1885 / 46 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 23 Feb 1885 18:00:01 GMT) scan diff

Der Abg. Frhr. zu Franckenstein mate im Sinne des Abg. N atc auf Les Bedenkliche des Richtershen An- trages aufmerksam ; er bitte, denselben abzulehnen.

Der Abg. Richter (Hagen) erwiderte, wenn der Abg, Marquardsen bei diefem Zollsaß keine Weiterungen erwartet habe, so müsse derselbe die Motive nicht gelesen haben. Es handele si ja hier niht um eine Zollerhöhung zu Gunsten der Reichskasse, sondern im Jntere}se einiger Fabrikanten. Es werde im Gégentheil ein Rückgang in den Einnahmen aus dem Zoll eintreten, wie die Motive felbst verblümt im Ge- gensaß zu dem Abg. Marquard)en zugegeben hätten. Er habe vorhin behauptet, die Einfuhr von Schaumweinen habe nach- gelassen ; seine Zahlen hätten sih auf die Zeit vor und nah dem Zoll bezogen. Die Statistik des Bundeskommissars be- weise nichts gegen ihn, da sie nur auf die Zeit nach der Zoll- erhöhung gehe. Früher seien 140000 Centner Wein in Flashen eingeführt worden, und diese Einfuhr sei jet auf 76000 Centner zurückgegangen. Wie viel von diesem Rücckgang auf Champagner spe- ziell komme, wisse er freiih nicht, da die Statistik niht nah Weinsorten fondere. Aus erhöhten Zöllen würden also niht erhöhte Einnahmen folgen. Wie wenig nothwendig eine weitere Erhöhung des Schußzolls sei, gehe daraus hervor, daß Deutschland bereits 70 000 Flaschen in- ländishen Champagner, aljo die Hälfte von dem, was in Deut\chland eingeführt werde, exportire. Man werde durch diese Zollerhöhung nur eine Ueberprodufktion bekommen, die die ganze Jndustrie ruinire. Bezeichnend sei es, daß gerade die Nationalliberalen das Centrum zum Schuß der Kompe- tenz der Einzelstaaten anregten. Wenn seine Partei das ge- than hätte, dann wäre hier im Haufe und noch mehr in der Presse gewiß gleih von einem Bündniß der Neichsfeinde und dergl. gesprochen worden. Die Einzelstaaten würden es si übrigens sehr wohl überlegen, ein Veto zu erheben, wenn fie eine Einnahme von einigen Millionen haben könnten. Sein Antrag sei auch gar nicht neu, sondern bereits im “Jahre 1879 angeregt. Jedenfalls zeige derselbe, daß scine VPartei wisse, wo man Millionen hernehmen könne, auhch ohne den Massen die nothwendigsten Lebensbedürfnisse zu ver- theuern. Was den Kaffee betreffe, so werde er sich, wenn der Antrag Race zur Debatte stehe, darüber näher änßern.

Der Antrag Ausfeld u. Gen. wurde hierauf abgelehnt, dagegen die Zollerhöhung für Shaumweine auf 80 /6 nah der Regierungsvorlage angenommen.

Es folgte die Berathung der Position „Kraftmehl 2c.“ Die Regierung will den Zoll von 6 A auf 8 H erhöhen.

Der Abg. Grad {lug für Krastmehl, Puder, Stärke, Stärlegummi einen Zoll von 8 4, für Nudeln, Sago, Sago- Furrogate, Arrowroot, Tapioka von 9 # vor. (Gegewärtig beträgt der Zoll auf Mühlenfabrikate 3 A pro 100 kg, der- jenige auf Teigwaaren 6 #, der Unterschied zwischen beiden 3 Nun soll nah der Regierungsvorlage der Zoll auf Mühlenfabrikate auf 6 A, derjenige auf Teigwaaren, Tapioka und Nudeln aber nur auf 8 6 erhöht werden, so daß der Unterschied auf 2 6 heruntersinkt.) Mit dem bisherigen Zoll sei die französishe Konkurrenz verdrängt, während die Kon- Turrenz; aus Jtalien und Ungarn auf dem deutschen Markt noch ziemlih ftarî sei. Deutschland habe in den Fahren 1880—1883 noch eine Einfuhr an Teigwaaren von 22 443 bis 26 060 Doppelcentnern gehabt.

Der Abg. von Kardorff beantragte, die Position „Krafi- meh! u. #. w.“ sowie die Position „Reis“ mitzden auf diese Ri bezüglihen Anträgen an die Zolllomntsssion zu ver- weisen.

Der Antrag wurde angenommen.

Der Zoll für Mühlenfabrikate soll nach der Regierungs- e 6 6, nah dem Antrage der freien Vereinigung 7,50 46

etragen.

Der Abg. Broemel bemerkte, die Erhöhung des Zolles auf Mühlenfabrikate werde mit dem Hinweise auf die Erhö: hung des Weizen- und Roggenzolles gerechtfertigt. - Aber dieser “Motivirung fehle jeder sahlihe Hintergrund, so lange die 'Vertheuerung des Getreides durch die Zölle geleugnet werde. Bedenklicher sei noch, daß auf den Kleinhandel gar nicht Rücksiht genommen sei. Mit keinem Worte sei in den Motiven von der Kleie die Rede, vielleicht darum nicht, weil die Kleie ein richtiger Futterartikel sei, dessen Vertheuerung uicht im Fnteresse der Landwirthschaft liege. Da zeige sih wieder, was die Phrase vom as der nationalen Jndustrie für eine Bedeutung habe. Warum führe man nicht einen Kleiezoll cin, wenn das Ausland den Zoll trage? Bei der Kleie wiederhole fich, was man beim Hafer erlebt habe. Das liebe Vieh shone man, aber das Brot des Menschen zu vertheuern trage man niht Bedenken. Wolle man überhaupt einen Zoll, jo solle man für Mehl einen Zoll von 5 „46, für Kleie einen Zoll

von 1 6 für den Doppelcentner festsezen. Dahin seien auch die Petitionen der Mühlenindustriellen gegangen. Er halte Schutzölle für verderblich; fie würden nur eine große Aus- dehnung der Produktion befördern, die zur Ueberproduktion führe. Auch für die Mühlenindustriellen werde der höhere Zoll eine Anregung zu größerer Ausdehnung sein. Neue große Mühlenetablifsements würden errichtet werden, und für die kleinen Mühlen werde eine Konkurrenz im Jnland erstehen, viel gesährlicher als die des Auslandes. Besonders bedrohlich werde dec , Difserentialzoll für die norddeutsche Müllerei werden, die ¿hren Roggen mit 3 6 werde verzollen müssen, während die Müller in Süd- und Westdeutschland ihren Roggen aus den meist begünstigten Ländern zum alten

„Zollsaß von 1 6 weiter beziehen und somit cine große Be-

Bensiguug gegenüber ihren morddeutshen Kollegen erhalten

rden.

Der Abg. Dr. Frhr. von Heereman glaubte, daß fi der “Vorredner in Widerspru mit sich selbs geseßt La f wenn derselbe einmal sich gegen die Zölle erkläre und dann felbst œinen Zoll auf Kleie empfehle; er bitte den Antrag der freien Wereinigung anzunehmen.

Der Bundeskommissar Geheinze Regierungs-Rath Neu- mann entgegnete, die verbündeten Regierungen hätten eine

Erhöhung des Mehlzolles auf 6 vorgeschlagen, um das |

bestehende Verhältniß zwishen Getreide- und Mehlzoll, welches {ih dur die Erfahrung der legtea Jahre als rihtig erwiesen habe, nicht zu alteriren. Sollte indeß der Reichstag angefichts der erhöhten Getreidezölle auch einen A ee Schuß der Mühlenindustrie für nothwendig halten, so würden die ver- R Regierungen dem keinen Widerstand entgegenzuseßzen

Die Abgg. Uhden, Udo Graf zu Stolberg-Wernigerode und Frhr. von Hornstein befürworteten die Erhöhung auf 7,50 M im Jnteresse der landwirthschaftlihen Gesammtheit, welze die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der heimishen Mühlen-

inbusirie erfordere, während der Abg. Broemel einen Zoll- schuß von 7,50 4 nohmals für zu hoch erklärte und wiederum sich f gegen den drohenden Differentialzoll für Roggenmehl aussprach.

Auf Antrag des Abg. Meier (Bremen) wurde an dieser Stelle die Berathung der Tarifnovelle unterbrochen, und die zweite Lesung der Vorlage, betreffend den Zollanshluß Bre- mens, eingeschaltet, die sehr rasch zu erledigen sei und dur deren Verzögerung die städtishen Behörden von Bremen ge- hemmt würden. e

Der Abg. Dr. Meyer (Halle) empfahl Namens der Kommission die unveränderte Annahme der Vorlage. Die Kommission habe unter Theilnahme zweier Mitglieder des Bremischen Senats und eines Kommissars des NReihs-Schaßamts ver- handelt und dabei nicht die prinzipiellen, sondern ledigli die tehnishen Fragen erörtert.

: (Während dieser Rede war der Reichskanzler in den Saal getreten.)

Es meldete sich Niemand weiter zum Wort; die Vorlage wurde fast einstimmig angenommen. 2

Ohne Debatte wurde sodann die Position der Zolltarif- novelle „frishe Weinbecren, 15 6 pro 100 Kilogramm“ an- genommen.

Ein Vertagungsantrag wurde angenommen.

Der Präsident {lug vor, die nähste Sizung am Montag Nachmittag 2 Uhr abzuhalten. Mit Rücksicht auf das umfang- reiche Arbeitsmaterial des Hauses glaube er, einen anderen Vorschlag nicht machen zu können.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, seiner gestrigen An- kündigung entsprechend, beantrage er, die nähste Sizung erst am Montag den 2. März um 2 Uhr stattfinden zu lassen. Das Zusammentagen des Reichêtages und des Abgeordneten- hauses habe bereits eine große Menge von Unzuträglichkeiten bewirkt. Er habe das bisher in Ruhe ertragen, mit Anspan- nung jeglicher Kraft. Kaum jemals sei in einem Parlament so angestrengt gearbeitet worden wie von beiden Häusern in dieser leßten Zeit. Alle menschliche Kraft habe aber ein vestimmtes Maß, und die Arbeiten allein in diesem Hause seien so anstrengend, daß im Jnteresse von Aller Gesundheit eine kleine Pause durchaus nothwendig sei. Eine solche empfehle sich umfomehr dadurch, daß zahlreiche Mitglieder auch zu Hause fehr ernite und wichtige Geschäfte zu besorgen hätten. Man brauche sich nur im Saale umzusehen, um sih zu überzeugen, daß bereits zahlreiche dieser Kollegen die jeßt beantragte Pause für sich schon anticipirt hätten. Das Abgeordnetenhaus habe so ernste und wichtige Berathungen, daß die Mitglieder desselben nicht im Stande seien, au hier noch zu erscheinen, so lange dort die Verhandlungen dauerten, Man könne es vielleicht für richtiger halten, das Abgeordnetenhaus zu vertagen, ein dies- bezügliher Vorschlag sei aber nicht gemacht worden. Er er- warte die Einwendungen gegen seinen Antrag und werde die- selben widerlegen.

Der Abg. von Helldorff bemerkte, er könne dem Antrag Windthorst nicht zustimmen. Seine Partei lege mehr Werth darauf, in der Zeit nah Ostern einige Wochen früher nah Hause zu kommen, als jegt eine Pause zu machen. Das Haus sollte sich doch auch nicht gerade in einem Moment vertagen, wo nicht Mangel, sondern großer Ueberfluß von Arbeitsstof für dasselbe vorliege, mindestens müsse man vor einer Vertagung noch das Nothwendigste aus der Zolltarif- novelle und dem Etat erledigen. Gerade von der linken Seite sei #o oft betont, worden, wie beunruhigend \ für die Geschästswelt ein langes Hinhalten der Entscheidung Über die A E E sei. Darauf möchten die Herren doch jeßt Nücksiht nehmen und nicht blos um deswillen die Arbei- ten verzögern, weil Einige von ihnen auch Mitglieder des Abgeordnetenhauses seien.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Die Frage, ob gegennärtig der preußische Landtag zu vertagen set, ist von der preußischen Regierung erwogen worden. Aber nach- dem der preußische Landtag mit Rücksicht auf den Reichstog, um demselben die volle Zeit seit dem Oktober bis jeßt zu lassen, ziemlich spät berufen worden ist, befindet er sich nicht in der Lage, seine Budgetarheiten fertig stellen zu können vor der nothwendigen Zeit, wenn er jeßt vertagt werden würde. Wir sind deshalb außer Stande, den preußischen Landtag zu vertagen in diesem Augenbli. Die preußische Regierung würde ja die erste sein, die das Beispiel gäbe, daß die Landesinteressen hinter den Neichsinteressen zurück- zutreten haben. Aber sie glaubt diese ihre Gesinnung dadurch bes kundet zu haben, daß fie dieses Mal, dem Wunsche beider Ver- sammlungen entsprebend, den Reichstag mehrere Monate vor dem randtag ericf, während es font in mehreren Jahren umgekehrt ge- wesen ist.

Der Herr Antragsteller hat als Motiv seines bei der jeßigen Lage der Geschäfte im Volke gewiß auffälligen Antrags nur an- geführt, daß das Zusammentagen der beiden größten parlamen- tarishen Körperschaften in Deutschland augenblicklih micht mögli set, Nun, tch glaube, die Erfahrung -hat gezeigt, daß unsere Institutionen Überhaupt nicht darauf berehnet find, baß cin Abgeordneter zwei Mandate gleichzeitig Übernimmt. Wenn er es aber dennoch thut, so thut er es gewiß in der Ueber- zeugung, daß er dadurch die fundamentalen Institutionen unseres Reichs und des Landes in ihrer Wirksamkeit nicht hemmen wird.

Ich kann mir nicht denken, daß ein Abgeordneter, indem er ein zweites Mandat noch zu seinem ersten übernimmt, dabei darauf rechnen kann, daß (das Reich sih nach seiner Doppelftellung, die er annehmen und ablehnen kann, seinerseits in seiner Wirksamkeit, in fee Gesammtthätigkeit, in seinen Verhandlungen wird richten müssen.

Jeder von den versammelten Herren kennt die Nothlage, in der wir sind. Es ist für die Reichsregierung ganz unmöglich, eine Zeit zu wählen, in welcher nit Konkurrenz mit einem oder mehreren Landtagen wäre, und das Recht, das der preußische Landtag hat: be- rüdsichtigt ¿u werden , hat der bayerische, der sächsische, der württem- bergishe, und haben die andern Landtage vollständig in demselben Maße. Daß dieses Recht für alle niht durchführbar i, wird mic Jedermann zugeben. Wir leben jedes Jahr unter der Noth die Regterungen haben häufig erklärt, daß das Jahr nicht lang genug ist und daß es thnen unenöglih ift, den Reichstag und den preu- ßishen Landtag zu verschiedenen Zeiten zu berufen, so daß sie einander nicht berübren.

Man sollte nun glauben, daß es den Herren, die ein Doppel- mandat für den Reichstag und flir den preußischen Landtag, der ja auch in Berlin tagt, übernommen haben, noch ai leichtesten sein würde, dîe freiwillig übernommene Last zu tragen. Wenn der An- trag zu Gunsten des bayerishen oder sächfischen Landtags gestellt würde von den Herren, die nit gleichzeitig in Berlin und in München odec in Berlin und in Dresden sein können, so hätte es mich weniger überrascht; aber wenn ex hier hauptsächlich im Interesse des preußischen Landtags gestellt wird, so muß ich doch als Vertreter dieses Laudes im Bundesrath hier in dieser Versatrnmlung dagegen protestiren, daß wir in diesem Maße anspruch9voll wären , daß wir einen Vorrang für den preußk{ben Landtag vor dex Vertretung des Deutschen Reiches in dieser Weise verlangten oder für den preu-

ßishen Landtag irgend einen Vorzug in Anspruch nähmen, der nicht

jedem anderen Landtage aub bereitwillig gewährt werden würde Diesen Verdacht eines unbescheidenen Vordrängens des preußischer Landtages zum Nachtheil des Reichstages muß ih von meinen speziellen Vaterlande abwenden, und ich kann nur dringend empfehle daß der Reichstag sich in seinen Arbeiten nicht uniterbrede! möge, namentlich nicht in diesem Augenblicke. Die versiedenen Vor lagen, die noch zu erledigen sind, sind zahlrei. Ic hoffe, daß nas mir vielleicht ein anverer Vertreter der verbündeten Regierunge sie Ihnen noch näher bezeichnen wird. Die Gefammtmasse derselben \hwebt vielleict im Augenblick den Herren Antragstellern nicht \0 genau vor.

Die Zeit, die wir noch haben bis zu Ostern, und big zur wahrscheinliwen Vertagung, ist fünf Wochen; ih rene bis zyy Palmsonntag, denn die Gewohnheit ist ja vorhanden, {fi dann auf 3 Wochen zu vertagen. Also es bleiben uns no& 5 Wochen. Ziehen Sie nun von diefen eine ab, so bleiben nochþ 4 Wochen für die Ge sammtheit der Geschäfte. Nach der Gangart, in welcher sich die Ges{hft, bisher erledigt haben, kann ich kaum glauben, daß in diesen 5 Woten das Pensum so rechtzeitig fertig gestellt werden wird, wie es wünschens werth ift, damit dann der preußische Landtag, nachdem er jetzt scin Budget erledigt haben wird, seinerseits freies Feld finden könne für die anderen Geschäfte, die thm obliegen.

Dazu kommt noch, daß gerade jeßt wibtige Sachen in sn4- penso sind, die zwischen der ersten und zweiten oder zwischen der zweiten und dritten Lesung s{weben. Man follte do von einer regelrechten und auf das Wohl des Landes bedachten Geschäftsführung verlangen, daß folhe Sachen erst abgemacht werden, daß namentlig; nicht die Entscheidung solcher Fragen, die mit Spannung erwartet wird, die auf unser ganzes wirtb\chaftliGes Leben von wesentlidber Rückwirkung ist, daß die nit in der S{hwebe bleibe. Speziell die Zollnorelle, über die wir berathen läßt ‘eine Ungewißheit über Fragen, die tief in unser wirth \caftliches Leben eingreifen. Diese Ungewißheit wird den redlihen und regelmäßigen Handelsstand einigermaßen läbmen, die ungeregelte Spekulation wird sie begünstigen: Die Reichéfinanzen, deren Pflege Ihnen bei ihrer bedrückten Lage so schr am Herzen liegt werden wesentlich leiden, wenn die Gescßgebung über diejenigen Zollpositionen aufgesWoben wird, die nicht durch das Sperrgeset gedeckti worden sind. f

Wenn nur die Anträge der Regierung in Bezug auf Zollerhöbun- gen angenommen werden, fo werden das Reich und setne Finanzen auch wenn die Einfuhr sid nit unter diesen ungewöhnlichen Un- ftänven durch Spekulation steigert, also na% dem regelmäßigen Vere laufe einen wöchentlichen Verlust von mehr - als 200000 4 haben. Wenn aber die über die Regierungsanträge hinaus- gehenden Zollerhöhungen, wie zum Beispiel Viehzölle, ange- nommen werden sollten, fo beläuft fich der Zollausfall des Reiches auf wöcentlih ziemli eine halbe Millionen Mark im gewöhn- lichen Verkehr. Steigert dieser Verkehr sib einigermaßen und beutet die Spekulation das aus, fo können wir die Verluste vielleicht auf das Doppelte höher anschlagen.

Also, meine Herren, im Interesse der Geschäfte, die uns ge- meinsam obliegen, im Interesse einer abschlicßenden Beruhigung in unserem wirthschaftlichen Publikum und im JIuteresse der Reichs- finanzen, die Sie durch scharfe einshneidende Streichungen sonst so wesentlich vertreten haben, bitte ich Sie, verzihten Sie auf die weitere Hinausschiebung der wichtigen Ihnen obliegenden Ver- handlungen.

Der Abg. Frhr. von Wöllwarth erklärte, nah der gestri: gen Ankündigung des Abg. Windthorst hätten beide konser: vative Fraktionen den Beschluß gefaßt, gegen die Vertagung zu stimmen, und der Abg. Windthorst werde doch gewiß so recht und billig sein, die Konservativen nicht niederzustimmen, sondern ihren Wünschen Rechnung zu tragen. Der württem- bergische Landtag habe seine Sißungen mit Rücksicht auf den Reichstag vertagt, derselbe solle auch seinen Etat bis zum 1. April erledigen. Der Abg. Rickert habe gestern gesagt, es würden hier die Arbeiten übers Knie gebrochen. sei seit dem 20. November hier, alle Abgeordnete seien un- geheuer fleißig gewesen, von Morgens 10 bis Nachts 12 Uhr hätten sie gearbeitet, aber zu Stande gebracht habe man sehr wenig. Wenn die Landtagsarbeiten zu Hause in demselben Tempo erledigi würden, dann würde man nicht vorwärts kommen. Der Abg. Rickert habe früher gegen die zweijährigen Budgets geltend gemacht, daß man ja blos 14 Tage zur Etak- berathung in jedem Fahre brauche; wenn das Haus si jeßt noch eine Woche vertage, dann brauche es mehr als 14 Wochen zu diesem Etat. Auch sollten die Kommissionen in der Woche nicht weiter arbeiten; dann wäre mit der Pause gar nichts gewonnen, und er bitte im Namen der Reichspartei, die Ver- tagung abzulehnen.

Partei sei aus denselben Gründen, die der Vorredner an- führe, gegen die Vertagung.

__ Der Abg. Frhr. zu Franckenstein bemerkte, er habe noŸ bis vor ganz kurzer Zeit die Meinung gehabt, daß der Reihs- tag bis Ostern fortarbeiten müsse, und daß es mögli werden könne, bis dahin seine Geschäfte zu erledigen. Leider sei diese Hoffnung eine eitle gewesen. das Material sei ein zu reihes, man komme, wenn es be wältigt werden solle, unter allen Umständen über Ostern hin- aus. Er habe dann geglaubt, daß jedenfalls die dritte Lesung des Etats noch vorgenommen werden müsse, ehe man der Frage einer Unterbrehung der Arbeiten näher treten könne, Die leßten Tage und der Umstand, daß die Sißungen des Reichs: tages jeßt immer erst um 2 Uhr angefangen hätten, so daß für die Arbeit nur 2 bis 2!/2 Stunden täglih übrig geblieben seien, und in diesen wenigen Stunden nur ein unendlich geringes Material aufgearbeitet werde, hätten ihn auch darin eines Besseren belehrt. Er könne namentlih den Kollegen aus Süd- deutshland nicht verargen, daß sie wünschten, daß diesem ZuU- stande ein Ende gema werde. Noch gestern habe er gehofft, daß das preußische Abgeordnetenhaus seine Sißungen auf 8 Tage’ suspendiren werde. Auch diese Hoffnung habe ih nicht erfüllt; wie er höre, werde das Abgeordnetenhaus täglich große lange Sißungen haben und das Haus würde tägli auf die 2 oder 21/4 Stunde beschränkt sein. Das scheine ihm niht gerecht und billig; er bitte, den Antrag Windthorst, jeßt eine kurze Pause zu machen, anzunehmen, um dann in langen and ergiebigen Sißungen weiter arbeiten zu können.

Darauf nahm der Reichskanzler Für st von Bismaré das Wort:

Ich möchte mir erlauben, dagegen einzuwenden, daß dieselben Gründe, welche jeßt hindern, lange Sißungen zu halten, in a! Tagen doch aub noch vorliegen werden, und daß die Herren dann nichts gewonnen haben werden. Auf die Kürze oder Länge der Sißun- gen haben die verbündeten Regierungen keinen Einfluß, au nit auf die Schnelligkeit und auf die Art, mit der die Geschäfte be- handelt werden. Das liegt deshalb außer meiner Erwägung. Aber ih bitte doch, das zu bedenken, daß Sie, wenn Sie am 2, März wi der anfangen, den ganzen März hindurÞ am 28. März ift Palm- fonutag ganz in derselben Konkurrenz mit dem preußischen Land! tag fein werden. Warum sollte niht dann auch ein Kompromiß stattfinden in derseiben Art, wie es jetzt staltfindet? Die Arbeiten beider Körperschaften werden dann wegen des herannahenden Schluß termins für den Budgetabshluß des 1. April von jeder Seite wahr \cheinlich noch dringender empfunden werden. Sie werden genöthig

sein, Abendsißungen zu Hülfe zu nehmen, Das Alles läßt id

ciner gewissen f

Das Haus.

Der Abg. Dr. von Lenz erklärte, die nationalliberale

Er möge rechnen, wie er wolle,

gar nit ändern, \o lange Doppelmandate mit der Absi®t ange-

nommen werden, sie in jeder von beiden Versammlungen ausgiebig zu er-

füllen resp. auszunußen. Dazu ist das Jahr nicht lang genug, dazu find unsere

Institutionen niht eingerichtet, Die Regierung ist in der Unmög- lihkeit, cinem jeden Landtag neben dem Reichstag seine besondere Zeit zu verschaffen; das gleiczeitige Tagen des Reichstages und des preußischen Landtages ift eine gebotene Nothwendigkeit, Ziehen die erren vor, indem sie erft um 2 Uhr anfangen und um 5 Uhr wieder schließen, den Vormittag aber der andecn Versammlung über- lassen, die Sigungen bis spät in den Sommer binein zu ziehen ja, meine Herren, das hängt ganz von Ihnen ab, dazu können wir nichts thun. Jh verwahre mich nur jeßt {on gegen die Argumente, die ih dann wieder hören werde, daß in der Jahreszeit, wo es anfängt, warm zu werden, im Mai und Juni, nicht mehr vom Reichstag ver- langt werden fönne, daß er weiter sich mit den Arbeiten des WBolkes beschäftige. Jh kann nur abrathen, aber ih habe darüber nichts mitzureden, und ich erwarte in Ruhe die Beschlüsse, die Sie fasien werden ; die verbündeten Regierungen werden ja demnächst in der Lage sein, au die ihrigen zu fassen. 4 Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, er sei sehr erstaunt, daß die Redner von der Rechten und von den Nationalliberalen so lebhaft gegen die Vertagung aufgetreten seien. Gestern habe si, abgesehen von den leisen Vorbehalten des Abg. von Kardorff, ein Widerspruch gegen dieselbe eigentlih nicht er- hoben. Es gebe ja gewisse Beamte, die meinten, daß sie des- halb verdienstlih seien, weil es ihnen gelinge,| eine große An- ahl von Nummern {nell zu erledigen. Ob das die besten Beainten und ihre Arbeiten die besten Arbeiten seien, lasse er dahin gestellt. Es komme nicht blos darauf an, die Vorlagen der Regierung anzunehmen, sondern auch darauf, sie sachlich zu prüfen. Der Standpunkt der Regierung einer solhen Ge- chästsfrage gegenüber sei ein wesentlich anderer. Dem Reichs- kanzler könne er es gar nit verdenken, daß derselbe die Arbeiten möglihst s{hnell hintereinander erledigt schen wolle. Die Re- gierung sei ja von allen Einzelheiten der Vorlagen über- zeugt, sie habe sih ja lange damit beschäftigt und würde die- selben nicht eingebracht haben, wenn sie niht überzeugt wäre. Das Haus müsse sih die Ueberzeugung erst verschaffen. Die Zolltarisnovelle und eine Reihe von Vorschlägen aus dem Hause selbst seien erst in den leßten Wochen eingebracht. Gerade von der Mehrheit des Hauses, die die Regierung

? unterstüße, sei die Jnitiative zur Vertagung auf aht Tage

Also selbs dort werde eine überstürzende Berathung na&dem das finanzielle Jnteresse durh das Sperrgeseß gewahrt sei. Größer als der Verlust einiger hunderttausend Mark für das Land wäre der, wenn die Zolltarifnovelle ohne sahliche Berathung überstürzt würde. Üeber die Frage der Doppelmandate wolle er hier nicht sprechen ; sie sei im Verhältniß zu der Frage, ob auf aht Tage die Sißzungen ausgeseßt werden sollten, ihm eine zu \chwere. Die Wähler hätten nur von threm verfassungs- mäßigen Rechte Gebrau gemacht, indem sie demselben Manne ein Mandat für den Reichstag und für das Abgeordneten- haus übertragen hätten. Seien doch sogar Minister mit Doppelmandaten betraut! Die ganze Sache löse sih in die einfahe Frage auf, ob es richtiger sei ein Stück des Tages zur Landtagssißzung und das zweite zur Reichstagssißung zu verwenden oder zunächst volle Landtagssizungen und nachher längere Reichstagssißungen stattfinden zu lassen. Wenn der Reichskanzler meine, nah 8 Tagen würde das Haus in der- selben Lage sein wie jeßt, so sei das nicht richtig. Es könne dann die zweite Berathung des Etats im Abgeordnetenhaus sehr wohl erledigt sein, und es wäre gar kein Grund mehr vorhanden, in dem Landtag Vertagung eintreten zu lassen; es braucze höchstens eine Einschränkung der Sißungen statt- zufinden, das Budget wäre ja damit vor dem 1. April sicher gestelt. Einen persönlichen e O er sodann für die Vertagung wiederholen, der die Berliner Abgeordneten freilich nicht angehe. Man habe einen diätenlosen Reichstag; die einzelnen Mitglieder müßten deshalb ihre perfönlihen Ge- schäfte in einem gewissen Maße fortführen; das bedinge, daß sie ab und zu nah dem Rechten sehen müßten. Die aus- wärtigen Mitglieder hätten deshalb das Bedürfniß, in gewissen Zwischenräumen in ihre Heimath zurüczukehren. Nachdem man nun vom Reichskanzler selbst gehört habe, daß derselbe gar nicht an die Möglichkeit denke, daß die Geschäfte des Hauses bis Ostern erledigt werden könnten einzelne Mitglieder hätten es geglaubt; der Reichskanzler müsse ja aber am besten wissen, was derselbe noch vor habe —, sei es um so eher nothwendig, den auswärtigen Mitgliedern hierzu die Möglichkeit zu geben. Dann komme auch noch die Eigen- thümlichkeit der Gegenstände der Berathungen in Betracht. Handele es sich um einzelne Etatspositionen, so wären stück- weise Sißungen möglih. Wenn aber, wie es der Fall sei, größere wirthschaftlihe und politishe Fragen zur Verhandlung ständen, so sei es ganz unmögli, die Verhandlungen um 2 Uhr zu beginnen, dann müsse ein größerer Spielraum für die Debatten gegeben sein. Es entspreche also einfahen sach- lichen Gründen, die Vertagung eintreten zu lassen, wie sie von Seiten einex Majoritätspartei des Hauses AULaG sei,

Hierrauf ergriff wiederum der Reichskanzler Fürst von Bismarc das Wort: /

Fch glaube, nicht gesagt zu haben, daß der Reichstag mit seinen Geschäften bis Ostern nicht fertig werden könnte; ich glaube, nur gesagt zu haben, daß der Reichstag, wenn er 8 Tage hindurch keine Sigzung halten würde, wahrscheinli nicht fertig werdea wird. Der Herr Abg. Richter hat mich darin mißverstanden, und das Argument, das er daraus entnommen hat, ift nicht dur{schlagend. Menn von allen Seiten die gleichen Ueberzeugungen vorhanden wären, die ja leider nit existiren, I würden meiner Ueberzeugung nah in 8 Tagen unsere ganzen Geschäfte erledigt werden können.

ergriffen. nicht gewünscht,

Daß der Landtag in 8 Lagen so weit vorgerüdt sein sollte mit feinen Geschäften eine Ansicht, in welcher die beiden Herren

Vorredner von jener Seite (links) einig zu sein schienen, is mir doch im höchsten Grade zweifelhaft. Ich weiß nicht, ob der Herr Abg. Richter erlauben wird, daß ihm dieser Wechsel, den er auf 8 Tage hier ausftellt, dann wieder präsentirt werde, und ob er dann im Stande sein werde, ihn einzulösen. Fch wage es zu bezweifeln, daß der Landtag dann in dieser Bezie- Hung zahlungsfähig sein werde. Jh kann allen den Argumenten, die axs dem Zusammentagen der beiden Körperschaften gerade genom- men werden, nur die Ueberzeugung der verbündeten Regierungen ent- gegenstellen, daß im Fnteresse der Sache und der Geschäfte weder im Neichstage auf den preußischen Landtag, noch im preußischen Lankiag auf den Reichstag die mindeste Rücksicht genom- men werden kaun und darf. Sobald Sie für einander Rük- sidbten nehmen und den Geschäften eines einzelnen Landes gegenüber denen des Reicbes den Vorzug einräumen, so werden Sie, glaube ih, nit im Stande sein, Ihr überaommenes Mandat dem einen oder andern gegenüber vollständig zu erfüllen. Nur, wenn Ste es mit der Ueberzeugung übernommen haben, daß Sie es na beiden Seiten bin vollständig erfüllen können, waren Ste meines Grachtens im Nechte, es az1zunehmen. Sie, kennen die Instt¿ution und die Lage des Landes, und wer im Besitze eines Mandats son war und das zweite dazu nahu, der kann Þ¿ch meines Grachtens jeßt niht darauf berufen, daß der Reichstag der deutshen Nation pertagt werden

E O: Fe I E

soll, damit er sein Landtagêmandat ausüben könne. Den Muth würde ih nit baben , das von dem deutschen Volke zu verlangen. Der Abg. von Benda bemerkte, er habe gestern nur be- merkt, daß er im Falle einer Vertagung die Position „Mühlen- Fabrikate“ auf die heutige Tagesordnung zu seßen bitte. Er habe dem heutigen Votum indessen in feiner Weise präjudi- ziren wollen. Nachdem seine Freunde, die zum größten Theil aus dem Süden seien, einstimmig die Vertagung gewünscht hätten, habe er keine Veranlassung, diesem Votum entgegen- zutreten. i Der Abg. Rickert war der Meinung, daß die Gründe für die Vertagung lediglih der Lage des Reichstags zu entnehmen seien. Wenn wirklih 14 Tage durch die Vertagung verloren gehen würden, so würde auch er gegen dieselbe stimmen. Aber daran sei nicht zu denken. Nichts sei gefährlicher, als wenn man ohne die genügende Vorbereitung in die Verhandlungen eintrete. Aber auch die Kommission bedürfe Zeit zu einer ruhigen Berathung; diese Nücksiht werde man auch im Lande verstehen. Sei doch den FJnteressenten im Lande noch niht einmal Zeit gelassen, ihre Wünshe in Betreff der einzelnen Zollpositionen vorzutragen, Man sei es der Nation schuldig, mit Ruhe an die Entscheidung so wichtiger Fragen heranzutreten. Die Herren, die auf dem Boden der Regierungsvorlage ständen, brauchten das freilich nicht. Man habe gefragt, was das Haus denn eigent- lich geleistet habe. Er verweise darauf, daß der ganze Etat bis auf wenige Positionen fertig gestelt sei. Die wichtige ZBollvorlage, soweit sie die Kornzölle betreffe, sei erledigt. Sei das noch nicht genug? Jn der Holzkommission habe man wich- tige Positionen ohne Debatte zur Abstimmung gebracht. Er sei durch die dortigen Vorgänge aufs Höchste überrascht wor- den. Eine solche überhastete Geschäftsführung könne man doch nicht fortführen. Die Herren von der Nechten glaubten frei- lih, die ganzen Angelegenheiten in 8 Tagen erledigen zu können. Freilih gehe es noch s{chneller, wenn man nur die Vorlage annehme, wie sie die Regierung münshe. Das Land hade grade selbst ein Jnteresse daran, daß die wichtige Zoll- vorlage hier mit Ruhe und genügend vorbereitet verhandelt werde. Er müsse jedoch mindestens das wünschen, daß das Haus si die Belehrungen, die ihm von den Jnteressenten zu- gegangen seien, zu eigen mache. Das Geset, das man jeßt zu Stande bringen solle, entscheide aber die ganze wirthschaftliche Zukunft da könne es äuf die paar Tage niht ankommen. Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, die Frage sei aufgebauscht, als ob es sich um große Dinge handle. Er meine, daß die Geschäfte des Hauses nur durch die Unterbrehung gefördert werden könnten. Man müsse auch im Lande hören, wie man dort auffasse, was hier verhandelt werde. Er werde unauf- hörli von Deputationen bestürmt, die si alle beklagten, daß sie niht im Stande seien, bei der raschen Berathung ihre Snteressen gegügend wahrzunehmen. Die Nation werde es wissen, daß eine kurze Pause nur dazu führen werde, um so gründlicher zu! arbeiten. Das Eifern gegen die Doppel- mandate halte er für eine politisGe Kurzsichtigkeit. Er halte es für ein ungeheures Experiment, zwei fo bedeutende parla- mentarishe Körperschaften, wie der Reichstag und der Preußische Landtag, neben einander tagen zu lassen. Wolle man jeßt nun noch die Doppelmandate unmöglih machen, so werde das nur dazu führen, die eine Körperschast von der an- dern ganz loszulösen, so daß sie leiht in unangenehmer Weise an einander gerathen könnten. Daß dies bisher niht ge- heben, habe man den Doppelmandaten zu verdanken, die den Konnex zwischen beiden Häusern unterhalten hätten. Jn früherer Zeit habe man über das Nebeneinandertagen, das jeßt der Reichskanzler für eine normale Einrichtung zu halten scheine, gans anders geurtheilt als heute.

Der Abg. Dr. von Lenz trat gegen die Vertagung ein, das Land habe ein Jnteresse, seine Geschäfte so rasch als möglich erledigt zu finden. :

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, er wisse nicht, ob man es im Lande draußen verstehen werde, wenn die national- liberalen Freihändler hier darauf hindrängten, -daß die Ge- schäfte dieses Hauses in überstürzter Weise berathen würden.

Der Abg. Udo Graf zu Stolberg-Wernigerode bemerkte, es sei neu, daß Jnterna der Holzzollkommission hier so vor das Plenum gebraht würden, wie es von dem Abg. Rickert geschehen sei. Derselbe habe ihn persönlich gebeten, von einer Diskussion in erster Lesung mit Nücksicht darauf Abstand zu nehmen, daß seine Partei erst bei der zweiten Lesung mit Gegenvorschlägen kommen werde, und nun stelle der Abg. Nickert den ganzen Vorgang hier so dar, als ob dessen Freunde in der Kommission majorisirt seien.

Der Abg. Rickert erklärte, daß von dem, was der Abg. Graf Stolberg vorgetragen und ihm unterlegt habe, nicht eine Silbe richtig sei. Genau das Gegentheil von dem habe stattgefunden, was Graf Stolberg hier vorgetragen habe.

Der Abg. Struckmann bemerkte, der Abg. Richter solle es doch der Majorität des Hauses ruhig überlassen, ob sie glaube, die Verantwortung vor ihren Wählern dafür tragen zu E wenn man die Berathungen Montag fortgeseht wün}e.

Der Abg. Hasenclever besürwortete den Antrag Windt- horst im Jnteresse derjenigen seiner Fraktionsgenossen, die ge- \cästlihe Angelegenheiten zu regeln hätten.

Dex Antrag Windthorst wurde darauf mit 137 gegen 118 Stimmen angenommen. j

Hierauf vertagte sich das Haus um 61/ Uhr auf Montag, den 2, März, 2 Uhr.

Jm weiteren Verlauf der vorgestrigen (24.)Sißung des Hauses der Abgeordneten erklärte bei fortgeseßter zweiter Berathung des Etats für das Ministerium der geistlihen, Unterrihts- und Medizinal - Ange- legenheiten, Einnahme Kap. 34, der Abg. Cremer: Es sei hin- und hergesprohen worden von Toleranz; auf konfes- sionellem Gebiete gebe es überhaupt keine Toleranz. Die Toleranz sei eine slaatlihe Form, und wer wissen wolle, was Toleranz ist, der möge sich durch die preußische Geschichte darin belehren lassen. Wie der Staat darüber denke, das zu erfahren, brauche man nicht bis zum Speierer Reichstage zurück- zugehen, sondern nur auf Friedrich den Zweiten, den Enkel Fried- ri Barbarossa’s. Derselbe habe bestimmt, daß wer einen ein- zigen Satz der Kirche läugne, „ut combueretur in conspectu hominum“. Wenn das Centrum der preußischen Regierung den Vorwurf der Intoleranz mache, so verweise er auf Jtalien, wo man dem Papst den leßten Heller nehme, und auf Frank- rei, wo man eine wahre Klosterheße inscenirt habe. Aber dieselbe französische Geistlichkeit, welhe Protest dagegen erhebe, daß der Minister Ferry das Kruzifix aus den Schulen entfernen

lasse, erscheine bei der Einweihung des Denkmals Gambetta's,

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von welchem er nie gehört habe, daß er ein guter Chrift gewesen sei. Redner erklärte, er habe niemals den Kulturkampf verthei- digt, daß das Centrum ihn O aber nit unterstüße, liege daran, daß er demselben zu preußisch, zu patriotish sei. Wenn das Centrum sage, der Staat habe das Kirchengut geraubt, so erkläre er, es sei nur eine Verschiebung in dem Besißstand eingetreten. Auch vieles, was die Kirche jeßt besiße, sei früher heidnisch gewesen, und mit demselben Rechte könnte das Heidenthum jeßt diese Besißungen reklamiren. Der Papst sei auch vernünftiger, als das Centrum, wenn er in politische Dinge hineingerathe. Er (Redner) sei ja verschiedene Male hier bei der Wahl durchgefallen; aber man falle nicht länger dur, als bis man gewählt sei. Seine Kundschaft habe schon sehr zugenommen und werde bei denjenigen, die nit gerade mit dem Mühlendamm in Bezichung ständen, noch mehr zu- nehmen. Er habe mit 5300 Stimmen angefangen und besitze gegenwärtig 7800. Es verlohne sich also der? Mühe, und wenn er noch einmal so unterlegen sei, wie das Centrum mit Hülfe der Sozialdemokratie gesiegt habe, so werde man dem- selben bald im Museum von Monbijou einen Plat reserviren. Wo sei je ein tapserer Vertheidiger der Legitimität gewejen als er? Er sei sogar für die Legimität des Don Carlos ein- getreten. Man habe ihm dies freilih sehr übel gedeutet und ihn einen Banditen-Chef genannt. Der „Kladderadatsh“ have sogar behauptet, Redner hätte mit Don Carlos zu- sammen Uhren en gros gestohlen. Jn einer Zeit, wo der Kulturkampf seine Schatten auf andere Nationen werfe, wie der Aba. von Schorlemer ge- sagt habe, habe er es sür seine Pflicht gehalten, an einem Paradigma die Legitimität zu zeigen, wo dieselbe zu suchen sei, Er erwarte mit Bestimmtheit, daß der Fortschritt jeßt frei und offen Freiwilligen: Bataillone einrihten werde, um dem Papst wieder zu seiner weltlihen Herrschaft zu verhelfen. Ec s{wärme niht für eine Mittelpartei, sondern er wünsche eine fest geschlossene Majorität. Er wolle auch nicht ein solches Nationalprogramm, wie man in den Restaurationen zu jedem Braten eine Normalsauce beklomme. Man solle niht die Ver- antworilihkeit auf sich nehmen, daß das Diktum der Geschichte später laute: Große Ziele, große Staatsmänner; große Re- * gierung, aber ein kleines, erbärmlihes Volf.

Der Abg. Dr. Enneccerus bemerkte, er habe im Moment vergessen, daß der Vorredner auch zur katholishen Kirche ge- hóre. Es könne natürlih keine Kirche in dem Sinne tolerant sein, daß sie auch die Lehren einer anderen Kirche eben so wahr anerkenne, wie ihre eigenen, aber sie müsse den anderen Kirchengemeinden doch eine gewisse Existenzberechtigung zuge- stehen, wie denn auch die protestantische Kirche nicht für si den Auspruch erhebe, die allein seligmachende zu sein. Er setze si also dem Syllabus des Abg. Cremer aufs schärfste entgegen. Der Abg-[von Rauchhaupt habe von einer Umkehr der Nationalliberalen vom Unrichtigen zum Richtigen gesprochen. Der Abg. Windthorst habe gesagt: die Nationalliberalen hätten die Hand, die ihne von konservativer Seite entgegengehalten worden sei, zurüc- gewiesen, und der Abg. Bachem habe ihm ebenfalls bestätigt, daß sie die Versöhnungshand des Abg. von Hammerstein zurück- gewiesen hätten. Es sei doch etwas zu viel von ihnen verlangt, daß sie ex abrupto auf fünf lange Artikel der „Kölnischen Zeitung“ antworten sollten, ob dieselben ganz und gar ihren Anschauungen entsprächen. Fhm scheine das nur ein Argument zu sein, um gewissen Herren in der konservativen Partei wieder ein gewisses Oberwasser zu verschaffen. Seine Partei sei in allen politishen Fragen durhaus konsequent gewesen. Sie habe stets das nationale Prinzip mit dem liberalen zu verbinden verstanden. Die Hoffnung auf ein Wieder- beginnen des Kulturkampfes werde von ihnen nit getheilt. Das Wort „Kulturkampf“ verfange jeßt niht mehr im Lande. Das Centrum besiße jeßt niht mehr die Mittel, wie früher, auf die großen Massen des Volkes einzuwirken. Der Abg. Windthorst habe gesagt, daß die Führer der nationalliberalen Partei, die Abgg. von Bennigsen und Miquel. hinter der Front gekämpft hätten. Er überlasse es dem Ge- s{chmack desselben, Männer von solchem Verdienste in diefer Weise anzugreifen.

Der Abg. Dr. Wagner (Osthavelland) bemerkte, er freue si, daß die nationalliberale Partei jeßt allen Ernstes beab- sichtige, an die Reform der sozialen Frage heranzugehen. Der Abg. von Einern stehe ja, wie er felbst gestern erklärt habe, dem Antrage Stöcker sympathisch gegenüber. Sein (des Redners) Standpunkt sei der: es handele sich in Deutschland niht um eine große Mittelpartei, sondern um eine leistungs- fähige Rechte, die allerdings weit in die Mitte hinein- reihe. Und dazu brauhe sie die Nationalliberalen. Er wende sich nun zu dem Abg. Dr. Virchow. Derselbe habe es gerechtfertigt, daß das Centrum vielfah mit der deutsch:freisinnigen Partei Wahlbündnisse ein- gegangen sei, und dann weiter gesagt: das Centrum Habe ein- gesehen, wo die Männer seien, die an Prinzipien festhielten, und nicht mit den jeweiligen Strömungen der Machthaber gingen. Er hätte in diesem Zusammenhange speziell von seinem Fraktionsgenossen, dem Abg. Löwe und ihm (dem Redner), der hier sein Gegenkandidat zu fein die Ehre habe, gesprochen. Deshalb müsse er (Redner) doch wohl die leßten Aeußerungen des Abg. Dr. Virchow auf sih beziehen und daher sei sein Zwischenruf erfolgt. Der Abg. Virhow habe fein Recht, in dieser Weise politishe Gegner anzupreisen. Gewundert habe er (Redner) sich freilih darüber nicht, man habe diese Taktik ja s{hon in dem Wahl- kampf kennen gelernt. Sei bei seiner Partei je ein Meinungswehsel zu konstatiren gewesen? Was speziell die Kreise der Jugend und namentlih der Studenten- \chaft, der seine Partei ja nahe stehe, anbetreffe, so sei es Thatsache, daß ein erheblicher Theil derselben auf Seiten der Gegner des Abg. Virchow stehe. Woher komme das? Weil diese jungen Männer aufgewachsen seien unter dem Einfluß der großen nationalen Geschichte der leßten Jahre. Dies habe au ihn bewogen, denselben Standpunkt zu vertreten. Da habe der Abg. Virchow doch niht das Recht, davon zu reden, daß die Konservativen Leute seien, die nah den Winken der Machthaber ihre Ansichten wechselten. Man habe seine (Redners) Partei die „Partei der Veteranen“ genannt, da man herausgerehnet habe, daß gerade in der deutshfreisinnigen und Fortschrittspartei das durchschnitt- lie Lebensalter der Abgeordneten höher sei als in der kon- servativen, obglei es do eine anthropologische Wahrheit sei, daß mit zunehmendem Lebensalter die Menschen kon}ervativ würden. Dies zeige ihm, daß die Herren drüben nichts gelernt und nichts vergessen hätten, daß seine Partei aber weiter fort- geschritten sei. Die Deutschfreisinnigen hätten durhaus nicht den Anspru auf den {önen Namen „Forischrittspartei“, den

sie ja neuerdings aufgegeben hätten. Dieser Name komme

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