1905 / 222 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 20 Sep 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Königreih Preufzen.

, Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht :

dem Ersten ständigen Sekretär der Königlichen Akademie der Künste in Berlin, Professor Dr. Wolfgang von Oettingen die nahgesuchte Entlassung aus dem Staatsdienst unter A des Charakters als Geheimer Regierungsrat zu/ erteilen und zu seinem Amtsnachfolger den Direktor am Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt a. Main, Professor

Dr. Ludwig Justi zu ernennen. :

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht:

dem Stadtkämmerer, Regierungsrat a. D. Albrecht

Maaß in Berlin den Charakter als Geheimer Regierungsrat zu verleihen.

Ministerium der geistlihen, Unterrihts- und Medizinalangelegenheiten.

Am Schullehrerseminar in Marienburg ist der kom- missarishe Lehrer Heinrich als ordentliher Seminarlehrer angestellt worden.

An der katholishen Präparandenanstalt in Osnabrü sind angestellt worden :

der bisherige kommissarische Leiter der Anstalt Volks\chul- lehrer Korthaus als Anstaltsvorsteher und Erster Lehrer,

die Volksschullehrer Kirhhof und Meyer als Zweite Präparandenlehrer.

Die Kreisarztstelle des Kreises Tuchel, Regierungs- bezirk Marienwerder, ist neu zu beseßen.

Ministerium für Landwirtshaft, Domänen und Forsten.

Dem zum Kreistierarzt ernannten Tierarzt Dr. phil. Max Jerke ist die Kreistierarztstelle zu St. Goarshausen und

dem zum Kreistierarzt ernannten Tierarzt Alfred Feld- haus die Kreistierarztstelle zu Burgsteinfurt verliehen worden.

Ministerium für Handel und Gewerbe.

Der Geheime Regierungsrat Klapp in Frankfurt a. O. ist zum stellvertretenden Vorsißenden des Schiedsgerichts für Arbeiterversiherung im Regierungsbezirk Frankfurt a. O. ernannt worden.

Bekanntmachung.

Die Markscheiderkonzession des konzessionierten Mark- scheiders Hans Schulße zu Kottbus ist durch die von ihm

am 1. August 1905 an das Königliche Oberbergamt zu Clausthal gerichtete Verzichterklärung erloschen.

Halle, den 18. September 1905.

Königliches Oberbergamt. Fürst. Angekommen:

der Dirigent im Reichsamt für die Verwaltung der

Reichseisenbahnen, Wirklihe Geheime ODberregierungsrat

Gloeckner, vom Urlaub.

Nichtamfliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 20. September.

Seine Majestät der Kaiser und König begaben Sich heute vormittag, wie „W. T. B.“ meldet, nah Belzig, um dem Schlußman over des II1. Armeekorps beizuwohnen.

Jhre Majestät die Kaiserin und Königin sind gestern abend von Plôn kommend auf der Wildparkstation angelangt und haben Sih nach dem Neuen Palais begeben.

Vom 19. bis 20. September Mittags sind im preußischen Staat 6 choleraverdächtige Erkrankungen und 1 Todesfall an Cholera amtilih neu gemeldet worden, davon drei im Kreise Wirsiß (ein Arbeiter und dessen Söhne), je eine in den Kreisen Mogilno (Arbeiterfrau), Filehne (Hofbesiger), Landkreis Breslau (Dammarbeiter an der Oder). Von den früher gemeldeten choleraverdächtigen Erkrankungen ist eine in Stettin, die einen Arbeiter in einer Wurstfabrik betraf, niht als Cholera festgestelt worden. Die Gesamtzahl der Cholerafälle beträgt bis jeßt 213 Erkrankungen, von denen 75 tödlih endigten.

Der Kaiserliche Botschafter in St. Petersburg, Wirkliche Geheime Rat Graf von Alvensleben hat einen ihm Aller- höchst bewilligten Urlaub angetreten. Während seiner Ab- wesenheit werden die Geschäfte der Kaiserlichen Botschaft von dem Ersten Sekretär, Botschaftsrat Dr. von Miquel geführt.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Falke“ am 18. September in Portland Ern eingetroffen.

S. M. S. „Luchs ist am 18, September in Tschemulpo eingetroffen. i

S. M. Flußkanonenboot „Vaterland“ ist am 18. Sep- tember in Tschansha eingetroffen und geht heute von dort nach Los (Prov. Hunan).

. M. Kanonenboot „Tiger“ geht heute von Hankau

nah JZtschang (am Yangtse).

Hamburg.

Die abgelösten Offiziere und Mannschaften der ostasiatishen Besazungsbrigade, etwa 800 Mann, Transportführer Major Nissen-Meyer, find heute mit dem Dampfer „Silvia“ in Hamburg eingetroffen.

Deutsche Kolonien.

Nach einem in Berlin eingetroffenen Telegramm des Kommandanten von S. M. S. „Bussard“ aus Deutsch- Ostafrika ist am 16. September mit dem Gouvernements- dampser nah Tanga das Detachement Milczewski (32 Mann), nah Lindi das Detachement Heydekampf (34 Mann und | 1 Maschinengewehr), nach Kilwa-Kiwindje das Detache- ment Stengel (34 Mann und 1 Maschinengewehr) abgegangen; das alte Detachement bleibt gleichfalls dort.

Ueber die Fortschritte in der Pazifizierung des Croß-Gebietes in Kamerun berichtet das „Deutsche Kolonialblatt“:

Als im September vorigen Jahres nah der Croß-Expeditión der etwas in das Stocken geratene Wegebau im Bamendabezirk von der Kaiserlicen Schußtruppe energisch aufgenommen wurde, machte der Häuptling von Babadju, der anfangs willig beim Straßenbau mitgeholfen ‘hatte, plöglih ohne ersihtlihen Grund Schwierig- keiten bezügli der Stellung von Arbeitern und Verpflegung. Eine ¿ur Untersuchung der Angelegenheit von dem Stationschef in Bamenda nah Babadju entsandte Patrouille von zwölf Mann unter Leutnant von Puttliß wurde in ein Feuergefecht verwickelt, in welhem der unbotmäßige Häuptling fiel, während die Schvßiruppe keine Verluste hatte. Do, wie die Patrouille feststellte, ein Teil der Einwohner von Babadju den Ort verlassea hatte und zu befürbten war, daß diese in den umliegenden Gebieten von Batschindam, Babeta, Bagam Unruhen hervorrufen könnten, wurde zu Anfang des Monats November von seiten des Führers der 2. Kompagnie in Bamenda, Oberleutnant v. Knobloh, im Zusammenwüiken mit dem Stations- leiter in Fontemdorf, Leutnant Rausch, eine stärkere Expedition üter Batschindam, BVabeta und Bagam nach Babadju unternommen, um die Bevölkerung durch ten Anblick der militärischen Machtentfaltung ohne Blutvergießen in Nuhe zu erhalten. Babadju wurde ohne nennen®- werten Zwischenfall erreiht und in der Nähe des Ortes ein befestigtes Lager bezogen. Von dort aus wurde während zweter Wochen die ganze Gegend dur Patrouillen begangen und auf die Nachricht, daß ein großer Teil der Babadjus sih nah den naheliegenden Bergen ge- wandt habe, Leutnant von Puttliß mit einer starken Streifpartie zum Absuchen des Gebirges entsandt. Ernfthafter Widerstand wurde nirgends gefunden, wehl aker stellte ih nach und nach eine große Zahl von Gesandtschaften aus der näheren und ferneren Umgebung, einige freiwillig, andere auf Aufforderung, im Lager zu Babadju eiv, welche als Beweis ihrer Ergebenheit teils Verpflegung brachten, teils Stellung von Trägern und Wegearbeitern versprahen. Auch der neue Häupt- ling von Bakadju bot seine Unterwerfung an.

Seitdem hat, wie wir aus einem Bericht des Stationsefs von Bamenda, Hauptmanns Glauning, vom März d. I. entnehmen, die Beruhigung der Bevölkerung in jenem Bezirk stetige Fortschritte gemacht, und auch die noch unsiheren Stämme zogen es infolge jener raschen und kräftigen Machtenifaltung vor, ihre kriegerischen Neigungen zu unterdrücken. Die südlich Bamenda geleçenen, an den Babadju-Unruhen beteiligten Stämme haben die ihnen auf- erlegten Strafbedingungen bezahlt, und man kann wohl arnehmen, daß sie sich von jeßt an ruhig verhalten werden. Der mehrere Tage- märsche weiter südli gelegene, biéher als unsiher geltende große Ort Bansoa hat kürzlich freiwillig Elfenbein gezahlt. Mit Bekom

nd Verhandlungen angeknüpft, doch wird eine militärische

bteilung bis zur Erfullung der Friedensbedingungen verbleiben müssen. Mit Bafut besteht ein friedlihes Ver hältnis, dagegen bat Vausso bisher keine Neigung zu einer Annäherung ge- zeigt. Die Bestrafung von Bausso witd daher wohl ebensowenig zu umgehen sein, wie diejenige des ‘von Wegelagerern s{chlimmster Sorte bewohnten Orts Bamum auf dem Wege Bali— Widekum. Einen Teil der nördlich von Bekom gelegenen, zu Bafum gehörigen Gebiete hat Hauptmann Glauning kürzlich von Bekom aus mit einer stärkeren Abteilung durchzogen, nahdem auch {hon Leutnant Heigelin bis zur Bafumgrenze vorgedrungen war. Die Aufnahme und Verpflegung war überall gut. Die Eingeborenen waren scheu, aber völlig friedlich.

Nach einem Bericht des Offizierpostens in Bascho (Kamerun) ist es gelungen, den Mörder des Stationsleiters Grafen von Pückler, den E Daboadzje, dingfest B machen. Er wurde am 28. April 1905 in Bascho zum

ode verurteilt. Das Urteil wurde vor versammelter Mann- haft in Gegenwart zahlreiher Bewohner von Bascho und

Blische vollstreckt.

Oesterreich-Ungarn.

Der Kaiser is gestern abend mit Gefolge zur Eröffnung der Eisenbahnstrede Schwarzah—Bad Gastein nach Schwarzach abgereist. Der Ministerpräsident Freiherr von Gautsch sowie die Minister Dr. Kosel . und Graf von Bugquoi haben sih gleihfals nah Schwarzach begeben.

Wie das „Ungarische Telegraphen - Korrespondenzbureau““ aus Budapest meldet, ist die Entsendung eines so- genannten homo regius in Ausfiht genommen, der als Vertrauensmann der Krone mit den Führern der Koalition in Verhandlung treten und die Lösung der Krise vorbereiten soll. Als Kandidaten für diese Mission werden der frühere Finanzminister Dr. von Lukacs, der frühere Minister- präjident Wekerle und der gemeinsame Finanzminister Baron von Burian genannt. Die Bestimmung des Vertrauens- mannes soll Ende dieser Woche erfolgen.

Rußland.

Jn Baku dauern die Mordtaten und Ueberfälle, der „St. Petersbg. Telegr.-Agentur“ zufolge, an. Räuberei wird Überall in der Tas Elisabethpol g besonders auf der Straße nah Agdama, arf der der General Takaischwili mit Truppen angekommen ist. Eine Bande von Tataren wurde von Kosaken bis in ein armenisches Kloster in der Provinz Eriwan verfolgt und dort umzingelt, bis Mohammedaner zum Entsatz herbeieilten und sie befreiten. __ Die Stadtverwaltung von Odessa hat beschlossen, die Regierung zu ersuhen, vor den Wahlen zur Neihsduma pesezli die Preßfreiheit und die Freiheit für Ver- ammlungen und Vereine zu gewähren, da sonst die Wahlen unmöglich seien.

verladen, um die Unruhen im Kaukasus zu unterdrücken.

Jn Odessa wurden gestern eine Division Jnfanterie |! und 18 Schnellfeuergeshüße zu Schiff nah Batum |

Pilgerfahrt des Königs durch Calabrien bei allen Jtalienern er- regt habe; der König habe der Deputiertenkammer und der Nation den Weg gezeigt, auf dem sie ihm zu folgen haben. Der König beantwortete das Schreiben mit einer Depesche, in der er ausführt, seine durch den Anblick des Unglücks in Calabrien tief bewegte Seele habe große Erleichterung empfunden, als er gesehen, wie das ganze Land der von der Katastrophe betroffenen Bevölkerung half und wie fich so die Bruderbande zwischen den verschiedenen Gebieten Jtaliens enger

chlossen. Niederlande.

Die Generalstaaten sind gestern im Haag feierlich eröffnet worden. Jn der bei der Eröffnungsfeierlichkeit ver- lesenen Thronrede wurde „W. T. B.“ zufolge u. a. folgendes ausgeführt: E

Die Lage des Landes und seiner Kolonien fei befriedigend. Die wirt. \chaftlihe Lage auf Java habe sich gebessert; auf Borneo sei der Wider- stand ter Mitglieder der Dynastie des Sultans gebrochen, und die milt- tärishe Aktion im Süden von Celebes sei vorläufig von Erfolg gekrönt ge- wesen. Die Beziehungen zu den auswärtigen Véächtea seizn nah wie vor freundschaftlih; die Beendigung der Feindseligkeiten in Oftasien habe der Königin besontere Freude bereitet. Vezüglich der dem Parla- mente vorgelegten Geseßzentwürfe beißt es in der Nede, die von dem vorigen Kabinett vorgelegten Entwürfe, betreffend den Arbeitêvertrag und betreffend die Beweisführung im zivilrechtlihen und im Ver- waltungEprezeßverfahren, würden beibehalten werden. Ferner würden Entwürfe vorgelegt werden, betreffend eine MNevision des Handel8geseßbuches bezüglih der Schiffahrt; betreffend Einführung der bedingten Verurteilung und betreffend eine Abänderung des Gesetzes über den Verkauf geistiger Getränke. Die finanzielle Lage mache eine vorsihtige Finanzgebarung zur gebieterischen Notwendigkeit. Obgleich die Ginnahmen beträßtlih steigen, werde dadurch doch das Anwachsen der Ausgaben nicht ausgealihen. Durch den Fehlbetrag im Nechnungsjahr 1906 und die Ausgaben für soziale Reformen

würde sowohl eine vorübergehende als eine dauernde Ver- stärkung der Mittel der Staatskasse erforderli. Unter den an- gekündigten Vorlagen befindet sich ferner eine folche, betreffend

militärisGen Vorbereitungsdiens dec Jugend, sodann eine Vorlage, betreffend zwangsmäßige Kranken-, Alters- und Invalidenversicherung. Die Thronrede kündigt ferner an, daß die finanzielle Selbständigkeit der indischen Kolonien erweitert werden soll. Schließlich wird eine Nevision der Verfassung in der Nichtung vorge]chlagen, daß der Bel ugnd die Möglichkeit zu einer Abänderung des Wahlrechts gegeben wird.

Aus dem den Generalstaaten vorgelegten Staatshaushalts- etat ergibt sich, daß das Budget für Niederländis- Indien bei eirem Gesamtbetrage von 160 Millionen etnen Fehlbetrag von 10 Millicnen Gulden aufweist, dech wird ein großer Teil der Kredite zu Ausgaben produktiver Art dienen. Für die Marine sind infolge der Streichung einiger Schiffe und ihrer Erseßzung durch Torpedoboote eine halbe Million Gulden weniger angeseßt. Für den öffentlihen Unter- rit ist eine Mehrautgabe nôtig wegen der neuen Subventionterung von Privatschulen. Beabsichtigt ist die Einführung einer Zucker - steuer und eine progressive Steigerung ter Gewerbesteuer.

Türkei.

Nach einer Meldung der „Frankfurter Zeitung“ aus Kon- stantinopel überreihten die Botschafter der Großmächte der Pforte Montag eine gemeinsame Note, in der sie ihrem Bedauern darüber Ausdru geben, daß die Pforte von ihrem ablehnenden Standpunkte in der Angelegenheit, betreffend eine internationale Finanzkommission für Mazedonien, niht abgekommen sei. Die Großmächte hielten diese Kom- mission im Jnteresse ciner friedlihen Entwicklung Mazedoniens unbedingt für geboten und hätten beschlossen, daß die Kom- mission am 1. Oktober in Saloniki zusammentreten solle. Die Pforte möge daher die nötigen Instruktionen erlassen, damit die Arbeiten der Kommission sofort beginnen könnten.

Dänemark. Am 15. September ist, „W. T. B.“ zufolge, in Kopen- hagen ein Schiedsgérichtsvertrag zwishen Dänemark und Frankreich unterzeichnet worden.

Amerika.

Nach einer bisher noch unbestätigten Depesche des „Reuterschen Bureaus“ aus Panama hat sich am 8. d. M. in Bogota (Columbia) der Präsident Reyes zum Diktator erklärt und die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes ge- fangen gesezt. Der Pöbel habe dann den Palast des Diktators angegriffen, die Truppen hätten Feuer gegeben, und viele Leute g getötet und verwundet. Jn Antioquia und Santander jeien Empörungen ausgebrochen.

Nach einer Meldung desselben Bureaus ist das Befinden des während der Friedensverhandlungen erkrankten japanischen Unterhändlers, Baron Komura zufriedenstellend. Die Krank- heit, es handelt sih angeblich um ein typhöses Fieber, nimmt einen günstigen Verlauf

Parlamentarische Nachrichteu.

Bei der im Wahlkreise Essen (Stadt und Land) vor- genommenen Reichstagsersaywahl erhielt, „W. T. B.“ zufolge, von 85984 insgesamt abgegebenen Stimmen Giesberts (Ztr.) 35 500, Gewehr (Soz.) 28 726 und Dr. Nie meyer (Natlb.) 17 866 Stimmen. Es is mithin Stichwahl zwischen Giesberts und Gewehr erforderlich.

Statiftik und Volkswirtschaft.

Die Insassen der Ven ene Arbeits- (Korrektions-) ufer.

Nach der Abschaffung der Arbeitshaus\irafe, die bis 1871 in zahl- reihen deutshen Strafgeseßbüchern (in denen Bayerns, Gallen! usw.) d fand, bezeihnet man in Deutschland noch zwei Arten von Anstalten,

ie dem Zwecke dienen, ihre Insassen zur Arbeit anzuhalten, als Arbeitshäuser: einmal Anstalten zur Beschäftigung arbeitsfähiger Armen (workhouses im Sinne des englischen Gesehes von 1834), also Anstalten der öôffentlihen Armenpflege, auf dem Ge- danken des mittelbaren Arbeitszwanges insofern beruhend, als durch Weigerung der Anspruch auf anderweitige Unterstüßung ver- wirkt wird; sie find in einzelnen deutshen Läntecn eingeführt, haben fich namentlich im Königreih Sachsen erfolgreich entwidckelt, nehmen aber teilweise auch arbeitsunfähige Arme auf (Armenarbeitshäuser);

Ftalien.

Der Präsident der italienishen Deputierten- ammer richtete bei der Rückkehr des Königs aus Calabrien nah Racconigi ein Schreiben an ihn, in dem

er, „W. T. B.“ E ausführte: im Namen aller seiner Kollegen gebe er der lebhaften Bewunderung Ausdruck, die die patriotische

von diesen soll bier nicht gesprohen werden. Wichtiger ist unter sozial- und kriminalpolitishem Gesichtspunkte die zweite Art von Atbeitshäusern: die Anstalten zur Verbüßung der korrektionellen - Nachhaft, d. h. einer Freiheitsentziebung mit Arbeitszwang, die si an die Verbüßung der eigentlihen Strafe anschließt und als Zwe die Erziehung zur Arbeit verfolgt. Arbeitshäuser als Korrektions-

anstalten entstanden zuerst im 16. Jahrhundert in Holland und

England. In Frarkreih wurden im 17. Jahrhundert gegen Bettler die hôpitaux enfermés und 1767 die maisons de correction (dépôts do menldicité) erridtet, vie, wie die früheren deutschen Arbeitshäuser, zwishen Gefängnis und Armenarbeitshaus die Mitte hielten. In der Revolutionszeit aufgehoben, wurden fe von Napoleon I. 1808 wieder eingeführt. Au im preußis&en Allgemeinen Lndrecht (Teil T1, Titel 19) findet \ich bereits tas Arbeitéhaus als Korrektionsanstalt. Nah dem deutshen Reihs\strafgeseßbuh steht es in engster Verbindung mit der Ueberweisung an die Landes- polizeibeh örde, einer Nebenstrafe, auf die nah § 362 gegen Personen erkannt werden kann, die auf Grund von § 361! Nr. 3 his 8 zu Haft verurteilt werden. Nah § 361 wird mit Haft be- straft: 1) 2c.; 3) wer als Londstreiher umherzieht; 4) wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder auêshickt oder Personen, welhe seiner Gewalt und Auffiht untergeben sind und in seiner Haus8genofsenshaft gebören, vom Beiteln abzuhalten unterläßt; 5) wer sih dem Spiel, Trukk oder Müßigaang dergestalt bingibt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu feinem UÜrterbalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er veryflihtet ift, durch Vermittelung der Behörde fremde Hilfe in An!pr-ch genommen werden muß; 6) eine Weibsperson, welckbe wegen gewerb8mäßiger Un- zucht einer polizeilichen Auffibt unterstellt ist, wenn fe den in dieser Hinsicht zur SiWerung der Gefundheit, der öfentlihen Ordnung und

- des öffentlihen Anstandes erlassenen polizeilihen Vors: isten zuwider-

handelt, oder welbe, ohne einer solchen Aufsiht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt ; 7) wer, wenn ‘er aus öfentlichen Armen- mitteln eine Unterstüßung emvfänat, ih aus Arbeitéscheu weigert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten; 8) wer nach Verlust seines bisherigen Unter- fommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen vershaffft hat und au niht nahweisen kann, daß er folches der von ihm anaxewandten Be- mühungen ungeahtet nicht vermocht babe; 9) 2c. Im Falle des 8361 Nr.4(Betteln) ift jedo dieUeberweisung an die Landespolizeibebörde nur dann zulässig, wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Uebertretung mebrmals rechtéfräftig veructeilt worden ist, oder wenn derselbe unter Drohungea oder mit Waffen gebettekt hat. Endlich kana nach_dem durch Geseß vom 25. Junt 1900 eins gesWalteten § 181 a des Strafgeseßbuchs gegen eine männlihe Person, welhe von einer Frauensperson, die gewerbsmäßig Unzuht treibt, unter Ausbeutung ibres unsittlihen Erwerbes ganz oder teilweise den Lebensunterhalt bezieht, oder welhe einer solhen Krauensperson gewohnheitsmäßig ‘oder aus Eigennuyt in bezug auf die Ausübung des unzühtigen Gewerbes Schuß gewährt oder \onft förderli ift 1Zu- hälter), vie Ueberweisung an die Landespolizeibehörde neben der Ver- urteilung zu Gefängnis au2gesprohen werden. Dur die Ueber- weisung €rbält die Landespolizeibehörde die Befugnis, die verurteilte Person bis zu zwei Jáäbren entweder in einem Arbeitshaus unter- zubringen oder zu gemeinnüßigen Arbeiten zu verwenden. Im Falledes8 361 Nr. 6 (gewerb8mäßige Unzucht) kann die Landespolizeibehörde die ver- urteilte weibliche Person statt in einem Arbeitshaus in einer Besserungs- oder Erzichungsanstalt oder in einem Asyl unterbringen; die Unter- bringung in einem Atbeitshaus ift unzulässig, wenn die Verurteilte zur Zeit der Verurteilung das 18: Lebensfahr noch nitht vollendet hat.

Am 1. April 1803 waren in den 24 in Preußen vorhandenen Korrektionsanstalten nah den in der „Statistik der zum Refsort des Königlich preußischen Ministeriums des Innern gehörenden Straf- anstalten und Gefängnisse und der Korrigenden für das Rehnung83- jahr 1903" gegebenen tabellarischen Uebersihten 8833 männlithe und 1131 weibliche, zusammen 9964 nach Verbüßung der Hauptstrafe der Landespolizeibehörde überwiesene Korrigenden detintert. Im Laufe des Etatsjahres 1903/4, alîo bis zum 31. März 1904, kamen 9218 männlihe und 1145 weiblide, im ganzen 10363 Kortrigenden in Zugang, dagegen 9070 männliche und 1209 weibliche, zusammen 10279 in Abgang. Der Bestand am Jahres\chlusse weist somit bei “den Männern eine Zunahme um 148 auf 8981, bei den Frauen eine Abnahme um 64 auf 1067 auf; im garzen hat er eine Steigerung um 84 auf 10048 Korrigenden erfahren. Die Gesamtzahl der ‘im Rechnungsjahre 1903/4 ‘in Preußen detiniert gewesenen Korrigenden der 18051 männlihe und 2276- weibliche, zusammen 20 327, der täglihe Durchshnittsbestand-8813 männlihe und 1074 wetb- liche, zusammen 9887 Korrigenden. :

Cingehendere Auskunft über die persönlihen Verhältnisse geben :

die Tabellen der amtlihen Statistik nur bezügli der im Etatsfahre 1903/4 in Zugang gekommenen 8803 männlihen und 1121 weiblihen Korrigenden, 2 261 des St.-G.-B. andeêpolizeibehörde erkannt worden war. Von diesen zählten dem angegebenen Hauptberufe nah als Selbständige, Gehilfen oder Angehörige von folchen 1065 männlihe und 26 weiblihe zur Berus8gruppe „Land- und Forstwirt schaft. Gärtnerei, Jagd und Fischerei“,

4147 männlihe und 68 weibliWe zur Berufsgruppe . Jndust:ie, Berg-

bau und Bauwefen“, 1310 männlihe und 42 weibliche zur Gruppe e Hande und Verkehr“; 2080 männliŸe und 413 weibliche Korrigenden ‘hatten „häusliche Dienste und wechselnde-Lohnarbeit“ yerrihtet, weitere ‘88 mänklihe und 90 weiblihe waren dauernde Dienstboten für bäus- Tihe Arbeiten gewesen; ferner befanden ih unter den neu einge- lieferten männlihen Korrigenden 6 ehemalige Berufstätige im öfent- Tien Dienst bezw. Angehörige von solchen, 96 männlihe und

weibligde waren Selbständige in \og. freien Berufsarten oder Familéenangehörige von solhen; L weibliche Korrigenden

Tebten von einer Pension oder Rente, 3 männlihe utd 4 weiblißhe von Almosen; 8 männlihe und 467 weibliche Yatten gar feine Berufsangabe gemacht. Ohne Einkommen

waren vor ihrer Verurteilung im ganzen 7464 männliche und 11653 weilCiche Korrigenden; 1327 männkihe und 44 weibli&e s 900 4, 12 männliche und 14 weibliche über 900 A Ein- » n, Schulbildung fehlte bei 151 männlilen und 84 weiblichen

n den neu eingelieferten Korrigenden völlig, 722 männlite und r weiblihe hatten nur mangelhafte Schulbildung, 7869 zuänn- Rate und 924 weitliche Volks-, 61 wännlihe und 2 weibliche 2 here Stulbildun Der Relígion nach weren 5758 männ- nEe und 656 weibliche Korrigenden evangelisch, 3018 mäan- E und G1 weibliche katholish, 23 männlitze und 4 weib- E waren Juden und weitere 4 männlihe Andersgläubige. e wännlihe und 914 weiblihe Korrigenden \pra hen deuts, 9 männlihe und 181 weibliche polnisch und deuts, 41 männliche und 24 weiblihe nur polnisch, 31 männliche und 2 weibliche nur eee Sprachen. Nicht weniger als 2095 von den 8863 männlichen ibr 267 von den 1121 weiblichen neu eingelieferten Korrigenden hatten re Veimat in Schlesien, 612 männlihe und 94 weiblidhe in er Provinz Posen, 596 männlihe und 58 weiblide in Oft- aafuhen, 462 männlihe und 76 weiblihe in Westpreußen, 67 männliche und 39 weiblihe in Pommern, 829 männlihe und A weibliche in Brandenburg ohne Berlin, 478 männliche wb 50 weiblibe in der tadt Berlin, 697 männlihe 79 137 weiblihe ‘in der Rheinprovinz, 529 männlide und in e êliche in der Provinz Sachsen, 320 männliche und 45 weibliche aue estfalen usw.; 899 männlihe und 76 weiblihe waren aus s ces Staaten des Deutshen Reichs, 356 männlihe und at cibliche aus dem Auslande gebürtig. Ihren leßten Wohnort “weig von den männ lichen Korrigenden 1850 in einer Kleinstadt wob —20 000 Einwohnern, 1788 in einer Gemeinde unter 2000 Ein- I 1273 in einer solchen von 2—5000 Einwohnern, also L er 96 % des männlihen Zugangs im Jahre 1903/4 Ae ner Gemeinde von weniger als 20000 Einwohnern, 2547 d 1608 nit ganz 29 % in einer Großstadt mit mehr dée 16 G Einwohnern, davon 1395 in Berlin, und 1345 von d /o in einer Mittelstadt von 20—109 000 Einwohnern, in G en weiblihen Korrigenden dagegen weitaus die meisten Zu Ln oder Mittelstädten, nämli 520 oder 46,4 9/9 des weiblihen davon 1 in einer Großstadt mit mehr als 100 000 Einwohnern, od 98 in Berlin, 279 oder 250/69 in einer Mittelstadt von 009 Einwohnern und 322 oder 28,6 %/9 in einer Gemeinde

gegen die wegen Uebertretung des auf Haft und Ueberweisung an die

4 ‘interessierter Gäjle in seine Mauern führen werden.

bon weniger als 20000 Einwohnern, davon 115 in einer solhen unter 2000 Einwohnern.

Dem Lebensalter nah waren bei der (lezten) Einlie“erung in

das Korrektionshaus j E unter 18 Jahre 36 männlihe, 2 weiblihe Korrigenden, 269 162

18 Bie 21

N D 312 7 O, : D 0 712 2 E, g 0 0! 9187 ¿ Ey x 40 M 2 723 z E L O 80.2 1994 2 E L (0 T0 533 u O y 70 Fahre u. darüber 37 3 á z

Die meisten mänrlihen Korrigenden standen also im Alter von 30 bis 60 Jakbren, die meisten weiblihen im Alter von 25 bis 50 Iabren.

Die Ursache der Verurteilung war bei den Männern in der großen Mehrzahl der Fälle Bettelei, bei den Weibern gewerb®- mäßige Unzucht. Von den 8803 neu eingelieferten män n lichen Korris cenden waren nämli 5383 wegen Bettelns (U-beriretung von Nr. 4 in 361 des St.-G.-B.), weitere 1059 wegen Befttelns und Landstreihens (Nr. 4 und 3), 326 wegen Landstrei{hens (Nr. 3) allein, 1151 wegen Nicht- beschaffung eines Unterkommens (Nr. 8), 179 wegen Teilnahme an Uebertretungen der sitteipolizeilihen Vorschriften (Nr. 6), 93 wegen Müßigganas (Nr. 5) und 12 wegen Arbeits\{Geu (Nr. 7) verurteilt wotden. Von den 1121 neu eingelieferten wei blichen Korrizenden famen 851 wegen Uebertretung der sittenpo!izeilihen Vorschriften, 82 wegen NichtbesWaffung eines Unterkommens, 79 wezen Bettelns, weitere 91 wegen Bettelrs und Landstreihens, 50 weoen Landstreichens allein, 6 wegen Müßiagangs und 2 wegen Arbeits{eu in das Korrektionshaus. Die Dauer der durch die Landespolizeibebörde verfügten Arbeits- bauseinsperrung betrug bei 27 männlihen und 2 weiblichen Korrigenden 3 Monate und wentger, bei 2857 Männern urd 457 Weibern über 3 bis 6 Monate, bei 3997 Männern und 922 Weibern über 6 Monate bis unter 2 Iabre, bei 1920 Männern und 140 Weibern 2 Fahre.

Vor ihrer leßten Ueberweisung waren bereits 5144 Männer und 980 Weiber mit Korrektionshaft vorbestraft, darunter 2430 Männer und 173 Weiber méhr als 3 mal; 2284 Männer und 191 Weiber batten vorber {Gon mebr als 19mal, 2114 Männer und 247 Weiber mebr als 20 mel ges{härfte Haft erlitten; nit weniger als 6484 von den 8803 neu eingelieferten männlihen und 772 von den 1121 in Zugang gekommenen weiblihen Korrigenden waren bereits mit (Gefäncnis, 994 Männer und 129 Weiber mit ZuH!haus vor- bestraft. Innerhalb Jahresfrist nach Verbüßung der letzten Korrektionshaft waren 1691 Männer und 137 Weiber wieder ein- geliefert worden. 839 Männer urd 197 Weiber sind bereits vor dem 18. Lebensjahre mit Freiheitsstrafen belegt gewesen. Die Personen mit verminderter oder fehlender Arbeits- fähigkeit maten nur eine kleine Minderbeit aus: es waren von den 8803 neu eingelieferten männliben Korrigenden 943 vermindert arbeitéfähig, 42 dauernd und 47 ‘vorübergebend arbeit8unfähig. von den 1121 in Zugang gekommenen weiblihen Korrigenden 86 ver- mindert arbeitsfähig, 2 dauernd "und 15 vorübergehend arbeitsunfähig.

Von den übrigen persörlihen Verbältnissen der Korrigenden fei noch erwähnt, daß von den männlihen 8116 ebelich und 687 unehelich, von den weiblichen 1010 eh¿liG und 111 unebeliG geboren waren. Nach dem Familienstande unterschieden, waren 5831 männliche und 663 weiblihe Korrigenden ledig, 1723 mänrlihe und 263 weib- lihe verheiratet, 861 mänrlihe und 130 weiblihe verwitwet, 388 männliche und 65 weiblihe geschieden. Bemerkenswert ift wohl das große Uebergewiht der Ledigen unter den Korrigenten. Die neu eingelieferten männlihen Insassen der Korrektionshäuser hatten 3534 ebelihe und 30 unchelihe, die weiblihen 476 ehelihe und 137 un- ehelihe Kinder. :

Lte {on oben bemerkt wurde, Fbezieben TFich die vorsteßenten Zahlen nur auf diejenigen während der Zeit vom 1. April 1903 bis zum 31. März 1904 im preußishen Staate in Zugang gekommenen Korrigenden, gegen die wegen Uebertretung ‘des § 361 des Straf- geseßbuch8 auf Haft und Ueberweisung an die Landespolizeibehörde erkannt worden war. Jn welchem Umfange ‘von der im neu ein- geshalteten § 181 a des Strafoeseßbuchs erteilten Ermächtigung, gegen Zuhälter neben der Verurteilung zu Gefängris die Ueberweisung an die Landespolizeibebörde auszusprehen, bisher Gebrau gemacht worden ist, laffen die Tabellen der amtlihen Statistik nicht etkennen. Das Arbeitshaus, von den Verbrechern viel wehr gefürchtet als selbft das Zuchthaus, würde au bei diesen eine ausgedehnte An- wendung verdienen und fich wie Zuhältern auch rü&ckfälligen Eigentums- ‘verbrehern usw. gegenüber empfehlen. Dann wäre allerdings auch zwischen befserungsfähigen und unverbefserlihen Personen anders als bisber zu untersheiden und den leßteren gegenüber die Sicherung der GSesellshaft als Hauptzweck in den Vordergrund zu stellen.

Wintschaftlihe Bedeutung Mannheims.

‘Die Stadt Mannheim fieht in diesem Herbst noch mebreren Kongrefsen entaegen, die eine ungewöhnlich große Zahl MERPeQIIE

en ift der Kongxeß für öffentlihe Gesundheitepflege dort zu Ende ge E Am 2. und 22. September wird not der Deutsche Verein für Ärmeri- pflege und Wohltätigkeit, vom 25. bis 27. September der Verein für Sozialpolitik (og api tpcaite gr rin s dort abhalten. Da Verkehr und Industrie gerade Mannheim im Laufe des lezten Menschenalters wie wenige andere deutsche Städte so zur Blüte gebraht haben, ift es zu begrüßen, daß die Handelskammer für den Kreis Mannheim allen den Gästen ein Zahlenbild gezeihnet hat von dem, was Mannheim war und was es heute t. Das kleine Sthrifthen behandelt freilih nur die „wirtshaftliche Bedeutung Mannheims im Reich und in Baden“.*) Die sozialpolitische Entwiklung ist, da diese sich nit im Arbeitsgebiet der Handelskammer wiedexspiegelt, unberührt geblieben. Es ist aber dem Verfasser geglückt, die absolute und relative Bedeutung ber \üd- westlichen Handelsempore Deutschlands heraus zu modellieren. Mann- heim, das Ende 1880 erst 53465 Einwohner zählte und 1894 {on in die Reihe der Städte von mehr als 100 000 Seelen einrückte, beherbergt heute eine Bevölkerung von rund 160 000 Personen, darunter sind nicht weniger als 25000 großindustrielle Arbeiter; der Hafen mit seinem Siffsverkehr, die Eisenbahnen, die in Mannheim als Knotenpunkt zu- sammenlaufen, beshäftigen weitere Tausende. Die Zentralstelle für Arbeitsnahweis vermittelte 1904 über 16 500 Stellen. Die Bedeutung Mannheims als Binnenhafen ergibt ein Vergleih mit Hamburg und Berlin. Berlin empfing zu Wasser allerdings über 64 Millionen Tonnen, Hamburg von der Landseite 34 Millionen, Mannheim dagegen über Millionen, wean man Lndwigshafen mit hbinzu- rehnet, sogar über 7 Millionen Tonnen. Die Getreides und Mehl- zufuhr betrug 1904 etwa 180 Millionen Mark und umfaßte ein Fünftel des gesamten ”« izenimports Deutschlands; an Kohlen wurden für 50 Millionen Mark, an Petroleum für 21 Millionen Mark zugeführt. Ein untrügliches Barometer der Handelsbedeutung sind die Reichsbank. umsäge. Mannheim kam 1877 auf einen Umfaß von 709 Millionen Mark, 1904 dagegen war dieser auf über 54 Milliarden Mark gestiegen, während freilih Hamburg noch um das Dreifahe Mannheim überragte. Im Wechselverkehr nimmt Mannheim bei der Reichsbank, mit Aus- {luß von Berlin, hinter Hamburg und Frankfurt a. M. die dritte Stelle ein, im Giroverkehr die fünfte. Während Mannheim 1886 erst 39 Millionen Mark steuerbares Einkommen aufwies, betrug dieses 1903 volle 110 Millionen Mark, d. \. 15% aller badischen |teuer- pflihtigen Einkommen.

*) Die wirtshaftlihe Bedeutung Mannheims im Reich und in Baden. Dem Verein für Sozialyolitik zu seiner Generalversammlung in Mannheim, am 25. bis 27. September 1995, gewidmet von der Handelskammer für den Kreis Mannheim.

7, internationaler Arbeiterversiherungskongreß.

In der gestrigen Sißung des Arbeiterversiherungékongrefses zu Wien, in der, wie „W. T. B.“ berichtet, der frühere frarzösishe Minister Millerand den Borsiß führte, referierten u. a. Hjelt aus Finnland über die in Finnland eingeführte Pensionêversicherung, Magaldi aus Rom über das neue italienische Unfallversicherungs- geseß vom Jahre 1903, Paulet- Paris üter die Arbeiterversicherungs- eseggebung in Frankreich und Nationalrat Steige-Bern über dio Nersuche einer allgemeinen Vo!ksversicherurg in der Schweiz. Geheimer Rat Dr. Boedicker - Berlin sprach dem Voisitenden Millerand den Dank des Kongresses für seine Mitarbeit aus. Millerand werde die Kenntnis, die er während seines Aufenthalts in Deutschland und Oesterreich von zahlreichen fozialpolitishen Einri&tungen erlangt habe, nah seiner Heimreise verwerten, sodaß es ihm und seinen Mit- arbeitern gelingen werde, ein Arbeiterversiherunçc8geseß zustande zu bringen so {ön, wie sein {chönes Vaterland. Am Nacimittag unter- nahmen die Kongreßmitglicder einen Ausflug zur Besichtigung von Volkswohnungen.

Zur Arbeiterbewegung. In Solingen nahm, der „Rh. - Westf. Ztg.“ zufolge, am

Montag die Freie Vereinigung der Messersblägerei- arbeiter (das sind die Mitglieder des früheren Schlägerei- arbeitervereins, die sch nicht dem Metallarbeiterverein an-

geschlossen haben) Stellung zur Auss\perrung der im Metall- arbeiterverband anges{chlossenen Schlägereiarbeiter (vgl. Nr. 217

d. Bl). Die Freie Vereinigung beschloß, sich nicht mit dem Metallarbeiterverband solidarish zu erklären, vielmehr rubig weiter zu arbeiten. Das Vorgehen des Metallarbeiters

verbandes fei ein Nücks@ritt, weil seine Forderungen unter Umgehung der zwischen Arbeitceber und Arbeitnehmer vereinbarten Verglei{hs- kammer aufgestellt werden. Die Freie Vereinigung habe auch \chon deshalb feine Veranlassung, sih um den Streik zu kümmern, weil sie bei Aufstellung des vom Metallarbciterverband eingercihten Lohntarifs nit hinzugezogen worden fet.

In Nhbeydt sind, nah demselben Blatte, die Nollfubrleute

in eine Lobnbewegung getreten. Sie verlangen eine Lohn- erböhung von wöchentlih 250 A und Feslsezung der Arbeitszeit von 6 Ubr Morgens bis 8 Uhr Abends.

Für die Zeit nah 8 Uhr follen 40 A für die Stunde tergütet werden. Diese Forderungen sind am Montag den Rollfuhrunternehmern shriftlih zugestellt worden. Finden sie keine Annahme, so treten die Fuhrleute morgen sämilih in ten Ausstand.

___ In Fürth haben, wie die „Köln. Ztg." erfährt, 1500 aus- sländige Holzarbeiter troß eines Ultimatums der Arbeitgeber die Arbeit nicht aufgenommen. adurch find sie nach dem Beschluß der Arbeitgeber auf die Dauer von vier Wochen ausgesperrt. (Vgl. Nr. 219 d. Bl.)

Land- und Forftwirtschaft.

Ueber die diesjährige Ernt e wird den „Baseler Nahrichten" vom 17. September aus dem Kanton Zürich geschrieben: Der Herbst ist die Zeit, der die Wünsche des Landwirts entweder in reickdem Maße erfüllt, seine Arbeit reich bélohnt, oder aber ihn erttäusht. Der Herbstsegen fällt aber zumeist nach der Qualität des Frühlings und des Herbstes aus. Von dem unbeständigen und vielfa regnerischen Wetter des Monats August \spriht am besten die Tatsache, daß sckchon Ende Juli am Zürichsee und anderwärts der Emdet begann und daß jeßt Mitte September in den meisten Verggemeinden des Zürcker Oberlandes noch nit alles Emd unter Dach ist. Auf feiten Wiesen im Tale wird jeßt zum zweiten Male geemdet. Das Jahr 1905 ge- hört zu den besten Futterjahren. Fast jeder Bauer hat seine Scheunen bis unters Da mit Heu und Emd gefüllt, sodaß er für den Winter Nahrung genug für sein Vieh hat. Auch ift es zumeist gutes, gehaltreihes Matter. Der Stand der Nunkelrüben und der weißen Rüben Räben) ist gut. Nun die Obstbäume. Diese brachten vielerorts dem Landwirt eine große Enttäushung. Der Blütenreihtum im Frühling [ieß einen reihen Obstsegen erwarten. Nun hat es aber noch selten zwei reiche Obstjahre nach einander gegeben. Dann kam Ende Mai und Anfang Juni der ten Apfelblüten so hädlißhe Föhn. Den Sommer hindurch gab es wiederholt heftige Stürme mit Negen, die viel Obst von den Bäumen s{üttelten. So hat vieles mitgewirkt, um den Obstertrag zu \{chmälern. Es gibt zwar auch jeßt Gegenden, wie die Gemeinden am rechten Zürihseeufer, einige Semeinden des Oberlandes und des Weinlandes, wo man mit Früchten {wer beladenen Obst- bäumen begegnet, die man unterstüßen mußte; aber an den meisten Orten ist es so, daß der Bauer einiges Obst für den eicenen Haut- gebrauh erhält, auch einige Hektoliter Most machen, aber ke!n Obst verkaufen kann. Das Obst wird daher jedenfalls gesucht und begehrt und gut bezablt werden müssen. Windgeshüßte Lagen überraschen oft dur das viele Obst, das man da an den Bäumen erblickt. Wohl ge- raten ist das Steinobst, Pflaumen- und Zwetshgenbtäume waren fast dur(- weg schwer beladen. Was die Neben betrifft, so brahten auch diese eine Enttäushung. Am Zürichsee versprahen sie so viel wie noch nie. Die Weinstöcke zeigten eine Menge großer \{chöôner Trauben. Da Ftellten sich der falsche Meltau und der Brenner mit unerbörter Heftigkeit ein. Jett sieht man Rebparzellen am Zürichsee, in denen es aussieht, als wäre ein Feuer darüber weggegangen. In folcen Reben sind die Trauben s{lecht, dünnbeerig. Und oft stehen nebenan Rebgelände, wo die Neben noch ein \chönes grünes Kleid tragen; da ist es eine Lust, die Menge der großen und groß- beerigen reifenden Trauben zu erblicken. Sorgfältiges und frühzeitiges Besprizen der Reben hat sih gelohnt. Der Weinbauer, der für seine Reben nicht Sorge trug, wird empfindlih bestraft, indem ihm ein sebr geringer Weinertrag in Aussicht steht. Etwas besser ist die Aus- siht für den Weinbauer im Weinland. Die Sturzregen im August haben vielfach das Besprizen der Reben unwirksam gemacht, be- sonders wenn es kurz vor dem Regen erfolgte, da alles wieder ab- gewaschen wurde.

Theater und Musik.

Lessingtbeater..

Das Lessingtheater ließ gestern einer Neueinstudierung von Ger- hard Hauptmanns Traumdichtung „Hanneles Himmelfahrt“ zwei Akte von Eduard von Keyserling, „Benignens Erlebnis*“, vor- aufgeben. In der Stimmung und der Bewegung der Figuren haben die beiden Stücke insofern etwas Verwandtes, als au in dem Keyser- lingshen Werk alles gedämpft und shemenhaft wie in einem Traum- bilde ersheint. Leiter ober ermangelt es troy wre Fein- beiten des Dialogs und der Charakteristik einer lebhafteren Regung der Handlung. Im Mittelpunkt des Vorgangs steht auch hier ein Mädchen, Benigne, die in der Einsamkeit eincs stillen Aristokraten- hauses das Verlan en nach dem kräftig pulsierenden Leben draußen empfindet, defsen Lärm wie von ferne an die vers{lossenen Fenster dringt. Ès ist das tolle Jahr 1848, und auf den Straßen tobt der Barrikadenkampf. Jhr Wunsh nah einem außergewöhnlihen Er- lebnis erfüllt fih; ein zu Tode getroffener Student flühtet in den Garten des Herrensizes und wird sterbend ins Haus getragen. Er bringt etwas mit von dem wilden Leben da draußen; aber zwischen ihr, der feinen, ästhetisch und ANopiG Genießenden und der rohen Betätigung der Krast besteht, wie sie nun fühlt, eine unüber- brückbare Kluft. Der Student stirbt, Benigne aber hat ihr Erlebnis gehabt, das in ihrem Herzen eine unvergänglihe Spur zurücklafsen wird, auch wenn der Oheim sie damit tröstet, daß man im Grunde do nur si [ern erlebt. Das Stücklein vermochte troy der erwähnten Mängel so zu fesseln, daß der Direktor Brahm im Namen des abwesenden Dichters für den Beifall danken konnte. Allerdings hatten an diesem Beifall die Darsteller einen redlihen Anteil, so besonders Herr Basser- mann, der in dem alten Baron Krafft eine Figur von feinster, vornehmster

Charakterisierung {huf. Frau Triesch fand den rührenden, w t8e vollen und da d herbanklingenden Ton, der dert Gde Ls