirthschaftliche Dinge beweist, so ist es der Gedanke, daß der Bauer sein Korn niht verkauft, sondern alles selbst ißt. Was müßte der Mann für cinen Magen haben, wenn er die Erträgnisse eines Bauernhofes von 109 Morgen so sind sie durchbschnittlich persönlich verzehren ‘ollte und nicht dabei interessirt wäre, ob er das Korn theuer oder wohlfeil verkaufen kann. Schon ein Besitzer von drei Morgen, wenn er einen Morgen mit Winterkorn baut und auf demselben auch nur fünf Centner Getreide produzirt, müßte eine ziemlich zahlreiche kornessende Familie haben, denn daneben werden 10b Kartoffeln gebaut, um diese fünf Centner selbst zu esscn. Alle, die so viel bauen, sind also sicherlich bei den Kornpreisen interessirt, und ein vergebliher und für den inneren Frieden des Landes nicht dienlicher Versu, der wiederum zu den Vorfrüchten der Sozialdemokratie, zum Heßen des Armen gegen den Reichen gehört, ist es, zu behaup- ten, daß bei solchen Maßregeln, die ledigli zum Woble und zur Erhaltung der Lebensfähigkeit des Ganzen von der Regierung ge- bracht werden, die Regierung doch den Großgrundbesiß im Vergleich zu dem kleinen und armen Manne begünstige. Diejer Unwahrheit, dieser auf einer gänzlichen Unbekanntshaft mit der Landwirthschaft überhaupt beruhenden Behauptung zu widersprechen, halte ic- hier durchaus noch für geboten, wenn ih auch die Diskussion noch mehr als ich wünschte, verlängere.

Der Herr Abgeordnete hat sich ferner darauf berufen, daß er ja

nur den Standpunkt vertrete, den ih früher selbst vertreten hâtte.

Ia, es thut mir leid, den Herrn Abgeordneten auf dem Standpunkte wiederzufinden: denn ih muß eingestehen, daß ich damals in diesen wirthschaftlihen Vingen vollständig unerfahren war und sie na meinem jeßigen reifcren Urtheil für fal[ch halte, falsch aus Mangel an Erfahrung. Ich hatte bis dahin gar niht Zeit und habe _das hon öfter auf dieser Stelle gesagt, daß ih, bis ih der deutschen Nation im Ganzen Frieden nah Außen und Einheit geschaffen hatte, überhaupt gar nicht die Zeit gehabt habe, mih um innere und wisth- \chaftlihe Dinge zu beklimmern, sondern die Jemandem überlassen habe, von dem ih glaubte, er verstände ne. VeNer als IW. Wenn ich auf den Gang meiner geistigen Entwicklung von damals zurückblicke, so muß ich sagen, daß ih selbst bei meinem hohen Alter in diesen 10 bis 15 Jahren erheblih gelernt habe; dasselbe wünsche ih auch von dem Hrn. Abg. Richter, und wenn er \sich jeßt auf meinen vergleihung8weise jugendlichen, unerfahrenen Standpunkt von damals beruft, so wünsche ich ihm nur dieselbe Belehrungsfähigkeit, von der ih Zeugniß abgelegt habe, ih, von dem man immer be- hauptet, ih wäre jeder fremden Meinung und Belehrung unzugäng- lich, den man im Ganzen als einen eigensinnigen Menschen sWildert; da thut man mir @ußerst Unredt. Jh hoffe, daß der Hr. Abg. Richter denselben Bildung8gang, den ih seit meiner wirthschaftlichen Kindheit zurückgelegt habe, seinerseits noch durchmachen wird, und ich glaube vorhersagen zu können, daß er, wenn er vielleicht in späterer Zeit an dieser Stelle stehen wird, sih als ein ganz resoluter Verfechter des Prinzips er- weisen wird, daß vor allen Dingen die Getreidepreise bei uns auf der Höhe erhalten werden sollen, daß Getreide im Lande überhanpt noch gebaut werden kann und daß wir nit nothwendig und zwangsweise auf üÜberseeishe Verproviantirung angewiesen sind. Es würde das die- selben Erjolge in höherem Maße haben, wie die bekannte kleine Panik, die vor wenigen Tagen in England stattfand, wo man an das angebliche Auslaufen der Kanalflotte kriegerische Gerüchte knüpfte ih glaube, von Seiten der Börse und wo die Operation den Erfolg hatte, daß die Papiere einigermaßen fielen, die Kornpreise aber, wenn die Telegramme richtig sind, um 12 bis 15% auf der Stelle stiegen, weil man sich fragte: wie wird ih England, im Falle Krieg aus- bricht, verproviantiren. Gebe Gott, daß diese Frage niemals für Deutschland vorgelegt werden wird, sondern daß Deuts{land immer in der Lage bleibe, das Korn, welches die deutsche Nation ißt, auch selbst bei sich zu Hause zu bauen, und daß wir niemals dahin kommen, daß die Kornpreise niedriger sind, als der Kostenpreis, für den der Centner Roggen überhaupt bei uns gebaut werden kann. Mag der Hr. Abg. Richter es auch dem Kopfshütteln des Landes empfehlen ih wiederhole wiederum: er versteht seine Zeit und sein Land nicht, wenn er dem widerstrebt. /

Der Abg. von Kardorff bemerkte, allerdings sei das Fehlen des kleinen Besißers in Mecklenburg und Vorpommern ein Hauptgrund für die Auswanderung aus diesen Bezirken. Der Untergang dieses kleinen Besißes sei aber gerade durch die englische Freihandelspolitik herbeigeführt worden, welche in England selbst die Latifundienwirthschaft gefördert habe. Hoffentlih vertrete der Abg. Richter diese Politik jeßt mit demselben Mißerfolg wie 1879!

(S{hluß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen Reihs-An

A E.

Zweite Beilage

zeiget und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

(Swluß aus der Ersten Beilage.)

Der Abg. Rickert bemerkte, wenn sich seine Partei auch noch so viele Mühe gebe, jedes persönlihz Moment aus der Dedatte auszuscheiden, so geschehe dies regelmäßig von* Seiten des Reichskanzlers. Gegen die Anschauung, daß die Auswanderung mit der Wohlhabenheit wahse, habe sih der Minister Graf Eulenburg, ja der Reichékanzler selbst in einer früheren Sißung ausgesprochen. Seine Partei habe es noch nicht zu einer solchen Elastizität der Gesinnung ge- bracht wie die Nechte. Die heutige Debatte habe endli die wahre Absicht der Rechten klar gelegt: die Vertheuerung der Brotpreise. Der Landwirthschaft werde durch die Erhöhung der Kornzölle nicht gedient, wenigstens etwa drei Vierteln sämmt: lihèr Landwirthe, denen mit kleinerem Besiß, nicht. e „Nord- deutsche Allgemeine Zeitung“ nenne seine Partei „Demagogen“. Er bitte den Reichskanzler, seiner Partei zuzutrauen, daß sie mit derselben Gewissenhaftigkeit, demselben Patriotismus die öffentlichen Dinge behandele, wie irgend ein Mann in diesein Reich. Demagogie könne man es nicht nennen, wenn seine Partei das vertrete, was früher die Regierung als einen unumstößlihen Grundsaß hingestellt habe, und diese Wahr- betten Werde Jene Pariet, Wwogden se die Rote herabseße, weiter vertreten. Er werde mit immer steigender Kraft kämpfen gegen die Politik, die nach seiner Ueberzeugung die wenigen Reichen reicher mache, die große Masse des Volkes aber aufs Schwerste schädige.

Hierauf ergriff der Neichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Ih will nach meiner Gewohnheit in der Erwiderung bei dem anfangen, was der Herr Vorredner gegen den Schluß sagte, wo er meine Behauptung anfocht, daß ein Besiter von drei Morgen unter Umständen wenn seine Familie nit zahlrei wäre, alaube ih gesagt zu haben durch seinen Besiß ernährt werde. Der Herr Borredner hak nur von einem Ertrag von fünf Centner Ro get ih beispielsweise anführte, gesprohen. Fch habe

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angenommen, da! ihm als Kennec der Landwirthschaft denn t würde er doch über deren Znteressen niht urtheilen vors{webe, daß, wer Noggen baut, au}h Sommerkorn baut, er baut höhstroahrscheinlich auch Kartoffeln und in einzelnen Fällen Kohl ß Familie von fünf Köpfen von fünf Centner jalt werden soll, behaupte id mcht. Die Familien haber gewöhnlih nicht 5 Köpfe, fie schwanken 4 und 5 Knechte, von denen er spra, haben solche Familien überbaupt nicht, sondern sie wirthschaften selbst. Der Herr Vorredner kennt das nicht; wenn er mich mal besucben wollte auf dem Lande, dann würde ih ihm zeigen, wie die Leute leben. Sie bauen also, wenn Sie 5 Ctr. Roggen gewinnen, doch mit ziemlicher Sicherheit auc 4 bis 5 Ctr. Sommerkorn daneben und mit großer Wahrscbeinlichkeit ca. 60 Ctr. Kartoffeln, das macht also bei 360 Ugen auf 6 Lage einen Centner Kartoffeln. Wenn der Herr Vorredner ih den Nahrungswerth, der darin

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h den stet, vergegenwärtigt, 16 Pfund Kartoffeln auf dea Tag, und diesen zu 5 Centner Roggen und zu dem betrcffenden Gewiht an Sommerkorn addirt, so wird er vielleicht doch meine Meinung nit so ganz ungereimt finden, wie er sie vorhin schilderte, daß die Besißer von üb.r dret Morgcn im Ganzen zu den Kornverkaufenden gehören würden und nicht, wie er behauptet, daß nur die Latifundien Kornverkäufer wären : ja es ift so- gar wahrscheinli, daß der Besißer von drei Morgen vielleicht noch einen Theil seines Roggens verkauft, wenn er irgendwie durch Na- turalverpflegung in seinem Arkeiterverhältniß denn er wird ges wöhnlich nebenher noch arbeiten im Dienst Anderer einen Ersatz für die eigene erbaute Nahrung findet.

Der Herr Vorredner hat dann gesagt, ich “hätte im Namen der |

Bundesregierungen hier Kornzölle angekündigt. Ich spreche im Namen der Bundesregierungen nur dann, tvenn ste cine Vorlage haben. Ich habe meine persöaliche Ansicht und, wie ich hinzufügen kann, die der Königlich preußischen Regierung hier ausgesprochen; ich darf aber vorausfeßen, daß die Bundesregierungen, wenigstens in threr Mehr- heit, den Vorlagen, die wir ihnen über cine Tarifnovelle zu machen beabsichtigen, beitreten werden.

Der Herr Vorredner hat ferner meine Ausführungen über die Auswanderung bestritten und zu diesem Behufe sogar das Arsenal der Bibliothek in Kontribution gesetzt, aus welchem er eine alte Nede von mir vor einigen Jahren herangezogen hat. Ja, ich will mal an- nehmen, der Herr Vorredner hätte mi mit diesem Citat aeschlagen,

er der Herr Vorredner sowohl wie ih sind beide in der Lage, doch

: zu sprechen als andere Leute. Wenn man dem Herrn VBor-

die ganze Bibliothek der Reden, die er in seinem Leben I vor Mugen bringen Tönnte , glaubt er daß man darin Säge finden würde, die man

j große Gewaltthat als Widerlegung dessen, was Heute gesagt hat, benußen könnte? Jch glaube, er ist nit fo glücklih gewesen, das bei mir zu finden und i habe vorhin son angedeutet, daß es nit fair play sei ih vermíed den Ausdru, daß es nicht ehrlih sei; ich bin genöthigt, ihn zu wiederholen, wenn mir die Sache öfter gebrach1 wird aus\chließlich die Wohlhaben- heit als die von mir bezeichnete Ursache der Auswanderung übec See anzuführen. Jch habe das dem Hrn. Dirichlet geantwortet, ih habe das dem Abg. Nichter geantwortet, und ic bin in derselben vedauerlihen Nothwendigkeit dem Herrn Vorredner gegenüber, als ob er meire frühere Antwort gar nicht gehört hätte ich kann ja nit verlangen, daß er Gewict legt aus das, was id sage aber es ist mir unerfreulich, dieselbe Sache dreimal zu sagen und ic ill sie dahin fassen: es giebt in der großen Masse der Auswandernden ¡wei Sorten, Zunächst diejenigen, die auswandern, weil sie das Geld dazu n o ch haben; und dazu würde ic die Ünzufriedenen renen, von denen ich im Jahre 1882 bei Bckämpfung der Klassensteuer gesprochen habe. Jh habe damals den geschildert, der überhaupt nob wegkommen tann, der nur zusieht, daß er wegkommt, daß er über See kommt, um 1b dem Dru der direkten Steuern zu entziehen. Die Klassensteuer ist ja no% lange nicht vertilgt, sie ist immer noch als Kommunalsteuer da, und darin macht der gemeine Mann keinen Unterschied. Ich bin hier im Felde beim Reiten Leuten begegnet, die mi anklagten wegen der Kommunalsteuer, die sie noch immer zahlen müßten, indem fie zwoi- [hen der Kommune und dem König von Preußen keinen Unterschied machen ; daß der König so hart mit ihnen verführe, daß sie noch immer Kommunalsteuern zu bezahlen hätten. Ich hoffe, es wird mit der Zeit der Exekutor auch aus der Kommunalverwaltung vershwin- den, soweit er aus dem Staatshaushalt biéher verschwunden isl, und der Herr Abgeordnete hat mich ja daran gemahnt ich werde auch der Mahnung folgen.

_ Also es giebt zwei Sorten, solche, die unzufrieden sind, ihre Un- zUsriedenheit niedershlucken müssen, wenn sie das Geld nit mehr aben, um auszuwandern; haben sie es noch, dann werden sle auswandern; ein solher s{webte mir vor, der dur die Klassensteuer-Sraube dahin gedrängt worden ist, daß er sagt: in diesem Lande ist niht zu leben, ih sehe voraus, daß ih hier zu Srunde gehe, ic will das Leßte benutzen, um auszuwandern. Weit größer ist aber die Kategorie Derer, die in den lezten Iahren so viel erworben haken, daß sie auswandern können. Das sind also

Berlin, Freitag, den 9. Januar

Diejenigen, die auswandern, weil sie das Geld n och dazu haben, und Diejenigen, welhe auswandern, weil sie das Geld dazu 1won erworben haben, vielleißt auf Grund der Ucber- [châßung dessen, was sie dazu bedürfen. So lange der : jung ift, unter 30 Jahren, wirkt die Hoffnung, das Un- vekannte noch immer verführerisher, als das Bekannte, in dem er lebt, und das ift die Zulage, die er zu seinem Kapital macht, wenn er hinaus geht. Die Hoffnung täuscht Mantwen ; man(e verkommen drüben, mance kommen zurück, wenn Andere so gut sind, sie zurück- zubringen. Ich protestire also gegen die Art, meine Worte auszu- legen, wie der Herr Vorredner dies seinerseits wieder für angebracht gehalten hat, man reißt etwas heraus von dem, was ich hier unvor- bereitet vor Jhnen spre{e, und was mir nagerechnet wird sUnfzehn Jahre lang Ich habe gefunden, daß das, was ic vor ¿wanzig Jahren gesprochen habe, mir hier wieder vorgeklaubt wird. Ich bin niht in der Lage, meine Reden erst zu überlegen und auszustudiren in Gedanken, was ich sagen will. JIch habe nicht geglaubt, da? ich heute in die Lage kommen würde, das Wort zu nehmen anders als über Kamerun, dazu bin ich hergekommen. JIn-

| | |

Mensch

| dessen Sie mögen immerhin Gelegenheit nehmen, alles, was ic heute

unüderlegt gesagt habe, mir nach fünfzehn Jahren wieder vorzuhalten, wenn wir das noch erleben. Es ift mir das vollständig gleichgültig, denn ih sage nihts, als was ich denke, und was ih denke, bin ic immer bereit zu vertreten.

Also ih accentuire nochmals den Unterschied; es giebt noch an- dere Kategorien von Auswanderern ; solche, die auswandern, weil eine Tochter Anderer auswandert, die sie heirathen wollen, solche, welche dort cinen Bruder haben, welche. ihre Verwandten wiedersehen wollen. Es giebt hundert andere Gründe dafür. Was ist das für eine Art zu disfutiren, wenn ih einen Hauptgrund der Auswanderung anführe, mir unterzuschieben, daß ib alle diejenigen Gründe nicht anerkennte, die ich im Augenblick vergessen und übersehen habe? Es fkann aus kindlicher, au? elterlicher Liebe sein, daß etner auswandert, aus Ver- druß, aus Aerger; es giebt noch tausend Gründe. Aker i protestire dagegen, daß mir das untergeshoben wird.

Der Herr Abgeordnete, der vor mir spra, hat auf die Getreide- zöôlle noch cinen Nückblick geworfen, und da kann ic nur bedauern, daß es ungeachtet aller Bemühungen da sieht man, wie der Ein- fluß der Regierung auf die Wahlen übershäßt wird nicht gelungen ist, zu bewirken, daß der frühere Abg. Mommsen gewählt wurde. Ich bin überzeugt, ih würde keinen beredteren und keinen historisch durchgebildeteren Vertreter meiner Ueberzeugung haben, die ic vorher

aus/prachb, daß es nämlich nothwendig ist, die Getreidepreise auf

etner Höhe zu halten, ckaß der Landwirth bestehen kann, als den Hrn. Mommsen, der zu meinem Bedauern mit mir ab und zu in Mißver- ständnisse gerathen ist: mit dem ib aber im Grunde vollständig ein- verstandea bin. Ich kenne ihn mehr aus seiner römischen Geschichte, als aus seinem Auftreten im Parlament, und ih bin überzeugt, der würde, wenn er hier wäre, Hrn. Rickert in einer Weise widerlegen, daß er es nit wieder wagen würde, dieses Thema zu berühren.

Der Herr Abgeordnete hat mir ferner vorgeworfen, daß ich es immer wäre, der Persönlichkeiten in die Sate hineinbrächte. Ja, meine Herren, Sie greifen die Gesetzgebung, unsere Verhältnisse, die Politik der Regierung an. Wen greifen Sie denn dabei an, als die Persönlichkeit? Wen meinen Sie überhaupt, wenn Sie die Politik der Regierung in einer Weise schildern, daß kein gutes Haar an ihr bleibt, und daß sie im ganzen eigenen Lande und im Auslande in Mißkredit gerathen muß, als wenn wir, die wir an der Spiße der Regierung stehên, eine Versammlung von Leuten wären, die nur ihre eigenen Interessen nach dem klassischen Wort „Schnapspolitik“ verfolgen, oder die unwissend sind und von dem, was im Lande vorgeht, keine Ahnung haben? Wen trifft denn das sont? Meinen Sie denn einen anderen als mi damit? Ich stehe 23 Jahre an dieser Stelle, wer ist also damit gemeint ? Meinen Sie etwa Se. Majestät den Kaiser damit? Das haben Sie oft

genug abgelchnt, Sie können also nur mich damit meinen: und i kann nicht solÞhe Injurien unter der Rubrik „Staat“ an den Hals werfen, ohne daß ich berech- tigt sein sollte zu erwidern. Deshalb nehme ich dieses Recht in Anspruch, und es ift eine ganz künstliche Fiktion, als ob ich, Herr von Bismarck, nicht zugleih der Reichskanzler wäre, den Sie hier mit allen Ihren anonymen Angriffen meinen und den Sie treffen in seinem Chrgefühl viel öfter, als in seiner Ueberzeugung; und deshalb, bis Sie mir angegeben haben, wen Sie mit Ihrer Beschimpfung der bestehenden Gesetzgebung anders meinen als mi, werden Sie mir er- lauben müssen, daß ich auf be J

zugeben, daß Sie mir

persönliche Injurien unter der Rubrik „Staat“ unter Umständen persönlich erwidere.

Der Abg. Richter (Hagen) entgegnete, es gehe ihm genau so wie dem Reichskanzler; seine Partei sei auch hier- her gekommen in dem Glauben, daß nur über Kamerun eine irgend erhebliche Disfussion stattfinden würde, und erst der Reichskanzler habe durch seine Bemerkungen über die Ursachen der Auswanderung der heutigen Debatte ihre besondere Wen- dung gegeben. Jn seiner leßten Rede habe ih nun der Reichskanzler zunähst gegen ihn gewandt, wie man Um Gen MNeone) gefa able weil & einmal direkt: „Herr Reichskanzler!“ gesagt habe. Es möge das sein; er gebe au zu, daß es nicht üblich sei, aber der Reichskanzler beobachte ein Gleiches noch weit öfter. Der- selbe spreche sehr oft zu den Parteien, er wende sih sehr oft direkt gegen seine Partei mit der ganz persönlichen Anrede : „Sie, meine Herren!“ Es sei allerdings richtiger, in der dritten Person zu sprechen, dann aber sei es sehr s{wer, es dem Reichskanzler recht zu machen. Jn seiner zweiten Rede ver- bitte er sih die Anonymität der Angriffe, ja der Kanzler sei sogar soweit gegangen, von Beschimpfungen und Jnjurien gegen die Staatsregierung, gegen den Staat zu sprechen, derselbe fühle sih damit immer persönlih gemeint. Wenn nun diese Rede vorzugsweise in der Presse des Reichskanzlers abgedruckt werde, so müsse der unbefangene Leser glauben, daß in der That Beschimpfungen und Jnjurien des Staats und der Staatsregierung stattgefunden hätten. Nichts von dem Allen sei in der Debatte der Fall gewesen. Der Reichskanzler habe dann zugegeben, und er sei ihm dankbar dafür, daß seine Partei, wenn sie ihre Politik vertheidige, damit nur seine (des Kanzlers) eigene, frühere Politik fortseße. Heute gebe der Reichskanzler selbst eine scharfe Kritik seines früheren Systems. Er erkläre die Mißerfolge seiner Politik, die den Erfolgen auf der an- deren Scite gegenüberständen, damit, daß er nicht genügend Heit gehabt habe, sih mit den Dingen zu beschäftigen, so feine Hollpolitik, so wohl als au seine Zuckerpolitik. Es würde ihm ja Niemand daraus einen Vorwurf machen ; auch die Zeit des größten Staaismannes habe eine Grenze. Der Reichskanzler habe davon gesprohen, daß man mit dem Alter mehr lerne. Von dem Standpunkte aus debattire erx mit dem Reichskanzler gern, dann solle aber der Reichs- kanzler es unterlassen, bei denselben Fragen von FFrak- tionspolitik zu sprehen. Man suche die Dinge immer so

5,

darzustellen, als ob seine Partei hier mehr oder weniger per- jöónliche Fnteressen zum Nachtheil des Staates vertrete. (Rufe rechts: Sehr rihtig!) Die Rehte mache sih jeßt dieser Ueber- treivung schuldig, sobald niht die mangelnde Erkenntniß, son- dern der böse Wille, das eigene Jnteresse als Vorausfeßung sür die Beurtheilung d-r Gegenseite die ganze Debatte ver- bittere, und gerade weil der Reichskanzler früher dasselbe für rihtig gehalten habe, was seine Vartei noch heute vcrtrete, so jollée er sich um so weniger veranlaßt hen, von der Frak- tionspolitik in der wenig ehrenvollen Auslegung zu sprechen, die er den Worten gegeben habe. Wenn jeßt den Reichs- kanzler auf seinen Spazierritten Leute fragten, wo denn die Kommunalsteuer:-Entlastung bleibe, so könne er (Redner) diesen das nicht so übel nehmen. Wenn es z. B. ein Bewohner des Kreises Teltow gewesen sei nun, der Reichskanzler habe ja 1879 so drastish die weitgeh:ndsten Entlastungen ausgemalt, und die bezügliche Rede sei damals im „Teltower Kreis- blatt“ als neues Evangelium, als frohe Botschaft abgedruckt worden Prinz Handjery werde es ja wohl noch genau

wissen. Jett warteten die Leute Jahr für Jahr auf die Er- füllung jener Aussichten und hörten bloß von cinem Defizit, und auch wenn die Getreidezölle und Alles bewilligt sein werde, was der Reichskanzler an neuen Lasten noch in ver- schwiegener Brust verberge, auch dann werde noch feine Ent- lastung von Kommunalsteuern eintreten, sondern nur das Defizit beseitigt sein. Der Abg. von Kardorff habe von der eng- lischen Latifundienwirthschaft ge\sproch; die Latifundien seien aber doh in England {hon vor der Freihandelspolitik vorhanden gewe)en, wie jeder Kundige wisse, eine Folge des Erbrechts der Erstgeborenen. Der Abg. von Kardorff sollte si lieber mit seiner Partei verbinden gegen die Zunahme der Fidei- kommisse, die er allerdings für bedrohlih halte. Der Reichs- kanzler spreche vom guten Ton und gleih darauf von der shlagenden Unwissenheit der Großstädter. (Sehr richtig! rechts.) Die, welche eben: Sehr richtig! gerufen hätten, jeien die Muster des guten Tons des Reichskanzlers; in seiner nächsten Nähe schienen feine Ermahnungen am Wenigsten zu ruhten, Der Reichskanzler sprehe ferner von der Nothwen- digkeit, mehr Korn in Deutschland zu bauen. Nun zeige do die amtliche Statistik, daß heute weniger Fläh2 mit Brod- korn bestellt werde, troß der Zollerhöhung als vor 1879, Die vorausgesagte Wirkung sei nit erzielt, es werde etwas mehr Gerste und Hafer, aber weniger Roggen angebaut. Nun dürfe auch nit vergessen werden, daß die Bevölkerung jähr- lih um 1/, Million wachse, während die Aderfläche dieselbe bleibe, die zunehmende Bevölkerung könne niht ernährt werden im gleichen Verhältniß von der eigenen Produktion des Landes; sie bedürfe einer zunehmenden Einfuhr von Lebensmitteln und bedürfe ihrex um so mehr, je mehr fie Kar- toffeln, Zucker, Spiritus von der nationalen Produktion in das Ausland verkaufe. Dazu müsse die billigste Zufuhr aus dem Aus- lande gesichert werden ; wenn die Rechte sie aber künftlihershwere, dann dürfe der Minister von Boetticher sih nicht wundern, wenn der Ueberschuß der Bevölkerung hinausgehe, wenn die Auswanderung steige, was man, wie der Minister von Boet- ticher in entschiedenem Gegensaß zum Reichskanzler heute

noh gesagt habe, als ein Symptom der Krankheit an- zusehen habe. Eine krankhafte Wirthschaftspolitik habe die wirthschaftlihe Krankheit gesteigert und damit habe die Aus- wanderung zugenommen.

Wiederum nahm derx Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort :

Der Herr Abgeordnete {loß damit, daß er irgend Jemand aus der Versammlung apostrophirte: „Sie dürfen {i{ch nit wundern, wenn“. Ich glaube, er sprach damit zu den Landwirthen : „Sie dürfen ih niht wundern, wenn wir u. \. w.“ Uater „wir“. denke ih, hat er die fruges consumere nati gegenüber den fruges colere nati verstanden. Ih möchte ihn do darauf aufmerksam machen, daß die Leßteren in diesem Lande die Mehrheit bilden, und daf er alle Die, deren Wohlsein von dem Gedeihen der Landwirth\caft ab- hängt und das, meine Herren, ist die Mehrheit —, einigermaßen respektiren möge. Er ist zu dieser Gleichstellung der beiden Parteien nicht berechtigt, daß er sagen könnte: „Si e gewinnen Vortheile und wir —“, Jch verstehe unter dem „wir“ die Großstädter —, wenn er nibt etwa wieder vom Fraktionsstandpunkt gesprochen hat

Ich muß ferner widersprehen, wenn der Herr Abgeordnete be- hauptet hat: wir bedürfen einer zunehmenden Einfuhr des Getretdes Was wir selbst effea, bauen wir drei- und viermal im Lande. Wir haben cine Menge anderer Verwendungen der Getreide als zur mensch- lichen Nahrung, zu denen wir das eingeführte Getreide benußten. Diese Verwendung wird sich modifiziren und ermäßigen können, aber es ift mir ganz unzweifelhaft, daß Deutschland im Stande ist, nit nur das Getreide, welches das deutshe Volk ißt, sondern auch das- jenige, was das deutsche Volk zu anderen Zwecken verbrauct, selbft zu bauen, wenn die Bedingungen des Getreidebaues einigermaßen günstiger gestaltet werden, als sie in diesem Augenblicke liegen.

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, der Kartoffelbau babe einen Rückgang tes Getreidebaues veranlaßt. Das is ein ebenso großer Irrthum, wie der in großen Städten gewöhnlich verbreitete, daß der Zuckerrübenbau einen Rückgang des Getreidebaues veranlasse. Beide Hackfrüchte haben eine sehr viel stärkere Produktion von Getreide in ihrem Gefolge, indem sie die Intensität der Landwirthschaft verbessern und erhöhen. Wer mehr Hackfrücbte baut, baut aud mebr Roggen und andere Halmfrüchte, und es wäre Zeit, daß die Herren von den großen Städten, wenn sie über die Schicksale der Landwirtße bter mit Majorität entscheiden wollen, sich etwas mehr über die 1hatsädh- lichen Verhältnisse der Landwirthschaft informirten.

Wenn der Herr Abgeordnete gesagt hat, der Kornbau sei zurück- gegangen, fo ist das die ganz natürlihe Folge davon, daß der big- hérige Kornzoll zu niedrig ist; es ist rächt mögli, den Scheffel Roggen und namentlih den Scheffel Weizen zu dem Preise, zu dem er heute verkauft wird, innerhalb des gesammten Deutfscblands zu bauen. In Folge dessen geht der Anbau zurück und er wird nochb viel weiter zurückgehen, wenn Sie die Kornzölle nit erhöhen, dann werden Sie die Folge davon sehen, daß unfere Ernährung mehr und mehr vom Auslande abhängig wird, und daß der inländische Landwirth und Grundbesißer mehr und mehr außer Stande kfommt, seinen Verpflihtungen zu genügen, und die Kaufkraft dem nichtlandwirth- schaftlihen Landsmann gegenüber verliert; dann werden die Herren, die jeßt leben, die jeßt das große Wort haben und die Kalamität vershulden, wahrscheinlich nicht mehr vorhanden sein. Man wird darüber streiten unter den Gelehrten, woher der Rückgang gekommen i, Und eit UaG i

t 2000 Jahren wird sich vielleicht ein Mommsen finden, der lagt: es hat an den niedrigen Kornpreisen gelegen, daß der Staat zu Grunde gegangen ift.