1885 / 40 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 16 Feb 1885 18:00:01 GMT) scan diff

teln, welche aus dem Jahre 1882 übernommen waren, während die Futterernte des Jabrcs 1883 selbft sehr gering war.

Bei so ungünstigen Ernteerträgen war es um so empfindlicher, daß dic Getreidepreise im Laufe des ganzen Jahres durchaus gering blieben und keine Ausgleihung boten; sie stellten sich erheblich niedriger als im Jahre 1881, und bis auf die leßten Monate selbft rod niedriger als im Jabre 1882 Besser und günstiger als im Jahre 1881 gestaltete sich das Gesammtergebniß der Viebwirthschaft ; die Viebpreise waren im Allgemeinen befriedigend, wenngleih für Mostvich und für alle Produkte der Shweinezuht gegen Ende des Jahres eine beträchtliche Preiêminderung eintrat Die Produkte der Milcwirthsaft fanden gute Verwertbung. Wenn aber in dem übrigexs so ungünstigen Jahre 1881 die Prosperität der wichtigsten landwirtbscaftlihen Nebengewerbe hervorgehoben werden konnte, fo stand auf diesem Gebiete das Jahr 1883 leider erheblib nach. Die Spiritus- und Stärkeindustrien litten unter der mangelhaften Kar- toffelernte des Jahres*1882, sehr geringen Preisen und ungünstigen Absatverbältnissen, während die Rübenzuckerinduftrie zwar für die (Campagne 1882/83 sehr aünftig absbloß, mit der neuen Campagne aber durch übermäßiges Angebect und dadur bedingte niedrige Preise in eine bedrohliche Lage kam.

Im Rückblick auf das Jahr 1883 bieten sih für die preußisce Landwirthschaft wenig Licbtpunkte, weniger als in einem der Vor- jahre, aber überall war die alte Energie erkennbar, welhe der Un- gunft der Verhältnisse das Möglichste abzuringen sucht und dur alle Zweige der Landwirtbscaft ging ein frischer rüstiger Fortschritt.

_Was die Ernte des Jahres 1883 speziell anbetrifft, so zeigte es denselben ungünstigen Charakter wie die vorigen Jahre. Auf einen ungewöhnlich milden Winter folgte ein lange anhaltender harter Na- winter, welcher- die Frühjabrsbestellung der Felder in unliebsamer Weise verzögerte. In der Hauptvegetationéperiode unserer Feldfrüchte, im Früblinge, fehlte es durdweg an ausfeibenden Niederscblägen, in manchen Gegenden herrs{te vollständiae Dürre und in den Ernte- monaten Iuit und August trat fast überall ein andauerndes Regen- wetter ein, unter dessen Einfluß die Einbringung der Ernte ersbwert und deren Qualität in nachtheiligster Weise beeinträchtigt wurde. Zakblreiche Flußthäler wurden ron Ueberswemmungen betroffen und zum Theil schr erheblic beschädigt. Von dieser Ungunst der Witte- rung wurden faft alle Landeëtheile heimaesucht, am ftärksten die öft- lihen Provinzen, und am wenigsten die Provinzen Hannover und Schleswig- Holftein.

__ Das Gesammtergebniß der Ernte war in Quantität und Qua- lität unbefricdigend und blieb fast noch hinter demjenigen des Jahres 1881 zuüd. Von den Hauptfrüchten gaben nur die Kartoffeln eine befriedigen?e Ernte, währeud Hafer und Gerste besonders gering aus- fielen. Es wurden im Jahre 1883 geerntet: Roggen« Winter- roggen 38 399 033 Doppelcentner Körner (71 165 572 Doppelcenter Stroh), Sommerroggen 587 140 Doppelcentner Körner (1 135 809 Doppelcentner Stroh), ‘durchschnittlih pro Hektar Winterroggen 890 kg Körner (16849 kg Stroh), Sommerroggen 512 kg Körner (978 kg Stroh); Hafer: 21254352 Doppelcentner Körner (29 204642 Doppelcentner Stroh), durchschnittlich pro Hektar 865 kg Körner (1187 kg Stroh); Kartoffeln: 142632 106 Doppelcentner; Weizen: Winterweizer- 11 623 097 Doppelcentner Körner (18 974 581 Doppel- centner Stroh), Sommerweizen- 954 074 Doppelcentner Körner (1 420 185 Doppelcentner Stroh}, durbscchnittlib pro Hektar 1147 kg Körner (1873 ks Stroh); Gerste: Wintergerste 451 108 Doppel- centner Körner (463 968 Doppelcentner Stroh), Sommergerste 9 649 251 Doppelcentner Körner (11 714 881 Doppelcentner Stroh), dur@scniitlich pro Hektar Wintergerste 1450 kg Körner (1491 kg Stroh), Sommergerste 1063 kg Körner (1289 kg Stroh).

__ Die Durwschnittspreise im Jahre 1883 betrugen für 1000 kg: für Wetzen 185 4, für Roggen 147 4, für Gerste 146 4, für Hafer 137 #& Der Zus{uß der Einfuhr, abzüglih der Ausfuhr, betrug im Jahre 1883: Weizen 5611520 Doppelcentner, Roggen 7 649 118 Doppelcentner, Gerste 2386 831 Doppelcentner, Hafer 2 182 537 Doppelcentner.

Die Thierzucht anlangend, so lieferte, wie der Bericht ausführt, das Jahr 1883 im Gegensatz zu dem Vorjahre eine spärlihe Futter- ernte. Der erste Klee- und Heuschnitt blieb hinter den durchschnitt- lien Erträgen zurück Der zweite Schnitt wurde dur die an- dauernde Regenzeit vielfa verdorben, und das Stroh hatte aus der- selben Urfahe an Futterwerth verloren. Auch die Futterrübenernte befriedigte nicht, und die Weiden gewährten in den meisten Landes- theilen eine unzureihene Ernährung. Glücklicherweise hatte jedoch das Jahr 1883 aus dem Vorjahre beträhtliche Vorräthe an Futtermitteln übernommen, und im Spätherbste konnte die ausgiebige Kartoffelernte aushelfen. Die vermehrte Sorgfalt, welche auf die Züchtung und Haltung der landwirtschaftlih nußbaren Thierstämme verwendet wurde, war auch im Jahre 1883 überall erkennbar. Namentlich ift die Errährung der Nuß- und Gespannthiere eine kräftigere und rei@licere geworden und auch die kleinen Besitzer verwendeten darauf cine größere Umsiht. Aus allen Landestheilen wurde cine bedeutende Zunahme in der Verwendung von Kraftfuttermitteln gemeldet. Anderer- seits hatte natürli der ungewöhnlih nasse Sommer des Jahres 1883 ‘einen ungünstigen Einfluß auf die Viehhaltung. Die Thiere litten körper- li unter dem Einfluß des unaufhöclihen Regens und der kalten Witterung, die Wiiden in den Niederungen wurden vielfach durgetre1en und troß der besseren Witterung im Herbste komen die Heerden vielfa in keinem günstigen Futterzustande auf den Stall zurüd. Die Preise hielten sih bis zum Sommcr ho%. Im Herbst wurde alles Mastvich von einer Preisminderung betroffen; die Preise für magére und fette Shweine sankea rapide. Der Gesundheits- zustand der Nußthiere war im Allgemeinen nicht ganz so befriedigend, als in den Vorjahren ; aus vielen Landestheilen wurde eine ungewöhn- liche Verbreitung des Rothlaufs unter den Schweinen gemeldet.

Gewerbe und Handel.

Am Abend des 21. Jazuar d. J. ist zu la Gloire Dieu, Arrondissement Bar fur Seine, Departement Aube, in Frankrei, ein dreifacher Mord verübt, und find von den Verbrechern eine Anzahl Werthpapiere, welche einem der Ermordeten, Namens Delahache, ge- bôrten, geraubt worden. Die gestohlenen Papiere bestanden aus vier englischen Konfols über je tausend Pfund Sterling mit folgenden Nummern: E 20671, E 21889, E 21 890, E 21 891, und aus elf ru\fishen Rententiteln der Anleihe von 1870, welhe nah dem gegenwärtigen Kurse einen Kapitalwerth von zusammen 42 500 Fr. haben, 2142 Fr. Rente ergeben und fol.ende Nummern tragen:

Nr. 77 510, 90434, 95 944, 96 102, 96 108 und 103 105 über je 63 Fr. Rente,

Nr. 4772, 29 236, 43 026 und 73 695 über je 126 Fr. Rente und

Nr. 631 über 1260 Fr. Rente.

Für den Fall, daß diese Papiere in Deutshland in den Verkehr gebracht werden sollten, empfiehlt es si, der nächsten Polizeibehörde Mittheilung zu machen.

Nürnberg. 14. Februar. (Hopfenmarktbericht vor Leopold Held.) In deù letzten drei Tagen dieser Woche wurden bei ciner Zufubr von ca. 500 Ballen gegen 800 Säcke zu gedrückten Preisen verkauft. Eigner sind sehr nahgiebig und fügen sib willig ten Angeboten der Käufer. Ganz {öne Hopfen werden {on Mitte der siebzig abgegeben, wirklie Ausstihwaare kostet dagegen wegen ihrer Seltenheit immer noch 95—100 4 Der Export kaufte in leßter Zeit größere Posten, meistens Markthopfen, zu 50—57

palter, gute Qualität find in den leßten Tagen gefragt gewesen ; für {were Lagen wurde bis 165 K, für Stadt gestern 180 M be- zahlt. Leichte Lagen werden billig ausgeboten. Die Stimmung ist troß der sehr beträchtlihen Verkaufsziffern in Folge des großen Lager-

bestandes fortgeseßt matt.

._ Essen, 16. Februar. (W. T. B.) Nheinisch-west- fälisher Metallmarkt. Eiscnerze sind um 10—20 S per Torne gesunken. Spiegeleisen ift LOIa vom Auslande gefragt, Preise verhältnißmäßig fes. Puddeleisen ist wenig gefragt. Stab- eisen ohne Aenderung. Grobblehe noch immer gedrückt. Feinblecbe

etwas lebhafter gefragt, Preise troßdem noch weichend. Walzdraht

wenig gefragt. Wagagonfabriken haben dur die leßten Submissionen wieder einige Beschäftigung.

Dresden, 15. Februar. (W,. T. B.) Der Verwaltungsrath der Sächsischen Bank En in seiner heutigen Sißung, der auf den 23. März einzuberufenden Generalversammlung für 1884 cine

Dividende von 549/56 vorzuschlagcn. “ebr: î Die gestern beendete

London, 14. Februar. (W. T. B.) Wollauktion {loß zu Eröffnungspreisen.

Glasgow, 14. Februar. (W. T. B.) Die Vorräthe von Robeisen in den Stores belaufen sich auf 583 500 Tons, gegen 592 700 Tons im vorigen Jahre. Zas der im Betrieb befindlichen Howöfen 92, gegen 90 im vorigen Jahre.

New-York, 14. Februar. (W. T. B.) Der Werth der Waareneinfuhr in der vergangenen Woche betrug 6 344 000 Dol- lars, davon 2 187 000 Dollars für Neuheiten und Leinenwaaren.

Verkehrs-Anstalten.

Die Handelskammer zu Frankfurt a. M. hatte an den Minister der öffentlichen Arbeiten eine ausfühclide Denkschrift, be- züglich der Verhandlungen zwiscben den preußishen Staatsbahnen mit der bhessishen Ludwigsbahn gerichtet, in welcher sie verschiedene Anträge und Bitten in Bezug auf VerFehrserleihterungen vortrug. Auf diese Eingabe hat die Handelskammer folgende Ver - fügung erhalten:

Berlin, den 4. Februar 1885. Der von der Handelskammer in der Denkschrift vcm 4. Dezember v. I. gestellte Antrag, es möge diefseits auch weiterhin dafür gewirkt werden, daß die Gewährung geheimer Frachtrabatte in den inneren und auswärtigen Verkehren gänzlich aufhöre, steht in so rölligem Einklange mit“ den Grund- säßen der preußisden Staatseisenbahnverwaltung, daß es der Zusicherung, es werde hiernaÞ auch in Zukunft verfahren werden, nit bedürfen wird. Nicht minder wolle die Handelskammer ver- trauen, daß den Interessen des Frankfurter Handels diesseits auch ferner jede thunliche Förderung werde zugewandt werden; insbesondere bildet die vermehrte Berücksichtigung der Frankfurter Interessen einen wesentlichen Gegenstand der gegenwärtig s{chwebenden Ver- handlungen mit der Verwaltung der Hessishen Ludwigsbahn, wobei die Staa!sbahnverwaltung gern darauf Bedacht nehmen wird, jede Schädigung, welche aus einer Aufhebung oder Erhöhung direkter Frachtsäße entftehen könnte, fo viel an ihr liegt, von dem Frank- furter Handel fernzuhalten. Db es angezeigt sein wird, der ge- nannten Privathahn die Einrichtung einer Vertretung ihrer Ver- waltung in Frankfurt, wie diese dortseit1s bezeichnet ift, aufzugeben, unterliegt noch der Erwägung.

Der Minifter der öffenilihen Arbeiten. Maybach.

Bremen, 14. Februar. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Ems“ ist beute früh in New-York ein-

getroffen.

16. Februar. (W. T. B.) Dcr Dampfer des Nord- deutschen Lloyd „Salier * ist gestern Vormittag 9 Uhr in New- York angekommen. j

Hamburg, 14. Februar. (W. T. B.) Der Postdampfer „Rhenania“ der Hamburg-Amerikanishen Packetfahrt- Aktiengesellschaf\t is, von Hamkurg kommend, heute in St. Thomas eingetroffen.

15. Februar. (W. T. B.) Der Postdampfer „Thuringia“ der Hambueg- AMLFan fen Dad etfabrb Rktiengefell- \chaft hat, von Westindien kommend, heute Lizard passirt.

Sanitäts8wesen und Quarantänewesfen.

Griechenland.

Laut telegraphischer Meldung aus Athen werden nunmehr auch die Provenienzen aus Italien, Frankreih und Algerien zum freien Verkehr wieder zugelasscn. Somit sind sämmtliche für Geiechenland er Zeit ergangenen Qüarantänemaßregeln außer Kraft gesetzt worden.

Berlin, 16. Februar 1885.

“Verein für“ Geswichte der Mark- Bränhenburg. Sitzung vom 11. Februar 1885. Hr. Steffens vom Kaiserlichen Statiftishen Amt hatte dem Verein zwet Silbermünzen übersandt, welche zu einem größeren bei Schollehne in der Nähe von Rathenow ausgegrabenen Funde gehören; dieselben wurden von dem Schul- vorsteher Budcziès éntziffert und als Denare erkannt, dec eine von OVtto dem Bayern, der andere von einem luxemburgischen Markgrafen geprägt. Graf ¿zur Lippe machte auf die seltene Korrektheit auf- mertfsam, mit welcher die von Fried1ih Wilhelm IV. veranlaßte Aus- gabe der Oeuvres des großen Königs gedruckt ift ; der Sorgfalt des Herausgebers Preuß und des Hofbuchdruckers R. v. Deer, der selbst die Korrektur gelesen, vcrdankt man «8s, daß in den sämmt- lichen Bänden bisher nur zwci Druckfehler gefunden worden sind. Hr. Dr. Krausfe verfolgte die Anfänge diplomatischer Vertretung des brandenburgis-preußishen Staates bei auswärtigen Mächten. Wäh- rend regelmäßige Gesandtschaften der italieniscen Regierungen {hon im 15, Jahrhundert nahweisbar sind, hatte man bisher angenommen, daß Brandeaburg -feine Geschäfte im Auslande bis tief in das 17. Jahrhundert nur durch gelegentlich Beauftragte habe wahrnehmen lassen. Im Geacnsaße dazu bewies der Vortragende aus den Akten des Geheimen Staatsarchivs, daß Brandenburg-Preußen eine ständige Vertretung durch Ambassadeurs oder Residenten gehabt hat in Warschau seit 1594, in Wien seit 1609, bei den Generalstaaten seit 1618, in S{bweden seit 1631, in Frankreich seit 1646, in Danzig seit dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, in Brüssel seit 1634, in der Türkei seit 1761, in Madrid seit 1774, in Turin seit 1778, mit einigen Unterbre{chun- gen in England seit 1625 und in Rußland seit 1657. Aus den ge- naueren Nachweisungen geht hervor, daß der große Kurfürst in der Regel Residenten und nur ausnahmsweise Ambassadeurs an den frem- den Höfen beglaubigte und daß er diese Stellungen auffallend vielen Bürgerlichen anvertraute. Professor Schottmüller fügte diesem Vortrage eine Reihe von Mitthetlungen aus den Flägschriften des 17, Jahrhunderts hinzu. Major Schnackenburg las ein als Flug- blatt ¡gedrucktes Gedicht vor, in welchem ein Lieutenant von S. des Dragoner-Regiments von Normann Friedri {den Großen um Ersatz seiner Equipirung bittet, die er, bei Lowosiß verwundet und gefangen, eingebüßt hat. Professor Koser nahm daraus Veranlassung, auf die wirthscbaftliden Verbältnisse der preußishen Offiziere während der drei \{lesishen Kriege näher einzugehen.

Der Verein zur Förderung der Moorkultur im Deutschen Reiche trat heute hierselbst im großen Saale des Hotel de Rome unter Vorsiß des Rittergutsbesißers Pogge-Blankenhof zur diesjährigen Generalversammlung zusammen. Dem vom Geschäfts- führer, Dozenten Dx. Grahl vorgelegten Jahresberibt war zu ent- nehmen, daß der Verein, getragen von der eifrigen Thätigkeit sowie dem steigenden Interesse der Mitglieder und gehoben durch das Wohlwollen und die werkthätige Antheilrahme der Be- hörden, auch im abgelaufenen zweiten Jahre des Bestehens im ‘Innern und nach Außen hin erfreulihe Fortschritte gemact hat. Der Verein konstituirte sih am 17. Februar 1883 mit §2 Mit- gliedern, zählte am S@&luß desselben Jahres 150, am Schluß von 1884 332 Mitglieder und umfaßt deren heute 351. Davon gehören an: der Provinz Brandenburg 115, Ostpreußen 53, Pommern 46, Sacsen 35, Posen 22, Mecklenburg 19, Hannover 10. Aus dem Aus- lande find 3 Mitglieder dem Verein beigetreten. Demselben gehören ferner als Mitglieder an: sechs preußishe Regierungen, ebensoviel preußische Provinzialverbände, das badishe Ministerium des Innern, die Königliche Centralstelle für Württemberg, das Mecklenburgische Minifterium des Innern und das Kreis-Comité des landwirthschaft- lichen Vereins für Oberbayern. Jn Bezug auf die Ursachen, welche zur weiteren Verbreitung des Vereins und seiner Thätigkeit wirkten,

ift zunächst der regen und fördernden Thätigkeit der Moor-

station zu gedenken; wesentlich agitatorisch trugen au diecriuht- führten Kulturarbeiten und deren günstige Resultate e Die mit der vorigen Generalversammlung verbundene Aus- stellung von Feldeisenbahnen hat entscieden vielseitig gute Fol gehabt, nit nur durch eine weitere Verbreitung dieses widtice Hülfsmittels der landwirthshaftliben Produktion, sondern insbesontore auch dadur, daß die Fabrikanten die Anregung zu Verbesserun erhielten. Der Sommer führte den Verein in Ostpreußen zusammen. ie hier gebotene persönlie Einsicht in die Erfolge führte der Moorkultur besonders viele neue Freunde zu. Der gemeinsame Bezug von Kainit hat be- deutende Dimensionen angenommen. Der große Absatz hat die Kaini

zu einer im Interesse der gesammten Landwirthschaft erwünsten Ex, mäßigung des Preises veranlaßt, Der vom Dr. von Canstein vor- gelegte Kassenberidt wies, ein\s{ließlich 1099 (4 Bestand, 4831,70 M Einnahme und 3832,42 A Ausgabe auf. 2628 4 kostete allein das Vereinsblatt. Der Bestand hat \ich in Folge dessen auf 999 reduzirt, Die sonftigen Punkte der Tagesordnung betrafen die Berathung über eine für das Jahr 1886 geplante Moorkultur-Ausftellung und Vorträge über Hopfenanlage und -Kultur mit besonderer Berück- sihtigung des Moorbodens sowie über Anlage und Unterhaltung von Wiesen auf Moorboden. Von Seiten des preußischen Ministeriums für Landwirthschaft war der Geheime Rath Thiel, von Seiten der medcklenburgishen Regierung der Geheime Rath Dr. Schmidt zur Theilnahme an den Verhandlungen deputirt worden.

Der Verein „Frauenheim“, dessen Zweck es ist, alleinstehe Frauen eine threr gesellshaftliden Stellung entsprechende Wobnsigen mit allen zur Wahrung der Sittlichkeit und des häuslicen Behagens wünschenswerthen Einrichtungen miethweise zu gewähren, hielt am gestrigen Sonntag unter Vorsiß des Justiz-Raths Frentel seine 10, Jahresversammlung ab. Dem hier erstatteten Bericht nach war das verflossene Jahr für den Verein ein solches friedlichen und rubigen Weiterbestehens. Die Zahl der Mitglieder hat eine wesentliche Aenderung nit erfahren: es standen dem Verein im leßten Jahre 115 Mitglieder, darunter 42 ständige, zur Seite ; die Beiträge derselben beliefen sich auf 1025 & Das in Groß-Lichterfelde, in der Lankwißstraße belegene Anstaltsgebäude, welches 14 Wohnungen enthält, war das ganze Jahr hindurch voll beseßt und brachte 1458,50 Miethserträgniß, Zur gemeinsamen Benußung der in der Anstalt wohnenden Damen stehen ein Speisesaal, die mit Zeitschriften aller Art autgestattete Bibliothe? und ein mit Lauben versehener Garten. Die Gesammt- organisation des Hauses hat sich aub im verflossenen Jahre gut be- währt. Die Einnahme des Vereins belief sih insgesammt, einshließ- lid 4456 4 Saldovortrag und 1000 #4 _eingezahlter Leibrente, auf 8182 M, die Ausgabe auf 2948 f, so daß ein Bestand von 5234 verblieb. Das Vermözen des Vereins hat eine Höhe von 20516 A

New-York, 15. Februar. (W. T. B.) Dur eineSchnee- lawine sollen drei Viertel der Stadt Utah zerstört worden und 16 Personen ums Leben gekommen sein.

Im Königlichen Opernhause wurde am Sonnabend „Die Hoczeit des Figaro“ mit Neubeseßzung der Rollen der „Su- sanne“ und des „Cherubin“ in mustergültiger Weise aufgeführt. Die liebenéwürdige Musik zum „Figaro“ bewährt stets von Neuem ihre zau- berishe Kraft über die Seelen und jenen Reiz der Frische und Ursprüng- lichkeit, der nur jüngeren Werken eigen zu sein pflegt. Die Hörer stan- den wieder sihtlich unter dem Banne der gefühls- warmen und herzbewezenden Melodien. Faft jede größere Num- mer brate den wirkenden Künstlern warmen und wiederholten Beifall. Die Partie der „Susanne“, welche durch Frl. Leisinger neu kreirt wurde, reihte sich würdig den Leistungen der altbewährten Darsteller an. Wenn die Lebhaftigkeit und Schalkhaftigkeit der Susanne vorgestern oft nur äußerlich zu Tage trat, so wird die talentvolle Künstlerin unfehlbar bei mehrfachen Wiederholungek später die frische Laune und den Uebermuth vollständig und als ein Stück des eigenen Wesens zum Ausdruck bringen. Der Vortrag war gefällig und korrekt und, abgesehen von einer zuweilen hervortretenden Schärfe der Stimme beim Hervorbringen kräftiger hoher Töne, von sympathbischem, vollen Klang. Das Briefduett, (mit Fr. Sacse- Hofmeister) war von dur{chs{lagender Wirkung und mußte wiederholt werden ; ebenso zündend wirkte die Arie im leßten Akt: „O säume länger nit, geliebte Seele!" Als „Cherubin*“ trat Frl, Hosmann zum erften Male auf ; sie führte statt der nochþ mangelnden Routine des Spiels ihre jugendliche Frische und ihre weiche volle Stimme ins Feld, sodaß eine anmuthige Wirkung niht ausblieb. Bei größerer geistiger Durchdringung des Tores und Beseelung des Vor- trags hâtte die Leistung allerdings kräftigere Anregungen bieten können. Daß Fr. Sachse-Hofmeister eine klassisbe „Gräfin“ war, braudt bei der allgemeinen Anerkennung ihres hohen Talents nit besonders hervorgehoben werden. Ebenso rühmlich bekannt sind die vorzüglichen Leistungen der Hrn. Bet (Graf) und Krolop (Figaro). Auch Hr. Liban erntete in der Rolle des „Basilio“ dur den lebendigen Vortrag der Arie: „Jn den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht“ reihen Beifall; diesem Künstler kommt bei seiner hellen und klaren Stimme die sehr deutlihe Aussprache und das ge- wandte Spiel so zu Statten, daß er die angestrebte Wirkung nicht leiht verfehlen wird.

Die Parade-Gala-Vorstellung, welhe am Sonnabend zum Benefiz für die Familie Hager im Circus Renz stattgefunden hat, nahm einen glänzenden, erfolgreihen Verlauf und truz dem be- rühmten Sculreiter und seinem, ihres Erzeugers würdigen , für den edlen Reitsport niht minder begabten Nahwuchs vielen und reilih verdienten Beifall ein. Hr. Hager, Vater, excellirte namentli mit der erst- maligen Vorführung eines prächtigen ostpreußischen Fuchshengstes, der dén für die Schwierigkeit seiner Schulung bezeichnenden Namen „Galgen- strick* erhalten hat Der Benefiziat ritt das \{öne Thier mit der gewohnten Elegarz in allen Gangarten dcr hohen Schule und fand bei allen Kennern der Pferdedressur die höchste Bewunderung und lauteste Anerkennung. Auch die von ihm wit den Schulpferden „Ingomar“ und „Johanniter“, zwei prachtvollen Rappen, erittene Fabrshule brachte ihm vielen Applaus ein. Hr,

tto Hager, Sohn, debütirte sehr glücklich mit der Vorführung eines von ihm dreffirten, neuen edlen arabishen Schimmelhengstes „De- metrius“, während die anmuthige Tochter des Benefiziaten, Frl. Clotilde Hager, hintereinander zwei, ebenfalls neue Pferde in die Arena brachte, rämlich die Vollblutfuhshengste „Beautiful“ und „Blaver Ritter“, Die kleine zierliche Dame entwickelte wieder, troß ihrer zarten Jugend, fo viel Kraft, Eleganz und Grazie, na- mentlih bei den Lançaden und s\pätev auf dem Vollblut-Springpferde „Cobham“ im Nehmen der höchsten Hindernisse und eines weiten künstliden Grabens, daß man der jeßt {on allgemein be- liebten Schulreiterin noch eine glänzende Zukunft prophezeihen, darf. Alle drei Glieder der Familie wurden mit Kranz- und Blume spenden reihlich belohnt, öfter hervorgeklatscht und von dem gedrängt vollen Hause mit Beifall übershüttet. Auch ‘im Uebrigen war das Programm ein sehr mannigfaltiges und unterhaltende®. Wir nennen nur die glänzende, von 16 Damen gerittene Quadrille am Anfang, die Produktionen der Damen Loyal und Re- gina, des Hrn. Wells, der musikfalishen Clowns, Gebrüder Dianta, der anmuthigen Miß Mazella mit ihren Tauben und endli die unverwüstlihe Pantomime „Die lustigen Heidelberger“, welche noch allabendlih die größte Heiterkeit erregt.

Redacteur: Riedel. Berlin:

Verlag der Expedition (Schol1). Druck: W. Elsner. Sechs Beilagen i

(einschließlich Börsen-Beilage). (2254)

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Nx 40.

Nichkamfklicßes.

Preußen. Berlin, 16. Februar. T5n der vor- estrigen (49.) Sißung des Reichstages begann das 4 us die zweite Berathung des Geseßentwurfs, beireffend die Äbänderung des Zolltarifgesetes vom 15. Juli 1879, und zwar mit 8. 2 Nr. 5 der Vorlage (Kornzölle).

Der Abg. Richter (Hagen) beantragte, zunächst über die Punkte a und b (Weizen und Roggen) die Diskussion zu er- óffnen, die in den eingegangenen Anträgen enthaltenen Be- merlungen aber gefondert zu diskutiren.

Das Haus {loß sich diesem Antrage an.

Weizen und Roggen, Zoll bisher 1 4 pro Doppelcentner, nah der Vorlage für Weizen 3 H, für Roggen 2 A, nach den Anträgen der freien wirthschaftlihen Vereinigung, “von Dr, Frhr. von Schorlemer-Al| und Genossen für beide Ge-

idesorten 3 H niet A Abg. Dr. Delbrü beantragte, im Fall der Ablehnung des Roggenzolles von 3 H eine Erhöhung des Weizenzolles

t E bent sind zwei Anmerkungen zu Nr.-9 resp. 5b der Nr. 9 eingegangen, über die selbständig nah der Beschluß- fassung über die Getreidezölle verhandelt werden soll: 1) von dem Abg. Broemel : bei 5b (Roggen, Hafer 2c.) einzufügen : Anmerkung: Die Erhöhung des Roggenzolls tritt nah Ablauf des deutsh- spanischen Handelsvertrages vom 9. August 1883 in

raft, A x 9) von dem Abg. Racke: der Nr. 9 folgende Anmerkung hinzuzufügen: / i Der Bundesrath ist befugt, die sub a—f (alle Getreidesorten, Raps und Rübsaat, Mais und Malz umfassend) aufgeführten Zoll- säße im Falle einer Theuerung entsprechend zu ermäßigen, eventuell vollständig außer Kraft zu seßen.

Der Abg. Broemel berichtete über die betr. Petitionen, Der Petitionskommission sei es nit möglih gewesen, die große Zahl von Eingaben für Erhöhung des Getreidezolls, die ihr gleich nah Eröffnung der Session zugegangen seien, nach den einzelnen Wünschen der Petenten zu scheiden. Während sie mit ihrer Prüfung beschäftigt gewesen sei, sei der vor- liegende Geseßentwurf an das Haus gekommen, und die Kom- mission habe deshalb am 4. d. M. beschlossen, die Berathung über alle auf den Zolltarif bezüglichen Petitionen auszuseßen, bis das Haus selbst entschieden habe, ob die weitere Berathung über die einzelnen Positionen der Vorlage im Plenum oder in einer Spezialkommission zu erfolgen habe. Jnzwischen habe die erste Berathung im Plenum stattgefunden, die Getreidezölle seien niht an eine Kommission ver- wiesen, und gestern ihre zweite Berathung auf die heutige Tagesordnung geseßt. Die Petitionskommission sei in Folge dessen heute früh zusammengetreten und habe ihn beauftragt, sch mit einem kurzen Berichte über die bis gestern einge- gangenen Petitionen für und gegen die Erhöhung der Getreide- ¡ôlle zu äußern, der nur den Werth einer Skizze und eines Vorläufers für einen späteren umfassenden Bericht haben solle. Die Vorschläge der Petenten betreffs des Weizens erstreckten sh auf 3, 4, 5, 6 #, ein einzelner Vorshlag aus mehreren Ortschaften gehe auf 12 # Die Vorschläge betreffs des Roggens lauteten auf 3 und 4 M, die für Rübsaat auf 3, 4, 6 6, für Malz auf 4, 5, 6 #( Daneben würden noh weitere Wünsche laut in Bezug auf Produkte des Landbaues wie der Viehzuht , darunter auch auf Er- zeugnisse, welche im Fnland überhaupt nicht produzirt würden, wie Baumwolle und Jute. Jm Ganzen seien bis gestern für Erhöhung der Getreidezölle 637 Petitionen eingegangen, davon 321 aus landwirthschaftlihen Kreisen,- 286 von Gemeinde- auss{hüssen und Gemeindevorständen und 30 von größeren landwirthschaftlihen Centraldereinen ; aus Städten sei, so weit die Uebersicht erkennen lasse, nit eine Petition für Erhöhung der Zölle eingelaufen. Gegen die Erhöhung seien 124 Petitionen ein- gegangen, davon 85 aus landwirthschastlihen Kreisen, 9 von städti- hen Behörden und 30 von Handelskammern und Handelsvorstän- den, Die Summe der Unterschriften für Erhöhung betrage 89715, gegen Erhöhung 60 192. Die Kommission schlage vor, sämmt- lihe bisher eingegangenen Petitionen dur die über die Vor- lage zu fassenden Beschlüsse für erledigt zu erklären. i

Der Abg. Rae erklärte, mit statistishem Material wolle er dem Hause nicht kommen; Zahlen bewiesen Nichts dder bewiesen Alles, je nahdem die Vorausseßungen, auf die sie sich gründen, richtig oder falsch seien. Er sei weder ein enragirter Freihändler, noch ein enragirter Schußzöllner; die persönlichen, materiellen Jnteressen würden und müßten stets au in der Politik eine Rolle spielen ; aber es komme darauf an, daß dies in der richtigen Grenze geshehe; und diese Grenzen seien durch die nothwendig zu wahrende Solidarität aler Jnteressen vorgezeihnet. Gegen dies leßtere Hauptprinzip schienen sih die beiden großen wirthschaftlichen Otrömungen der jeßigen Zeit citfad zu versündigen ; insbesondere geschehe - das Seitens des liberalen Man-

isterthums und der Sozialdemokratie, welhe beide von demselben Boden des Jndividualismus ausgegangen und nur in ihren Aeußerungen verschieden seien, da die Manchester- männer als beati possidentes die heutigen fozialen Zustände ethalten wollten, die Sozialdemokraten aber einen Kampf ler gegen Alle wünschten. Auch er sei bestens bestrebt, die vielfah traurigen sozialen und wirthschaftlihen Verhältnisse u vessern ; aber nur in der Weise, daß die Gegensäße nicht noch mehr verschärft würden. Bei diesen ernsten Fragen solle man in der That alle gehässigen Auseinanderseßungen ver- meiden, damit nicht noch neuer Zündstoff in die Massen \nausgetragen werde. Auch“ in den leßten Debatten ütte er gern alle scharfen Ausdrücke vermißt und bedaure besonders, daß das Wort gefallen sei, Korn- pt sei Blutzol. Wenn alle ehrlihen Bestrebungen nach esserung der sozialen Zustände bisher so wenig Erfolg

gedabt hätten, so liege dies namentlich an dem Mangel vensfähiger Organisationen zur Vertretung der Solidarität

t Jnteressen gegenüber dem überall hervortretenden zer-

sörenden Element des Egoismus ; des Egoismus, an welchen uh die lezten Debatten leider mehrfah Anklänge gezeigt hätten, Man müßte nun niht sagen: Schußzoll- oder Freî-

Berlin, Montag, den 16. Februar

handels-Prinziv seien allein richtig; vielmehr werde man je nah der Verschiedenheit der Zeit bald dem einen, bald dem anderen Prinziv folgen müssen. Das Richtige sei: auf den verschiedenen Zweigen des wirthschaftlihen Lebens die Nation möglichst selbständig zu machen. Lediglih in dieser Richtung wünsche er auch, daß die Agrarpolitik in Deutschland getrieben werde. Die Ernte des Jahres 1884 sei reihlich, troßdem sei der Bauer allerwärts in Noth; in Rußland und Amerika lagerten noch enorme Getreidemassen, die auf den Export warteten, die Ueber- produktion nehme ftetig zu. Da ergebe sich natürlich die Noth- wendigkeit eines mäßigen, aber ausreihenden Schußzolls für ländlihe Produïfie, wenn man nit den historisch gewordenen Bauernstand zu Grunde gehen lassen wolle. Er betrachte die- sen Schußzoll nit als Staatshülfe für den Bauern, sondern nur als Ausgleihsmittel, um die ländlichen Erwerbszweige ebenso günstig zu stellen, wie die übrigen. Niemand wünsche sich wohl weniger die Staatshülfe als der deutshe Bauer; Niemand habe mehr als der Bauer Selbstgefühl und das Streben, ohne fremde Hülfe selbständig zu bleiben. Deshalb rede die Linke doch nicht immer von Staatshülfe bei diesem Schutßzoll ; die Linke habe dazu um so weniger ein Recht, als er (Redner) noch niemals bei ihr ein Sträuben gefunden habe, wenn z. B. einé Aktiengesellschaft unter Staatsgarantie gestellt werden solle. Die Sozialdemokraten, die ein Arbeitershuß- gesch eingebraht hätten und immer die FFnteressen des Arbeiter- standes vertreten wollten, müßten in erster Linie sür diese Zölle stimmen, düurch welche die Láge Tausender von länd- lichen Arbeitern erträglicher gemacht werden solle. Mit welcher Vorsicht er in dieser Frage zu Werke gehe, wie sehr er wünsche, daß diescr Zoll nicht ein bloßer Finanzzoll sei, sehe man aus seinem Vorschlag, den er nacher anzunehmen bitte und wo- nah im Falle von Theuerungen die Regierungen befugt scin sollten, Ermäßigung oder Aufhebung der Getreidezölle ein- treten zu laßen. Auch - wünsche er niht, daß über dieser Zollpolitik “andere Gebiete, die noch wichtiger für die heimishen Gewerbe und besonders füc die Landwirthschaft seien, vernachlässigt würden. Dahin rene erx namentlich die Anbahnung einer gesunden Tarif- potitik; die energi:che Fortseßung der Flußkorrekturen, den Aushau des Kanalneßes. Bei der Abstimmung würde er für den Regierungsvorschlag eintreten , weil darin der von Natur zwischen Weizen und Roggen vorhandene Unterschied Ausdbruck gefunden habe, und weil er sih auf das Minimum bezüglich der Höhe des Zolles bes{chränken wolle. Í Der Abg. Flügge bemerkte, er erkenne noch heute seine Auslassungen vom Jahre 1879 als vollkommen richtig an. Er stehe in der rein volkswirthschaftlihen Auffassung der Frage allerdings noch auf demselben Standpunkt. Die Frage selbst stehe aber nicht mehr auf demselben Standpunkt und müsse deshalb unter einem anderen Gesichtswinkel betrachtet werden. Es gebe Zeiten, wo das wirthschaftlihe Leben sich auf dem Boden der freien menschlihen Gesellschast entwicele. Da sei die Frage einfa, auf welhem Wege werde das Wohlbefinden der einzelnen Menschen gefördert, und ebenso einfa sei die Antwort: durch den freien wirthschaftlichen Ver- kehr. Wenn aber hohe politishe Ereignisse stattgefunden hätten, wenn nur staatlihe Gebilde entstanden seien, dann trete an die Stelle des einzelnen wirthshaftlihen Fndividuums die kollektive Einhéit des Staates. Es frage sich dann, welches seien die produktiven Kräfte dieser Einheit und wie könnten sie gestärkt werden? Daß bei einer solhen Umwälzung, wie der Reichskanzler gesagt habe, Spähne fielen, baß für eine niht unerheblihe Zahl von Existenzen Schaden entstehe, könne er am wenigsten leugnen. Ein solher Umschwung trete mit elementarer Gewalt auf und jei unaufhaltsam, sie sei namentlich mächtig, wenn sie von einem solchen Manne, wie der Reichskanzler sei, gestüßt werde. Durch Argumente werde eine solhe Rihtung, unter der alle civilisirten Staaten ständen, ebenso wenig zurüägedrängt, wie die Argumente der Friedensliga den Krieg aus der Welt \chafften. Am wenigslen werde man glauben können, den Reichskanzler, einen Mann von so shöpferischer, starker Natur, dur Argumente zu bekehren. Dagegen habe der Reichskanzler ein offenes und sehr feines Ohr für die Sprache der Thatsachen, und wenn es sih zeigen sollte, daß der Schußzoll {ädlich wirke, dann werde der Kanzler mit derselben kurzen Ent- \{lossenheit auch wieder die Pforten des freien wirthschaft- lihen Verkehrs si öffnen lassen, Wenn ihn sein Ohr nicht täusche, höre er auch schon die Pendelshwingungen der scußzöllnerishen Bewegung sich etwas verlangsamen. L die Vorlage betreffe, fo hätten die Motive das fiskalische Gesicht ganz abgelegt und Lediglih die s{hußzöllnerishe Seite herausgekehrt. Das gefalle ihm. Er bedauere aber, daß die Courage der Motive niht auch in den Tarif übergegangen sei. Der Tarif sei für einen wirksamen Schußzoll viel zu \chwach. Jm Jahre 1879 habe er bemerkt, daß die Land- wirthschaft bei dem Schußzoll zu kurz gekommen sei. Die Zölle seien so niedrig bemessen gewesen, daß sie nur dazu ge- dient hätten, niht blos den Handel, sondern auch die Pro- duktion zu benachtheiligen und hätten ihren Zweck nicht er- füllt, der deutshen Produktion den deutschen Markt zu sichern. Was man im Norden und Osten überproduzire, sollte im Westen und Süden gegessen werden, aber das Getreide komme aus Amerika billiger dahin als Deut)\hland es liefern könne. Es bleibe also für Deutschland nur das Mittel, diese Differenz durch den Schußzoll auszugleihen. An den Nothstand der Landwirthschaft glaube der Abg. NRickert freilich nicht, derselbe wolle, daß déx Landwirth aus seinen Büchern den Beweis liefere, daß: er mit Schaden wirthschafte. Er (Redner) sei nun seinerseits bereit, buchmäßig nahzuweisen, daß eine stetige Progression in dem Mißverhältniß zwishen den Brutto- und Nettoeinnahmen durch fortwährende Steigerung der Löhne und Betriebskosten und durch das Sinken der Preise statt- gefunden habe. Welche weitere Wellen ein Ruin der Land- wirthschaft ziehen und lchlagen würde, davon könne man sich gar keinen Begriff machen. Er wolle die Ziffer der Millionen nicht aussprechen, die in der Landwirthschaft steten und es wäre eine Staatskalamität ersten Ranges, wenn die Pfandbriefe zu sinken anfingen. Der Abg. Rickert wolle keine Ausnahme- stellung für die Landwirthschast. Sie sei aber gewesen und

Was .

1885S.

sei noch jeßt vorhanden. Jm Jahre 1879 sei die Landwirth- \chaft sogar noch belastet worden; die Eisenvertheuerung allein mache 7 bis 8 Proz. der Grundsteuer aus. Die Landwirth- {hast verlange also jeßt nur Gleichstellung; sie wolle nur dem herrschenden System eingereiht werden. Sei nun der vorgeschlagene Schußzoll ein geeignetes Mittel, dem Noth- stande abzuhelfen? Die Wirkungen eines Schußzolles seien niht siher vorherzusehen. Auf den gesammten BVermögens- fiand einer Nation habe der Shußzoll ja nie einen Einfluß, sondern nur auf eine andere Vertheilung des Vermögens, und in dieser Beziehung werde derselbe im Allgemeinen den Zweck erreichen, indem er eine Preiserhöhung bewirken werde. Unter Umständen und gerade bei gedrücten Preisen in Folge von ausländisher Ueberproduktion nehme das Ausland den Zoll auf ih, dann sei der Zoll freilih nur ein Finanz: zoll für den Staat. Jndessen müsse und könne ein Versuch gemacht werden, s{hon weil die Ziffer der Jnteressenten eine jo ungeheuere sei. Ju einer Petition werde dieselbe, gewiß zu niedrig, auf 70000 Betriebsstellen, die von dem Zolle Vortheil hälten, angegeben. Er halte diese Zahl für zu ge- ring, aber wenn sie au der Wahrheit entspräche, so hingen doch an jeder durchschnittlich 100 Köpfe, welche direkt Vortheil von ihr hätten, denn die ländlichen Arbeiter seien mit dem Besitzer in sozialistisher Art verbunden und könnten ihre Ueberschüfse von Getreide versilbern ; sie hätten au ihren Vortheil netto ohne Abzug von Betriebskosten. Er wolle hier nicht sireiten, ob der Preis des Brotes dem des Getreides folge; er meine, daß das in beschränktem Maße der Fall sei. Schlage man aber wirklich den Zoll auf das Brot, so bleibe es bei dem jeßigen Preise immer noch unter dem Durchschnittspreise. Er verstehe nicht, wie die Petitionen über Vertheuerung des Brotes Lärm schlagen könnten. Von Vertheuerung könne man auch bei dem niedrigsten Preise fprehen. Bedeutung gewinne die Sache erst, wenn man die erste Silbe weglafsse, wenn eine Theuerung eintrete. Darin unterscheide er sih von den Verfehtern des Schußzolls, daß er denselben für ein Mittel ad hoe betrachte. Die Kehrseiten des Schußzolls seien aber Ueberproduktion und Krisen. Die Gefahr der Ueber- produktion sei bei der Landwirtschaft freilich nicht vorhanden, aber eine andere sei viel s{limmer. Der Schußzoll wirke dauernd als Subvention und habe zur Folge Steigerung der Rente, des Preises und der Belastungsfähigkeit. Dadurch werde der herrschenden Kapitalnoth wohl abgeholfen, dann steige aber der Bodenpreis von Neuem, und die Sache stehe auf dem alten Fleck, vielleiht auf einem noch \hlimmeren. Ein dauernder Schutzzoll würde der Land- wirthschaft nur dann niht s{ädlih, sondern von bleibendem Vortheil sein, wenn gleichzeitig eine Grenze der Verschuldbar- keit konstituirt würde. Eine Zeit lang habe ihm eine glei- tende Skala émpfehlenswerth geschienen, er sei aber davon wieder abgekommen, weil sie doch ihre großen Schwierigkeiten habe. Nah Dr. Barth seien Schußzölle für wirthschaftliche Schmerzen, was Morphium für den kranken Körper sei, sie linderten für den Moment, aber die Schmerzen kehrten nah einiger Zeit verstärkt zurück. Die Aerzte sähen doch aber diese Linderung als den ersien Schritt zur Héilung an; freilich müßten dann andere Heilmittel dazu kommen. So betrachte er auch diesen Schußzoll als eine nothwendige Morphiumgabe ; er bitte aber zugleih zu bedenken, daß eine zu geringe Dofis

stets nur ausfrege.

(Während dieser Rede war der Reichskanzler in den Saal getreten.) i

Der Abg. Rohland erklärte, als er 1879 die Rede des Abg. Flügge gelesen habe, habe er sich gesagt, das sei die beste Rede, die gegen den Kornzoll gehalten worden sei und alle seine Freunde hätten dasselbe gesagt. Mit der heutigen Er- klärung sei der Abg. Flügge, troß einiger Anklänge an jene Zeit, vollständig in das jenseitige Lager übergegangen, wenn auch nicht auf eigenen, sondern auf den Füßen des Reihs- fanzlers. Sympathish in gewissem Sinne sei ihm heute nur dessen Aeußerung, wenn schon einmal Zölle sein sollten, ie dann auch gleih so hoh wie möglih- zu machen, damit sie so bald als möglich wieder beseitigt werden könnten. Der Abg. Rade habe behauptet, daß seine Partei geneigter fei, Aktiengefell- schaften zu fubventioniren, als die Landwirthschaft. Das sei niht rihtig, Die einzige hier in Betracht kommende Samoagesell schaft sei von seiner Partei nicht unterstüßt worden, Denke der Abg. Rake etwa an die Gründungen von 1870 bis 1873, so werde derselbe Betheiligte höchstens bei den Nationalliberalen und auch auf der reten Seite finden. Der Abg. von Puttkamer habe behauptet, auf der linken Seite des Hauses gebe es nur einen einzigen praktishen Landwirth, aber diese Behauptung sei ganz falsch, Jn seiner Partei seien nit blos 17 oder 18 Grundbesißer, fondern es befänden fich darunter au ungefähr 14 praktishe Landwirthe, die von der Pike auf gedient hätten. Der Abg. Frege begründe seine Be- hauptung über den Rüdckgang der Landwirthschaft damit, daß Deutschland, früher ein Getreide exportirendes Land, jeßt ein Getreide importirendes Land geworden sei. , Dieser Schluß treffe niht zu. Seit 30—40 Fahren habe die Bevölkerung Deutschlands fih jährlich um fast eine halbe Million Seelen vermehrt, daher sei Deutschland auch bei vervollklommneter Kultur niht im Stande, eine sih ver- mehrende Menschenmenge zu erhalten. Troßderr habe der Abg. Frege behauptet, die deutshe Landwirthschaft könne zweimal so viel Korn produziren, als die ganze Bevölkerung von Deutschland gebrauhe. Als Landwirth müsse er aber bestreiten, daß das überhaupt möglich sei. Jn dem größten Theile „Deutschlands, besonders in den Provinzen Sawsen und Hannover, werde die Bodenkultur niht mehr intensiver betrieben werden können als das jeßt* geshehe. Der Abg. Frege habe seiner Partei weiter vorgeworfen, es sei ein Widerspruch, zu behaupten, die Großgrund- besißer hätten den Nußen von der Erhöhung der Zölle, da doch der Großgrundbeïiß zum größten Theil in den Händen von Pächtern fei. Allerdings werde auf den Pächter, so lange die gegenwärtige Pachtzeit dauere, ein Theil des erhöhten Zinses fallen. Aber ' es ver- stehe sih von selbst, daß der Pachtzins steigen werde, sobald

die jeßige Pachtzeit abgelaufen sei. Der Abg, Frege habe