1885 / 28 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 02 Feb 1885 18:00:01 GMT) scan diff

i i gefälligere Ausftatiung erhalten hat als die früheren. In O L ban eingesfügten Zusäßen hat dieselbe eine Erweite- rung des Buches um 8 Drukbogen veranlaßt. Der Verfasser hat si infolge des Krieges von 1870/71 au zur Herausgabe eines Beides 8 entschlossen, dessen Vollendung si jedo verzögert hat, so daß M e (unter scparater Berechnung) erst im Herbst zur Ausgabe gelangen kann, Außer einer neuen Bearbeitung der in den „Uebersihten zur äußeren Geschichte des preußisben Staates* enthaltenen umfassenden Ver- zeicnisse historish wichtiger Orte wird dafselbe folgende Stücke ent- balten: I. Begründung des neuen Deutschen Reiches unter Preußens ührung; Erweiterung desselben durch Elfaß-Lotbringen. II. Ueber- S tlihe Darstellung der äußeren Entwickelung sämmtlicher deutscher Staaten (außer Preußen). 1IT. Uebersichtskarte zur Geschidbte der Staaten des Deutschen Reiches. Auch der 3. Auflage dieses ge- diegenen vaterländiswen Buches, welches reiches und sorgfältig geord- netes geshichtlihes Material enthält, ist eine weite Verbreitung ge- ert. f B ges Fn der Hinstorffscken Hof-Buchhandlung zu Wismar er- schienen: „Friß Reuter-Reliquien“ von K. Th. Gaedert, Er- aänzungsband zu Friß Reuters sämmtlichen Werken. Der Herausgeber, rühmlicbst bekannt durch feine Geschichte des pylatt- deutschen Schauspiels, hat wochenlang als Gast auf der Villa Reuter gelebt, hat aus dem Munde der Wittwe des Dichters Vieles, was bisher unbekannt, über des verewigten Dichters Leben erfahren und -ist zu- meist von dieser mit dem reichhaltigen Material aus Reuters schrift- lidem Nachlaß ausgestattet worden, welches den fesselnden Inhalt des Buches bildet. Ein Ergänzungsband zu den Gesammtwerken Reuters ist es nicht allein deshalb, weil etwa die Hälfte des Inhalts aus Recuters Feder felbst geflossen ist, sondern aub, weil der größte Theil des JIahalts thatsählich eine Ergänzung zur „Festungstid“ wie zur „Stromtid“ bildet. Der Einleitung und Widmung folgen die Papiere des Studenten Friß Reuter, die bei einer Kassi- rung der Akten des Berliner Kriminalgerihts zu Tage gekommen und der Witiwe übergeben worden sind. In den dann folgenden Mittheilungen aus Reuters Leben sind viele liebenswürdige Einzel- beiten enthalten, aus welchen u. A. hervorgeht, mit welcher herzliden Spannung man, als die ersten beiden Bände der „Stromtid“ et- schienen waren, das Scicksal Havermanns und seiner Louise, Brôsigs und der Druwappel verfolgte. Daran reihen sich Briefe Fritz Reuters®, die, bisher nirgends gedrudt, ein reihes Material für die dichterishe Würdigung Reuters liefern und interessante Ergänzungen zu Reuters „Festungstid* bilden. Nach einer Sammlung bisher un- gediudter Gedichte Friß Reuters (Läuscen, Trinksprüche, Gelegenheits- gedichie, Julklappverse u. #. w.) bringt Gaederß ein Kapitel über die Urgestalt von Reuters „Stromtid“, Bekanntlich hat Reuter die „Stromtid“ zuerst hocdeutsch geschrieben, und lange hatte dieser nicht ganz vollendete Roman in des Dichters Pult gelegen, bis er ihn hervorholte und aufs Neue von Grund aus ausfbaute, nun aber in gänzlich plattdeutscher Gestalt. Gaedertz erzählt eingehend den Verlauf der Handlung in der hoch- deuts{hen Urgestalt und bietet dadur dem Reuterfreunde interessante Vergleichungen mit der nun in aller Händen befindlichen plattdeutschen „Stromtid“. Den Schluß macht: „Eine Luftballonfahrt durch Mecklenburg“ von Frit Reuter. Diese fesselnde Schilderung von Land und Leuten Mecklenbu1gs aus des Dichters Feder bildet die Einleitung zu der hochdeutshen „Stromtid“. Wer leßteren Roman gelesen hat, wird mit Interesse und Behagen in dieser Scilderung den Boden kennen lernen, dem die herrlichen Gestalten des unsterb- lichen Hauptwerks Fciß Reuters entwahsen sind. Der Ergänzungs- band ist gebunden und ungebunden zu erhalten und entspricht in Ausstattung, Format und Preis cinem Bande der Originalausgabe von Reuters Gesammtwerken; auch in dem Einbande der Volks- ausgabe der Gesammtwerke ist das Bub vorräthig.

„Die Trunksucht und ihre Bekämpfung durch die Vereinsthätigkeit.“ Unter diesem Titel veröffentlicht Dr. A. Baer, einer der rührigsten Vorkämpfer in dem Kriege gegen die Trunksucht, seine auf diesem Gebiet gesammelten neueren Erfah- rungen, verbunden mit witigen ftatistishen Aufzeihnungen. Wir beben aus der interessanten Broschüre die nachfolgenden Daten und Mittheilungen hervor: Wenn man die Menge des verbrauten Alkohols zum Maßstab für die Verbreitung der Trunksucht gelten läßt (was übrigens nicht angängig ist, da ein großer Theil des ver- brauchten Alkohols zu gewerblichen Zwecken dient), so nimmt Preußen mit seinem Durchschnittsverbrauch von 36 1 pro Jahr und Kopf der männlichen Bevölkerung im Zeitraum 1870—81 einen sehr un- günstigen Standpunkt ein. Die Folgen des starken Alkoholgenufses find geradezu ershreckend. Etwa % aller Selbstmorde bei Männern geschah unter dem Einflusse des Alkohols. Von den bei den Irren- anstalten zugegangenen Männern litten ca. 15 9/9 an Delirium tre- mens. In den Jahren 1877—86 sind dur(schnittlich jährlich gegen 2000 Personen an den Folgen der Trunksucht (dazu gehören Deli- rium tremens, Selbstmord, Verunglückungen) gestorben. 41,79/9 aller Gefangenen begingen ihre Verbrechen unter der Einwirkung des Alko- hols. Bedenkt man, daß die Zahl der im Geheimen dem Truncke er- gebenen Personen, die ter Deffentlichkeit nie bekannt werden, jeden- falls cine schr kteträd tlicbe ist, fo begreift man die sittliche Entrüstung des Verfassers, welcher cifrig gegen die Sorglosigkeit ankämpft, mit der man bei uns voch eine so entseylihe Todeéursache wüthen läßt. Ein energisches Eingreifen der Vereinsthätigkeit vermag doch wenig- stens die fernere Auëbreitung dieses Uebels zu verhüten; um es aber ganz auszurotten, dazu bedarf es vor allem einer Besserung derjenigen gesellschaftlichen Zustände, welche das Volk zur Trunksucht treiben.

„Am Bivouakfeuer“, Manôver- und Garnisongeschichten aus Elsaß-Lothringen von D. Elster, Prem.-Lieut. a. D. Berlin, R. v. Deckers Verlag, G. Swberck. Pr. 2 ( Wohl zum ersten Male schildert uns hier ein Offiziir das interne Leben im deutschen Reichslande. Das vorliegende Bu mit seinen neun lebensfrischen Novelletten führt uns nit nur in die Details des Manöver- und Gacrcnisonlebens, sondern erst ret in die des bürgerliwen Verhaltens gegen die deutshen Soldaten ein. Der Verfasser erzählt mit Ur- sprünglihkiit, Frische und lebendiger Auffassung ; dabei fehlt seinen Er- zählungen nit der poctishe Hauch des deutshen Gemüths, der oft tragisce Aufbau des Erlebten, der urwüchsige Humor des jungen Offiziers. Die Erzählungen machen den wechselndsten Eindruck, sind aber sämmtlich ansyrehend geschrieben.

Gewerbe und Handel.

Lei pzig, 31, Januar. (W. T. B.) Die Leipziger Bank wird eine 7prozentige Dividende zur Vertheilung bringen.

Antwerpen, 31. Januar. (W. T. B.) Wollauktion. Angeboten 2297 Ballen Laplata-Wollen, davon 1685 Ballen ver- fauit. Vorrath 6506 B. Laplata- und 3413 B. diverse Wollen. Schlufigeschäst belebt, Preise behauptet.

Brüssel, 31. Januar. (W. T. B.) Die Nationalbank hat den Diskont von 4 auf 33 %/g herabge}eßt.

London, 31. Januar. (W. T. B.) Bei der gestrigen Woll- auktion waren Preise fest.

Glasgow, 31. Januar. (W. T. B.) Die Vorräthe von Robeisen in den Stores belaufen sich auf 579 300 Tons, gegen 590 200 Tons im vorigen Jahre. gay! der im Betrieb befindlichen Hochöfen 93, gegen 95 im vorigen Jahre. :

New-York, 31, Januar. (W. T. B.) Die. Abnahme der Staatsschuld der Vereinigten Staaten im Monat Ja- nuar d. I. wird auf 7 Millionen veranschlagt. Der Werth. der Waareneinfuhr in der leßten Woche betrug 7 400 000 Dollars, davon entfallen 2 (C00 0C0 Dollars auf Manufakturwaaren.

Verkehrs-Anstalten.

Zur bequemen Einlieferung von Packeten ift in Berlin, abgesehen von den zahlreichen Stadtpoftanstalten, au dur ch die Padetbestell-Einrihtungen und Packetwagen der Poft Gelegenheit geboten. Sämmtliche im Dienst befindliche Paet- besteller sind zur Entgegennahme gewöhnlicher Packete behufs Weiter- besorgung zur Post verpflihtet. Auf \hriftlide Au}sforderung

mitteift Postkarte an das Kaiserliche Packet-Postamt in Berlin N

Oranienburgerstraße 70) findet sich der Packetbesteller zur Ab- p V dete in der Wohnung des Absenders besonders ein. Auch in diesem Falle ist nur die gewöhnliche Einsammlungs- gebühr zu entrichten, also ein Betrag von 15 -Z bis zum Gewicht von 5 kg und von 20 S für Packete von höberem Gewicht.

et erschien das Reihs-Kursbuch für 1885, Aus- gabe Nr. 1, Winterfahrdien st 1884/85, enthaltend die Ueber- fiht der Eisenbahn-, Post und Dampfscbiff-Verbindungen in Deutsch- land, Oesterreib-Ungarn, Schweiz, sowie der bedeutenderen Ver- bindungen der übrigen Theile Europas und der Dampfschiff- Verbindungen mit aufßereuropäishen Ländern, bearbeitet im Kursbureau des Reichs-Postamts, mit einer Karte von Deutschland und Skizzen fremder Länder. Preis 2 4A (Berlin 1885, Verlag von Julius Springer, Monbijouplat 3.)

Berlin, 2. Februar 1885.

Zu dem bevorstehenden 88. Geburtstage Sr. Majestät des Kaisers und Königs erläßt ein hiesiges Komiié, an dessen Spitze der General der Infanterie z. D. Frhr. von Wrangel steht, Aufforderungen zu Zeicbnungen auf eine Denkschrift. Dieselbe wurde von höheren Offizieren bearbeitet, sowie von Sr. Majestät wiederholt revidirt und enthält eine authentische militärise Biographie Sr. Majestät mit cinem vorzüglichen photographi- {en Portrait Allerhöchstdesselben. Die Aufforderung bezweckt, mögli viele Soldaten der Armee, ehemalige Soldaten, Ver- eine, Scbüler 2c. dur Zeichnungen aus privaten Kreisen in den Besiy dieser Denkschrift zu seßen, deren Preis ntt, ee Photographie nur 80 Pfennige beträgt. Nachdem Se, Majestät der Kaiser die Idee dieser Aufforderung gebilligt, wurde es ermög- lit, bisher 285 (00 Exemplare der Denkschrift in der Armce und im Volke, in den Schulen, in den Fabriken, unter der Landbevölke- rung 2c. zu verbreiten. In diesem Jahre werden zu dem Geburtstage des Kaisers wiederum Zeichnungen auf die Denkschrift angenommen und sind Prospekte und Zeicnerlisten für Perfonen, die selbst zeihnen oder in Bekanntenkreisen sich für die Cirkulation diefer Listen inter- essiren wollen, direkt franko und gratis zu erhalien von Herrn G. v. Glasenapp in Potédam.

Unter der “Protektion Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Wilhelm und unter der Leitung eines Comités, dem unter Anderen angehören: die Frau Fürstin Wittwe zu Carolath- Beuthen, Frau Gräfin Waldersee, Frau von Albedyll, Frau Staats-Minister von Boetticher, Frau Staats-Minister von Goßler Frau Prof. Paul Meyerheim, Frau von Patow und Frau von Schelling, findet am 5,, 6. und 7. Februar im großen Saale der Kriegsakademie ein Bazar statt. Der Ertrag desselben ift bestimmt für den Bau eines Asyls zur Beschäftigung entlassener Gefangenen, in welchem Angehörige aller Provinzen ohne Unterschied der Kon- fession Aufnahme finden sollen. Es handelt sih bei diesem Werk der Nächsteoliebe darum, den entlassenen Sträflingen, welche bei ihrer Rüdlkehr in die bürgerlihe Gesellschaft ohne Anhalt, ohne Familienleben, ohne Arbeit, ohne Hülfe sind, ein erstes Unter- kommen und Beschäftigung zu verscbaffen, um sie so vor dem Rückfall in das Verbrechen zu bewahren. Gleich Seiner hohen Gemahlin nimmt auch Se. Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm, welcher getreu den Tra- ditionen des Hohenzollern-Hauses nebea Seinen militärischen Studien und Seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Staatsverwaltung auch alle Be- \trcebungen zur Linderung der Noth der Armuth thatkräftig und ver- ständnißvoll fördert, an dem Unternehmen den lkebendigsten Antheil. Der Prinz hat u. À. für den Bazar mehrere von Ihm selbst gemalte Oelbilder (Seestücke) zur Versüguna gestellt, auch werden Zeichnungen von Seiner und der Prinzessin Wilhelm Hand dort zum Verkauf kommen. Ihre Königliche Hoheit hat Ihren wiederholten Besuch des Bazars in Aussicht gestellt. Auch sonst ift von vielen hiesigen und auëwär- tigen Fürstlichkeiten sowie von allen Klassen der Berliner Gesells&aft dem wohlthätigen Zweck ein reges Interesse entgegengebraht worden, sodaß zu erwarten steht, daß die Räume der Kriegs-Akademie an den genannten Tagen sich mit zahlreichen Kauflustigen aller Stände füllen werden. Uebrigens sollen, außer dem Bazar, für denselben wohlthätigen Zweck im Opernhaus-Saale lebende Bilder von Angehörigen der Hofgesellshaft, unter Leitung der ersten Künstler, gestellt werden. Es ift auch eine Wiederbolung dieser Bilder beab- fichtigt, da bei der geringen Anzahl von Pläßen in jenem Saal eine einmalige Aufführung nicht genügen würde.

Keiner v nserer Poitrailmaler hat bisher die Erscheinung des Fürsten Bismarck in ihrer vollen geistigen Eigexart und Bedeu- tung auch nur annähernd so überzeugend lebensvoll zu erfassen gewußt, wie es in den von Lenbach gemalten und gezeichneten Bildnissen geschehen ist, die ¿zum Theil als Vorstudien für das der Berliner Nationalgalerie gehörige Portrait des Reichskanzlers entstanden find und gleich diesem als Schöpfungen von eben so hohem künstlerischen wie historischen Wecth späteren Zeiten ein vollendet treues Bild des Dargestellten überliefern werden. So lebendig sie die in sich konzen- trirte, die umgebenden Verhältnisse mit zwingender Kraft sich unter- werfende Energie des Staatsmann:s verkörpern , so sehr verzichten sie in ihrer \{lichten Wahrheit auf jedes äußere Pathos des Ausdruck8 vnd der Bewegung. Keines dieser Bilder aber, in denen der Dar- gestellte den Blick fest und ruhig nach außen richtet, übertrifft an feiner und intimer Beobaclung der Natur ein neueres, jeßt eben in einem Lichtdruck aus dem Fr. BruckEmannscben Atelier im Verlag von Ed. Trewendt in Breslau erscienenes, in Lenbahs gewohnter Weise Tei meisterliter Durcharbeitung des voll beleuhteten Kopfes im Vebrigen breit und s\kizzenhaft hingemaltes Portrait, das den Kanzler in der aufmerksamen Lektüre eines Schriftstückes begriffen und aus- {ließli mit den Gedanken beschäftigt zeigt, die diese in ihm anregt. Im bequemen s{chwarzen Rock mit weißer Halsbinde anf einem hoch- lehnigen Stuhl sivend, hält er mit der Linken die Blätter ziemli nahe zum Auge empor, während die Rechte mit höchst charakteristischer Bewegung sich auf den Schenkel stützt und der Ausdruck des Kopfes die den Inbalt des Gelesenen gespannt verfolgende und {arf durch- dringende Reflexion wiederspiegelt. In jeder Linie der Gestalt pulsirt das volle Leben, das aus Lenbachs Bildnissen athmet; eincs ganz besonderen Interesses aber darf gerade dieses gewiß sein, das, wie kein anderes, den Kanzler in vollster Unabsichtlichkeit der ganzen Haltung ohne jede Beziehung nach außen hin in der geistigen Arbeit zu be- laushen gestattet und mit der originellen Auffassung des glückli M achtelen Moments die größte Kraft und Schärfe der Charakteristik verbindet.

Neben den kürzlih besprochenen neu erworbenen Bildern sind in der unteren Querhalle der Nationalgalerie gegenwärtig die bis- ber fertig gestellten far bigen Reproduktionen von Gemälden der Sammlung ausgestellt, die auf Veranlassung der Direktion in der Kunstanstalt von Ad. O. Troißs in Berlin ausgeführt wurden. Die Erwägung, daß Nachbildungen in Kupferstih und Radirung, in Holz- schnitt und Photographie, so hoch sie theils in Bezug auf künstlerischen Werth, theils in Bezug auf unbedingte Treue der Wiedergabe zu schäßen sind, do in dem Fehlen der Farbe an einem empfindlichen Mangel leiden, hatte der Verwaltung der Nationa lgalerie hon lange den Wunsch nahe gelegt, eine Auswahl der beliebteren Bilder der Sammlung in farbigen Reproduktionen zu veröffentlichen und damit dem unbestreitbar vorhandenen Bedürfniß des Publikums nach der- artigen Blättern zu entsprechen. Die Vervollkommnungen des técnischen Verfahrens, welhe die genannte Kunstanstalt auf dem Gebiet des “otvibg e neuerdings erzielte, ermöglihten den Versu einer auch trengeren künstlerishen Ansprüchen genügenden Verwirklichung jener Absicht, und so wurden zunächst die jeßt vorliegenten Nachbildungen der bekannten Aquarelle der „Chorherren in der Kirche“ von Passini und dreier Oelgemälde, des „Salontyrolers“ von Defregger, der „Kunstkritiker im Stall" von Gebler und der „Herbstlandschaft mit

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ochwild*“ von Kröner, in Angriff genommen. 'Um dem é n einerseits cine bestimmte Theilnahme zu sichern und als andererseits eine wohlfeile Abgobe der Blätter zu ermöglichen, bildete si auf Anregung der Direktion eine „Vereinigung der Kunstfreunde für die amtliden Publikationen der Königlihen Nationalgalerie* deren Mitgliedschaft dur einen jährlihen Beitrag von 20 4 erworben wird und dafür zur Entnahme je eines großen oder zweier kleinen Blätter sowie zum Bezug weiterer Stücke in beliebiger Anzabl zy gleichem Preise berechtigt. Die bisher erschienenen vier Reproduktionen find in einer Bildgröße von dur{s{nittlich 40: 60 Centimetern her gestellt und in leihtgetönte Pafsepartouts von 63 : 83 Centimeter Größe eingelegt. Von den älteren Farbendrucken unterscheiden sie dadur, daß die eigentlihe Bildplatte nit durch Handarbeit, sondern dur den photographiscen Prozeß bergestellt und damit eine unbedingt: treue Wiedergabe der Zeibnung gesichert ist, während die Bereitung und der Druck der E in der längst üblichen Weise erfolgt, Das Verfahren fteht somit in der Mitte zwischen dem älteren Farben- druck und dem erst in jüngster Zeit hervorgetretenen, von den betreffenden Ateliers im Detail der Technik noch möglichst geheim gehaltenen E im strengeren Sinne des Worts, bei dem auch die

arbenplatten auf photographishem Wege gewonnen werden und innerhalb der einzelnen Farben die verschiedenen Abstufungen des Tons sich ohne Weiteres aus dem böheren oder- geringeren Relief der ent« sprechend behandelten Gelatinesbiht ergeben. Scheint leßteres Ver- fahren bei weiterer Ausbildung den bisherigen lithographi]chen Druck allerdings noch merklich überflügeln zu wollen, so stehen die jeßt in der Nationalgalerie vorgeführten Blätter ohne Frage auf der vollen Höhe dessen, was der Farbendruck bis heute zu leisten vermocht hat, Vornehmlich gilt dies von den beiden Blättern nach Passini und Gebler, die mit der Darstellung an sih auch die malerische Wirkung des Originals in vollendet feiner und harmonisher Durbildurg zum Ausdruck bringen. In dem Bilde von Kröner ist bei der dem ver- fleinerten Maßstab entsprehenden Reduktion der Farbenwirkung viel- leiht hier und da eine leichte Härte, in dem von Defregger eine etwas flauere Gesammthaltung zu bemerken, immerhin aber avch hier wie dort ein Resultat erzielt, das über die gewohnte, zum Scaden der ganzen Technik fabrikmäßig ausgenußte und mit Ret als künstlerisch unleidlih zu bezeichnende Reproduktion von Gemälden durch den Farbendruck in jeder Hinsicht weit hinausragt.

Die von dem Apotheker Emil Fischer in dem Hause Kastanien- Allee Nr. 2 auf Grund der Konzession des Ober-Präsidenten vom 14, Mai 1884 eingerichtete Apotheke ist am 30. v. M. nah vor- \{chriftêsmäßiger Revision eröffnet worden.

Der Ober-Präsident der Provinz Brandenburg hat die Kon- zession zur Anlegung einer dritten Apotheke in der Stadt Char- lottenburg dem Apotheker Oscar Nothe zu Remscheid verliehen,

Die Räude, welche bei einem Pferde des Fuhrherrn Kleve, Friedenéstraße Nr. 87 hierselbst, ausgebrochen war, ist erloschen.

Paris, 1. Februar, Abends. (W. T. B.) Laut Meldung aus Constantine sind gestern durch eine Erderschütterung in Msila 8 arabische Häuser zerstört worden, Menschen sind dabei niht ums Leben gekommen.

New-York, 31. Januar. (W. T. B.) In Pittsburg hat cine Gaserylosion stattgefunden, durch welche mehrere Häuser beschädigt und mehrere Personen getödtet oder verwundet wurden,

Im KöniglihenScauspielhausekam am Sonnabend nah längerer Pause die Tragödie „Phädra “zur Aufführung. Für die Darstellung waren die besten Kräfte herangezogen, und so machte denn das groß angelegte dramatische Werk einen abgerundeten, sympathish wirkenden Eindruck, Die markige Gestalt .-des „Theseus“ wurde von Hrn, Berndal würde- und fkraftvoll wiedergegeben. Hr. Ludwig fand als „Hyppolit“ für die Begcisterung und erstickte Leiden schaft warme und ergreifende Töne. In hervorragender Weise machte sih Frl. Schwartz durch die treffliche Charakteristik der „Phädra* verdient. Das heißerglühende und alle Schranken vor niederreißende Herz des göttlihen Ursprungs sich bewußten Weibes enthüllte sih leidenscaftlih in Sprache und Geberden ; einen tiefen Cindruck machte besonders das summe Spiel vor dem Altar im leßten Akt und gab Zeugniß von der hohen Künstlerschaft der Darstellerin. Frl. Meyer gebietet über alle äußeren und inneren Vorzüge, welche zur Verkörperung der lieblihen „Ariadne“ gehören, und gab dem entsprechend eine vollendete Leistung. In den kleineren Rollen trugen die Herren Kahle (Minos), Müller (Pirithous) und Krause (Oberpriester) dur ihr lebensvolles Spiel zum Gelingen der Aufführung bei. Dieselbe fand vor reich beseßtem Hause statt, welches der Darstellung bis zum Sc{luß mit ungetheiltem Interesse folgte. Nach dem zweiten, vierten und fünften Aft wurden die Hauptdarfteller unter reihen Beifallszeichen hervorgerufen.

Im Belle - Alliance - Theater fand der übermüthige Schwank „Hotel Blancmignon“ am gestrigen Sonntage bei auêver- kauftem Hause eine sehr heitere beifällige Aufnahme, an der die vor- trefflihe Darstellung durch die Gäste des Wallner-Theaters einen nicht geringen Antheil hatte.

Hr. Hof-Musikdirektor Bilse wird am Mittwoch, den 4. d, M, im Concerthause ein Klavier- und Orchesterconcert in B-moll von Ferdinand Hummel (einem Mitgliede des Orchesters) zum ersten Malé zur Aufführung bringen. (Pianoforte: Hr. Hirschberg.) Außerdem gelangen noch drei Novitäten zur Aufführung, und zwar: Prozession und Pilgermarsch aus der Oper „Vera“ von Martin Röder, „Siciliano“ nach Bach für Violine und Orchester von Wilhelmy (Violine: Hr. Kneisel) und eine Ouverture zu Schillers „Demetrius von Nheinberger. Das Hauptwerk des Abends bildet Beethovens Serenade D-dur. O

Das ausgewählte Programm und der Zweck der Parade-Gala- Vorstellung, welche Hr. Direktor Ernst Renz am Sonnabend zum Benefiz für Hrn. Franz Renz und dessen Sohn Oscar veranstaltete, hatte die weiten Räume des Circus so gefüllt, daß mancher Kavalier sich mit einer Stehplay begnügen mußte. Die Vorstellung entsprach den hochgespannten Erwartungen aller Freunde des Cirkuss\ports, denn die vorgeführten Pferde, der oftpreußische Vollbluthengst „Gladiator“, den Hr. E. Renz mit jugendlicher Verve in der hohen Schule ritt, der Mohrenshimmelhengst „Emir“, den der Benefiziant das Apportiren gelehrt hat, das Vollblutspringpferd „Hurrah“, welches der junge Oskar Renz die s{chwersten Hindernisse nehmen ließ, der treppensteigende Rapphengst „Hektor“ und sämmtlihe 32 Pferde, welche in dem zum ersten Male aufgeführten hippologishen Pot- pourri mitwickten, gehörten niht nur zu den \{chönsten des Renz-

{hen Marstalls, sondéèrn waren auch ausgezeichnet dressirt. Die mitwirkenden Künstler und Künstlerinnen, die Damen Hoffmann, Bradbury, E. Loyal, Mazella und die Herren

Wells, Bradbury, Godlewski und François wetteiferten mitein- ander mehr denn je, dem Circus Ehre zu machen. Beifall wurde im reisten Maße gespendet, ganz besonders der Familie Renz, und die Theilnahme erlahmte niht, obwohl die Vorstellung erst um 11 Uhr \{loß.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Scholz). Druck: W, Elsner. Sieben Beilagen

(einschließlich 2 Börsen-Beilagen),

und die Besondere Beilage Nr. 1.

Berlin:

(1514)

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

M 2B, Nichtamklicßes.

Preußen. Berlin, 2, Februar. m weiteren Verlaufe der vorgestrigen (39.) Sißung des Reichstages begann das Haus die Berathung der Darlegung über die von der Königlich preußishen und der hamburgishen Regierung auf Grund des §. 28 des Gesetzes gegen die gemeingefähr- lihen Bestrebungen der Sozialdemokratie getro f- fenen Anordnungen.

Der Abg. Singer erklärte, die verbündeten Regierungen hätten, wie die Denkschrift ausführe, die Rechtfertigung der Verhängung des Belagerungszustandes über Berlin, Hamburg und Altona aus der Gesammtlage der sozialdemokratischen Partei herzuleiten gesucht. Nun werde aber selbst der be- geistertste Anhänger der Ausnahmegeseßgebung zugeben, daß die den verbündeten Regierungen eingeräumten Vollmachten ihre Berechtigung aus dem Umstand herleiten müßten, daß in diesen Bezirken Dinge vorhanden seien, welche die Anordnung von #so außerordentlihen Maßregeln erforderlih gemacht hätten. Wenn jeßt also die Verhän- gung des kleinen Belagerungszustandes mit der Hal- tung der sozialdemokratishen Partei hier im Lande und im Ausland gerechtfertigt werde, so mache das auf ihn den Eindruck, als ob die Schwäche des Berichts überhaupt verdeckt werden solle; denn ein innerer Zusammenhang zwischen

dieser Haltung der Partei und jener Maßregel bestehe nicht."

Die Regierung sage ferner, daß das Austreten der Partei unter dem Einfluß des Ausnahmegeseßes eine Mäßigung er- fahren und die Taktik derselben sich verändert habe. Aber wer aufmerksam den Vorgängen in seiner Partei gefolgt sei, müsse das Eine unbedingt zugeben, daß sich bei den Sozial- demokraten nihts geändert habe, weder in der Taktik, noch in dem Programm. Der Abg. von Köller werde sich der Ver- sammlung erinnern, wo derselbe das sozialdemokratische Programm zum Vortrage gebraht habe, und der freu- digen Zustimmung, mit welcher die anwesenden Sozial- demokraten der Vorlesung gefolgt seien. Das würde

ewiß nicht der Fall gewesen sein, wenn sich etwas an dem Boreanun seiner Partei geändert hätte. Geändert habe \sich nur die Stellung der Regierungen und des Reichskanzlers gegenüber der Sozialdemokratie. Man habe einen \{lagen- den Beweis für diese Behauptung in der Rede des Kanzlers gelegentlih des Diätenantrags. Damals habe derselbe von dem berechtigten Kern der Forderungen der Sozialdemokratie gesprochen, der Kanzler habe den Wunsch nach einer Vermeh- rung der Vertreter derselben ausgedrückt, um kennen zu ler- nen, was dieselben zu leisten vermöhten. Diesem Wunsche sei seine Partei nachgekommen. Sie habe. dem Kanzler klar und deutlich auseinandergeseßt, welhe Forderungen sie an das Reih und die Gesellshafst habe. Seien die- selben einmal erfüllt, so werde die Sozialdemokra- tie auf dieser Grundlage weiterbauend bald an- dere, Forderungen zu stellen in der Lage sein. Der Reichs- kanzler habe mit voller Berehtigung und er freue sich dar- Über, daß derselbe es gethan habe erklärt, die Sozialdemo- kraten seien die Urheber seiner Sozialreform. Als er (Redner) aber in einer Berliner Versammlung dasselbe ausgesprochen habe, nämlich, daß die Forderungen der Sozialdemokratie auch in Regierungskreisen als berechtigt anerkannt würden, da sei die Versammlung aufgelöst. Das sei also nur geschehen, weil er es ausgesprochen habe. Der Ausfall der Wahlen gebe ja den besten Beweis für die Wirkungslosigkeit des Sozialistengeseßes

und des über verschiedene Bezirke verhängten flei- nen Belagerungszustandes. Wie die Regierung noch weiter von einer anarchistishen Gruppe der Sogzial- demokratie sprehen könne, sei ihm unfaßbar. Von

9 Siegen, die seine Partei am 28. Oktober gleichß im ersten ÄAnsturm errungen habe, seien 5 auf Belagerungsbezirke gekommen. Es seien dies gewesen : der 4. Berliner Wahl- kreis, Hamburg T und 1L Altona und Leipzig:Land, und im 6, Bezirk von Berlin habe es sich um so wenig Stimmen ge- handelt, daß man auch diesen als im ersten Ansturm erobert bezeihnen könne. Ja, im Bezirke Leipzig-Stadt sei ein Zu- wachs der sozialdemokratischen Stimmen seit 1878 von 5822 auf 967s erfolat. Die Denkschrift spreche ferner von einer anarchistishen Gruppe innerhalb der sozialdemokratischen Partei. Es sei nun ein allgemein anerkannter Grundsaß, es sei niht recht, Rednern andere Motive unterzulegen, als die, welche sie selbst angegeben hätten. Er hätte gewünscht, daß die verbündeten Regierungen diesem Grundsaße gefolgt wären. Wie oft und eindringlich habe seine Partei stets darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokraten mit den Anarchisten gar keinen Zusammenhang hätten. Und selbst wenn man das nicht geglaubt, hätte doch der Herr, der diese Sachen unter sich habe, bei reiflihem Studium anarchistisher Blätter sih davon überzeugen können, daß in diesen Blättern Niemand ärger und heftiger angegriffen werde als die Sozialdemokraten. Auch der Fall Reinsdorf beweise klar, wie unrichtig es sei, von einer anarchistishen Fraktion in der sozialdemokratishen Partei zu sprehen. Er beklage das Vorgehen der Anarchisten eben so tief, wie irgend ein anderer in diesem Hause, und er müsse den Versuch der kon- servativen und nationalliberalen Presse, der Sozialdemokratie die Anarchisten an die Rockschöße zu hängen, entschieden zurücweisen. Es sei vielmehr die so viel gerühmte erziehliche Wirkung der Ausnahmegeseßgebung, welche in diesen anarcisti- shen Unthaten sich darstelle. Gerade die Polizei aber sei es, die den Anarchismus fördere. Jn Zürich, ‘dem Herd des Anarchismus, bediene sich die Polizei ihrer Agenten, um dort Anarchisten zu machen. Das habe eine Gerichtsverhandlung in der Schweiz bewiesen, wo die \{hweizerishen Richter sich von ihrem demokratisch-republi- kanischen Gefühl hätten leiten lassen, denjenigen, der sich in dem Prozeß als der bezahlte preußische Polizeispion entlarvt habe, mit doppeltem Strafmaß zu belegen. Bezahlte Agenten hätten in Zürich provokatorishe Reden gehalten. Zwei andere Subjekte hätten sogar im Auftrage der Polizei für die „Freiheit“ geschrieben. Angesichts der bezahlten Polizeiagenten wolle er sich auf einen Zeugen berufen, der jedenfalls ein klassischer

Berlin, Montag, den 2. Februar

gewesen sei, habe er in Briefen vom 14. August 1852 und vom 25. Januar 1854 recht absprehende Aeußerungen über das Treiben der Polizeiagenten gemacht. Derselbe habe darin bemerkt, daß diese Agenten aus Mangel an Stoff gelogen und auf unverantwortlihe Weise übertrieben hätten. Die Denkschrift behaupte dann, daß bei den Berliner Kommunalwahlen die sozialdemokratishe Partei eine Agitation eingeleitet habe und in Folge dessen die ganze Welt mit einem Net von Arbeiterbezirksvereinen überzogen fei. Därin wolle die Regierung auch einen Grund finden, den Belagerungs- zustand weiter fortbestehen zu lassen. Als Vertreter von Berlin werde er diese Vorgänge etwas näher berühren. Ge- legentlich der Kommunalwahlen von Berlin habe sich in der arbeitenden Bevölkerung die Ansicht Bahn gebrochen, es würde ihrem FJnteresse entsprehen, sich auch an der Wahl der städ- tischen Vertretung zu betbeiligen. Aber etwas Geseßlicheres als diese ganze Bewegung sei kaum denkbar. Daß man nun nach einigen Erfolgen bei den Wahlen meine, auf diesem Boden weitere Erfolge erringen zu können und deswegen eine Vereins- organisation ins Leben gerufen habe, das werde Jeder begreif- lih finden, der da wisse, wie man, um seine Ueberzeugung in größere Massen hineinzutragen, organisiren müsse. Daraus also leite die Regierung die Behauptung her, daß die Begrün- dung der Arbeitervereine eine Aufforderung hätte sein müssen, die Verlängerung des Belagerungszustandes eintreten zu lassen. Es sci das ein Widerspruch, der jeder inneren Be- rehtigung vollkommen entbehre. Dann werde behauptet, die Anarchistenblätter „Freiheit“ und „R?bell“ seien in größeren Mengen hier in Berlin verbreitet. Die „Freiheit“ komme aber noch kaum in 100 Exemplaren nach Deutschland, in Berlin bekomme man sie gar nicht zu sehen. Die einzigen Leser seien vielleicht die Herren von den verschiedenen Polizei- ämtern, welche die Aufgabe hätten, aus der „Freiheit“ etwas herauszustudiren. Und der „Rebell“ gar erscheine seit Jahr und Tag gar niht mehr. Der Bericht berufe sich auf gemeingefährlihe Berliner Sozialistenversammlungen. Es

solle dort u. A. aufgefordert sein, in Kleiderläden zu gehen und sich neue Anzüge zu holen. Wes- halb seien dann diese Leute nicht verhaftet und an-

geklagt worden. Andererseits habe die Berliner Polizei, wie es ihm selbst passirt sei, sozialdemokratishe Versammlungen unter den nichtigsten Vorwänden aufgelöst, unter anderem des- wegen, weil dem überwachenden Polizeibeamten „der Spaß lange genug gedauert“ habe. Das Eigenthümliche sei, daß man demselben Referenten, welchem man in einem Theile des Wahlkreises* eine Versammlung abzuhalten erlaubt habe, dies in einem anderen Theile desselben Wahlkreises verboten habe, vermuthlich, um dem konservativen Kandidaten einigen Vorschub zu leisten. Jn fsozialdemokratischen Versammlungen sei es stets ruhig und anständig zugegangen, in fkonser- vativen Versammlungen sei es dagegen ganz anders. Auf der bekannten Versammlung in Elbing habe der Aufruhrparagraph verlesen werden müssen, der Be- lagerungszustand sei niht verhängt worden, vielleicht weil ein Herr von Puttkamer dabei betheiligt gewesen sei. Auf einer konservativen Berliner Versammlung habe man aufgefordert, en masse in andere Versammlungen zu gehen und ihnen das Vergnügen etwas zu stören. Das sei eine einfahe Aufforderung zum Bürgerkrieg. Dem gegenüber be- trahte man doch die Sozialdemokraten, welche Ruhe in den Versammlungen geherrscht habe und wie sie au gegnerischen Ansichten Gehör geschenkt. Nun sei er noch in der Lage, über die Versammlung zu berichten, auf Grund deren der Stadt- verordnete Ewald ausgewiesen sei, wobei er sih durchaus auf Augen- und Ohrenzeugen stüße. Es habe sich um eine Ver- sammlung gehandelt, in der das Wahlresultat habe proklamirt werden soüen. Es sei erklärlih, daß der Saal bei dem Jnteresse, das seine Partei an allen öffentlichen Dingen nehme, vollständig gefüllt gewesen sei, und es sei Aufgabe der dazu bestellten Ordner gewesen, die polizeilihen Anordnungen zur Durchführung zu bringen. Die Zusammen- stellung des Wahlresultats habe etwas längere Zeit gedauert, und es sei diejenige Unruhe entstanden, die beim Zusammen- strômen von vielen Tausenden ohne Beschäftigung erklärlich sei. Da habe si der in jener Versammlung anwesende Abg. Auer an den überwachenden Beamten mit der Frage gewandt, ob es nicht besser sei, der Versammlung mitzutheilen, daß das Wahlresultat noch nicht festgestellt sei, und sie zur Ruhe auf- zufordern. Der Beamte habe dazu seine Erlaubniß gegeben. Als aber Ag. Auer das Wort zur Geschäftsordnung erhalten habe, um dieje Mittheilung zu machen, da sei die Versamm- lung auf Grund des 8§. 9 des Sozialistengesezes aufgelöst worden. Nun denke man sich die Situation, ein dichtge- drängtes Lokal, eine Unzahl von Leuten in der erklärlihen Er- regung, das Resultat dessen, was sie den Tag über durch- geführt, zu erfahren, eine solhe Versammlung in der Weise provokatorisch aufgelöst da könne man doch do nur den höchsten Grad von Bewunderung über die Mäßigung aus- sprechen, die in jener Versammlung geherrsht habe. Es sei gerade der Stadtverordnete Ewald R der dem über- wachenden Beamten den Ausweg durh die Menge gebahnt habe, es seien die Mitglieder des Bureaus sowohl wie die anwesenden Reichstags-Abgeordneten und der Vorsißzende Ewald gewesen, die den Beamten vor der Mißbilligung geschüßt hätten, die fich in etwas nahdrüdliher Weise habe geltend

machen wollen, und zum Dank dafür, daß der Stadtverord-

nete Ewald seine Person eingeseßt habe, dem Vertreter des

Geseßes und der Ordnung Hülfe zu schaffen, sei er am nächsten

Tage aus Berlin ausgewiejen, weil angeblih in jener Ver-

sammlung ein Angriff gegen die Polizeibeamten gemacht sein

sollte. Das seien Gründe, für die man in Berlin ausgewiesen

werde! Die Arbeiter könnten kein Vertrauen zu einer

Regierung haben, welche in der einen Hand s{chöne Ver-

sprehungen bringe und in der anderen die Geißel eines namen-

loses Elend verbreitenden Ausnahmegeseßes s{chwinge. Erst

mit der vollen Freiheit der Diskussion, mit der vollen Be-

rechtigung, in die Verhältnisse einzugreifen, könne sih das

Vertrauen finden, daß die jozialreformatorischen Vorschläge

der Regierung eines thatsählihen Hintergrundes nicht ent-

sei, Als der Reichskanzler noch Gesandter beim Bundestag

behrten. Sollten also die Zustände, welhe die Denkschrift

1885.

beklage, beseitigt werden, so müsse vor allem das Ausnahme- geseß abgeschafft werden. Mit kurzen Worten möchte er noch des Standpunkts der anderen Parteien Erwähnung thun. Die Verlängerung des Sozialistengeseßes habe doch etwas ge- zeitigt, was in diesem Augenblick nicht unausgesprochen bleiben dürfe. Jene Abkommandirten aus der deutschfreisinnigen Partei seien ebenso für die Zustände verantwortlich zu machen, die sich unter der Herrschaft dieses Geseßes entwickelt hätten, wie die Konservativen und Nationalliberalen, deren begeisterter Zustimmung dieses Gesez sih ja von vornherein erfreut habe. Ersei überzeugt, daß jeder denkende Mensch sich heute mit der Sozialdemokratie abzufinden habe, er wisse, daß jeder denkende Mensch sagen müsse: das, was sie wolle, sei bereh- tigt und müsse eingeführt werden, wenn nicht Zustände sich entwickeln sollten, die alle Parteien gleichmäßig zu beklagen und zu fürchten hätten. Seine Partei habe Anträge zu der vor- liegenden Denkschrift nicht zu stellen, sie wisse, daß die ver- nihtendste Kritik derselben in den thatsählihen Verhältnissen derjenigen Bezirke liege, über die die Maßregel verhängt sei.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Staats-Minister von Puttkamer das Wort:

Meine Herren! Jch knüpfe an eine der Schlußäußerungen des Herrn Vorredners an. Er sagte unter lebhafter Schilderung der Uebelstände, welche seiner Meinung nach die Folgen des von ihm so lebhaft angegriffenen Gesetzes seten, daß seine Partei si die weitere Entwickelung der Verhältnisse auf dem Boden dieses Gesetzes ja sehr gefallen lafsen könne; seiner Meinung nah habe das eigentliche Interesse bei der Beseitigung der Ausnahmemaßregel und bei dem Verzicht auf dieselbe die Regierung. Meine Herren, i stehe diesem Diktum gegenüber gar nicht in einem so diametralen und unversöhn- lichen Gegensaß. Gewiß, die Regierung hat ein Interesse an der Beseitigung dieser Geseße und sie wünst lebhaft die Möglichkeit herbei, auf sie verzichten zu können. Schaffen Sie nur erst, meine Herren, den thatsächlihen Boden für die Möglichkeit eines solchen Verzichtes, dann wird sich der Horizont für Sie in größerem Maße aufklären, wie das bisher mögli gewesen ist._

Ib würde ja nicht in der Lage sein, so tief in die Diskussion hier einzugehen, da ja über die Art und Weise, wie das Ausnahmegeseß so muß ich es ja nennen innerhalb des Deutshen Reihs im Allgemeinen gehandhabt wird, in den Räumen des hohen Hauses \{chon so oft ver- handelt worden, und natürlich eine Verständigung bei der großen Di- vergenz der Standpunkte nicht zu erreichen ift. Inzwischen sind es doch einige der Bemerkungen des Herrn Vorredners, die mi zu einer Antwort nöthigen.

Es handelt sich also darum, daß in der vorliegenden Denkschrift motivirt ist die Nothwendigkeit der Fortdauer niht etwa des So- zialistengeseßes vom 21. Oktober 1879 an fi, sondern derjenigen auf seinem Boden geseßlich ergriffenen Maßregeln, welche der §. 28 an die Hand giebt, also des sogenannten kleinen Belagerungszustandes. Der Herr Redner hat seine Argumentation gegen diese Begründung eigentli in dem Sate konstruirt, daß er sagte: die Regierung darf sich nicht auf die allgemeine Lage der Dinge innerhalb des ganzen Gebiets des Deutschen Reiches zur Motivirung ihrer Maßregel berufen; sondern sie muß nacweiser, daß in den betreffenden Bezirken, die von den Ausnahmemaßregeln des §. 28 getroffen sind und anscheinend einst- weilen noch getroffen bleiben, diese Nothwendigkeit vorliegt. Meine Herren! Die Auffassung is nur mit einer großen Einschränkung zu acceptiren. Wenn überhaupt und darüber streiten wir ja heute noch nicht; wenigstens ih kann das von meinem Standpunkte aus niht acceptiren wenn überhaupt na der Gesammtlage der Verhält- nisse des öffentlichen Lebens in Deutschland die Möglichkeit eines Ver- zihts auf das Geseß vom Oktober 1878 noch nicht gekommen ift, wenn die Regierungen noch der Meinung sind, daß die außerordent- lihen Vollmachten, die durch die Vertreter der Nation in dieser Be- ziehung ihnen in die Hand gelegt worden sind noch nit entbehrt werden können, dann folgt von selbst nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht der Regierungen, zu erwägen, in welchen Haupt- centren sich die Gefahren, um deren Vorbeugung und Beseitigung es si in diesem Gesetze handelt, derart verdihten und in Folge der Größe der Interessen, die zu vertreten sind, vermehren, daß die Noth- wendigkeit der über das gewöhnlihe Maß hinausgehenden Vollmathten, welche §8. 28 an die Hand giebt, noch vorliegt, und dies, meine Herren, ist der ganze Inhalt wenn Sie wollen der Motivirung, welche in der Denkschrift enthalten if. Wir können nicht anerkennen, daß die

besonderen Schußmaßregeln, welche der §. 28 an die Hand giebt, in Berlin und in den Orten, in denen sie überhaupt außerdem noch verhängt sind, bereits entbehrli6 wären.

Der Herr Vorredner hat ferner ein sehr viel gebrauhtes Argument gegen die Geseßgebung, um die es si hier handelt, auch heute wie- der ins Feuer geführt, und glaubt, damit jeden Widerspru gegen seine Ausführung von vorn herein nieders{chlagen zu können. Er sagt: Schon der Ausfall der Wahlen des Jahres 1884 beweist ja mit CGvidenz die völlige Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes. Mit stei- genden Majoritäten werden ich und meine politishen Freunde ge- wählt, die Gesammtziffer der auf uns vereinigten Stimmen steigt ununterbrochen und wird \{ließlich bei den nächsten Wahlen so stet- gen, daß mit unwiderstehliwer Kraft sich die Volksstimme in der Richtung einer Aufhebung des Sozialistengeseßes geltend machen wird. Nun, "meine Herren, ih glaube, daß er sich da im hohen Maße übertriebenen Hoffnungen und Anschauungen hin- giebt, ich darf ihn nur verweisen auf die mir hier vorliegenden Zif- fern, nah denen sih die ungeheuren Fortschritte, die die Sozial- demokratie gemacht haben soll, doch nicht so herausstellen, wie es im ersten Augenblick erscheinen möchte. Es is richtig: die Zahl der Stimmen, welche die Sozialdemokratie im Jahre 1884 auf si{ ver- einigt hat, ift das Marimum dessen, was absolut gerehnet bisher an Stimmen auf sie gefallen ist. Sie hat eine Stimmenzahl von etwa 543 000 erhalten ; aber, meine Herren, im Jahre 1877, also zu einer Zeit, die fast 8 Jahre hinter uns liegt, war die Zahl au \{chon 493 000, fie ist also schr wenig zurückgeblieben hinter dem jeßt erreichten Maximum. Ich spreche niht von der Zahl der Abgeord- neten, sondern nur von der Zahl der für die Sozialdemokratie ab- gegebenen Stimmen. Meine Herren, wenn Sie nun bedenken, daß die Zahl der Wähler in Deutschland seitdem um eine Million zu- genommen hat, so werden Sie nit behaupten können, daß dieser absolute Zuwachs, den ih anerkenne, gleichzeitig einen relativen darstellt, und darauf wird es doch allein ankomm en; mit anderenWorten : es geht aus den Zahlen nicht hervor, daß im Gesammtkörper unserer Nation die Sozialdemokratie eine größere Verbreitung und einen größeren Umfang gewonnen habe, wie das vor den Ausnahmegeseßen gewesen i. Nun wird man mir allerdings einwenden können : Dann hat das Geseß zwar keine Zunahme aber jedenfalls keine Ab- nahme herbeigeführt, dann hat das Geseß mindestens keine Wirkung gehabt, es hat die Sozialdemokratie nicht in ihrer Macht und in threr Kraftentwickelung s{wächen * können. Ja, meine Herter ih habe in dieser Beziehung \chon in früheren

erhandlungen Veranlassung nehmen müfsen, jene Motive

richtig zu stellen, auf welchen überhaupt diese ganze Gesetzgebung

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