1885 / 48 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Feb 1885 18:00:01 GMT) scan diff

L A e Ent: naar

vorouêgeseßt wurde, in erfler Linie erforderlich. Die Aufgabe dieser für das praktische Bedürfniß der Einzelfiaaten bestimmten Hand- und Lebrbücher gebt dahin, sowohl den Juristen als auch an den am politisden Leben betheiligten gebildeten Kreisen neben einer Ent- widckelung ter dieses Gebiet beherrschenden allgemeinen Lehren eine anschaulicbe, auf der vollständigen Einzelerkenntniß beruhenden Dar- stellung der ôffentlid rechtlichen Verhältnisse der heutigen Staatenwelt zu bieten. Gerade das preußishe Staatsrewt von Schbulze vermag wegen der allgemein verftändlicben Darstellung bei streng festgekaltener Wissenschaftlihk. it jeden Gebildeten anzuziehen und zu fesseln, wenn er auvch nicht zur Zunft der Rechtsgelehrten . oder Rechtspraktiker aehört. Ueberall ift der reine Rechtscharakter der staatsre{tlichen Institutionen hervorgehoben, diese in threr ges{ichtliben Entwickelung und ihrem lebendigen Einfluß auf die Entwickelung des Staats- und Volkélebens dargestellt. Die leitenden Grundgedanken - sind {arf dogmatish betimmt. Gleich der erste Abschnitt, die Genesi8 des preußischen Staates, befriedigt in wohlthuender Weise durch die ges{ickte, bündige Entwidelung der geistigen Mat Preußens, also der entscheidenden Bedingung für die Bildung des neuen Deutschen Reichs. Mit vollem Rechte wird geltend gemac6t, daß kein Staat in dem Maaße, wie der preußisde Staat, die Söpfung großer Herrscherpersöalichkeiten ist. Die Hausgescbihte der Zollern fäUt in vielen Beziehungen mit der preußischen Staatsgeshichte zusammen. Der Verfasser bekundet durchweg geschichtliher Sinn und rechbtliches Verständniß für die neugcstaltete Organisation des preußischen Staats. Aus seiner jeßigen verdienstvollen Arbeit, deren Gebrauch dur ein genaues Sachregister erleichtert wird, lernen wir Überdies die Gewißheit, daß Preußens höcstens Interesse und unabweislihe Pflicht das allgemeine deuishe Interesse und die deutshe Nationalpflicht ift.

Von der „Deutschen Universalbibliothek für Gebildete“, „Das Wissen der Gegenwar!1* (Leipzig, G. Freytag ; Prag, F. Tempsky), liegen 3 neue Bände (geb. je 1 ) vor: 2

XXXI!: Willkomm, M. Die pyrenäishe Halbinsel. 1]. Abtbeilung. Spanien. Politische Giographie und Statistik. Scbilderung von Central- und Nordspanien (243 Seiten. 1884). Das vorliegende Werk bietet jedem, der sih Über Spanten ein auf gründ- licher Kenntniß des Thatsächliben und Einzelnen ruhendes eigenes Urthcil bilden will, das dazu nöthige Material, ges{chöpft aus eigener Anschauung, geordnet und gestaltet nach jenen Gesihtspunkten, welche der modernen Länder- und Völkerkunde maßgebend sind; eine Dar- stellung der geographisch-gescbichtlihen Entwickclung und gegenwärtigen Gestaltung der spaniswven Monarchie, ihrer politishen Verfassung, ihrer geistigen und materiellen Kultur, der Eigenart ihrer Bevölkerung in Charakter und Lebenésührung. Insbesondere werden in dem vor- liegenden Bande ktie ectinzelnen Provinzcn von Central- und Nord- panien ausführlid geschildert. Die klare, fließende und streng sacb- gemäße, unparteiishe Darstellung findet in zahlreichen, trefflich aus- geführten JIllustraticnen (i1 Vollbilder und 27 in den Text gedruckte Abbildungen) cinen wesentlih fördernden Sbmuck. Der vorliegende Band bildet zugleich die Fortsctung des 19. Bardes der Sammlung, der den portugiesischen Thcil der pyrenäischen Halbinsel behandelt.

XXXT]I: Blümner, H. Das Kunstgewerbe im Alter- thum. 11. Abrhcilung. Die Erzeugnisse des griechisch - italiscben Kaunstgewerbes. (234 Seiten, 1885.) Nachdem in der ersten Ab- thcilung dieses Werkes („Das Wissen der Gegenwart“ XXX. Band) die Technik und Stilistik des antiken Kunftgewerbes dargestellt worden, behandelt nun der vorliegende Band die mannigfaten Erzeugnisse desselben mit besonderer Berücksichtizung ihrer Bedeutung und Ver- wendung im privaten und öffentlichen Leben des Alterthums. Das Haus und seine Ausstattung bildet naturgemäß den Ausgangspunkt für die Betrachtung des Mobiliars, der Geräthe für Beleuchtung, Heizung, Vorrathskammer und Tafel, des Bade- und Toilettengeräths, des Kultus im Tempel und Privathaus, der Schmudtsachen, Waffen, Wagen und aller Geräthscbaften in ihrer ästhe1ishen und cthischen Bedeutung für das antike Leben. Diese Kenntniß durch Wort und Bild zu vermitteln und für das moderne Leben, insbesondere feine kunstgewerbliten B:strebungen, nußbar zu machen, ist der Zweck dieses mit 143 trcfflihen Abbildungen ges{chmückten trefflichen Buches.

XXXIII: Schorn, Otto v. Die Textilkunst. Eine Ueber- siht thres Entwickilungsganges vom frühen Mittelalter“ bis zur Gegenwart. (260 Seiten. 1885.) Dieses Buch giebt in klarer, lebendiger Darstellung und übersichtliher Gliederung, in engem Rahmen alle Zwcige seincs Gegenstandes (Gewebte Stoffe, Teppiche, Stiereien, Posamenticrarbeiten, Spitzen, Arbciten aus Lcder, Papiertapeten) umfassend, etn Bild der geiihtlichen Entwikeiung der Technik, des Stils und Inhalts dieses Kunstgewerbes und regt den Techniker zu weiterem Schaffen an, 132 Abbildungen von Mustern werden das besondere Întercsse der Damen erweckcn.

Da sih seit Juni 1882 die Sammlungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück um über 1ausend Bände und Schriftistücke vermehrt haben, so hat der Vor- stand deffelben durch seinen Sekretär, den Königlichen Staatsarchivar und Archiv-Rath Dr. verm. Veltmann, einen 111. Nachtrag zu dem Verzeichniß seiner Bibliothek und seiner handschrifst- lihen Sammlungen herausgeben lossen. Dieser Nachtrag, der vor Kurzem in Dénabrüdk erschienen, verzeichnet die cit 1882 der Bibliothek zugekommenen Schusten: Schustcn gelebrter Gesell- schaften und von Bereinen sür Geschichte und Alterthumskunde ; ferner Schriften, betr. Diplomatik, Schriftwesen, Chronologie, Wörter- bücher, Grammatik; Numiematik, Heraldik, Sphragistik, Geacalogie ; Geographie, Karten, Reisen; Alterthumskunde vnd Kunstgescbichte ; ferner Quellen für Geschichte und Recht, Urlundensammlungen, Chro- niken, Nekrologien; Schriften, betr, Weltgeschichte, insbesondere deutsbe Geschichte, Biographien, die Gescvichte nihtdeutsher Völker und Territorien und Biographien; die Rechts- und Staatswissen- \chast fowie Statistik; Westfalen, den Landdrofteibezirk Osnabrück, Ostfricéland, endli Verschiedenes. An dieses Verzeichniß der Druck- werke sckließt sfih cin Verzeichniß der handschrifilichen Sammlungen, die ter Verein erhalten, an: cine Angabe von 15 Manuskripten ver- iedenen Inhalts, sowie die wörtlite Mittheilung von 61 Urkunden aus den Jahren 1347—1699, 16. Dezember, Den Schluß des Kata- loges bildet cin alphabetishes Verzeichniß der Vereine und Autoren.

Von der Katholischetheologishen Bibliothek, die in Ludwig Rofsenthals Antiquariat zu Mün chen käuflich vorräthig ist, ist vor Kurzem die 5. Abth. erschienen. Dieselbe reicht von Nr. 4381 vis 5402 und enthôlt lauter lateinishe Schriften aus dem 16., 17, und 18, Jahrhundert.

Gewerbe und Handel.

Nach den statistishen Ermittelungen des Vereins deutscher Cisen- und Stablindustrieller belief sich tie Roheisenpro- duktion des Deutschen Reichs (einschließli Luxemburgs) im Monat Januar 1885 auf 319 861 t, darunter 182 945 t Puddelroheisfen, 10 479 t, Spiegeleisen, 41 794 t Bessemerroheisen, 43 592 t Thomas- roheisen und 38091 t Gießereirobeisen. Die Produktion im Dezember 1884 betrug 295 618 t. Im Januar 1884 wurden produzirt 280 0621.

Nach dem Geschäftsberiht der Deutschen Genossen- schaftsbank von Soergel, Parrisius u. Co. hat sich im verflossenen Jabre der Umsaß nicht unerheblich gesteigert und zwar in Berlin um 100 301 193 M, bei der Kommandite um 23 623 168 M, fo daß der Umsay des Gesammtgeschäftes 1884 1 693 334 771 4 be- trug. Auf Cffekten- und Provisionskonto ist ein größerer Gewinn als im Jahre 1883 erzielt. Zu diefer Vermehrung hat die von der Bank bewirkte Finanzirung resp. Emission der Crefeld-Uerdinger Lokalbabn- Aktien und Priocitätéobligationen und die Uebernahme einiger Koms- munalanleißen beigetragen Von der Spezialreserve für das Brriiner Geschäft im Betrag von 50 000 4 mußten zur Dc ckuyg von Verlusten resp, zur Auéglcihung einer Stempelnachforderung 41 554 M abgeschrieben werden, so daß noch 8446 A verbleiben. Hierzu treten die ron dem Gewinn des Jahres 1884 abgesecßten 71 554 M, so daß die Spczialreserve jet beträgt 80 000 4, also 30000 Æ& mehr als im Vorjahre. Die Spezialreserve bei der Kommandite ist durch Zuschreibung auf 25 000 Æ erhöht. Aus dem Eewinn- und Verlustkonto ergiebt sich, daß, nah Abzug der vertragé-

mäßigen Tantièmen, eine Dividende von 89% zur Vertheilung ge- langen kann.

Weimar, 24. Februar. (Tb. C.) Nach den Berichten aus Apolda gehen dort die Bestellungen für die nächste Winter- saison gut ein, sodaß der Bedarf von Arbeitern und Arbeiterinnen ein starker ift. ‘Vorzugêweise werden Damentücher und Herrenwesten angefertigt. Auf dem Gebiet der Handarbeit spielen Möbelfransen, die meist ins Ausland gehen, eine große Rolle.

New-York, 23 Februar. (W. T. B.) Weizenverschif- fungen der leßten Wohe von den atlantishen Häfen der Ver- einigten Staaten nach Großbritannien 39000, do. nach Frank- reichd —, do. nach anderen Hâfen des Kontinents 5000, do. von Kalifornien und Oregon na Großbritannien 85 000, do. nah an- deren Häfen des Kontinents 10000 Orts.

New-York, 24, Februar. (W. T. B.) Der Werth der Produktenausfubhbr in der leßten Woche betrug 5470000 Doll.

Submissionen im Auslande.

Griechenland. 15, März, 10 Uhr. Präfektur von Athen. Arbeiten und Liefe- rungen für den Bau mehrerer eiserner Brücken. Voranscblag für die Arbeiten 440 000 Fr. Nôäôhercs an Ort und Stelle.

Berlin, 25. Februar 1885.

Unter dem Titel: „Die Frage des Kanalbaues in Preußen“ hat Dr. August Metten, Geh. Reg.-Rath a. D, Pro- fessor an der Universität Berlin, im Verlage von Duncker u. Humblot in Leipzig cine inhaltreihe Brosbüre erscheinen lassen, in welcer in klarer und, wie cs sich bei dem Verfasser cigentlih von felbft versteht, sahverständigster Darstellung der behandelie Gegenstand gründlich und allseitig erörtert wird. Die Broschüre knüpft an die Gesetzesvorlage vom 24. März 1882, betreffend den „Bau eines Scifffahrtécanales von Dortmund nach der unteren Ems zur Verbindung des Westfälischen Kohlengebiets mit den Emshäfen“ an und will die beiden grund- legenden Fragen zu löfen versuchen: Soll Preußen überhaupt die Idee, ein umfassendes Kanalneßz auszubaven, verfolgen? und, wenn davon nit gänzlih Abstand zu nehmen ist, welbe Hauptlinien und wels System des Baucs und Betriebes fordert dasselbe? Im Laufe der Erörterung führt der Verfofser unter anderem Folgendes aus. Was das Verhältniß der Kanäle zu den Cisenbahnen betrifft, so ist un- bestreitbar, daß die Eisenbahn den Kanalbau in hohem Grade ein- geshränkt, und daß fie ihn unter ganz veränderte Gesichtspunkte gestellt hat. Vor der Zeit der Eisenbahnen war nur das Fra(tfuhr- wesen Concurrent der Wasserstrafie; dasselbe Pferd zieht ouf dem Landwege 15, auf der Chaufsce 30, auf dem Wasser 1009 Ctr.; es war also sicher, daß der Staat, wenn er Kanäle baute, etwas sehr nüßliches begann, und daß die Verzinsung der Anlage bei verhältniß- mäßig geringem Frachtverkehr möglich war. Seit der Entwickelung der Eisenbahnen ist die Zahl neuer, selbständiger Kanalunternehmungen eine vershwindend kleine geblieben, weil durch den Eisenbahnbau die Konkurrenzfähigkeit der Kanäle wesentli erschwert wurde, Die Ueber- leger heit der Eisenbahnen für die gewöhnlihe Waarenverfrachtung ist unbestreitbar. Den anerkannten Vortheilen der Eisenbahn stehen nur wenige Vorzüge gegenüber, die für den gewöhnliwen Waarenverkehr der Kanal seinerseits bietet. Gewisse Waaren wenden fich ihrer Natur nach de: Wafserfracbt zu, wie z. B. Güter, welche mehr Raum einnehmen als der gewöhnliche Waggon und die Durcbfahrten der Bahn gewähren, solche, welbe feuergefährli find, oder das Schütteln der Eisenbahn. richt vertragen 2c. Der Kanal wird auch stets vor- gezogen werden, wenn Waaren auf Flußschiffen ankommen und in demselben Schiffe weitergehen können, stait auf die Eisenbahn um- geladen zu werden. Ein einziges Schiff von 4900 Ctr. faßt soviel wie ein ganzer ziemlih s{chwerer Eisenbahnzug. Der Hauptvortkß;eil des Kanals ift aber, daß die Frachten an jeder Stelle ein- und aus- geladen werden können. Troßdem werden die gewöhnlichen Frachten nur dann auf das Wasser übergehen, wenn die Kosten erbeblih unter der Cisenbahnfraht liegen; und zroar rimmt man an, daß die Gesammtkoften der Kanalfracht niht über 2/4 der niedrigsten von den Bahnen ohne Schaden gewährten Tarifsäße betragen dürfen. In der eigentliden Massenfracht giebt es allerdings eine Grenze für die Leistungsfähigkeit der Cisenbahn, über welhe hinaus sie die Konkurrenz mit dem Kanale nit mchr aufzunehmen vermag, oder wo der Kanal wenigstens volkê- und \taatswirthscaftlih vor- zuziehen ist. Bei welchem Massenverkehr diese wirthscaftlihen Vor- züge des Kanals einzutreten beainnen, stellt der Verfasser nach Maßgabe der oben crwöhnten Gesetzesvorlage fest und kommt zu dem Resultat, daß man überall da einen rentablen und gezen die Cisen- bahnen konfurrenzsähigen Kanal bauen kann, wo man einen turcb- laufenden Verkehr von rund 2 Mill. Tornen jährlich erwarten darf. Diese Frachtmenge bezeichnet aber nicht allein die Rentabilität der Kanalunternehmungen, sondern sie ift auch die äußerste Grenze, bei der die Verwendung der Cisenbahnen noch wirthschastlih erscheinen kann. Bei den einschlägigen Erwägungen ift dic Eigenthümlichkeit, daß der Karal ein vorzüglich regulirter und beaufsichtigter Zu- und Ableiter von Wasser ist und deékbalb, ganz abgesehen von der Fracht- bewegung, als cine Wasserleitung sehr erheblichen landwirthschaft- lichen Meliorationszwecken diernstbar gemaht werden kann, nicht in Rechvung gezogen. Die Brechüre g: ht nun weiter zu einer Be- \sprebung der Entwickelung der Kanäle und des Kanalwesens in Gygland, Amerika, Frankreich 2c. über; dann wird weiter ausgeführt, daß weder das Wesin des Kanalbaues selbst, noch die Erfahrungen, tie anderwärts über die Kanäle gemacht worden sind, hinreichende Gründe darbieten, von der Idee abzustehen, in Preußen ein um- fassendes Kanalnetz auszubauen, welches die Länder der Monarchie vom Osten zum Westen zu verbinden vermag. Unabweisbare Be- dingung . aber sei es, daß, abgesehen von besonderen Fällen der Landesmelioration oder der bloßen Zwischenverbindung bestehender Wasserstraßen, nur solche Linien in Rücksicht gezogen werden, für welche si Aussibt auf eine Frachtbewegung von etwa 2 Mill. Tonnen über jeden Kilometer eröffret. Jn Bezug auf den Umfang des zu erwartenden Verkehrs hält der Verfasser Ueberrashungen, wie fle seiner Zeit die unerwartet großen Fracbtmengen der Eisenbahnen brachten, nicht für ausgesdlofsen. AUerorts harren viele Artikel ihrer Hebung und Bewegung durch billigeren Transport. Die Wahl der Linien hängt nothwendig von großen Zentralpunkten der Massen- produktion und Massenkonsumtion ab. Als Produkttonsftätten für folde Massenfrachten lassen sfih nur Gegenden mit reihem Bergbau denken; als Konsumtionsorte kommen die ftark bevölkerten Haupt- städte und die Hafenpläte mit lebendigem Ein- und Ausfuhroerkehr in Betracht. Für Preußen ift nah beiden Richtungen die Auêwzhl der entscheidenden Punkte zweifellos. Die Umgebung von Gleiwitz in Oberschlesien an der äußersten \füdöstlichen Grenze des Staates erzeugt jährli 10 Mill. Tonnen Koßblen und 1,6 Mill. Tonnen Eisen, von welchen der größte Theil seinen Weg in das Herz der Monarchie sfuden muß. In Mittelshlesien licgen um Waldenburg Kohlenreviere mit einec Produktion von 3 Mill. Tonnen, im Süden von Berlin breitet sih zum Theil auf böhmisbem und sächsishem Gebiet eine Zone reicher Montanindustrie aus, welche die Granit- und Sandsteinbrüchhe der Elbufer umfaßt 2c. Nahe der Westgrenze des Staates erzeugen die Bergbaurevicre von Dortmund jährlich 26 Mill. Tonnen Kohlen und 2,7 Mill. Tonnen Eisen; jenfeits des Rheins erscheint das Kohlengebiet von Aachen mit 1,4 Mill. Tonnen Kohlen und 1 Mill, Tonnen Eisen; endlich produzirt das Saarbrücker Kohlenrevier mit seiner Umgebung 52 Mill, Tonnen Kohlen und 2,8 Mill. Tonnen Eisen. Diesen Produktions- zentren gegenüber licgt als Hauptkonsumtionsftätte nahezu im Mittel- punkte des Staates Berlin, für welches auf Eisenbahnen und Wasserstraßen ein Frachtenverkehr von 5 950 000 Tonnen jährli nach- gewiesen wird. Gegen diese Waarenmenge cht zur Zeit noch der Binnenverkehr aller teutshen Sechäfen erheblih zurück. Vei ciner

Verbilligung des Transportes dur gute Wasserverbindungen würd fih der Verkehr na den Hafenpläßen besonders in Kohlen, abi au in anderen Gütern bedeutend erweitern Dieser zu erwartend

Steigerung wegen müssen die Sechäfen als die natürlichen Mündungs, punkte eines zweckmäßigen Nees von Binnenwasserstraßen betraitet werden. Aub das Ausland kann für die Erwägung, mo binnen, ländisde Kanallinien zu ziehen sind, nit ganz außer Att bleiben insofern dort ähnlide Konsumtionspunkte bestehen, nach welden Kanallinien zum Nußen und Gedeihen der heimischen Produktion gerichtet werden könnten. In dieser Beziehung bietet ih auf der einen Seite Wien mit einem Ein- und Ausgange von fast 3 000000 Tonnen dar; son seit einem Jahrzehnt wird seitens dieser industrie, reichen Stadt zum Zwecke ausgiebigerer Versorgung mit billigen Brennmaterial eine Kanalverbindung mit den obers{lesis{hen Stein, fohlenrevieren geplant. Auf der entgegengeseßten westlihen Seit; des Staates könnten Rotterdam, Antwerpen und Paris in Betra kommen; als ergiebig kann aber für ein preußisches Kanalneß hier uy eine Linie aus den rheinischen Kohlengebieten nah Antwerpen gedagt werden. Verbindet man alle genannten Produktionsftätten mit den M Konsumtionsorten dur mögli gerade Linien, so hat man iy

Allgemeinen und theoretih die Grundzüge eines Netzes von Wasser

straßen, welches nit blos wesentlide Förderung des Massene

verkehrs verspräche, sondern auch die Rentabilität der Wasser

traßen erwarten läßt. Man kann dieses Netz in seinen

allgemeinsten Zügen und Hauptrihtungen als die Kreuzung weniger

Hauptlinien în Berlin betrahten. Es würde gebildet werden

durch eine Linie von Wien und der Donau über Oberschlesien

und Berlin nach Hamburg, mit einer Abzweigung aus Schlesien

nber Posen nab Bromberg; dur eine zweite Linie von Aussig über

Dreéden und Berlin nach Stettin; durch eine dritte von Königsberg

und Danzig über Berlin, Magdeburg und Dortmund nach dem Rhei

und Antwerpen; endli dur eine Linie von Dortmund nah dey

Ems, Bremen und Hamburg. Alle anderen Verbindungen könntey

abgesehen von einigen Zwisckengliedern, zweckmäßiger den Eisenbahn

Überlassen bleiben. Es läßt #ich au sagen, welche Bedingungen

der Ausführung eines solchen Idealsystems ter preußischen Wasser-

verbindungen gestellt werden müßten, wenn es seinem Zwecke bes,

möalist entsprechen sollte, Es müßte ein gut konflruirtes Kangl-

\{iff von 350 Tonnen Tragfähtgkeit alle diese Strecken gleibmäßh

befahren können; die Wassertiefe müßte überall aleihmäßig 2

betrager. Die Linien sind so zu wählen, daß der Kanal fo [ange

als mögli in demselben Niveau liegt, Steigungen und Senkunge

auf mögli wenige Stellen zusammengedrängt und dur Scbleusen,

Hebewerke oder sciefe Ebenen so überwunden werden, daß thunlit|

an Zeit gespart wird. Für die Fortbewegung wäre Menschen- wie

Pferdezug mögli zu vermeiden, Bewegung durch Dampf-, Tay

oder Kettenbetrieb für alle Haltungen von nicht zu geranger Lnge

vorzuschen; an allen Hauptpläten wäre für wohleingericlete, zeit

sparende Auê- und Einladung Fürsorge zu treffen. Wie weit

möglich wird, solchen allgemeinen Ideen durchführbare Pläne bis jl

einem hinreichenden Grade anzunähern, das kommt, wie bet all

praktischen Unternehmungen, auf die Schwierigkeiten an, die die that:

sächlihen Verhältnisse den Wünschen, so richtig ausgedact fie seh

mögen, entgegenstellen, Die weiteren Ausführungen der interessanten

Broschüre sind mehr fachmännischer Natur und gehen „theilweise in

die Details, Wir wollen also nur noch aus dem Schlußresumé

Folgendes anführen: Die Kosten der oben erwähnten drei in Berlin

fich kreuzenden Hauptkanallinien sind auf etwa 4 Milliarde Mak zu {äâßen, welhe sih größtentheils durch eine auf 0,7 Pfennig für Tonne und Kilometer zu normirende Kanalgebühr verzinsen und

amortisiren würde. Einen anderen Theil der Kostendeckung empfiehlt sich, bis zur Höhe des Grunderwerbes und des Ersatzes für Schädigungen der Grundstücke durÞd Beiträge der Kommune, Privatinterefsenten und dem Kanale benachbarten Grundbesitzungen aufzubringen, Der Broscbüre is eine Berechnung der Kosten de Kanalboote nach E. Bellingrath und eine lithographirte Karte, welche die zu projektirenden Kanäle veranschaulicht, angehängt.

Von dem Bildhauer Schuler ift das Hülfsmodell des ihm in Auftrag gegebenen Luther-Standbildes für die Stadt Nord- hausen seit Kurzem vollendet und damit die Gestalt der Statu, für die sih nunmehr das fkolofsale Gußmodell bereits in Arbeit he findet, definitiv festgestellt worden. Nach jeder Seite hin hält de Werk vollständig, was bereits die erste Skizze versprach. Es gie! ein mit fiherem monumentalen Gefühl \{licht und einfach ausge faßtes Bild des Dargestellten, das die Beteutung und Eigenart de Reformators zu überzeugendem Ausdruck bringt. Indem es die in de allgemeinen Vorstellung lebendige Erscheinung desselben festhält, utt es sein Verdienst nit sowohl in einem um jeden Preis originellen Motiv, als vielmehr in dem durcbgeistigten Ausdruck des Kopfes, in der ihm entsprehenden ruhigea Bewegung der Gestalt und in di gründlichen und gewissenhaften Durchbildung der ganzen Arbeit. J dem vorzüglich gelungenen, frei erhobenen Kopf ift mit dem zu Grunde gelegten Typus der Cranacbschen Porträts in geschickteïter Weise cin idealerer Zug im Sinne der Nietschelswen Auffaffung verschmolzen, jed pathetish gesteigerte Bewegung der Statue aber völlig ferngehalten ; dit bekrästigend auf die Bruft gelegte Linke und die Haltung der rechten Haid und des Arms mit der in ihnen fest und sicber ruhenden Bibel ver stärken ungesut den CEindruck gesclossenen Wesens und unerschütter licher Ueberzeugungstreue. Die Durchführung der Gewandung, de bis auf die Füße hinabreichenden Magistertalars, erzielt dabet durd den fíar motivirten, die breiten Flähen wirksam unterbrechendet Saltenwurf cine ebenso angemessene wie reiche plastische Belebung de mit vortretendem linken Fuß ruhig dastehenden Figur.

Die durch ihre großartigen Samenkulturen bekannte Firina J, C. Schmidt in Erfurt versendet auch in diesem Frühjahr niedlid: Blumenmappen, die, hüb|ch in Buntdruck ausgeführt, 12 der be liebtesten Blumensamensorten enthalten. Jede Sorte ist wiederum in etner Kapsel vers{hlofsen, die ‘vorn in Buntdruck die Abbildung der betreffenden Blume und hinten die entsprehcnde Kulturanweisung enthält. Diese Neuheit, die sich namentlich zum Geschenk an hiumer licbende Damen eignet, wird vielen Anklang finden, zumal sich det tent nur auf 1,20 / (4 Mappen 4 6.) bei portofreier Zuseadung

ellt.

Deutsches Theater. Fr. Niemann kehrt Ende dieser Woh: von ihrem Urlaub zurück und wird am Montag, den 2. März, zun ersten Male wieder in dem Lustspiel „Die große Glocke“ auftreten. Das zweite Auftreten der Fr. Rosa Hildebrandt als „Königin Elisa beth“ in Laube's „Graf Efsir“ findet am Sonntag statt.

Die Festaufführung, welhe Hr. Hof-Musikdirektor B ilfe an Montag zur Feier des DoppeljubiläumsHändelsundBachsin Concerthause veranstaltet hatte, war der Jubilare würdig. Dem sehr zahlrei versammelten Publikum wurde der Genuß der mit Un sicht ausgewähltenu und meisterhaft vorgetragenen besten Orgel- und Inftrumental-Kompositionen beider Jubilare zu Theil. Sämmtlicht Nummern des Programms erhielten deu lebhaftesten Beifall ; Hän

dels Largo für Orgel, Harfe und Streichinstrumente mußte auf für )

misches Verlangen wiederholt werden.

Nedacteur : Riedel.

Verlaz der Expedttton (S ch oli), Druck: W. Els8nel- Vier Beilagen (eins{ch!lteßlich Börsen-Veilage).

Berlin!

Nichtamfliches.

Preußen. Berlin, 25. Februar. Jm weiteren Ver- [aaf der gestrigen (26.) Sißung des Hauses der Abge- oxdneten erklärte bei der fortgeseßten (2.) Berathung des Etats für das Ministerium der geistlichen, Unter- xihts- und Medizinal-Angelegenheiten der Abg. Dr. von Jazdzewski, daß die Ausführungen des Ministers in der Sihung am Montag, soweit sie die staatsgefährlichen Aeußerungen des Vorgängers des Grafen Ledochowski be- träfen, auf falscher Pan beruhen müßten. Der Minister habe zwar seine Behauptung, daß die polnische Geistlichkeit den Gedanken an die Wiederherstellung Polens, wäre es auch auf dem Wege gewaltsamer Losreißung vom preußischen Staat, bei den Polen unausgesezt genährt habe und zu nähren fortfahre, mit zahlreichen Beweisen belegen zu können erklärt ; die von ihm in Wirklichkeit vorgeführten Thats- sachen seien aber alles Andere eher als beweisfräftig für diese haitlose Behauptung gewesen. Namentlih die Anführung der gegen drei angebli polnische Geistliche ergangenen Straf- urtheile wegen Majestätsbeleidigung u. dergl. könne nur als ein völliges Mißglücken des versuhten Beweises angesehen werden. Die katholische Geistlichkeit sei ebenso loyal wie die polnische Bevölkerung im Allgemeinen ; überall herrshe der tiefste Friede unter den Konfessionen und den Nationalitäten. Ebenso ungerecht wie den Erzbischof Dziluski habe der Minister den Grafen Ledochowski ähnlicher Aspirationen be- schuldigt ; einen Gesinnungswechsel habe Leßterer während der Dauer seines Primats nicht vollzogen. Uebrigens sei der Primat selbst doch lediglich eine kirchliche Würde, Die Re- gierung trage allein die Schuld daran, daß zur Beseitigung des S Nothstandes in Kosten noch immer nichts ge- schehen sei.

Hierauf entgegnete der Staats-Minister Dr. von Goßler:

Meine Herren! Jch will einen Spezialfall, den der Herr Vor- redner eben behandelt hat, gleich noch einmal kurz beleuhten. Jch habe gestern {on gesagt, daß die Anstellung des Geistlichen an der Korrektionsansialt in Kosten niht unmittelbar zu meinem Ressort gehört, daß ich aber, soweit es an mir war, gern meine Hand dazu geboten habe, um dort Wandel zu schaffen.

Nab den amtlichen Mittheilungen, die mir vorliegen, handelt es sich in der That niht um die Vertretung des Staatspfarrers Brenk in sciner Stellung an der Korrekttonsanstalt, sondern um die Gewinnung eines ganz selbständig stehenden römisch-ka1holishen Pfar- rers für dieses Amt. Auf diesem Gebiet sind der Verwaltung große Schwierigkeiten entstanden, da die Landarmendirektion, von der die Sacbe ressortirt, bei zwei Geistlihen kein Entgegen- kommen gefunden hat, weil den betreffenden Geistlichen die firchliche Erlaubniß zur Uebernahme des Amtes nit ertheilt ist. Ich kann weiter na den Berichten nur sagen: die Direktion hat nach den Schwierigkeiten, die ihr fortwähread gemacht werden, fo wenia Hoffnung auf eine befriedigende Lösung, daß es des Einflusses der Aufsichtsbehörde bedarf, um die Herren dazu zu bewegen, daß sie weitere Versuche zur Regelung der Angelegenheit unternehmen. Also wenn die geehrten Herren von Stablerwski und von Jazdzewski in der Lage wären, auch von der anderen Seite hier ein freundliches Entgegenkommen zu bereiten, würde der beklagte Zustand sehr bald aus der Welt vershwinden.

Ich komme nun zurück auf die allgemeinen Betrachtungen, die der Hr. Abg. von Jazdzewski soeben angestellt hat. Jh freue mi jedes- mal herzlich, wenn er oder einer von seinen ihm näher stehenden Kol- legen Veranlaffung nimmt, hier von der Tribüne des Hauses die loyale Stellung der polnishen Geistlichkeit zu betonen. Da der geehrte Herr jedo unmögli über alle Dinge fo orientirt sein kann, als es die Staatsregierung sein muß und es auch ift, so wird es ihn interessiren, wenn ich ihm manche Thatsache vorführe, welche thn in seinem Urtheile etwas vorsihtiger machen wird.

Der geehrte Herr Abgeordnete knüpfte an an meine gestern ganz improvisirte und sporadisch rasch gemachte Bemerkung von dem Herrn Grzbishof Przyluski. Er bestritt meine Behauptung, daß das von ihm richtig genannte Blatt, der „Tygodnik katolicki“, aus welhem ih einen Artikel über die Aufgaben der Seelsorge angeführt habe, irgend einen offiziósen Charakter hätte. Hrn. von Jazdzewski wird es in- teressiren, wenn ih mittheile, daß durd ein Rundscreiben des Erzbishoss vom 21. Mai 1860 der „Tygodnik katolidi * als offizielles Organ, welches die Geistlihen halten und unter ihren Parochianen verbreiten sollten, hingestellt ist. Es handelt sich nicht um ein Privatunternebmen oder um cinen Privatmann, sondern der Verfasser und Herausgeber dieser Wotbenschrift, deren Inhalt mehrfah zu Begegnungen mit dem Strafricbter geführt hat, war der Propst Prusinowski in Gräg.

Dis Tendenz der von mir gestern erwähnten und ähnlicher Gnunziationen läßt \sich dahin harafkteri}iren , daß als Vor- auésseßung und Bedingung eines günstigen Erfolges für das Streben nachþ der Wiederherstelung Polens bezeichnet wurde die Unterordnung der nationalen Bewegung unter die Geistlichkeit. Es ist dieser Gedanke {on während der Amts3periode des Erzbischofs Przyluski hervorgetreten. Auch fn der zweiten Periode der Amtsthätigkeit des Grafen Ledohowski ist das Streben,, dem Klerus die dominirende Stellung in der nationa- len Bewegung zu verschaffen, deutlid wahrnehmbar und noch gegen- wärtig ist die Frage in der Entwickelung. Die Herren, welche die Verhältnisse etwas näher kennen, werden wissen, daß der Kampf zwischen dem „Dziennik poznanski“ und dem „Kuryer poznanski no heute die Signatur dieser Bewegung is. Jch zweifle Übrigens nicht, daß die Adelspartei von der Partei der Geistlichkeit mehr und mehr unterworfen werden wird. j

Der Hr. Abg. von Jazdzewski ging auch soweit, daß er hier öffentlich bekundete, es sei von einem Umschwung in der Gesinnung des Grafen Ledochowski nichts bekannt. Darüber habe ich wiederholt mich zu verbreiten die Chre gehabt. Wenn ih immer dasselbe hier- über mittheilen wolite, würde ich Sie vielleicht ermüden; aber ih bin in der Lage, neues Material zur Ergänzung vorzuführen.

Als bet den ersten Wahlen zum Norddeutsben Reichstag in der Proxínz Posen die Agitation von den Kanzeln eine so eminente war, daß bekanntlich die Reichstagsverhandlungen widerhallten von den Klagen über das Verhalten der katholischen Geistlichkeit in der Pro- vinz Posen, wurde der Erzbischof Ledochowski angegangen, Wandel

auf diesem Gebiete zu hafen. Es wurde ihm bei dieser Gelegen- heit gesagt, daß die Schulaufsicbt entzogen werden sollte etwa 90 Geist- lien, von benen es fesigestellt war, daß Je von der Kanzel in dem Wahlkampyfe die Führung genommen hatten. In_ einem, aus diefem Anlaß an den Kultusminister gerichteten Schreiben vom 25. November 1867 bat dex Graf Ledochowski, von dieser angedrohten Maßregel Abstand zu nehmen, indem ex es als das von ihm erstrebte Ziel bezeichnete, „eine wahrhaft loyale Gesinnungs- und Handlungs- weise in seinem Klerus zu begründen und zu fördern“. Auf Drängen der Regierung ging der Graf Ledocbowski gegen die Geistlichen dis- äiplinarisch vor.

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Erste B ceilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

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Berlin, Mittwoh, den 25. Februar

Es ift bekannt, namentli auch in den geistlihen Kreisen der Provinz Posen, daß damals eine sehr starke Erregung und Erbitterung der Geiftlihkeit gegen den Erzbishof ih kundgab. Da erschien zwar anonym, indessen wie allgemein an- genommen wurde, von dem vorhin genannten Probst Prusinowski verfaßt eine Schrift, in welcher sih der mit den Verhältnissen offenbar sehr vertraute Verfasser an die Geistlihkeit wandte, und ausführte: man verkenne den Grafen L-dochowski; derselbe sei ein echter Römer und ein guter Pole. Poien sei in seinen Kämpfen bis- her unterlegen, weil es si nicht eng an die Kircde angeschlossen habe.

Nur dur) die Kirche könne Polen zur Freiheit geführt werden. Dazu aber sei nöthig, daß der Kirche die leitende Stellung eingeräumt werde, während bit- her die Geistlihkeit von der Nationalpartei ins Schblepp- tau genomnfen worden sei. Bis dies geschehen, vors übergehend sei für die Geistlihkeit Enthaltsamkeit von der nationalen Bewegung Pflicht. Im rechten Moment werde der Erzbischof {on eine andere Sprache führen, Jn seinem Hirten- briefe vom 16. März 1871, worin die ersten Spuren der Wandlung des Grafen Ledohowski hekannt wurden, führte derselbe aus, daß es dic Prliht und das Ret der Geistlichkeit sei, für die Wahl ultra- wmontaner Abgeordneter einzutreten. Von weitergehenden Agitationen mahnte er ab, aber er sagte am Schluß, die Geistlichkeit möge die Versicherung entgegennehmen, „daß im Falle neuer und ver- änderter Verhältnisse wir nicht versäumen werden, un selbst die entsprechende Nichts{hnur vorzuscrei-

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Was das bedeutet, meine Herren, das i} in der nabfolgenden Zeit klar geworden.

Ich darf noch erwähnen, wie diese Entwickelung beurtheilt wor- den ift Seitens der polnischen Presse. Jch habe diese Mittheilung {on einmal hier vorgetragen. Ein angesehenes Lemberger Blatt brachte im Jahre 1877 eine Correspondenz aus Rom, in der zurück- gegangen wurde auf die dem Grafen Ledohowski so oft vorgeworfene Reise nah Versailles, in welcher aber sodann ausdrücklich bemerkt wurde, daß er jeßt ein eifriger Pole geworden set. Die Correspondenz fügte hinzu:

__ Möchten doch die Polen, dem Grafen Ledochowski seine früheren Verirrungen und Ungerechtigkeiten mit Rücksiht auf die neuen Verdienste verzeihend, ausrufen können: der Pcimas ift mit der Nation und die Natioa mit dem Primas.“

Geht man weiter, um sich ein Urtheil zu bilden über die Art und Weise, wie der Graf Ledochowski seine Stellung zur preußischen Monarcwie aufgefaßt hat, so ist von erheblichem Interesse zunächst die Thatsache, daß der „Kuryer poznanski“ von ihm als das Organ hin- gestellt worden ist, welches seine Befehle seinen Diözesanen über- mitteln würde, nachdem er aus sciner Diözese gewiesen war. Jn diesem Blatte ist im Jahre 1879 ein Brief aus Rom veröffentlicht worden, und zwar wie es in der Redaktionsüberschrift beißt, ein Brief, der aus einer Quelle * stammt, die keinen Zweifel übrig läßt. Derselbe brachte den Befehl, daß die bevorstehenden Landtagswahlen unter der Parole der katholischen Partei, in Verbindung mit einer zweiten, nämlih der Parole der Vertheidigung der polnischen Nationalr-chte, in dem Großherzogthurn stattzufinden hätten und gab dem Wunsche Ausdruck, daß sie für die Polen und Katholiken günstig ausfallen möhten. Zur Charakterisi- rung dieses Briefes, der bestimmt war,, ein vereintes Vorgehen der nationalén und der flerikaïen Partei herbeizuführen, diene, daß es in demselben von den Polen heißt: ;

„Wir, die wir zur préußischen Monar{ie zu gehören gezwungen find.“

Cs ist auch weiter bekannt, meine Herren, daß von Rom aus andere ähnliche Enunciationen Seitens des Kardinals erlassen sind, und es darf im Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß der Kardinal Ledochowski wegen Majestätsbeleidigung in einem Falle, wo er gerade in der s{chärfsten Weise seine Stellung seinem Monarchen gegenüber dokumentirte, verurtheilt ift.

Jch darf hier zurückgreifend erwähnen und das carakterisirt die Periode des Herrn Erzbischofs Przyluski daß die Wirren des Jahres 1863 so stark in den Reihen der polnishen Geistlichkeit Antheil gefunden hatten, daß #sich die preußishe Staatsregierung genöthigt sah, auch an der höchsten leitenden Stelle der katholischen Kirche ernste Vorstellung zu machen. Nah dem gesandtschaft- lien Berichle, der aus diesem Anlaß erstattet i, hat De DODIT Quan: r wie, Wie Ube eo ebe. wie der Erzbishof ganz in den Händen sehr gefähr- liher Leute sei; er habe die ernsthaftesten Briefe ge- \chrieben.

Also fo harmlos ift die ganze Frage doch nit aufzufassen ; und wenn der Herr Abgeordnete die Güte hat, das now näher zu er- wägen, so wird er vielleiwt die Bemühungen der Staattregierung unterstüßen, auf diesem Gebiete Alles zu beseitigen, was Anstoß er- regen könnte.

Er hat sodann erneut eine Ausführung gemat§t über das Primat. Er hat anknüpfend an andere Primate dargethan, daß es si bei den Primaten und auch bei dem Primat in Posen-Gnesen ledigli um eine fkirhlide Würde handele. Das trifft ja in Ansehung einer großen Anzahl von Primaten zu, die er angeführt hat; das bestreite ih gar nicht. Aber es ist {on ein anderes, wenn dieses Primat, wie es für Posen-Gnesen in Anspruch genommen if Seitens des Kardinals Ledochowski und seines Vorgängers, fih über Diözesantheile erstreckt, welche niht zu Preußen gehören, sondern zu benachbarten Großstaaten. Es fehlt bis in die neueste Zeit nicht an sicheren An- zeichen, daß in kirchlicher Hinsicht, auch nachdem der Primas von Warschau und der Primas von Galizien iastituirt worden sind, gleihwohl die Wirksamkeit des Posen - Gnesener Primas über die Grenzen. des preußishen Staats hinausgegangen ift. Ic darf vielleicht dabei daran erinnern , daß selbst ein Geistliber, der heute noch existirt und eine hervorragende Stelle bekleidet hat, der frühere Weih- bisbof Janiszewski, als er die \lavishen Pilger vor den Grafen Ledochowski in Rom führte, denselben ausdrücklich anredete als den Oberhirten und Primas, der nicht blos der Wächter seiner eigenen, sondern auch der übrigen polnischen Didözesen sei. :

Das d au keine Zufälligkeiten; ich könnte na dieser Rich- tung das Material erheblich vermehren. Auch aus der Przyluski'schen Periode habe ich einen Beweis für eine ähnlihe Auffassung. Die Geistlichen des Dekanats Buk begrüßten im Oktober 1861 den Erz- hishof als „den Ersten unter den polnischen Kirchenfürsten, ja als den Erben der höchsten weltlihen Macht in unserem Vaterlande.*°

Damit komme ih auf das, was ich {Gon öfter als politis zu Bedenken Anlaß gebend charakterisirt habe, daß in der That in der Auffassung der polnischen Nation der Gedanke feste Wurzeln ges{la- gen hat, daß mit dem Primat auch die höchste weltlibe Macht ver- bunden set, wenn ein polnisher König nicht zur Stelle ift.

« Ich habe Ihnen im vorigen Jahr gelegentlich ciner Adresse, die an den Grafen Ledohowski in diesem Sinne erlassen ift, dies näher dargelegt. J greife noch auf eine andere Mittheilung zurück, die ich im Jahre 1883 gemacht habe, wo ic bei Gelegenheit einer Volks- \chuldebatte darauf hinwies, mit welhen Schwierigkeiten die preußische Unterrichtsverwaltung zu kämpfen hat, um von den Volkéschülern die polnischen Bücher abzuhalten, die geeignet sind, sie zu {lechten Unter-

A ges

1885.

thanen des preußisben Staats zu macen. Unter diefen {lechten Büchern, die ebenfalls der Abg. von Jazdzewski aufs tiefste verurtheilen wird, weil sie den öffentlihen Frieden gefährden, bcfindet \sich ein Buch, welchces der Probst Bazynski’she Verlag im Frühjahr 1882 in großen Mengen an Schulkinder im Kreise Posen vertheilte, be- titelt: „Leben des Grafen Uiecyslaus Halka Ledochoweki, Kar- dinal dec heiligen römischen Kirhe und Primas des Königreichs Polen“, Jn diesem Buche wird ausführlich dargelegt, daß in natio- naler Bezichung im Fglle der Befreiung des Landes der Primas die Stelle eines Stellvertreters des Königs einnehmen und E s zur Königswahl einberufen werde. Der Abschnitt ließt:

„Wir schreiben über das alles darum ausführli&, weil, wenn es Gott zuläßt, daß wir die politisbe Freiheit wiedererlangen, dann Niemand anders als der Primas cermägHtigt sein kann, bte Wabl des zukünftigen Königs zu leiten.“

Meine Herren, dieser Gedanke spukt ja fort, wie ib das voriges Jahr aus den Mittheilungen des „Kuryer poznanski“ und des «Soniec wielkopolski* nachgewiesen habe.

Ich kann noch weiter gehen; ih darf, um die Gesinming des Grafen Ledocbowski, welcben der Herr Vorredner oft als einen be- sonders loyalen Prälaten hat hinftellen wollen, an folgendes erinnern. Als im Jahre 1871 auf Allerhöchften Befehl das Kirchengebet cine andere, durchd die Gründung des Deutsten Reiches bedingte Fassung zu erhalten hatte in dem Sinne, daß für das Deutsche Reich, für alle Fürsten und die freien Städte gebetet werden sollte, waren aud die katholishen Bischöfe angegangen worden, einen ährlichen Passus aufzunehmen, und sie haben dem gern entsprohen. Auch der Graf Ledocbowski zeigte dem Kultus-Minister an, daß er den Wünschen des Königs entsprehend wegen der im Allgemeinen Kirchen- gebet durch die Bildung des Deutschen Reiches und die wieder- hergestellte Kaiserwürde nothwendig gewordenen Abänderungen geeig- nete Verfügung erlassen habe.“ Aber, wie aus den geheimen Korrespondenzen, die im Besiy der Regierung sind, erwiesen ist, ist absichtlich das allgemeine Kirchengcbet na ciner sehr cin- gehenden Korrespondenz mit dem Bischof von Kulm von dem Grafen Ledochowski derart geändert worden, daß in demselben der Hinweis auf das Deutsche Reih und das deutschGe Vaterland sorgsam vermieden und dur eine von dem gemeinen Mann sicherlich auf Polen bezogene Bitte für das „gesammte“ Reich und das „ganze“ Land erseßt worden is. Daß diese Fassung mit voller Absicht gewählt ist, dafür bietet die Korrespondenz einen sicheren Anhalt.

Diese Korrespondenz ist au deshalb von hohem Interesse, weil der Suffraganbischof, Hr. von Marwiß, in diesem Briefwechsel, der natürli polnisch geführt ift, sh stets am S{luß seines Namens des „cz“ bedient hat, um setne echt polnische Abstammung damit zu kennzeicbnen, und Mal ae ausdrücklich von fich sagt: „Wir Polen“. Meine Herren, ein arwiß sagt: „Wir Polen!“

Der Abg. Kantak erklärte, die Polen erstrebten die Er- haltung ihrer Nationalität nur auf legalem Wege. Ne- volutionäre Bestrebungen seien nicht vorhanden. Selbst der frühere Polizei-:Präsident von Bärensprung, der dur agents provocateurs und die Verbreitung in Paris gedruckter revolu- tionärer Aufruse die Polen aufzuregen gesucht, habe damit keinen Erfolg gehabt. Dergleihen komme nun zwar unter“. dem jeßigen Polizei-Präsidenten von Posen nit vor, troßdem aber erhalte die Regierung durch ihre unteren Organe durch- aus falsche Darstellungen über die Verhältnisse der Provinz ; der Minister müsse auch die Polen mit ihren Beschwerden hôren, um ein objektives Urtheil zu geroinnen. :

Der Abg. von Tiedemann (Labischin) bemerkte, nah dem erdrückenden Material, welches der Minister worgebrahht habe, sei es eigentli überflüssig, noch etwas zu sagen, und er würde dies auch unterlassen, wenn er nicht dur: di® Angriffe der Abgg. v. Fazdzewski und Kantak auf das Beamtenthum der Pro- vinz provozirt worden wäre. Hier im Hause stellten sih die Polen immer als unschuldige Lämmer dar; seine feste Ueber- zeugung sei es aber, daß die Provinz ohne die Agitation der polnishen Geistlichkeit die ruhigsten Verhältniße haben würd Der polnishen Geisilihkeit falle die ganze Verantwortung für die Uebelstände in der Provinz zu. Er erinnere nur an die Sobieski - Feier. Sobieski’'s ritterlihe Gestalt sei an sich auch den Deutschen sympathisch, und diese hätten sih gern an der Feier betheiligt, wäre nit gerade diese Gelegenheit polnischerseits zu einer Demonstra- tion des Polenthums gegen das Deutshthum benußt worden. Da habe es z. B. in einer Proklamation geheißen: „Auf das demüthige Flehen des Deutschen Kaisers if Sobieski nach Wien geeilt, um Deutschland zu retten.“ Das verstehe der Bauer nicht anders, als daß es sich um einen Vorgänger des jeßigen Deutschen Kaisers gehandelt habe. Die polnischen Geistlichen hätten damals allenthalben Neden gegen das Deutsch- thum und für Polen gehalten : „Gott möge unser Vaterland vergrößern, uns die Selbständigkeit verschaffen 2c.“ Die Distrikts- kfommissare und sonstigen Beamten der Regierung verwahre er gegen die auf sie gerihteten Angriffe ganz entschieden. Die Beamten thäten völlig ihre Pflicht ; er übernehme für Alles, was sie thäten, die Verantwortung. Warum kämpfe man hier aber mit ge= \{lossenem Visir? Man solle doch offen sein! Die Polen sollten doch ruhig zugestehen, daß ihr leßtes Ziel die polnische Selbständigkeit sei; Niemand verüble ihnen das. Die Deut- schen müßten nur der polnischen Agitation, soweit sie an die Vesfentlichkeit trete und in der Presse zur Erscheinung komme, entgegenwirken ; eine deutshe Regierung, die dieser Agitation mit verschränkten Armen zusähe, würde ihre Pflicht vergessen und sich selbst das größte Armuthszeugniß aussteklen.

Der Abg. Dr. von ¡Fazdzewski bestritt die Ausführungen des Vorredners über Vorkommnisse bei der Sobieski-Feier. Nicht die Polen kämpften mit herabgezogenem Visir, fondern die Regierung. Er besprach sodann nohmals die Verhältnisse in Posen, die erst durch das Treiben der Geheimpolizei, die im Auftrage der Regierung gehandelt habe, jo sehr unerträglih geworden seien.

Der Abg. Dr. von Stablewski verwahrte ebenfalls die polnische Geistlichkeit gegen den Vorwurf revolutionärer Be- strebungen. Er hoffe, auch dem jeßigen Erzbishof von Posen werde, wie einstmals dem Erzbishof Droste, noh von Seiten der höchsten Stelle in Preußen Gerechtigkeit zu Theil werden. Den Abg. von Tiedemann frage er, wer denn in der That der Wolf und wer das Lamm sei. Nicht die Deutschen in der Provinz, sondern die Polen würden von den Behörden auf Schritt und Tritt in ihren vitalsten Znteressen beein- trähtigt. Die vom Minister über den Bischof von Kulm

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