wihtigen Erwerbszweige es dtoch ermöglicht, tunlichst ergiebige Mehreinnahmen aus dem Tabak zu gewinnen, ohne auf der anderen Seite die \{chonente Rücksihtnahme auf den Tabakverbrauch des minderbemittelten Rauchers außer aht zu lassen, und wir glauben, diesen Weg auch in der Vorlage gefunden zu haben. Unter Fest- haltung des bisherigen Systems der Abgabenerhebung nah dem Gewicht des Rohtabaks, das {ih in Handel und Industrie einmal eingelebt hat, wird eine Zollerhöhung in Vorschlag gebracht, die \ih bei den vorwiegend von den minderbemittelten Bevölkerungskreisen kFonsuwierten Tabakarten in mäßigen Grenzen hält, während die den anspruchsvollen Rauchern zugedachte Mehrbelastung eine weit erheb- lichere ist. Wenn dabei namentli der Zoll für die teure Imporkt- zigarre, die ein Genußmittel der begüterten Kreise darstellt, eine fehr kräftige Erhöhung erfährt, so dürfte das wohl nur zu billigen sein.
Noch mehr aber tritt das Bestreben, den Luxus im Rauchen möglichst hoch und ergiebig zu besteuern, in der vorgeshlagenen Sonder- besteuerung der Zigaretten hervor, und wenn daneben auch noch der Zoll auf Zigaretten gang beträchtlih, auf 1200 4. pro Doppel- zentner erhöht werden foll, so dürfte dieser Vorschlag seine Necht- fertigung niht allein darin finden, daß die Importzigarette zur Beo lastung nit einer hohen Luxusabgabe besonders geeignet erscheint, sondern auch noch darin, daß es billig erscheint, der inländischen Zigarettenindustrie gewissermaßen zum Ausgleich für die Mehr- belaftung ihrer Produkte auf der andern Seite auch einen erhöhten Schuß gegen den von Jahr zu Jahr wachsenden Wett- bewerb des Auslandes zu gewähren. Ueberhaupt darf von der gesamten in- ländishen Tabakindustrie nicht außer aht delassen werden, daß die durch die Zollerhöhungen bedingte Mindereinfuhr von Fabrikaten \{ließlich allein ihr und den , von ihr beschäftigten Arbeitern zugute fommen muß. : j (
Hinsichtlich der mehr steuertechnischen Erwägungen, die dazu führten, die Zigarettensteuer auf die Verwendung des zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen Papiers zu gründen, darf ich wohl auf die der Vorlage beigegebene Begründung verweisen.
Recht \hwierig gestaltete ih die entsprehende Bemessung des erhöhten Steuersaßes für den im Inlande erzeugten Tabak. Die verbündeten Regierungen glauben jedoch, mit dem vorgesblagenen Saß von 62 M pro Doppelzentner all den mannigfachen Rücksichten gerecht geworden zu sein, welche neben dem Zweck, eine höhere Einnahme zu erzielen, hier auf die wider- \trebenden Interessen der Industrie und der Landwirtschaft zu nehmen waren. Die Absicht der Vorlage geht jedenfalls dahin, durch Fest- haltung einer angemessenen Relation zwischen Zoll und Steuer Ver- \htiebungen in den Yroduktionsverhältnissen tunlihst zu vermeiden, und wir glauben au, daß diese Absicht erreiht werden wird. Wir glauben das um so mehr, als auch die territorialen Unterschiede in den Lohnverhältnissen, welche früher solche Verschiebungen erleihterten, in neuerer Zeit mehr und mehr verschwinden. Wenn gleichwohl der Steuersag von 62 Mark dabei hin und wieder noch als zu_hoch bemängelt werden sollte, so darf ich doch daran erinnern, daß die Vorlage dem inländischen Tabakbau, aber auch nur ihm, zugleih mehrfae Begünstigungen bringt, deren Wert von den be- teiligten Kreisen nicht untershäßt werden sollte. i
Bevor ih dieses Kapitel verlasse, möchte ich übrigens nicht versäumen, mit einigen Worten noch einem Haupteinwände zu be- gegnen, der in einem Teile der Presse gegen die vorgeschlagene Mehrbelastung von Tabak und Bier aus dem § 6 des Flottengesetzes von 1900 herzuleiten versucht worden ist,
Es is ohne weiteres zuzugeben, daß nach Wortlaut und Absicht jenes Geseßes der Mehrbedarf für die Flotte niht durch Er- höhung oder Vermehrung der indirekten, ven Masfenverbrauh be- lastenden Reich8abgaben aufgebracht werden foll. Mögen vielleicht avch die Meinungen über die innere Berechtigung dieser Vorschrift auseinandergehen, sie ist einmal Gesez, und sie muß als solhes auch respektiert werden. (Sehr richtig! links.) (Es heißt aber auf der anderen Seite doch geradezu die öffentliche Meinung irreführen, wenn man es nun so darzustellen sucht, als dürfe der Mafsenverbrauh überhaupt nicht mehr mit weiteren Reichs- abgaben belastet werden. Davon steht in jener Bestimmung des Flottengeseßes kein Wort, und man würde mit folher Auslegung einfa den ganzen Artikel 70 der Neichsverfassung fo zu sagen auf den Kopf stellen. Was aber den erwähnten § 6 des Flottengesetzes von 1900 anlangt, so werden Sie bei genauerer Prüfung der Vor- lage si überzeugen, daß von jener Vorschrift des Gesetzes in keiner Weise abgewichen worden ist. Fch will dabei ganz außer Betracht lassen, daß man unter den Nauchern und unter den Biertrinkern gewiß häufig au recht wohlhabenden und steuerkräftigen Leuten be- gegnet. Ih will au weiter gar nicht davon reden, daß man Frachturkunden, Gisenbahnfahrkarten, Erlaubnis\cheine für Autos- mobile und Quittungen doch unmöglich zu den Gegenständen des Massenverbrauchs wird rechnen können. Unter allen Umständen scheint es mir aber ganz ausgeschlossen, daß man die Erbschafts\teuer, die wir doch auch wesentlih im Hinblick auf die Notwendigkeit der Deckung der vermehrten Flottenkosten in Vorschlag bringen, als eine den Massenverbrauh belastende Reichsabgabe würde bezeichnen fönnen. Bei den sämtlihen anderen Steuervorshlägen handelt es fch aber in der Hauptsache um die Gewinnung der nötigen Mittel zur Deckung des übrigen allgemeinen Reichsbedarfs. Wer also gegen die hier vorgeschlagene’ Erhöhung der Abgabe von Tabak und Bier kcine anderen Bedenken hat, als die Rücksicht auf § 6 des Flottengesezes von 1900, der wird der Vorlage in diesem Punkt mit gutem Gewissen seine Zustimmung geben können.
Fch wende mich nun den Stempelabgaben zu. Hier kann ich mi wesentlich fürzer fassen. Die Stempelsteuern haben bei aller Verschiedenheit im einzelnen doch das eine mit ein-
einander gemeinsam, daß fie bhauptsählich den wohlhabenden und damit ten fteuerkräftigeren Teil des Volkes treffen und daß sie die Minderbemittelten nur wenig berühren. Soweit es sich nit umgzhen läßt, sie in Mitleidenshaft zu ziehen, ist in der Vorlage jedenfalls auf deren tunlihste Shonung mit aller Sorgfalt Bedacht
ommen. p Meine Herren, es war auch kein Zufall, wenn im Jahre 1909, als es sich darum handelte, für. die vermehrten Kosten unserer Flotte Deckung zu schaffen und diese Koften den wohl- habenderen Bevölkerungéklafsen aufzuerlegen, der Reichstag es war, der es si angelegen sein ließ, vorwiegend aus den Stempelsteuern
Verkehr mit sich bringen können, Unbequemlihkeiten, die zumal im Anfang, solange die Steuern \sich noch nicht eingelebt haben, als Belästigungen empfunden werden können. Allein belästigend sind \{ließlich alle Steuern. Durch eine sahgemäße Aus- gestaltung des Gesetzes lassen sich aber die an sih unvermeidlichen Unzuträglichkeiten wesentlih abschwächen. Die Vorlage kommt in dieser Beziehung gewiß allen berechtigten Anforderungen des Verkehrs weit entgegen. Man wird deshalb gegen die Vorlage auch den Vor- wurf der Verkehrsfeindlichkeit mit Recht nicht erheben können. In einer Reihe anderer euroväisher Staaten is man in der Auf- erlegung gleichartiger Abgaben, so insbesondere in der Besteuerung von Eisenbahnfahrkarten und von Quittungen noch viel weiter gegangen als die Vorlage. Die Bevölkerung hat in diesen Staaten die Last auf sich genommen und trägt fie willig, weil sie es für rihtiger hält, daß der einzelne die damit verbundenen Leistungen und Unbequemlichkeiten auf sich nimmt, als daß der Staat in Schulden gerät und \{ließlich das Ganze Schaden leidet. Bei der Lage, in der ih der Haushalt des Reichs dermalen befindet, haben wir wahrlich keinen Grund, uns auf das hohe Roß zu setzen und auf die Steuergesegebung anderer Staaten mit Geringshäßung herabzublicken; im Gegenteil, wir haben vielmehr allen Anlaß, die Opferwilligkeit anderer uns zum Muster zu nehmen und ihrem Beispiele zu folgen.
Der vorgeschlagene Stempel für Frachturkunden tellt nur den weiteren Ausbau der im Jahre 1990 aus der eigenen SFnitiative des Reichstags hervorgehenden Besteuerung der Schiffs- frahturkfunden dar. Obschon bei der niedrigen Bemessung der Abgabe der dem Frahtverkehr hier allgemein auferlegte Firstempel faum merklich empfunden werden dürfte und auch die Erhebungs- form nicht einfacher sich gestalten ließ, ist doch auch noch auf den Orts- und Kleinverkehr die äußerste Rüksiht genommen. * Auf der andern Seite darf aber gerade hier bei dec Massenhaftigkeit des in Betraht kommenden Verkehrs doch im ganzen auf eine recht ergiebige mit der Zeit wachsende Einnahmequelle gerehnet werden. Die Fahrkartensteuer soll im wesentlichen den im Neisen auf Eisen- bahnen und Dampfschiffen {zutage tretenden Aufwand treffen. Daher au die Abstufung der. Säße nah den benußten Wagenklassen resp. Schiffsplägen. Soweit es sih dabei um Vergnügungsreisende handelt, deren Zahl von Jahr zu Jahr in steter Progression zunimmt, ist die Fahrkartensteuer eine reine Luxussteuer. Bei den Geschäftsreisenden aber handelt es sich um einen minimalen Aufschlag auf die Spesen, deren Abwälzung auf den Konsumenten gegen- über den eigentlißhen Reisespesen nur eine ganz unter- geordnete Rolle spielt. Von besonderer Bedeutung ist die Frei- lafsung aller Fahrkarten bis zum Preise von 2 sowie die Frei- lassung der zu ermäßigten Preisen ausgegebenen Arbeiterfahrkarten. Die erstere Befreiung läßt fast den gesamten Voroctverkehr und für die dritte und vierte Wagenklasse auch den größten Teil des Fern- verfehrs von ‘der Abgabe überhaupt frei. Bei weiteren Fahr- strecken kann der vorgeschlagene geringfüzige Fixstempel als eine merkbare Last für den Reisenden kaum ernstlich in Be- tracht Ffommen, zumal auch die Erhebungsform die denk- bar einfachste ift. Die gewählte Form des Firxstempels ist zuglei geeignet, die Steuer unbedenklich ohne jede Rücksiht auf etwaige Aenderungen in dem Eisenbahntarifwesen, mit dem sie in keinerlei Zusammenharg steht. ins Leben treten zu lassen. Der Vorzug, daß die Abgaben nicht bloß den Inländer, sondern auch zugleih die das Inland passierenden Ausländer trifft, teilt sie mit der weiter vorgeshlagenen Besteuerung der Automobile. Diese ist im übrigen als cine reine Luxussteuer geplant, von der daher sowohl der gesamte Frachtverkehr als avch der gewerbliche Personen- verkehr gänzlich ausgeschlossen bleiben soll. Es ist deshalb eine Schädigung der aufstrebenden inläadishen Kraftfahrzeugindustrie ernstlich niht zu besorgen. Die Abgabe erscheint aber im übrigen, zumal bei Einführung eines Stempels auf Eisenbahnfahrkarten um so mehr berechtigt, als der siŸ ungemein rasch entwickelnde Gebrau jener Luxusfahrzeuge {hon beginnt, der Benußung der Eisenbahn gerade seitens der wohlhabenden Bevöslkerungsklassen bemerkbare Kon- kurrenz zu machen. Daß die vorgeshlagene Besteuerung der Kraftfahrzeuge dem Schlagwort von der Belastung des Autos des armen Mannes begegnen werde, hatten wir allerdings niht erwartet.
Der Vorschlag der Einführung eines Quittungéstempels ist nicht neu. Bei dem dringenden Bedürfnis, für die Sanierung der Neichs- finanzen ausreihende Mittel zu gewinnen, glauben wir erwarten zu dürfen, daß der Vorschlag diectmal eine vorurteilsfreiere Aufnahme finden wird als früher. Bei Bemessung der Steuer auf den ge- ringen Saß von 10 4 und der Freilassung aller Quittungen über Beträge bis zu 20 4 können die früheren, namentlich vom Standpunkte der Rechts\sicherheit und der Interessen der kleinen Gewerbetreibenden erbobenen Bedenken ernstlich überhaupt nicht in Betracht kommen. Außerdem is noch durch die vorgesehene Befreiung speziell den Inter- essen der arbeitenden Volksklassen in weitgehendstem Maße Rechnung getrag-n. Die Abgabe is nah der Vorlage überhaupt so gedacht, daß sie in ihrem Gesamteffekte vorwiegend nur die wohlhabenden und wohlhabendsten Teile der Bevölkerung belastet.
Nun nohh einige Worte über das letzte der neuen Steucrprojekte, über die Erbschaftsfteuer! Sie bildet in dem Aufbau der vorgeschlagenen Finanz- und Steuerreform so zu sagen den S{hlußstein. Ob die Abgabe von Erbschaften mehr zu den direkten oder indirekten Steuern zu rechnen ist, das zu erforshen, mag der Weisheit der Gelehrten überlassen bleiben. So viel steht jedenfalls fest, daß sie si bisher in aus\{ließlihem Besiß der Einzelstaaten befunden und in einigen derselben auch in mehr oder minder engem Anschluß an ihre direkten Steuersysteme entwickelt hat. Auf der andern Seite wird aber au nicht bestritten werden können, daß, wenn das Bedürfnis besteht, dem Reiche außer den ihm dur die Verfaffung zunächst zugewtesenen Einkünften aus den Zöllen und gemeinsamen Verbrauchsabgaben noch
weitere neue Steuerquellen ‘zuzuführen, neben den erwähnten Stempel- steuern si hierzu auf dem Gebiete der Vermögenssteuern ohne tiefen Eingriff in das eigentliche direkte Steuersystem der Einzelstaaten noch am ehesten die Erbschaftssteuer eignen dürfte. Gleihwohl haben si die Bundesstaaten zu dem ihnen hier angesonnenen Opfer nur ungemein {wer entschlossen, und es ist das auch um so begreiflicher, wenn man erwägt, daß niht wenige derselben damit auf eine der leßten Reserven verzihten, mit Hilfe deren sie ih in späteren Not- jahren noch über Wasser halten zu fönnen glaubten. Sie haben dennoch das \{chwere Opfer gebracht, damit aber wohl
Verständigung mit dem Reichstage zu gelangen und insbesondere auhch die Schwierigkeiten vollends überwinden zu helfen, die sich andernfalls für die weitere Entwicklung unserer Wehrkraft zur See aus dem {hon erwähnten § 6 des Flottengeseßes von 1900 möglicherweise hätten ergeben können. Sie glauben aber auch beanspruchen zu können, daß ihnen im allgemeinen wenigstens der bisherige Ertrag der Erbschaftssteuer au für die Folge annähernd belassen und außer- dem eine angemessene Uebergangsfrist gewährt werde, um fih nament- lih dort, wo die vorgeshlagene Beteiligung des Reichs an dem Ertrage der Erbschaftssteuer größere Ausfälle an den eigenen Einnahmen bedingt, auf die Neuerung entsprehend einrihten zu können. Auf das Detail der Vorlage möchte ich im Nahmen der Generals debatte meiner Zusage gemäß auch hier niht näher eingehen, nur einen einzigen wichtigen Punkt möchte ih do nicht ganz unerwähnt lassen. Er betrifft die Freilassung der Deszendenten und der Ehegatten von der Reichserbschaftsfsteuer. Die näheren Gründe, von denen die verbündeten Negierungen si. hierbei leiten ließen, finden Sie in der Vorlage eingehend dargelegt. Sie gipfeln, abgesehen von den fonstigen Erwägungen, vor allen Dingen in der grundsäßlihen Verschiedenheit des Wirtschaftslebens und den damit in Zusammenhang stehenden Anschauungen über den Charakter des Familienvermögens innerhalb des Bundesgebiets, Ver- \chiedenheiten, welche es rechtfertigen dürften, die Frage der Beibehal- tung oder der Einführung einer solchen Steuer allein der Landes- gesezgebung zu überlassen. Meine Herren, die verbündeten Regierungen sind, wie bemerkt, entshlossen, .das schwere Opfer der Uebertragung des größten Teils der Erbschaftssteuer an das Reich zu bringen; sie sind aber allerdings dabei von der Voraussetzung ausgegangen, daß einerseits mit der endlihen Ordnung des NReichshaushalts endli ganze Arbeit gemacht und an die Stelle der Schhuldenwirt schaft eine planmäßige Schuldentilgung geseßt werde, auf der anderen Seite aber es den Bundesstaaten auch ermöglicht werde, in ihren eigenen Haushalten mit einigermaßen festen Verhältnissen zu rechnen und wenigstens in normalen Zeiten, in einer geordneten Wirtschaftsführung nit über eine gewisse Grenze hinaus dur unvorhergesehene wechselnde Ansprüche des Reichs gestört zu werden. Ih komme hierauf noch zurück. Der Anteil des Reichs am Ertrage der Erbschafts- steuer bis zum Höchstbetrage von zwei Dritteln \soll nah Maßgabe des jeweiligen D.Eungsbedarfs alljährlih durch das Etatsgesey festgeseßt werden. Durch eine solche Einrichtung dürfte . wohl auch den Wünschen des Reichstags nach Ein- fügung eines weiteren beweglichen Faktors in den Reichshaushalt entsprochen, jedenfalls aber eine weitere Gewähr dafür geschaffen werden, daß auch die Einzelstaaten an einer möglihs sparsamen Wirtschaft des Reichs interessiert bleiben. Der Anteil des Reichs an dem Ertrag der Erbschaftssteuer gewinnt hierdurch in seinem innersten Kern den Charakter einer Art von Matrifularbeitrag, der in diesem Falle — fundiert auf besonderen Einnahmen — die Einzelstaaten nah dem Grade der Wohlhabenheit ihrer Bevölkerung höher oder niedriger belastet. Auf der anderen Seite wird es hiernach auch um fo un- bedenklicher sein, tem begründeten Verlangen der Einzeltaaten nah \{honender Rüksichtnahme auf ihre Haushalte bei der Ein- ziehung ungedeckter Matrikularbeiträge tunlichst gerecht ¿zu werden. Gewiß, meine Herren, wer nur den Buchstaben der Verfassung ih
fet eine absolut unbegrenzte, fe Vemesse si DeEungsbedarf des Reichs, gehe dieser Deckung8bedatf" aU t
unterzieht, in den Geist der Verfafsung einzudringen, wird unschwer erkennen, daß es allerdings für die Belastung der Einzelstaaten mit Matrikularbeiträgen und jedenfalls für deren Einziehung eine Grenze gibt, und diese Grenze bildet ihre finanzielle Leistungs- fähigkeit. In den Etatsgeseßen für die Jahre 1903, 1904, 1905 haben sich Bundesrat und Reichstag wiederholt dar- über geeinigt, jene Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit der Einzelstaaten auf jährlich rund 24 Millionen Mark anzunehmen, und es ift ihnen, wenn auch zur Balancierung des Neichshaushalts i m Soll ein Mehr an ungedeckten Matrikularbeiträgen erforderlih war, doch die Aufbringung dieses Mehrbetrags für das Jahr 1903 dur die Genehmigung einer Zuschußanleihe, für die Jahre 1904 und 1905 durch Gewährung einer Stundung vorerst abgenommen worden. Die Vorlage hat die demna tatsächlih bereits bestehende und auh fahlich wohl begründete Uebung einfa übernommen mit der Maß- gabe, daß jene Grenze entsprechend der zu erwartenden Zunahme der Bevölkerung {ih in der Folge allmählih erweitern soll.
. Wenn außerdem noch vorgeschlagen ist, die Aufräumung der nach dem Rechnungsabs{chluß etwa noch vorhandenen Reste an gestundeten Matrikularbeiträgen nit mehr anßerhalb, fondern innerhalb der nächstjährigen Haushaltsetats zu bewirken, fo sprechen hierfür Zweckmäßigkeitsgründe, die wir Ihnen in der Kommission noch des näheren auseinandersezen werden. Von irgendwelcher Beeinträchtigung des Budgetrehts des Reichstags kann hier im Ernst ebensowenig die Rede fein wie bei den Etatê- geseßen der genannten drei Vorjahre. Die Blätter, die fich über ver- meintlihe grundsäßlihe Neuerung fo fehr ereifern, hätten fih nah meiner Meinung ihre Aufregung hiernah füglih sparen können. Im Zusammenhang mit dea auf dem Gebiet der Erbschaftssteuer gebrachten Opfern müssen aber die verbündeten Regierungen auf die Ano nahme der hier vorgeschlagenen gesetzlihen MNegelung allerdings entsheidendes Gewicht legen. Die ganze Vorlage stellt fi überhaupt dar als das Werk eines mühsam zustande gekommenen Kompromisses unter den verbündeten Regierungen. Lösen Sie aus dem Bau auh nur einen Stein heraus, so risfieren Sie, daß das ganze Gebäude ins Wanken gerät (hört, hört), so risfieren Sie, daß das ganze Gebäude zusammenfällt und daß wir mit dem Aufbau wiederum von vorn anfangen müssen ohne irgendwelche Sicherheit, ob auch die neue Arbeit iht fruhtlos sein wird. Niederreißen ist leiht, wiederaufbauen \{chwer, sehr {wer zumal in dem komplizierten Organismus des Deutschen Reichs.
(Schluß in der Dritten Beilage.)
die erforderlihen Mittel zu bewilligen. Zuzugeben ist, daß die Stempelfteuern unter Umftänden gewisse Unbeguemlichkeiten für den
auch das äußerste Entgegenkommen bekundet, um zu einer
vor Augen hält, kann wohl auf den Gdanken kommen, die Ver- F hund Rußland-Frankreih hat seit 1893 unseren ganzen H
Ton 1 A Pf azu tr ___ S Ausgang sehr zweifelhaft ist und auch Hunderte oder Tausende von Millionen. Wer ih aber der Mühe
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königli
M2 288,
(Schluß aus der Zweiten Beilage.)
Meine Herren, ih komme zum Schluß. Wir sind mit unserer Finanzwirtshaft im Reich an dem Punkt angelangt, wo sich die Wege scheiden. Der eine Weg ist der bequeme, breite, aber abschüssige Weg der Schuldenwirtschaft, den wir leider hon eine Strecke weit gegangen sind. “ Wohin er schließlich führt und führen muß, das glaube ih Ihnen nicht erst ausführlih darlegen zu müssen. Der andere Weg ist steil, dornenvoll, er führt durch das Gestrüpp des Eigennußtes, erheischt Opfer; aber er führt auch hin zu den Segnungen eines ges ordneten Haushalts. Den leßteren Weg empfiehlt die Vorlage, und die verbündeten Regierungen haben sh einmütig entschlossen, ihn zu betreten. Sie können jedoch das Ziel nur erreichen, wenn der Reichs- tag sich entschließt, ein gleiches zu tun. Sie vertrauen aber zu dem Patriotismus und der Opferwilligkeit der Vertreter des deutschen Volkes, daß sie ihnen auf dem betretenen Wege folgen werden.
_ Abg. Fritzen (Zentr.): Aus diesen beinahe zweistündigen Aus- führungen des Staats]efretärs und aus den La raden A die wir erhalten haben, erkennen wir die Niesenarbeit, die er in den wenigen Monaten seit dem leßten Reichstags\chluß geleistet hat, und die An- erkennung dafür ist thm auch aus denjenigen Kreisen sicher, die mit ihm nit in allem übereinstimmen und ihm nicht auf seinen Wegen ganz folgen können. Als der Reichstag plößlich Ende Mai \{loß, glaubte man allgemein, wir würden hon im Oktober wieder berufen werden. Daß der Reichstag erst jeßt und so \pât einberufen worden ist, bleibt außerordentli bedauerlih. Wie soll es jeßt geben mit den Arbeiten in diesem Hause? Glaubt auch nur einer, daß wir mit dem Etat und den Steuervorlagen bis zum 1. April fertig werden ? Die Resultate der Steuervorlagen sind schon in den Etat hineingearbeitet worden, sodaß dieser nicht eher verabschiedet werden kann, als bis die Steuervorlagen verabschiedet find. Wir werden unsererseits, um den Etat rechtzeitig fertig zu stellen, die umgekebrte Prozedur machen müssen, die der Staats- sekretär gemacht hat, nämlich das auf die Steuervorlage Bezügliche aus dem Etat wieder auszuscheiden. Heute soll der einzelne Abgeordnete ses, sieben Monate und noch länger in Berlin sitzen, ohne Rücksicht auf Geshäft, Beruf und Familie. Als man die Diätenlosigkeit annahm, war die Session zwei bis drei Monate lang, niemand dachte an Sessionen von der heutigen Länge. Ohne Entshädigung der RNeichstagsmitglieder geht es niht Wir haben den betreffenden Antrag wieder eingebracht und hegen die zuversichtlihe Hoffnung, daß er bald zur Wirklichkeit wird. Wenn das nicht geschieht, kann unsere Fraktion und kann keine Fraftion für eine gedeihlihe Erledigung der Arbeiten die Garantie über- nehmen. Die früheren Etats waren meistens ein Spiegelbild der wirt- schaftlichen Lage; neuerdings hängen die Etats weit mehr von den aus- wärtigen Angelegenheiten ab, wozu ich auch die folonialen rene. Troß gutèr wirtschaftliher Lage, troßdem die Landwirtschaft si zu erholen beginnt, stehen wir vor einem sehr ungünstigen Etat. Kolonialanleihen haben wir früher überhaupt nicht gekannt. Die Expedition nach Ostasien steht im Etat mit 13 Millionen; hoffent- lih wird diese Ausgabe baldigst ganz oder fast ganz aus dem Etat verschwinden. Kiautschou erfordert ebenfalls 13} Millionen. Auch die Verhältnisse in Kiautshou haben \sich in neuester Zeit sehr geändert, seit Japan zur Weltmacht geworden is. Der Zwei- )eeresetat schr
Y eine ehbare è tnlñteron Me tin in OTUBLAND, e Ü
ommen E r unsere wirtschaftlichen Beziehungen sehr unangenehme Folgen haben kann. Jedenfalls haben wir alle Ürjache, zu wünschen, daß in Rußland bald wieder Nuhe und Ordnung einkehren mögen. Im Sommer tauchte plößlich wie ein Blitz aus heiterm Himmel die Marokkofrage auf und zeigte uns, wie leiht der Frieden gestört werden kann, und an einem wie dünnen Faden er damals hing. Jeßt, wo der Neichstag zum ersten Male wieder zusammen ist nah diesen Vorgängen, dürfen wir wohl vom Reichskanzler nähere Mitteilungen darüber erwarten. Wir wünschen feinen Krieg mit Frankreih, wir haben keine Angriffslust; wir wünschen besonders auf dem Gebiete friedliher Betätigung mit ihm zu wetteifern. Dasselbe gilt von unserem Verhältnis zu England, wo sich der Wunsh zur Etablierung besserer Beziehungen in Deutschland geradezu mit elementarer Gewalt in leßter Zeit durhgeseßt hat. Wir haben keine Gegensäße zu England, wir sehen ohne Neid am seine Entwickelung und seine große Flotte hin, aber dasselbe dürfen wir auch von seiten Englands erwarten. England und Deutschland werden sich hoffentlih ihrer großen Ver- gangenheit erinnern, ihrer gemeinsamen Kämpfe. Diese Erinnerung möge beide Nationen zusammensführen. Ich möchte den Reichskanzler fragen, wie sich unser Verhältnis zu Japan gestaltet; ferner wünsche ih Auskunft über die Marokkoangelegenheit, die inneren Wirren in Rußland und wie sih unsere Regierung zu ihnen verhält, und über das Verhältnis des Dreibundes. Ih möchte namentlich wissen, wie sich Italien zum Dreibund verhält. Um zum Etat zurückzukehren, so möchte ih glauben, daß der Reichskanzler in seinem Pessimismus doch eiwas zu weit gegangen ist. Die Zinfenlast der anderen Staaten ist doch weit größer als bei uns. Die 127 Millionen Zinsenlast bei uns sind niht 7 pCt. unserer Einnahmen und Ausgaben. In der Schuld von 14 Milliarden stecken die Eisenbahnschulden von Preußen, Baden 2c. ; ziehen wir diese Schulden ab, so kommen wir auf eine Neichs\{huld von 7 Milliarden, was dem Auslande gegenüber gar nicht ungünstig ist. Die Einnahmen aus den Eisenbahnen in Preußen sind befonders glänzend. Andere Staaten wie England, Dester- rei usw. haben ‘bis jeßt keine Staatsbahnen, ebensowenig Frankreich. Die Schulden dieser Staaten sind also niht so produktive wie bei uns. Unter den Ausgaben für das Reichsamt des Innern findet sich au eine neue Forderung für die Hobkönigsburg. Wir hätten ge- glaubt, daß wir diesmal mit einer solchen Forderung verschont werden würden. Eine richtige soziale Fürsorge wird am besten dazu dienen, destruktiven Tendenzen vorzubeugen, sie niederzuschlagen. Aus den Ausführungen des Staatssekretärs ist zu entnehmen, 2p noch ein Nachtragsetat für Ostafrika zu erwarten ist. Die Mängel in der Koloniálverwaltung hat man beseitigen wollen durch Bestellung eines neuen Staatssekretärs. Was wird dadurh gebessert? Abhilfe kann in den Kolonien nur geschaffen werden durch eine Reor- ganisation von unten herauf. Allerdings befindet sich in der Kolonial- verwaltung auch ein lichier vir in der folonialen ilter Piung wird den Kolonisten freie Religionsübung gewährleistet.
ie Schamröte muß einem ins Gesicht steigen, wenn man damit die Verhältnisse in einzelnen Bundesstaaten vergleicht. Unser Tole- ranzantrag hat hier und bei den verbündeten Regierungen eine sehr kühle Aufnahme gefunden. Sie können überzeugt sein, dieser Antrag wird niht eher von der Tageßordnung verschwinden, als bis seine wesentlihen Forderungen erfüllt sind. Was den Miklitäretat angeht, so wird zu prüfen sein, ob E möglich sind. Nebeitasdei muß es, daß jeßt plößlich die Zulage, die wir früher für die patentierten Oberstleutnants bewilligt haben, für alle Oberstleutnants gefordert wird. Mit der Erhöhung der Säße für die Naturalverpflegung sind wir einverstanden. Der Marineetat is wesentlich erhöht worden
Dritte Beilage ch Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 7. Dezember
Stellung einnehmen kann. Die Begründung ift sehr knapp gehalten und eine Verhandlung der Gründe empfiehlt ih in öffentlicher Sihung niht. Wir werden die Kommissionsprüfung abzuwarten haben. Wir werden die einzelnen Positionen mit aller Nuhe und auch mit Wohlwollen prüfen. Ohne Deckung können wir an neue Aus- gaben nit denken; wir können unmözlich Geld ausgeben, ohne es zu besißen. Die einzelnen Steuern im Detail zu behandeln, ist mir, ohne mir eine Zensur des Präsidenten zuzuziehen, nicht möglich. Wir haben ganz bedeutende Mehreinnahmen notwendig und sind verpflichtet, für sie zu sorgen. Allerdings meine ih, daß die Zolleinnahmen für die nächsten Jahre viel zu lsdrig beranshlagt sind. Die Höhe der notwendigen Mehr- einnahmen fann nur in der Kommission festgestellt werden. Als eine ein- heitlihe Vorlage können wir diese Steuervorlagen durhaus nicht ansehen. Die Verkehrs\teuern sind uns vielfa durhaus unsympathisch. Die Tabak- und die Biervorlage ist nach meiner Ansicht eine wesentliche Belastung des Massenvterbrauhs. Das Flottengeset hat dagegen Vorkehr getroffen. Die Fassung des Flottengesezes i für sih in dieser Beziehung ein Programm, und es ist von dem Reichs- iage und auch vom Bundesrat angenommen und in das Gesetz als besonderer Paragraph aufgenommen worden. Eine Erhöhung der Tabaksteuer auf Fabrikate ist uns nicht unsympathish, dagegen erscheint uns eine Erhöhung des Zolls auf Rohtabak bedenklich. uge N wäre nur eine Besteuerung des Rohtabaks nah dem Werte. Der Rippentabak soll mit 102 4 besteuert werden, das wären 600 9%. Das steht mit dem Flottengeseß in Widerspruch. Der Tabak ift zwar kein Nahrungsmittel, aber ein unentbehrlihes Genußmittel. In der Brausteuervorlage steht manches, womit wir ein- verstanden sein können, z. B. die Surrogatsteuer und die Staffelung, die verhindern wird, daß die kleinen Brauereien, die dem Mittelstand angehören, dur einige größere Brauereien aufgesogen werden. Aber die Erhöhung der Braumalzsteuer überhaupt steht ebenfalls im Wider- spruch mit dem § 6 des Flottengeseßes, woran festzuhalten wir uns im Gewissen verpflichtet fühlen. Was den Wegfall ungedeckter Matri- kularbeiträge betrifft, so würden wir unsere ganze Vergangenheit verleugnen, wenn wir dieser Forderung nahkämen. Die Einzelstaaten mit großen ungedeckten Matrikularbeiträgen zu belasten, liegt uns gewiß fern. Aber etwas anderes ift die tatsähliche Uebung und die geseßliche Festlegung. Wir wünschen, daß die kleinen Staaten nah wie vor ein großes und eingehendes Interesse an der Finanz- gebarung des Meiches haben, und ich halte es für einen unberechtigten Partikularismus, hier eine Trennung eintreten zu lassen. CEinverstanden find wir mit der Einführung einer geseßlißen Reichss{huldentilgung. Es. müssen dann aber auh die Ausgaben eng begrenzt werden... Wir behalten uns vor, über die einzelnen Steuervorlagen demnächst im einzelnen zu sprechen. Wenn die Steuern im einzelnen erniedrigt werden, so wird für den Ausfall Deckung zu schaffen sein. Im äußersten Falle find wir bereit, das Gesey über die Erbschaftssteuer so zu er- weitern, daß auch die Defzendenten und Ehegatten für ganz große Ver- mögen zur Steuer herangezogen werden. In diesem Sinne werden wir an die Beratung des Etats herantreten und dahin wirken, daß die schwachen Schultern möglihst geschont werden. Die Erhaltung des Friedens ift uns eine heilige Sahe. Wir werden bestrebt sein, alles beizutragen, was zur Erhaltung des Friedens gecignet ist.
Reichskanzler Fürst von Bülow:
Meine Herren ! Schon im Hinblick auf die vorgerückte Stunde werde ih auf die von dem Hexrn Vorredner berührten innerpolitishen
ulll Seofureusy sia gpy- CHTTU/TH Tage ear ra ----47- yCyel. ASU7 behalte mir das für den weiteren Lauf der Debatte vor und beshränke mi heute auf die auswärtigen Angelegenheiten.
Als ih vor einer Stunde Zeitungsaus\chnitte* durchblätterte, stieß ih auf einige Preßstimmen, in denen der Erwartung Ausdruck gegeben wurde, daß ich im Laufe dieser Etatsdebatte große Ent- hüllungen machen, daß ich alle Winkel der Weltlage beleuhten und durhleuchten werde. Meine Herren, ein leitender Staatsmann kann nicht in jedem beliebigen Augenbli eine Rede über die auswärtige Lage halten. Namentlich wenn diese Lage keine durhaus befriedigende ist (hôrt, höôrt! in der Mitte und bei dea Sozialdemokraten), wenn Verstimmungen eben erft überwunden und neue mögli sind, wird er ih zunächst immer fragen müssen, ob er überhaupt reden foll und ob er nicht, wenn er auf jede Frage öffentlich Nede und Antwort stehen wollte, mehr {haden als nüßen würde. Die Beziehungen von Regierung zu Regierung können korrekt, sie können von beiderseitiger Friedens[liebe erfüllt sein, aber die Beziehungen zwischen den Kabinetten erschöpfen nit die Politik ihrer Länder. (Sehr richtig!) Ich weiß nit, ob ich mich irre, aber ih glaube, es war in diesem hohen Hause, dgß einer seiner größten Männer, der Reichstagsabgeordnete Graf Helmut Moltke, im Vergleih zu der Kabinettspolitik früherer Tage auf die Gefahren der Volksleidenschaften in unserer Zeit hingewiesen hat. Wir haben z. B. jeßt in England mit einer tiefgehenden Abneigung der öffentlihen Meinung gegen uns zu rechnen. Erft in allerleßter Zeit haben sich Anläufe gegen diese bedenklihe Spannung in ernsten englischen Kreisen bemerkbar gemaht. Ich begrüße aufrichtig solche günstigeren Zeichen. (Bravo!) Ich möchte gern darin einen Anfang dafür sehen, daß man zu dem leider unterbrohenen wechselseitigen Verständnis zweier großer Völker von gleichartiger Kultur zurückéhren will. (Sehr rihtig! Bravo!)
Ich beabsichtige also nicht, Ihnen ein Exposé über die aus- wärtige Lage zu geben, da ich mir davon in diesem Moment keinen Vorteil für das Land versprehe. Ich bin aber durchaus bereit, auf einzelne konkrete Fragen, die der Herr Vorredner aageshnitten hat, meine Meinung zu äußern.
Der Herr Vorredner hat das Verhältnis zwishen Deutschland und Italien berührt. Offenbar im Hinblick auf die zwischen Italien und Frankrei eingetretene Annäherung hat er der Befürchtung Aus- druck gegeben, daß zwishen Deutshland und Italien niht mehr alles beim alten sei. Daß eine Abwendung Italiens vom Dreibund nicht zu erwarten ist, habe ih vor der inzwishen erfolgten Erneuerung des Dreibundes gesagt. Jtalien hat fich dem Dreibund seinerzeit nicht in unklarer Senti- mentalität angeschlossen, sondern weil -es dabei auch seine Rehnung findet. Die Gründe, welhe seinerzeit die drei großen mittel- europäishen Reiche zusammengeführt haben, bestehen auch heute noch ; es ist nihts geschehen, was sie beseitigen könnte. Wie zwischen Deutsch- land und Oesfterreih-Ungarn, so besteht au zwischen Deutschland und Italien nicht der leiseste Interessengegensaß. Zwischen Oesterreich- Ungarn und Jtalien haben Mißverständnisse und Verstimmungen
als Folge der Novelle zum Flottengeseß. Sie werden verstehen, wenn ih namens meiner politishen Freunde über diese Erhöhung keine bestimmte
bestanden, es ist aber dur beiderseitigen guten Willen und gegenseitiges
1905.
Entgegenkmmen noch immer gelungen, diese Mißverständnisse zu be- seitigen. Das Bindeglied zwishen Oefterreich - Ungarn und Italien bildet Deutschland, das für jedes dieser beiden Reiche der natürlihste Bundesgenosse is. Die gegenwärtige italienische Negierung sieht in dem ODreibunde die Grundlage ihrer auswärtigen Politik. Aber au die große Mehrheit des italienischen Volkes is zu patriotisch und zu klug, um nit zu wissen, daß ein vom Dreibund losgelöstes Jtalien noch stärker sein müßte, als Italien ist, wenn es nicht für die Unabhängigkeit seiner Politik Gefahren laufen will, die jeder Italiener aus der Geschichte seines Landes kennt. Wenn Italien jezt von mehr als einer Seite umworben wird, so ist wohl nicht zu bestreiten, daß seine Freund- schaft gerade durch seine Zugebörigkeit zum Dreibunde und durch die Sicherheit, die diese, Zugehörigkeit gewährt, an Wert gewonnen hat.
Meine Herren, der Dreibund will in Europa den Frieden und den status quo- aufrechterhalten. Das war sein Ausgangspunkt, das ist sein Endziel. Deshalb haben wir den ODreibund ab- geshlossen, deshalb haben wir den Dreibund erneuert, des-
halb halten wir unverbrüchliG am ODreibunde fest. (Bravo !) Aber, meine Herren, Deutshland muß ftark genug sein, um im Notfall fich auch obe Bundesgenossen behaupten zu können (Bravo!) ; es muß stark genug sein, um im \{limmsten Fall auch allein seine Stellung verteidigen zu können. (Sehr richtig!) Ich sage : im s{limmsten Fall; diefer Fall ist nit eingetreten; wir boffen, daß dieser Fall niht eintreten wird; aber diesen Fall dürfen wir niemals aus den Augen verlieren. Wir müssen stets eingedenk bleiben der Worte, die in seiner leßten großen Rede, in feiner unsterblichen Rede vom 6. Februar 1888, Fürst Bismarck mit Bezug auf die s{chon damals bestehenden Bündnisverträge sagte :
Wir müssen — sagte Fürst Bismarck —
unabhängig von der augenblicklihen Lage so stark sein, daß wir
mit dem Selbstgefühl einer großen Nation, die unter Umständen
stark genug ift, ihre Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, auch
gegen jede Koalition, jeder Eventualität entgegensehen können. (Lebhaftes Bravo.)
Meine Herren, der Herr Vorredner hat auch Verhältnisse und Vor- gänge in Osftasien berührt. Gegenüber Japan war unsere Politik vor, während und nah dem ostasiatishen Kriege korrekt und loyal. Das ist in Japan durchaus anerkannt worden. Unsere Beziehungen zu Japan sind gut und freundlich. Schon das eigene Interesse weist Japan auf Ahtung vor geschlossenen Verträgen hin. Ih glaube nicht, daß Japan vertragsmäßige und wohlbegründete Rechte sollte verlegen wollen. Ich glaube vielmehr, daß das japanische Volk, das fich durch Tapferkeit und Intelligenz seinen Play unter den großen Mächten erobert hat, bestrebt sein wird, diese Stellung dur eine vertrauenerweckende Politik 2" festiaen und zu sichern.
E x C in Ostasien beeinträchtigt werden P engl isen Ver tit U
Natürlich kommt es auf den Geist an, in dem dieser 20 T “v gelegt und ausgeführt werden wird. Sein Wortlaut steht in keinem Widerspruch zu den Zielen, die wir selbs in Ostasfien verfolgen. Wir haben in Ostasien nie etroas anderes angestrebt, als die offene Tür für unteren Handel, für unsere Industrie, für unsere Kultur. Und weil wir die ofene Tür in diesem Sinne wollen, find wir für möôg- lihste Sicherung des Friedens und für die Aufrechterhaltung der úIntegrität und der Unabbängigkeit von China. Das waren, das bleiben die Ziele unserer ostasiatishen Politik, wie ih sie mehr als einmal vor diesem hohen Hause dargelegt habe. Mit dieser Politik sind die Zwee des japanis-englishen Bündnisses, wie sie Lord Lans- downe Anfang November öffentlich erläutert hat, wohl vereinbar. Insbesondere haben wir nie einem Zweifel darüber Naum gelassen, daß wir in Schantung nur wirtschaftliche Ziele verfolgen.
In Uebereinstimmung mit dieser unserer allgemeinen ost- asiatischen Politik baben wir die Zurückziehung unserer Kontingente aus Tschili in dem Augenblick in Angriff genommen, den wir immer als den geeignetsten Moment für die Näumung bezeichnet hatten, nämli bei Wiederherstellung des Friedens in Ostasien. Als dieser Augenblick mit der Natifikation des Friedens von Portsmouth gekommen war, haben wir allen in Tschili nochH mit Kontingenten vertretenen Mächten die Evakuierung vorgeshlagen. Dieser unser Vorschlag ist von allen Mächten angenommen worden. Die Einzel- heiten der Räumung, die gleichzeitig und gleihmäßig erfolgen soll, werden jeßt von den Vertretern der Mächte in Peking unter Zuziehung der militärishen Befehlshaber erörtert. Ich denke, daß die Räumung im wesentlihen nach der Wiederherstellung der Schiffahrt, also beim Beginn des Frühjahrs, wird vor sh gehen können.
Meine Herren, was unsere Stellung zu den von dem Herrn Vorredner weiter berührten inneren Vorgängen in Rußland angeht, fo enthalten wir uns dort jeder Einmishung. (Sehr richtig!) Wir beschränken uns auf den lebhaften und aufrihtigen Wunsch, daß sh die russische Entwicklung in glücklicher, friedliher, ruhiger Weise voll- ziehen möge. Daran sind wir, wie der Herr Abg. Frißen mit großem Rechte hervorhob, wirtshaftliß und politisch als Nachbarland in hohem Grade interessiert. Aber weder mit NRatshlägen noch mit Angeboten noch mit irgend einer Art von Intervention mischen wir uns da ein. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)
Was ich da sage von unserer Stellung zu Rußland, das gilt ganz besonders für unsere Haltung gegenüber den Vorgängen in den Weichselgouvernements. Besonders in diefer Nichtung hat man uns die unsinnigsten Pläne untergeschoben. Jn einem großen ausländischen Blatte las ich an einem Dienstag, Rußland würde \fich genötigt sehen, Russish-Polen die Autonomie zu geben, weil wir das verlangt hätten, da wir Ruhe in» den russishen Grenzgouvernements haben wollten. In demselben Blatt las ih am nächsten Tage, am Mitt- wo, als inzwishen niht die Autonomie, sondern der Be- lagerung8zustand verkündigt war, dieser wäre auf unser Drängen proklamiert worden, weil wir uns vor Selb-