1905 / 289 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 08 Dec 1905 18:00:01 GMT) scan diff

der Deplacementsvergrößerung für die Entwicklung der Flotte hat, glaube ich nicht unterlassen zu dürfen, bier wenigstens mit einigen allgemeinen Strichen auf die inneren Ursachen dieser Deplacements- vergrößerung einzugehen.

Meine Herren, die Ursachen diefer Deplacementsvergrößerung liegen hauptsächlich in der größeren- Bedeutung, welche das Ferngefeht in jüngster Zeit auf See erlangt hat, und in der Entwicklung der Torpedowaffe. Daß man sich bemüht hat, den Gegner von weither und möglichst frühzeitig zu treffen, das ist ja nichts Neues; aber abgesehen von der Tragweite der gezogenen Geshüßze, fand das Ferngefeht durch eine Reihe von technishen Unvoll- kommenbeiten und vor allen Dingen durch das mens{liche Auge bisher eine natürlihe Grenze. Nachdem nun aber in bezug auf die Distanzmeßapparate und vor allen Dingen im Fernrohrvisier eine Reihe von technishen Errungenschaften hinzugekommen find, ist diese Grenze erbeblich hinausgerückt. Alle diejenigen Herren unter Ihnen, die Jäger sind, werden den Einfluß des Fernrohrvisiers in dieser Beziehung ohne weiteres übersehen.

Meine Herren, wenn nun das Ferngefecht eine so große Rolle spielt, ist die Konsequenz davon die, daß die s{chwere Artillerie im Verhältnis zu den übrigen Schiffswaffen eine größere Bedeutung erlangt. Wenn man diesem Umstande Rehnung trägt und die schwere Artillerie verstärkt oder vermehrt, muß man auch die Trag- fähigkeit der Schiffe vergrößern, damit die Schiffe sie eben tragen können, und da die {were Artillerie ein sehr großes Gewicht reprä- sentiert, entsteht die Notwendigkeit einer erheblißhen Deplacements3- vergrößerung.

Der Einfluß der Torpedowaffe ift daß die Schiffe bestrebt gewesen find, den halb der Torpedoshußweite zu führen; aber die Torpedo- \hußweite reihte bis vor furzem nur auf wenige hundert Meter. In der Beziehung ist indes in jüngster Zeit eine wesentlihe Aenderung eingetreten, und hat damit die Bedeutung des Fern- gefehts auf See erheblich zugenommen. Das ift die eine Wirkung der Torpedowaffe. Die andere beruht darin, daß die tat- \ählich bewiesenen Leistungen der Torpedowaffé, die man ja theoretisch {on vorher wußte, wie sie im japanish-russishen Kriege eingetreten find, den Wunsch haben allgemein hervortreten lassen, die Unterwasserkonstruktion der Schiffe noh in höherem Maße als bisher gegen Unterseeexplofionen zu {üßen.

Das find die beiden Hauptgründe gewesen. Ich übergehe Fragen zweiter Ordnung dabei, weil diese mih zu weit in das tehnishe Gebiet führen würden, und möchte nur noh die Bemerkung hinzufügen, daß die bäufig gehörte Ansicht, wir könnten unsere Schiffe mit Rücksicht auf die Befahrbarkeit unserer Gewässer nicht vergrößern, für die von der Marineverwaltung geplanten Bauten nicht zutrifft. (Hört, hört ! bei den Nationalliberalen.) Dahingegen, meine Herren, würde eine brauhbare Vergrößerung der Schiffe nicht möglih sein, wenn man nicht gleichzeitig die Schleusen des Kaiser-Wilhelm-Kanals auf beiden Seiten -erweiterte; die geplanten SHiffe würden andernfalls die Schleusen nicht mehr passieren können. Dementsprehend ift eine Vorbereitungêquote im Etat des Neihs8amts des Innern eingeseßt worden. Ohne den Ausführungen des Herrn Staats- sekretärs des Innern in der Beziehung vorgreifen zu wollen, möchte ih meiner persönlihen Ansicht dahin Ausdruck geben, daß die steigende Frequenz auf dem Kaiser-Wilbhelm-Kanal und die Tatsache, daß auh die Kauffahrteishiffe in der leßten Zeit stark gewachsen sind, eine solhe Vergrößerung auf jeden Fall notwendig gemaht haben würden. Die Frage ist, wie zuzugeben, durh die Vergrößerung der Kriegsschiffe eine dringlihe geworden.

Meine Herren, ih komme nun zu der Personalvermehrung. Dieselbe wird großenteils durch die vorher geplanten Maß- nahmen erforderlich. Wenn man die Personalquote, die im ganzen mehr einzustellen ist, auf den Jahresdurhschnitt berechnet, so werden wir in den nähsten 12 Jahren niht wesentlich mehr ver- langen, als in den leßten sechs Jahren von dem hohen Hause bereits bewilligt worden ift. Es wird also auch das Rekrutenkontingent, das die Marine beansprucht, niht in höherem Maße fteigen als bisher. Nah den Erfahrungen, die wir haben, wird es keine Schwierigkeit machen, dies Personal zu beshaffen und die Aus- bildung zu bewirken. Die Marineverwaltung hat ih bemüht, Ihnen in der Vorlage einen Ueberblick zu geben, auf welhe Posten sich diese Personalvermehrung verteilt.

Was die Auslandskreuzer anbetrifft, so regelt sich deren Personal nah dem Flottengesez. Was die Torpedoboote anbetrifft, so habe ih diese Frage ja hon vorher besprohen. Den Löwenanteil tragen auch hier die Deplacementêsvergrößerungen der Schiffe. Wenn man s\ih aber flar ift, daß man um diese Deplacementsvergrößerung nicht herum- kommt, so wird man auch deren Konsequenzen, die Vermehrung des Personals dafür, in den Kauf nehmen müfsen.

Eine etwas andere Begründung hat der Posten c: Zur besseren Ausnuzzung der Artillerie der Schiffe. Meine Herren, die Artillerie ist und bleibt die Hauptwaffe der Schiffe; die Seeshlachten werden stets dur die Artillerie entshieden werden. Alle Nationen strengen \ich daher aufs äußerste an, ihre Artillerie zur höchsten Aus- nußung zu bringen. Die Marineverwaltung hat fich nun des Eindrucks nicht erwehren können, daß bzi uns nah dieser Rihtung noch manches zu tun ist, und eine diefer Maßregeln liegt in der Ver- stärkung der einzelnen Geshüßmannschaften, d. h. der Mannschaften, die das einzelne Geshüß bedienen sollen. Wir hoffen dadur zu erreichen, daß die Feuergeschwindigkeit dieser Geshüßze steigt und daß die Treffsiherheit wähst. Auf Treffsicherheit und Shnelligkeit des Feuerns kommt aber alles an. e

Meine Herren, die beiden anderen Posten: geringe Indienst- haltungsänderungen und größerer Landbedarf, sind eigentlich nur die Konsequenzen von Maßnahmen und organisatorischen Bestimmungen, welche dies hohe Haus {hon in früheren Jahren genehmigt hat.

Die Marineverwaltung hat sih am S{hluß der Denkschrift bemüht, Jhnen einen Ueberblick über die Kosten zu geben, welhe aus den ge- planten Maßregeln entstehen werden. Eine folche Shäßzung is ja \chwierig. Ich kann nur sagen, daß wir sie so gewissenhaft wie mögli ausgeführt haben, Man wird nicht erwarten können das möHhte ih doch nicht unbetont lassen —, daß jede einzelne Zahl sih im Laufe der Jahre als zutreffend erweist; aber das kann ih versichern, daß fich die Marineverwaltung die größte Mühe geben wird, die Kosten für die geplanten Maßnahmen innerhalb des Rahmens der Gesamt - \chätzung zu halten, und das ist do eigentli der \springende Punkt, auf den es ankommt.

der gewesen, Kampf außer-

immer

Meine Herren, ich komme zum Shluß. Nah dem, was ih gebört und in der Prefse gelesen, habe ich den Eindruck, daß die Marinevorlage im allgemeinen nicht unfreundlich aufgenommen ist. Ich habe ja Stimmen gelesen, denen die Ausgaben zu groß find, die den Nugzen einer so großen Marine überhaupt nicht anerkennen wollen, und die au}ch mit manchem anderen nicht einverstanden find. Jh habe aber auch Stimmen gefunden, denen die Marinevorlage lange nit weit genug geht. (Na! na! bei den Sozialdemokraten.) Ich denke, meine Herren, daß die Beratungen des hohen Hauses dazu beitragen werden, diejenigen, welche sih bisher ablehnend ver- halten haben, zur Zustimmung zu bewegen, daß sie aber au die- jenigen, welche eine größere Vorlage gewünscht hätten, überzeugen werden, daß das Vorgehen der verbündeten Regierungen in dieser Frage das Richtige gewesen ist. „Meine Herren, ih hoffe und wünsche das dringend, damit eine möglichst große Majorität dieser Lorlage zustimmen kann, damit jeder sieht, daß die erwählten Vertreter des deutshen Volkes in dieser Frage ges{lofsen binter der deutschen Flotte stehen. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Bebel (Soz.): Auch ih muß zunächst meinerseits auf den höchst plößlihen Schluß des Reichstags im leßten Mai zurück- fommen. Noch kurz zuvor hieß es im Seniorenkonvent, es würde eine Vertagung eintreten. Dennoch erfolgte ganz unerwartet der Schluß. Das einzige, was wir darüber erfuhren, war, daß dabei feine Animosität gegen den Reichstag vorliege. Wo hbâtte die auch herkommen sollen! Bald nachker hörten wir aber, und wie es sWeint, mit Recht, davon, daß man den Reichstag so schnell weggeshickt batte, um keine Er- örterung der Marokkoangelegenheit zuzulafsen. Das war eine un- érhôrte a dirvg i gegen den Reichstag, gegen die wir den \härfsten Protest einlegen; man foll dem Reichstage niht noch sein leßtes bißchen Bedeutung auf diese Weise wegnehmen. Es hieß dann, der Reichstag sollte schon im Oktober wieder einberufen werden. Aber tatsählih ift der Reichstag so spät zusammenberufen, daß der Etat absolut niht mehr zum 1. April rehtzeitig fertiggestellt werden kann. Hat man etwa damit beabsichtigt, dem Reichstage die Möglichkeit, sich gründlih auszusprechen, zu beshneiden, so erkläre ich, daß wir uns unsererseits feinen Zügel anlegen lafsen - werden in der gründlichen Kuitik der Zustände, unbekümmert darum, 0b der 1. April eingehalten werden kann oder niht. Der Reichstag ist mit einer Thronrede er- öffnet worden, welhe im Auslande und Inlande zu allen möglichen Kommentaren Veranlassung arge hat. Es wird da ein Unterschied gemaht zwishen den Mächten, zu denen wir in korrektem, und zu denen wir iîn fceundshaftlihem Verhältnisse stehen. Nun hat der Reichékanzler gestern einiges in dieser Beziehung vor- gebracht, was zur Aufklärung dienen könnte; er vat aber in der Marokfkofrage gerade da abgebrochen, wo er bôtte sprehen müssen. Wir werden unsere versuhhen, das Versäumte nachzuholen, um ihn noch zu weiteren Aeußerungen p veranlassen. Er hat gestern auch davon gesprochen, daß die auswärtige Lage keine durhaus befriedigende ift ; auch in dieser Auslafsung tritt uns der Ernst der Situation ent-

egen. Bei Gelegenheit der Enthüllung des Moltkedenkmals hielt der aiser einen Toast beim Festbankett, worin es hieß: das Shwert ge- \lifen, das Pulver trockzn gehalten; die Shwarzseher verbannt ! Da muß man denn doch wirklih fragen: Was ift denn los? Welchen Zeiten gehen wir entgegen? Auch der Kaniler sprach geîtern von den Siimmungen und Leidenschaften der Völker, von der tiefgebenden Ab- neigung der öffentlihen Meinung in England gegen uns. Jch glaube, jenseits des Kanals wird er damit lebhaftem Widerspruch begegnen ; ebensowenig wie im deutshen Volke eine Animosität gegen England besteht. Aber solhe Reden wie die vom 26. Oktober müfien das Volk überrasden, wie auch die Rede des Kollegen Paaiche vom 4. Januar vor seinen Wählern über die Gefahr eines Krieges mit England die- selbe Wirkung haben mu Zuerst dachte ich, Herr Paasche bätte sich damit bloß ein. bißhen wihtig machen wollen. Aber wenige Wochen später hörten wir einen bayerishen Prinzen aus- sprechen, man danke dem Kaiser, daß Deutschland 1904 nicht in einen großen Krieg verwickelt worden sei. Wenn solche Neden gehalten werden, haben wir im Reichstage allerdings den dringenden Wunsch, zu hôren, was an diesen Dingen eigentlich Wahres tf. Im Laufe dieses Jahres sollen wir ja abermals vor der dringenden Gefahr eines europäishen Krieges gestanden haben, und zwar anläßlih der Marokkoangelegenheit. Auch Fürst Bülow hat Anfang Juli von einer „gefahrvollen Lage“ gesprohen. Aus seiner gestrigen Erklärung ist hervorgegangen, daß die Marokkofrage zwei vershiedene Phasen durhgemacht hat. Am 12. April d. I. hatte Graf Bülow noch bes stritten, daß irgend ein Grund vorliege zu der Annahme, daß irgend eine Macht die deutschen Interessen in Marokko verlegen könnte. Ich hob einige Tage später hervor, daß England und Frankreich sich zu einem Bündnis zusammenzufinden s{hienen, welche2s eines Tages fehr bedenklih für Deutshland werden könnte. Einige Zeit nachher entgegnete mir Graf Bülow, die Politik gegen Marokko sei unverändert dieselbe geblieben. So ganz rihtig war das nichi; denn gestern haben wir gehört, daß mittlerweile der französische Gesandte in Fez ein angebliches europäisches Mandat geltend gemacht habe. Das war vor dem 29. März; in diesen Tagen fand die Landung des Deutschen Kaisers in Tanger statt, und das änderte mit einem Schlage die ganze Situation vollständig. Deutschland hat gewiß allen Grund, die S{ädigung deutsher Inter- essen abzuwehren. Ein Protest gegen die etwaige Ausnußzung des english-französishen Abkommens in dieser Richtung ist nicht erhoben worden ; statt dessen geht der Deutsche Kaiser nah Tanger! Eine solche Reise habe ih |chon damals als Demonstrations- und Provokations- reise bezeihnet, die bei den anderen Mächten das größte Mißtrauen erregen mußte. Mit dem Einwand, folche Dinge dürften hier nit erörtert werden, lassen wir uns nit abspeisen; bier steht das Wohl der ganzen Nation auf dem Spiele, hier konnte möglicherweise ein Krieg ausbrehen, und wir find gewillt, uns in Zukunft viel energischer um die auswärtige Politik des Deutschen Reiches zu bekümmern, um aus der Situation herauszukommen, die jeßt geshaffen worden ift. Wenn Deutschland jeßt in Europa ifoliert ist, so ist das größtenteils den Fehlern unserer eigenen auswärtigen Politik zu verdanken. Die Völker- schaften in Marokko haben von dem persönlichen Eingreifen des Ober- hauptes des Deutschen Reiches ganz andere Vorstellungen wie Europäer. Es liegt da genau so wie 1896 mit der Krüger-Depeshe, wo ganz befondere Vg im Burenlande hervorgerufen wurden, daß die Burenrepubliken Deutshland im Ernstfalle auf ihrer Seite haben würden, und ih zweifle selbst, ob ohne diese Burendepeshe der Krieg ausgebrochß-n wäre. Glauben Sie denn, daß die Bevölkerung von Marokko nicht ganz ähnliche Hoffnungen auf die Reise des Kaisers nah Tanger geseßt hat, wie seinerzeit die Buren auf dfe Krüger-Depeshe? Auch wenn eines Tages wieder die orientalische Frage aufgerollt wird, wird man mit derselben Zuversiht auf die Unterstüßung Deutschlands rechnen : eine trügerishe, aber dur diese und ähnlihe frühere Vorgänge be- rechtigte Hoffnung. Man soll niht bei einer fremden Nation Hoff- nungen erwedcken, die das betreffende Land unter keinen Umständen erfüllen r Bedenklich war au, daß monatelang die Nachricht aufrecht erhalten blieb, “England habe Delcassé eine Reihe von Zusagen gemacht für den Fall eines Krieges mit Deutschland. Nun i} allerdings durch die Norddeutshe Allgemeine Zeitung festgestellt, daß von englisher Seite niemals ein solches von Delcassé behauptetes Angebot gemacht worden sei. Ih möchte aber doch wissen, ob es wahr ijt, daß der Reichskanzler an den Generalstab die Frage gerichtet hat, ob er in der Lage sei, in einen Krieg mit Frankreich eintreten zu können. Es kann doch dem Reichs- kanzler nur erwünscht sein, wenn ich mich hier zum Sprachrohr einer Auffassung mache, die in Deutshland und auch im Ausland geteilt wird. Ic kann es mir nit denken; denn ein Krieg mit Frankreich bedeutete zuglei einen Krieg mit England. Es ift dur die deutsche Politik in der Marokkoangelegenheit dahin gekommen, daß, wenn nicht \chon vorher, von diesem AugenblickÈ an England

und Frankreich förmlich jusammengeschweißt find. Jh be- dauere L Vorgänge um deswillen so aufßerordentlich, weil * ih der Ueberzeugung bin, daß keine andere Politik England und Frankreich auf einen so freundschaftlihen Fuß bätte bringen können. Sie werden nicht bestreiten können, daß bei diesem ganzen Vorfall, soweit er sich in Frankreih abspielte, speziell mein igenofse Jaurès eine für Deutschland außerordentlich wertvolle Rolle gespielt hat. Er hat gefordert, man solle die öffentliche Meinung Frankreihs unterrichten, man folle unter feinen Umständen wegen Marokkos in einen Krieg willigen. Er hat alles getan, was ein Mann tun kann, um das Verhältnis zwishen Deutshland und Frankreih freundschaft- lich zu gestalten. Nun war es ganz naturgemäß, daß meine En en auf die Idee kamen, Jaurès einzuladen, um ier über die Marokko - Frage zu sprehen. Jch glaube, eine folhe Friedens- und Freundshaftsdemonstration hâtte man von feiten der deutshen Reichsregierung mit Freuden begrüßen sollen, aber das Gegenteil war der Fall. Der Reichskanzler richtete an den deutshen Botschafter in Paris einen Brief, in dem er ihn unter Begründung feiner Auffassung seinen ganzen Einfluß auf- zubieten ersuchte, um Jaurès Berlin fernzuhalten, und auf eine eventuelle Ausweisung bindeutete. Bemerkenswert ist an diesem Briefe einmal, daß der Reichskanzler, der Leiter der Politik eines ronen Reichs, in dieser Weise einen sozialdemokratishen Redner zu verhindern suchte, der Einladung seiner C Rog zu leisten, zweitens, daß er so tat, als ob er überhaupt nicht wisse, wie Jaurès zur deutshen Sozialdemokratie steht, indem er sagte: „Sie haben ja vor einigen Jahren in Amsterdam selbft erfahren, was für eine böse Gesellshaft die deutsche Sozialdemokratie ist“, und drittens, daß in diesem Briefe die franzofis{e Sozialdemokratie als die patriotishe im Gegensaß zur deutschen Sozialdemokratie hingestellt wird. Dabei hat die Pariser Presse alle Augenblicke die deutsche Sozial- demokratie der französishen als Muster bingestelt: Seht Ihr, der Bebel, das ift ein vatriotischer Mann. In Frankreich wird ge- sagt, die franzofishe Sozialdemokratie ift niht patriotisch, fie unter- gräbt die Armee, und es wird auf die deutsche Sozialdemokratie hin- gewiesen. In Deutschland ist es gerade umgekehrt. Ih will dies nur anführen, um die ganze Lächerlihkeit der Auffassung über die Sozialdemo- kratie hüben und drüben zu fennzeihnen. Um zu charakterisieren, welche Einwirkung die Amsterdamer Beschlüsse auf meinen Parteigenossen SJaurès ausgeübt baben, will ich Ihnen mitteilen, daß auf dem nächsten franzöfischen O Ra ORgTeE der Sozialdemokratie Jaurès gesagt hat, seit Amsterdam haben alle französishen Sojialisten dem Ministerialismus entsagt. Jaurès hat dem Reichëkanjler eine Antwort geschrieben, die dieser sih sicherlih nicht hinter den Spiegel steden wird; er hat dem Reichskanzler, der diese Friedens- demonsiration Berlin verhinderte und irgendwelWe Gegen- säße zwishen der franzöfishen und deutshen Sozialdemokratie zu schaffen suchte, die einzig rihtige Antwert zuteil werden lassen. In ähnlichem Sinne bat sih auch die Kölnische Zeitung ausgesprochen. Dieser Vorgang ist eine Blamage vor der ganzen Welt, und es ist nur bedauerlih, daß sich Deutschland diese Blamage geholt hat. In Konstanz wollte ih, Adler aus Wien und ein italienisher Delegierter über diese Ausweisung Jaurès? sprechen, aber unter preußishem Druck erfolgte dann natürli ein Verbot. Wir stehen \chon heute in der ganzen Welt im Rufe, der reaktionärste Staat zu sein. Der Abg. Frizen hat den Reichskanzler über Japan befragt. Der Karzler hat gesagt, was zu sagen war, aber eins hat er nit gesagt, nämlich nihts über den englis - japanishen Vertrag und unser Verhältnis dazu. Der rufsish-japanische Krieg war eine notwendige Folge unserer Einmishung von 1895. Nußland ift durch den Friedensvertrag lahmgelegt. Der japanish- englische Vertrag bedeutet die Oberherrshast Englands zu Wasser und zu Lande, für uns allerdings auch die Erschließung der offenen Tür, die uns unter Rußlands Herrschaft allerdings niht ofen gewesen wäre. Die Hoffnungen derer, die glauben, in Kiautshou eine Position gewonnen zu haben, von dec aus man fi ausdehnen könnte, find freilih ¡u {handen geworden. Mir könnten unsere militärishe Position in Kiautshou räumen, sie kostet uns nur Geld und nüßt uns gar nichts. Man müßte bei den verbündeten Regierungen vollständig verrückt sein, wenn man glaubt, aus Tsingtau ein zweites Port Arthur zu machen. Sollten wir einmal, was wir nicht wünschen, einen Krieg mit England führen, so würde Kiautschou für uns nur eine Kugel am Bein sein. Das gilt von unseren gesamten Keclonien, sie find in einem Kriege mit England nicht nur eine Gefahr, fondern in 14 Tagen für uns verloren. Der Handel mit Südwestafrika beläuft fi auf nur 32 Millionen gegenüber einem jährlichen Kostenaufwand von 151 Millionen! Es wird wirkli Zeit, daß der Reichstag nüchtern wird und sih überlegt, ob es so weiter geht, ob die Opfer für die Kolonien wirklich \fich lohnen. Im Ernstfall können wir uns nicht in Europa und im fernen Ozean zuglei verteidigen. Bis- marck fagte über die Pachtung von Kiautshou mit Recht : Gerade groß genug, um große Dummhßeiten zu machen. Die Ausfuhr aus Kiautschou ift jährlih 0,0, und dafür geben wir jährlich 13 Millionen aus! Man mag über die Engländer denken, wie man will, sie find fluge, überlegene Männer, fie vlaudern nichts aus, fie wissen zu schweigen, denn das viele Reden ist eine sehr große Gefahr, namentlih an unrihtiger Stelle. An exponierter Stelle ist das Nichtreden Gold. Seit zehn Jahren, seit der Krüger-Depesche, ist eine ganze Reihe von Aeußerungen erfolgt, die Mißtrauen in England bervorrufen mußten. Ich erinnere an das Wort: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasjer“, an das „größere Deutschland", „Bitter not ist uns eine |tarke Flotte“. Als ich den Staatssekretär fragte, was mit dem leßten Worie gemeint sei, s{wieg er hier, und in der Kommission sagte er: Mein Name if Hase, ih weiß von gar nichtêé. Ich erinnere ferner an die Rede bei der Taufe der „Wittels- bah“, an das famose Telegramm von 1902: „Der Admiral des Atlantischen Oizeans grüßt den Admiral des Stillen Ozeans“. Der „Wahre Jakob“ brachte dieser Tage ein Bild dazu, worauf der Admiral des Stillen Ozeans in einer Waschbütte rudernd dargestellt ist. Das war der Rest der Flotte, und ih will niht hoffen, daß es dem Admiral des Atlantischen Dzeans ebenso geht. (Ruf bei den Nationalliberalen: Pfui!) Ich fagte auëdrüdllich: i hoffe es nicht. Wer war der „Patriot“, der mir das zurief ? Da jezt der Krieg niht ausgebrochen ist, ist das Verdienst der Sozial- demokraten. Wenn Sie es auch nicht zugeben wollen, inneclih denken Sie es auch. Jett spielt die Masse in auswärtigen Fragen au eine ganz andere Rolle wie bisher. Die Völker laffen fich in einen Krieg niht mehr beßen, darauf verlassen Sie si, sie müssen wissen, um was es si handelt, was damit erreiht werden sel; nur wenn fie das Ziel billigen, sind F dafür. Darauf können Sie \ih verlaffen, das fklafsenbewußte roletariat wird fich einst die Brage stellen: ist das ein Kampf, für den wir uns ins Zeug zu werfen haben oder nicht? Nur in Uebereinstimmung mit dem gesamten Volke können Sie noch einen Krieg führen. In August dieses Jahres haken auf einer Konferenz îin London die gesamten Vertreter der englishen Arbeiterklasse einstimmig beschloffen, jeden Versuch, einen Krieg mit Deutschland herbeizuführen, auf das entshiedenste zu bekämpfen, und die Arbeiterorganisationen be- deuten in England doch noch etwas mehr als bei uns. (Zuruf des Abg. von Kardorff.) Allerdings, Herr von Kardorff, aber das nächste Mal werden es mehr fein. Von unserem Ge- famtwelthandel sind 2820 Millionen, also 20 %, mit Eng- land und seinen Kolonien. Troy aller Reibereien

wir mit England das glänzendste Geshäft von allen Nationen der Welt. Wie kann man innerhalb maßgebender Kreise, von der gierung will i ganz absehen, glauben, daß England, das mit dem Deutschen Reich ein solhes Geshäft macht, aus Eifersucht einen Krieg mit Deutsland hervorrufen würde? Und dabei kann England kein Stück seiner Ware, von den Rohprodukten abgeseben, ohne Zoll nach Deutschland einführen, während umgekehrt von Deutschland alle Produkte, abgesehen von Tabak und Spirituosen, zollfrei nah Eng- land gebraht werden können. Was ift natürlicher, als daß das eng- lishe Volk, wenn unsere Grenzen immer mehr für seinen Hand abgesperrt werden, auf die Dauer niht mehr so tôriht sein wird,

uns seine Grenzen ofen zu lassen ? Ihr (nah rechts war ja immer: andere Länder baben obe Zölle Mo largment “Mae a En Os Chamberlains widerstanden,

z : E

inblee Cauek E nstimmig gegen seine Politik gewesen. E E O es N d gar idt wundern, ngland zu Gunsten iberalen Systems ausfä i - vorlage wird ja nicht allein mit N Erlau olen au mit der auf den ganzen Welthandel begründet.

auch : die englische Der Fre

die Regierung anführt,

die Frage:

gäbe, so würden Sie s{ließlich der Zinsen

vier Fünftel für Militär-

müssen, erfordern {on unserem Reichsetat, u Wenn auch. die jeßige

rungen enthält, so fommen wir do in

dehnung der Marine bi Forderungen für das tische Situation s{chon

Kriegsminister nicht mit 10000 M diese fieberhafte Vermehrung der deutschen Flotte ?

allein auf die Vorber andere, was dafür an es niht übel, Mumpig. an, die uns neuestens Flotte aufmarshiert m englishe Flotte ift das und 65 Panzerkreuzer, Ueberwindung diefer M falle gegen die beiden

fahrstraße mit ihren Kriegs\{iffen zu pflastern. gesihts solher Tatsachen an einen folhen Kriegsfall überbaupt denken ? Und doch ist das der Fall, denn fonst hâtte diese ganze Flottenpolitif Und wie steht es mit Rußland? bom Großen Ozean ausges{lofsen

keinen Sinn. vom Osten, tritt seine Bedeutung

stantinopel, die Ostsee und unsere Oftprovinzen in d : Rußland braucht doch Meereshäfen. akg en Vortergrund.

alles daran seßen, sie

Folge der „Splendid isolation, glüdlih gwisGen oe Stühle geseßt baben. einen

die Massen si dazu \chweigen werden ? Bülow hat si gestern als er die Steuerprogra

die Besteuerung der „Luxu®gegenstände sollen berangezogen werden, Bier, weidlih herangezogen worden Arstands-, eine Ehrensteuer.

eschlagen; aber Lurusfte

insteuer bringen ein gutes

dagegen 130 Millionen.

steuern würden wir mit uns reden lafsen; jeßigen M, ins Lol aut eine Art Anftands- und Ehbrensteuer , eine Unger: {tigkeit ift die Quittuncssteuer mit i

10 4, die ebenfogut der Arme zahlen soll, f N

binaus. Welch?

20 #4 fauft, und der Die Quittungéfsteuer ist krafser gar nit gedacht Mittelstandêretter, die Herr von Stengel hat die Zigarettensteuer Ver

Daß schon nah der Tabaksteuererböhung von 1879 Tausende von ctn um ihre Exis merifa auêwandern mußten, zum Teil elend untergegangen sind, scheint man an den maßgebenden Stellen niht zu wissen oder nicht zu be-

ahten; ist es doch ebe soll! Das Zentrum wi 6 Milliarden

werden muß! einzige bewilligt werden, gebraht werden.

Gatten und Kinder empfehle

staaten im Bunteërat ; Straße. Schockweise kön

gibt es keine L Ile meur, E Verkeimlihung des Einkommens, ; er Cintommensteuer ; darum seßte Herr v. Miguel im preußischen Abgeo: dnetenbause die Erbschaften nit bard Hier

tine Drückerei von

Noblesse oblige! gelhügt seben will, bat bringen.

steuer ganz erbeblich ristokratie FBermögens- ichen. Aber ie übrigen Vorteile, ringen. Man hat uns

0 s É “rbeiter zu entredten. erke in Berlin. Sersammlungêrechts der

le berrschenden Zustän

leßten Zeit geradezu unerträglich geworden.

Pertungen ien wir enden. it wi

eien f amit wird Fenden, jâmmerlihen Dr rbeiter Steae nicht age den Reichskanzler : eußen ist tatsächlich n Preußen ist der nd beute sehr ernft,

obl füblt, so wird er ll Wenn Sie imer weiter geben.

g epeußischer Staats- und Finanzminister Freiherr von

nbaben:

Meine Herren! nkte einzugeben, die

Der Herr Abg. Bebe

? Arbeiter ein politisher Helot sei.

Sozialdemokraten.) ne Herren, das

glaube, es wäre ite Beweise für die Be

Wohin geh deutshe Flotte zu einem etwaigen Schu treten können. Selbst wenn diese

; IL doch s{chon mit der jeßigen Flotte auskommen fönren.

Landheer nah si.

eitung zu einem Kriege mit England; alles Gründen

rankreich haben nun aber zusammen 87 Linienschiffe und und damit ein

Zigaretten sind die Hälfte Pfennig-Zigaretten, die durch die neue Steuer auf 2 S verteuert werdea, wodur eine bede Reduzierung -des Konsums t Ee

bon Arbeiterinnen, die dann der Frostitution verfallen sind, bewirkt Wir meinen, von all

Andere Staaten, wie England, zieben aus der Erbschafts-

und Bourgeoisie beim Burenkriege die Einkommen- j und Erbschaftssteuer erhöht! e [ ah, dann Me Oren die GAUNE ene aus den Steuern _das Tun Sle nicht, die große Masse kann die Kosten ablen, und Sie (nah rechts) baben die bohen Stellen inne und

Verusêvereine in Auéësiht gestellt. , gestaltet sein wird, daß wir für Tendenz der Regierung und der

_ Ih erinnere an die Bewegung der Eleftrizitäts-

Wie steht es mit

bestehenden Gefellshaftsordnung eingepaukt.

Arbeiter ein politisher Helot. für f au für den Arbeiter. er wrgen, daß das Vaterland fo ist, daß der Arbeiter sih darin

nit rehtzeitig bremsen, dann wird die Bewegung

Ich beabsihtige niht, auf alle die einzelnen ige eben der Herr Abg. Bebel berührt hat. Aber e wenige Worte muß ih mir gestatten, wennglei sie nit zu nem direktesten Ressort gehören.

annerman ift an die Stelle des Schugß- wenn die Wahl

Rücksiht auf di og: R / ie Zahlen, die entsheiden nicht. Entscheidend ist vielmehr t unfer Handel? Da zeigt es si, daß die è gar nicht würde in Aktion otwendigkeit \sich einmal er- einem unendlih kleinen Teile men 1. Heer, Marine, Kolonien, ein- für die Neichs\{uld, von denen mintestens âr- und Marinezwecke aufgebraßt werden die kolossale Summe von 1400 Millionen in nd fo gebt es mit Riesenschritten weiter. Flottenvorlage vergleihéweise mäßige Forde- eine immer uferlosere Aus- naturgemäß immer größere : Hâtte sih die heutige poli- einem Jahre ergeben, so hätte fic der ann begnügt. Und wohin zielt Einzig und

nein, und die zieht

vor

cÜl vorgebracht wird, ist, nehmen Sie mir Sehen Sie doch die Bilder in der Wandelhalle zugekommen sind! Da ist die ganze englische it allen ihren Panzern und Kreuzern; diese Beispiel, dem wollen wir naceifern. England

fo großes Uebergewicht, daß an eine aht gar nit zu denken ist. In einem Kriegs- find diese in der Lage, die ganze Nord!ees Wie fann man an-

E s dieses ist, desto mehr nach Westen, die Eroberung ie an eer Die russische Bourgeoisie wird sich an der Ostsee zu schaffen. Das ist die der Politik, u dee ie 0s jeßt il nd glauben Sie, da

fol@en Zustand gefallen laffen, daß A Und wie wollen Sie die Kosten deZen ? Fürst an die Worte des Fürsten Biêmarck angelehnt, inme entwickelte. Fürst Bismarck s{chwärmte für der großen Massen“, die Tabak, Kaffee usw., und sie sind ja und die Reichen wollten nur eine Man hat ja eine Automobilsteuer vor- uern bringen ja nihts ein; Champagner- und Dußend Millionen ein, der Bcanrtwein Ueber Einkommen-, Vermögens-, Erk schafts- aber da kommt es in den

r 2 der sih einen Anzug für lentge, der 200000 # Zinsen quittiert. etne Steuer auf den armen Maan, wie sie werden kann; an ihr mögen fi die vielen hier im Hause sigen, die Zähne ausbrechen! estern au bestritten, daß die Tabak- und rausgegenstände der breiten Masse treffen.

tenz gebracht worden sind, ¿zum Teil nah

n nur der Arbeiter, der die Zeche bezahlen ll die Zigarettensteuer; von der Hälfte der

und die Brotlosmahung von Tausenden

en diesen Konsumsteuern foll keine

n, vielmehr alles von der Erbschaftssteuer auf- Diese Erbschaftssteuer mit der Ausdehnung auf

_ich dringend den Vertritern der Einzel- hier liegt tatsählich das Geld auf der nen Sie hier die Millionen baben. Aber dann

heißt es: Besiß verpflihtet; wer diesen au die sittlihe Pflicht, dafür Opfer zu here

Einnahmen. * 1901 hat die englische

Ahmen Sie dies Beispiel

die die Kompotshüfsel zum Ueberlaufen eine Vorlage über die Rechtéfähigkeit der Ih befürhte sehr, daß fie fie nicht stimmen können. Arbeitgeber geht dabin, die

i der Freiheit des Vereins- und Arbeiter und mit dem Koalitionsreht ? de find angesihts der vielen Aussperrungen 1 en. Gegen diese Aus- allerdings vom Parteistandpunfte nihts ein- den Arbeitern und Arbeiterinnen das wahre Jefell } Bei dem eiflassenwahlsystem in Prenien kommen die zu einer Vertretung ibrer Interessen. Jh 1ßen in Deutshland voran? reaftionärste Staat der Welt. Die Zeiten Wenn Sie nit

wo ist Preußen der

sih demnächst fragen, ob er es verteidigen

I hat davon gesprohen, daß in Preußen (Sehr richtig! bei

Ih habe \{chon einmal bemerkt, «Sehr rihtig!" i fein Beweis. besser gewesen, der Herr Abg. Bebel

uns der Arbeiter sich in einem vollkommen geordneten rechtlihen Zustand befindet. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)

Dann sagte der Herr Abg. Bebel: wenn sie niht bremstcn i verstehe darunter die Sozialdemokratie —, dann würde die Bewegung noch ganz andere Dimensionen annehmen. Meine Herren, gestatten Sie die Bemerkung, daß ih auf dieses Bremsen keinen sehr großen Wert lege und glaube, daß es die Staatéautoritäten sind, die die Rube und den Frieden im Inlande zu verbürgen haben werden. (Sehr richtig! rets.)

Dann hat der Herr Abg. Bebel gesagt, die Arbeiterschaft würde es fi überlegen, ob sie, wenn die Zustände so andauern, das Vater- land im geeigneten Falle verteidigen würden. Meine Herren, ih nagele diesen Auëspruch des Herrn Abg. Bebel hier vor dem Lande fest (sehr gut! rechts; sehr gut! bei den Sozialdemokraten), daß es jest in ein Majoritätsvotum oder in die Abstimmung des einzelnen Arbeiters geftellt werden soll, ob er dem Rufe des Kaisers folgen, im Falle der Not das Vaterland verteidigen will oder nicht. (Unrube bei den Sozialdemokraten.)

Dann hat der Herr Abg. Bebel mehrfah Bezug genommen auf England. Ih rufe ihm ein englishes Wort zu, und zwar ein stolzes englisches Wort: right or wrong, my country, Ret oder UnreSt, es ist mein Vaterland. Wenn man den Ausführungen des Herrn Abg. Bebel folgt, so muß man glauben, daß er das Gegenteil befolgt. (Sebr richtig! rechts.) Er hat vorhin über die auswärtige Politik gesagt, die deutsche Politik mahe unzählige Fehler, dagegen seien die Engländer ganz überlegte, nühterne Leute. Er hat jest, was die inneren Fragen betrifft, gesagt, die Engländer brähten sehr große Opfer, aber die Deutschen natürli nit. Ich werde nachher na- weisen, daß diese Behauptung unrichtig ift.

- Er hat ferner gesagt, der Besi verpflichte, noblesse oblige, und da kann ih ihm durchaus beitreten. Jch werde ferner nachweisen, daß dieser Gesihtepunkt maßgebend gewesen ist für die ganze steuer- liche Entwicklung in der neuesten Zeit. Die deutsGen Staaten, die ibrerscits die fozialpolitishe Gesetzgebung geschaffen haben, baben in dieser Beziehung ein sehr gutes Gewissen; denn für sie ift der Gesichts- punkt noblesse oblige maßgebend gewesen. Au die bürgerlihen Par- teien, die jegt son im Staat- und in der Kommune fast ganz die direkte Steuerlast tragen (lebhafter Widerspru bei den Sozialdemokraten), und die jeßt für die Arbeiterversiherungen 276 Millionen Mark jähr- li, d. h. è Millionen tägli, aufbringen, haben in dieser Beziehung ein sehr gutes Gewissen, und dergleichen Angriffe - prallen an dem blanken Schilde ab. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

i Ich gebe nun dazu -über, meine Herren, den Vergleich zwishen der englishen Belastung und der teutschen Belastung mit indirekten Steuern etwas weiter zu ziehen und überbaupt in dieser Beziehung einen Vergleih aufzustellen. Ich muß dabei bleiben, und der Herr Reichskanzler hat die Güte gehabt, das {hon in seiner gestrigen Rede auszuführen, daß in Deutschland die Belastung infolge der Zölle und der indirekten Steuern niedriger ift als in fast allen anderen Kultur- staaten. (Hört, hört! rechts) Jn Deutschlaud werden an indirekten Steuern auf den Kovf der Bevölkerung, und zwar, wenn man boch rechnet, 18 Æ gezahlt, in Oefterreih 29, in Ungarn 19, in Frankreich 48, in Großbritannien 48, in Italien 20, in Rußland 17 4, also Rußland stebt nur etwas günstiger binsihtlih der Belästung mit Zöllen und indirekten Abgaben. Wenn man die direkten Steuern und die indirekten Steuern zusammennimmt, stellt sich die Gesamtbelastung, wie folgt: Preußen 26 i pro Kopf der Bevölkerung, Oesterreichß 38 4, Ungarn 28, Frankrei 61, Großbritannien 65, Jtalien 35, Rußland 20 A Ih wiederhole, einer Belastung in Preußen von 26 4 pro Kopf der Be- völkerung steht in Frankreich eine sol&e von 61 und in Großbritannien von 65 gegenüber, und Adolf Wagner, den gewiß alle als eine Autorität auf finanzwissenshaftlihem Gebiete arerkennen werden, spricht sih folgendermaßen aus:

Es zeigt si, daß die Gesamtbelastung bei uns mit Zöllen immer noch kleiner, mit inneren Verbrausfteuern viel kleiner und eb:nso mit Verkehréfteuern (Stempelabgaben) niedriger, besonders als in Frankrei ift. °

Ih will dies feststellen gegenüber ter Bekauptung, als ob in Deutschland die Belastung pro Kopf der Bevölkerung mit Zöllen und indirekten Abgaben eine übermäßig bobe fei.

Nun wird bei der ganzen Erörterung über die Frage der Belastung vollkommen übersehen und das ergaben auch die Zwischenrufe vorher von der linken Seite —, wie si die Belastung mit direkten Steuern stellt. Die Daten, die ich Ihnen vorzutragen mir erlauben werde, ergeben, daß meine Behauptungen rihtig sind, daß diese Lasten wesentlich von einem Drittel der Bevölkerung getragen werden und zum großen Teil den anderen zwei Dritteln der Bevölke- rung zugute kommen.

Was hat man denn bei der ganzen neuen direkten Steuergesetz- gebung für Prinzipien verfolgt? Wenn in den leßten Jahren ein neues Steuergeseß erlassen worden if, wie in Preußen oder Sathsen, immer iff der Gesihtépunkt maßgebend ge- wesen, daß die wirkliG Leistungéfähigen Heranzuziehen find. (Zuruf.) Nein, meine Herren, das kann nit bestritten werden. Ich weise nur darauf hin, daß wir in Preußen zunächst die unteren Stufen freigelassen haben, daß die Steuerpflichtigkeit dann überbaupt erst bei 900 4 festgeseßt worden ist, und daß wir außerdem noch eine erbebliche Steuerermäßigung dur das sogenannte Kinderprivileg haben. Die Folge ift, daß bei einer Gesamtbevölkerung von 35 629 000 Köpfen nicht weniger als 22422 000 Köpfe im Jahre 1904, glei 63% der ganzen Bevölkerung, vollkommen steuerfrei waren.

Weiter! Von den übrigen ftehen niht weniger als 11 620 0c0 Köpfe oder 32% in der niedrigen Steuerklaîse von 900—3C00 Mh Also von 35 629 000 Köpfen sind rund 34 Millionen entweder ganz steuerfrei oder nur in einer Steuerklasse von 900 bis 3000 6 Es bleiben 1 600 000 Köpfe übrig = 4,45% der Bevölkerung, und die bringen 70% des gesamten Steuerauffommens in Preußen auf. (Hört! hôrt! rechts.) Wenn Sie noch weiter hinaufgehen, fo ergibt si, daß nur 0,75 9/9 der Bevölkerung ein Einkommen von über 9500 4 haben und daß diese 0,75 %/, also noch nit 19% der Bevölkerung, niht weniger als 44,54% der gesamten Einkommensteuer aufbringt. Ich halte das für durchaus ri{tig, denn das sind die SGultern, die die Laften tragen können. Aber dann darf man nit immer mit der Behauptung kommen, daß die ganze Last auf die Minderbemittelten abgewälzt set.

hauptung erbraht. Ih behaupte, daß kei

Ich erwähne auch, daß die Steuerhandhabung in Preußen in der Beziehung außerordentlich milde ist, daß 63% der gesamten Be-

völkerung nit zur Einkommensteuer veranlagt sind, indem man an- nimmt, daß sie nicht über 900 A Einkommen baben, während namentlich das Gros der Arbeiter ein erheblich größeres Einkommen hat. (Sehr rihtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Wir sind alfo in dieser Beziehung in der Handhabung sehr liberal, wie ih das glaube nahgewiesen zu haben.

Nun aber komme ih zu den Kommunalsteuern, von denen bei den ganzen Erörterungen über die Verteilung zwischen Groß und Klein nicht die Rede gewesen ist. Wie steht es denn nun mit den Kommunalsteuern? Leider besitzen wir eine ausführlihe Statistik darüber nicht; aber im wesentlihen werden jedenfalls in Preußen und wohl auch in den meisten anderen Bundesftaaten die Kommunal- steuern erhoben im Wege des Zuschlags zur staatlihen Steuer, zur Einkommersteuer, und in Preußen zu den früheren staatlichen Real- steuern, also Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer. Die Zuschläge sind zum Teil sehr hoh, wie Ihnen allen aus eigener Erfahrung bekannt ist. Wir haben zablreihe Gemeinden mit 2—300 9% Kommunalzus{lag, au im Westen. Von den 35 Millioren Zensiten find, wie oben erwähnt, 22 Millionen ganz steuerfrei, und nur 13 Millionen bringen die Steuern auf. Diese 13 Millionen tragen in Preußen zunähst 200 Millionen Einkommensteuer, dann haben fie aufzubringon den Kommunalsteuerzuschlag. mit etwa 1300/4 von 200 Millionen Ein- fommensteuern und von 140 Millionen Realsteuern. Das macht 450 Millionen an Kommunalfieuern. Ein Drittel der Bevölkerung trägt also an Staatseinkommenfteuer 200 Millionen, an Ergänzungs- fieuern 40, an Erbschaftsfteuern 11 und an Kommunalsteuern 450 Millionen. Das ergibt also rund 700 Millionen, ganz abgesehen von der Stempelsteuer usw., die ih bier nit angerechnet babe und an der doch auch die woblbhabenden Elemente überwiegenden Anteil haben. Gegenüber einem Aufkommen an Zöllen und indirekten Steuern in Preußen, die für Rechnung des Reichs erhoben werden, von etwa 980 Millionen, an denen auch die oberen Klafsen teilnebmen, bringen die oberen Klassen an si, wie gesagt, noch über 700 Millionen auf an Staats- und Kommunalsteuern. Und nun frage ih Sie, meine Herren, wofür werden denn diese bedeutenden Kommunalsteuern ge- tragen, wem kommen fie zu gute? Sie kommen dch ganz über- wiegend ten minderbemittelten Klafsen der Bevölkerung zu gute. Jeder, der einen Kommunaletat gesehen hat, weiß, daß er zum aller- größten Teil erfüllt und in Anspru genommen wird von Armen- und Sgullasten. (Sehr richtig! rechts.) Wenn Sie die neuere Entwidlung namentli in den großen Kommunen beobatten, so ersehen Sie, in welch ausgezeihneter und fürsorgender Weise die großen Städte tätig gewesen find in der Nichturg der Fürsorge für tie Minderbemittelten durch Kanalisation, Wasserleitung, sonstige sanitäre Einrichtungen aller Art, und daß der Gesundheit3zustand in allen Klassen der Bevölkerung und namenrtlich auch der Minderbemittelten wesentlich verbessert worden ist, wenngleih ih gern zugebe, daß auf dem Wobhnungs8gebiet allerdings noch sehr viel zu tun ist.

Meine Herren, in welchem Maße diese Arbeit von Staat und Gemeinde mitgewirkt hat, die Verbältnisse zu verbessern, das wollen Sie avs der Statistik hinsfihtlih der Sterblichkeitszifer ersehen. Zwar hat die Geburtenzahl in Deutschland in den lezten Jahren in bedauerliher Weise abgenommen: während sie 1871—75 noh 40 auf das Tausend der Berölk:rung betrug, ift fie 1901—04 auf 36,5 gefallen ; aber auch die Sterbeziffer ist dank dieser sanitären Maßs- nahmen, dank der befseren Lebenshaltung der Arbeiter eine wesentlih geringere geworden. Während sie in den Jahren 1871—75 noch 29,5 auf das Tausend der Bevölkerung betrug, is sie in den Jahren 1901—04 auf 21 gefallen. Infolgedtefsen bat \sich der Geburten- übers{uß, der in den Jahren 1871—75 11,2 betrug, in den Sabren 1901—04 auf 15,5 gesteigert; die Sterblichkeitsziffer ist also seit einem Menschenalter um fast ein Drittel zurückgegangen (bört! bört! rechts) ; der Geburtenübershuß hat trc verminderter Geburter;abl um weit über ein Drittel zugenommen. Jch glaube, das ist in der Tat ein glänzendes Zeugnis für die verbesserte Ernährung, Lbenskaltung und Hygiene in den großen Massen.

Die Lebenédauer bat \sich ebenfalls in erfreulihster Weise durh- shnittlih gehoben: während sie in den Jahren 1867—76 dur(\chnittlih 35,4 Jahre betrug, ist sie 1881—90 auf 37,6 gestiegen und 1891—1900 auf 41,1. Wir baben also die erfreulihe Tatsache zu verzeihnen, daß wir alle die Aussicht haben, verbältnismäßig s»iel länger zu leben als unsere verehrten Eltern und Großeltern. (Heiterkeit.)

Meine Herren, noch ein Wort über die Leiftungen der bemittelten Klasse für die minder bemittelte auf dem Gebiet der Versicherung. Ich erwähnte hon vorhin, daß der deutsche Staat und die ver- bündeten Regierungen stolz sein können, die Arbeiterversicherung dur- geführt zu baben, und daß die Arbeitgeber ihrerseits mit Recht auch sich defsen freuen ich will nit sagen: rühmen können, erbebs liche Leistungen für die Arbeiter auf diesem Gebiet zu mahen. Meine Herren, für die drei Kategorien der Arbeiterversiherung wurden im Jahre 1903 nicht weniger als 602 Millionen für das Jahr auf- gewendet; davon entfielen auf die Beiträge der Arbeitgeber 274 Mil- lionen. Es werden also für die Arbeiterversiherung im Deutschen Reich jeden Tag 14 Millionen Mark aufgebracht (bôrt! bört! rets), und zwar geben die Arbeitgeber hiervon nabezu § Millionen Mark jeden Tag —, eine Leistung, die uns noch kein Land der Erde nah- gemacht hat und die auch keine besizende Klasse der Erde unserer besißzenden Klafse nahgemaht hat! (Lebhafte Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren, an Staat3- und Kommunalsteuern werden in Preußen von einem Drittel der Bevölkerung etwa 700 Millionen aufgebraht. Rechnen Sie dann von diesen 274 Millionen, die von den besizenden Klafsen, von den Arbeitgebern, für die Arbeiterversiche- rung aufgebrahti werden, ncch etwa 200 Millionen auf Preußen, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß von den Zöllen und indirekten Steuern, die in Preußen für das Reih erboben werden, eiwa 580 Millionen zu rechnen sind, die allerdings zu einem erheblichen Teil auch die minderbemittelten Kreise treffen, zu einem Teil doch aber auh die bemittelten, daß dagegen die bemittelten Kreise ihrerseits allein etwa 900 Millionen aufzubringen haben.

Das ¡um Beweise der Behauptung, daß bei uns der Neiche B leiste und alles auf die minderbemitelten Klassen abgewälzt werde !

Der Herr Abg. Bebel hat sodann wieder von dem Proletarier- elend gesprohen. Ich möhte bitten, au einige Daten darüber geben

¿u dürfen; nicht als ob ich behaupten wollte, daß es nicht Elend genug auf der Erde gäbe; aber ich muß der Behauptung aktenmäßig