1885 / 54 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 04 Mar 1885 18:00:01 GMT) scan diff

E S e P

Volks über Kolonialpolitik "und auswärtige Politik überbaupt, sowie über die Art, wie ein Staatsmann von dem Verdienste Bismarcks zu behandeln sei, etwas besser bekannt geworden zu sein, auch Zeit gefunden ¿u haben, ein wenig im englishen Blaubuch zu lesen; kurz fie find, nur wenige Tage dem Banne der Partei entrückt, zur Besinnung auf

—— besseres Selbst gekommen und haben gestern den 2. Min patrio- {e Worte geredet ünd, was noch mehr, patriotishe Beschlüsse gefaßt. Der Gouverneur - von Kamerun und, was drum und dran,

ift genehmigt... . Wir wollen es Hrn. von Hüne gerne glauben: auch die Anhänger des Centrums werden ih jeder- zeit, wenn es Ernft wird, als gute Deutshe erweisen; aber warum erft warten bis zum Aecußerften, warum erst durch die eigensinnige Oppositkon die Haltung und den Ruf des Vaterlands in der Welt draußen, den moralischen Kredit, von dem die Staaten we- sentlih mit leben, wie der Privatmann vom finanziellen, ers{chüttern, bis das Austand Lust fühlt, uns auf der Nase zu tanzen oder do uns an der Nase herumzuführen. . . Und der Freisinn, der immer fo viele Fragen auf dem Herzen hat, der die Kolonialpolitik der Regie- rung erft bis aufs Haar genau kennen mödte, ehe er einen Pfennig hergiebt, obgleih es ja im Voraus felsenfest ist, daß er stets die Kolonialpolitik billigt, welche die Regierung nit hat, und umgekehrt warum wartet auch dieser Freisinn immer so lange zu mit seinem Einlenken, bis es fast zu spät ift, bis das öffentlibe Wesen {on Schaden genommen hat? Wir haben in Schwaben eine \prüchwört- lihe Bezeichnung, welche diese Art von Politik vielleiht zu harakterisiren geeignet ist: ers den Kopf abreißen und dann ihn wieder aufzuseßen Ver eg Eine gute Politik ist das nit, {sn au nicht, am wenigsten aber nüßlich Denen, die sie treiben. . . .

In der „National-Zeitung“ lesen wir:

Von drei Seiten, von den Konservativen, Freikonservativen und Nationalliberalen ist für die bevorstehende dritte Lesung des Etats im Reihs8tug die Wiederherstellung des Postens von 20 000 #4 für einen neuen Direktor im Auêwärtigen Amt beantragt worden. Das Centrum wird bei feinem ablehnenden Votum beharren; die Ent- sheidung liegt daher bei den Deutsch-Freisinnigen. .

Es ift uns bekannt, daß innerhalb der deuts{freisinnigen Fraktion mehrfach zum Beharren bei dem Beschluß vom 15. Dezember auf- gefordert wird mit der Argumentation, es sei zwar zweifellos, daß die Fraktion nach dem Verlauf der zweiten Lesung sehr wohl die in dieser verweigerte Summe in der dritten, sogar einstimmig, be- willigen könne aker cs dürfe nah der Entrüstungs- bewegung nicht geschehen, denn nun würde es den Anschein haben, als erfolge es unter der „Pression* dieser. Unseres Erachtens muß gerade diz Selbstachtung, an welche mit einem solchen Raisonne- ment Berufung eingelegt wird, abhalten, dana zu handeln. Denn dasselbe kommt darauf hinaus, daß nicht die Ueberzeugung von dem, was recht und zweckmäßig ift, das politishe Thun zu leiten habe, sondern die Rücksiht auf den öußeren Schein, sogar die Furht vor cinem falshen Schein. Politiker, welche Grund haben, etwas auf sid zu halten, köanen unseres Er- ahtens vielmehr nur sagen: ob Gegner, welde ohnehin in der Wahl der Waffen niht skrupulö5s sind, uns der Unterwerfung unter eine Bewegung zeihen, in der aufrihtige Mißbilligung, tendenziöse Ueber- treibung und Servili?mus bunt durcheinander liefen, das is ganz gleichgültig, man ftimmt bei der definitiven Entscheidung lediglich nah der Rücksicht G das, was für die Führung der Geschäfte des Landes und für die Geltung des Liberalismus das Angemessene ist.

Insoweit bei der Entrüflungs-Bewegung au tendenziöse Mache mit im Spiele war, kann den Üthebern derselben von der deutsh- freisinnigen Fraktion offenbar kein größerer Dienst erwiesen werden, als wenn diese abermals die Verweigerung der 20 000 M bewirkt. Und gerade dann, wenn sie dies thut, handelt sie unter einer Pression ; nur würde sie dann aus Besorgniß, man könnte ihr zutrauen, daß sie sich zu einem richtigen Votum habe drängen lafsen, sich zu einem falschen drängen laffen.

_ Marineverordnungsblatt. Nr. 4. Inhalt: Flaggen britisher Kolonien. Positionsbeftimmung. Juftruktion für den Kommandanten. Lebensversicherungsanstalt. Personalverände- rungen. Benachrichtigungen.

Amtsblatt des Reichs-Postamts. Nr. 7. Inhalt: Verfügung: vom 26. Februar 1885. Leitung der Briefsendungen nach Smyrna.

Justiz-Ministerial-Blatt. Nr. 9. Inhalt: Allge- meine Verfügung vom 20. Februar 1885, betreffend die Kontrole der Stempel zu den bei Generalversammlungen vorgelegten Vollmachten. Allgemeine Verfügung vom 21. Februar 1885, betreffend die in Privatklagesachen von den Amtsgerihten an andere Behörden zu machenden Mittheilungen. Allgemeine Verfügung vom 23. Februar 1885, betreffend den Crlaß einer Gerichtsvollzieher-Ordnung.

Eisenbahn-Verordnungs-Blatt. Nr. 4. Inhalt: Grlafse des Ministers der öffentlihen Arbeiten: vom 26. Januar 1885, betr. Ausführungsbestimmungen zum Wittwen- 2c. Pensions- geseß vom 20. Mai 1882, vom 27, Januar 1885, betr. Verwen- dung von Papier im Amtêëgebrauch nach Normalformaten, vom 2. Februar 1885, betr. Aenderung der Uniform der Zugführer, vom 13, Februar 1885, betr. Auslegung des §. 5 der Allerhöchsten Verordnung vom 30. Oktober 1876, betreffend die Tagegelder und Reise- kosten der Beamten der Staatseisenbahnen 2c., vom 21. Februar 1885, betr. CEenng der Vertretung der den Königlichen Cisenbchn-Betriebs- ämtern unterstellten, nit zu den Hülfearbeitern der Betriebsämter gehörenden höheren technishen Beamten, vom 22. Februar 1885, betr. Einholung der Genehmigung zur Veräußerung von Grundstücken. Nacrithten.

Centralblatt der Bauverwaltung, Nr. 9. Inhalt: Æmtliches:; Personalnachrihten. Nichtamtliches: Ueber die Noth- wendigkeit tehnischer Beauffichtigung bei Schulheizungen. Amts- gerihtsgebäude für Balve in Westfalen. Die Regulirung der Weser zwishen Münden und Karlshafen. Die Statistik der Bau- Unterhaltungskosten. Vermischtes: Amtliche Bekanntmachung. Eisenb ahnfahwifsenschaftliche Vorlesungen in Preußen. Preis- bewerbung für Entwürfe zum neuen Reichsgerihtshaus in Leipzig. Preisbewerbung für Entwürfe zu einem naturgeschitlichen Mus seum in Hamburg. Neue Drulllüftungsanlage im Königlichen Wilhelms-Gymnasium in Berlin. Neubau am Genöd'armenmarkt in Berlin, Erweiterung des Suezkanals. Hydraulische Kraft- , Leitung in London. Eisenbahnfähre mit Seilbetrieb über die Meer-

enge von Messina. Preisbewerbung um ein Denkmal für Robert Lee in Richmond. Technische Hohshule in Darmstadt, Bücherschau.

Landtags- Angelegenheiten.

Bei der im » a eNur ger Wahlbezirk, Eisleben, ftatt-

genen Ersaßwahl ift der zum Ober-Berghauptmann und Ministerial-

¿ Dectie toe C Tan Dr. Gu f \ fu án Berlin e Ne artei) m mmen' zum tglied des

der Abgeordneten wiedergewählt worden. G P B

Statistische Nachrichten.

Im Monat Februar 1885 wurden bei der All emeine Unfall-Versiherungs-Bank in Leipzig 14 Todesfälle, 4 O De Verleßungen, 6 Unfälle, die ihrer Natur na cine gänzlihe oder theilweise Invalidität erwarten laffen, und 1110

Kunft, Wisseuschaft und Literatur.

Von J. V. von Scheffels „Gaudeamus!“ wird eine neue Ausgabe in Großoktav mit sämmtlichen in der Prachtaus- gabe desselben Werkes enthaltenen Illustrationen von A. von Werner und einigen neuen Liedern, die noch in keiner Samm- lung bis jeßt veröffentlicht sind, im Laufe des März bei Adolf Bonz u. Comp. in Stuttgart erscheinen.

„Weltpoft, Blätter für Auswanderung, Kolonisation und Weltverkehr.“ Herausgegeben von Richard Oberländer. Von dieser Wocbenschrift liegen die Nummern 2 und 3 vor. Der der „Linder- und Völkerkunde“ gewidmete Theil des Blattes bringt unter der Ueberschrift „Deutsbland über dem Meere“ eine Serie fesselnder Artikel, welche den Lesern mit deutschen Kolonien, in Nummer 2 und 3 speziell mit Kamerun und dem Gebiete des Gabun, vertraut machen. Der Text wird dur hübshe JlUustrationen erläutert. Unter der Rubrik „Auswanderung und Kolonisation“ finden wir die Artikel: Kolonialfieber. Kolonialschwindel. Deutsche Kolonisation an der amerikanischen Wefiküste. Die deutsche Gesellshaft in New- York. Deutsche Borneo-Gesellshaft. Ein neues Feld der Aus- wanderung. BZentralgesellschaft für Einwanderung in Rio de Janeiro. Unantastbarer Besißstand eines Schuldners in den Vereinigten Staaten. Nit minder reichaltig sind die Rubriken „Handel und Wandel“ und „Weltverkehr und Statistik“, die „Bücherschau* und der allen Lesern zur Verfügung stehende „Briefkasten“.

Gewerbe und Handel.

Bei den Abrecchnungsftellen der Reichsbank sind im Februar cr. 985 628 800 M abgerechnet worden, gegen 1 185 532 300 M im Januar d. J.

In der gestrigen Sitzung des Verwaltungéraths der hiesigen Diskonto-Gesellschaft wurde über die Bilanz des abgelaufenen Geschäftejahres berihtet. Einschließlih des Reservevortrages aus der vorhergehenden Bilanz ftellt fich der Gewinn auf 10936026 M Hiervon gehen ab 1 103 684 Æ für Verwaltungskoften und 2 400 000 A für die auf die Kommanditantheile bereits bezahlte Abschlags- dividende von 4% und aus dem Restgewinn soll den Komman- ditären eine Superdividende von 7% gewährt werden. Als Reservevortrag verbleiben 1622266 #Æ& Nach Anhörung der Bilanz-Revisionskommission erklärte fih der Verwaltungsrath mit diesen Vorschlägen einverstanden und seßte den Termin der ordent- lihen Generalversammlung auf den 4. Mai d. I, fest. Die Bilanz- vorlage des abgelaufenen Jahres ergiebt als Zinsenertrag der Plat- und anderen Pariwechsel 1 109 441 Æ gegen 1217010 M in 1883, als Ertrag aus dem Courswehselverkehr - nah Abzug der Zinsen 202659 M gegen 225365 #ÆM in 1883, als Nettocrtrag aus den eigenen Werthpapieren und dem Reportgeschäft nah Abzug der Zinsen 4 189469 M gegen 3 134237 Æ in 1883, als Provision aus den laufenden Rechnungen 1862472 A gegen 1948 105 6 in 1883, als Ertrag aus dem Zinsenkonto 1976978 4 gegen 2252 377 M in 1883. Von dem Gewinn aus nicht böôrsengängigen Effekten sind

396 845 A auf den verbliebenen Bestand abgeschrieben worden. Es betragen die Kassen- und Wechselbestände 78 328 846 6 gegen* 60359243 Æ in 1883, die Reports

45 061 077 6 gegen 18222514 Æ in 1883, der Gesammtbestand der eigenen Werthpapiere eins{ließlich der Konsortial-Engagements 36 533 927 M gegen 42 193 266 M in 1883, die Accepte stellen si auf 15 545 872 #4 gegen 14722213 A in 1883. Nah Abzug des Eingangs aus früher abgeschriebenen Forderungen belaufen si die Verluste aus dem Kontokorrent-Verkehr auf 6509 4 Die Allgemeine Reserve, welcbe die statutmäßig vorgeschriebene Höhe bereits über- schritten hat, stellt sfich unverändert auf 12 530 890 4

Die Städtische Bank zu Breslau hat im ver- gangenen Jahre inklusive des Uebertrags aus 1883 mit 61 194 M und inklusive eines durch Verkauf eines Grundstücks erzielten Gewinnes von 4300 «6 an Provisionen und Zinsen auf den einzelnen Conten in Summa 410983 #4 Einnahmen zu verzeihnen. Davon gehen eingezahlte Depositen und Diskontzinsen ab 90479 s, die BVer- waltungskosten betragen 31359 #, und für noch zu zahlende Zinsen find 51942 4 zu reserviren, so daß ein reiner Uebershuß von 236 294 M verbleibt. Von diesem erhielten nah Abzug von 43 9% Zinsen für 3 000000 Stammkapital mit 135000 Æ die beiden ersten Beamten an Tantième 3039 4, auf Delcredere-Conto werden 82959 f übertragen und der verbleibende Rest mit 225 (00 4 wird an die Breslauer Stadthauptkasse abzeführt. j Im Verlagêsdebit der Jaegershen Buchhandlung in Frank- furt a. M. erschien soeben eine füc alle Finanzkreise werthvolle Vebersicht, nämlih: „Statistik der deutshen und öfter- reihisch-ungarishen Aktiengesellschaften, heraus- gegeben von der Redaktion desFrankfurter Aktionärs“ (Preis 1 4). Neben einer kurzen Einleitung “enthält diese klare Uebersicht: 1) Name der Aktiengesellschaft, 2) Aktiekapital, 3) Betrag der Aktie. 4) Dividende der Jahre 1880 bis 1883. Was verdienen die englischen Arbeiter? Professor Leone Levi hat \chon zweimal, in den Jahren 1867 uud 1879, auf Wunsch des großen Brauereibesißers Baß Untersuchungen über englische Arbeiter! öhnungen angestellt, welhe zwar keine ganz zuver- lässigen Ergebnisse hatten, aber doch bisher das beste Ma- terial zur Beurtheilung der Lage der englischen FIndustrie- arbeiter boten. Neuerdings hat der genannte Gelehrte mit Unterstüßung des Sohnes jenes Großindustriellen, Sir Arthur Baß, eine Privatenquete über dieselbe Frage veranstaltet, welche nah dem „Journal des Economistes" Folgendes ergab. Im Jahre. 1881 waren im Vereinigten Königreihe rund 12 200 000 Ar- beiter vorhanden gegen 11018 000 in 1867, ihre Zahl hatte sich also um ungefähr 119/69 vermehrt. Seit 1867 ftieg das dur{scnittlice Cinkommen eines englishen Arbeiters von 38 £ auf 42 £ 14 sh im Jahre 1884; was einer Zunahme ron 12,4% entspriht. Das Jahreseinkommen der höheren und mittleren Klassen der Bevölkerung hat augenscheinlich in noch höherem Maße zugenommen als das der Arbeiter ; für die ganze Nation wird dasselbe in 1884 von Prof. Levi auf eine Milliarde Pfd. Sterl. geschäßt. New-York, 2 März. (W. &. t Weizenverschif- fungen der lezten Woche von den atlantischen Häfen der Ver- einigten Staaten nah Großbritannien 48 000, do. nah Frank- rei 11 000, do. nah anderen Häfen des Kontinents 26 000, do. von Kalifornien und Oregon nach Großbritannien 56 000, do. nach an- deren Häfen des Kontinents Qrts. 3. März. (W. T. B.) - Der Werth der Produkten- ausfuhr in der leßten Woche betrug 5 869 000 Dollars.

Verkehrs-Anstalten.

Stettin, 4. März. (W. T. B.) Der Dampfer des Stettiner Lloyd „Martha* is gestern von New-York via Gothenburg nah Stettin abgegangen.

New-York, 3, März. (W. T. B.) Der Dampfer „Wefternland“ der Red Star Line if hier eingetroffen.

Berlin, 4. März 1885.

Im Königlichen Museum is in der Abtheilung der neueren Bildwerke seit Kurzem eine Marmorgruppe in reihlich halblebensgroßen Figuren ausgestellt, die von Frau Leonie Kästner in Grinnerung “an ihren verstorbenen Gatten, den Komponisten Dr. Georg Kästner in Straßburg, Sr. Majestät dem Katser dargebraht und von Allerhöch tdemselben den Königlichen Museen überwiesen wurde. ‘Es ift eine Darstellung der von pollo ver- folgten und unter seiner Berührung sich in den Lorbeerhaum verwandeln-

Unfälle von voraussihtlich nur vorübergehender Erwerbsunfähigkeit der Verleßten, zusammen 1134 Unfälle eet Moigte

t den D aphne, die in der ganzen Anlage wie in den verschiedensten Details

und der fie eben einholenden männlichen Figur, sowie in der Art und Weise, wie die beginnende Becioaadlany verans{chaulicht wird, sofort an die békannte Gruppe des Bernini erinnert und fast als eint freie, mehr ins Zarte und Liebenswürdige gestimmte Wiederholung derselben bezeihnet werden derk: Nach linkshin in der Komposition unklar und unübersihtlih, fesselt die Gruppe, die der Sammlung ein interefsantes Beispiel der späteren franzöfischen Skulptur des achtzehnten Jabrbunderts zuführt, in der rechten Seiten- und in der Vorderan iht troß des barodcken, völlig unplastischen Motivs durch ein grazióses Spiel der Linien und durch eine feine und weihe Durchbildung der Formen. „Bei dem früheren Befißer galt sie als ein Werk des berühmten Jean Baptiste Pigalle, von dem das Museum die prähtig bewegte, lebensgroße Marmor- figur eines fißenden Merkur aus dem Jahre 1748 sein eigen nennt. ree andere Vermehrungen durch Ankäufe und Geschenke, in

rbeiten aus Marmor, in Holzschnitereien, in Elfenbeinreliefs, in der kleinen italienishen Bronze eines Pferdes von Lionardoshem Typus und in einer stattlihen Reihe bemalter Stuckreliefs bestehend, haben den dur Hinzunahme eines dritten Kompartiments des römischen Saales erweiterten Raum der Abtheilung bereits wieder vollständig gefüllt. Von besonderem Interesse sind unter diesen Erwerbungen die zum Theil au in der Färbung trefflib erhaltenen Studckreliefs, zumeift Darftellungen der Madonna mit dem Kinde, daneben aber auc solche der Kreuzigung und einer Pietà, die als gleichzeitige Nachbildungen theilweise verlorener Originalwerke hervorragender Meister der ita- lienisden Renaissance eine niht geringe künstlerishe und kunft- geschichtlihe Bedeutung bearspruhen und in den für die Berliner ing erworkenen Stücken mehrfach auf Donatello zurückzu- ühren sind. :

In der leßten zwanglosen Sitzung des Vereins für deutsches Kunstgewerbe hielt, nach Erledigung verscbiedener geshästliher Angelegenheiten, der Architekt Wallé einen Vortrag über „Arci- tektur und Kunstgewerbe“. Der Redner wies darin die mehrfach ausgesprochene Ansicht, daß das Kunstgewerbe ih möglichst von der Leitung der Architekten emanzipiren müsse, zurück und zeiqte an den Beispielen hervorragender Architekten, wie Schinkel, Semper u. A,, daß von diesen eine außerordentlibe Hebung des Kunstgewerbes aus- gegangen sei. Ein Zusammenwirken der Kunfthandwerker mit den Arcbitekten werde stets nöthig sein und werde auf der Basis gegen- seitigen Vertrauens gute Resultate haben. Der anregende Vortrag gab zu einer längeren lebhaften Diskussion Veranlafsung.

Ausgestellt waren Entwürfe und ausgeführte Glasgemälde des Glasmalers Birkmeyer in München: zwei große und zwei kleinere L E ert dger, mehrere einzelne Scheiben 2c, mit figürlihen Dar- tellungen von außerordentli&er Schönheit der Erfindung und in vollendeter Technik gemalt; ferner eine Anzahl neuer, trefflicher Radirungen von Mannfeld, dem bekannten Meister in dieser Kunst: das Rathhaus zu Breslau, die Albrechtsburg zu Meißen (mit dem akademischen Preise gekrönt), die bei Amsler u. Ruthardt hier er- s{bienenen Briefbogen mit radirten Ansichten von Berlin u. a. ut. Der Regterungs-Baumeister Andreé legte eine Reihe schr gelungener, von ihm in Aquarell ausgeführter Aufnahmen von Wanddekorationen aus Italien, einen Zeitraum von zweitausend Jahren umfassend, vor, Geheimer Regierungs-Rath Dr, Reuleaux das soeben erschienene „Spanische Album“.

_ Der Brandenburgishe Provinzialverein zur Be- kämpfung des Vagabondenthums hielt gestern Abend unter Vorsiß des Grafen Zieten-Schwerin im Evangelischen Vereinshause die zweite Generalversammlung ab, der Mitglieder aus allen Theilen der Provinz beiwohnten. Der Bericht, den der Vorsitzende erstattete, gewährte einen interessanten Einblick in jene Bestrebungen, die {ih gerade in letzter Zeit überall so mäthtig geltend gemacht haben. Seine Hauptthätigkeit hat der Verein von Bestehen an der Kolonie Friedrichswille zugewendet, in der im leßten Jahre 607 Mann auf- genommen wurden. 136 von diesen waren Arbeiter, 54 Tuchmacher, 38 Schuhmacher, je 22 Kaufleute und Schlofser und 21 Bäcker. 346 waren aus Brandenburg, 90 aus Schlesien, 50 speziell aus Berlin, 428 waren ledig, 112 verheirathet, 50 verwitiwet, 17 geschieden, der Religion nah waren 527 evangelish, 4 reformirt, 73 katholis und 3 jüdisch, dem Alter nah 14 unter 20, 532 zwischen 20. und 50 und 60 über 50 Jahre. Abgewiesen wurden wegen Ueberfüllung 498 Per- sonen. Entlafsen wurden 456 und zwar 204 in Folge des Eintritts in Arbeit, 215 auf eigenen Wunsh und 20 wegen Verstoß gegen die Hausordnung, 16 sind entlassen und einer verstarb. Die 456 entlassenen Kolonisten haben 25 893 Arbeitstage gehabt und ¡war 6022 ohne Vergütung und 19 871 Tage mit insgesammt 4773 46 Vergütung. 114 wurden mit einer Schuldforderung an sie von 1077 entlassen. Davon haben 84 Mann 792 A zurüdckgezahlt, während die Schuld bei 30 Mann noch offen steht. Durschnittlich sind die entlassenen Kolonisten 72 Tage verpflegt worden. Das Be- tragen der Kolonisten war fast durchweg ein musterhaftes. Auch die Verpflegungsftationen haben fegensreih gewirkt. Jhr Erfolg ist am Besten daraus zu erkennen, daß im 1. Semester 1884 die Anträge auf Bestrafung von Landstreichern st|ch um 2421, die Zahl der Korrektionésträflinge um 1553 gegen das Vorjahr vermindert hat. Die Gesammteinnahmen des Vereins haben bisher betragen 238 813, die Ausgaben 249910 4, so daß ein Defizit von 11 096 M verblieb. Pastor Kokelke-Reppen berichtete sodann über die innere Einrichtung der Kolonie Friedrichs8wille,

Das O ftseebad Heiligendamm, weltes im Jahre 1793 von dem Herzoge (nahmaligen Großherzoge) Friedrih Franz von Mecklenburg-Shwerin als das erste deutshe Seebad gestiftet wurde, ist in einer kürzliÞ in Berlin gehaltenen Generalversammlung der Akttiengesellschaft Heiligendamm, an welche es vor 12 Jahren von dem verewigten Großherzoge Friedri Fránz II. veräußert ward, an Hrn. Ganßlin, dem bisherigen Direktor der Badeverwaltung, und den Hotelbesißer Upplegger in Rostock verpachtet. Die Pachtung umfaßt das ganze Seebad mit Aueschluß der Waldrestauration. Die jähr- lihe Pat beträgt 60 000 6 und der Pachtkontrakt ist, wie ver- lautet, auf 12 Jahre abges{lofsen.

, London, 3. März. (W. T. B.) In einer Kohlengrube bei Usworth unweit Newcastle wurden in der vergangenen Nacht 36 Grubenarbeiter durh s\{chlagende Wetter getödtet.

Das Benefiz des Hrn. Wellhof, welhes am Freitag im Friedriw-Wilhelmfstädtisben Theater die 160, Vorstellung von „Gaéparone“ bringt, wird auch in diesem Jahre sich zu einem jener intimen Theaterfeste gestalten, welche den innigen Rapport zwischen Darsteller und Publikum beweisen. Schon jeßt zeigen sich in zahlreihen Billetbestellungen die Sympathien, deren ih der Künstler erfreut.

Belle-Alliance-Theater. Die Aufführungen der lustigen Posse „Ein gemachter Mann" werden für zwei Tage (Sonnabend und Sonntag) unterbrohen, da Hr. Direktor Theodor Lebrun ih bereit erflärt hat, dem allgemeinen Wunsch des Publikums: nachzu- kommen und an diesen beiden Tagen als „Doktor Klaus“ in L’Arronge's gleihnamigem Lustspiel aufzutreten.

Redacteur: Riedel.

Verlaz der Expeditkon (Scholz). Druck: W, Elsner. Sechs Beilagen (eins{ließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

der Komposition, in der Bewegung der fliehenden weiblichen

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

S

Erste Beilage

Berlin, Mittwoh, den 4. März

L

N 54.

Versonalveräuderungen.

Königlich Preußische Armee. / Ernennungen, Beförderungen und Versezungen. maktiven Heere. Berlin, 24. Februar. Graf v. Schlieben, ec. Lt. vom 3. Garde-Regt. zu Fuß, in das Inf. Regt. Nr. 85 verseßt. v. Leszczynski, Hauptm. und Comp. Chef von der Haupt-Kadettenanftalt, defsen Kommando zur Dienstleist. bei dem Nebenetat des Großen Generalstabes bis ult. März cr. verlängert, %6. Februar. Zimmermann, Hauptm. und. Comp. Chef vom Inf. Regt. Nr. 98, unter Stellung à la suite dieses Regis., als Lehrer zur Kriegs\{ule in Metz verseßt. v. Wunsch, Pr. L. vom Inf. Regt. Nr. 98, zum Hauptm. und Comp. Chef, v. Bro- nikowski, Sec. Lt. von dems. Regt., zum Pr. Lt. befördert. v. Spoenla, Sec. Lt. vom Ulan. Regt. Nr. 10, in das Drag. Regt. Nr. 14 verseßt. : Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. Berlin, 94, Februar. Weiß, Pr. Lt. von der 1. Ingen. Insp., der Abschied

bewilligt. XILL. (Königlich Sächsisches) Armee-Corps.

Ernennungen, Beförderungen und Verseßungen: Fm aktiven Heere. 22. Februar. Baumann, Hauptm. und Sntend. Rath im Kriegs-Ministerium, als Comp. Chef zum Inf. Regt. Nr. 106 verseßt. Weber, Oberst Lt. und etatsmäß. Stabs- offiz. des Inf. Regts. Nr. 105, mit der Führung des Inf. Regts. Nr. 103 beauftragt. Frhr. v. Reitßenstein, Hauptm. und Comp. Chef vom Inf. Regt. Nr. 105, ein Patert seiner Charge verliehen.

rhr. v. Müller, Pr. Lt. vom Garde-Reiter-Regt., zum Rittm. u. scadr. Chef, vorläufig ohne Patent, befördert, v. Mangoldt-

Reiboldt, charakteris. Pr. Lt. vom Gärde-Reiter-Regt., zum etats- mäßigen Pr. Lt. mit einem Patent vom Tage der Charakterisirung ernannt. v. Metßs\ch{, Sec. Lt. vom 1. Ulanen-Regiment Nr. 17, zum Garde-Reiter-Regt. verseßt. v. Seydliß, Pr. Lt. vom Feld- Art. Regt. Nr. 28, zum Hauptm. und Battr. Chef im Feld-Art. Regt. Nr. 12 befördert. Sander, carakteris. Pr. Lt. vom Feld- Art. Regt. Nr. 28, zum etatsmäß. Pr. Lt. mit einem Patent vom Tage der Charakteris. crnannt. Brunner, Sec. Lt. vom Feld-Art. Regt. Nr. 12, zum Pr. Lt. befördert. Mehlhorn, Sec. Lt. vom Fuß-Art. Regt. Nr. 12, der Char. als Pr. Lt. verliehen. ck- beil, Nötzel, Sec. Lis. vom Feld-Art. Regt. Nr. 12, Meisl, Sec. Lt. vom Feld-Art. Regt. Nr. 28, zum Fuß-Art. Regt. Nr. 12 verseßt. Vieweg, Pr. Lt. vom Pion. Bat. Nr. 12, zum Hauptm. und Comp. Chef, Krahl, Sec. Lt. von dems. Bat., zum Pr. Lt., befördert. :

Abschiedskewilligungen. Im aktiven Heere. 17. Fe- bruar. v. Süfimilc, gen. Hörnig, Oberst und Commandeur des Inf. Negts. Nr. 103, in Genehmigung seines Abschiedsgesuches, unter Verleihung des Charakters als General-Major, mit Pens. und der Erlaubniß zum Tragen der Generalsunif. mit den I ORn Abzeichen, zur Disp. gestellt. 22, Februar. v. Elterlein, Pr. Lt. vom Feld-Art. Regt. Nr. 12, diesem unter Verleihung des Charakters als Hauptm., Kirchgeßner, Sec. Lt. vom Train-Bat. Ar, 12 Mil Pen. Und dèL N, zum Tragen der Armee Uniform der erbetene Abschied bewilligt. Apel-Pusch, Major z. D., in Genehmigung seines Gefuches, unter ortgewährung der gesetzlichen Pension und mit der Erlaubniß zum Forttragen der Unif. des Garde-Reiter- Regimerts, mit den vorgeschriebenen Abzeichen, der Abschied bewilligt. s

Im Beurlaubtenstande. 22. Februar. Graf v. Wall- wiß, Hauptm. von der Res. des Shüßen-Füs. Regts. Nr. 108, diesem mit der Erlaubniß zum Tragen der Landw. Armee-Uniform, Gruner, Pr. Lt. von der Landw. Inf. des 1. Bats. Landw. Regts. Nr. 106, der erbetene Abschied bewilligt.

XLULU. (Königlich Württembergisches) Armee-Corps.

Ernennungen, Beförderungen und Verseßungen. Im aktiven Heere. 24. Februar. Frhr. v. Hügel, Pr. Lt. im Inf. Regt. Nr. 122, v. Raben, Pr. Lt. im Inf. Regt. Nr. 121, unter Beförderung zu Hauptleuten und Comp. Chefs in das Inf. Regt. Nr. 126, Roo08, Pr. Lt. im Fuß-Art. Bat. Nr. 13, in das Feld-Art. Regt. Nr. 29, Heinburg, Sec. Lt. im Feld-Art. Regt. Nr. 13, unter Beförderung zuin Pr. Lt., in das Fuß-Art. Bat. Nr. 13, verseßt. Lebret, Sec. Lt. im Inf. Regt. Nr. 125, unter Beförderung zum Pr. Lt., in das Inf. Regt. Nr. 122 verseßt. Ruthardt, Sec. Lt. im Juf. Regt. Nr. 121, zum Pr. Lt, Böhringer, Sec, Lt. im Inf. Regt. Nr. 120, unter Vorbehalt der Patentirung, zum Pr. Lt., befördert. Sch{ weizerbarth, außeretatsmäß. Sec. Lt. im Feld- Art. Regt. Nr. 29, zum Art. Offiz. ernannt.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 4. März. Jm weiteren Verlauf der gestrigen (57.) Sißung des Reichstages nahm das Haus die Berichte der Wahlprüfungs-Kommission entgegen. :

“Bn Bezug auf die Wahl des Abg. von Winckelmann (10.- Breslau) beantragte die Kommission :

1) die Wahl für gültig zu erklären ;

2) die auf Herrn von Winkelmann gefallenen 1551 Stimmen, welche mit Unrecht für ungültig erklärt find, weil aus den abge- gebenen Stimmzetteln die Person des Gewählten nicht unzweifel- haft zu erkennen sei, für gültig zu erklären.

Der Abg. von Gräveniß befürwortete als Referent den Antrag der Kommission. Bei der Stihwahl im Walden- burger Kreise habe Fürst Pleß 7714, Hr. von Winckelmann 9573 Stimmen erhalten. An der Gültigkeit der Wahl sei von keiner Seite Zweifel erhoben worden, wohl aber habe sih die Kommission überzeugt, daß von verschiedenen Wahl- vorständen 1551 Stimmen zu Unreht für ungültig erklärt seien, da in Bezug auf die Zdentität ‘des Gewählten gar keine Zweifel haben entstehen können. ;

Der Abg. Schrader bemerkte, im Wahlkreise Waldenburg habe die Wahl das überrashende Resultat gehabt, daß ein ganz unbekannter Kandidat über den langjährigen Vertreter gesiegt babe. Daß so viele Stimmen bei der Wahl für un- gültig erklärt worden seien, habe seinen Grund darin, daß die Stimmen auf den Hrn. von Winckelmann abgegeben ge- wesen seien, der Landrath aber, der zugleih Wahlkommissarius gewesen sei, am Tage vor der Wahl den Wahl- vorständen bekannt gemacht habe, daß Hr. von Winckel- mann nicht berehtigt sei, den Adel zu führen. Das sei aber nit der Fall. Hr. von Winckelmann sei berechtigt, den coburgishen Adel zu führen. Die auf den Namen von Winelmann abgegebenen Stimmzettel seien deshalb mit Un- xrecht für ungültig erklärt worden.

Der Abg. von Köller entgegnete dem Abg. Schrader, daß jenem Landrath eine böswillige Absicht mit seiner Bekannt-

machung jedenfalls fern gelegen habe, und daß die Vorgänge bei jener Wahl genügend in der Kommission gewürdigt seien. Auch werde wohl das Versehen bereits rektifizirt sein.

Der Antrag der Kommisfion wurde angenommen.

Die Wahlen der Abgg. Rickert (8. Potsdam), Halben (6. Schleswig), von Vollmar (2. Oberbayern), Ackermann (6. Sachsen), Antoine (14. Elsaß-Lothringen), Detker (1. Cas- fel) und von Alten (13. Hannover) wurden für gültig erklärt.

Bezüglich der Wahlen der Abg. Dr. Loß (2. Cafsel) und Payer (6. Württemberg) wurden auf Antrag der Kommission die Anstellung weiterer Ermittelungen beschlossen. i

Die Wahl des Atg. Or. Hänel (7. Schleswig: Holstein) beantragte die Kommission für gültig zu erklären und außer- dem Ermittelungen zu besGließen. -

Der Abg. von Vollmar erklärte, am 5. Februar hätten auch Wahlprüfungen vorgelegen, bei denen es zu einem möglichen Konflikte zwischen Reichsrag Und Regierung hätte kommen können. Der Beschluß vom 5. Februar sei einem möglichen Konflikte aus dem Wege gegangen. Er gehöre niht zu Den- jenigen, die einem Konflikt aus dem Wege gehen würden, namentlich wenn derselbe von der Rechten etwa vom Zaune gebrochen sei. Es sei empfunden, daß gar keine Veranlassung vorgelegen habe, bei dieser Gelegenheit nun plöglih Seitens der Regierung ein RNeht des Reichstages in Frage zu ziehen. Würde damals der Beschluß gefaßt sein, daß man einfach in der alten Weise vorgehen und dann abwarten wolle, was die Regierung thun werde, so würde er dem vollkommen haben beistimmen können. Man habe es für besser erachtet, einem Konflikte dadurh aus dem Wege zu gehen, daß man das Pressionsmittel des Reichstages, die Waffe, wodurch der Reichstag in der Lage ei, unter allen Umständen nach der Verfassung Ermittelungen anstellen zu lassen, nicht aus den Händen gelassen habe. Nachdem dieser Beschluß gefaßt sei, erfordere es die Konsequenz, daß das Haus heute ganz ebenso bes(hließe. Die Regierung erkläre, wenn sie es für angemessen erachte, werde sie die Ermittelungen veranlassen, sie halte fich aber niht für verpflichtet, es unter allen Umständen zu thun. Es entspreche nicht der Würde des Reichstages, wenn die Kommissionen erst lange Zeit debattirten, ob folhe Ermittelungen nothwendig seien oder niht, und die Regierung sage dann einfach, darüber habe sie die oberste Entscheidung zu treffen. Das Haus müsse auch hier die Gültigfeitserklärung der Wahl ausfeßen; man müsse dieses Mittel anwenden und sich nicht dem guten Willen der Regierung anheimgeben. Auch für die Betroffenen sei das feine so große Strafe, der Abgeordnete habe Siß und Stimme, und er glaube“ sehr wohl, daß ein einzelner Wahlkreis es auf sich nehmen könne, wenn es sih um “ein Recht“ des Reichstages handêle. Er begnüge si damit, daß er dem Hause seinen Antrag empfehle, welcher mit dem des Abg. von Heereman vom 5. Februar genau parallel laufe und dahin gehe, daß für die genannten drei Wahl- prüfungen die Gültigkeitserklärung ausgeseßt und die Regie- rung ersucht werde, die beantragten Erhebungen zu veran- lassen, sowie bem Reichstage von deren Ergebniß Mittheilung

u machen. 5 Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats-Minister von Boetticher das Wort :

Der Herr Vorredner hat ja in seiner Weise sehr milde ge- \procher und “hat in mir den Eindruck Hervorgerufén, daß cs seine Absicht sei, mögli%st ohne eine ernsteré Differenz aus der gegenwärtigen Frage herauszugehen. Er hät sich aber doch nicht enthalten, mir vorzuwerfen, daß ih den "Konflikt, um den es sich möglicherweise handeln könne, vom Zaun gebrochen habe, und gegen diefe Auffassung muß ih mich wenden und den Herrn Borredner an die historishe Entwickelung der Debatte vom 5. Februar erinnern.

Nicht ih habe den Zweifel, ob der Antrag der Wahlprüfungs- kommission ein fkorrekter sei, aufgeworfen, sondern das ist aus der Mitte des Hauses von Hrn. von Kardorff geschehen, und erst nach- dem Hr. von Kardorff diesen Zweifel angeregt hatte, habe id mich veranlaßt gesehen, die Auffastung der Regierung über die Frage der Korrektheit des Antrags der Wahlprüfungskoimmission kundzugeben. Jch hatte um fo mehr Veranlassung, mich auch über diese Frage zu äußern, als nicht aus meiner Junitiative heraus die Zweifel über die Berechtigung solcher Anträge aufgeworfen sind, sondern als aus dem Schooß der ver- bündeten Regierungen die Frage an uns herangetreten ift, ob der Reichstag niht in der Aufforderung, Erhebungen zu veranlassen über die Vorgänge bei einer bestimmten Wahl, nachdem er die Wahl selbst für gültig erklärt habe, über die ihm dur tie Verfassung beigelegten Rechte hinausgehe. J erinnere aber auc den Herrn Abgeordneten weiter daran, daß ih damals ausdrücklich betont habe, es liege mir das Bedürfniß, irgend eine ernstere Differenz hervorzurufen, durchaus fern, ih wolle nur kein Hehl daraus machen, wie die Frage von Seiten der verbündeten Regierungen beurtheilt wird. Man fkann mir also wirklich den Vorwurf, den auch der Hr. Abg. Richter in einer Verhandlung nach dem d. Februar zu einem Ausfall gegen mich benußt hat, zu einer Zeit, wo ih bier nit gegenwärtig war, nicht aufrecht erhalten; ich habe meinerseits nichts weiter thun wollen, als die Gründe der Interpretation, wie sie die Regierung an den betreffenden Ver- fafsungsartifkel legt, hier vorzutragen. N

Was die Sache selbs anlangt, so habe ich ja dem hohen Hause selbstverständlich anheimzustellen, wie s beschließen will, ob es die Wahl für gültig erklären oder die Frage der Gültigkeit der Wahl ausseßen will. Weder in dem einen noch in dem anderen Folle wird ja dem verfassungsmäßigen Rechte der Regterung, des Bundesraths und des Herrn Reichskanzlers irgendwie präjudizirt. Hat der M Reichskanzler das Recht, die ihm angesonnene Erhebung abzulehnen und die Anskunft, die der Reichstag fordert, zu versagen, fo wird es ihm dur einen solhen Beschluß niht genommen, obwohl ih wiederholen darf, was ih schon neulih gesagt habe: daß, wenn der Reichêtag einen solchen Beschluß faßt, es der Höflichkeit und Konvenienz ent- spricht, demselben, so weit nicht gewichtige Bedenken entgegenstehen, stattzugeben. Jch wiederhole, ih halte es für korrekt, wenn der Reichstag diejenigen Thatsachen, die auf die Gültigkeit der Wahl feinen Einfluß haben, ohne deren Eruirung er also das Wahl- prüfungs8geschäft vollziehen kann, einfa der Regierung zur Kenntniß bringt und es der Exekutive überläßt, was an Remedur diesen That- sachen gegenüber zu verfügen ift.

Meine Herren! Sie können auch auf dem anderen Wege und ih fage das wiederum nicht, um irgendwelche Differenzen hervor- zurufen nicht weiter. j :

Wie gesagt: hat der Herr Reichskanzler das Recht, die Auskunft

abzulehnen, so wird es ihm durch einen Beschluß des Reichstages

nit genommen, und es könnte sogar ich mache wieder den Vor- behalt, daß ich keine Differenzen hervorrufen will die Frage auf- geworfen werden in casu concreto, ob, wenn die Entscheidung über die Gültigkeit vorbehalten bleibt, und glei{wohl eine Erhebung be- antragt wird, die auf die Frage der Gültigkeit absolut keinen Einfluß hat, der Herr Reichskanzler in folchem Falle auch auf Grund des YERGS Verfassungsartikels gehalten wäre, die Erhebung zu ver- anianen.

Also, meine Herren, ih halte es für das Korrekte, wenn Sie die Aufmerksamkeit der Regierungen auf die Unregelmäßigkeiten, die bei den Wahlen vorgekommen sind, hinlenken. Die Regierungen baten nit minder das Interesse wie Sie, dafür zu sorgen, daß die Reicbstagswahlen sih dem Geseße gemäß vollziehen. Es ift niraends ein Parteiinteresse dabei in medio; denn wo es sid um Verstöße aegen das Gesey und die Verfaffung handelt, da sollten doch alle Parteicn mit uns darin einig sein, daß solche Versiöße abgestellt werden müssen, und die Regierungen werden nicht die letzten sein, die da, wo es sich um solche Verstöße handelt, au bereit sind, die befsernde Hand anzulegen.

Der Abg. Franck hielt es nicht für angezeigt, eine spruchreife Sache zu verzögern, um damit auf die Regierung einen Druck auszuüben, und bat, die Kommissionsvorshläge anzunehmen.

Der Abg. von Köller befürwortete einen Antrag dahin, dem Reichskanzler unter Mittheilung des Kommissionsberichts anheimzugeben, die bezüglihen Erhebungen zu veranstalten und dem Reichstage von dem Ergebniß Mittheilung zu machen.

An der weiteren Debatte betheiligten sich noch die Abgg. von Vollmar, Parisius und Dr. Marquardsen; in der Ab- stimmung wurde der Antrag von Vollmar, die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl auszuseßen, angenommen ; der Kommissionsantrag war damit beseitigt.

In derselben Weise wurde bezüglih der Wahl des Abg. Dr. Virchow (2. Berlin) beschlossen.

Die Berichte über die Wahlprüfungen der Abag. Witte (2. Sachsen-Meiningen) und von Estorff (17. Hannover) wurden auf Antrag des Abg. von Köller an die Wahlprüfungs- kommission zurückverwiesen. :

Bezüglich der Wahl des Abg. Zeiß (1. Sachsen-Meiningen) wurden Ermittelungen über Vorgänge beim Wahlakt vom Hause gewünscht.

Die Denkschrift über die Ausführung der seit 1875 erlassenen Anleihegeseße wurde ohne Debatte durch Kenntniß- nahme für erledigt erklärt.

Es folgte die erste und event. zweite Berathung der Novelle zum Reichs-M ilitärgeseß vom 2. Mai 1874.

Der Entwurf wurde nah einem Antrage des Abg. Freiherrn von Malßahn-Güly in folgenter Fassung ange- nommen :

Der §,. 30 des Reihs-Militärgeseßes vom 2. Mai 1874 erhält unter Nr. 3a und b folgente Fassung :

3) Die mit den ständigen Geschäften der Heeresergänzung be- trauten Behörden find:

a. für den Aushebungsbezirk die Ersatßkommission, bestehend aus einem Offizier, in der Regel aus dem Landwehr-Bezirks-Com- mandeur und aus einem Verwaltungébeamten: des Bezirks, oder mo ein folber Beamter fehlt, einem besonders zu diesem Zwecke be- stellten bürgerlichen Mitgliede,

b. für den Infanterie-Brigadebezirk die Ober-Ersaßkommission, bestehend in der Regel aus dem Infanterie-Brigade-Commandeur und aus einem höheren Verwaltungébeamten.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Ergänzung des §8. 72 des Reichsbeamtengeseßes vom 31. März 1873 will diesem Paragraphen folgenden Wortlaut geben :

Ein Reichsbeamter, welcher die ihm obliegenden Pflichten ver- lebt, Bon ein Dienstvergehen und hat die Disziplinarbestrafung verwirkt.

Wegen Handlungen, welché ein Reichsbeamter vor seiner An- tellung im Reichsdienste begangen hat, ist ein Disziplinarverfah- ren dann zulässig, wenn jene Handlungen die Entfernung aus dem Amte begründen.

War der Beamte vorher im Dienste cines Bundesstaates an- gestellt, so unterliegt er wegen aller in diesem Dienstverhältnifse goaugeien Dienstvergehen den Vorschriften des gegenwärtigen

eletes,

Der Abg. Dr. Hartmann erklärte sich mit der neuen Fassung im Wesentlichen einverstanden, beantragte aber zur Behebung einiger Zweifel die Niederseßung einer Kommission von 14 Mitgliedern zur Vorprüfung des Entrourfs.

Der Abg. Kayser bemerkte, nach den Verhandlungen, die jüngst im preußishen Abgeordnetenhause gepflogen seien, müsse es etwas Befremden erregen, daß dem Hause ein Gesezentwurf wie der vorliegende vorgelegt worden sei. Auch seine Partei vertrete die Ansicht, daß eine Rehabilitation zulässig sei, wünsche deshalb aber au, daß nicht zu schr nah der Vergangenheit der Beamten geforsht werde, und zwar solle das für alle Beamten gelten, niht nur für die, welche in der Lage seien, Leute gesund zu machen. Seine Partei könne deshalb dem vorliegenden Geseße nicht zustimmen und habe ein Gleiches auch von der Rechten vor- ausgeseßt, die ja aus religiösen Gründen die Rehabilitation erst jüngst noch im Abgeordnetenhause vertreten habe. Er halte aber die Vorlage auch nicht für nöthig. Man könne doch nicht sagen, daß bis jeßt, wo der- artige geseßlihe Bestimmungen gefehlt hätten, viel un- reine Elemente in den Beamtenstand eingedrungen seien. Der einzige Effekt des Geseßes würde sein, daß auch die Beamten im Reih immer mehr à discretion der Regierung

estellt würden. Deshalb: sage er, was dem Professor recht ei, sei dem Reichsbeamten billig. i i

Der Geseßentwurf wurde an eine Kommission von 14 Mitgliedern verwiesen. :

Ein Vertagungsantrag wurde angenommen. :

Ueber den Vorschlag des Präsidenten, morgen mit der dritten Berathung des Etats zu beginnen, entspann sich eine längere Geschäftsordnungsdebatte. : y

Der Abg. Kayser bat, siatt dessen morgen einen Shwerinstag abzuhalten. Das von seiner Partei vorgeschlagene Arbeitershußz- geseß könne sonst leiht nicht mehr zur Erledigung kommen, ebenso die Anträge Ackermann und von Kardorff. Der Etat dagegen werde noch sehr wohl bis zum 1. April fertig, wenn derselbe auch erst am Donnerstag auf die Tagesordnung ge- cht werde. Außerdem #&ck den Mitgliedern des Hauses die

Zusammenstellung des Etats nah den Beschlüssen der zweiten